Rudolph Stratz
Friede auf Erden!
Rudolph Stratz

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7.

Seltsame Gedanken waren es, die in dieser Nacht durch Herrn Albins Seele gingen. Er dachte an seine Kindheit zurück, und wie ein Traumbild stieg das Schloß seiner Väter vor ihm auf, der alte Herrensitz im Odenwald, über dessen geschwärzte Trümmer jetzt wohl durch Nesseln und Buschwerk der Wolf auf Beute stieg.

Und ein Gedanke erfaßte ihn: Wenn es Friede gäbe in deutschen Landen, so wäre es mit den Zeiten möglich, das Schloß wieder aufzurichten mit seinen Türmen und Zinnen, wie es einstmals stolz in das Tal hinabgeschaut, und den Wildwald auszuroden und dafür zu sorgen, daß neue Bauernhütten sich um das altersgraue Dorfkirchlein erhoben.

Aber was ging ihn der Friede an? Er wollte ihn nicht und brauchte ihn nicht. Und wurde der Friede doch zu seinem Leidwesen geschlossen und stand man da, mit nichts als Narben, kein Feind im Feld, Schwert in der Scheide, Trompetenschall und Kriegsglück verweht – immer wieder wanderten seine Gedanken zu dem Herrensitze derer von Habstein, wie er sich hochragend aus rauschendem Bergwald erhob, und er sprach zu sich: Und wenn das feste Haus meiner Väter noch stände – was sollte ich dort, ein einsamer, abgedankter Kriegsmann?

Da merkte er, daß er in seinen Gedanken nicht allein dort war! Ein Weib schritt ihm zur Seite durch das fröhliche Getümmel des Schloßhofes, sein schönes, junges Eheweib; aus dem Ziergarten draußen klang das Jauchzen spielender Kinder, und wie die Bäume, die vor dem Träumer im Maiwind rauschten, prangte der alte Stamm der Habstein in frischem Grün.

Er fuhr entsetzt empor und stand auf.

»Wenn das Hochwasser nur einen Ritz im Flutdamm findet,« dachte er ingrimmig und verstört, »so bricht es durch und reißt alles nieder und spottet der Menschenkraft. So gib der Sünde nur den kleinen Finger, und sie frißt dich mit Haut und Haar, und ist kein Entkommen mehr vor ihr. Nimm deinen Mut zusammen, Albinus Habstein, und streite wider den Versucher –«

Schon dämmerte der Tag. Von fern her läutete, im Winde verzitternd, das Kapellenglöckchen von der Wallfahrt Unserer Lieben Frauen zu Laureta den schönen Maiensonntag ein.

Während die weißen Morgennebel vor den Sonnenstrahlen schwanden, begann es sich tausendfach im ganzen Lager zu regen. So weit das Auge reichte, streckte sich das Gewimmel geschäftiger Krieger hin. Die Pferde wurden gesattelt, Feuergewehre und blanke Waffen noch einmal geprüft, dann ordneten sich die Musketiere zu Haufen; die Fähnlein, über denen im Winde die verblichenen Estandarten flatterten, lenkten ihre Pferde im Schritt aneinander, um zu Gliedern aufzureiten, und die Abhänge des Lagers hinunter kollerten und rumpelten die leichten dreipfündigen Stücke, die bei der Armada geblieben waren und nun im Trosse abrücken sollten. Um sie herum strömte das sonstige nicht streitbare Volk, Reiterjungen mit den überzähligen Pferden ihrer Herren, Schreiber, Profosse und Diener, verwundete Knechte, der Wagenburg zu, deren erste Kolonnen sich schon lange vor Tagesanbruch in Marsch gesetzt hatten. Endlos zog an den Ufern der Zusam die ungeheure Bagage dahin, eine Völkerwanderung, die sich schwerfällig und lärmend über die Straße wälzte, um endlich in den Sumpfwäldern zu verschwinden, die sich gegen die Schmutter hin erstreckten.

So war es im Rücken der Kaiserlichen allmählich frei geworden. Schon begann auch die Armada selbst ihren Abmarsch, und mancher der Kriegsführer schien leichter zu atmen, als die Sonne höher und höher stieg, ohne den Angriff des Feindes auf die ausgehungerten Völker, auf die ermatteten Rosse des Kaisers zu bringen.

Da plötzlich – jählings wandte sich alles im Sattel um – ein Kanonenschlag von dem Hügel, wo die letzten paar Feldstücke standen! Unmittelbar darauf ein zweiter Schuß, ein dritter – das altgewohnte Alarmsignal des katholischen Lagers. Der Feind war da!

Aus der Ferne tönte schwacher Musketenknall, und kräuselten sich leichte Rauchwölkchen in der klaren Luft. Die Dragoner, die auf Vorposten gelegen, stoben einzeln und in Trupps im Galopp zurück, als einer der letzten ihr Obrist, zwei unablässig schmetternde Trompeter neben sich. Ab und zu machten einzelne der Berittenen Halt, sprangen vom Roß und lösten ihre Musketen in die buschigen Moräste hinein, aus denen ihnen, wenn sie, rasch wieder aufgestiegen, weiter jagten, vereinzelt aufzuckende Feuerblitze das Geleit gaben. Und schon sah man von dem Lagerhügel aus, wo finster und stumm Melander Holtzapfel inmitten seiner Offiziere hielt, ein undeutliches Flimmern und Blinken im Gelände. Dunkle, schwarze Klumpen strebten da eilfertig trabend vorwärts, über der verworrenen Masse der Rosseleiber schaukelten Hunderte und aberhunderte von Helmen und Kürassen im zitternden Sonnenlicht auf und nieder, und über ihnen schwankten in der Mitte der Fähnlein die aufrecht gehaltenen Standarten.

Standarten überall und Reitermassen um sie her, und über sie zum blauen Himmel sich aufschwingend die langgezogenen Töne der Drommeten, zu denen von allen Seiten wie ein verstärktes Echo der Widerhall erklang. Ueber die Hügel trabte es heran, es wand sich in eiligem, funkelndem Gewimmel aus dem Dickicht der Sumpfwaldungen und zog sich in glänzenden Schuppenlinien den Talweg herauf.

Die kaiserlichen Offiziere, die sich auf den Boden geworfen hatten und mit niedergesenktem Kopfe lauschten, standen finsteren Gesichtes wieder auf. Ein unheimliches, dumpfes Dröhnen belebte die Erde, wie die Luft unter den hundertfältigen Trompetenstößen zitterte, ein Trappeln und Poltern von Tausenden von Pferdehufen. Das war keine Streifpartei, die vor dem Lager hin- und hertournierte – das war die ganze Reiterei der Konfederierten, die da zum Angriff vorging!

Die Feldherren selbst, Turenne und Wrangel, an ihrer Spitze. Auf einem Hügel dem Flecken Zusmarshausen gegenüber haltend, hatten die beiden jugendlichen Kavaliere die feindliche Stellung in kalter, forschender Sachkenntnis geprüft. Jetzt trennten sie sich. Wrangel ritt mit seinen Regimentern in vollem Trabe nach links ab, den Gegner zu flankieren, Turenne aber trieb sein Pferd dem Kapitän von des Obristen Kurke Dragonern entgegen, der ihm die Meldung brachte, daß die Dragoner der Vorhut die kaiserliche Armada auf den Höhen im Abmarsch befindlich getroffen hatten.

Der Franzose überlegte nicht lange. Gestreckten Laufes kehrte der Bote zum Obristen zurück und brachte ihm den Befehl: »So greife der Herr in Gottes Namen an und bringe die Kaiserlichen auf die Sprünge!«

 

Knatternd und krachend schlug den aufwärts dringenden Dragonermassen der Gruß der Holtzapfelschen Knechte entgegen. Fünfzehnhundert Musketiere, das auserlesenste Fußvolk der Armee, standen auf den Pässen über dem Morast und empfingen mit stetigen Salven den Feind. Zehn Glieder hoch waren die Kompagnien, in denen ein ununterbrochenes Gewirre und Getümmel herrschte. Hatte ein Glied Feuer auf den Feind herausgegeben, so rannte es eilfertig nach rechts und links hinter die Front, um wieder zu laden. Das nächste Glied rückte vor und löste die beinahe mannslangen, auf hohe Gabeln gestützten Musketen, während die dahinter befindlichen Knechte in Eile aus den Holzkapseln, die sie am Bandelier auf der rechten Hüfte trugen, die Kugeln nahmen, das Pulver aus der Blechflasche holten und vorsichtig aus den Lederbeuteln die langen Lunten mit der durch eine weiße Kapsel geschützten, glimmenden Spitze herauszogen, um damit das lose auf die Zündpfanne geschüttete Pulver zu entflammen.

Rasch kam vor diesen feuerspeienden Häuflein, die die Pässe krönten, und aus deren flammenden Reihen wie Igelstacheln die achtzehn Fuß langen Piken der Hellebardiere starrten, der Angriff der Schweden zum Halten. Zu Haufen zusammengekoppelt, von den Troßjungen geführt, liefen die ledigen Dragonerpferde den Abhang herab. Ihre Reiter waren abgesessen und fochten ebenfalls als Fußvolk, die Pikeniere in einem Haufen zusammengezogen, zu beiden Seiten eifrig in kleinen Klumpen feuernd die mit Musketen bewaffneten Reiter.

So stand hier das Gefecht, und Schwede wie Franzose warteten in langsamem Feuerkampf die Zeit ab, wenn Wrangel mit den Seinen den Kaiserlichen in die rechte Flanke fallen würde.

Dort hielt, solches Angriffs gewärtig, mit den anderen Reitern das Kürassier-Regiment von Habstein. Fünf Rosse tief stand, sich weithin erstreckend und von flatternden Feldzeichen überragt, die eisengepanzerte Front. Vor der Mitte der zehn Eskadrons die Leutnants, vor ihnen die Trompeter. Noch weiter nach vorn endlich die Rittmeister, den blanken Degen in der Hand, hinter ihnen die Knechte mit den Handpferden.

Schwer saßen die unförmlichen, klirrenden Eisengestalten auf den grobknochigen dänischen Hengsten. Von den Reitern selbst war nichts zu sehen. Der eiserne Helm mit Visier, Halsberge, Doppelküraß und Tasseten, die eisernen Stulphandschuhe, die Beinschienen und hohen Stiefel mit ungeheuren Sporen verhüllten die Männer, die als die stolzeste Truppe der Armada mit Verachtung auf alles Kriegsvolk zu Fuße und zu Pferd herabsahen, das nicht wie sie die Rüstung trug und dem Feinde mit dem blanken Stoßdegen zu Leibe ging.

Unter diesen alten, erfahrenen Kriegern war keine Aufregung des Kampfes zu bemerken. Zuweilen bog sich einer klirrend über den Pferdehals und prüfte die beiden langen, in den Halftern steckenden Pistolen, ein anderer schob sich ein sorgsam zusammengefaltetes Tuch unter den Helm, um sich vor überstarken Hieben zu schützen, oder rückte sich in dem ungeheuren Sattel zurecht, in dem er, wie zwischen zwei Kissen eingeklemmt, saß. Sonst aber blieb alles still und stumm, indessen von oben her verworren das Geschrei und Geböller des Kampfes erklang.

Weit vor seinen Leuten hielt auf freiem Felde, nur von seinem Stabe gefolgt, der Obrist von Habstein und spähte, die Augen mit der Hand beschattend, in die Ferne.

Oft schon war er mit dem Feind zusammengestoßen, hatte ihn der Friesenhengst, der ungeduldig unter ihm tänzelte, vor der donnernden Front seiner Eisenreiter in Pulverqualm und Tosen der Feldschlacht getragen.

Aber so wie heute hatte es ihn noch nie zum Kampfe gedrängt. Das war der Ort, über den bösen Feind zu siegen, der ihm seit vorgestern so hart zusetzte! Im Wirbel des Handgemenges, wenn sich die Pferde im Sturm umeinander drehten und zu dem Aufleuchten der Pistolen Klinge und Küraß Funken sprühten, da fand man keine Zeit, an ein Mädchen zu denken, da wurde er wieder er selbst, der grimme Feldobrist von Habstein, vor dem schon mancher tapfere Reiter des Gegenparts lieber sein Roß im Bogen herumgeworfen, als den Degen mit ihm gekreuzt hatte.

Unbändig regte sich in ihm die Streitlust. Heute – das fühlte und wußte er – heute mußte er siegen, zu seinem eigenen Seelenheil, das in solch unerschrockener Kriegstat Vergebung für die Sünden des gestrigen Tages finden mußte.

Und näher und näher kamen die Schweden. Schon hörte man das Rasseln ihrer Kürasse in dem scharfen Trab der Kompagnien, deutlich sah man die Edelleute vor den Gliedern reiten und mit vorgestrecktem Degen unter den Stößen der Trompete die Richtung winken, die Richtung wider das Regiment Habstein.

Wenn es ihm vergönnt wäre, den Feind mit blutigen Köpfen und leeren Sätteln seines Wegs zurückzuschicken, den Tag zu wenden, der für die Kaiserlichen und die gute Sache so unheilvoll zu werden versprach! Ein Gefühl wilden Triumphes stieg in dem Habsteiner auf, während er, wie es seine Gewohnheit vor dem Treffen, langsam und mit durchdringendem Blicke die Front der Seinen entlang ritt. Er sah nicht mehr die hohlwangigen Gesichter, die unter aufgeklapptem Visier ihn da und dort in finsterem Zweifel anstarrten, nicht mehr die abgemagerten Leiber der Hengste – heute mußte das Geschick ihm helfen und Mann und Roß zum Angriff stärken.

Und kein gewöhnlicher Angriff sollte es werden, wo nach dem Brauche des Krieges die Reiter zuerst vom Sattel aus mit der Pistole einander beschossen und auf und nieder ritten, ehe sie sich entschlossen, die blanke Waffe zu ziehen – nein, diesmal wollte der von Habstein sofort den antrabenden Gegner im Choc überreiten und zerstreuen.

Er rief den Rittmeister heran. Sein Gesicht war finster, seine Augen sprühten.

»Es ist heute meine Maxime,« befahl er rauh, »daß wir mit Schwenken und Caracollieren nicht viel Krummes machen, sondern gerade auf den Feind zugehen und ihn chocquieren. Die beiden ersten Glieder sollen, wenn sie dem Feind das Weiße in den Augen sehen, Feuer geben. Die anderen aber ohne einigen Schuß sofort zum Seitengewehr greifen, dem Schwed' mit bloßem Degen unter die Rippen kommen und die Pistolen sich auf die meslée zur Reserve behalten!«

Die Rittmeister sahen sich an und machten ernste Gesichter. Doch er schnitt ihnen das Wort ab:

»Reiten die Herren zu ihren Kompagnien! Sie kommen uns sonst über den Hals!« Und sich im Sattel umwendend, gab er den Trompetern das Zeichen zum Angriff.

Da geriet die eiserne Mauer klirrend in Bewegung. Langsam, wie zögernd, schoben sich die steifgewordenen Pferde im Schritte vor, dann wurde das Rasseln und Dröhnen stärker, die Fähnlein verfielen in Trab und alsbald in Galopp. Eng aneinander gepreßt, stoben sie in hallenden Sprüngen dahin, und immer lauter und gellender schrien vor der Front die Drommeten zur Attacke. Und ebenso rasch flog es kampfgierig von der anderen Seite heran, eine lange, flimmernde Linie, zwei, drei andere Linien weiter abseits, gegen die die übrigen Regimenter der kaiserlichen Reiterei, um nicht hinter den Habsteinern zurückzubleiben, schreiend anritten.

Wie zwei Wetterwolken schossen indes die Königsmarckschen Reiter und die Habstein-Kürassiere aufeinander. Kaum sechzig Schritte trennten sie noch, und aus dem Galopp der Pferde wurde unter den Sporenhieben ihrer Reiter atemlose Karriere, daß der Boden unter dem Donner der dahinbrausenden Eisenmasse dröhnte und wie ein heißer Wirbelsturm der glühende Atem von Mann und Roß die kampfgierig nickenden Banner umwehte.

Nun waren die beiden Eisenmauern aneinander. Im Sattel vorgebogen, die Hengste durch letzte Sporenstöße zu wütendem Anprall spornend, die Pistole in erhobener Rechten, um auf das Weiße im Auge des heranfliegenden Feindes zu zielen, erhoben die Reiter den gellenden Schlachtruf. »Jesus Maria!« brüllte es heiser, in wutverzerrten Tönen, und in rauhem Grimm schlug von drüben das »Gott mit uns!« der deutschen Reiter und fremdenartigen Klanges das »Immanuel!« der Schweden und Finnen dagegen.

Eine lange Feuerreihe flammte im Augenblicke des Zusammenpralls von beiden Seiten ineinander. In ihrem grellen Aufleuchten stürzten da und dort schwerfällig klirrende Gestalten rücklings aus den Sätteln und überschlugen sich in der Gewalt des Ansturms nach vorwärts die getroffenen Pferde, ihre Reiter unter sich erstickend. Ihr Gebrüll, das Krachen der losgelösten Pistolen, das letzte atemlose Gellen der Trompeten, das alles verklang in dem donnerartigen Getöse, mit dem die Eisenmassen der Regimenter blitzschnell zusammenschmetterten und sich knirschend und krachend ineinander vergruben. Ein Wald von zischenden, flimmernden Klingen spielte im Maienschein über den wirbelnden Massen, die da in erstickende Klumpen geballt, dort in Reihen von Einzelfechtern aufgelöst, in Fetzen zerrissen und sofort wieder unter wütendem Geschrei ineinander strudelnd, sich über die Ebene wälzten. Metallisch klang, hundertfach sich zusammenwirrend, das harte Kracken der Schwerter auf dumpf dröhnenden Kürassen und Helmen, dazwischen aus Pulverschleiern heraus der kurze Knall der Pistolen und das schwere Poltern der aus dem Sattel Niederschlagenden. Wie im Sturme schwankten die Standarten über dem Gewühl von Pferdeköpfen und Eisenhüten, die Rosse wieherten, von ihren Reitern hin und her geworfen, in Angst und Zorn, und immer verzweifelter klang aus den lärmenden, im Eisenklirren sich über die Erde hindrehenden Staub- und Pulverwolken das »Jesus Maria!« derer von Habstein.

Auch die Schweden schrien zu ihrem Gott. Und ihre Stimmen klangen heller und lauter. Sie hatten die Uebermacht für sich, und mehr und mehr neigte sich im Handgemenge der Sieg auf ihre Seite.

Schon stob da und dort ein kaiserlicher Kürassier, der sein Roß unter sich ermatten fühlte, mit verhängten Zügeln aus dem Getümmel. Andere folgten ihm, die Hand an den bluttriefenden Schädel gepreßt oder mit Sporenstichen das von Kugeln durchbohrte Pferd zur Flucht treibend. Schon waren es nicht einzelne mehr. Ganze Klumpen lösten sich aus dem Gewirr der Feldschlacht. Versprengte Offiziere ritten dazwischen, ihre Leute lenkten die Rosse hinterher, und plötzlich, wie einem geheimnisvollen, gleichzeitigen Befehle folgend, wandte alles, was unter Habstein ritt, die Gäule zur Flucht.

Auch die anderen Regimenter flohen. Weit hin, bis zu den Mühlen an der Schmutter, galoppierten in Schwärmen die flüchtigen Völker. Nur in den letzten Reihen, wo die verfolgenden Schweden hinter und neben den Kaiserlichen herjagten, krachten noch Schüsse und kreuzten sich die Klingen, und zu Hunderten fielen die kaiserlichen Reiter auf ihren ermatteten Pferden in die Gefangenschaft des Feindes, der unter Jauchzen und Trompetenstößen über das Schlachtfeld hin, wo die Verwundeten sich stöhnend wälzten und verstümmelte Pferde herumhumpelten, seine Reihen ordnete.

In der Ferne löste sich die letzte Gruppe des Reitergefechtes auf. Albinus Habstein mit einigen seiner Getreuen war es, der als der letzte den Kampfplatz verlassen. Weithin hatte ihn ein Trupp schwedischer Reiter verfolgt. Aber da er nun schon den dritten von ihnen aus dem Sattel gestreckt und ihre Pistolen verschossen waren, zügelten sie grimmig ihre Pferde, und unter Flüchen und Drohungen schieden die beiden pulvergeschwärzten Häuflein voneinander.

Das Wasser des Schmutterbaches plätscherte in rötlich gefärbten Strudeln dahin, während in verworrenen Trupps die kaiserlichen Reiter bei der Mühlenfurt die Pferde hindurchtrieben. Mancher erschöpfte Gaul brach hier noch, von den Wirbeln überwältigt, mitten im Flüßlein zusammen und bereitete seinem unbehilflichen, eisengepanzerten Herrn einen unrühmlichen Tod in den vom Frühlingsregen geschwellten Fluten. Dann krochen und kletterten die zersprengten Fähnlein auf der anderen Seite empor und ordneten ihre gelichteten Reihen.

Ihnen gegenüber sammelte sich in lauernder Kampfbegier der Feind, durch Hügel in seiner linken, durch Waldgebüsch in der rechten Flanke gedeckt.

»Der Tag steht bös!«

Der alte erfahrene Paradeiser zu Villach war es, der das vor sich hinmurmelte und dabei prüfend nach links hinüberschaute, wo unter heftig aufsteigenden Rauchwirbeln und Musketengeknatter die Schlacht zwischen den feindlichen Dragonern und dem kaiserlichen Fußvolk in vollem Gang war.

Die Musketiere waren schon aus ihrer zweiten Position geworfen. Von dem Hochplateau, wo sie gestanden, strömte es regellos zu dem Walde an der Schmutter herab. Die lange Muskete in der Hand, die Musketengabel am Seile hinter sich herzerrend, rannten die Knechte dem schützenden Dickicht zu, zwischen ihnen mit geschwungener Pike die Offiziere.

Ein eilfertiges Krachen von Axtschlägen und Kommandorufe gellten aus dem Waldrand, aus dessen grünen Wipfeln langsam und zäh der graue Pulverdampf herauskroch. Dort verknickte und verschanzte sich das kaiserliche Fußvolk unter Melanders eigener Leitung zum entscheidenden Verteidigungskampf.

»Heut' geht viel Volks verloren!« brummte der alte Quartiermeister grimmig. »Wird den Knechten auch dieser Vorteil benommen, so wird der Feind ihrer Meister und aller Stücke und des ganzen Trosses!«

Da fuhr Herr Albin jäh im Sattel auf, und seine Augen blitzten aus dem pulvergeschwärzten Gesicht.

»Wann ist, die Holtzapfelsche Gräfin aufgebrochen?« fragte er rasch. »Reist sie mit der Bagage oder allein?«

»Früher als der Troß, Euer Gnaden! Um zwei Uhr des Nachts, sagten mir die Diener, sollte der Reisewagen bereit stehen. Ist sie da abgefahren, so muß sie und das Fräulein jetzt schon halbwegs Augsburg sein.«

Einen Augenblick überlegte der Obrist.

»Wir haben jetzt hier Rast mit dem Bataillieren!« befahl er kurz und herrisch, wie um jeden Widerspruch von vornherein abzuschneiden, »reite Er den Weg gegen Augsburg, Paradeiser, und sehe, ob sich die Holtzapfelschen Wagen salviert haben.«

Der Quartiermeister wagte nichts gegen den ungeheuerlichen Befehl zu erwidern, der ihn mitten im Kampf hinter die Front schickte, und trabte zurück.

Die Kapelle von der Wallfahrt Unserer Lieben Frauen zu Laureta, die an der Wegbiegung stand, gab ihm die Richtung.

 

Und dort fand er die Gesuchten. Einen Haufen Wagen und anderen Troß, der rechtzeitig über die Schmutter gegangen, ehe man die Brücke an den Mühlen abgeworfen.

Um die Kapelle hatte sich alles im Halbkreis gedrängt, während von unten her dumpf und undeutlich das Brüllen des Kampfes scholl, aus dem Sumpfwald zur Linken, um dessen Besitz bereits Kaiserliche und Konfederierte in wütendem Handgemenge rangen.

Der Ruf, der unten als Schlachtgeschrei zwischen Pulverqualm und Musketenkrachen heiser und hundertfach verhallte, der drang hin als Gebet, als verzweifelnde Bitte zu dem blauen Sonntagshimmel empor.

»Jesus Maria!« klang es stammelnd von den Lippen der Edelfrauen, die für das Leben ihrer Gatten, der kaiserlichen Offiziere, zitternd vor dem Muttergottesbild an dem Kapelleneingang knieten, und »Jesus Maria!« kreischten und zeterten hinter ihnen die Soldatenweiber um das Leben ihrer Beschützer und Ernährer. Jetzt gab es keinen Rang und Stand. Die gemeinsame Not machte alles gleich. Selbst die Profosse und Gemeinwebel, die eigentlich nicht an Tod und Teufel glaubten, falteten unwillkürlich in Not und Sorge die Hände und hörten auf das laute Gebet der Feldpfaffen, die, alle Weiberstimmen übertönend, unermüdlich ihr »Sancta virgo, ora pro nobis!« erschallen ließen.

Und immer betäubender wurde unten der Lärm der Schlacht, immer massiger die dichten Pulverwolken, die sich über den Wald dahinwälzten, immer leidenschaftlicher die jammernden Gebete der Frauen vor dem Muttergottesbild, das im Strahlenkranze, vom Maienschein überflutet, sanft lächelnd auf sie herabsah.

 

Erbittert wogte unten der Kampf. Von drei Seiten hatte die feindliche Kavallerie den Wald umstellt, in dem Melander mit dem Kern des kaiserlichen Fußvolks den Rückzug seines Heeres und Trosses verteidigte.

Und schon waren da und dort die schwedischen Panzerreiter, die französischen Dragoner in den Waldsaum eingedrungen. In dem krachenden Unterholz begann das Handgemenge, zwischen den zu Tode bedrängten Musketieren und dem wohlberittenen Feind. In Haufen vermochten die Scharfschützen hier in der Enge des Waldes keinen Widerstand zu leisten. Sie verschanzten sich zu zweien und dreien in dickem Buschwerk, das sich hemmend um die Hufe der verfolgenden Rosse schlang, sie verbargen sich unter den Baumwurzeln, die aus dem sumpfigen Boden sich emporwölbten, und wateten bis an die Knie in die morastigen Stellen, in denen die schwergepanzerten Gegner versinken mußten.

Aber der Feind setzte ihnen unerbittlich zu. Stunde auf Stunde verstrich, und immer weiter arbeiteten sich die Konfederierten von drei Seiten in den Wald, zu Hunderten die Leichen der kaiserlichen Knechte hinter sich lassend, und immer drohender und angriffslustiger klangen fast schon im Rücken der Musketiere die Trompeten Wrangels und Turennes.

Mit starrem Antlitz hielt ihr Gegner, Graf Holtzapfel, mitten im Getümmel des Kampfes. Was die um ihn feuernden Knechte, die wütend fluchenden Offiziere nur erst dumpf ahnten und kaum auszusprechen wagten – er wußte es genau: der Tag war verloren und mit ihm alles, was in dem Walde da stritt, mit ihm der Troß und die Schätze des Heeres, mit ihm die Ehre des Feldherrn.

Er war geschlagen, bis zur Vernichtung geschlagen von seinen Glaubensgenossen, die er verraten. Der Zorn des Kaisers, der Spott der Feinde erwarteten ihn am Ende eines langen, sieggekrönten Lebens.

Der Generalissimus trieb sein Pferd an. Er ritt zu einer Lichtung, zu deren beiden Seiten das Feuergefecht zwischen seinen Musketieren und den abgesessenen Dragonern drüben am heftigsten tobte.

Er sah, wie seine Knechte ihm durch den Lärm zuschrien und ihm winkten, um ihn zu warnen. Er sah, wie drüben ein Offizier ihn scharf ins Auge faßte und, mit der Pike die Richtung weisend, den nächsten seiner Leute etwas zurief.

Gleich darauf blitzte es drüben jählings auf. In Schulter und Brust getroffen sank der Generalissimus Holtzapfel zu Tode verwundet aus dem Sattel . . .

Ein gellendes Geschrei, das von Mund zu Mund dahinlief, verkündete der Armada das neue Unheil und gab den Feinden doppelten Mut. Unaufhaltsam drangen sie vor, und wie die Stunden langsam verstrichen, ging durch den dampfenden Sumpfwald bis zu den Ufern der Schmutter hin das Morden seinen Gang.

 

Nun war es Abend geworden. Zwischen den Bäumen verhallte der Kampf.

Das kaiserliche Fußvolk war nicht mehr. Von den dreitausend Knechten, die dem Anprall des Feindes sich entgegengestellt, sahen nur noch kleine Häuflein die Sonne untergehen.

Aber des Blutvergießens war noch lange kein Ende.

Der siegestrunkene Feind hatte sich nach links gegen den Schmutterbach gezogen, da wo die von den Kaiserlichen schnell noch abgeworfene Mühlenbrücke hinüberführte. Gelang es ihm, die Furt zu passieren, dann gab es am nächsten Morgen kein kaiserliches Heer mehr. Dann wurden nicht nur die Reste der Kaiserlichen vernichtet, sondern auch die unter dem unentschlossenen Gronsfeldt heranziehenden Bayern in die Niederlage verstrickt.

Aber jenseits der Furt standen die kaiserlichen Kürassiere, das Regiment von Habstein auf dem rechten Flügel. Und durch das hochgeschwollene Frühlingswasser hindurch den grimmigen Gesellen in die Zähne zu gehen, das war eine Tollkühnheit, vor der selbst der verwegene Königsmarck zurückschrak.

Zornig ritt er mit den Seinen vom Ufer zurück und gab dem schweren Geschütz der Schweden die Bahn frei, das jetzt endlich, am Abend der Schlacht, heranpolterte.

Die Mühlen am Flusse brannten lichterloh. Ihr flackernder Schein, mit der letzten Sonnenglut gemischt, übergoß die schwerfälligen, feuerspeienden Ungetüme, die in den Hügeln am Flusse sich einwühlten und nach bangen Pausen der Erwartung mit brüllendem Donner ihre Ladung hinüberschleuderten, in die langen Mauern von Roß und Eisen, die ihnen dort starr gegenüber standen.

Wo solch ein Geschoß hinschmetterte, da klaffte jählings eine Lücke auf, und in ihr sah man die Leiber der sich am Boden wälzenden Pferde und die hilflos ausgestreckten oder schreiend durcheinander kriechenden Gestalten der Gewappneten.

Und eine Stück-Kugel folgte der anderen und schlug eine blutige Bresche nach der anderen in die Reihen der Panzerreiter. Schon schwärmte es an dem ganzen Ufer von ledigen Pferden und zog sich ein Gewimmel von mühsam tappenden Verwundeten nach rückwärts – und ungeduldig sich im Sattel wiegend, erwartete Königsmarck den Augenblick, da sich die Kürassiere vor dem mörderischen Geschützfeuer zurückziehen und ihm den Uebergang auf das andere Ufer gestatten würden.

Aber die Kürassiere hielten still. Sie wußten, daß das Schicksal der Armaden davon abhing, den Feind nicht über den Fluß zu lassen, und dauerten im Feuerhagel aus. Suchend ging der Tod ihre Reihen entlang, er holte sich da und dort einen heraus, immer mehr und mehr. Die Offiziere fielen, ganze Fähnlein schwanden zusammen, und es erfüllte sich, was Wrangel grimmig sagte, als ihm die einbrechende Nacht die letzte Hoffnung auf Fortsetzung des Kampfes nahm: »So wollen wir wenigstens dem Kaiser seine Reiter dergestalt zurichten, daß er auf lange Zeit hinaus wenig Dienst davon zu gewarten haben wird.«

Bis ins tiefste Dunkel hinein feuerten die Geschütze.

Drüben am anderen Ufer wußte man nicht mehr, wer lebte und wer tot war, konnte man kaum mehr den nächsten Nachbar erkennen. In Haufen, wie sie sich gerade zusammenfanden, ritten die noch rüstigen Panzerreiter am Flusse auf und nieder, oft stolpernd über Rossesleiber und die Leichen der Gefallenen.

Dann endlich blitzte drüben der letzte Schuß auf. Der Lärm der Schlacht verhallte. Ein ungeheures Stimmengewirr zog brausend in der Nacht über die Felder und Hügel, und in langgezogenen Tönen riefen überall die Trompeten zum Sammeln.

Auf den Höhen ob der Schmutter, wo sich in tumultuarischem Biwak die geschlagenen Völker ordneten, um in der Nacht noch unter die Mauern von Augsburg zu rücken, hielten abgesessen die Reste der Habsteinischen Kürassiere. Da und dort kamen noch Nachzügler hinzu, pulvergeschwärzte, finsterblickende Kerle, die zu Tode ermatteten Rosse am Zügel.

Und wieder lange Trompetenstöße!

»Heran, was unter Habstein reitet!« schrien, im Sattel vorgebeugt, die Hauptleute aus heiseren Kehlen in die Nacht hinaus, und die Kornetts schwenkten bei Fackelschein die Standarten.

Manch einer kam noch. Nur einer nicht, den man vor allem suchte. Der Feldobrist von Habstein selbst blieb aus. Man hatte ihn zuletzt gesehen, wie er, schon in halber Nacht, allein dicht an das Ufer vorritt, in der Besorgnis, daß die schwedischen Reiter doch einen Uebergang versuchen könnten.

Seitdem war er ausgeblieben und alles Forschen vergebens. Denn noch war der Mond nicht aufgegangen, und in schwarzen Schleiern legte sich die Nacht über die letzte Feldschlacht des Dreißigjährigen Krieges.

 

In Augsburg herrschte ein wildes Getümmel. Die Kunde von der großen Niederlage der Kaiserlichen trieb alles schreckensbleich auf die Gassen.

Noch waren die geschlagenen Armeen selbst nicht angelangt, aber das zügellose Gesindel, das vor ihnen herströmte, zeugte deutlich genug von den Verheerungen des Tages: diese Troßknechte, von deren Pferden die abgeschnittenen Geschützstränge herabhingen, die entlaufenen Reiterjungen, mit Roß und Waffen ihrer gefallenen Herren ausgerüstet, die heulenden und jammernden Soldatenweiber, die ihre Ernährer verloren, das alles zog in Schwärmen durch die Gassen dahin, durch das Gewühl der geflüchteten Bauern, der gewaffneten Bürger, und ihr Geschrei mischte sich in das Glockenläuten von den Türmen.

Und schon kamen auch die Verwundeten – erst einzeln, dann immer mehr und mehr, in ganzen Haufen. Leicht Beschädigte, die fluchend zu Fuß dahinhumpelten, vornehme Herren zu Roß, auf ihre Diener gestützt, Sterbende, in Karren auf Stroh gebettet oder von Knechten getragen. Vor den Barbierhäusern und den Wohnungen der Chirurgen drängten sie sich in Massen. Da trieften Stiegen und Flure von Blut, auf den Höfen lagen, in Tücher gehüllt, die Verstorbenen, die man, um Platz zu schaffen, herausgetragen, und an den Wänden hin kauerten und saßen die Gequetschten, wie sie der Kriegsgebrauch nannte, abwartend, bis die Reihe an sie käme.

Mitten durch diesen Wirrwarr bahnte sich ein unverletzt Gebliebener den Weg, der Quartiermeister Paradeiser zu Villach, und hielt vor dem Hofe zur Traube an, wohin man den wunden Generalissimus gebracht.

Er ging durch das Schenkzimmer hindurch, an Haufen verwundeter kaiserlicher Offiziere vorbei, die, mit Blut und Pulverschleim besudelt, in zerfetzten Kleidern und zumeist betrunken, durcheinander fluchten und stritten, über den Hof hin, wo reglos und unbeachtet ein toter Mensch in einer großen Blutlache lag, und die engen Stiegen hinauf bis zu den Gemächern Melanders.

Im Vorzimmer standen Ruth und um sie herum in schweigenden Gruppen die Freunde und Diener des Hauses. Die Gräfin war drinnen bei ihrem Gemahl, um den sich eben die Aerzte mühten.

»Guten Abend, Fräulein!« sprach Herr Paradeiser stockend. »Ja – das sieht bös aus – hier im Hofe und in der ganzen Stadt. Alle Häuser sind voll von Verwundeten, und die meisten vergehen den Chirurgis unter den Händen, und ist überall Geschrei und Wehklagen.«

Ruth trat heran und schaute ihm bang ins Gesicht.

Herr Paradeiser räusperte sich. Er sah sehr ernst aus. »Ich bin da, um für Euch Sorge zu tragen,« sprach er. »So hat es mir der Herr Obrist von Habstein anbefohlen, für den Fall, daß er es selbst nicht vermöchte.«

Zwei Hände umspannten angstvoll seine Faust. »Wie ist's um ihn –?« hörte er ihre halberstickte Stimme. »Herr – ich bitt' Euch um Jesu willen!«

Der alte Quartiermeister wiegte trübe das Haupt. »Ich weiß es nicht, Fräulein,« murmelte er und sah zur Seite. »Er ist verschollen. Er liegt irgendwo auf dem Schlachtfeld, und wir können ihn nicht mehr suchen. Denn die ganze Armada geht eilends bei Morgengrauen über den Lech zurück.«

Ruth antwortete nicht. Ihr Blick verlor sich träumend wie in weiter Ferne.

Herr Paradeiser begriff das nicht.

»Es scheint dem Fräulein nicht ans Herz zu gehen,« sagte er etwas ärgerlich, »um so besser! Und da ja das Fräulein hier gut aufgehoben ist, im Hause des verwundeten Herrn Generalissimus –«

Er brach ab. Die Türe zum Nebenzimmer öffnete sich. Der Arzt erschien auf der Schwelle. Von innen klang es wie ersticktes Schluchzen. Die Gräfin und ihr Töchterchen knieten an dem Lager.

»Die Chirurgi sind nun nicht mehr von nöten,« sprach der Arzt, zu den Umstehenden gewandt, »sorgt für die Holtzapfelsche Frau Wittib und das kleine Fräulein.«

Und er wies rückwärts auf das Bett, auf dem die starre Leiche Melander Holtzapfels lag, und tiefes Schweigen trat ein.

Der Quartiermeister fühlte sich am Arme berührt.

»Herr, führt mich zu ihm!« sprach Ruth ruhig und langsam.

»Gern!« Herr Paradeiser wollte sie in das Nebengemach geleiten, das sich mit dem verstörten Gefolge zu füllen begann.

Sie sah ihn erstaunt an und schüttelte den Kopf. »Zu ihm!« wiederholte sie und wies in die Ferne.

Herr Paradeiser riß die Augen auf.

»Zum Herrn Obristen Habstein?«

Sie nickte.

»Der liegt ja draußen – irgendwo – in der Nacht – auf der Heide!«

»So führt mich dahin, wo er liegt!«

Der Quartiermeister sah sie mitleidig an. »Das Fräulein ist wohl närrisch geworden!« sprach er endlich kurz.

Ruth blickte dem alten Kriegsmann fest ins Gesicht. »Und Ihr lasset den Obristen dort verkommen und verderben?«

»Wir haben alles getan, um ihn zu finden,« erwiderte der Quartiermeister. »Mit Fackeln haben wir unsere ganze Stellung abgesucht, wiewohl die Schweden von drüben auf unsere Lichter feuerten. Es war umsonst. Es muß ihn eine Kugel am Ufer getroffen und das Wasser ihn fortgerissen haben.«

»So suchet nochmals, wenn es Tag wird.«

»Dann wäre der Herr Obrist, wenn er noch lebt, längst vom Feinde gefangen! Aber zudem darf ich meine Fahne nicht verlassen. Und nun gehabe sich das Fräulein bis morgen wohl. Ich muß zum Lager zurück.«

Bald darauf sah einer der kaiserlichen Offiziere, der am Toreingang des Hofes zur Traube verdrießlich mit verbundenem Schädel lehnte, eine in einen Mantel gehüllte schlanke Gestalt auf sich zukommen.

»Verzeihe der Herr!« klang eine helle Stimme, »geht es hier gen Westen?«

»Ja.«

»Sind da die Tore offen?«

»Heut nacht in dem Getümmel mögen sie offen stehen. Wollt Ihr hinaus?«

»Ja!«

»Wohin?«

»Aufs Schlachtfeld!«

Der Offizier trat einen Schritt zurück. Er erkannte Ruth, die er am Nachmittag mit der Gräfin Holtzapfel gesehen.

»Ist das Fräulein von Sinnen? Ihr lauft dem Feind in die Hände.«

»Ich habe einen Dolch bei mir,« sagte Ruth ruhig, »und ich muß hin!«

»Aufs Schlachtfeld – wo es von Gesindel wimmelt? Das tun Soldatenweiber, die ihren Liebsten suchen, aber nicht ein adeliges Frauenzimmer.«

Ruth hörte ihn nicht mehr. Sie ließ den Verblüfften stehen und wanderte hinaus in die Nacht.


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