Ludwig Storch
Der Diplomat
Ludwig Storch

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5.

Einige Tage darauf waren Abends wieder mehre Wagen mit Badegästen aus der Nähe und Ferne angekommen. Schon war es sehr zahlreich und im Badehause gebrach es an Platz. Man mußte sich in Privathäuser einmiethen. Noch waren die Koffer nicht abgepackt, als es leise an Nr. 17 anpochte, und dem Bewohner dieses Zimmers, der den schwarzen Kopf aus der Thüre steckte, ein kleines Billet in die Hand gedrückt wurde. Schnell, wie sie gekommen war, hüpfte Mariane, die Zofe der Comtesse Billaplotzsky und des Fräuleins von Grünewald, wieder von dannen und eilte über die Straße. Reinecke las den Zettel: »Die Gräfin Klattau ist vorhin mit dem Marchese angelangt. Machen Sie beiden diesen Abend noch die Aufwartung, doch muß ich Sie, aus Vorsicht, erst noch sprechen. In einer halben Stunde erwarte ich Sie auf der Terrasse hinter dem Badehause. Ihre Amalie.«

»Endlich!« rief der Diplomat aus, und rieb sich vergnügt die Hände dazu. »Endlich wird 80 mein Waizen zu blühen beginnen. Es hat mir zeither nicht glücken wollen, und dieser Losewitz mit seiner gelockten Gestalt, mit seinem geschmeidigen Wesen, ist mir, statt ein Beförderungsmittel zu seyn, ein Hinderniß gewesen; doch ein Kopf wie ich, fürchtet sich vor dergleichen nicht. Wenn ich seinen mächtigen Vater nicht brauchte, wollte ich den albernen Knaben bald weit genug aus dem Wege geschleudert haben. So aber muß ich alles durch Schlauheit bezwingen. Sie ist die Göttin, der ich diene.«

Während dieses Selbstgesprächs hatte er sich angekleidet. Langsam schlenderte er den Berg hinauf; Blick und Schritt hatten etwas Triumphirendes. Nicht lange darauf begegnete er dem Fräulein von Grünewald, und beide gingen bergauf dem Walde zu, dessen Krone die schöne Ruine der Burg L. ist.

»Verlieren Sie nur,« sprach das Fräulein, »um aller Heiligen willen, das Eine niemals aus dem Auge, daß Sie bei der Gräfin den Gefühlvollen spielen, vorzüglich in Sachen der Religion, wovon sie sich am liebsten unterhält. Sie gibt sich 81 gern für eine Schwärmerin aus. Sie hat sich, wie ich Ihnen schon gesagt, mehre Male mißbilligend darüber ausgesprochen, daß Sie in Ihren Briefen an den Marchese und sie ihre Religionsangelegenheit so trocken und oberflächlich behandelt haben. Hätte ich Sie früher gekannt, so würden Sie nicht in diesen Fehler verfallen seyn. Suchen Sie ihn nun auf alle Weise wieder gut zu machen.«

»Lassen Sie mich nur gewähren, verehrtes Fräulein,« entgegnete Reinecke mit Galanterie, und mit Selbstgefühl setzte er hinzu: »und trauen Sie meinem Kopfe zu, daß ich, zumal von Ihnen geleitet und auf alle Vortheile aufmerksam gemacht, mir keinen derselben entgehen lasse. – – Fürwahr, mein Fräulein,« fuhr er nach einer Weile mit einschmeichelndem Tone fort, »nicht ohne Schaamerröthen muß ich mir, Ihnen gegenüber, gestehen, daß ich die Güte, die Sie mir in so reichem Maße gezeigt, noch mit gar nichts verdient habe, ja daß ich so indiscret gewesen bin, in den wenigen Stunden, die der Umgang mit Ihnen allein mir ausgefüllt hat, nur von 82 mir und meinen Angelegenheiten mit Ihnen zu sprechen. Aber reumüthig habe ich den festen Vorsatz gefaßt, meiner Wünsche mit keinem Worte wieder bei Ihnen Erwägung zu thun, bevor Sie mir nicht offenherzig gesagt haben, wie und womit ich einen Theil meiner Schuld bei Ihnen abzutragen im Stande bin.«

»Lassen Sie uns vor der Hand davon schweigen, mein Herr,« versetzte Fräulein von Grünewald mit einiger Verwirrung. »Damit Sie aber meine eifrige Theilnahme an Ihrem Schicksale nicht falsch verstehen, mögen Sie die Versicherung hinnehmen, daß diese Theilnahme erst in ihrer ganzen Stärke erwachte, als Sie mir die Entdeckung machten, Sie seyen der der Comtesse Helena bestimmte Mann. Wenn ich früher dem Herrn von Reinecke, in welchem ich nimmermehr Helenens zukünftigen Gatten vermuthet hätte – denn die Comtesse kennt nur Ihren wirklichen Namen, und die Gräfin Klattau pflegt mich nicht zur Mitwisserin ihrer Geheimnisse zu machen – wenn ich also Herrn von Reinecke irgend eine Theilnahme bewieß, so hatte diese 83 gewiß nur im gesellschaftlichen Verkehr und dem zufälligen Umstande ihren Grund, daß Sie bei unserm Unfalle mit dem Wagen zugegen waren, und mir Gesellschaft leisteten, während Herr von Müllersdorf ausschließlich die muntre Comtesse unterhielt.«

»Was aber, wenn ich bitten darf, konnte diese Theilnahme so steigern und aus der Allgemeinheit herausreißen, als ich mich Ihnen anvertraute, geleitet von einem richtigen Scharfblicke, der mich in Ihnen eine Freundin erkennen ließ?«

»Schon dieses edle Vertrauen allein,« sagte Amalie zögernd.

»Ich bitte um Entschuldigung, gewiß nicht allein. Vergelten Sie mir Vertrauen und Offenherzigkeit mit Vertrauen und Offenherzigkeit. Lassen Sie uns eine heilige Allianz schließen, uns gegenseitig nach Kräften zu unterstützen. Keins von Beiden wird dabei zu Schaden kommen. Hier ist meine Hand zum Bunde und die Versichrung, daß meine wahren Freunde mir über Alles gehen.«

84 Amalie heftete den Blick auf den eifrigen Sprecher; er ertrug die forschende Schärfe desselben ruhig und sagte: »Ich meine es aufrichtig!«

»Nun denn, so falle die Scheidewand, die ich erst später sinken lassen zu dürfen glaubte,« flüsterte das Fräulein. »Es sey kein Geheimniß zwischen uns. Wenn ich Sie auch persönlich nur erst einige Tage kenne, so ist mir die Stärke Ihres Geistes doch schon lange bekannt und ich weiß, daß ich es mit einem Manne von festem Charakter zu thun habe. Der Marchese sowohl als die Gräfin waren stets Ihres Lobes voll, und ich bin mehr als ein Mal Zeuge gewesen, daß der Erstere mit Enthusiasmus von Ihnen sprach und der Gräfin höchst günstige Urtheile des Herrn von Losewitz über Sie mit dem Bemerken referirte, daß Sie vom Himmel zu einer großen und glänzenden Laufbahn bestimmt zu seyn schienen.«

»Sie entzücken mich mit diesem Berichte, mein Fräulein,« rief Reinecke freudeglühend und drückte ihr im ungewohnten Aufschwunge seiner Seele die Hand stürmisch. »Doch weiter! weiter!«

85 »Es wäre also mindestens sehr unklug, sich einen Mann nicht durch kleine Gefälligkeiten und Dienstleistungen zu verbinden, der bereits die Carriere eingeschlagen hat, die ihn zur künftigen Größe führt, zumal wenn man so schöne Gelegenheit dazu hat, wie mir dargeboten wird. Glauben Sie mir, ich bin nicht mädchenhaft einfältig genug, um nicht zu begreifen, daß ich mir ein Recht auf Ihre Dankbarkeit erwerbe, und nicht zu berechnen, daß die Prozente dieser Dankbarkeit mit Ihnen selbst steigen, und mich mit Ihrer eignen Größe emporheben.«

»Schön und stolz!« sagte Reinecke geschmeichelt. »Aber dies Alles setzt ein unbegrenztes Vertrauen in meine Redlichkeit voraus; denn wie leicht könnte der mächtige Schuldner Kapital und Zinsen vergessen.«

»Ich habe ein solches Vertrauen zu Ihnen, und zwar aus dem Grunde, weil ich so etwas von Ihrem Geiste in mir verspüre. Wär' ich ein leichtfertiges, muthwilliges, oder sentimentales, schwärmerisches Ding, wie die meisten meines Alters und Geschlechts, so würde ich Ihnen 86 wahrscheinlich nicht vertrauen, aber auch nicht solche Pläne machen. Mit dem Talente sind natürlich auch die Eigenschaften desselben verbunden. Ich habe einen hochstrebenden Geist, wie Sie; es ist ihm also auch die Eigenschaft verliehen, andern gleichbedingten Geistern nahe zu treten, ihnen zu vertrauen und im Bunde mit ihnen die Bahn zu betreten, die allein zu wandeln, er vielleicht zu schwach oder zu verzagt wäre. Hätte ich mich in Ihnen getäuscht, so wäre die Ueberzeugung, daß Sie kein großer Mann wären, nicht zu theuer durch die, einem undankbaren Schurken geleisteten Dienste erkauft. Von einem gewöhnlichen, mittelmäßigen Kopfe verlange ich keine Dankbarkeit, und Sie wären ein solcher, wenn Sie mir sie verweigern könnten. Es wäre Ihnen eben so wenig übel zu nehmen, wenn Sie einem Mädchen von gewöhnlichem Schlage sich niemals dankbar bezeigten, und ich würde Sie abermals für einen untergeordneten Kopf halten, wenn Sie die Aeußerungen der Dankbarkeit auf ein solches Geschöpf übertrügen. Der Mittelmäßigkeit sind Leute von unserm Geiste nichts 87 schuldig; nur gegen die Größe muß der Große auch groß seyn; die Kleinen und der Mittelschlag verstehen die Größe ohnedies nicht zu schätzen und zu beurtheilen.«

»Vortrefflich philosophirt!« rief Reinecke aus. »Wahrlich, mein Fräulein, wäre Helenens Besitz nicht der Zauberschlüssel zu der diamantnen Pforte meiner künftigen Größe, ich würde um diese Hand bitten, die so kühn und sicher nach dem Höchsten greift.«

»Nimmermehr! Wo denken Sie hin? Wir würden beide die besten Kräfte vergeuden, um nur auf die erste Staffel der Leiter zu kommen, die zu Macht, Ansehn und Reichthum führt, und wenn wir ja mit Mühe und Noth höher klimmten, würden wir kaum mehr im Stande seyn, uns unseres Glücks zu erfreuen. Nein, im vollen Besitz der Jugendkraft muß man die goldnen Gaben genießen. Helene stellt Sie, ohne Ihre Mühe, gleich auf die oberste Sprosse.«

»Und an sich denken Sie nicht?«

»Ich zähle ja, wie ich Ihnen bereits gestanden, auf Ihre Dankbarkeit. Wenn – – nun 88 es wird die Zeit kommen, wo ich mich über diesen Punkt deutlicher erkläre. Sie kommt bald; denn ich bin der Dienstbarkeit herzlich müde, in welche mich meine Armuth verwiesen hat. Aber das mittellose Fräulein von Grünewald wird die Dame so gut spielen können, wie die reichgeborne Frau Gräfin Klattau. Doch davon ein ander Mal ausführlicher. Jetzt wollte ich Ihnen nur noch sagen, daß Sie bei der Gräfin auf eine baldige Verlobung mit Helenen dringen möchten; denn ich glaube bemerkt zu haben, daß Herr von Müllersdorf einen starken Eindruck auf sie gemacht hat. Sie spricht sehr viel von ihm und das mit weniger Muthwillen, als von andern Männern; witzelt oder ironisirt sie über ihn, so geht daraus gerade am klarsten hervor, daß er ihr nicht gleichgültig ist. Also eilen Sie! Jetzt ist's noch Zeit.«

»Ich danke Ihnen für den gütigen Wink; das Saamenkorn fällt auf ein lockeres Land; ich habe an meinem Freund Aehnliches bemerkt.«

»Ich muß gestehen, ich möchte durch die Eile 89 Ihrer Verbindung mit Helenen an Herrn von Müllersdorf eine kleine Rache nehmen.«

»Rache? hat er Sie beleidigt?«

»Wenn Sie das weibliche Herz kennen, so werden Sie wissen, daß es die größte Beleidigung für dasselbe ist, einem neben ihm stehenden weiblichen Wesen die untrüglichsten Zeichen der Huldigung dargebracht und sich ganz unbeachtet zu sehen. Herr von Müllersdorf hat, so oft wir auch noch mit ihm zusammen trafen, mich ganz übersehen, und wenn mir sowohl mein Geist als auch mein Spiegel sagten, daß ich wenigstens des Bemerkens werth sei, so würde es an und für sich schon eine unverzeihliche Unhöflichkeit seyn.«

»Fürwahr, Herr von Müllersdorf verdient von Ihnen mit gleicher Gleichgültigkeit behandelt zu werden,« bemerkte Reinecke mit einem plötzlich hellen und vieldeutigen Blick auf Amalia. »Wie, wenn ich das Werk meiner Dankbarkeit gleich damit begänne, Ihnen die Gelegenheit zu solcher schönen Rachebefriedigung zu verschaffen? wenn ich mit Geschicklichkeit seine Blicke auf Sie 90 leitete? wenn ich ihm die Augen für Ihre Vorzüge öffnete?«

Amalia's Wangen glühten über und über; ihr Blick schweifte in Verwirrung umher.

»Und wenn vielleicht dieser einfache Lieutenant Müllersdorf nur die Maske einer wichtigern Person wäre, groß genug, um den Plänen dieses außerordentlichen Mädchenkopfes zur Basis künftiger Macht und Glanzes zu dienen, und nicht zu groß, um aus conventionellen Gründen eine Hand zu verschmähen, die für ihn zu handeln geschickt wäre und ihm den Mangel jener psychischen Kraft ersetzen könnte, die nöthig ist, sich auf der Höhe zu behaupten? wenn« –.

»Halten Sie ein! Welche Aussicht eröffnen Sie mir! Mir schwindelt's. Wer ist Müllersdorf? Ich beschwöre Sie!«

»Es wäre wider meine Grundsätze, Ihnen zu sagen, wer er ist. Es sei Ihnen genug, zu erfahren, daß er die Carriere schon betreten hat, die ich jetzt einschlagen will, daß Rang und Geburt ihm Vortheile von vorn herein gesichert haben, die ich mit ungeheuerer Mühe theils erstrebt 91 habe, theils noch erstreben muß, und daß er einer Gefährtin bedarf, wie Sie, um stark und würdig seinen Weg zu gehen. Amalie, hab' ich jetzt die rechte Saite in Ihrer Seele angeschlagen? Müllersdorf ist Ihnen nicht gleichgültig, Ihr Herz hegt Gefühle für ihn, die mehr erzielen als Rache, selbst wenn Sie sich dessen auch nicht klar bewußt sind.«

»Sie enthüllen schonungslos die innersten Falten meines Herzens!« rief das Fräulein.

»Haben Sie mir nicht Vertrauen gelobt?«

»Aber fühlen Sie nicht, wie sich ein weibliches Herz sträubt, sich mit seiner Schwäche blos zu geben? Doch Sie haben mich durchschaut und eigentlich den glimmenden Funken zur Flamme angefacht. Ja, ich liebe Ihren Freund, aber mein Herz ist von Groll gegen ihn erfüllt.«

»Auch gegen Helenen?« fragte Reinecke scharf betont.

»Ja, auch gegen sie, weil sie das Glück hatte, ihm zu gefallen.«

»Desto besser für mich. Sie werden bei der Gräfin Klattau und bei'm Marchese alle Hebel 92 in Bewegung setzen, um meine Verbindung mit Helenen zu beschleunigen.«

»Das werd' ich mit Freuden.«

»Und ich werde dafür erkenntlich seyn und Ihnen meinen jungen Freund zuführen.«

Ein feuriger Händedruck lohnte dem Diplomaten. Sie kehrten zurück und trennten sich am Fuße des Bergs.

 


 


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