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Auch steuern ist eine Kunst

Hanni feierte Geburtstag; sechzehn Jahre wurde sie, und als besonderes Geschenk hatte sie sich von den Eltern erbeten, daß sie an diesem Tage, der gerade auf einen Rudernachmittag fiel, ihre Kameradinnen zum Kaffee im Bootshaus bewirten dürfte. Dieser Wunsch wurde ihr erfüllt. Frau Hase war am Vormittag hinausgefahren und hatte Berge von Kuchen geschleppt. Als die Mädel nach der Schule draußen erschienen, kam aber erst die Arbeit, denn »Nur wenn ihr fleißig übt, könnt ihr mal tüchtige Ruderinnen werden«, betonte Fräulein Stein immer wieder ihren Mädels gegenüber, wenn sie, allmählich der kurzen Übungsstrecke unlustig, um eine größere Fahrt baten. Heute sollte nun dem Geburtstagskinde zu Ehren die erste Badefahrt unternommen werden. Etliche Kilometer vom Bootshause entfernt gab es eine große Badewiese, die an den Wochentagen kaum besucht wurde. Beide Vierer mußten heute fertiggemacht werden. Fräulein Stein steuerte wie üblich den »Baldur«, und Hanni kam an das Steuer des »Theodor Fontane«, der neben dem »Baldur« herfahren sollte. Hanni drückte das Boot geschickt mit dem Paddelhaken vom Bootssteg ab, um dem anderen Vierer Platz zu machen. »Skulls zur Hand«, befahl sie. »Alles rückwärts – los!« Langsam kam der Vierer in das Fahrwasser. »Achtung – halt!« – So, jetzt muß ich in die Fahrtrichtung drehen lassen, überlegte Hanni und gab das Kommando: »Wenden über« – Augenblick, ich muß erst mal überlegen, ja, richtig – »Wenden über Backbord!« Prompt wurde der Befehl ausgeführt, und das Boot drehte sich – entgegengesetzt zur Badewiese!

Fräulein Stein lachte und rief: »Hanni, der Steuermann muß anders denken als die Ruderer! Gerade umgekehrt ist's, denn du sitzt ja den Ruderinnen gegenüber. Auf deiner rechten Seite ist ›Steuerbord‹. Da mußt du rückwärts rudern lassen, also ›Wenden über Steuerbord‹!« – Jetzt wurde die Drehung richtig, und »Baldur« und »Fontane« lagen mit kurzem Abstand Bord an Bord. »Das Steuern ist recht einfach«, begann Fräulein Stein. »Du mußt immer an der Seite an der Leine ziehen, zu der du hinwillst, und du weißt, es ist wie auf der Straße, immer rechts halten.« Nun »Fertigmachen – fertig – los!« Beide Boote setzten sich in Bewegung. »Halte nicht die Leine dauernd stramm, sondern lose in der Hand, da sonst der Lauf des Bootes gehemmt wird. Auch nicht an der Leine ziehen, solange die Blätter der Skulls im Wasser sind, das hemmt die Fahrt des Bootes. Schau, dort vorn liegt in gleicher Fahrtrichtung mit uns ein Paddler ruhig auf dem Wasser, den läßt du beim Überholen auf Steuerbord, denn es wird stets links überholt.«

Inmitten der Fahrstraße kam den beiden Booten ein Dampfer entgegen. »Jetzt paß auf, Hanni!« rief Fräulein Stein, »steuere so, daß du die Dampferwellen stets schneidest, das heißt mit dem Bug gerade in sie hineinfährst, oder, falls dich der Dampfer überholt, die Wellen mit dem Heck auffängst. Niemals darfst du das Boot seitwärts in die Wellen legen, das ist gefährlich und könnte zu einem unfreiwilligen Bad führen.« Da wir rechts fahren, der Dampfer auch, uns aber entgegenkommt, so muß ich also leicht nach Backbord steuern, um die Wellen auffangen zu können, überlegte Hanni – und es klappte. – »Ruder- und Paddelboote haben den weniger beweglichen Fahrzeugen stets auszuweichen, lautet eine Polizeivorschrift«, sagte Fräulein Stein. – Die Boote waren bald nahe der Badewiese angelangt. ›»Halbe Kraft‹ mußt du befehlen«, rief Fräulein Stein Hanni zu. Damit das Boot zurückblieb, sollte nur mit halber Ausnutzung der Rollbahn gerudert werden, um die Fahrt zu verlangsamen. Der »Baldur« fuhr an Land. Auf den Befehl »Freiweg« folgten im »Fontane« wieder einige kräftige Schläge, und dann konnte auch er landen. Die Boote wurden ein Stück auf die Wiese gezogen, nachdem man die Skulls eingelegt hatte und die Mannschaft ausgestiegen war. Dann zog man schnell Badeanzüge an und sprang ins Wasser! Erst gab's ein tüchtiges Brausebad durch ein paar ganz übermütig spritzende Mädel, dann schwammen sie los.

Hella, die als Schlagmann im »Baldur« gefahren war, prustete neben Hanni. »Was hat denn Gretel geschrieben?« fragte sie die Freundin. »Ja, denke dir«, erwiderte Hanni, »bis mittag war noch kein Brief von ihr da!« – »Sie wird es doch nicht vergessen haben«, meinte Hella und lachte, was schwimmend nicht so einfach ist. »Warum lachst du?« fragte Hanni zurück. Doch Hella schwamm dem Ufer zu und wollte scheinbar nicht hören. Was sie nur haben mag, dachte Hanni und folgte, denn schon riefen einige Ruderinnen vom Ufer herüber: »Geburtstagskind, wir wollen Kuchen haben!«

Da fuhren sie zurück zum Bootshaus.

»Sag mal, Hanni«, rief Fräulein Stein herüber, »warum steuerst du eigentlich immer mehr in die Mitte der Fahrstraße hinaus?« – »Das ist gar nicht meine Absicht«, erwiderte diese, »ich ziehe schon dauernd Steuerbord, und das dumme Boot geht aber jedesmal mehr nach Backbord.« Jetzt platzte Fräulein Stein los. »Ja, wenn du auch die Steuerleine hinter dir über Kreuz zu liegen hast, dann glaube ich, daß du bald am anderen Ufer sitzt!« Nun lachten die Mädel aber ihren tüchtigen Steuermann aus, der schleunigst die Leinen umwechselte. Wartet nur, ich räche mich! dachte Hanni und kommandierte: »Backbord überziehen!« Auf dies Kommando erfolgten kräftigere Backbordschläge; so wurde das Boot wieder zum rechten Ufer zurückgedreht, ohne daß Hanni auch nur ein wenig mit Steuern nachhalf.

Sie konnte den Kameradinnen ja nicht sagen, daß sie nur deshalb heute so ungeschickt sei, weil ihre Gespielin aus der alten Heimat, Gretel Braun aus Rothenburg, ihr nicht zum Geburtstag Glück gewünscht habe. Sie konnte ihnen auch nicht sagen, daß sie heute keinen rechten Spaß am Rudern habe, sich noch nicht einmal aus das Kaffeetrinken freue, weil eben dieser Brief nicht da war.

Darum warf sie auch keinen Blick zum Ufer hinüber, als das Bootshaus in Sicht kam, sondern bemühte sich nur, ein rechter Steuermann zu sein. Gerade gab sie die ersten Kommandos zum Landen ab, da erklang eine helle Stimme vom Steg herüber.

»Hanni!« rief eine Mädchenstimme, und Hanni vergaß wirklich, daß sie beim Landen die Hauptperson war. Für einen Augenblick ließ sie sogar die Steuerleinen los, denn diese Stimme, die kannte sie doch! Die klang doch aus ihrer Kindheit herüber. Und da wußte sie auf einmal: Gretel rief. Da stand ja auch ein Mädel und winkte und stürzte jetzt auf den Steg zu.

»Gretel! Gretel!« Nun ging Hanni das Landen nicht schnell genug. Und dort, wo sie ausstieg, stand Gretel Braun.

»Gretel!«

Die Freundinnen fielen sich um den Hals, und auch die Mutter und Tante Else, die sich hinter Ufergebüsch verborgen hatten, traten näher.

»Also deshalb hast du nicht geschrieben!« lachte Hanni die Gespielin an. »Nein, deshalb hat sie nicht geschrieben«, antwortete an deren Stelle Hella, die sich von hinten herangeschlängelt hatte. Wie eine alte Vertraute gab sie Gretel die Hand. Das fühlte auch Hanni und meinte verwundert: »Du tust gerade so, als hättest du Gretel schon einmal gesehen.« – »Hab' ich auch!« erwiderte Hella. »Du selbst konntest sie doch gestern nicht von der Bahn abholen, dann war' es doch keine Geburtstagsüberraschung für dich geworden!«

»Wir wollen Kaffee haben!« rief da der Sprechchor der Ruderinnen.

»Ihr sollt Kaffee haben!« antwortete Hanni, der das Glück aus den Augen strahlte. Aber das unerbittliche Fräulein Stein rief erst alle zum Bootsäubern in den Schuppen. Doch sie drückte ein Auge zu, es durfte ein wenig schneller gehen als sonst, sie hatte wohl selbst Kuchenhunger.

Hanni, Gretel und Hella saßen beieinander, es gab ein Erzählen ohne Ende. Und da auch die Ruderinnen bald wußten, wer der fremde Gast war, wurde es ein sehr fröhlicher Nachmittag. Mit ihrer hellen frohen Stimme erzählte Gretel von den Kahnfahrten auf dem Rothenburger See. Vom Fischer Schalk sollte sie Hanni übrigens auch grüßen. »Wenn hier mal ein Boot übrig wäre, sollst du es ihm hinschicken, hat er mir noch aufgetragen.«

»Freust du dich nun nicht über dein Sportsmädel, Käthe?« fragte Tante Else Frau Hase. »Und wie, Else! Wie herrlich ist es doch, in solcher Zeit jung zu sein.« – »Das meine ich auch«, sagte Tante Else trocken. »Wenn du Lust hast, dann fahren wir zwei morgen in unserm Boot aus.« Doch das erschien Hannis Mutter nun doch etwas zu kühn.

Nachdem die Kuchenberge beträchtlich zusammengeschmolzen waren, meldete sich Fräulein Stein durch Tassenklappern zum Wort. Sie beglückwünschte Hanni zu ihren ersten Steuermannsversuchen und überreichte ihr als Spende der Mädel eine silberne Anstecknadel, bestehend aus zwei gekreuzten Skulls, die durch die Flagge der Ruderabkeilung zusammengehalten wurden. Hannis Freude war groß, fast so groß wie über Gretels Besuch.


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