Ludwig Storch
Der Diplomat
Ludwig Storch

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10.

Müllersdorf hatte, nach einigen Stunden unruhigen Schlafs, mehre Stunden wieder mit Schreiben zugebracht, ohne in seiner Zerstreutheit den Mangel des gestern beschriebenen Blattes zu bemerken. Die Angst, die sich auf seinem Gesichte ausdrückte, die Schweißtropfen auf seiner Stirne, die Seufzer, die oft aus der Tiefe seiner Brust aufstiegen, alles dies zeigte deutlich von einer Art Verzweiflung, die bei jungen 164 Leuten auf unglückliche Liebe deutet. Später machte er dem Marchese Ricconi seine Aufwartung. Die Mittheilungen, die ihm der verkappte Pfaffe machte, waren keineswegs geeignet, das bedrängte Herz des Jünglings zu beruhigen; denn als er ging, verzog ein bitter wildes Hohnlächeln sein Gesicht, während sein Herz über die Nichtswürdigkeit blutete, die ihm so eben angemuthet worden war. Er nahm all seine Geistesstärke zusammen, um sich zu fassen, und List durch Verstellung zu überlisten. So traf er denn auch, als man zur Tafel blies, seinen Freund Reinecke an und begleitete denselben zum Erdfall. Beide berührten nichts gegeneinander von der Visite bei'm Marchese, überhaupt schien es, als ob eine Spannung zwischen ihnen bestehe, so freundlich sie auch zusammen thaten; Müllersdorf wenigstens fühlte, trotz seiner vielfach in Anspruch genommenen Geistesthätigkeit, aus Reinecke etwas Unsicheres heraus, was er der Reue zuschrieb, die derselbe wohl über die Expectorationen des verwichnen Abends empfinden könnte. Der redliche junge Mann ahnete nicht, daß selbst diese 165 Mittheilungen nur gemacht worden waren, ihn zu kirren und zu umstricken.

»Sie werden mir freundschaftlichst verzeihen,« sagte Reinecke auf dem Wege, »wenn ich heute meinen Platz neben dem Marchese nehme; unsre Verbindung erfordert es.«

Sie trafen den Marchesen, die Gräfin Klattau, welche Müllersdorf nicht kannte, die Comtesse Billaplotzsky und das Fräulein von Grünewald schon unter den Bäumen auf- und abgehend. Reinecke wurde vom Marchese und der Gräfin auf's freundlichste empfangen, Müllersdorf erhielt nur stumme Verbeugungen; desto freundlicher benahm sich das Fräulein von Grünewald gegen ihn, und er hatte, nur um in Helenens Nähe zu seyn und diese mit in die Unterhaltung hinein zu ziehen, bereits ein Gespräch mit ihr begonnen, als ihn ein so schmerzlicher und von blutiger Wehmuth getränkter Blick Helenens traf, daß er, durchbort und zerrissen von unseligen Ahnungen, kurz abbrach und sich zur Tafel verfügte. Das wilde Auf- und Abwogen seiner Kummergefühle drohte ihm die Besinnung 166 zu rauben, deßhalb verbeugte er sich so zerstreut gegen die Familie Hochmannsdorf, welche mit Madame Bergmann eben ankam, deßhalb antwortete er so verkehrt auf die Fragen des alten Baron und des Lieutenants von Wittenbach, deßhalb lachte er so gezwungen freundlich Luischen an, ohne sich etwas dabei zu denken, deßhalb ließ er sich so geduldig zwischen Luischen und Madame Bergmann placiren, deßhalb stieß er so willig mit der ganzen Familie an, als der Alte nach der Suppe ihm ein volles Glas mit dem von bedeutsamem Lächeln und pfiffigem Kopfnicken ausgebrachten Toast: »auf baldige nähere und innigere Verbindung!« überreichte.

Unterdessen hatten auf der entgegengesetzten Seite der Tafel, etwas weiter nach dem untern Ende derselben zu, der Marchese, neben ihm Reinecke, dann die Gräfin Klattau, Helene und die Grünewald, Platz genommen. Reinecke war mit dem Marchese in einem eifrigen Gespräche, wendete sich dann eine Zeit lang mit verklärtem Gesichte an die Gräfin, und flüsterte auch dann Helenen etwas Verbindliches zu, was von der 167 Klattau mit einem beifälligen Lächeln begleitet wurde. Helene aber sah so schmerzlich drein, und war so verwandelt, und gegen ihre frühere lebendige Heiterkeit so versteinert, daß Müllersdorf, der kein Auge von ihr verwendete, von unsäglichen bösen Vermuthungen zermartert wurde. Er sah, wie die Grünewald der Comtesse stets heimlich zuflüsterte, wie diese sich aber vom Fräulein abwendete, er sah, wie die Gräfin ihrer Nichte einen strengen Blick zuwarf, er sah endlich, wie eine helle Thräne aus ihren Engelsaugen in die Suppe herabperlte. Fast vermochte er es nicht mehr auszuhalten. Da ereignete sich etwas, welches seiner peinlichen Lage ein Ende machte. Madame Bergmann hatte auch heute wieder jene wunderbare Empfindung von gestern Abend, wenn auch nicht so stark, in ihm hervorgerufen, er fühlte sich im Gegentheil jetzt eher von ihr angezogen, als abgestoßen, und hatte, so weit es seine Stimmung erlaubte, ein Gespräch mit ihr angeknüpft, in welches sich auch das naive Luischen mischte. Plötzlich fühlte er sich krampfhaft am rechten Arm erfaßt und mit einer solchen Kraft, daß es ihn 168 schmerzte; verwundert wandte er den Kopf, es war die Hand der schönen Wittwe, er sah ihr in's Gesicht und fuhr zusammen; es war von Todtenblässe überzogen, verzerrt und entstellt, und mit starren, glanzlosen Augen blickte sie auf Reinecke, schrie mit einem verzweifelt schmerzlichen Tone laut: »Spangenheim!« und sank mit convulsivischen Zuckungen in Müllersdorfs Arme.

Dieser Auftritt gab zu allgemeiner Bewegung Veranlaß, der alte Baron war schnell aufgesprungen und der Armen zu Hülfe geeilt, Wittenbach rief fluchend: »Spangenheim! mich soll der Teufel holen, er ist's! sie hat recht! Aber was soll's bedeuten?« Charlotte und Luise schrieen laut und andre Damen stimmten ihnen bei, als sie die von den heftigsten Convulsionen verdrehten und umhergeschleuderten Glieder sahen und das Angst- und Schmerzensgestön der Kranken vernahmen. Die ganze Tafelgesellschaft hatte ihre Sitze verlassen, alles drängte um die Unglückliche herum, der Badearzt kam, ihr Hülfe zu leisten, man legte sie auf Tücher, Shawls &c. unter einen Baum. Von ihr flogen die Blicke der 169 Anwesenden auf Reinecke, der, bei ihrem Anblick heftig erschrocken, die Farbe gewechselt, dann mit sichtbarer Mühe nach Fassung ringend, sich wieder an die Gräfin gewandt hatte, um das Gespräch fortzusetzen. Aber man sah auf ihn, deutete auf ihn, flüsterte sich zu, und die Gräfin sagte endlich: »Sie sind verrathen; Ihr Name ist mehremals genannt worden. Kennen Sie das ohnmächtige Weib?«

»Ich weiß in der That nicht – vielleicht eine Bekanntschaft aus früherer Zeit, als ich noch in der Finsterniß wandelte – Gott weiß, – eine Ueberraschung, mich hier unter andern Verhältnissen zu sehen,« stammelte Reinecke, und erhob sich. Auch Helene war aufgestanden und nach der Kranken geeilt. Er näherte sich der Gruppe, zog Müllersdorf bei'm Rocke heraus, und flüsterte ihm zu: »Ich beschwöre Sie, gleich nach der Tafel einen Spaziergang mit mir zu machen!«

Die Kranke wurde gleich darauf in einer Sänfte davongetragen; die Familie Hochmannsdorf folgte ihr, die übrige Gesellschaft setzte sich 170 nieder, und auch Müllersdorf nahm seinen Platz wieder ein. Helenens Auge hing fragend an ihm; der grimme Schmerz war aus ihrem Gesichte verschwunden, ein Hoffnungsstrahl hatte ihn vertrieben und die Züge desselben wieder belebt und verklärt.

Reinecke konnte seine Befangenheit nicht los werden; der kleine Vorfall hatte den großen Diplomaten niedergedrückt und die stärksten Weine des Marchesen vermochten ihn nicht wieder aufzurichten.

Nach Tafel begab sich Müllersdorf in das Wäldchen, und Reinecke suchte ihn bald dort auf, nachdem er sich von seiner Umgebung beurlaubt hatte.

»Himmel und Hölle!« rief er, alle diplomatische Moderation vergessend, »welch ein verfluchter Streich ist mir begegnet! Ich bin außer mir! Ich habe geglaubt, der Teufel hätte mir ein Phantom vor die Augen gezaubert, um mich an der Schwelle meines Glücks zu erschrecken; aber ach! es ist kein Phantom. Diese schreckliche Constanze ist plötzlich wie aus der Erde gewachsen, 171 um mich zu verderben. Sie, bester Freund, müssen mir helfen! Auf Sie hab' ich mein ganzes Vertrauen gesetzt. Wir sind ja so innig verbunden, meine Lage erfordert schleunige und kräftige Hülfe, Sie sind der Einzige, der mir helfen kann. Sie müssen – müssen! –«

»Aber was soll ich denn thun?« fragte Müllersdorf den wildbewegten Sprecher.

»Sie müssen sich in dies Weib, in diese Constanze rasend verliebt stellen und sie entführen, heute lieber als morgen.«

»Entführen? die kranke Frau? Und wozu?«

»Aus dem Wege, mir, meinem Glück aus dem Wege! Ich könnte wahnsinnig werden, wenn jetzt – jetzt – wo alle meine Saaten so herrlich aufkeimen, von solch' einem Teufelsweibe die Blüthe derselben verhindert, vernichtet würde. Sie muß fort! Sie müssen sie fortschaffen! Sie darf nicht mit der Comtesse Helene, nicht mit der Gräfin Klattau bekannt werden, sonst bin ich verloren.«

»Aber so erklären Sie mir doch; ich verstehe von dem allen nichts. Ich habe Ihren wahren Namen von dieser Frau ausrufen hören, sie in 172 Zuckungen verfallen sehen; ich sehe jetzt Sie ausser aller Fassung, und das Sonderbarste ist, daß ich gestern Abend bei'm Anblick dieser Frau von einer ähnlichen Ueberraschung, wie Sie, befallen wurde.«

»Auch Sie?« rief Spangenheim – denn so hieß der entlarvte Herr von Reinecke wirklich. – »Sind auch Sie von dieser Hexe bethört? Hat sie's Ihnen früher auch angethan? Kennen Sie Constanzen?«

»Ich kenne sie nicht; aber ich glaubte den Geist meiner verstorbnen Mutter vor mir zu sehen.«

»Wie? lebt denn Ihre Mutter nicht mehr? Ihr Vater hat mir doch mehremals von seiner Gattin geschrieben.«

»Es ist seine zweite Frau,« versetzte Müllersdorf verwirrt. »Aber so klären Sie mich doch auf! Erzählen Sie doch!«

»Wohlan denn, ich will Ihnen so ruhig, als ich vermag, mein Schicksal mit dieser Constanze mittheilen. – Von der Entwicklung meiner Verstandeskräfte an fühlte ich mich wie zur Diplomatie geschaffen, und gewann immer mehr die 173 Ueberzeugung, in diesem Zweige des öffentlichen Wirkens einst etwas Tüchtiges leisten zu können. Es war natürlich stets mein heißester Wunsch, eine Laufbahn, die meinen Talenten und Neigungen so ganz entspräche, dereinst betreten zu können. Alle meine Schritte waren darauf hingerichtet. Bald erkannte ich die Narrheit, die Dummheit, die Schlechtigkeit der Menschen; ich sah dieses würdige Triumvirat seine eiserne Herrschaft über die ganze Menschheit erstrecken; ich sah, wie die klugen Köpfe davon Nutzen zogen und sich Macht und Reichthum erwarben. Ich glühte, dasselbe zu thun. Allein meine äußern Verhältnisse, meine bürgerliche Geburt, die dürftige Lage meiner Eltern, der Mangel aller Protection, waren Hindernisse, die mich zu dem Entschlusse zwangen, Rechtsgelehrter zu werden; doch malte mir irgend ein Schimmer von Hoffnung– ich weiß nicht woher – stets noch die Seligkeiten des Staatslebens in goldnen Träumen vor. Ich hatte noch kein Jahr auf dem Bureau eines der ersten Advocaten gearbeitet, als ich vor Ekel an diesem erbärmlichen Leben sehr krank wurde. Nur 174 der feste Entschluß, Alles daran zu setzen, um einst meiner wahrhaften Bestimmung leben zu können, rettete mich vom Tode. Mit der Gesundheit erwachte eine unzähmbare Gluth zum Wiederaufbau riesiger Entwürfe in meiner Seele. Ich wollte kein Mittel scheuen, um zum Ziele zu gelangen, und alle Fesseln abschütteln, die mich an meine elende Lage ketteten. Zu meinem Unglück war ich nämlich mit einem bürgerlichen Mädchen verlobt, ihre Eltern waren vieljährige Bekannte der meinigen. Thörigte Sinnlichkeit und jugendliche Uebereilung hatten einen Bund zu rasch geschlossen, welchen die beiderseitigen Eltern dringend gewünscht, und der sie mit Freude erfüllte, aber dessen feste Knüpfung mich auf ewig von der Bahn geschleudert hätte, die doch allein zu meinem Heile führte. Ich fühlte bald, wie wenig Emilie für mich paßte, aber unbewachte Augenblicke hatten mich näher zu ihr geführt, als unsre Kirche gut heißt, und dieser unbesonnene Schritt erweckte Rücksichten in mir, die ich gewiß thörigt genug gewesen wäre, nie aus den Augen zu verlieren, wenn mich jene Krankheit nicht 175 niedergeworfen hätte, und ich in Folge meines Entschlusses nicht jene Ausarbeitung nebst Bittschrift an den ***ischen Gesandten geschickt hätte, die er so gütig war, für meisterlich zu erklären, die seine Aufmerksamkeit auf mich zog und mir bald eine Anstellung auf seinem Bureau verschaffte. Emilie, das alberne Kind, träumte nun schon von Heirathen; meine Seele glühte aber, mich aus der untergeordneten Stellung rasch und kühn empor zu arbeiten. Auf dem Bureau lernte ich den Hofrath Ritter kennen, einen Mann von Einfluß, aber so wunderlichem Charakter, so viel Albernheit, daß nur ein Alles wagender, sich in Alles schmiegender und fügender Glücksritter, wie ich damals war, sein Günstling werden konnte. Ich gewann Zutritt in Ritters Hause, ich wurde ihm unentbehrlich. Vieles von meinem beginnenden Glücke hatte ich Ritters Pflegetochter Constanze, derselben, die Sie heute gesehen haben, zu verdanken, die ich damals für seine Tochter hielt, die es aber nicht ist, wie ich kurz vor Ritters Tode aus seinem eignen Munde gehört habe. Constanze war jung und schön, von feurigem 176 Temperament, sie vermochte Alles über ihren Vater; was Wunder also, daß ich mir viel Mühe gab, ihre Gunst zu erlangen? Vielleicht hätte ich sie sogar lieben gekonnt, wenn es mir damals überhaupt möglich gewesen wäre, etwas anders zu lieben, als das glänzende Ziel, nach welchem mich Lust und Ruhmbegierde trieben. Es war nothwendig, daß ich mich der Schlinge entledigte, die ich mir früher selbst um den Hals gelegt, damit sie sich nicht zusammenzöge und mich festhielte; ich mußte mir die sentimentale Emilie vom Halse schaffen. Es war eine verwünschte Geschichte. In der größten Verlegenheit kam mir ein guter Gedanke bei. Ich erklärte nämlich meiner Geliebten, mein geistiges Bedürfniß sowohl, als die Verhältnisse meiner Carriere, nöthigten mich, zur katholischen Kirche überzutreten, die ich für die einzig wahre halte – ich hatte nämlich schon damals gewisse Hoffnung, eine Gesandtschaftsreise nach Rom mitmachen zu können; wozu mir Ritter verholfen – und ich hielte mich für verpflichtet, ihr diesen Entschluß mitzutheilen. Da hätten Sie den Schrecken, die Thränenfluth, die Bitten, die 177 Beschwörungen und alle übrigen Versuche des Mädchens sehen und hören sollen, mich von diesem, ihrem Glauben nach, durchaus verdammlichen Schritt zurückzuhalten! Es gab einen Aufstand in meiner Familie; meine alten Eltern kamen außer sich, meine Geschwister, Emiliens Eltern, Alles stürmte auf mich ein, man beleidigte mich, verfluchte, verwünschte mich, nannte mich einen Ungläubigen, einen Freigeist, und was die Beschränktheit der Lebensansicht den albernen frommen Leuten alles eingab, und ich nahm davon schickliche Gelegenheit, mich ihrer Aller zu entledigen. Als Emilie einsah, daß Alles vergeblich war, mich von meinem Entschlusse abzubringen, so erklärte sie mir nach einigem Kampfe: ein Mann ohne Religion sei auch ohne Liebe; auch könne sie Niemand achten, der aus seiner Kirche heraus zu einer andern überträte, und daher sei unsre Trennung nothwendig. Mein Plan war gelungen; aber ich war nur frei geworden, um in andre und festere Bande zu gerathen; denn ich erreichte leider bei Constanze Ritter noch weit mehr als meinen Zweck, welches 178 mir eben so unangenehm war, als das gänzliche Verfehlen desselben. Constanze gestand mir nämlich eines Tags, als wir allein waren, ihre Neigung – ohne eine Erklärung von mir abzuwarten, zu welcher sie mich für zu schüchtern hielt – mit einer leidenschaftlichen Gluth, die mich erbeben machte. Durch dieses unerwartete, sonderbare und unweibliche Geständniß gerieth ich in eine höchst kritische Lage; zurücktreten konnte ich nicht mehr, alle meine Hoffnungen, die eben in der schönsten Blüthe standen, wären schnell verwelkt und abgestorben. Also war ich gezwungen, ihr Liebe zu heucheln, die ich nicht für sie empfand. Sie nahm meine Kälte, die ich ihr nicht wohl verbergen konnte, für naturell, und glaubte meinen Worten; sie überhäufte mich mit den stürmischen Ausbrüchen ihrer stets bewegten, liebeglühenden, nach Liebe schmachtenden Seele. Sie war ganz Gluth, ganz Sinnlichkeit, sie dauerte mich oft, aber ich konnte mich doch nicht ändern. Meine Sinnlichkeit wurde natürlich unter den heftigen Aeußerungen der ihrigen, unter Umarmungen und heißen Küssen des Mädchens 179 aufgeregt, und ohne daß ich es selbst gewollt und geahnt, erhielt unser Umgang eine sinnliche Tendenz. Oft war mir dieses Verhältniß drückend; denn schon war ich im Sekretariat des Gesandtschaftsbureaus angestellt, und ganz andre Dinge, als ein schwaches sinnliches Mädchen und fade Liebeleien, beschäftigten meine Aufmerksamkeit, alle Geisteskräfte erfordernd. Der alte Ritter sprach endlich sehr deutlich mit mir von meiner Verbindung mit Constanzen, sobald ich das Patent als zweiter Gesandtschaftssekretär in der Tasche haben würde. Die peinlichste Verlegenheit, in die mich seine Rede versetzt hatte, ließ mich nur eine kurze beifällige Antwort hervorstammeln, und Alles schien darauf in Richtigkeit zu sein. Constanze sah mich als ihren künftigen Gemahl an, und hielt jede Fessel jungfräulichen Anstandes für überflüssig. Zum zweiten Male sah ich im Geiste die schöne Blüthe meiner Hoffnungen verdorren, überglüht von demselben erbärmlichen Steppenwind der Gewöhnlichkeit – heirathen, immer nur heirathen sollte ich, und mir dadurch mein Leben verderben. Was wohl konnte 180 es mir zur Erreichung meiner kühnen Plane helfen, daß Constanze die alleinige Erbin des reichen Ritters war? Geld kann Vieles, aber doch nicht Alles. Was half es, daß sie jung, schön, feurig war? sie stammte aus keinem hochadligen Geschlechte, und ihr bürgerlicher Name drückte mich in meiner Unbedeutendheit zurück, aus der ich mich kaum etwas erhoben zu haben so glücklich war. Doch der Himmel hatte ein Einsehens mit meiner Noth, und erbarmte sich derselben gnädig, indem er den alten Ritter durch einen Schlagfluß aus dieser Zeitlichkeit, für die er ohnedies nicht mehr taugte, zu sich in die ewigen Freuden nahm. Der sterbende Mann fügte unsre Hände zusammen und entdeckte mir, daß Constanze sein Pflegekind sei, und ich an unserm Hochzeittage ihre Abkunft durch ein gerichtlich deponirtes Dokument erfahren würde. Ich bezeigte keine Lust, es zu erfahren; ich war der Fessel los und athmete wieder freier. Auch fand ich keinen Grund, mich ferner gegen Constanzen zu verstellen. Die endliche Reise nach Rom gab mir die beste Gelegenheit, mich von ihr zurückzuziehen und unsre 181 Verbindung zu lösen. Von Rom aus schenkte ich ihr reinen Wein ein. Als ich wieder nach B. kam, lebte sie nicht mehr da; ich hörte ein Mal, sie sei im Baireuthischen verheirathet.«

»Aber was hat das Alles mit der Comtesse Helene Billaplotzsky gemein, der Sie doch vorhin so ängstlich erwähnten?« fragte Müllersdorf sehr gespannt.

»Mein Himmel! diese Helene, dieser Sproß eines altgräflichen Hauses, ist ja meine Verlobte, meine Braut, ist die herrliche Staffel, auf der ich in den Himmel meines Glücks steigen will! Begreifen Sie denn nicht, daß mir diese Constanze Alles verderben kann, wenn sie mit Helenen und der Gräfin Klattau zusammenkommt und bekannt wird? Darum Hülfe! Schleunige Hülfe! und dies Höllenbild aus dem Wege!«

»Sie also sind der Bräutigam, den die Comtesse hier erwartet?« rief Müllersdorf höchlichst erstaunt.

»Ei freilich! und da mir die politische Vorsicht ein Mal gebot, hier unter einem fremden Namen aufzutreten, so benutzte ich diesen Umstand, 182 um mich Helenen, die mich nur dem Namen nach kannte, zu nähern und ihre Neigung zu erwerben, was mir freilich weniger geglückt zu seyn scheint, als Ihnen, mein Freund.« Die letzten Worte waren nicht ohne Gift gesprochen.

»Von mir haben Sie gar nichts zu befürchten,« versetzte Müllersdorf. »Ich bin mit einer sehr reichen und sehr schönen Erbin eines böhmischen Adelshauses verlobt, wie Ihnen mein Vater wahrscheinlich auch geschrieben hat.«

»O dann schwinden alle meine Besorgnisse!« rief Spangenheim. »Gestern hab' ich Helenen zuerst als Braut begrüßt; in einigen Tagen soll unsre Verlobung gefeiert werden, da wirft mir ein böser Dämon diese Constanze in den Weg. Aber Sie Einziger helfen mir das Hinderniß beseitigen; und dann mit vollen Segeln in den Hafen des Glücks! Sobald ich das Adelsdiplom in der Tasche habe, wird die reizende Helene meine Frau, die für sich arm, aber die Erbin der steinreichen Klattau ist; und daß das Diplom nicht lange ausbleibt, dafür wird Signore Ricconi schon bestens sorgen.« Hierauf legte der schlaue 183 Diplomat dem jungen Manne einen Plan vor, wie derselbe Constanzen entfernen sollte. Dieser hörte nur mit halbem Ohre darauf und versprach Alles, was jener begehrte. Als aber Spangenheim sich entfernte, um der Gräfin seine Aufwartung zu machen und etwaigem Unglück vorzubeugen, da lief Müllersdorf wie ein Verzweifelter, händeringend und tief seufzend, durch den schweigenden Hain.

 


 


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