Ludwig Storch
Der Diplomat
Ludwig Storch

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6.

In Escarpins, schwarz seidnen Strümpfen, dergleichen kurzen Beinkleidern mit goldnen Schnallen geziert, an den Aermeln des feinen Fracks zierlich gefältete Manschetten; die Finger voll brillanter Ringe, mit eleganter Cravatte und Chemisette, das schwarze Haar und den Bart sorgfältig geordnet, saß der junge Mann, der im Bade L. unter dem falschen Namen eines Herrn von Reinecke aufgetreten war, zwei Stunden nach der Unterredung mit dem Fräulein von Grünewald, auf dem Sopha in einem geräumigen 93 Zimmer, worin manches noch nicht seine rechte Stelle gefunden hatte, neben einer hohen stattlichen Frau, deren Schönheitsblüthe schon leise zu welken begonnen hatte, wahrscheinlich aber so lang als möglich durch künstliche Mittel erhalten worden war und noch erhalten wurde. Aus großen majestätischen Augen blickte sie mit sichtbarem Wohlgefallen auf den Besuch hin. Die ganze Gestalt hatte viel Imponirendes, und da sie gewiß nicht älter als vierzig Jahre war, so hatte sie keineswegs die Anziehungskraft verloren; denn die wahren Kenner und Verehrer des andern Geschlechts, die Besitzer des besten Geschmackes, die Sachverständigen und Gourmands in der Liebe, finden bei Frauen vom fünf und dreißigsten bis zum fünf und vierzigsten Jahre erst den höchsten und reizendsten Genuß des Umgangs.

»Sobald Sie eine ziemlich genaue Liste der ruchlosen Demagogen und ihrer abscheulichen Verbindungen, die sich in alle Stände verzweigen sollen, liefern können,« fuhr die Dame in ihrer Unterhaltung fort, »haben Sie gewonnenes Spiel. 94 Sie werden sich den Minister außerordentlich verbinden; es steht Ihnen bei'm Ministerium des Aeußern eine treffliche und für Ihr Talent geeignete Stelle offen, und ich gratulire Ihnen zum Adelsdiplom.«

»Ich erlaube mir, unterthänig zu bemerken, gnädigste Frau Gräfin, daß ich noch mehr zu liefern im Stande bin, als eine Namensliste mit genauer Angabe der Verbindungen; ich kenne die Gesetze und Statuten dieser Verbindungen, bin von ihren Zwecken, ihren verwegnen Entwürfen, Wünschen und Hoffnungen unterrichtet. Ich bin in Besitz schätzbarer Dokumente, die als Belege dienen und über alles ein helles Licht verbreiten werden.«

»Charmant!« rief die Gräfin. »Ich sehe Ihre Brust schon mit Orden geziert; denn auch Ihr Fürst wird sich Ihnen nicht minder dankbar bezeigen. Doch um Ihnen nichts zu verhehlen, mein junger Freund, muß ich gestehen, daß Sie mir zu viel Ehrgeiz zu besitzen scheinen. Es kommt mir vor, als sei er die alleinige Triebfeder aller Ihrer Handlungen.«

95 »Ich muß unterthänig um Entschuldigung bitten, wenn ich meiner gnädigen Frau Gräfin hierin zu widersprechen mich unterstehe. Keineswegs will ich läugnen, daß der Drang, mich hervorzuthun, in meiner Brust waltet; er ist ja der Vater aller großen Thaten. Aber er ist nicht mein höchstes Motiv, er ist nicht der heilige Leitstern auf den labyrinthischen Pfaden meines Lebens. Nein, es lebt ein Drang in mir, der nicht irdischer Natur ist, und der, seinem göttlichen Ursprunge gemäß, alles auf den Himmel bezieht und nur das Reich Gottes stets als letzten und höchsten Zweck all meiner Handlungen vorhält. Ja, gnädige Frau, der wahren und alleinigen Kirche Christi in der That und Wahrheit mit all' meinen Kräften zeit meiner irdischen Laufbahn zu dienen, ist mein glühendster Wunsch und das Endziel meiner Bestrebungen.«

»Ha, dann sind Sie mir doppelt werth und theuer!« rief die Gräfin im Aufwallen hohen Entzückens aus. »Ein Streiter für den Herrn, ein Winzer in seinem Weinberge, ist der höchsten Ehren würdig, und meine Liebe und 96 Hochachtung für Sie steigert sich auf den höchsten Grad. Aber sagen Sie mir, warum haben Sie sich uns noch nicht von dieser Ihrer schönsten Seite gezeigt, warum mir Ihr Innerstes selbst damals nicht enthült, als Sie mir schrieben, Sie wären entschlossen, zur katholischen Kirche überzutreten? Sie gaben dazu so gar keine höhern Gründe an, es stand so trocken in Ihrem Briefe da, daß ich nicht glauben konnte, Sie thäten den wichtigen Schritt aus innrer Ueberzeugung und göttlicher Erleuchtung.«

»Das Herz des Menschen, gnädige Frau Gräfin, gibt sich nur dem persönlich verehrten Herzen mit gänzlicher Offenheit und Rücksichtslosigkeit hin. Die Religion ist mir das Heiligste; wie könnte ich es wagen, meine innersten Gefühle darüber, den begeisterten Aufschwung meiner davidschen Phantasie Briefen an hohe Gönner anzuvertrauen, die ich zwar hoch verehre, denen ich aber noch nicht in's Auge geschaut und darin eine heilige Glut für Gottes Sache erblickt, aus deren Wesen mir noch nicht die Ueberzeugung entgegen gesprungen ist, daß sie gleich mir für 97 das Heil des Himmels und der Erde entflammt sind? Klänge es nicht wie Prahlerei mit den heiligsten Dingen, wie Koketterie mit dem Glauben und seinen innern Segnungen? Wer dergleichen in Briefen an ihm persönlich Unbekannte zur Schau stellen kann, der besitzt den wahren Glauben, die göttlichste Begeistrung für die Religion nicht, sondern er gebraucht sie nur als Mittel zum Zweck, hängt sie als Lockspeise vor, und schmückt sich damit, wie mit einer schönen Maske. Dieses ist und kann nicht meine Sache seyn. So wie ich aber des Glücks theilhaftig wurde, Ihnen gegenüber zu stehen, gnädigste Frau Gräfin, so wie ich in den frommen Spiegel Ihrer herrlichen Seele blickte und neben all' den Vollkommenheiten, die mir schon aus Ihren verehrten Briefen und anderweitigen Berichten bekannt waren, auch jene gottbegeisterte Sehnsucht nach dem Himmel und seinem seligen Vorschmack auf Erden im reinen Glauben darin wahrnahm, die auch in meiner Seele glüht und mich, gleich Ihnen, über die Nichtigkeit aller irdischen Dinge emporhebt, da tönte es in allen Tiefen 98 und Höhen meines Seins wider: Sie ist auch eine Auserwählte! Und mein Herz erschloß sich Ihnen, unaufgefordert von Ihnen durch Worte, aber hingerissen und mit heiliger Gewalt gezwungen von Ihrem ganzen, dem meinigen so nah verwandten Wesen.«

»Vortrefflich!« rief die Gräfin aus, und überließ Reinecke ihre Hand, die er auch nicht verfehlte mit glühenden Küssen zu überdecken. »Nie hätt' ich geahnet, welch ein Glück mir aus Ihrer persönlichen Bekanntschaft erblühen würde! Wie wird sich der Marchese freuen, wenn er Sie ganz kennen lernt, der ohnedies von den glänzenden Eigenschaften Ihres Geistes eingenommen ist! Sie sind einer der wenigen, vom Himmel am reichsten ausgestatteten Menschen, in denen Geist und Seele, Verstand und Gefühl gleich mächtig wirken und schaffen, und Sie reihen sich als ein würdiges Glied an unsern großen G., an unsern trefflichen S. an, mit denen ich Sie bald bekannt machen werde. Ja, mein lieber Freund, das Gefühl, das religiöse Gefühl ist das Höchste, was der Mensch vom Himmel 99 empfangen hat; glücklich die, welchen, gleich uns, eine reiche Gabe davon zu Theil wurde, denen es vergönnt ist, sich auf den Morgenrothfittigen hehrer Begeistrung schon hier, während ihr Leib noch in den Banden irdischer Unvollkommenheit schmachtet, zu des Himmels jubeltönenden Räumen, in heiliger Vorahnung, zu erheben, und mit Wonneschauern in den Empfindungen zu schwelgen, welche allein das höchste religiöse Gefühl hervorzubringen vermag!« –

»Diese Ueberzeugung ist mir nach langem Kampfe, wie eine glänzende Sonne aus Nacht- und Regengewölk, aufgegangen. Aufgewachsen in den engen und nüchternen Begriffen der protestantischen Kirche, war ich erst thörigt genug, mich gegen die bessre Erkenntniß meines Geistes zu sträuben und der heiligen Macht des himmlischen Lichts gleichsam mit trotziger Gewalt Thür' und Fenster zu verschließen. Ich drückte als ein seinen Lehrern folgsamer Knabe die Augen meines Geistes zu, so fest ich vermochte, um nichts zu sehen, aber selbst durch die verschlossnen Augenlieder hindurch drang die Kraft seiner 100 Strahlen in meine Seele und entzündete dort den reichlich aufgehäuften Zunder. Bald brannte die Flamme des wahren Glaubens lichterloh in mir, ihre Gluth trieb mir die Augen auf, und nun sah ich plötzlich in das Strahlenmeer der himmlischen Glorie und erkannte mit Schrecken, daß ich zeither in Nacht und Irrthum gewandelt war. Jetzt sah ich mit klarem Geiste, in welch' engen Kreisen sich meine Kirche drehe und welche kleinlichen Verhältnisse sie auf das Leben übertrage. Sie gemahnte mich nun wie ein allzuknappes und kleines Gewand für meinen Riesenleib, als tödtende Form für die glühende Lebendigkeit meiner Seele. Ich fühlte eine ungeheuere Sehnsucht in mir erwachen; ich wußte nicht wonach, aber ich ahnete, daß weder die protestantische Kirche, noch das engherzige bürgerliche Leben, in welchem ich meine Tage verseufzte, im Stande seyn könnten, mein heißes Verlangen zu befriedigen. Mit diesen unklaren Gefühlen wurde ich vom Schicksal nach Rom geworfen. Ich kam – wie Ihnen vielleicht durch den Herrn Marchese bekannt seyn wird – als Sekretär eines außerordentlichen 101 Gesandten an Seine Heiligkeit dorthin. Dort hatte ich das Glück, die Bekanntschaft des Herrn Marchese zu machen, als ich von einem deutschen Maler im Hause des Prinzen F. v. Z. eingeführt wurde. Damals lag ich gerade in der Krisis; ich kämpfte und stritt mit mir; es ward mir sehr schwer, die alten tiefeingewurzelten Vorurtheile zu besiegen. Hätten den Herrn Marchese nicht Geschäfte von Rom abgerufen, würde meine geistige Wiedergeburt gewiß früher stattgefunden haben; so aber war ich mir wieder allein überlassen. Doch begriff ich immer mehr, daß im geistigen Menschen etwas begründet ist, was über alles Erkennen und Verstehen hinausgeht, und was seine Ruhe und seinen Trost nur in den Regionen der gläubigen Phantasie finden kann und muß. Nun erwachte in mir ein tiefer Ekel gegen Kirche, Prediger und Predigten der Protestanten; ich sah darin endlich nur den Glauben all seines schönen Schmuckes, seines schwellenden Fleisches, seines strömenden Blutes, seines warmen, geheimnißvoll herrlichen Lebens, seines geistigen Aufschwungs und überhaupt all seines 102 Schönen, Erhabenen und Geistigen entkleidet, so daß nichts weiter geblieben, als ein lebloses scheußliches Gerippe. So lang' ich in Rom noch von den heiligen Tönen des päpstlichen Meßgesangs umrauscht war, malte sich mir das Bild meines Zustandes nicht so deutlich aus, aber ich hatte noch nicht lange wieder in Deutschland gelebt, als ich mir's klar bewußt wurde, was mir fehle. Ich wurde Katholik, ohne die Weihe zu empfangen. Meine Verbindung mit dem Herrn Marchese dauerte fort, das politische Interesse verband sich mit dem religiösen; und ich konnte den Wunsch nicht länger unterdrücken, von seiner heiligen Hand die Weihe zu empfangen.«

»Und dies soll hier in heimlicher Stille, nur in Gegenwart einiger rechtgläubigen Seelen geschehen,« sagte die Gräfin mit leuchtenden Augen, »und nicht lange wollen wir dies heilige Fest hinausschieben; ich freue mich darauf, es recht herzinnig und in Gott versenkt zu begehen. Und damit wir den Himmel auf eine würdige Weise mit der Erde verbinden, wollen wir an 103 demselben Tage Ihre Verlobung mit meiner Helene feiern.«

»Wie beglücken Sie mich mit diesem Vorsatze, gnädigste Frau Gräfin!« rief der Diplomat mit einem affectirten schmachtenden Augenaufschlag und küßte die Hand der Gräfin, die er gleichsam im Sturme der Ueberraschung wieder ergriffen hatte, mehremals hintereinander feurig. Mit lächelndem Wohlgefallen ruhten die Augen der vornehmen stolzen Frau auf ihm.

»Haben Sie sich schon mit meiner Niece bekannt gemacht, Herr Sekretär?« fragte sie.

»Ich bin von ihrer Schönheit und von ihrem Geiste gleich stark entzückt; ich war dieser Tage oft mit ihr zusammen. Doch von unserer gegenseitigen Bestimmung hab' ich ihr nichts merken lassen.«

»Daß sie ihren Künftigen hier finden soll, ist ihr bekannt. Also vorbereitet ist sie. Schwärmerische Liebe dürfen Sie nicht von ihr erwarten, sie ist ein muthwilliges, flatterhaftes Ding, ohne tiefes Gefühl, ja sogar ohne Sinn für das Hohe und Herrliche im Leben. Die Liebe hat sie also 104 auch nie gekannt, nie hat sie sich viel aus den Männern gemacht, nie irgend einem den geringsten Vorzug gewährt, es müßte denn gewesen seyn, um ihn zum Besten zu haben. Sie sehen, ich verkaufe sie Ihnen nicht unter dem Schleier.«

»Ich werde ihre kleinen Schwächen ertragen,« sagte der Sekretär geschmeidig; »Helene ist jung und bildsam; ich werde sie nach meinen Grundsätzen erziehen.«

»Ich wünsche Ihnen Glück dazu. – Doch, mein liebster Freund, gehen Sie, den Marchese in seiner Wohnung aufzusuchen. Er wird diese Aufmerksamkeit von Ihrer Seite gütig aufnehmen. Die Zofe meiner Niece soll Ihnen sein Logis zeigen. Ich hoffe, Sie morgen wieder bei mir zu sehen. Gute Nacht. Die Ruhe thut mir nach der Reise noth.«

Reinecke küßte noch einmal die weiche, volle Hand devot und verließ das Zimmer. 105

 


 


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