Ludwig Storch
Der Diplomat
Ludwig Storch

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4.

Mittag war vorüber und es wurde zur Tafel im Erdfall geblasen. Die zerstreueten Gäste versammelten sich unter den hohen laubigen Bäumen, um in der schattigen Kühle derselben das fröhliche Mahl gemeinschaftlich einzunehmen. Selten pflegt ein Gast sich von der löblichen Sitte des Zusammenspeisens auf dem herrlichen kühlen Platze unter dem dichten Blätterdache, das die heftigsten Sonnenpfeile als Schild und Panzer von den Schmausenden abhält, auszuschließen, 61 und daher sieht man hier Alles versammelt, was der übrige Tag in einzelnen Parteien zerstreut hält.

Der Baron von Hochmannsdorf, der Lieutenant von Wittenbach und seine Braut waren die Ersten, welche an die zierlich aufgeputzte Tafel traten.

»Kinderchen,« begann der Alte in seiner Jovialität, »wohin setzen wir uns nun? Ich denke, hübsch in die Mitte. Was?«

»Warum nicht gar!« entgegnete Charlotte mit einem unwilligen Blicke auf ihren Vater und das runde Gesichtchen in Falten ziehend. »In der Mitte kann ich mir die Leute nicht alle gehörig betrachten. Wir wollen an dem einen Ende der Tafel Platz nehmen, damit ich hübsch Alles überschauen kann.«

»Das können wir ja thun,« sagte der Baron. »Es ist sogar recht schön so. Sei nur nicht böse, mein Kind. Aber wo bleibt denn Luischen? Was?«

»Das weiß der Teufel!« nahm jetzt der Lieutenant von Wittenbach das Wort; »ich glaube, das Blitzmädchen ist verliebt. Vorhin sprach sie 62 in einem sehr rührenden Tone zu mir, der junge Offizier – heißt er nicht Müllersdorf? – sei ein sehr angenehmer und hübscher Mann. Solch ein Wort hab' ich noch nicht von ihr gehört. Drauf hat sie stets auf eine Stelle gesehn, als wollte sie Trüffeln suchen, wie mein Nero, und träumt zum Tag hinein. Gott soll mich strafen! es ist so was los bei ihr.«

»Nun, nun, Zeit wär's ja auch. Was?« schmunzelte der Alte.

»Aber, Karl,« schmollte die Braut, »kannst du dich denn des lästigen Fluchens selbst hier an diesem öffentlichen Orte nicht enthalten, wo stets fremde Menschen um uns herum sind, die dich für den rohesten Soldaten halten müssen? Es ist abscheulich!«

»Du wirst noch einen Heiligen aus mir machen,« erwiederte der Lieutenant pikirt. »Tabak soll ich nicht rauchen, das Schnupfen ist ekelhaft, ein Spiel Schafskopf ist gemein, meinen Schnaps hab' ich mir abbrechen müssen; einen gutgemeinten Soldatenfluch soll ich nicht mehr 63 ausstoßen. Ei so soll doch das Wetter drein schlagen!«

»Pfui, Karl!« schmollte Charlotte und rümpfte das Stumpfnäschen, »aus deinen Reden muß ich leider abnehmen, daß du mich nicht liebst, wie du solltest und ich wünsche.«

»Nun so soll doch gleich–« rief der Lieutenant aufbrausend, brach aber plötzlich, sich selbst bekämpfend, ab und setzte in einem fast wehmüthigen Tone hinzu: »O über euch Weiber! Was haben deine Augen doch aus mir gemacht, Charlotte!«

»Herr Gott!« eiferte der alte Baron jetzt dazwischen, »so seid doch nur vernünftig, ihr Kinderchen! Wer wird sich hier an der table d'hôte zanken! Der Mensch muß seine Leidenschaften beherrschen, und vorzüglich die Frauen, für die es eigentlich unschicklich ist, Leidenschaften zu haben, und die unsre Vorbilder in aller Tugend und Demuth seyn sollten. O Lotte, hab' ich dich etwa so erzogen, daß du schon vor dem Brautbette dich mit deinem künftigen Herrn und 64 Gemahl wie eine widerspenstige Katze herumhäkelst! Was?«

»Ach, Vater!« versetzte Charlotte ärgerlich, »fangen Sie ein Mal zu lamentiren an? Das ist niemals zum Aushalten. Liebende zanken sich immer und vertragen sich doch gut.«

»Ja wohl, Papachen,« bekräftigte der Schwiegersohn. »Irae amantium sunt recreatio amoris, sagte unser alter Rector, wenn er uns ein Mal recht abgekanzelt hatte. Ich und Lottchen verstehen uns schon. Nicht wahr, du kleiner Bausback?« Mit diesen Worten küßte er sie kräftig auf die rothe Wange, und der Streit war geendet, um ein Paar Augenblicke darauf in andrer Form wieder zu beginnen; denn eben kam Luise.

Die übrigen Gäste hatten sich auch allmählig eingefunden; Reinecke und Müllersdorf fehlten noch. Luise besah sich mit einer gewissen ländlichen Ungezogenheit die Gäste der Reihe nach, und wandte sich dann verdrießlich mit den Worten zu den Ihrigen: »Hier in diesem Luftzuge soll gegessen werden? Das steht mir gar 65 nicht an; ich dächte, wir speis'ten auf unserm Zimmer.«

»Wie du willst, mein Kind,« sagte der Vater, »wir alle sind's zufrieden. Nicht wahr, Kinderchen? Was?« –

»Mit nichten, Fräulein Schwester,« nahm Charlotte das Wort, »wir werden hier im Freien mit der Gesellschaft speisen, und uns nicht in Ihre wunderliche Laune fügen. Es geht ja kein Lüftchen hier.«

»Ei seht doch das Fräulein Braut!« erwiederte Luise spitzig; »Sie geruhen blos hier zu speisen, um sich sehen zu lassen, und mit den Herren in der Gesellschaft nach Lust und Vergnügen zu kokettiren.«

»Ist's doch um des Kukuks zu werden!« rief Wittenbach dazwischen. »Luise, ärgern Sie mein Lottchen nicht mit solchen Anzüglichkeiten!«

»Ei über den Ritter von Bräutigam, der so keck die Ehre seiner Pantoffelkönigin vertheidigt!« stichelte Luise fort, spöttisch lachend. »Aber schon gut. Ihr wollt euch widersetzen! Dafür weiß ich schon ein probates Mittelchen. Wo wollen 66 wir essen, oben oder unten? Nach der Beantwortung dieser Frage werde ich meine Gunst schenken oder entziehen.«

»Ich speise mit dir, wo du willst, mein Töchterchen,« bat der Baron, »nur mache weiter keinen Lärm. Aller Augen sind ja auf uns gerichtet.«

»Ich thue, was mein Lottchen will,« sagte der Lieutenant; und Lottchen, vom Vater mit einem bittenden Blick angestoßen, flüsterte: »Und ich thue einer so guten Schwester auch schon etwas zu Gefallen; und das kleine Vergnügen, in Gesellschaft zu speisen, opfere ich der Heiterkeit unsrer Luise gern auf.«

In diesem Augenblicke traten Reinecke und Müllersdorf an die Tafel, um sich niederzusetzen. Nach einem glühenden Blicke auf den Letztern rief Luise, zu ihrer Schwester gewendet: »Ihr habt die Probe herrlich bestanden, und ich muß dich vorzüglich küssen, lieb Lottchen. Nun will ich hier essen und euch mit diesem Entschluß eine kleine Freude machen.«

»O ihr allerliebsten Kinderchen!« rief der alte 67 Baron entzückt: »Welch ein glücklicher Vater bin ich! wenn doch nur die gute selige Mutter uns so beisammen sehen könnte! Was?« –

»Na, Papa,« bedeutete ihn der Lieutenant, »weinen Sie nur nicht wie ein Kind; das schickt sich doch an der offnen Tafel wahrlich nicht!«

Der Kellner brachte die Suppe, und die Unterhaltung der Familie gerieth in's Stocken. Müllersdorf und Reinecke hatten an Herrn von Hochmannsdorf Platz genommen; Luise war außer sich vor Freude, den jungen allerliebsten Mann in solcher Nähe zu sehen. In diesem Augenblicke kam auch die polnische Gräfin mit ihrer Begleiterin und setzte sich an Luise, dem Herrn von Müllersdorf gegenüber. Die Comtesse hatte eine Toilette gemacht, die ihrer jugendlichen Belebtheit und muntren Liebenswürdigkeit sehr angemessen war; ihre eben nicht großen dunkelbraunen Augen schossen in jeder Minute unzählige rasche Blitze nach den sie umgebenden Gegenständen, und jeder schien in das innere Mark des Getroffenen dringen zu müssen; ihre Bewegungen waren schnell und gewandt, aber äußerst graziös, 68 dabei natürlich, scheinbar nachlässig und dennoch stets voll bezaubernder Anmuth und hinreißender Liebenswürdigkeit.

Die übrige Tischgesellschaft hatte sich allmälig eingefunden und umsaß die Tafel sehr zahlreich. Von der Plattform des nahen Felsens ertönte eine schöne Ouvertüre; man begann zu spielen und würzte die Gerichte mit fröhlicher Unterhaltung. Müllersdorf war in den Anblick der reizenden Comtesse vertieft, und bemerkte die feurigen einladenden Blicke nicht, welche Luise von Hochmannsdorf ihm zuwandte; die Polin schien seine Aufmerksamkeit nicht ohne innres Wohlgefallen zu bemerken. Inzwischen war auf ihrem Gesichte jede Spur von Muthwillen und Schalkheit verschwunden; Müllersdorf wollte sogar einige Male sich überreden, als bemerke er in den Augen und auf den Wangen der Comtesse Spuren von zahlreich vergossenen Thränen. Eine Unterhaltung wollte anfangs zwischen beiden nicht zu Stande kommen; die schmelzenden Accorde der Musik schienen das, was sie sich zu sagen hatten, weit reiner und schöner auszusprechen, als es 69 ihre Worte vermocht hätten. Beide horchten den Tönen; beide schienen sie allein zu verstehen, während die übrige Gesellschaft sie unbeachtet ließ, allein den gastronomischen Ergötzungen und Hoffnungen hingegeben.

Der in Gefühlen schwelgende junge Mann wurde plötzlich aus seinen Träumen emporgerissen, indem er sich bei'm Namen rufen hörte, und als er den Kopf nach der Gegend wandte, woher der Schall kam, sah er, daß der alte Baron von Hochmannsdorf ihn mit geschwätziger Freundlichkeit haranguirte.

»Mein Herr von Müllersdorf, mein lieber Herr von Müllersdorf,« begann er, »ich kann unmöglich unterlassen, Ihnen zu sagen, wie sehr lieb ich Sie habe; nein, nein, junger Freund, Sie können's nicht glauben, mit welcher Affectation ich Ihnen zugethan bin, obgleich ich Sie erst einige Stunden kenne. Aber ich bin's nicht allein, der Sie in's Herz geschlossen hat, meine ganze Familie hat ein Gleiches gethan; mein Schwiegersohn liebt Sie brüderlich, nicht wahr, Lieutenant? Und da Ihr Kameraden seyd, so dächt' 70 ich, Ihr tränkt Brüderschaft. Ja, ja, das wollen wir nachher bei'm Dessert machen. Lottchen ist Ihnen auch gut, das heißt wie ein honettes Fräulein, das einen so respectabeln Bräutigam hat, wie Herrn von Wittenbach, einem jungen hübschen Edelmanne gut seyn darf; aber Luischen dort, das schelmische Luischen hat sich ordentlich in Sie vergafft. Nicht wahr, mein Püppchen? Was?«

»Aber, Papa!« rief Luischen mit hochroth glühendem Gesichte im Tone des Vorwurfs und wußte nicht, wohin sie die Augen wenden sollte.

»Was schwatzen Sie doch nur ein Mal für ungereimtes Zeug!« sagte Charlotte zu gleicher Zeit, und warf dem alten fröhlichen Herrn einen Blick strengster Mißbilligung zu.

»Aber sind Sie denn des lichten Teufels, Schwiegerpapa?« gromelte Wittenbach durch den Bart.

»Nun, nun, so geht's, wenn man die Wahrheit sagt,« lachte der Alte in seiner unverwüstlichen Laune. »Aber der Name Müllersdorf hat mich heute recht fröhlich gemacht, und wenn ich 71 fröhlich bin, da bin ich aufrichtig und sage, wie mir's unter dem linken Knopfe waltet. Was?«

»Dies ist eine so treffliche Eigenschaft, Herr Baron,« versetzte Müllersdorf, nachdem er sich einigermaßen von seinem Erstaunen erholt hatte, »daß ich Sie schon deßhalb lieben würde, selbst wenn mir Ihre Persönlichkeit nicht so gastlich entgegengekommen wäre. Sie sind ein Biedermann, und die Liebe eines solchen ist mir ein unschätzbares Gut; aber bis jetzt habe ich noch nichts gethan, womit ich mir diese Liebe verdient hätte.«

»Ich sage Ihnen ja, daß ich Ihren Namen so unbeschreiblich liebe, und weil Sie diesen mir so theuern Namen führen, deshalb lieb' ich Sie auch. Es hätte mir nichts Angenehmeres widerfahren können, als einen Müllersdorf hier zu finden, und daß Sie gerade der erste Mann in L. waren, den ich zu Gesicht bekam, der Erste, der mir entgegen trat, als ich aus dem Wagen stieg, das ist mir eine Bürgschaft recht heitrer und froher Tage hier, und wer kann wissen, ob's nicht noch was Schöneres zu bedeuten hat? Was?«

»Und wie kommt, wenn ich fragen darf, mein 72 Name und die Besitzer desselben zu Ihrer ehrenwerthen Liebe, Herr Baron?«

»Sehen Sie, junger Freund, es hat mir ein Mal ein Müllersdorf, der mein Jugendfreund war, einen großen, sehr großen Freundschaftsdienst erwiesen, so groß und trefflich, wie Sie sich's kaum vorstellen können; er ist aber von der Art, daß er sich nicht zur öffentlichen Mittheilung eignet. Soll ich nun die Müllersdorfe nicht lieben? Was?«

»Ein wahrer Freundschaftsdienst,« versetzte Müllersdorf, »ist etwas so Seltenes, und die lebendig erhaltene Dankbarkeit ist noch weit seltner, daß ich die Liebe zu meinem Namen nur mit der größten Hochachtung erwiedern kann.«

»Sehen Sie, mein Freund, zu Ihnen fühl' ich mich ganz besonders hingezogen; da Sie wirklich eine große Familienähnlichkeit mit meinem Freunde haben, so daß, wenn ich Ihnen so recht in die Augen sehe, mir's plötzlich zu Kopfe wird, als wär' ich um dreißig Jahre jünger und mein Freund säße mir gegenüber. Soll ich Sie deshalb nicht ganz besonders lieben? Was? – 73 Aber, Herrgott, was fällt mir ein! Sollten Sie vielleicht ein Sohn meines Freundes seyn? Himmlischer Vater, ich glaub' es fast! Ja, ja, es muß so seyn! Sagen Sie mir schnell, ich beschwöre Sie, wie heißt Ihr Vater? wo lebt er? was ist er? Was? –«

»Mein Vater?« versetzte der junge Mann nicht ohne Verlegenheit, die er vergebens zu verbergen suchte. »Mein Vater ist Civilbeamter im Oesterreichischen Schlesien und heißt Franz Xaver von Müllersdorf.«

»O weh!« sagte der Baron; »das thut mir recht leid; denn Sie sind kein Sohn meines Freundes, aber vielleicht ein Neffe von ihm. Er hieß Ludwig Heinrich von Müllersdorf, und war königlich preußischer Hauptmann der Infanterie. Eine Zurücksetzung, die er erfahren, kränkte ihn so sehr, daß er die Dienste seines Königs quittirte und in russische trat. Seit jener Zeit habe ich nichts wieder von ihm gesehen; er war ein gar vortrefflicher Mensch. Mich verschlug das Schicksal auch von Berlin; alle meine Verhältnisse änderten sich. In den Befreiungskriegen 74 soll er als ein bedeutender russischer Militär mit durch Deutschland nach Frankreich gezogen seyn und wieder zurück, das hab' ich erst später erfahren. O wären Sie sein Sohn, junger Freund, und irgend in Verhältnissen, die der Hülfe eines Mannes bedürften, damit ich an Ihnen vergelten könnte, was er an mir gethan! Ist er nicht Ihr Onkel? Was?«

Der alte Mann wischte sich eine Thräne aus dem Auge, und lächelte den jungen dabei doch freundlich an.

Im Gesichte des Letztern war eine schöne Rührung sichtbar geworden; er blickte so selig lächelnd auf den braven alten Mann, und dann glitt sein Blick zu der schönen Gräfin hinüber und traf auf ein Paar Augen, die da sprachen: »Ich verstehe dich! Tief in meinem innersten Leben ist mir eine herrliche Ahnung aufgegangen, was du mir bist und seyn wirst, du trefflicher Jüngling.« Dann sagte Müllersdorf kaum vernehmbar leise: »Ihr Freund war auch nicht mein Onkel.«

»So kennen Sie ihn wohl gar nicht? Was?«

75 »Ich kenne ihn nicht,« versetzte der Jüngling wehmüthig, und mußte sich schnell abwenden, um nicht zu weinen. Die Comtesse hatte die Thränen in seinem Auge allein gesehen.

»Ich dächte, wir stießen zusammen auf das Wohlseyn meines biedern Freundes an,« sprach Hochmannsdorf. »Ist er auch nicht Ihr Verwandter, so ist er doch Ihr Namensvetter, und das laß ich mir nicht ausreden, daß Sie aussehen, wie er vor dreißig Jahren aussah. Also auf sein Wohlseyn, wenn er noch lebt, und auf sanfte Ruhe und fröhliche Urständ, wenn ihn der Rasen deckt! Was?«

Er erhob sein Glas, Töchter und Schwiegersohn thaten desgleichen. Müllersdorf griff hastig nach dem seinigen, und unwillkührlich hatte die Comtesse auch ihr Glas genommen, und hob es empor. Alle stießen mit allen an, Luischen vorzüglich recht zierlich mit Müllersdorf; als aber die Gläser der Gräfin und Müllersdorfs zusammen klangen, wurzelten ihre Blicke in einander; sie sahen sich bis in die tiefste Seele hinab, und sprachen in diesem Augenblicke unendlich viel mit 76 einander. In Müllersdorfs Wein fiel eine Thräne, als er trank; ihre Schwester perlte an der langen seidnen Wimper der Gräfin.

Reinecke schien sich um die Unterhaltung wenig zu bekümmern; er sprach anfangs mit dem Fräulein von Grünewald von ihrem heutigen Unfall, dann von der Schönheit des Badeorts, und verabredete mit ihr eine Partie nach der eine Stunde weit entfernten Luthersbuche und dem Gerbersteine, einem romantischen Felsen in der Gegend jener Buche. Sie wählten den nächsten Sonntag dazu, um auch zugleich alle Schönheiten des herzoglichen Sommerschlosses A. zu genießen und die nahe Berghöhle zu besuchen, welche nur Sonntags erleuchtet wurde. Nur je zuweilen flog Reineckes Blick lauernd über die Übrigen hin, und daß er auf Alles, was Müllersdorf mit Hochmannsdorf gesprochen, wohl Acht gehabt, bewieß seine spätere Äußerung gegen den Erstern, so bald sie allein waren: »Sie haben ihre Rolle ganz trefflich gespielt; man hätte Sie wahrlich für einen Müllersdorf halten können. Nur so fortgefahren, und Sie werden bald gute Fortschritte in der 77 Diplomatik machen« – Nur Müllersdorfs Rührung, nur die Thränen im Auge desselben hatte er nicht gesehen, weil er ihm zur Seite gesessen.

Der Lieutenant von Wittenbach hatte schon lange ein scharfes Auge auf Reinecke gehabt; endlich sagte er: »Der Herr dort neben Herrn von Müllersdorf hat die frappanteste Ähnlichkeit mit einem Berliner Universitätsfreund von mir. Ich will verdammt seyn, wenn – das männliche Aussehen und den Bart abgerechnet – dieser jenem nicht gleicht, wie ein Ei dem Andern. Kennen Sie den Herrn neben Ihnen, Herr Kamrad?«

»Er ist bei'm ***schen Gesandtschaftswesen angestellt und heißt von Reinecke,« versetzte Müllersdorf gleichgültig.

»Nun, bei meiner Ehre! es ist toll, wie sich Menschen gleichen können! Ich hätte meinen Kopf verwetten wollen, der Herr von Reinecke sey mein alter Bekannte Spangenheim; denn sogar den Ton seiner Stimme hat er, wie ich so eben gehört habe.«

Bei Nennung dieses Namens überzuckte es 78 Reineckes Gesicht grimmig, über Müllersdorfs Mund glitt ein kaum bemerkbares Lächeln. Gleich darauf stand Reinecke auf und entfernte sich. Müllersdorf sah der schönen Gräfin in die Augen und blieb wie angewurzelt sitzen. Es war ihm, als müsse sie ihm irgend etwas Wichtiges mittheilen. Weder des Barons Gesprächigkeit, noch Luischens Freundlichkeit vermochten ihn mehr zu fesseln; doch als bald darauf die Comtesse sich erhob, um sich zu entfernen, war auch seines Bleibens nicht mehr bei der Tafel, und den zärtlichen Bitten des alten Hochmannsdorfs, einige Flaschen mit ihm auszustechen, hartnäckig widerstehend und Blutwallungen vorschützend, eilte er fort und verlor sich bald in den laubigen Gebüschen des nahen Haines, wo er sich mit heftiger Inbrunst dem Sturme der Gefühle überließ, welcher in seiner Brust mächtig auf- und abwogte. Erst als es zu dämmern begann, kehrte er wieder scheinbar ruhig und gefaßt in das Badehaus zurück und suchte die Gesellschaft des Diplomaten auf. 79

 


 


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