Ludwig Storch
Der Diplomat
Ludwig Storch

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Der Diplomat.

Novelle

von

Ludwig Storch.

 


 

Frankfurt am Main.
Verlag von J. D. Sauerländer.
1834.

 


 

Für Manche!

Mit sehr großem Vergnügen habe ich vernommen, daß hie und da gewisse Leute, vorzüglich des schönen Geschlechts, sich über manche Stellen in meiner Novelle: »Malers Traum,« die unser gesellschaftliches Unwesen etwas scharf rügen, bitter beklagt und weidlich auf mich geschimpft haben. Ja, es freut mich, daß sie sich getroffen fühlen, diese edeln Seelen, und zu ihrem Troste sei ihnen gesagt, daß ich sie wirklich gemeint habe. Ich hasse nichts mehr, als diese ekelhaften gesellschaftlichen Coterien, die stinkenden Gräber alles bessern öffentlichen Lebens; ich hasse die Menschen, die sich die planmäßige Ausbildung des erbärmlichsten Kleinigkeitsgeistes zum großen Ziel 4 gesetzt, deren faulendes Austerleben sich um Klatschen, Kartenspielen und Thee dreht; ich hasse diese enge, ängstliche Bürgerwelt voll scheinheiliger Lumpe, voll breitmauliger Gesellen, die nur immer sich selbst und ihre großen Verdienste um Welt und Menschheit im Auge haben, die ewig über Freiheit radotiren, schwadroniren, räsonniren, und zu Hause von einem »lieben Gänschen« geleitet, mit ekelhafter Breite den Liberalismus zur ungenießbaren Wassersuppe brauen. – Ihr Vertheidiger der Menschenrechte, die Ihr stündlich die ersten Pflichten gegen Euere Nebenmenschen versäumt, die nicht zu Euerer Coterie gehören, Ihr gewaltigen Verlanger der Preßfreiheit, die Ihr wüthet, wenn auf Euere Gemeinheit von fern allegorisch in einem Buche oder Blatte hingedeutet wird, Ihr lärmenden Jacobiner, die Ihr Euch so willig unter den Pantoffel Euerer dummen klatschigen Weiber schmiegt, Ihr sehr redlichen Männer, die Ihr unsinnige Schulden macht, ohne daran zu denken, wovon Ihr sie bezahlen wollt; und Ihr, liebe Frauen, die Ihr so gern Andern die Ehre abschneidet, und, obgleich sehr pochend 5 auf Euere Tugend und mit Euerer scheinbaren Kälte kokettirend, so baar und blos seid von der wahren Ehre und Würde des Weibes: – Ihr seid auch in diesem Buche gemeint. Die gassenbreite Werthlosigkeit Eueres von Eigendünkel über und über vollgepfropften Ich's hatte ich im Auge, als ich es schrieb; Deine windelweiche, brühedünne, langsam breitfließende, matte Geistes- und Herzensthätigkeit, Du liebes Völklein, schwebt mir noch bei Ausarbeitung einer andern Novelle vor, die ich eben unter der Feder habe. Darin will ich Euch feiern, Ihr holden Frauen, die Ihr statt des Geistes ein inhaltleeres Fluidum habt, das bei jeder Gelegenheit in die Breite geht, statt des Gefühls, eine kränkelnde Empfindelei, die nur in Bezug auf die Wichtigkeit Euerer eignen Person rege wird, statt bescheidner Tugend, stolze lautschreiende Prüderie und aufgeblasene Tugendhaftigkeit, die sich nach süßen heimlichen Sünden sehnt; darin will ich Euch treffen, Ihr langweiligen liberalen Schreier, die Ihr zu den Füßen der Fürsten um ein armseliges Titelchen winselt, und wenn Ihr's erbettelt habt, übermüthig 6 auf Euere Brüder und Freunde herabseht; Euch elende Egoisten, die Ihr um ein Paar Thaler die Menschenliebe verkauft; Euch alle, Ihr Lumpe! freut Euch; Einstweilen lest den »Diplomaten« und ärgert Euch!

Der Verfasser.

 


 

1.

Um Mitternacht hielt der Postwagen vor dem geräumigen Badehause zu L., und die ermüdeten Reisenden quollen in ziemlicher Anzahl heraus, den ihnen angewiesenen Zimmern und den wohlbereiteten Betten zueilend, um für die Freuden, welche sie sich von ihrem hiesigen Aufenthalte versprachen, neue Kräfte zu sammeln.

Ein junger Mann, der mit aus dem Wagen gestiegen war, fragte einen dienstthuenden Kellner hastig: »Kann man nicht eine Liste der bereits angekommenen Badegäste haben? Ist nicht ein Herr von Reinecke darunter?«

»Die Liste soll sogleich in Ihren Händen seyn, mein Herr. Auch ist ein Herr von Reinecke hier schon vorgestern eingetroffen.«

»Bleiben Sie!« rief der Fremde hastig dem 8 Davonfliehenden nach. »Wo logirt Herr von Reinecke?«

»In diesem Hause No. 17.«

»Kann ich vielleicht ein Zimmer neben dem Seinigen erhalten?«

»Sie sollen No. 18. haben; doch müssen wir eilen, daß das Zimmer nicht vielleicht anderweitig besetzt wird.«

Der Fremde lief hastig; sie kamen noch zur rechten Zeit. Eben sollte das Zimmer für ein Paar Damen eingerichtet werden. Er erhielt No. 18. und lag bald zu Bette.

Ein schmelzendes Adagio schlich sich nach einigen Stunden mild und sanft in das Ohr des Schläfers; er erwachte und horchte mit Entzücken den holden Tönen einer der neuesten und beliebtesten großen Musikschöpfungen.

Mit einem süßen Wohlbehagen erhob sich der junge Mann aus dem Bette und kleidete sich an; dann öffnete er das Fenster. Würzige Düfte, von den nahen Kastanien- und Lindenbäumen ausgesandt, wogten herein. Der Blick flog schwelgend über den schönen Badeort hin.

9 Da lag es so reizend, so freundlich hell, so sonnlich glänzend, das liebliche L., wie der kostbare Brautschmuck, das flimmernde Kleinod, das die Braut oben aus dem Schreine hervorzieht, und das heute, an ihrem Ehrentage, zum erstenmale auf ihrem Alabasterbusen hüpfen soll, so jungfräulich, wie er selbst; und wie die Edelsteine, gehoben und verschönt von der reichen güldnen Einfassung, gleichsam hellern Glanz ausströmen und das bräutlich trunkne Auge nur noch höher entzücken, so prangten die niedlichen und geschmackvollen Häuser noch mehr, eingefaßt von den blüthentragenden Sträuchen der zahlreichen Boskets, von der Menge Bäume, von dem frisch grünen Rasenteppich und all den herrlichen Anlagen umher, und das Auge des jungen Mannes badete sich eine geraume Zeit in der Fluth bunter Bilder, die sich seiner Ueberraschung entgegendrängte.

Die Fülle der Tonphantasie, die noch immer in sein Zimmer rauschte, und das lachende Bild der Gegend in frischen Morgenglanz getaucht, schmolzen in seiner Seele zusammen, und es wurde 10 ihm offenbar, daß Gegend und Musik sich einander ergänzten und erklärten.

Die Töne verstummten; der junge Mann dachte daran, daß er auch leibliche Speise zu sich nehmen müsse. Er schellte, bat sich vom eintretenden Kellner das Frühstück aus, und fragte zugleich: »Was war das für eine schöne Musik?«

»Es ist hier Sitte, daß jeder Badegast am Morgen nach seiner Ankunft von einer Morgenmusik begrüßt wird.«

»Eine löbliche Sitte. Ist Herr von Reinecke schon munter?«

»Ich habe ihm so eben das Frühstück gebracht.«

»So bringen Sie das Meinige ebenfalls auf sein Zimmer.«

Sobald sich der Kellner entfernt hatte, ordnete der Fremde seinen sehr eleganten Anzug und klopfte bald darauf an die Thüre von No. 17. Auf ein etwas barsches »Herein!« trat er nicht ohne eine kleine Schüchternheit in das Zimmer. Sein Blick fiel auf einen mehr kleinen als mittelgroßen Mann von untersetztem Bau, glänzend schwarzem lockigen Haar, starken Augenbrauen, 11 unter denen ein schwarzes sehr geistreiches Auge hervorstach, starkem Schnurrbart, Backen- und Kinnbart, alles von brennend schwarzer Farbe. Der dunkle Teint des Gesichts und ein faltiger Zug über die Wangen ließ den Besitzer vielleicht älter erscheinen, als er wirklich war. Er schien aber sechs und dreißig bis vierzig Jahre alt zu seyn. Herr von Reinecke war noch im tiefsten Negligée; aus dem Schlitz des äußerst feinen und schneeweißen Hemdes sah eine braunstarke Brust, über und über mit grausen schwarzen Haaren bewachsen, hervor.

Seltsam stach die Gestalt des Eintretenden gegen die des Bewohners dieses Zimmers ab; denn während dieser, wie eben beschrieben, gleichsam als verkörperte Mannskraft erschien, so hatte jener viel Weiches und fast Weibliches in seiner Erscheinung. In dem weißen, von sanfter Röthe überhauchten Gesichte lag etwas Einschmeichelndes, und wenn auch die Züge desselben gerade kein festes Bild vom Charakter des jungen Mannes geben konnten, so waren sie doch sehr geschickt, für ihn zu gewinnen. Ausserdem war in 12 seinem Wesen eine gewisse Zierlichkeit und Gewandtheit, was sich vorzüglich in der sorgsamen Pflege seines blonden, künstlich gelockten Haupthaares, in seiner sehr gewählten modernen Kleidung, in Gang, Haltung und Bewegung aussprach.

Der Eingetretene näherte sich dem Bewohner von No. 17. mit einer leichten, anständigen Verbeugung und trat fast näher an ihn heran, als schicklich war. Die Blicke beider wurzelten einen Augenblick in einander, dann sagte der Erstere zu Herrn von Reinecke mit einem angenehmen schier schelmischen Lächeln flüsternd: »Alcibiades!« In dem neugierigen Gesichte des Herrn von Reinecke zuckte plötzlich ein Freudenstrahl auf; er ergriff hastig die Hand des jungen Mannes und sagte ebenso: »Godoy!« und sogleich umarmten sich beide, wie sich ein Paar Hofleute, die sich persönlich kennen lernen, nachdem sie sich schon lange dem Namen nach gekannt haben, umarmen, und was dieser Begrüßung an herzlicher Innigkeit abging, das ersetzte sie durch eine gewisse Wärme, die zur Erreichung egoistischer Zwecke Theil an einem Andern nimmt. Inzwischen 13 schien von Seiten des jüngern Mannes doch mehr Aufrichtigkeit obzuwalten, als von der des ältern.

»Herr von Losewitz!« sagte Reinecke mit derjenigen verbindlichen Artigkeit, welche in Dienstverhältnissen der Niedere dem Höhern meist erzeigt, aber dabei noch mit einem Anstrich von Schmeichelei, die nicht die Beigabe edler selbstständiger Charaktere ist, »Herr von Losewitz, ich freue mich sehr, Sie persönlich kennen zu lernen. Die Gnade Ihres Herrn Vaters –«

Der Kellner trat ein und brachte das Frühstück für Herrn von Losewitz, und der Sprecher verstummte auf einen Wink desselben. Kaum sahen sie sich wieder allein, als der junge Mann flüsternd sagte: »Ich muß Sie bitten, mich nicht bei meinem Familiennamen zu nennen; ich habe Gründe, einen andern Namen hier zu führen, so gut, wie Sie, und in meinen Pässen steht: Lieutenant von Müllersdorf, außer Dienst

»Gut denn, mein Herr von Müllersdorf. –«

»Und um die Aufmerksamkeit, die sich vielleicht mit uns beschäftigen könnte, in jeder Hinsicht 14 zu täuschen, bitte ich Sie, mich für Ihren alten Bekannten, meinetwegen für einen Universitätsfreund, auszugeben.«

»Mit Freuden, mein neuer alter Freund.«

»Sie hören, daß meiner Sprache Niemand mein Vaterland abmerken soll; ich habe darauf studirt, ein wenig zu berlinisiren.«

»Ein Diplomat muß alles lernen. – Sie haben mir noch nichts von Ihrem Herrn Vater gesagt,« fuhr Reinecke fort, und warf einen stechenden Blick auf den jungen Mann.

»Zuerst mußte ich doch Ihre Bekanntschaft machen und Sie über unsre Stellung hier unterrichten. Das Uebrige wird sich alles finden. Ich habe Aufträge, sehr wichtige Aufträge von meinem Vater an Sie, und vielerlei mit Ihnen abzuhandeln und abzuschließen. Einstweilen mag mein Vater selbst zu Ihnen reden.« Mit diesen Worten zog er ein kleines Portefeuille aus der Brusttasche, und nahm ein mit Ziffern und andern wunderlichen Charakteren beschriebenes Blatt heraus. Reinecke suchte ebenfalls ein Taschenbuch hervor, zog aus demselben einen kleinen Zettel, 15 entfaltete und hielt ihn neben den Brief. Dieses Zettelchen schien den Schlüssel zum Verständnisse der Zifferschrift zu enthalten. Ein wohlgefälliges Lächeln verbreitete sich bald über das Gesicht des Lesers, und mit einem von Freude und Pfiffigkeit gemischten Ausdruck fiel dann sein Auge auf den Ueberbringer.

»Sie scheinen mich fragen zu wollen,« sagte hierauf der junge Mann, der hier unter dem Namen von Müllersdorf auftrat, »ob ich den offnen Brief gelesen habe? Allein ich versichere Sie, daß ich von meinem Vater noch nicht in diese diplomatische Schriftsprache eingeweiht wurde, folglich nichts verstehen kann.«

»Sie sollen Alles erfahren,« versetzte Reinecke.

»Nun, mein Vater hat mich auf Sie vertröstet.«

»Ihr Herr Vater war beim Herzoge A. v. Z. in Karlsbad, wie er mir schreibt,« fuhr Reinecke lesend fort, »und hat Sie an den Marchese nach Marienbad geschickt?«

»So ist's!«

»Wie fanden Sie den Marchese?«

16 »Er befand sich in dem kleinen Gefolge des Prinzen F. von Z., schien sich der besten Gesundheit zu erfreuen und benahm sich äusserst gütig gegen mich.«

»Erwähnte er vielleicht meiner?«

»Gewiß, und zwar mit vielem Lobe. Und als er von mir hörte, daß ich nach L. reisen würde, um persönlich mit Ihnen zu verhandeln, bat er mich, Ihnen zu sagen, daß er ebenfalls bald hier seyn werde.«

»Wie aber steht es mit der Gesundheit des Prinzen F.? Hat sich sein Zustand gebessert?«

»Der Marchese versicherte mir im Gegentheil, daß er sich verschlimmert habe. Die Perioden, in welchen des liebenswürdigen Prinzen Geist gleichsam wie mit einem Nebelflor umschleiert ist, sind jetzt von größerer Dauer und kehren öfter wieder, als während seines letzten Aufenthaltes in Rom.«

»Schlimm! sehr schlimm! Und unsern schönen Plänen ganz zuwider!« rief Reinecke aus. »Der Prinz hätte nicht wieder in das dumpfe Deutschland zurückkehren, er hätte in seinem heitern 17 Rom bleiben sollen. Für ihn wäre es besser gewesen, er wäre Cardinal geworden, wozu ihn der Papst bestimmt hatte. Aber da Herzog A. ohne männliche Descendenz bleibt, so kann Prinz F. hier bei weitem mehr nützen. Der Plan war so schön, und doch scheint er zu scheitern.«

»Mein Vater war nach den verschiedenen Unterredungen mit dem Herzoge A. in Karlsbad nicht Ihrer Meinung. Auch der Marchese sah in der Krankheit des Prinzen kein besondres Hinderniß, und meinte, die Individualität der beiden fürstlichen Brüder sey so streng verschieden, daß sich A. doch auf keinen Fall von F. würde haben bestimmen lassen. Es müßten ganz andre Triebfedern in Bewegung gesetzt werden, sagte er, um einen Fürsten von so höchst sonderbarem und abnormen Charakter für die große Sache zu gewinnen, wie Herzog A.; doch schien's, als ob der Marchese sich über diesen Punkt nicht deutlich gegen mich erklären wollte.«

»Ich brenne vor Begierde, die Bekanntschaft dieses Herzogs zu machen, denn ich habe zu viel Sonderbares von ihm gehört,« sagte Reinecke.

18 »Erfuhren Sie nichts über seine Heimkehr? denn es wird Ihnen durch Ihren Herrn Vater bekannt seyn, daß wir beide bestimmt sind, den Herzog bei seiner Rückkehr aus Karlsbad in seiner Residenz zu empfangen, und daß dies der Grund ist, weshalb gerade L. zum Orte unsres Zusammentreffens gewählt wurde.«

»Ich weiß Alles,« versetzte Müllersdorf. »Doch, Liebster, ich dächte, für den Anfang hätten wir über unsre geheimen Angelegenheiten genug geplaudert; ich sehne mich, den schönen Badeort zu durchwandern und auch von andern Dingen mit Ihnen zu sprechen. Begleiten Sie mich.«

»Mit Vergnügen!«

Während Reinecke mit Ankleiden beschäftigt war, blickte Müllersdorf auf den immer lebendiger werdenden Platz vor dem Hause und ergötzte sich an der Frische der Bergluft, die morgendlich kühl ihm entgegen wogte. Da bemerkte er zwei Damen, die eben den rechten Bogengang um die Fontaine herauf kamen, und auf das Badehaus zuschritten. Ihr sehr gewählter, fast kostbarer Morgenanzug hielt zuerst seine Blicke 19 fest, aber ihre reizenden Gesichter, ihr herrlicher Wuchs, die Grazie ihrer Bewegungen fesselten sie vollends ganz, und ließen ihn selbst die Schönheit der Gegend auf Augenblicke vergessen. Irgend ein Entzücken verkündender Ausruf Müllersdorfs lockte Reinecke ebenfalls an's Fenster, doch kaum hatte er die Damen erblickt, als sein Auge mit jenem argwöhnischen lauernden Ausdruck, den es unbelauscht anzunehmen pflegte, an dem freudeverklärten Gesichte seines neuen Freundes hing, und in die Züge seines eignen Gesichtes sich eine gewisse Bitterkeit mischte, die einen starken Kontrast zu dem süßen Lächeln des Andern bildete. Reinecke wandte sich ab, um seine Toilette zu vollenden, Müllersdorf aber blieb am Fenster, bis die Damen in's Haus getreten waren, jeden ihrer Schritte mit strahlendem Auge verfolgend.

»Wahrhaftig!« rief er dann zu Reinecke gewendet, »dieser junonischen Gestalten wegen allein schon dank' ich es dem Geschicke oder vielmehr der diplomatischen Geheimnißkrämerei, daß sie mich nach Bad L. geführt hat, das 20 Vergnügen, Ihre persönliche Bekanntschaft gemacht zu haben, mein Freund, die Annehmlichkeiten der Reise und die Reize der hiesigen Umgegend jetzt gar nicht mitgerechnet; denn in der That, die unvergleichliche Schönheit der einen Dame nimmt mir vor der Hand den Kopf ganz ein.«

»Und welche von den beiden Huldinnen hat denn das große Glück, in so ungeheurer Eile das Herz eines so sehr hoffnungsvollen jungen Mannes gewonnen zu haben?« fragte Reinecke nicht ohne ironische Betonung.

»Die zur Rechten war die Sonne, die Andre nur ein Stern. Ich beschwöre Sie, Freund, kennen Sie die Schöne?«

»Sie sind noch kein Diplomat!« warnte Reinecke mit verbissenem Aerger. »Viel zu stürmisch! Viel zu offen! Lassen gleich Alles errathen. Ich werde meine Lektionen gleich diesen Morgen mit Ihnen anfangen müssen. Nicht in den Geschäfts-Angelegenheiten allein muß der Diplomat Diplomat seyn; nein, in allen Angelegenheiten des Lebens; denn das ganze Leben mit all' seinen Kreisen und Feldern gehört seiner Wirksamkeit 21 an, alles fällt in's Geschäft. Gesetzt nun den Fall, ich wäre ein Heimlicher von der feindlichen Partei, ich würde sogleich Ihre wildaufbrausende Neigung zu jener Dame zu meinem Vortheil benutzen und gewiß mit Glück benutzen.«

»Sie sind es ja aber doch nicht!« rief der blonde Jüngling ärgerlich. »Man wird doch unter Freunden dem begeisterten Erguß der Natur freien Lauf gestatten, und wo man sich unbelauscht weiß, das Herz offen reden lassen dürfen?«

»O wie sehr recht hat Ihr Herr Vater, wenn er mir schreibt, daß Sie über die Grundelemente der Diplomatie noch nicht im Klaren sind! Nein, mein junger Freund, nie dürfen Sie daran denken, jenem rohen Götzen zu huldigen, den man so gewöhnlich Natur nennt. Lassen Sie diesen unwürdigen Götzendienst dem gemeinen Volke, der unverständigen Masse. Gönnen Sie seine Verehrung gutmüthigen Schwärmern, überspannten Phantasten, denen es beliebt, sich Künstler zu nennen, wie die Dichter und Versemacher, die Maler und Farbenkleckser, Tonsetzer und Musikanten, lassen Sie diese Narren unverstandnes, 22 unverdautes Zeug von Natur, Recht, Wahrheit in den Tag hinein faseln, lassen Sie die leichtbewegte dumme Menge ihnen zuweilen einigen kleinen Beifall zuklatschen, der ihnen eine kindische Freude ohne Nachhalt und Bedeutung bereitet! Wir, wir sind die Herren der Welt, die wir jene unbehülfliche Natur verachten und auf den Flügeln des scharfen Verstandes uns zur wahren Kunst erheben. Ja, mein Freund, der Diplomat, der Staatsmann ist der wahre Künstler; er übt die höchste Kunst, die des Umgangs. Sie will wohl studirt, sie will fleißig betrieben und stets mit Lust und Eifer ausgeübt seyn, eh' man Meister in ihr wird. Die erste Regel aber ist, die Sie noch nicht zu kennen scheinen: sich niemals von einer Aufwallung hinreißen zu lassen, sich gegen Niemand selbst in der scheinbar unbedeutendsten Sache – es ist nichts unbedeutend in der Welt – bloszugeben, nicht gegen Geliebte, Weib, Verwandte, Freund. Die Diplomatie erkennt nur sich selbst als wesentlich an; von Liebe, Freundschaft &c. weiß sie nichts, oder es sind ihr 23 nur unwesentliche Begriffe, ihr untergeordnete Kategorieen des Verstandes, die sie zu ihren großen Zwecken zu benutzen strebt und meist trefflich benutzt. Um also die erste Regel gleich in einen praktikabeln Satz zusammen zu fassen und mit wenig Worten in ihr ein Grundaxiom der diplomatischen Kunst aufzustellen, was Sie sich gefälligst tief in die Seele einprägen und in Blut und Saft verwandeln mögen, dürften folgende Worte hinreichen: Suche Aller Blößen zu erforschen und zu benutzen, und hüte dich, dir selbst eine zu geben. Aus diesem Haupt- und Grundsatz lassen sich gleich folgende Nebensätze ableiten: Rede nie die Wahrheit, gieb dich niemandem, wie du bist

»Ich bitte Sie um Gotteswillen!« unterbrach hier der junge Mann den Redefluß Reinecke's, der mit dem Eifer und dem Lehrton eines Privatdocenten, der seiner Sache gewiß ist, auf ihn einkanzelte. – Müllersdorf hatte bis jetzt in sich versunken und vergebens unangenehme Gefühle bekämpfend, mit dem Rücken an die Fensterbrüstung gestanden. – »Hören Sie jetzt auf! Ich 24 habe für die erste Lektion satt und genug und werde an dieser viel zu thun bekommen. Ein anderes Mal, wenn ich mich gesammelt habe und besser dazu aufgelegt bin, nehme ich mir die Freiheit, einiges darauf zu erwiedern; denn Sie dürfen keinen Tertianer in mir vermuthen, der sein Pensum eifrig memorirt, ohne nach Sinn und Inhalt desselben zu fragen. Jetzt sagen Sie mir lieber, wenn Sie es anders im Stande sind, wer war die reizende Dame, die meine undiplomatische Expectoration hervorrief?«

»Schon diese Frage beweißt, wie wenig noch die erste Regel bei Ihnen Wurzel geschlagen hat. Doch weil wir noch nicht länger als zwei Stunden beisammen sind, so will ich sie Ihnen hingehen lassen und beantworten. Jene Dame ist die Comtesse Helena Billaplotzky, eine Polin, wie Sie aus dem Namen hören; die Andre ist ein Fräulein von Grünewald, wie es mir scheint, die Gesellschaftsdame der polnischen Gräfin.«

»Ist mir's doch, als hätt' ich schon von der Comtesse gehört?«

25 »Es ist leicht möglich, denn sie war – wenn auch nur kurze Zeit – in ***.«

»Ich bin auf ihre nähere Bekanntschaft begierig.«

»Sie wird Ihnen wenig helfen,« lachte Reinecke gezwungen; »denn, wie man gehört hat, ist die Comtesse Braut, und erwartet hier ihren Verlobten.«

»In aller Heiligen Namen! Ich habe nichts dawider,« versetzte Müllersdorf, ohne eine unangenehme Empfindung, die Reinecke's Nachricht in ihm hervorgerufen, ganz unterdrücken zu können.

Sie gingen und traten in's Freie heraus. Die freundliche Sonne schmückte die Gegend mit Farbenglanz, und wie ein hingezaubertes kleines Paradies, breitete sich das schöne L. vor ihnen aus. Das Herz des gemüthlichen Jünglings wallte über vor Entzücken und alle Diplomatie vergessend, rief er: »O sehen Sie nur an, wie allerliebst hier schon die Aussicht ist, wie unvergleichlich herrlich muß sie erst von einer der umliegenden Berghöhen seyn!«

26 »Sehr schön!« sagte Reinecke, indem er hinter Müllersdorfs Rücken sein Portefeuille aus der Tasche zog und den erhaltenen Zifferbrief noch ein Mal durchmusterte.

Der Andre überließ sich unterdessen ganz dem angenehmen Eindruck, welchen das vor ihm liegende lebendige Landschaftsbild auf ihn machte. Und wirklich war der Anblick werth, von fühlenden Herzen aufgenommen und genossen zu werden. Das Dorf mit seinen meist kleinen Hütten und rothen Ziegeldächern zog sich südöstlich vor ihren Augen hin, theilweise hinter beblümten Hügeln und grünen Büschen versteckt, daran reihten sich westlich, und näher dem wonnetrunknen Beschauer, die neuern städtischen Häuser, der Gesundbrunnen selbst auf einem Plane, rechts davon die einfach schönen Gebäude des Theaters und des herzoglichen Sommerschlosses, so wie der übrigen fürstlichen Bauten. Weiter westlich wurde die grüne Ebne vom Flusse durchschnitten und eine schöne mit stolzen Bäumen garnirte Chaussée durchschlängelte sie, wie ein breites weißes Band, das sich um den mit grünen Stoffen geschmückten 27 Leib eines holden Weibes legt. Zur Linken der romantisch düstre Erdfall mit seiner schauerlichen Grotte, seinen schlanken hohen Bäumen, unter deren kühlem rauschenden Blätterdache, umgeben von einem weiten Kranze abentheuerlicher Felsstücke die Badegesellschaft Mittags speist, begrüßt von der starken plätschernden Quelle, die unter der bedeutungsreichen Sphinx aus dem Felsen hervorschießt, weiter hinunter das dichte grüne Laubholz, gleichsam lockend und rufend mit seinen grünen Blätterzungen, sich in seiner Dämmerung den schwärmerischen Gefühlen der Einsamkeit zu überlassen. Dicht vor des Schauers Augen der grüne Abhang mit den beiden Halbkreisen der Auffahrt und in ihrer Mitte die hochaufsteigende Fontaine, die ihr krystallklares Wasser in Perlen- und Staubregen verwandelt, worin die Strahlen der Sonne sich zu den lieblichen Regenbogenfarben brachen, in das weite, von Schwänen und Enten durchfurchte Bassin zurückgab. Den Hintergrund bildeten die mäßigen sonnumglänzten Berge, die ihre theils waldbewachsenen, theils kahlen Häupter recht jugendlich frisch in die blaue 28 Himmelsluft des heitern Morgens streckten, um ihre Nahrung daraus zu trinken.

Als sich Müllersdorf beim Weitergehen wandte, erblickte er auch die auf der nördlichen Seite auf einem Bergrücken gelegene Ruine der alten Burg L., welche dem neuen Bade den Namen gegeben hat, und wie ein ernster Greis auf die heitere Lust und Leben durchströmte Jugend seines Taufpathen herabsah. Rechts von der Ruine begrenzten wieder nahe grüne und ferne blaue Berge den entzückten und doch immer nach neuen Genüssen gierigen Blick des jungen Mannes.

»Hier ist liebliche Kraft und kräftige Lieblichkeit vereint!« rief Müllersdorf endlich aus; »wahrlich, die ganze Gegend mit ihrem romantischen Zauber ist wie zur Liebe und zum Liebesgenuß geschaffen, und führt deshalb mit vollem Rechte seinen schönen Namen. Diplomaten sollten hier ihre Zusammenkünfte nicht halten.«

»Es kommt im menschlichen Leben durchaus nicht auf die uns umgebenden Objecte zur Begründung von Glück, Ehre und Wohlsein an,« begann jetzt Reinecke wieder, durch die letzte 29 Aeusserung Müllersdorfs aufmerksam gemacht, indem er sein Taschenbuch einsteckte, »sondern lediglich auf unsre Subjectivität. Hat diese ihre festen Grundlagen ein Mal in sich selbst gefunden und vagirt nicht ohne Zweck und Ziel in die trostlose Weite hinaus, so ist ihr das Object, welches nicht eben ihr Ziel ist, oder zur Erreichung ihres Zieles in keiner Hinsicht nützlich und dienlich seyn kann, gänzlich einerlei. Dieser allerdings schönen Gegend ist es ganz gleichgültig, ob hier Schwärmer und verrückte Köpfe zusammenkommen, um Unsinn zu schwatzen, oder Männer von Gewicht und Ansehen, verständige Leute, um das Beste der Welt zu berathen; diesen letztern Männern ist es aber auch einerlei, ob sie in einer polnischen Ebne oder in einem italienischen Berggarten berathen und denken, wenn nur ihrer Bequemlichkeit nichts abgeht. Sie haben über diesen Gegenstand falsche Begriffe, mein Freund.« 30

 


 


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