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Geliebte Seelen


*

Mein Vater

Als ich in Vaters Zimmer trat,
Blieb ich ergriffen stehen,
So tief gebeugt hatt' ich noch nie
Den alten Mann gesehen.

Er hielt mit der rechten Hand umfasst
Die stockenden Pulse der Linken,
Ermattet schien das weisse Haupt
Tief auf die Brust zu sinken.

So lauscht' er dem welkenden Leben nach
Und horchte seinem Tode ...
Die Lampe leuchtete durchs Gemach,
Ihr Licht fiel von der Kommode –

Dort stand der toten Mutter Bild
In fernem Jugendprangen,
Und lieblich hielt ihr froher Blick
Den alten Mann umfangen.

*

27. Juli

Meiner Mutter Todestag –
Welch ein tief verhaltnes Sehnen
Quillt durch meines Herzens Schlag,
Seh' das Leben unter Tränen.

War ein Sonntag, grad' wie heut',
Da sie sich davongeschlichen –
Hat ihr Leben sich erneut,
Als der Schmerzen Qual gewichen?

Leise zog zum fernen Land
Sie auf weichen Engelschuhen,
Dennoch fühl' ich ihre Hand
Sanft auf meinem Scheitel ruhen.

Einstens poch' ich liebevoll,
Ach, an ihres Heimes Pfähle,
Und mein Leid, das überquoll,
Schwindet hin in ihrer Seele.

*

Süsse heilige Mutter!

»Du verwöhnst mich, Mutter, mit deinen Gaben,
Sie tun mir fast ein wenig weh –
Doch tut es wohl, solch Weh zu haben –«
Schreibt meine Tochter vom fernen See.
Wehmütig denk' ich vergangener Stille,
Da streutest du der Gaben Fülle,
O meine Mutter, in meinen Schoss –
Dein Lieben so heilig, so weltengross,
Schenkte mir alles, was dich beglückte,
Alles, was dein Leben schmückte,
Mir aber schienen die Spenden gering –
Mein Sehnen andere Wege ging.
Mutter, dass ich dich nie verstand,
Dass ich nicht küsste deine Hand,
Für all den innigen, lieben Tand
Nimmer die zärtlichen Worte fand:
»Du verwöhnst mich, Mutter, mit deinen Gaben,
Sie tun mir fast ein wenig weh,
Doch tut es wohl, solch Weh zu haben!«
Wie hätt' ich dein treues Herz beglückt,
Wie hättest du lächelnd mir zugenickt –
O Mutter, wüsst' ich nicht zu dieser Stunde,
Dass um den Schmerz, den keine Worte nannten,
Noch heisser deiner Liebe Strahlen brannten –
An meiner Reue Qual ging ich zu Grunde.

*

Der Mutter Wort

Ein Vorwurf, den deine Mutter dir macht,
Der brennt noch nach zwanzig Jahren,
Wieviel du seither gehöhnt und verlacht,
Er hält in deinem Herzen Wacht,
Du wirst es einst erfahren.

Ist auch die Mutter für immer still,
Ihr Wort bleibt in dir lebendig,
Oft schmeichelt es zärtlich, oft klagt es schrill,
Es steht vor dir, wann immer es will,
Und spricht zu dir inständig.

Das ist der Mutter heiliges Wort,
Das leuchtet durch hundert Sterben,
Tönt nie verlöschend fort und fort,
Bis des Kindes schwankende Seele verdorrt –
Dann segnet es noch den Erben.

*

Erkenntnis

Reiss' nie die Mauern nieder,
Die dich vom Kinde trennen,
Dass nicht der Reue Tränen
Dir auf den Wangen brennen.

Sei ernst mit deinem Kinde,
Dass es dir Achtung weise,
Die allzugut Vertrauten
Entspringen dem Geleise,

Das ihren Weg bestimmte,
Sie spotten deiner Grösse
Und achten nur auf deiner
Entdeckten Fehler Blösse.

Liebst du den Spross des Blutes
Mit deinem vollen Herzen,
Nie wird er dir vergelten
Die Liebe deiner Schmerzen.

Was du ihm schenkst, das nimmt er,
Als müsstest du es reichen,
Was er dir bietet, gibt er
In steter Armut Zeichen.

O glaube meinem Worte:
Was immer dir gegeben,
Du hast nur dich im Tode –
Du hast nur dich im Leben.


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