Ludwig Storch
Der Diplomat
Ludwig Storch

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7.

Ein stattlicher Mann von mittlerer Größe mit einem schönen würdigen Gesichte, worin ein Paar kluge Augen funkelten, erhob sich aus dem Lehnsessel, eilte auf den eintretenden Reinecke zu, und begrüßte ihn freundlich und mit vornehmer Herablassung, welche der devoten Kriecherei des Diplomaten vollkommen angemessen war.

»Nach zwei Jahren herzlich gegrüßt!« sagte der Marchese Ricconi. »Sie haben wirklich den Air eines sehr vornehmen Mannes sich angeschafft.«

»Ich komme, den letzten Anstrich, die edelste Politur von Ihnen zu erlangen, hochwürdiger Herr,« sagte Reinecke geschmeidig; »oder vielmehr durch Ihre segensreiche Hand das wirklich zu werden, was ich jetzt nur scheine.«

»Waren Sie schon bei der Gräfin?«

»Ich komme eben von der Gnädigen.«

»Wie weit sind Sie mit Helenen?«

»Ich hoffe, es soll Alles trefflich gehen.«

»Gut denn! Des schönsten Lohnes sind Sie gewiß, junger Mann; wie selten Einem Ihres 106 Alters und Standes, stehen Ihnen die herrlichsten Aussichten offen; suchen Sie sich um dieses köstlichen Preises so würdig als möglich zu machen; suchen Sie die gute Meinung, welche Leute von Bedeutung von Ihnen haben, glänzend zu rechtfertigen und unsre Hoffnungen hinsichtlich Ihrer zu erfüllen.«

»Ich werde mich ganz Ihrer Leitung übergeben, mein Vater.«

»Im Allgemeinen ja! Im Besondern nein! Nicht eine Maschine in meiner oder eines Andern Hand sollen Sie seyn, und Ihr regsamer Geist verbürgt mir, daß Sie das niemals seyn werden. Sie sollen selbst denken, selbst handeln, in den schwierigsten Fällen sogar nach Ihrer eignen Einsicht entscheiden. Sie sollen kein untergeordnetes Glied des Bundes für die große Sache werden, sondern ein leitendes.«

»Sein Sie versichert, daß ich Ihren Erwartungen entsprechen werde.«

»Das glaub' ich; und hätten Ihre bisherigen Leistungen uns nicht diese Ueberzeugung gegeben, so würden wir Ihnen nicht dies unbegrenzte 107 Vertrauen schenken. Bald, sehr bald wird die Zeit Ihrer Wirksamkeit beginnen. Ich habe Ihnen bereits durch Herrn von Müllersdorf Einiges wissen lassen. Ist er von allen Ihren Forschungen unterrichtet?«

»Noch nicht von allen. Ich muß bekennen, die Grundsätze und Ansichten des jungen Mannes haben mich vorsichtig gegen ihn gemacht. Das Beste und Vorzüglichste, den Schlüssel zu dem Hauptgeheimnisse, spare ich deshalb für Ew. Hochwürden auf.«

»Sie sind zu ängstlich. Ich kenne den jungen Mann. Der Wein der Jugend braust in ihm; wenn er ausgegohren hat, wird's ein reines, treffliches Getränk. Vertrauen Sie ihm Alles an, liefern Sie ihm alle Papiere aus, machen Sie ihn mit allen Gefahren und verborgenen Schlingen der Demagogen bekannt. Ich kann mich unmöglich mit diesen rein diplomatischen Angelegenheiten befassen; ich habe genug auf dem Felde Gottes zu schaffen. Und für diese Arbeit nehme ich Ihre ganze Kraft in Anspruch. Ich komme jetzt aus dem Karlsbade, wohin ich einige Aufträge des 108 Prinzen F. von Z. an seinen Bruder, den Herzog A. von Z. brachte. Ich verlebte mehre Tage in der Gesellschaft dieses höchst originellen Fürsten, und habe ihn, wenn mich nicht alle Zeichen trügen, sehr für mich eingenommen. Die Fäden sind bereits angelegt, doch nach ganz andern Seiten hin, als ich mir früher dachte. Sie nun sind dazu bestimmt, das Gewebe zusammen zu ziehen; aber mit Kummer habe ich schon daran gedacht, daß Sie allein es nicht vollbringen werden.«

»Erklären Sie sich deutlicher, wenn ich bitten darf, hochwürdiger Vater.«

»Der Herzog weiß, daß ich Priester bin; man kann ihm so etwas ohne alle Gefahr sagen; er weiß sogar, daß ich mich bestrebe, ihn zur katholischen Kirche zu bekehren; denn sein scharfer Verstand läßt ihn die feinsten Pläne gleich an den ersten Zeichen und Andeutungen errathen. Aber damit ist weder etwas gewonnen, noch verloren. Der Herzog findet es sehr natürlich, daß die katholische Kirche deutsche Fürsten in ihren zärtlichen Mutterschoos zurückzuziehen trachtet, aber er findet es eben so natürlich, dieser zärtlichen 109 Mahnung nicht zu folgen. Das kommt daher, weil er überhaupt alle Formen haßt, aber ich habe wahrgenommen, daß er den nüchternen Protestantismus noch mehr haßt, als unsre Form, eben weil derselbe nüchtern, und der Herzog eine hochpoetische, fast hyperphantastische Natur ist. Es ist daher unsre Aufgabe, seine ungeheuere, oft in wunderbaren gigantischen, unbegreiflichen Auswüchsen hervorbrechende Phantasie auszufüllen und zu beschäftigen; doch müssen wir höchst vorsichtig seyn, irgend etwas Mystisches oder Preciös-Jesuitisches beizumischen. Der Herzog kennt alle diese Kunstgriffe zu genau und würde uns nur verlachen. Selbst ein bloßer Anklang an diese Theaterkünste würde Alles verderben. Der Herzog ist der wunderbarste, eigenthümlichste Mensch, der mir je vorgekommen; also müssen wir auch einen ganz besondern und eigenthümlichen Weg einschlagen, um ihn zu gewinnen. Nichts Gewöhnliches spricht ihn an, und selbst am Ungewöhnlichen geht er kalt vorüber, wenn es nicht durch scharfe Contraste hervorspringt; außerdem dient es ihm nur zum Gegenstand seines scharfen, 110 beissenden Witzes, womit er Alles, Gewöhnliches und Ungewöhnliches, Hohes und Niedres, Großes und Kleines, wie mit einer Salzlauge übergießt. Er hat nicht eine Ader von der gutmüthigen Herzlichkeit, von der frommen Begeistrung seines Bruders. Was der Prinz rührend findet, das findet der Herzog schaal; was der Prinz schön heißen würde, würde der Herzog langweilig nennen. Was ihm gefallen soll, muß im höchsten Grade pikant seyn, und wie er die besten Speisen mit den stärksten Essenzen überschüttet, um sie nur genießbar zu machen, so müssen auch seine geistigen Genüsse mit den stärksten geistigen Essenzen versetzt seyn. Die protestantische Kirche kann ihm in ihrer Dürftigkeit dergleichen nicht bieten; die katholische hat Reizmittel für solche übersättigte Geister, aber es gehört der rechte Mann dazu, sie dem Herzog A. zu bieten. Haben wir diesen Mann, so haben wir auch den Herzog. Ich bezweifle aus mehr als einem Grunde, daß Sie, mein Freund, bei all Ihrer diplomatischen Geschicklichkeit, doch der Rechte zu diesem höchst schwierigen Geschäfte sind.«

111 »Und worin müßten denn die außerordentlichen Eigenschaften dieses Rechten bestehen?« fragte Reinecke etwas ärgerlich, seine Tauglichkeit als Proselitenmacher in Zweifel gezogen zu sehen.

»Es versteht sich, daß wir ganz offen mit einander reden, und einander nichts übel nehmen. Eine übertriebene Empfindlichkeit wäre hier ganz am falschen Platze. Wir arbeiten gemeinsam dem großen Zwecke entgegen und besitzen wir selbst die Mittel nicht, ihn zu erreichen, so müssen wir sie aus allen Kräften außer uns suchen. Der Mann, den wir brauchen, muß zwei unerläßliche Eigenschaften haben; er muß jung und schön seyn, er muß einen ächt poetischen Geist haben, d. h. nicht mittelmäßig sentimental, wässrig gefühlvoll, weinerlich, gewöhnlich, sondern scharf, verständig, genial, hochbegabt wie unser Tieck, unser Schlegel, wie Jean Paul, mit dem der Herzog in enger Verbindung ist. Seine Phantasie muß hinreißend seyn, sie muß die des Herzogs in ihren Grundtiefen aufzuregen verstehen, wie ein Sturm den Bodensatz des Meers, sie muß sie überflügeln und auf die Punkte hinzulenken wissen, welche in 112 unsrer Kirche den Herzog fesseln können. O Prinz F–'s Bekehrung in Rom war Kinderspiel gegen dies Gigantenwerk; aber dennoch ist es möglich, und es muß vollbracht werden. Nie war es meine Sache von einem halbvollendeten Werke der sich häufenden Schwierigkeiten halber abzustehen.«

»Jung und schön, poetisch und genial,« wiederholte Reinecke, wie in Gedanken. »Kaum darf ich mich rühmen, etwas von der letztern all dieser schönen Eigenschaften zu besitzen. Aber wozu jung und schön, wenn ich auch das »poetisch« zugebe?«

Der Marchese – oder vielmehr der Weltgeistliche – lächelte und sagte dann: »Der Herzog hat den Geist und die Bildung eines griechischen Dichters; seine herrlichen, griechische Klassicität athmenden Idyllen, die er unter dem Namen Kyllenion herausgegeben hat, stellen ihn fast über Theokrit, nur ist er nicht so einfach, es fliegt ihm modern romantische Schwärmerei an, daher die wunderbar glänzende Farbenmischung; es ist alles prächtig. Und doch trotz diesem scheinbaren Widerspruch ist sein Wesen antik. Er liebt die 113 Schönheit der Form bis zum Enthusiasmus, und plastische Schönheit geht ihm über Alles. Er vergißt über der plastischen schönen Form oft nach dem Geist zu fragen. Darum liebt er auch, gleich den weisesten und größten Männern des alten Griechenlands, schöne Männer um sich zu haben; es muß in seiner Umgebung Alles Harmonie seyn und sein ästhetischer Sinn wird durch jede Störung desselben beleidigt. Aber ich habe nur schöne Männer um ihn gesehen, keinen poetisch genialen, ja überhaupt nur geistreichen; es sind lauter Leute vom gewöhnlichsten Schlage. Ich habe aus dem Herzoge die tiefe Sehnsucht, das geistige Bedürfniß nach einem jungen schönen Mann, der zugleich genial ist, herausgefühlt. Wir müssen ihm denselben zuführen. Einem solchen Götterjüngling wird sich bald des Herzogs ganze begeisterte Liebe zuwenden; er wird ihn auf den Adlerfittigen der Poesie der Erde rauben und in seinen Olymp entführen. Wir aber haben damit unser Spiel gewonnen. Begreifen Sie nun, was ich mit jung und schön, poetisch und genial will?«

»Vollkommen!« versetzte Reinecke 114 nachdenklich. »Ich kenne sogar einen Mann, der diese Eigenschaften in einem hohen Grade besitzt«

»Und wer wäre der?« rief der Weltpriester hastig.

»Nun eben der junge Mann, mit welchem ich jene diplomatischen Angelegenheiten zu verhandeln angewiesen worden bin, und dem wir den Namen eines Herrn von Müllersdorf geben. Er ist jung und schön, gewandt, genial, und hat eine poetische Natur, wie Sie wünschen.«

»Wirklich? wirklich? in der That?« rief der Geistliche.

»Nur ein zwiefaches Hinderniß steht hinsichtlich seiner der Ausführung dieses Planes im Wege, nämlich die Grundsätze des jungen Mannes –«

»Grundsätze? Narrenspossen! Aussichten auf Reichthum, Ehrenstellen, Macht u. dg. werfen alle solche albernen Rücksichten über den Haufen. Lassen Sie mich mit ihm reden! Ich habe Mittel in Händen, ihn zu bestimmen, daß er ohne viel Widerreden in unsere Plane eingeht. Daß wir die Leitung über ihn behalten, daß namentlich 115 Sie in seiner Nähe bleiben und ihm die Schritte vorzeichnen, versteht sich von selbst«

»Ich werde mir von Ew. Hochwürden die nöthigen Instruktionen ausbitten.«

»Es bedarf keiner nähern Instructionen. Wir haben zwei Wege zu verfolgen, um uns den Besitz des Fürstenhauses von Z. zu sichern. Der erste ist, den Herzog A. zu gewinnen, ihn dann zu einer Scheidung von seiner Gemahlin und zur Verbindung mit einer katholischen Fürstin zu vermögen, damit männliche Leibeserben erzielt werden, oder den Prinzen F. mit einer solchen Fürstin zu vereheligen, und auf diesem Weg einen Thronerben hervorzubringen. Leider scheint F. dazu nicht mehr tauglich. Der erstere Weg ist daher der sichrere, obgleich auch der schwierigere, aber eben deshalb ist er von mir gewählt worden. Ist der Himmel günstig – und ich hoffe, er wird seinen Beistand zu solch einem edeln und trefflichen Werke nicht versagen, – so gründen wir in diesem schönen und fruchtbaren Lande unsre Macht dauernd. Von D. aus bevölkern wir das reiche A. mit unsern Priestern, und von Z. aus können wir in der 116 Umgegend zum Heile der alleinigen Kirche Gottes vieles schaffen. Und so geschehe es. Amen!«

 


 


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