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Sorgen der Mütter

Längst war von den zahlreichen Türmen und Türmchen der jahrhundertealten fränkischen Stadt Rothenburg der letzte Hall des Abendläutens verklungen. Ein herrlicher Frühsommertag ging zur Neige. In den engen Gassen öffneten sich schon vereinzelt die Türen der malerischen, altertümlichen Giebelhäuser, deren Bewohner noch einen Abendschwatz in der Gasse oder an der alten Stadtmauer halten wollten.

Im Mittelalter war Rothenburg eine der blühendsten freien Reichsstädte. Heute ist es ein romantisches Städtchen, das – abseits von dem Hasten und Jagen des modernen Verkehrs – von den längstvergangenen Zeiten seiner reichsstädtischen Herrlichkeit träumt und weit in ein liebliches Tal hinabschaut. Auf einem Felsvorsprung erhob sich einst eine stolze gräfliche Burg, die dem Städtchen auch den Namen gab. Ihre Ruine beherrscht noch immer das Stadtbild. Sie erfreut sich besonders bei der Jugend großer Beliebtheit. Lassen sich doch hier die herrlichsten Räuber- und Ritterspiele ersinnen. Und nirgends könnte ein sentimentaler Backfisch sich besser in die Rolle eines Burgfräuleins, das des Ritters harrt, hineinträumen, als an dieser historischen Stätte. Daher ist die Ruine schon seit Generationen mit dem Leben der Bewohner von Rothenburg eng verbunden.

Nur ein Mädel hat so gar keinen Sinn für diese Stätte, und das ist »Amtsgerichtsrats Hanni« oder Johanna Hase, wie ihr Taufname lautet, die soeben mit einem nassen Badeanzug in der Hand das väterliche Haus betritt.

»Ist Mutter schon von ihrem Kaffeekränzchen zurück?« fragte sie das öffnende Mädchen. »Hanni, warst du bei dem kühlen Wetter schon wieder im Wasser, trotz Mutters Verbot«, ertönte als Antwort die streng sein wollende Stimme des Amtsgerichtsrats. »Väterchen, nicht schelten«, schmeichelte Hanni, »es ist doch so herrlich da draußen am See.« – »So, das nennst du am See, wenn du mit dem nassen Zeug da ankommst? Ich nenne das im See! Du weißt recht gut, daß Mutter sich ängstigt, weil sie fürchtet, du könntest dir auch eine Erkältung holen wie dein armes Schwesterlein, das daran gestorben ist, als du noch ganz klein warst.« – »Aber sieh mal, Väterchen, Doktor Braun hat neulich erst wieder festgestellt, daß ich doch ganz gesund und sogar kräftiger bin als seine Gretel, und er sieht es gern, wenn Gretel Sport treibt. Ich freue mich so, daß uns der neue Sportlehrer das Schwimmen beigebracht hat. Aber weißt du, noch schöner als das Schwimmen finde ich es, mit einem Boot zu fahren. Und wenn man das will, muß man schwimmen können, sagt Doktors Heinz. Es ist nur schade, daß der See so klein ist, sonst würde ich dich so lange quälen, bis du mir ein Boot kaufen würdest, in dem man richtig rudern kann, nicht nur wie in Fischer Schalks Kahn. Heinz Braun hat erzählt, daß er in Würzburg neulich ganz schmale Boote gesehen hat, in denen die rudernden Männer immer hin und her gerutscht sind und ganz schnell vorwärts kamen. Und denk' nur, da ist auch ein Boot vorbeigekommen, da haben sogar vier Mädel drin gesessen, und eine fünfte hat gesteuert. Das muß doch herrlich sein!« – »Mädel, das war aber eine lange Rede! Ich möchte nur mal wissen, woher du solche Wasserratte bist. Deine Mutter würdest du nicht lebendig auf das Wasser bringen, nun, und ich habe auch lieber festes Land unter den Füßen. Aber woher weißt du denn überhaupt, wie es sich in Fischer Schalks Kahn rudert? Ich will nicht annehmen, daß du das schon ausprobiert hast?«

O weh, jetzt hatte Hanni sich verraten. Zum Glück wurde sie einer Antwort enthoben, denn das Telephon klingelte; Herr Kreisarzt Dr. Redlich fragte an, ob der Herr Amtsgerichtsrat für ihn heute noch zu sprechen wäre, da er dringend mit ihm zu reden hätte.–

Zur gleichen Zeit öffnete sich das mit einem Löwenkopfe als Türgriff geschmückte Haustor der Apotheke »Zum goldenen Löwen« und entließ einen Schwarm von Damen, die sich noch einmal mit lebhaften Dankesworten für den reizenden Nachmittag von der Gastgeberin, der Frau des Apothekers, verabschiedeten. Zwei von ihnen verschwanden ziemlich eilig in einer kleinen Seitengasse.

Es waren Hannis Mutter und Frau Dr. Braun. Beide waren seit ihrer Jugendzeit her befreundet und pflegten auch die Freundschaft zwischen ihren Kindern, der blonden Hanni und dem Geschwisterpaar Gretel und Heinz. Noch klang das Gespräch in ihnen nach, das bei der Kaffeetafel geführt worden war, und das, wie so oft schon, sich um die Erziehung der Kinder gedreht hatte. Der Drang zum Sport, der in der jungen Generation so lebendig war, beunruhigte einige Mütter. Auch Frau Hase gehörte zu ihnen. Sie sah es ungern, daß ihre Hanni Sport trieb und hatte diese Gedanken erst heute wieder in Worte gekleidet. Besonders der Wassersport erschien ihr gefährlich. Der frühe Tod ihres ersten Kindes hatte sie überängstlich gemacht. Es war nur gut, daß Frau Braun so ganz anders darüber dachte.

»Du weißt, wie ich mich um Hanni sorge«, sprach Frau Hase auf dem Heimwege zu ihrer Freundin. »Wie leicht kann sie sich im Boot nasse Füße holen und die schönste Erkältung, wenn nicht gar noch Schlimmeres ist da.« – »Nein, darin kann ich dir nicht beipflichten, du mußt das Mädel nicht so verzärteln, denn dadurch wird sie nur anfällig«, antwortete Frau Dr. Braun. »Ich bedauere es nur, daß wir hier keine Gelegenheit zum richtigen Wassersport haben, ich würde selbst noch rudern lernen. Hoffentlich ist es meinen Kindern mal vergönnt, sich gerade diesem gesunden Sport zu widmen.« – »Du bist ja gerade wie meine Schwester Else in Berlin, deren Mann einem Ruderverein angehört. Sie haben auch ein eigenes Boot, in dem meine Schwester sogar mitrudert. Danke schön, mein Fall ist's nicht«, erwiderte Frau Hase und verabschiedete sich von der Freundin, die zu Hause angelangt war.


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