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Der Krieg


*

I.
Aus dem italienischen Feldzug gegen Tripolis 1912

Zwei Züge kreuzen in der Station,
Der eine führt Soldaten zum Krieg,
Der andere trägt nach schwerem Sieg
Den siechen Kämpfer heim zum Lohn.

Die Blaumützen jubeln, der Jüngste lacht keck:
»O kämen wir schneller doch vom Fleck!
Hört, Brüder – ob's drüben auch Wasser gibt –
Frischklares – wie der Soldat es liebt?«

Ein andrer drauf
Ruft aus dem Hauf:
»Was brauchen wir Wasser! mag's stinken –
Der Türken Blut wollen wir trinken!«
Und sieben begehren mit sprühendem Mut
Nach des Türken Blut.

Doch mit einemmal
Wird es still umher,
Und lastet so schwer,
Als hätt' ein Wetterstrahl
Die Brüder berührt ...
Ein jeder stiert
In den zweiten Zug, und der Jüngste biegt bang
Sich aus dem Fenster, so lang
Er gewachsen ... Hilf Himmel, was liegt
Dort drüben hilflos hingeschmiegt –
Ist das ein Mann?

Betroffen sehen die Krieger sich an ...
Dort drüben der Eine trägt den Helm
Und ist doch des Todes armseligster Schelm,
Ein Kriegermantel deckt ihn zu –
Gott gibt ihm wohl bald die letzte Ruh ...
Noch sieht er mit flackerndem Augensprühn
Im Fieberglühn
Der jungen Soldaten mutwillige Schar –
Doch lockt ihn kein Krieg mehr – keine Gefahr

Die Männer erstarren und leise ächzt
Der Eine, der um Blut gelechzt –
Er greift nach einer Zigarette,
Wie wenn er just Lust zum Rauchen hätte,
Dann spuckt er mächtig aus vor allen,
Als wär' ihm was in die Kehle gefallen,
Und denkt bei sich in Grauen versunken:
»Dem hat der Türke das Blut weggetrunken ...«

*

II.
Einer

Doch mehr als alle rührte mich einer
Im schlotternden Soldatenrock,
So tief verzweifelt dünkte mich keiner –
Er stützte sich auf einen Stock.

Als käm' er schwer aus Finsternissen,
Glich dem Geächteten sein Blick,
Von Leidensfurcht und Qual zerrissen,
Wies er ein fürchterlich Geschick.

Ich bat: »Sagt, Freunde, welch' ein Tiger
Hat wohl den armen Mann zerfleischt?«
Da lachten sie: »Er kehrt als Sieger
Vom Feldzug heim!« Ach – wie das täuscht ...

*

III.
In Messina

Zwei Türken schritten hin mit starkem Gang
Und sie umgab bewundernd eine Rotte,
Beglückt lief sie den Fremdlingen entlang,
Als folgt' sie staunend einem neuen Gotte.

Braun glänzten ihre Stirnen, blitzend weiss
Lachten die spitzen, kräftig jungen Zähne,
Des Siegers Lust verriet der Blick und heiss
Flackert' im Atem Gluthauch der Hyäne.

Man führte ehrfurchtsvoll die Fremden hin
Zu einem Wagenteil der ersten Klasse,
Sie reckten sich voll Stolz, ein jeder schien
Der König einer alten Heldenrasse.

»Wer sind die Männer?« fragte ich erstaunt,
Jetzt teilte sich vor ihnen gar die Menge.
»Gefangene! des Krieges Beute!« raunt'
Ein Diener froh und schob sich ins Gedränge ...

Da standen alte Zeiten vor mir auf,
Die Zeiten siegestrunkener Völkerhorden –
Wie oft schon knechtete des Pöbels Hauf
Gefangene, die ihm zum Herrn geworden ...

*

Vom Weltkrieg 1914–1918

Herr Asquith

Herr Asquith rieb sich die weisse Hand:
»Wir kreisen es ein, das deutsche Land,
Wir kreisen es ein, wir kreisen es ein –
Wir tanzen um Hungernde teuflischen Rei'n.«

Und Millionen wirkten am Werk,
Der riesige Russ', der japanische Zwerg,
Und Neger und Inder und Schwarze und Gelbe,
Und alle füllte der Hass, derselbe,
Der Asquith Seele gesteckt in Brand:
»Wir kreisen es ein, das deutsche Land.«

Was war da viel Kunst wohl nötig dabei,
Zum Feinde gesellten sich Feinde auf's Neu'...
Doch wenn auch Deutschland am Boden liegt –
Die deutsche Seele wird nie besiegt,
Sie schwebt in den Lüften wunderbar,
Dort kreist der deutsche starke Aar,

Er kreist im Aether, er kreist allein –
Herr Asquith sucht ihn im Sonnenschein
Und tobt und flucht: »Wir kreisten ihn ein –
Goddam – wo mag der Schlingel sein?«

*

Im Bahnhof

Viele schwatzen und manche weinen,
Spricht jede zum geliebten Einen,
Der nun im Abschied vor ihr steht;
Wie sie den Liebesworten lauschen,
Und ihre letzten Grüsse tauschen,
Durchbebt die Luft manch stumm Gebet.

Schreibt eine dem verstörten Gatten,
Der vor ihr senkt den Blick, den matten,
Drei Kreuzlein über Stirn und Mund,
Und ihre Schwüre, ihre Tränen,
Sie kennen nur das eine Sehnen:
»Du teures Herz – bleib' mir gesund!«

Grell pfeift der Zug, die Räder rollen,
Aus Mutterherzen, leidensvollen,
Bricht jäh ein wildes Schluchzen vor,
Verliebte Mädchen lachend winken,
Und schwermutwehe Helden trinken
Der Heimat letzten Liebeschor.

*

Sommerglanz

Ein Jubel füllt die weiche Sommerluft.
Vom nahen Wald der eitle Kukuk ruft,
Ein Duften aus des Gartens Kränzen dringt,
Die Kinder schreien jauchzend auf im Hofe,
Ein jedes tanzt – und meine blonde Zofe
Blickt sich verschämt nach einem Liebsten um,
Der zu des Lebens süssem Heiligtum
Sie tänzelnd führte über's junge Gras ...

Heut' ward im Dorfe ein Soldat begraben,
Ihn traf die Kugel im Karpathenpass,
Sie werden ihn wohl bald vergessen haben.
Über den Tod hin schreitet das Leben zum Siege –
Wer fragt noch nach dem Kriege?

*

Lazarett

Sie sitzen auf Bänken vor'm Lazarett
Auf hartem Brett,
Dem fehlt der Fuss und jenem der Arm,
Und die Sonne leuchtet goldig und warm.

Kameraden gestern in Kampf und Graus,
Kameraden heute im Siechenhaus,
Ein sanftes Behagen umfängt sie all'
Wie ein schützender Wall ...

Kameraden sind wir alle zumal,
Kameraden der Lust, Kameraden der Qual,
Im Leben, im Sterben, zu jeder Frist
Einer des andern Gefolgschaft ist.

*

Der Rote-Kreuz-Zug

Wieder ein langer Zug sich regt,
Wieviel des Leids er wohl in sich trägt?
Manch rotes Kreuz steht im weissen Feld,
Dahinter verblutet manch weisser Held,
Still liegt er hinter grüner Wand,
Vor sich den Tod, um sich den Verband.
Langsam schiebt sich der Räder Last,
Als hielten sie gern ein wenig Rast,
Und poltern doch so rauh und schwer –
Wo kommen sie wohl des Weges her?
Von welchem Schlachtfeld? Vom Süden – vom Nord?
Wer warf die Verwundeten über Bord?
Im Osten – im Westen? Und lägen im Stritt
Noch hundert Gebiete, sie zählten mit.
Es rasselt der Zug, die Wagen rollen
Hinweg mit der Last, der übervollen – – –

*

Robert Gwozdik

(Gefallen am 15. Mai 1915 bei Jaroslau)

Seit einem Jahr schläfst du im tiefen Grund,
Zerschmettert deiner Glieder junge Pracht,
Seit einem Jahr umfängt dich tiefe Nacht –
Schweigt still dein armer, jäh zerriss'ner Mund.

Im Handgranatenkampf sankst du dahin,
Von einem jungen Russen wild zerstückt –
Er jubelte vielleicht, dass ihm geglückt
Ein heisser Wurf beim nächtigen Kampfbeginn –

Und fiel dann selbst von deutscher Bruderhand,
Und krampfte sein Gesicht zum Erdenschoss,
Und in sein heisses Blut das deine floss,
So schlang um beide sich ein rotes Band,

Das Band des Lebens, ihrer Körper Strom,
Der ihnen stetig warme Nahrung trug –
Auf wes Geheiss zerbrach der Herzenskrug?
Wer löste so viel Kräfte zum Atom?

Du ruhst in fremder Erde, einsam, fern,
Viel arme Tote schlummern rings um dich
Und Mutterherzen weinen bitterlich –
Auf euch blickt der verlorenen Menschheit Stern.

*

Die Glocke

Mir ist so bang und beklommen,
Man hat uns die Glocke genommen,
Die eherne Glocke breit und schwer –
Nun scheint die arme Kirche leer,
Die Seelen im Dorfe sind verwaist,
Da keine Stimme den Herrgott preist.

Die Henkersknechte kamen herbei
Und schlugen die alten Stützen entzwei –
Da klang sie wie in weher Qual
Und rief zu Hilfe Hügel und Tal.
Erschrocken fanden die Dörfler sich ein:
»Was mag der Glocke begegnet sein?
Sie ruft zu ungewohnter Stunde
Mit ihrem treuen eisernen Munde!«
Der Pfarrer, der Messner, der Bürgermeister,
Der ganzen Gemeinde würdige Geister
Umstanden die Kirche und hörten es bang,
Es sei der Glocke letzter Klang.

Doch nein, es war der letzte nicht –
Denn als man ihr in das alte Gesicht
Die grossen, grässlichen Hammer haut',
Da rief sie mit kläglichem Schmerzenslaut,
Und als man den Meissel ihr bohrte ins Erz,
Zersprang mit gellendem Aufschrei ihr Herz.

Nun tat es endlich dem Henker glücken –
Die alte Glocke zerbarst zu Stücken.
Er aber reckte sich auf und sagte:
»Dies ist die zehnte, die ich schlug,
Doch keine noch wie diese klagte,
Jetzt hab' ich wahrlich dran genug.
Ich möchte lieber im Felde stehn,
Feinde gegen mich stürmen sehn,
Als alte Glocken niederschlagen
An grauen, trüben Herbstestagen –«

Der Pfarrer, der Messner, der Bürgermeister,
Des ganzen Dorfes ehrsame Geister
Schluckten die Tränen und schlossen die Hände
Von ihrer Trauten unwürdigem Ende.
Und sie, die stets zur Liebe rief
Und alle Herzen rührte tief,
Der alten Kirche Heiligtum,
Dient nun dem Hass zum Kriegesruhm
Und wird mit andern Glockengenossen
Todbringend in feindliche Lager geschossen.

*

Pferd-Ersatz

Zwei kräftige Mädchen, vorgespannt,
Führen die Egge übers Land,
Die braunen Schollen brechen und rauchen,
Die jungen Mädchenrösser pfauchen,
Heiss weht der Atem vor ihnen her,
Die Arbeit ist neu, die Arbeit ist schwer.

Und drüben weit im Feindesgebiet
Manch junger Mann viel Eggen zieht,
Viel eiserne Eggen durch blutige Saat
In wilder, flammenumfluteter Tat,
Aus höllischen Rachen dampft es umher –
Die Arbeit ist neu, die Arbeit ist schwer.

O Welt, wann kehrst du zum Frieden zurück,
Wann öffnet sich wieder ein Mädchenblick
Der seligen Liebe lustbringender Saat,
Wann endet des Todes grausige Mahd,
Wann sinken die blutigen Eggen zum Grund –
Wann küsst der Mann seines Mädchens Mund?

*

Kirmes 1917

Im Dorfe backen sie Kuchen
Und es hungert das weite Land,
Soldaten wandeln und suchen
Brosamen aus gütiger Hand.

Vom Felde droht es in Briefen:
Schickt Essen, sonst werden wir toll –
Wie aus verdunkelten Tiefen
Schwillt es verhängnisvoll –

Doch im Dorfe backen sie Kuchen,
Denn morgen ist Kirmesfest,
Die Weiber prassen und fluchen
Und tanzen ums alte Nest.

.

Alex. Drobik.
Zum Gedicht »Kirmes 1917«

*

Allerseelen

Verboten ward der Lichter Glanz,
Doch der Friedhof blitzt im Kerzenkranz,
Als wären die Sterne vom Himmel gefallen,
Leuchtet es von den Gräbern allen.

Erst war ein Einziger mutig genug,
Dass er eine Kerze zum Grabe trug,
Bald folgt' ihm ein Zweiter, ein Dritter dazu –
Nun haben die Toten lichtflackernde Ruh'.

Wenn streng auch die Behörde droht –
Die Liebe noch herrlicher, flammender loht,
Sie lässt den armen entschlafenen Seelen
Das letzte Lichtlein nimmer stehlen.

Tobt draussen ein wildes Strafgericht –
Des Dorfes Friedhof bezwingt es nicht,
Und ehe der Rächer zur Rache sich stellt,
Sind die Lichter erloschen – und Nacht deckt die Welt.

*

In Krakau –

In Krakau haben sie schwarz geflaggt,
Sie wollen vom Frieden nichts wissen,
Sie haben geweint, geschimpft und geklagt
Und ihre Kleider zerrissen.

In Lemberg fluchten sie dem Staat,
Sie haben geheult auf den Gassen,
Sie wähnten sich Opfer vom Verrat,
Sie glaubten sich völkerverlassen.

In Graz, dort schlagen sie bitter drein
Und jammern von Hunger und Hieben,
Das müsst' ein blinder Seher sein,
Der da sagte, dass Völker sich lieben.

Du böse, wilde, schaurige Zeit,
Es wächst an allen Orten
Des Hasses Gezücht, das plustert sich breit
Und ist Regent geworden.

Wer wird aus all dem Wirr und Wust,
Arm Vaterland, dich retten?
Du schmachtest mit zerschossener Brust
In finstern Feindesketten.

*

Unser Gebet 1917

Wir beten des Morgens aus unsern Sünden:
»Herr! Lass das Herdfeuer am Himmel entzünden –
Die grosse Sonne, dass sie uns wärme,
Siehe, Herr, unsere frierenden Schwärme.«

Wir beten des Abends zum Schöpfer der Sterne:
»Ach leuchte uns mit der Mondeslaterne,
Dass uns die himmlischen Strahlen nicht schwinden!
Herr, lass uns Licht in den Nächten finden!«
Wir flehen um alles, was Gott gewährt –
Der Krieg hat uns seltsam beten gelehrt.

*

Ein Pferd

Am Waldessaum stand ich vor einem Pferde,
Ein Schimmel war's, der müd' am Wege harrte,
Wie halbverhungert vor sich niederstarrte, –
An ihm begriff ich all die Not der Erde.

Er frass vom Grase, nagte an den Rinden
Der Bäume, stand dann wieder hilflos stumm
Und klagte nicht, sah sich nicht flehend um,
Ob keiner käme, Nahrung ihm zu finden.

Wie ein Gespenst ragt' er, auf jeder Rippe
Straffte die Haut ein böses Hungerzeichen,
Ein Zittern hob und senkt' die todesbleichen
Marklosen Knochen ohne Halt und Strippe ...

Das Leidenspferd scheint mir des Volkes Bild,
Seit dieser Krieg die Welt in Weh zerrissen,
Bis zu den letzten ihm gebotenen Bissen
Zog es am Karren, sanft, geduldig, mild –

Nun steht es schicksalüberwältigt da
Und stirbt vom Gras und büsst in dumpfem Schweigen
Der Führer Frevel, die zum Himmel steigen –
Und keine Retter stehn dem Elend nah.

*

Vier Dirnen

Vier Dirnen sah ich im Zimmer stehn,
Durchs offne Fenster zur Strasse sehn,
Die Eine war schwarz und ihr Blick glich der Nacht,
Mit der Andern schien der Morgen erwacht,
So rosig und licht hat ihr Lachen gelacht –
Die Dritte drehte sich tanzend herum,
Die Vierte kämmte vorm Spiegel sich krumm.
Was kümmert die Vier wohl Schlacht um Schlacht –
Sie haben gelacht – sie haben gewacht –.

Die Strasse her ritten vier Kavalier,
Verhungernd die Klepper, verblichen die Zier,
Hohläugig und mager, als ritte der Tod
Und die Pest und der Hunger und das zwölfte Gebot:
Der Wille, zu enden die grausame Not.
Vier andere nah'n von der andern Seit',
Acht Krücken geben das Klappergeleit',
Vier Männer tragen der Füsse vier –
So humpeln die Vier zu dem Dirnenquartier.

Die Mädel lachen – was schert sie der Krieg,
Auf ihren Wangen blüht der Sieg,
An ihren acht Lippen, in ihren acht Armen
Können wohl sechzehn Soldaten erwarmen,
Sie haben mit Regimentern Erbarmen.
Sie jubeln nach links, sie jubeln nach rechts,
Sie freuen sich des nahenden Liebesgefechts,
Das gibt eine göttliche Krüppelnacht –
So haben die Dirnen noch nie gelacht! Haha!

*

Drei Frauen

Drei Frauen ruhn und rasten
Am Weg vom langen Fasten,
Sie blicken mit Augen matt und fahl
Hinab ins grünende Frühlingstal.

Viel junge Halme spriessen
Auf Feldern und auf Wiesen,
»Doch eh' die Halme werden zu Garben,
Wir armen Weiber längst verstarben –«

So weint die Eine, die andere nickt
Verzweifelt, wie sie niederblickt –
»Was liegt an uns – wenn nur die Kinder
Am bösen Hunger litten minder.«

Die dritte faltet die dürren Hände:
»Herrgott, mach' endlich du ein Ende,
Räche die Qual, räche die Not –
Gib deinen Ärmsten der Reichen Brot!«

*

Die Mutter

(Galizien)

Pferdegetrappel und Kriegsgeschrei –
Die Kosaken reiten herbei – –
Greift ein Weib nach dem schlummernden Kind,
Greift nach den Kissen – geschwind, geschwind,
Wickelt die Bürde eilig wie nie, –
Surrend schmiegt sich ihr Kätzchen an sie ...
Schon schlagen Granaten den Kirchturm ein –
Schnell wendet die Frau sich flüchtend landein,
Keuchend entweicht sie in fliehendem Lauf
Und blickt nach dem Knaben und schreit laut auf –
Sie trägt die Katze mit sorgendem Arm
Und liess ihr Kind in der Feinde Schwarm.

*

Das Kind.

(Galizien.)

»Mädchen, wohin eilest du?«
Ruft das Kind: ich weiss es nicht –
Läuft den weiten Weg entlang.
»Mädchen, wird es dir nicht bang?
Sag' mir, wo dein Vater ist?«
Ruft das Kind: ich weiss es nicht –
»Wie du doch verloren bist –
Wo mag deine Mutter sein?«
Ruft das Kind: ich weiss es nicht –
Weiter flieht es querfeldein,
Vor sich gelben Heidesand,
Hinter sich ein Dorf im Brand ...

*

Jungfrau Maria.

(Galizien.)

Im grauen Kugelregen stand
Die Gottesfrau am Waldesrand
Und hielt ihr Kind im Arme,
Die Krieger stürmten in wildem Lauf,
Sah mancher flehend zu ihr auf,
Dass sie sich sein erbarme.

Es sank die Nacht blutdunkelmild –
Sie hoben behutsam das steinerne Bild,
Sie trugen's zum Schützengraben
Und schmückten in einer Nische Bau
Die fromme heilige Himmelsfrau
Und ihren Jesuknaben.

Nun knieen sie betend vor Marien,
Eh' sie zum heissen Kampfe zieh'n,
Wo die Granaten knallen,
Denn stand sie auch im Feindesland, –
Vor Gott hat Feindschaft nicht Bestand,
Ihr Segen ruht auf allen.

*

Das grosse Kegelschieben.

Das ist ein wildes Kegelschieben,
Kein König ist mehr aufrecht 'blieben –
Sie fallen zur Rechten, sie fallen zur Linken
Mit güldenen Kronen und blitzenden Zinken,
Zerschmettert liegen die meisten da –
Hurrah – Prolet – Hurrah!

Und wer die eiserne Kugel schob,
Wer Kaiser und König vom Stande hob,
Das war von Eisen und Stahl der Prolet,
Der hat sie alle hinweggeweht,
Blieb keiner mehr dem Volke nah –
Hurrah – Hurrah – Hurrah!

Nur Einer stemmte sich straff und stramm,
Pfiff kein Geschütz auf seinen Damm,
Er stand, als wollt' er sich halten
Und trotzen den Völkergewalten –
Da rollte die rote Kugel hin
Auch über ihn – auch über ihn –
Hurrah – Prolet – Hurrah!

Und nach dem grossen Kegelschieben
Kommt das gewaltige Menschenlieben,
Vergessend allen bösen Harm,
Liegen die Feinde einander im Arm,
Und Völker, die nach Freiheit dürsten,
Küssen sich über gefallenen Fürsten.
Solch ein Jubel war noch nie da –
Hurrah – Prolet – Hurrah!

*

Gebet der Mütter

Prozessionen, Petitionen,
Jammer, ach, in allen Zonen,
Weinend beten Millionen,
Die auf kranker Erde wohnen.
Alle streben, alle heben
Jammernd auf die Zitterhände –
Herr, dem Wüten gib ein Ende!
Lass uns Friedenswerken leben!

Doch die Sprache der Kanonen
Wandelt sich nicht in Aeonen,
Und der Jammer von Millionen
Kümmert sich nicht um Nationen,
Schreitet fort in allen Zonen,
Morden heisst die Schlachtenordnung,
Statt der Ordnung waltet Hordnung.

Noch philosophieren Führer,
Wolkensitzer, Blitzesspürer:
»Wer ist schuld an solchem Ringen?
Ich nur wehr' mich, denn bezwingen
Wolltest du mich und zum Schutze
Meiner selbst, der Welt zu Nutze,
Schiess ich dich, du Scheusal nieder,
Und zermalme deine Glieder,
Sieh, voll Unschuld steh' ich hier –
Blutschuld zwischen dir und mir!«

Petitionen, Prozessionen,
Herzgeschüttelte Millionen,
Betet, ach, in allen Zonen,
Dass die Hirne, die da thronen,
Über Menschenleben walten,
Roten Bluts Panier entfalten,
Endlich menschlichkeitsergriffen,
Aus den grauen Totenriffen
Uns'rer Söhne Kraft erretten,
Uns befrei'n aus Kriegesketten,
Dass sie ihre Völker schonen –
Darum betet, Prozessionen!


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