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Hannis erste Bekanntschaft mit dem Rudersport

Gleich nach dem Mittagessen ging's dann los. Tanke Else saß am Steuer des Wagens, und Hanni durfte, wie versprochen, neben ihr Platz nehmen. Sie trug das neue weiße Sportkleid, das die Mutter ihr noch als Reiseüberraschung in den Koffer gelegt hatte. Auch Tante Else hatte ein Sportkleid an. Wie ein junges Mädel sah sie aus, fand Hanni, die mit dieser Anerkennung auch gar nicht zurückhielt. »Mädel, ich bin doch auch noch jung«, lachte Tante Else. »Einunddreißig Jahre sind doch kein Alter, wenn man Sport treibt und sich dadurch frisch und elastisch erhält. Ich will in diesem Jahre noch das Sportabzeichen erringen, und im nächsten Jahre hole ich mir sogar das silberne. Mache es mir nur nach, dann bleibst du gesund an Körper und Seele.«

Unter diesen Gesprächen langten sie am Bootshause an, einem hübschen, villenähnlichen Gebäude, das in einem großen Garten lag. Vor dem Hause am Wasser war ein großer Platz. Unter alten Bäumen standen helle Gartenmöbel. Einige Bekannte der Tante saßen beim Kaffee. Tante Else und Hanni gesellten sich zu ihnen. Hier konnte Hanni nun beobachten. Aus einer Halle wurde gerade von einigen Ruderern ein Boot auf einem kleinen Wagen herausgefahren. Und jetzt, Hannis Augen wurden riesengroß, erschien ein junger Mann; hoch über dem Kopfe mit gestreckten Armen trug er sein Boot. Er setzte es ins Wasser, und da sah es aus wie ein langes, ganz schmales Brett mit einem kleinen Sitz. Aufgeregt fragte Hanni: »Tante Else, will er sich denn da hineinsetzen? Sinkt da das Boot nicht?« – »Aber nein, mein Kind, das ist ein Skiff« erklärte Tanke Else lachend, »und dein ›er‹ ist ein großer Meisterruderer, der schon viele Preise gewonnen hat. Siehst du, jetzt springt schon ein Kamerad hinzu und hält das Boot ganz fest, denn sonst könnte er nicht einsteigen, ohne zu kentern. Er würde gleich ›auf der anderen Seite wieder aussteigen‹, wie der Ruderer sagt.«

Mit einem eleganten Schwung sauste der preisgekrönte Rudersmann in seinem Skiff nun hinaus auf die glitzernde Wasserfläche. Auch das andere Boot war inzwischen von der Mannschaft besetzt worden. Es wurde gerade durch Rückwärtsdrücken mit den »Rudern«, wie Hanni sagte, vom Steg entfernt. »Wenn du hier im Bootshause bist, mußt du dich schon ›zünftig‹ ausdrücken«, verbesserte Tante Else. »Unser Meisterruderer im Skiff hatte in jeder Hand ein ›Ruder‹ oder, wie du von jetzt an sagen wirst, ein ›Skull‹. Diese Art zu rudern findest du bei jeder Gattung des Ruderbootes, vom Einer bis zum Achter. Darum heißt ein Boot, in dem zwei mit Skulls rudernde Personen sitzen, auch Doppelskuller oder Doppelzweier. Ebenso spricht man dann vom Doppelvierer und Doppelachter. Doppelachter sind aber ziemlich selten.« – »Ach, da haben wir aber Glück, draußen fährt gerade einer vorbei«, zeigte Hanni. »Nein, Hanni, das ist kein Doppelachter«, erwiderte die Tante. »Du siehst auf der uns zugekehrten Seite nur vier ›Ruder‹, obwohl acht Ruderer im Boot sitzen. Wenn du genau hinsiehst, kannst du erkennen, daß die Ruderer beide Hände zusammen auf dem Ruder, in diesem Falle dem ›Riemen‹, zu liegen haben. Das Boot, das du siehst, ist also kein Doppelachter, sondern ein Riemenachter. Für dich, als zukünftige Ruderin, kommt aber nur das Skullen in Frage, da nur beim Skullen der Körper gleichmäßig durchgebildet wird. Schau, zu dem Vierer da auf dem Bootsplatz, der von Ruderern und dem Steuermann besetzt wird, gehören diese vier Paar Skulls. Es ist also ein ›Doppelvierer‹. Du kannst schon mal hingehen und ihn dir näher betrachten.«

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Auf diese Aufforderung hatte Hanni nur gewartet, und schon stand sie neben dem Boot. Einer der Ruderer, dem das Interesse des Mädels gefiel, gab ihr nun einige Erklärungen. »Solch Vierer ist etwa elf Meter lang und achtzig Zentimeter breit. Wir haben noch etwas schmalere, aber auch breitere Boote. Rennboote sind natürlich bedeutend schmaler, deshalb sind sie auch nicht für größere Fahrten geeignet. Dazu nimmt man ›Gigs‹, Bootstypen, wie dieses hier. Die Rennboote sind innen und außen ganz glatt. Gigboote dagegen werden aus schmalen Holzstreifen oder ›Planken‹ zusammengesetzt, und zwar wird dabei nicht Kante an Kante gefügt, sondern die Planken werden so aufeinandergenagelt, daß an der Außenwand immer die nächstobere ein wenig über die untere übersteht. Innen ist es natürlich gerade umgekehrt. Man nennt diese Bauart ›Klinkern‹.« (Nach Art der Dachziegel.)

An dem Boot wurden nun an jedem Ruderplatz nach beiden Seiten eiserne Arme auf der Außenfläche festgeschraubt. Das waren die »Ausleger«, wie Hanni wissensdurstig feststellte, von denen jeder eine drehbare Messinggabel, die »Dolle«, trug, in die das Skull eingelegt wird, wenn das Boot im Wasser liegt. Der Steuermann hakte einen breiten, wenn auch nur harten Brettersitz mit einer Rückenlehne. Die »armen Ruderer« aber mußten sich mit einem ganz schmalen Brettersitz begnügen, der wie ein kleiner Wagen mit vier Rädern auf zwei Schienen lief. Hanni hatte kurz vorher etwas von einem Rollsitz gehört, ohne sich allerdings etwas darunter vorstellen zu können. Sie brachte nun folgerichtig diese rollenden »Klubsessel« hiermit in Verbindung. Nachdem ihr noch erklärt worden war, daß die Ruderer ihre Beine auf einem in Beinlänge vor ihrem Sitz angebrachten schräg stehenden Brett, dem »Stemmbrett«, festzuschnallen hätten, schwirrte ihr doch allmählich der Kopf von den neu aufgenommenen »zünftigen« Ausdrücken. Mit einem Dank an den freundlichen Erklärer wollte sie zur Tante zurückkehren und – starrte wie gebannt auf einen großen Fleck auf dem schönen, weißen Kleide. »Nicht traurig sein«, trösteten die Herren, »das ist nur Skullschmiere!« – »Die geht mit Terpentin wieder 'raus. Zwar schmieren wir in der Regel nur den Lederbeschlag der Skulls, aber mitunter kommt es vor, daß auch das Rudertrikot damit garniert wird«, bemerkte der Steuermann mit einem Seitenblick auf sein einziges Kleidungsstück, das sich gerade in dieser Verfassung befand. Hanni beruhigte sich erst, nachdem auch die Tante ihr die Versicherung gab, daß der Schaden leicht zu beheben wäre.

Am Nachbargrundstück hatten inzwischen auch mehrere Boote angelegt, in denen junge Mädel saßen. Es waren Mitglieder einer Schülerinnenabteilung, die von einer Fahrt zurückkamen; in »Zweiern« und »Vierern«, wie Hanni fachmännisch feststellte. »Wenn du nun ständig in Berlin wohntest, könntest du auch einer Schülerinnenriege beitreten«, meinte Tante Else, die Hannis sehnsüchtige Blicke bemerkt hatte. »Fast jede höhere Lehranstalt hat Schülerriegen. Die Erlaubnis deiner Mutter würde schließlich auch noch zu erringen sein.«

Allmählich war es Abend geworden, und Onkel Richard kam. Er freute sich über das Verständnis, das Hanni dem Rudersport entgegenbrachte.

Diesem einen Tage im Bootshause folgten noch viele, denn Hanni kannte keinen schöneren Aufenthalt. Einige Male durfte sie Onkel und Tante im Doppelzweier steuern, sogar an einem Sonntage, als der ganze Klub eine gemeinsame Fahrt zu einem hübschen Lagerplatze veranstaltete.

Als dann die Abschiedsstunde von Berlin schlug, war sie recht traurig, wenn sie sich auch auf das Wiedersehen mit den Eltern freute. Ganz leise hegte sie die Hoffnung, daß sich ihr doch einmal die Möglichkeit bieten würde, ein tüchtiges Rudermädel zu werden.


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