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Der erste Ruderunterricht

Der Umzug nach Berlin mit seinen vielen Unbequemlichkeiten war gut überstanden. In der Nähe von Tante Elses Häuschen hatten Hases eine passende Wohnung gefunden. Weniger einfach gestaltete sich für Hanni das Einleben in der Schule. In der Bearbeitung des Lehrstoffes waren sie hier in Berlin schon weiter als in Rothenburg. Hanni mußte also viel nachholen und sehr fleißig sein, wenn sie schon Weihnachten das gute Zeugnis haben wollte, das sie erstrebte und mit dem sie den Eltern die Erlaubnis zum Eintritt in die Ruderriege, die an ihrer Schule bestand, abgewinnen wollte. Einige ihrer Klassenkameradinnen hatten sich bereits zum Rudern gemeldet. Auch sie hatte zu Hause verschiedentlich davon angefangen, es wurde ihr aber von ihrem Vater bedeutet, daß erst einmal die Lücken in ihrem Wissen verschwinden müßten, bevor mit dem Rudersport begonnen werden könnte. Hanni mühte sich deshalb auch ernsthaft, den Anforderungen der Schule gerecht zu werden. In ihren Mitschülerinnen fand sie sehr hilfsbereite Freundinnen. Besonders ihre Banknachbarin, die immer lustige Hella Wingert, erleichterte ihr die Schularbeit.

Hella Wingert war ein waschechtes Berliner Kind, und gerade deshalb liebte sie die süddeutsche Landschaft, die sie mit ihrem Vater schon durchwandert hatte. Sie war glücklich, sich mit einem bayrischen Mädel anfreunden zu können. Und da es sich außerdem in den Pausengesprächen sehr bald herausstellte, daß Hella eine ebensolche Wasserratte wie Hanni selbst war, konnte Hanni ihrer lieben Gretel in Rothenburg melden, daß auch Hella Wingert unbekannterweise recht herzlich grüßen lasse.

Überhaupt war der Kameradschaftsgeist in der Klasse vorbildlich, nicht nur bei den Mädeln untereinander, sondern auch zwischen den Lehrkräften und den Schülerinnen. Besonders gut verstanden sich mit den Mädeln die beiden Sportlehrerinnen, insbesondere Fräulein Stein, die auch die Ruderriege betreute und den Ruderunterricht gab.

Es war in einer Gymnastikstunde im November. Ein unfreundlicher Nebel wollte keine rechte Stimmung aufkommen lassen. Selbst die sonst so beliebten Übungen mit dem Medizinball machten heute der Untersekunda, zu der Hanni gehörte, keinen rechten Spaß. Fräulein Stein, die die Aufsicht hatte, sagte deshalb: »Wie wäre es, wenn wir heute mal mit dem theoretischen Ruderunterricht beginnen würden, damit ihr schon eine Ahnung bekommt, wie ihr euch im Ruderkasten und später im Boot zu bewegen habt? Ihr wißt ja, daß wir gleich nach den Weihnachtsferien mit dem Kastenrudern beginnen. Mehr als die Hälfte von euch ist sowieso der Ruderriege beigetreten, und den anderen, die ihr noch nicht angehören, schadet es auch nicht, wenn sie es lernen. Das Rudern ist eine sehr gesunde Gymnastik.«

Der Gedanke wurde natürlich von der Klasse sofort aufgenommen.

»Hanni, du machst solch erstauntes Gesicht, ist dir etwas nicht ganz klar?« – »Ja«, sagte Hanni, »ich verstehe nur nicht, wie wir ohne Boot rudern lernen sollen?« – »Es ist ja vorläufig nur theoretischer Unterricht, dazu brauchen wir noch kein Boot. Ihr müßt ja erst die Bewegungen lernen. Also holt mal schnell die Sprungmatratzen herbei, und dann setzt ihr euch so auf deren Rand, daß ihr gerade wie auf einem Kissen sitzt. Die Beine werden lang auf die Erde gelegt, so – aber sie bleiben geschlossen. Nun wird der Oberkörper ganz gerade aufgerichtet.« Fräulein Stein ging zwischen den Mädeln durch, die in Abständen voneinander saßen, und verbesserte einige Buckel durch sanften Druck. »Die Hände werden nun zur Brusthöhe mit dem Handrücken nach oben angezogen, aber nicht an den Körper gedrückt, sondern es bleibt ein Abstand, der sich später im Boot aus der Lage der rechtwinklig zur Längsseite des Bootes ausgebreiteten Skulls ergibt. Die Finger, jetzt wenig nach unten gebogen, halten ja später die Skulls. Die Arme werden leicht nach hinten zurückgenommen, die Ellbogen nach unten seitlich vom Körper gehalten, woraus sich auch der Abstand zwischen den beiden Händen ergibt.«

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Die Mädel, bei denen sich inzwischen eine vergnügte Stimmung eingestellt hatte, nahmen sofort die Haltung an, wie sie ihnen erklärt wurde. Im Eifer, die Hände in die gewünschte Stellung zu bringen, war aus den geraden Rücken schon wieder manch' Buckel geworden. »Ihr müßt vor allem euch bemühen, die Schultern parallel und locker nach unten zu drücken. Daraus ergibt sich dann auch eine aufrechte Haltung des Kopfes, der stets gerade, in Verlängerung der Wirbelsäule gehalten werden muß. Immer Haltung, Haltung!« erklärte Fräulein Stein. »Diese Stellung, die ihr nun einnehmt, ist die ›Grundhaltung‹.« Kerzengerade saßen alle Mädel, auch die Arme hatten mit einiger Nachhilfe durch Fräulein Stein die richtige Lage, und nun konnte es weitergehen. »Jetzt wollen wir uns mal vorstellen, daß wir die Skulls ins Wasser bringen und durch das Wasser ziehen müssen. Bei unseren sogenannten ›Trockenübungen‹ bleiben die Beine unverändert liegen, die Beinarbeit werden wir später im Ruderkasten und Boot durchnehmen. – Aufgepaßt! – Die Arme werden jetzt langsam nach vorn auseinandergeführt, etwas über Schulterbreite hinaus, wobei Ellbogen und Handgelenke gestreckt werden. Gleichzeitig mit der Armtätigkeit wird der Oberkörper nach vorn geführt. – Halt, ich hab' vorhin gesagt, der Kopf bleibt aufrecht, und die Schultern werden tief gehalten!« unterbrach sich die Lehrerin. Die Mädel folgten eifrig den Erklärungen und setzten sie gleich in die Tat um. »Das ist die ›Auslage‹. Die Skulls tauchen ins Wasser, die Oberkörper richten sich kräftig auf. Im Boot beginnt gleichzeitig damit die Beinarbeit. Der Widerstand des Wassers setzt ein. Dieser Teil des Ruderschlages heißt ›Anriß‹, von besten guter Ausführung viel für den Lauf des Bootes abhängt. Diesem ›Anriß‹ müssen wir nun den ›Durchzug‹ durch das Wasser und als Arbeit des Oberkörpers den ›Rückschwung‹ folgen lassen.«

So schnell konnten die Mädel nicht folgen. Nach einigen schüchternen Versuchen kehrten sie zur »Auslage« zurück und warteten auf die Einzelübung. »Also richtet euch kräftig auf aus der Auslage, und schwingt den Oberkörper über die Grundhaltung hinaus in eine leichte Rückenlage. Beine bleiben gestreckt! Denkt an die unveränderte Kopf- und Schulterhaltung! Die Arme werden gleichzeitig wieder in Brusthöhe ungezwungen bis seitlich dicht an den Körper geführt, Ellbogen nach unten. Durch einen leichten Druck und Ausrichten der Hand im Handgelenk werden später bei der Wasserarbeit die Skulls aus dem Wasser gehoben und die Blätter gedreht.«

Die Rückenlage war gar nicht so einfach, sie erforderte schon Anspannung der Bauch- und Beinmuskeln, und Fräulein Stein beobachtete, wie verschiedene Beinpaare zitterten. »Bei Rückkehr zur Grundhaltung werden erst die Hände in diese gebracht, das ist das ›Händeweg‹. Noch bei Ausführung dieser Bewegung folgt das schnelle Ausrichten des Oberkörpers. – So, das Ganze war erst ein Ruderschlag!« beendete Fräulein Stein ihre Erklärungen, »nun werden wir nach meinem Kommando üben: Grundhaltung, Auslage, Anriß, Rückschwung, Ausrichten zur Grundhaltung.« Mit einigen Verbesserungen an der Haltung der einzelnen Mädel wurden die Bewegungen nun schon ausgeglichener, und Fräulein Stein beendete den ersten Unterricht mit den Worten: »Es ist ganz gut, wenn ihr zu Hause immer mal ein paar Minuten übt, so daß euch die Ruderbewegungen in Fleisch und Blut übergehen. Und nun Schluß bis zur nächsten Gymnastikstunde.«

»Ich glaube, ich könnte schon beinahe im Boot rudern«, meinte Hanni. »Na, na«, dämpfte die Lehrerin, »da mußt du noch manches hinzulernen, aber besonderes Talent scheinst du zum Rudern zu haben, das konnte ich beobachten.« Über dieses Lob freute sich Hanni, wenn auch ein tüchtiger Muskelkater am nächsten Morgen die Ruderfreude ein wenig dämpfte. Aber dann sah sie zu Hella hin, die auch verstohlen ihre Muskeln beklopfte, und lachte in sich hinein.


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