Ludwig Storch
Der Diplomat
Ludwig Storch

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11.

In der Wohnung der Familie Hochmannsdorf war noch Alles in großer Bewegung. Madame Bergmann, zwar von dem Krämpfen verlassen, schien doch schwach und gleichsam tiefsinnig. Der alte Baron war so besorgt um sie, pflegte sie mit eigner Hand, verließ sie keinen Augenblick und nannte sie, sich vergessend, so oft seine liebe Constanze, daß es seinen Töchtern auffallen mußte.

»Ich glaube gar, die Madame, von der uns der Papa immer so viel vorgesprochen, ist seine Geliebte, und er hat in seinem Alter einen 184 dummen Streich gemacht,« sagte Charlotte, das Näschen rümpfend, im Nebenzimmer.

»Mich soll der Blitz erschlagen, wenn ich nicht auch schon Lunte gerochen,« versetzte ihr Verlobter. »Alter schützt vor Thorheit nicht; aber wir dürfen's nicht zugeben.«

»Ei freilich nicht. Wie er nur mag dazu gekommen seyn?«

»Das weiß der Teufel!«

»Die Geschichte mit dem Spangenheim gibt uns wahrscheinlich gute Gelegenheit, den albernen Plan des Alten zu zerstören.«

»Da kommt uns der Spangenheim recht in den Wurf. Ich hatte es ja gleich gesagt, daß der braune, schwarzbehaarte Kerl Spangenheim sei; der Mensch ist mir in B. genug vor den Füßen herum gekrochen. Er pflegte sich an Alle anzuschmieren, die kein bürgerliches Blut in den Adern hatten, und nun kannte mich der Hundsfott nicht mehr und sollte durchaus ein Herr von Reinecke seyn, so daß ich wirklich an ihm irre wurde. Ich werde mit dem Burschen hinsichtlich unsrer Madame Bergmann reden, und ist die Luft irgend 185 nicht rein, so schaffen wir sie uns vom Halse. Müllersdorf könnte uns über den Spangenheim einigen Aufschluß geben. Lupus in fabula, da kommt er.«

Der Genannte trat befangen, schier ängstlich herein, und wurde vom Lieutnant und Charlotten sogleich ins Gebet genommen; er hatte aber wenig Lust, sich in Erklärungen einzulassen, und behauptete deshalb, diesen Mann nur als Herrn von Reinecke, **ischen Legationssekretär zu kennen. Hierauf erkundigte er sich mit der frühern Befangenheit nach Herrn von Hochmannsdorf und wurde in ein andres Zimmer gewiesen, wo die Kranke lag, der Baron und Luise um sie beschäftigt. Die Letztere wurde bei Müllersdorfs Anblick über und über roth, schlug die Augen sittsam verschämt nieder, und knixte zu verschiedenen Malen. Der Baron rennte den Eintretenden mit dem freundlichsten Gruße an und führte ihn zu Madame Bergmann.

»Auf Ihren Zuspruch habe ich gehofft,« sprach die bleiche Frau, »Sie sind heute Zeuge eines sonderbaren Auftritts gewesen; ich bin Ihnen 186 darüber eine Erklärung schuldig, aber noch mehr, ich wünsche sehnlichst einige Aufschlüsse über den Mann, dessen Anblick mir den Ausbruch eines Uebels zuzog, welches sein treuloses, abscheuliches Verfahren gegen mich hervorgebracht hat.«

Auf einen bittenden Blick des Vaters entfernte sich Luischen; Müllersdorf nahm an Constanzens Lager Platz, und sie begann: »Ihr Auge, Ihr offnes Gesicht, Ihr ganzes Wesen, Herr von Müllersdorf, sagt mir, daß ich einen edeln jungen Mann vor mir habe, der unmöglich mit der tiefen Nichtswürdigkeit eines Buben etwas gemein haben kann, den man mir Ihren Freund genannt hat. Ich beschwöre Sie, Herr von Müllersdorf, kennen Sie diesen Spangenheim oder Herrn von Reinecke näher? Legen Sie meine dringende Frage nicht für das Ergebniß weiblicher Neugierde aus.«

»Ich kenn' ihn,« versetzte Müllersdorf. »Ich weiß auch, daß er Alles das ist, was Sie ihn nennen. Aber eine merkwürdige Verkettung von Umständen hat mich hier an ihn gebunden.«

»Großer Gott!« seufzte die junge Wittwe. 187 »Ich befürchte unbescheiden zu werden, wenn ich Sie mit meinen Fragen belästige. Aber die Stimme des Herzens ruft mich dazu auf; es drängt mich, Andre zu retten aus den Schlingen dieses Teufels, in die ich selbst gefallen bin. O ich könnte Ihnen eine schöne Anzahl Menschen nennen, die dieser gleisnerische Bösewicht unglücklich gemacht hat! Auf ihm ruht der Fluch seiner armen rechtschaffenen Eltern, die Verachtung seiner Geschwister und Bekannten. Ein Tuchhändler, Namens Keyser ließ ihn studiren, weil seine Eltern, Bekannte des genannten Keyser, zu unbemittelt waren und er gute Talente an dem jungen Spangenheim entdeckt hatte. Zum Dank verführte er die einzige Tochter seines Wohlthäters, verleitete sie, ihren Vater zu bestehlen und ihm das Geld zuzustecken, und machte sich dann auf die nichtswürdigste Weise von ihr los, indem er erklärte, er werde katholisch werden. Das Mädchen härmte sich über ihr betrognes Vertrauen, den Verlust ihrer Unschuld todt; sie starb am gebrochnen Herzen, eine liebe, sanfte, herrliche Seele. Ich erfuhr ihr Schicksal leider zu spät, als auch ich schon 188 betrogen und verlassen war, aber ich konnte ihr die letzten Tage ihres Lebens noch versüßen. Spangenheims Eltern fuhren mit Kummer belastet zur Grube; er trat nicht an ihr Sterbebett. Mich hatte er zum Schlachtopfer ausersehn, ich sollte das Mittel werden, ihn zu heben. Es glückte ihm nur zu gut, mich für sich einzunehmen. Er besitzt eine teuflische Verstellungskunst. Dadurch gelang es ihm, der Liebling meines schwachen Vaters zu werden, der uns verlobte. Doch Spangenheim hintertrieb unsre priesterliche Verbindung ins Geheim, der Schändliche, während er mich überredete, ihm mein erspartes Geld und noch andres von meinem Vater zu übergeben. Plötzlich starb mein Vater, und später ist der schwarze Verdacht in meiner Seele aufgestiegen, Spangenheim habe ihn aus dem Wege geräumt. Man sagte zwar, er sei an einem Schlagfluß gestorben, ich aber habe davon nichts bemerkt. Spangenheim verließ mich und ging nach Rom. Ich war Mutter von ihm. Ich ging nach Baireuth zu Verwandten meines Vaters; dort vereheligte ich mich, nachdem ich ein todtes Kind geboren hatte. Dies 189 ist die kurze Geschichte meiner langen Leiden; aber noch viel anderes Böse hat er gethan.«

»Ich kannte Ihre Geschichte, verehrte Frau, aus seinem eignen Munde, und ich war für Sie schon eingenommen,« sagte Müllersdorf tief bewegt. »Glauben Sie mir, ich hasse diesen Bösewicht, aber ich darf es ihm heute noch nicht sagen. Zu Ihnen hab' ich großes Vertrauen; denn Sie tragen die Gestalt einer Frau, der ich stets das größte Vertrauen schenkte. Spangenheim steht im Begriff, neues Unglück zu stiften. Er hat sich in die Gunst einer gewissen Gräfin Klattau, einer Deutsch-Polin, geschlichen, die Gott weiß welche Zwecke durch sein Talent beim **ischen Hofe erstreben will, und deshalb hat sie ihm ihre schöne Nichte, die Comtesse Helene von Billaplotzsky, verlobt.«

»Um Gottes willen!« schrie Constanze auf, »ist das dieselbe Comtesse, an die – – – – die –« Sie verstummte verwirrt.

»Sie wohnt blos einige Zimmer von uns mit einem Fräulein von Grünewald,« fiel der alte Baron ein. »Wir haben sie Ihnen ja diesen 190 Morgen gezeigt, als Sie sich so angelegentlich nach ihr erkundigten. Was?«

»Ganz recht! dieselbe!« sagte Constanze. »Herr von Müllersdorf, ich flehe Sie um die Gefälligkeit an, die Comtesse zu einem kleinen Besuch bei mir zu vermögen. Bieten Sie Alles auf, sie mir bald zuzuführen; es hängt das Lebensglück mehrer Menschen davon ab, daß es schnell geschieht.« Mit einer gewissen freudigen Unruhe hing ihr Auge an Müllersdorfs Zügen, der ihr sogleich zu willfahrten versprach, sich aber erst mit jener wiederkehrenden ängstlichen Verlegenheit an den alten Hochmannsdorf wandte. »Herr Baron,« sagte er, »ich wünsche Sie einen Augenblick in einer für mich sehr wichtigen Angelegenheit allein zu sprechen, dürfte ich Sie um geneigtes Gehör bitten?«

»I Goldfreundchen,« rief der Alte schmunzelnd und warf den vielsagendsten Blick auf Constanzen, »mit dem größten Vergnügen. Wir wollen erst eine Prise zusammen nehmen, dann geht das Mundwerk noch ein Mal so gut.« Und seine große Muscheldose dem Befangenen hinhaltend, öffnete er das Nebenzimmer, jagte Luischen in die 191 Krankenstube, und begann gleich: »Na. liebster Müllersdorf, ich hoffe, Sie haben mich kennen gelernt. Ich bin ohne Umstände und kann Umstände nicht leiden. Ihr armes Sündergesicht dauert mich. Ich will Ihnen die Zunge lösen. Verliebte Leute sind schüchtern und wissen's nicht beim rechten Ende anzufassen, weil sie ihren Verstand nicht beisammen haben. Ich bin auch verliebt gewesen; zu verschiedenen Malen total verliebt; daher kenn' ich das von Grund aus. Na, ich versteh' mich aber auch auf die Verliebten. Sie sind in mein Mädchen verliebt und mein Luischen ist in Sie verliebt. Da haben wir's! Ich hab's euch beiden abgemerkt. Sie wollen das Mädel heirathen, und das find' ich in der Ordnung. Daß Sie zuerst zum Vater kommen, ist löblich. Und weiß Gott! ich bin so vergnügt, ich könnte die ganze Welt an mein ehrliches deutsches Herz drücken; denn es ist immer der stille Wunsch dieses meines Herzens gewesen, eine meiner Töchter mit einem Müllersdorf verheirathen zu können. Ist das nicht der Freude werth, daß mein Wunsch so herrlich in Erfüllung geht. Was?«

192 Sprachlos vor Ueberraschung und Erstaunen stand Müllersdorf vor dem Baron, und mochte wohl nicht das klügste Gesicht zu der Freude des alten Mannes machen; aber er war so befangen, es verließ ihn so sehr alle Ueberlegung, daß er nicht ein Mal im Stande war, etwas auf des Barons Expectorationen zu antworten. Dieser aber war weit entfernt, die ungeheuere Verlegenheit wahrzunehmen, welche sich doch deutlich genug auf des jungen Mannes Gesicht ausdrückte, vielmehr fuhr er wonnetrunken fort: »Wissen Sie was, liebster Müllersdorf, der Unfall mit der Bergmann hat uns alle zu sehr consternirt; auch muß ich mein liebes Kind erst ein Bischen auf Ihren heißen Wunsch vorbereiten, das soll nicht etwa heißen, daß sie nicht in Sie verliebt wäre; ganz verliebt, versessen ist sie, sag' ich Ihnen; aber nur des Anstands wegen. Kommen Sie diesen Abend! Sie sind mein Gast im Erdfall. Dort will ich eure Hände zusammenlegen, und da wollen wir eins trinken. Verstanden? Da wollen wir Verlobung halten. Was?«

Müllersdorf hatte den Hut genommen und 193 sich empfohlen; er war schon im Freien und wußte es nicht; sein Kopf brannte fiebrisch: die Verwicklung seines Schicksals hatte den höchsten Grad erreicht. Wo er sich hinwandte, Hindernisse, Verstrickungen, Unheil drohende Zukunft, nirgend ein Ausweg. Zuerst fuhr ihm der unmännliche Gedanke durch den Kopf, wie er war, zu fliehen und nur die von Spangenheim erhaltenen Papiere mit zu nehmen, aber gleich darauf erinnerte ihn sein edleres Selbst an Helenens gräßliches Schicksal – ach! und er fühlte in seiner Brust die heiligsten Flammen für sie lodern. Sollte er sie dem schurkischen Diplomaten überlassen! Aber furchtbar gedrängt von allen Seiten zu einem Entschluß, sollte nicht Alles verloren gehen, wofür er zeither gekämpft und was er so mühsam errungen, war er doch unfähig, einen solchen zu fassen. Er fand seine Lage so seltsam verwickelt, daß er zu glauben anfing, es müsse irgend etwas Außerordentliches sich ereignen, wenn er gerettet werden sollte, nicht ahnend, daß dies Außerordentliche schon geschehen war und das verlorne Blatt Papier bereits die feste Grundlage zum 194 Bau seiner Rettung und seines künftigen Glücks bilde.

Es war bereits Zeit zum Theater, und die schaulustige Menge strömte schon dem Musenhause zu, als Müllersdorf der Comtesse Helene ansichtig wurde, die mit dem Fräulein von Grünewald ebenfalls das Theater besuchen zu wollen schien. Mit bescheidener Höflichkeit begrüßte er sie und begleitete sie bis an das Haus. Auf ihre Bitte, mit in ihrer Loge Platz zu nehmen, da die Tante mit ihren Freunden, dem Marchese und Herrn von Reinecke, Betstunde halte und das Theater heute noch nicht besuche, trat Müllersdorf mit ein. Sie mußte es ihm angesehen haben, daß er ihr etwas allein zu sagen wünsche; denn sie schickte die Grünewald gleich darauf fort, ihr einige Erfrischungen zu besorgen. Kaum hatte sich diese entfernt, als Helene sich zu ihrem Begleiter wandte: »Wie befindet sich die Kranke?«

»Sie ist besser und läßt Sie dringend um eine Unterredung auf diesen Abend bitten; was sie Ihnen zu sagen habe, sey von der größten Wichtigkeit für Sie und Andre.«

195 »Ich verstehe,« versetzte Helene. »Lassen Sie sich nichts merken. Ich werde mich nach dem ersten Akte entfernen und nicht wiederkommen.« Eben trat die Grünewald wieder herein, ein Kellner folgte ihr mit Eis. Man unterhielt sich unbefangen; das Fräulein attachirte sich an Müllersdorf und schien es im Eifer der angenehmen Unterhaltung gar nicht zu bemerken, daß die Comtesse fehlte, oder dieser Umstand war ihr sehr angenehm. Nach dem Theater begleitete er sie nach Hause, verfügte sich dann auf sein Zimmer, und schrieb ein Billet an den Baron mit den wenigen Worten: »Ich kann heute Abend Ihr Gast unmöglich seyn: morgen um acht Uhr bitte ich Sie um einen kleinen Spaziergang, um Ihnen meine Gründe sagen zu können.« Hierauf machte er Alles zu seiner Abreise fertig, und als dies geschehen, durchstrich er noch bis in die späte Nacht die Umgegend. Bei seiner Zurückkunft übergab ihm der Kellner ein zierliches Billet. Er erbrach es und las: »Morgen früh um vier Uhr erwarte ich Sie bestimmt im Erdfall in der Gegend, wo die Quelle unter der Sphinx aus 196 dem Berge strömt. Ich habe sehr wichtige Dinge mit Ihnen zu verhandeln.

Constanze Bergmann.

Er hatte das Billet kaum aus der Hand gelegt als Spangenheim auf sein Zimmer trat, um zu erforschen, wie weit der Plan der Entführung Constanzens gediehen sey. Müllersdorf wußte weiter nichts zu erwiedern, als daß er heute bei ihr gewesen und ihr die Cour gemacht, welches auch sehr beifällig von ihr aufgenommen worden sey.

»Nun, so verfolgen Sie Ihr Ziel rasch,« sagte Spangenheim. »Ueberreden Sie sie, morgen Vormittag einen Spaziergang mit Ihnen zu machen, welches ihr sehr zuträglich seyn werde; machen Sie ihr die eklatanteste Liebeserklärung, machen Sie, was Sie wollen und was Ihnen Ihr Genie eingiebt, nur damit wir reussiren; führen Sie sie die A–steiner Straße. In der Allee vor dem Gasthofe zum Hirsch steht von neun Uhr ein Wagen für Sie bereit. Thun Sie, als mietheten Sie den Wagen, sie wird Ihnen 197 nicht abschlagen, mit Ihnen spazieren zu fahren. Ist sie erst drinne, so geht der Wagen bis E. Dort steigen Sie im Gasthofe zum halben Mond ab und geben Constanze für eine Geistesirre aus. Uebermorgen bin ich dort und benutze mir zu Gebote stehende Autoritäten, um sie einsperren oder weiter bringen zu lassen.«

Müllersdorf versprach Alles pünktlich so zu erfüllen.

»Darf ich mich unterstehen, Ihnen die Reisekosten anzubieten?« sagte Spangenheim und legte eine volle Börse auf den Tisch; der Andre nickte schweigend und holte aus tiefer Brust Athem, wie einer, der plötzlich eine große Angst los wird.

»Noch Eins!« sagte Spangenheim. »Die Depeschen für Ihren Herrn Vater siegeln Sie mir zusammen; ich werde sie Ihnen morgen abfordern. Uebermorgen mit dem Frühesten, wenn nicht schon morgen Nachmittag, geht einer von des Marchese Dienern als Staffete nach *** ab. Gute Nacht!«

198 Der junge Mann siegelte noch ein Paket ein, und legte sich dann lächelnd und weniger unruhig als früher zu Bette.

 


 


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