Ludwig Storch
Der Diplomat
Ludwig Storch

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9.

Er war kaum in sein Zimmer getreten und hatte sich von dem nachfolgenden Kellner Licht geben lassen, als Reinecke, eine kleine Mappe unter dem Arm, mit der freundlichsten Geschmeidigkeit grüßend, über die Schwelle schritt.

»Wissen Sie schon, daß der Marchese Ricconi diesen Abend gekommen ist?« fragte er.

»Noch nicht. Haben Sie ihn schon gesprochen?«

»Ich komme so eben von ihm. Er erwartet morgen Ihren Besuch. Auch habe ich heute Briefe von *** erhalten. Neue Verhaftungen sind dort vorbereitet, und es wird nöthig seyn, daß Sie die vollständige Liste aller Verbindungszweige schnell an Ihren Herrn Vater besorgen, damit nicht die Rädelsführer und Hauptleute der Verschwörung gewarnt dem strafenden Arme der Gerechtigkeit entgehen.«

»Sobald ich alle Ihre Papiere habe, werde ich selbst reisen, und mit Courierpferden nach W. fliegen.«

127 »Dies scheint nicht im Plane Ihres Herrn Vaters zu liegen, wie aus seinem Briefe an mich hervorgeht, noch wünscht es der Marchese. Der Letztere glaubt Ihnen eine vortreffliche Carriere am Hofe des Herzogs A. von Z. eröffnen zu können, oder er ist vielmehr fest überzeugt, daß sich Niemand zum Busenfreunde des Herzogs besser schicken werde, als Sie, und er hat Ihnen diese glänzende Stelle zugedacht. Der Herzog ist ein prachtliebender, sehr gebildeter, äußerst belesener Fürst, selbst genialer Dichter, Kunstkenner, ein trefflicher Humorist und angenehmer Gesellschafter. Sie werden stets um seine Person seyn, sich seines nächsten und innigsten Umgangs zu erfreuen haben.«

»Und Ihre Papiere?« fragte Müllersdorf mit angstbeklemmter Stimme.

»Schicken Sie morgen mit einem Courier an Ihren Vater.«

»Morgen schon?«

»Die Sache drängt; Eile thut noth, und je eher, desto besser.«

»Es wäre doch weit gerathener, ich machte 128 die Reise selbst. Sie sind stets so vorsichtig und jetzt wollen Sie diese höchst wichtigen Papiere einem fremden Menschen anvertrauen, der sie meinem Vater bringen soll. Eh' Herzog A. aus Karlsbad heimkehrte, wäre ich wieder hier.« Diese Worte waren mit so auffallender Aengstlichkeit gesprochen, daß Reinecke stutzig wurde; zum Glück ahnete er aber den wahren Grund der starken Gemüthsbewegung des jungen Mannes nicht, sonst würde er ihm schwerlich die Papiere überlassen haben. Beruhigend antwortete er: »In dieser Hinsicht machen Sie sich keinen Kummer. Einer von des Marchese Leuten macht die Reise.«

»Aber muß es denn seyn? Müssen denn alle diese edlen jungen Männer vernichtet werden, durch den Eishauch der Macht?« rief jetzt Müllersdorf von seinem überwallenden Gefühl weit über die Ufer der Mäßigung und Besonnenheit hinausgerissen.

Reinecke maß ihn einige Augenblicke mit dem höchsten Erstaunen, bis er in die Worte ausbrach: »Was fällt Ihnen ein? Sprechen Sie in Fieberhitze?«

129 Müllersdorf hatte sich gemäßigt, und fuhr fort: »Wir sind jetzt unter uns, Mann gegen Mann, Freund dem Freunde gegenüber, Sie ein anerkannt geistreicher Mann, in den Geschäften bewandert, mit unserm Staatsleben bis in seine kleinsten Adern wohl vertraut, ich der Sohn eines mächtigen Staatsmanns und bestimmt, den Grundsätzen der Stabilität, welchen mein Vater huldigt, zu folgen; sollte es mir nicht vergönnt seyn, meine Ansichten über jenes Ihnen bekannte Staatsleben als Mensch gegen den vernünftigen geistreichen Menschen auszusprechen, ohne befürchten zu müssen, daß derselbe etwas Geistloses in Schutz nehme?«

»Immerhin, reden Sie! Ich werde den jungen unerfahrenen Freund in Ihnen hören, und Ihnen als erfahrner Freund antworten.«

»Ich denke, die Erfahrung hat mit den abstracten Lehren der Philosophie und Staatsweisheit nichts zu thun.«

»Verzeihen Sie! die Staatsweisheit hat nichts mit abstracten Lehren zu thun, sondern allein mit rein concreten Dingen.«

130 »Aber die Philosophie, darunter verstehe ich jetzt die Ausbildung der menschlichen Vernunft nach ihren eignen in ihr uranfänglich begründeten Gesetzen, nachdem dieselben ausgemittelt worden sind, und die daraus abstrahirten Lehren über alle Gegenstände der irdischen Welt, diese Philosophie ist die einzige Lehrerin der Menschheit, sie ist die Erzieherin des Geschlechts und die Leiterin des in ihm und allen Geschlechtern liegenden Triebes nach Verbesserung, nach vorwärts schreitender Entwicklung, nach Vervollkommnung in idealer und materieller Hinsicht. Die Religion ist nur die Amme des Menschen; sie reicht ihm zur Stärkung und Erhaltung die himmlische Milch ihrer Brust. Unser angebornes, innerstes, heiligstes Gefühl, unsre Vernunft, Philosophie und Religion, alle sagen uns, daß Vorwärtsschreiten Lebensbedürfniß des Menschen, daß Stillstand schon Rückschritt ist, und daß durch eine verkehrte Folge der Geist vertrieben wird und die todte Form bleibt. Es ist klar, die Menschheit entwächst der Vormundschaft, wie der einzelne Mensch. Die alte Welt mit ihren Göttern und Fabeln, ihren 131 Königen und Helden, ihren großen, wunderbaren Kämpfen und traumhaften Märchengebilden, was war sie anders als die süße, liebe Kinderzeit der Menschheit, die Zeit, welche am Fabelhaften und Außerordentlichen mit kindlichem Vergnügen hängt? Da bedurfte die kleine Märchen bildende, Märchen lebende Menschheit gar starker Führer, und Alexander und Cäsar und die gewaltigen Könige und Kaiser, die Volksführer und Consuln, die Machthaber und Dictatoren waren da recht an ihrem Platz. Das Mittelalter ist die Jünglingszeit. Mit der Kraft in der Brust erwachte die Liebe, und die erste Liebe ist nicht ohne Schwärmerei, daher Kampf und Minne, überhaucht vom rosenfarbnen Dufte der Romantik. Eine liebende Mutter wacht noch über des Jünglings oft thörigten Schritten; ihr stammelt er seine Wonnen vor, ihr klagt er seinen Schmerz, ihr bekennt er seine Fehler; sie übt mütterliche Gewalt über ihn aus. Es ist die Mutter Kirche. Da bedurfte er auch eines Vaters, eines Lenkers auf ruhmwürdige Wege, damit ihn der Drang nach Kampf nicht falsche Straßen führe, eines mächtigen 132 Beherrschers des unstäten, unsichern Jünglingswillens, eines gewaltigen Herrn, der den Träumer zuweilen aus den süßen Liebesträumen zu Kampf und That emporrüttele. Und der Vater, der Lenker, der Beherrscher, der gewaltige Herr, das war das Kaiserthum, das Königthum des Mittelalters, und ein Karl der Große, die Ottonen, die Hohenstaufen waren die rechten und tüchtigen Väter der Jünglingswelt. Doch die Mutter verlangte zu viel Herrschaft über den Jüngling, schier mehr als der Vater, beide kamen in Streit, und die Mutter siegte mit Weiberlist, bis der Jüngling, zu Verstand gekommen, sich selbst gegen ihre ungebührliche Herrschaft auflehnte. Da erblicken wir schon hie und da das Streben, sich loszureißen von kirchlicher und weltlicher Gewaltherrschaft; aber der Jüngling war noch nicht fest und männlich genug, sein Streben beruhte nicht auf Bedürfniß und Ueberlegung, sondern entsprang aus einem auflodernden Eifer, der von keiner Consistenz und Dauer war. Die Uebergangsperiode vom Jünglings- in das Mannsalter ist durch starke Kämpfe bezeichnet, wie alle 133 Uebergangsperioden in der Weltgeschichte. Zuerst drückt den jungen Mann die schmähliche Fessel der Mutterherrschaft, der Weibergewalt, er kämpft ein halbes Jahrhundert gegen sie, die Welt wird zerrüttet und erschöpft ob des grausamen Kampfes, und die Jünglingskraft wird so geschwächt, daß, als sie sich endlich der Muttergewalt glücklich entzogen, sie aus Ohnmacht und Erschöpfung die jetzt um so willkührlichere und despotischere Gewalt des Vaters ertragen muß. Ruhig erduldet der kranke Jüngling es auch, wenn ein würdiger, edler, großer Mann die Vaterstelle ausfüllt, wenn nicht zu verkennen ist, daß der weise Vater es gut meint mit dem männlich gewordnen Jünglinge, daß der Vater nicht durch eigensinnigen, rohen Despotismus, durch Machtbefehle, wie man sie unverständigen Kindern giebt, die noch keine Einsicht in ihr Wohl und Wehe haben und ihre Handlungen noch nicht nach den Gesetzen der Vernunft einrichten können, den verständigen, von hohen Einsichten, heiligen Gefühlen und dem Bewußtsein seiner Kraft und seines Werthes erfüllten jungen Mann reizt, beleidigt und tief 134 in der Seele verwundet, kurz, wenn man einsieht, daß der Vater den Geist des Sohnes verstanden hat, und ihn nur leise und kaum bemerkbar leitet, wo jener vielleicht im noch nicht ganz gedämpften Jugendfeuer fehlt und strauchelt. Solch ein Vater seiner Zeit war Friedrich der Große; er verstand den Sohn, und der Sohn gehorchte dem Vater. Aber die leidige Existenz allzu schwacher Väter führte dem Jünglinge gar bald die feste Ueberzeugung vor die Seele, daß er ein Mann, ein verständiger, selbstständiger Mann, der Vater aber, der gute Vater, ein schwacher Greis geworden sei, der jedoch, in dem Verhältnisse, wie sein Geist und Körper an Kräften abnehme, noch in alter kindischer Eitelkeit und affectirter Willensbeharrlichkeit die Herrschaft über den männlichen Sohn unbeschränkt und mit gleicher Willkühr ausüben wolle, wie er sie einst über das Kind und den Knaben geübt. Der Mann lächelte und ließ den Greis aus kindlicher Liebe und Gewohnheit sein Wesen treiben, so wie er ja auch die uralte kraftlose Mutter noch zuweilen keifen ließ, wenn ihre Lunge es erlaubte, und 135 ihr den Schein von Macht, in dem sie vegetirte, gern gönnte. Soll der Mann ferner in den Verhältnissen leben, in welchen sich das Kind einst glücklich befand, oder müssen sie seinen Jahren angemessen werden? Sagen Sie?«

»Ich habe Sie mit allem Fleiße ausreden lassen und nicht ein Mal unterbrochen,« nahm jetzt Reinecke das Wort, der ruhig auf dem Sopha gesessen und dem eifrigen Sprecher mit gespannter Aufmerksamkeit bis zuletzt zugehört hatte. »Sie werden mir erlauben, das Recht, welches ich Ihnen freiwillig zugestanden, nun auch für mich in Anspruch zu nehmen. Zuerst muß ich Ihnen das Compliment machen, daß Ihr Vergleich schön und poetisch war; aber ›aller Vergleich hinkt‹, ist ein uraltes Sprichwort; der Ihrige ist nicht ausgenommen. Es liegt zu weit außer meinem Zwecke, mich auf Ihre Kindes- und Jünglingszeit einzulassen; Sie haben unsre Zeit zuletzt den mündigen Mann genannt, d. h. mit andern und erklärenden Worten: den einsichtsvollen, verständigen, sich seiner rechten Einsicht und seines klaren Verstandes wohlbewußten 136 Mann, der mit der Einsicht den guten Willen verbindet, und den Willen durch kräftige That unterstützt und ausführt. Ein solcher Mann bedarf allerdings weder einer Mutter, noch eines Vaters, noch endlich gar eines Vormundes zu seinen Handlungen. Lassen Sie uns zusehen, wie Ihr Vergleich auf unsre Zeit paßt. Wenn wir von unsrer Zeit reden, so haben wir's, um umständlich deutlich zu seyn, mit den jetzt lebenden Menschen zu thun. Diese Menschen sind verschieden nach Geschlecht, Alter, Stand. Lassen Sie uns jede Klasse nach ihren Abtheilungen durchgehen, und den Geist jeder einzelnen erforschen, um daraus ein Gesammtresultat zu ziehen, und dieses dann neben Ihren Vergleich zu halten, damit wir sehen, wie ähnlich oder unähnlich es ihm ist. Ich werde dabei auch die Frauen nicht aus dem Auge lassen, obgleich man ihrer in der Regel bei solchen Gelegenheiten nicht erwähnt; aber ein kluger Diplomat weiß die Rolle, die sie in der Welt spielen, nach ihrem vollen – wenn auch meist versteckten – Werthe zu würdigen. Lasse Sie uns aber mit den Ständen beginnen 137 und die Kategorien Geschlecht und Alter diesem Begriffe, als von uns angenommenem Hauptbegriffe, unterordnen. Wir theilen die Masse demnach in Adel, Geistlichkeit, Bürger und Bauer. Den Adel theile ich in Hof- und Fürstendiener, in reiche Lehnsträger und Güterbesitzer, und in denjenigen Adel, der Staatsämter bekleidet. Unter Geistlichkeit ist katholische und protestantische wohl zu unterscheiden; während die erstere selbstständig ist, sind die Individuen der letztern eigentlich nur Staatsdiener. Unter Bürgern ist wieder ein großer, vielleicht der größte Unterschied. Denn hier steht die ungeheuere Masse der Staatsdiener und Besoldeten, der handel-, gewerbe- und ackerbautreibenden Klasse gegenüber. Aus allen diesen Ständen, die Geistlichkeit ausgenommen, ist das Militär gebildet, und macht einen Stand für sich aus. Der Bürger- und Bauernstand ist der Natur der Dinge und der menschlichen Vernunft gemäß der Hauptstand im Staate, obgleich er nicht dafür gilt; Handel, Gewerbe und Ackerbau sind die drei Träger des Staats, ihretwegen ist eigentlich der Staat da, der Fürst ist da, sie zu 138 regieren, d. h. im eigentlichen Sinne: lenken, leiten, zu den besten Zwecken hinführen, und sie nicht, um sich vom Fürsten regieren, d. h. im falschen, despotischen Sinne: aussaugen, schwächen zu lassen. Der handel- und gewerbetreibende Bürger und der Bauer sind der Vernunft nach die Hauptpersonen, auf ihren Geist kommt alles an; ist er reif, mündig, stark, sich seiner Kraft und Herrlichkeit bewußt, so ist unbeschränkte Monarchie Despotismus und Alles ist in unsern Staaten, wie Sie behaupten, verkehrt und schlecht. Fassen wir drum den Geist des Bürgers näher in's Auge, und gestehen Sie mir offen, ob ich Wahrheit rede, wenn ich diesen Geist näher zu bezeichnen unternehme. Was dem Beobachter zuerst und vorzüglich in die Augen springt, ist das verzweifelt lächerliche und bis zur ekelhaftesten Abgeschmacktheit getriebene Drängen des Bürgerstandes in die höhern Stände und die damit verbundene Vergnügungssucht. Der Bürger sucht keineswegs mehr, wie sonst, seinen Ruhm und seine Lust in der dauerhaften Güte seines Händewerks; nein, er sucht eine eitle Ehre darin, für 139 mehr zu gelten, als was er zu seyn scheint, nämlich ein ehrlicher, braver Handwerker, er ist sich der hohen Bedeutung, der ersten Stelle keineswegs bewußt, welche der Bürger im Staate einnimmt; er will es an Kleiderpracht, an Aufwand und Modethorheit dem Adligen gleich thun, aber er spielt den unterthänigen wedelnden Hund bei diesem; er schätzt es sich für die größte Ehre, irgend eines Umgangs, und sollte es sogar ein sehr demüthigender seyn, von den sogenannten vornehmen Leuten gewürdigt zu werden; er kleidet seine Töchter, wie Pariser Modedamen, er schickt sie in Institute unter die Töchter der höhern Stände, er läßt sie Französisch plappern lehren und ist entzückt, wenn sie irgend Unsinn über eine Rossinische Oper, deren Ouvertüre sie dürftig auf dem theuer erkauften Flügel klimpern, schwatzen und Göthe tadeln und langweilig finden, und von Byrons wüster Zerrissenheit sich angezogen fühlen. Seine Söhne läßt er nicht etwa ein gutes Handwerk, das nach der alten Lebensweisheit einen »güldnen Boden« hat, lehren, Gott bewahre! das wäre ja eine Schande. Sie müssen 140 studiren, Jäger, Kaufleute, Apotheker oder sonstige Künstler, als Musiker, Maler, Schauspieler werden. Es wird nicht gefragt, ob sie Beruf zu der Kunst oder Beschäftigung haben, der sie ihr Leben weihen sollen; es geschieht ja nur, um vornehmer zu werden. Daher die Schaaren mittelmäßiger Köpfe unter unsern Candidaten der Theologie, der Jura, der Medicin, die mit übermäßiger Anstrengung sich die Formen in den engen Kopf gezwängt, um die Examina zu bestehen, und hernach den Behörden, deren oberste Stellen meist mit Adligen besetzt sind, den Patronen, Protectoren, Gönnern und sonstigen vornehmen Leuten, vor den Füßen herumkriechen, Speichel lecken, Achsel tragen, Maul schwatzen, Hofiren, sich niederträchtig behandeln, zu allen Schlechtigkeiten brauchen lassen, die Machthaber noch auf Schliche und böse Wege zur Befriedigung sinnlicher Begierden und rohen Egoismus aufmerksam machen, woran diese von selbst vielleicht gar nie gedacht, um sich nur Gunst zu erwerben, einzuschmeicheln, und endlich ein dürftiges Dienstchen zu erschnappen. Wären diese Leute ehrliche und 141 regsame Handwerker geworden und hätten nur diejenigen aus ihrer Mitte, denen der Schöpfer die Seele mit dem Aetherstrahl des Genies erhellte, jene höhere Bahn wandeln lassen, zu welcher sie berufen sind, sie hätten sich die Würde der Menschheit unbefleckt erhalten, sie könnten das Haupt aufrecht tragen und fühlten ihre Brust vom edelsten Bewußtsein geschwellt. Die Hauptschuld dieses kleinlichen elenden Unwesens liegt an den Frauen. Diese Bürgermodeweiber tragen in der Dummheit ihrer Lebensansichten den ersten Keim zur Verderbtheit der Zeit. Ihre Götter sind Luxus und Vergnügen, und ihre Töchter erziehen sie in diesem Götzendienst mit Eifer und Treue. Ach, es ist nichts Ekelhafteres, als solch' eine halbgekochte, sentimentale, kokettirende Bürgersfrau, während es nichts Schöneres und Anziehenderes giebt, als eine würdige, bescheidene, thätige, ihrem Haushalte mit Verstand vorstehende Bürgersfrau. Aber die Männer sind schwach; denn Schwachheit, nicht Stärke, ist die Farbe des Jahrhunderts, die Männer sind mit ergriffen vom Fieber der Vornehmthuerei, und während 142 die Frau, wenn sie noch jung und hübsch ist, einem vornehmen adligen Galant Gehör giebt, stolz und beneidet, kriecht der Mann vier und zwanzig Jahre später vor den Füßen des Präsidenten, Oberkammerherrn, Hofmarschall, um dem Candidaten Juris, dem Sohne seiner Ehehälfte, der vielleicht diesem Präsidenten &c. sein Leben verdankt – denn der Gnädige war sonst als Auscultator, Kammerjunker &c. der Anbeter der guten Frau – ein elendes Dienstchen zu erschmeicheln. Das sind nun unsre modernen, wohlhabenden Bürger; die alten sind in spießbürgerlichen Vorurtheilen, reichsstädtischen Abgeschmacktheiten und stabilen Kleinigkeiten so eingefroren, daß nur der Tod sie loseisen kann. Der unbemittelte Bürger ist zu sehr von künstlicher, durch Sperren, Mauthen, Abgaben &c. hervorgebrachten Nahrlosigkeit gedrückt, daß ihm die Sorge für das tägliche Brot alles Interesse für die öffentlichen Angelegenheiten raubt. Der wüthende Druck der Armuth, die mehr und mehr über Hand nehmen muß, weil die Nahrungsquellen immer mehr vertrocknen, würdigt den Menschen 143 fast zum Thiere herab. Der Bauer wird vom Feudalwesen geistig niedergehalten, und verschmäht mit ärgerlicher Hartnäckigkeit jedes Mittel zur Verbessrung. Stumpfsinn und Kleinigkeitsgeist sind die Elemente seines Wesens; das jüngere Volk ist unzüchtig und vergnügungssüchtig gleich dem Städter.

Springen wir hier zu den Kaufleuten und Krämern und endlich zu den Beamten über! Kann man irgendwo etwas Erbärmlicheres finden, als den deutschen Krämerdünkel? Was salbadert solch ein Gewürzhändler den ganzen Tag zu Hause und in Gesellschaft über die trivialsten Dinge, über die wesenlosesten, unbedeutendsten Kleinigkeiten, die am Ende alle darauf hinauslaufen, daß die Frau des Bierbrauers A. einen schönern Shawl besitzt, als seine Frau, daß das naseweise Töchterchen des Sekretärs B. auf dem Balle mehr Tänzer hatte, als seine eigne, daß der Bürgermeister ein schlechter Kerl sei, weil er ihm in der letzten Rathssitzung nicht die gebührende Ehre angethan, und was dergleichen endloser, kraftloser, saftloser, aber doch dünner, miserabler 144 Wasserbrei mehr ist. Oder glauben Sie die liebe hoffnungsvolle Jugend von einem bessern Geiste beseelt? Betrachten Sie sich doch diese winzigen, windigen Bürschlein, die mit Elle und Wage handthieren! In sich selbst verliebte Gecken, äffen sie in Kleidung, Gang, Ziererei und Narretei die englischen gentlemen und fashionables nach. Welch andern Gedanken hat solch dummer Junge wohl im Kopfe als sein werthes Ich? Wie trägt er nur sich überall zur Schau! Wie sucht er einen Ruhm darin, der größte Zieraffe zu seyn! Und sehen Sie doch, wie die ganze Stadt den lieben, süßen Jüngling anstaunt! Wie alle Frauenherzen ihm zufliegen! Wie man die glückliche Jungfrau beneidet, der er einen holdseligen, schmachtenden Blick schenkt, die er im rauschenden Tanze an sein großes Herz schließt! Er ist der Gegenstand des Damengesprächs, seine Worte werden referirt und bewundert, sein Anzug gemustert und belobt, sein Anstand, seine Bildung gepriesen; man rühmt es, daß er Claurens Werke angeschafft, in Maroquin gebunden mit Goldschnitt verziert und den Damen leiht; man findet, 145 daß er sich nach den Kraftgestalten dieses großen Dichters gebildet. Er gilt dem ganzen jüngern Geschlecht als sonnlich vorleuchtendes Beispiel. Er ist der Gott des Tags.

»Wir wenden uns von diesem ekelhaften Bilde und treten in die Häuser der Beamten. Die laue, kraftlose Mittelmäßigkeit des Geschäftslebens hat ihre schmutzgraue, unscheinbare Fahne zum Fenster herausgestreckt. Betrachtet sich etwa einer dieser Menschen, dieser Maschinenköpfe, als Diener des Staats? Schon dieser einzige Gedanke würde den Mann aus seiner schläfrigen Erbärmlichkeit herausreißen. Sein Aemtchen hat er durch Gunst erbettelt, erschlichen, was Wunder, wenn er der Knecht, der Spürhund seines Gönners, seines Obern bleibt? Wie tief bückt sich der Schreiber vor dem Revisor, wie unterthänig krümmt sich der Revisor vor dem Sekretär, wie zieht der Sekretär mit unterthänig grinsendem, hoffirendem Lächeln den Hut vor dem Rath, wie scherwenzelt und leckt in tiefster Unterwürfigkeit, um Gunst und Gnade bittend, der Rath vor dem Minister! Und der Minister gewährt lächelnd, schlägt 146 freundlich ab, ist huldreich. Der Rath aber behandelt den Sekretär mit Impertinenz; der Sekretär den Revisor mit Insolenz, der Revisor den Schreiber mit Stupenz. So beleckt und despotisirt sich dies Lumpenvolk unter einander. Kein großer Gedanke zittert durch die mit schwerem, dichten Nebel erfüllten Köpfe dieses mattherzigen Haufens, dieser Machwerke Gottes, als er schläfrig und ermüdet war nach der Schöpfung der Napoleone, Kante, Schiller. Sie sind wie ein gewöhnlicher Gedanke, bis zum Ekel in hundert preciösen Formen wiederholt, sie sind wie die französischen Lustspiele, haben einen brillanten Schein, sind aber mattherzig und kraftlos und haben alle eine Physiognomie, die von so wenig Eigenthümlichkeit ist, daß man sie in der nächsten Minute schon vergißt, nachdem man sie zum hundertsten Mal gesehen hat. Betrachten Sie sich diese »Besen, Besenmänner, die der vorwitzige Lehrling des Meisters« schuf, die gespalten sich verdoppeln und Wasser tragen, immer Wasser in den ekelhaft wässrigen Kessel unsrer Staatsgeschäfte, und aus welchem die Gesetze, die heilsamen Verordnungen für »des 147 Volkes Wohl« als Dünste emporsteigen, betrachten Sie diese Leutchen nun in ihren häuslichen Kreisen. Das alte Lied: Vergnügungssucht, Luxus, Egoismus, Streben nach sogenannter Vornehmheit, Kleinigkeitsgeist, Frauenherrschaft, alle Nuancen liebenswürdiger Nichtswürdigkeit. Die widrigen – o bis zum tiefsten Ekel erbärmlichen Frauen schließen sich in Kasten ab, und üben mit der Schärfe ihrer Zungen ein wahres Terroristengericht über alles, was noch edel und groß aus dieser Jämmerlichkeit hervorragt. Vom Adel und vorzüglich von den adeligen Frauen verachtet und über Achsel angesehen, rächen sie sich, gleich ihren Männern, für diese erfahrne Unbill, an den Frauen der gewöhnlichen Bürger, Handwerker &c. und treiben die Klatscherei, Verläumderei, Hetzerei nach Privilegien. Da haben Sie denn das getreue Bild dieser Bürgerkanaille. Die unausstehlichsten Exemplare darunter sind die sogenannten Geldaristokraten, meist aufgeblasene, hohlköpfige, flegelhafte Menschen, die ihren Mammon oft mit Lug und Trug, Schelmerei und Betrügerei, Wucher und Schinderei zusammen getrieben, die mit ihrem 148 Dreibätznerverstand alles verachten, alles übersehen, aber mit lächerlicher Unverschämtheit von Allen Reverenz und Scherwenzelei verlangen. Und zollt ihnen nicht etwa das breiweiche, lauwarme, wassersuppige Volk den begehrten Tribut? – Sagen Sie, Freund, hab' ich recht gezeichnet oder nicht?«

»Sie haben leider recht gezeichnet, wenn auch mit allzuschwarzen Farben ausgemalt, und zu stark aufgetragen,« versetzte Müllersdorf seufzend und stark abgekühlt von der Glut seiner Begeistrung.

»Gut denn!« fuhr Reinecke in seiner eisigen Kälte fort. »Was ist dies Volk werth? Regiert, tyrannisirt zu werden, oder selbst zu regieren, zu tyrannisiren? Würden Sie das Regiment lieber in der Hand eines unsrer Fürsten, samt seinem Adel, der, wie wir gleich hören werden, noch vieles vor der Erbärmlichkeit des Bürgers voraus hat, oder in den Händen solcher Schildbürger, Schöppenstädter, Böotier, solcher ekelhaften Kleinigkeitskrämer, solcher von stinkendem, windigem Egoismus aufgeblasenen Geldaristokraten 149 wünschen? Können Sie sich denken, daß ein reichgewordener Fleischer, den Wanst voll Fett und den Kopf voll Dummheit, das Präsidium in der Republik führte; er würde ja mit seinem Beile wegräumen, was seiner Frau nicht anstände, den Kaufmann, dessen Frau sich nicht genug vor ihr beugte, die Bäckersfrau, die sich eben so viel dünkte! O über all das Misere! –

»Doch wir haben den Bauernstand mit Armuth und Dummheit, den Bürgerstand, außer Armuth und Dummheit, mit Hochmuth und Kriecherei, Prahlerei und unterthäniger Demuth gestempelt gesehen; lassen Sie uns nun den Adel betrachten! Durch Geburt, Reichthum, angeerbte Rechte in den Genuß äußerer Vorzüge gesetzt, wird es den bessern Köpfen des Adels – und er ist gerade nicht arm daran – gar bald leicht, einzusehen, wes Geistes Kind dies Bürgervolk ist. Wollen Sie verlangen, daß er die ihm angebornen Rechte, – so vernunftwidrig sie immerhin sind – aufgebe und jenen elenden Menschen abtrete? daß er verrückt wäre? Wäre der Bürger stark genug, mit Muth und Beharrlichkeit zu 150 fordern, was ihm gebührt, der Adel würde nicht lange die Kraft haben, es ihm zu verweigern. Während also der Adel gezwungen ist, mit Verachtung auf das Bürgerthum herabzusehen, das sich ja selbst unter einander verachtet und verhetzt, lebt er, der Adel unter sich selbst im besten Vernehmen. Die Leute halten beisammen, weil sie ein gemeinsames Interesse haben. Der Bürgerstand sollte sich eine Lehre daraus ziehen, ein Beispiel daran nehmen. Ihr Interesse ist, die lang genossenen Vortheile sich ferner zu sichern und die Formen aufrecht zu halten, die sie zum Herrn der Völker machen. Glauben Sie denn, andre Adlige sähen nicht so gut, wie Sie, ein, daß ihnen diese Rechte nicht gebühren, daß sie durch Genuß dieser Particularrechte den allgemeinen Menschenrechten Hohn sprechen? Aber wollen Sie denn dem Adel darum verdenken, wenn er, trotz dieser Einsicht des Unrechtes, sich dennoch seine Vortheile zu wahren sucht? Der Fürst ist der Träger dieser Rechte, der Beschützer dieser Vortheile, was Wunder, wenn der Adel sich um den Fürsten drängt, und ihm weiß macht, er sei der Beschützer 151 des Fürsten? Was Wunder, wenn man die adligen Herrn als Hofschranzen katzenbuckeln, als Kammerherrn vor Prinz und Prinzessin kriechen sieht, dieselben Herrn, die eine Stunde vorher vielleicht ein Gesetz für den Staat geschaffen, oder wenigstens den Namen dazu hergegeben, oder das Amt eines Censors über die herrlichsten Gedanken eines Genies, das für die Verbesserung der Welt geschrieben, ausgeübt, und die besten Stellen daraus gestrichen? Das Institut des Adels ist längst veraltet; die Nachkommen besitzen die Kraft der Väter nicht mehr; das Alles geb' ich Ihnen zu; aber sie sitzen im Vortheile und sind noch immer klug genug, sich denselben zu sichern. Sie sind groß, weil die Andern klein sind. Unter einer Reihe Maulwurfshügel ist ein Düngerhaufe ein Berg. Die adligen Frauen nun vollends sind von dem horribelsten Dünkel besessen; sie haben zehntausend Teufel der Eitelkeit, des Hochmuthes, Stolzes, der Aufgeblasenheit, Klatschsucht und Niederträchtigkeit im Leibe, und sitzen, wie Minos und Rhadamanthus in der Unterwelt, mit unerbittlicher Strenge zu Gericht, alles verdammend, 152 was kein »von« vor seinen Namen kleckst. Dennoch ist unter dem Adel noch die meiste Bildung, die beste Lebensweisheit, die größte Schlauheit; die Fürsten sind an den ihnen huldigenden Adel gewöhnt, der Bürger ist zu schlecht, als daß der Fürst populär werden könnte. In Summa: die Farbe des Adels ist also Kriecherei gegen die Fürsten, Hochmuth gegen den Bürger, gesellige Verträglichkeit unter sich. – Hab' ich recht gezeichnet, mein altadliger Freund?«

»Sie haben recht gezeichnet, und dies Mal nicht zu stark aufgetragen!« versetzte Müllersdorf.

»Ich werde mich nun kurz fassen können; denn wir haben es nur noch mit dem Priester- und Soldatenstande zu thun. Die höhere katholische Geistlichkeit besteht größtentheils aus Adligen, und hat mit diesen gemeinsame Interessen. So wie der Weltliche von Adel wünscht und trachtet, sich seine Vortheile im Staate zu sichern, so wünscht und trachtet der Geistliche von Adel, seine reichen Pfründen in der Kirche zu behaupten; und so lange sie ihm Niemand nimmt, wird er sie behaupten. Es wird sie ihm aber Niemand 153 nehmen; denn die Welt ist zu kraftlos, und ein zweiter Napoleon wird schwerlich geboren. Ein kluger Kopf wird dem Besitzer nicht verdenken, wenn sich derselbe in seinem Besitzthume zu behaupten sucht, sey dieses nun vernunftgerecht oder vernunftwidrig. Von der niedern katholischen Geistlichkeit kann hier gar nicht die Rede seyn, sie besteht aus den Ausfüllsteinen des großen Gebäudes.

»Die protestantische Geistlichkeit hat neben dem Lehramte auch das Bildungsgeschäft; sie ist aus dem Bürgerstande, meist aus dem niedrigsten, hervorgegangen, und hat deßhalb selbst wenig Bildung; aus Furcht das Aemtlein, in dem man so behaglich faullenzen kann, zu verlieren, predigen und lehren die Herrn Pastoren, was man von oben her gern sieht. Das Militär endlich ist erst die wahre und dauerhafteste Stütze der Fürstengewalt. Der Bürgers- und Bauerssohn läßt sich willig zur Maschine des gemeinen Soldaten herabwürdigen; der Offizier ist von Adel. Großer Gott, und welch ein Geist ist unter diesen Offizieren! Worte reichen nicht hin, die 154 Nichtswürdigkeit desselben klar zu machen. Gibt es wohl im weiten Kreise der physischen Schöpfung etwas Abgeschmackteres, Alberneres, Unausstehlicheres, als solch ein neugebackener Lieutenant. O wie entzückend lächerlich sind diese Drathpuppen in den ersten fünf Minuten! wie langweilig sind sie in den zweiten! wie eckelhaft in den dritten! wie unausstehlich-widrig in den vierten! Dies Volk in bunten Farben hat keinen Begriff vom Staate.

»Hier, mein Freund, haben Sie das versprochene Bild unserer Zeit. Es bleibt mir nur noch übrig, der Ausnahmen, der ruhmvollen Ausnahmen von diesem schwarzen fratzenhaften Bilde zu erwähnen, die sich in allen Ständen finden, deren, wie ich glaube, sogar nicht wenige sind, die sich aber dennoch als ein kleines, zerstreutes, machtloses Häuflein unter der großen Masse verlieren. Die meisten hellen und wohlbestellten Köpfe findet man unter den Gelehrten. Die meisten Gelehrten aber sind Stubensitzer, kennen die Welt nicht, sind einseitige Pedanten; der Philolog oder Wortknausler verachtet in seinem thörigten 155 Hochmuth alle andern Gelehrten, alle Stände, die ganze Welt; eine griechische Partikel oder ein lateinischer klassischer Styl ist sein Gott; der Staat existirt nicht für ihn und der Sultan wär' ihm als Herrscher so lieb wie der Metzgermeister, dessen ich vorhin erwähnte. Von solchen Pedanten rede ich nicht, sie sind Nullitäten. Ich rede von den wahren Gelehrten, die die Humanitätswissenschaften in sich aufgenommen, den Saamen derselben auf ihren empfänglichen fruchtbaren Boden ausgestreut, ihn gehegt und gepflegt und die Früchte davon wohl angewandt haben. Diese Männer von klarem Sinn und Verstand und von unverhärtetem Herzen haben einen dreifachen Weg vor sich, und jeder von ihnen wird einen derselben wandeln. Entweder sie werden, nachdem sie Dummheit und Schlechtigkeit lange genug die Herrschaft über die irdischen Dinge haben führen sehen, sich, um sich ferner nicht mehr zu erärgern, einer gänzlichen Gleichgültigkeit über politische Dinge hingegeben und in den Armen der Wissenschaft Trost, Beruhigung, Ersatz und Heiterkeit finden, und in diesen Armen endlich 156 sanft entschlummern. Dazu gehört ein pflegmatisches Temperament, und das hab' ich nicht. Oder sie werden an den öffentlichen Dingen, am Staat und dessen Regierung stets das lebhafteste Interesse nehmen, aber der dauernde Triumph der Dummheit und Schlechtigkeit, der Sieg des bösen Princips wird ihnen einen steten wüthenden Schmerz bereiten, der sich auf zweierlei Art, entweder tragisch oder satyrisch, äußert. Im erstern Falle wird das edle Herz sich verbluten, ach! und wie viele haben schon diesen bittern Kelch geleert. Das sind die Melancholiker, und auch dies bin ich nicht. Im letztern Falle werden sie ihrem Unmuth Luft machen, ihrer Aemter entsetzt, ihres Vermögens beraubt, in den Kerker geworfen oder aus dem Lande gejagt werden. Ich bin auch kein Choleriker. Den dritten Weg nenn' ich mit Recht den klugen; und alle wahrhaft gescheidten Köpfe sind ihn gewandelt. Er ist der, mit Schalkheit, List, Verschlagenheit und all den Mitteln, welche der Himmel seinen Lieblingen gegeben, über Dummheit und Bosheit zu triumphiren, und von der Welt, die doch ein 157 Mal nicht anders ist, den möglichst größten Nutzen zu ziehen. Das ist der Weg des sanguinischen Temperaments, und ein Sanguiniker bin ich. Ich verachte die Bürgerkanaille, das Adelspack, ich verachte das Pfaffenvolk, die Soldaten; meine Brust ist bis oben voll Menschenverachtung. Aber nicht vergebens hat mir Gott Genie verliehn; ich brauche es dazu, sie alle zu übertölpeln. Wären die Menschen, wie sie seyn sollten, glauben Sie mir, ich wäre der Liberalste; aber ist denn dies erbärmliche Volk werth, daß man zum Märtyrer für dasselbe werde? Nein, hinunter mit ihnen unter meine Füße und über ihre Köpfe, heimlich hohnlachend, hinweg! Ich bin geschaffen, sie zu beherrschen und mir ein schönes, bequemes, großes Leben zu bilden. Sie sehen, mein Freund, ich habe Ihnen Alles zugegeben, was aus Ihrem glühenden Liberalismus entspringt, und jeder verständige Mann wird Ihren Ideen eben als Ideen Gerechtigkeit widerfahren lassen. Nur machen Sie um Gotteswillen nicht den Versuch, sie zu Begriffen zu stempeln und als solche der Wirklichkeit anzupassen! Sie 158 wären sogleich verloren mit Ihrem schönen Talente, mit Ihren Ansprüchen auf Lebensglück. Wenden Sie dieses Talent lieber an, den besten Wein zu erlangen, der auf die Tafel der Herrn gesetzt wird, und stellen Sie Ihre Füße ruhig mit auf das Sklavenvolk, das unter dem Tische liegt, und nach den Brosamen schnappt, die wir hinabwerfen. Das Volk will es ja nicht besser, es kann es, wegen seiner Beschränktheit nicht besser wollen. Der einzelne Mann von Talent kann dem Strome keine andre Richtung geben, seine Klugheit muß sich darauf beschränken, indem er mit dem Strome schwimmt, immer hübsch oben zu bleiben, oder in ein bequemes Schifflein zu kommen. Auch haben Sie in Befolgung dieser Lebensklugheit sehr große Vorgänger. Unter den Dichtern nenn' ich Ihnen nur Goethe, Tieck, die Schlegel; sind sie nicht die größten, und gehören sie nicht zu unsrer Partei? Goethe hat all das Lumpenvolk, literarisches und andres, bürgerliches und adliges, stets tief verachtet, während er sich doch von ihm anbeten, sich adeln und zum Minister machen ließ. Wenn er des 159 Volks je erwähnte, hat er's anders gethan als mit Hohn und Spott? Und glauben Sie wohl, Goethe hätte weniger klar und vernünftig über diese Dinge gedacht, als Sie, über Dinge, die doch auf der Hand liegen? Betrachten Sie unsern großen Tieck mit seinem eminenten Talente; er huldigt dem Adel, dem Katholicismus, er kriecht scheinbar vor dem Hofe, während er alle ironisirt; das Volk aber verachtet er. Er ist sächsischer Hofrath und wird nächstens geadelt werden. Soll ich etwa von der Dichterzunft reden? Wir haben von Körnern gesprochen, lassen wir das leere Stroh und die Spreu! – Nun sagen Sie selbst, haben die Jesuiten jemals etwas anders gethan, als mit ihren klugen Köpfen die Menschen verachtet – und nichts bessres sind sie werth – und über sie geherrscht, wie's den klugen Köpfen zukommt? Den geraden Weg erkennt aber der Dümmste, es ist nöthig, krumme Pfade zu bilden; auch gehört nicht viel Talent dazu, einen geraden ebnen Weg zu wandeln, das Genie bricht sich durch Wildnisse, über Berge und durch Felsen Bahn. Die Jesuiten waren 160 eine Verbindung der klügsten Menschen, und der Kluge wird stets einzeln dieselben Zwecke verfolgen, die sie verbunden erstrebten. Nur in Masse läßt sich mehr erreichen. Die Welt aber wird in diesem Gleise fortwandeln, bis das ungeheuere Mißverhältniß, welches aus der zunehmenden Armuth und der in gleichem Grade zunehmenden Vergnügungssucht und Luxusmanie sie in ein andres, vielleicht bess'res wirft. Bis dahin lassen Sie uns, als kluge Köpfe, von den Verhältnissen, wie sie sind, so viel als möglich profitiren. Ich bin mit dem Bilde unsrer Zeit fertig; oder soll ich etwa noch von den edeln Musensöhnen sprechen, von den Burschenschaften und Demagogen? Du lieber Gott, die Sache ist zu unbedeutend, und hilft mir und andern klugen Leuten nur rasch einige Stufen weiter. Ich bin unter ihren Verbindungen gewesen, ich habe die thörigten Knaben kennen gelernt. Sie vertrauten mir ganz, die unschuldigen Kinder. Glauben Sie mir, einige der wildesten dieser langhaarigen, breitbärtigen, deutschberöckten Bursche werden wir in zehn Jahren als Kammerherrn, 161 Jagdjunker, als Hofräthe, Hofsekretäre, Regierungs- und Consistorialräthe, als Censoren und Aufpasser sehen, und sie werden sich schämen, einst solche Esel gewesen zu seyn, die mit dem Dolch in der Faust auf offnem Markte allen Despoten den Untergang geschworen haben. Die schlimmsten und wüthendsten Demagogen werden die kriechendsten Fürstendiener werden. Den übrigen Faselhansen, die den Niebellungenhort aus dem Rheinstrome, die alte deutsche Kaiserkrone, hervorholen wollen, den Altdeutschthümlern und Wartburgsnarren lasse man ihr Spielwerk, und versteigt sich ja einer bis zum Meuchelmord eines fremden Spions, so ist auch das von keiner Bedeutung. Sie werden alle um desto eifrigere Patrioten seyn, d. h. das Vaterland oder den Staat in dem Sinn genommen, wie ihn Ludwig XIV. nahm. Dies Strohfeuer wird schnell verlodert seyn und nachher desto eisigere Kälte, desto tiefere Nacht eintreten.

Nun, junger Freund, ich frage Sie auf Ihr Gewissen, hab' ich Wahrheit gesprochen und 162 halten Sie unsre Zeit noch für den vernünftigen, thatkräftigen Mann?«

»Ich halte sie noch immer dafür, aber für einen mit Ketten schwer und schier unerträglich belasteten. Er wird sie abschütteln.«

»Er wirst einst; aber vielleicht gehen Jahrhunderte hin, eh' es geschieht. Wir wollen den klugen Weg gehen und den Nachkommen überlassen, was sie thun wollen. Uebrigens habe ich Ihnen heute Abend mein ganzes politisches Glaubensbekenntniß offen und ohne Hehl vorgelegt, um Sie zu überzeugen, daß ich keineswegs so unliberal bin, als sie glaubten, aber auch daß der Liberalismus für unsre Zeit Perlen vor die Säue geworfen ist. Ich habe Ihr Talent erkannt und Sie lieben und schätzen gelernt; unser Interesse verlangt, daß wir Hand in Hand gehen: daher meine Offenheit. Der dichteste Mantel der Verschwiegenheit sey über den heutigen Abend gedeckt für ewige Zeit. Dies verspricht mir der liberale Sohn des unliberalen Ministers.«

»Mit Hand und Wort!« sagte Müllersdorf und reichte ihm die Hand.

163 »Und morgen gehen die Demagogenlisten an Ihren Vater ab.«

»Ich werde einen sehr großen Brief dazu schreiben. Mitternacht ist schon lange vorüber. Der Brief wird mir den größten Theil des Tages wegnehmen. Die Stafette kann erst übermorgen abgehen.«

»Es mag seyn, obgleich mir's nicht lieb ist,« sagte Reinecke, gute Nacht wünschend, und ließ den Jüngling mit seinen schweren Sorgen allein.

 


 


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