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Kastenrudern

Weihnachten war vorbei. Hanni hatte bei Ferienbeginn ein gutes Zeugnis vorweisen können und durfte als Belohnung dafür vorläufig am Unterricht im Ruderkasten teilnehmen. Jeden Sonnabend nachmittag fuhr sie nun mit Hella zusammen in das Bootshaus eines großen Herrenrudervereins, der ein vorbildliches Ruderbecken besaß und es der Schülerinnenabteilung unentgeltlich zur Verfügung stellte. Hanni hatte sich noch keinen Begriff vom »Kastenrudern« machen können. Nachdem sich die Mädel in der Garderobe umgezogen hatten, traten sie in eine große Halle, die in halber Höhe unter dem Bootshause lag und ringsum kleine Fenster hatte. Fast die ganze Bodenfläche nahm ein großes, mit Wasser gefülltes Becken ein, um das ringsherum ein Laufgang mit einem Geländer führte. Mitten durch das Wasser ging ein breiter Steg, an dessen linker Seite ein Kasten mit Sitzen angebracht war. Zu beiden Seiten des Kastens, also rechts ein wenig über Steghöhe, waren die Ausleger befestigt, in deren Dollen nun vom Bootsdiener Skulls eingelegt wurden, die rechts über den Steg hinaus im Wasser lagen. Diese Skulls unterschieden sich von denen, die Hanni vom Boot her kannte, dadurch, daß der im Wasser befindliche leicht gewölbte breite Teil, das »Blatt«, durchbrochen war, um dem im Becken stärkeren Widerstand des Wassers standzuhalten. Im Boot stand die Höhlung des Blattes zum Steuersitz hin.

Vier Mädel, darunter Hanni, kletterten nun in den Kasten hinein und setzten sich. »Der Sitz rollt ja nicht«, tadelte Hanni. »Nein«, sagte Fräulein Stein, »vorläufig übt ihr auf dem festen Sitz, bis ihr erst mal Körper- und Wasserarbeit beherrscht. Erst dann kommt der Rollsitz. Die Wasserarbeit ist schon neu für euch. – Stellt die Beine auf das Stemmbrett vor eurem Sitz, der Schuhhacken kommt in die Messingstütze am unteren Teile, – da habt ihr wieder die gestreckte Beinhaltung der Trockenübungen – und schnallt die Füße über den Fußspitzen mit dem am Stemmbrett befindlichen Fußriemen so fest, daß ihr Halt habt und doch jederzeit ohne Öffnen des Riemens herausschlüpfen könnt. – Der obere Teil der Skulls, den ihr am äußersten Ende greift, ist der Hebel. Ihr seht, daß die Hebel der Skulls in der Mitte des Kastens mit ihren Enden nicht gegeneinanderstoßen, sondern übereinander hinausragen, die Hände also nicht nebeneinander Platz haben. Da muß nun also die eine Hand, zum Beispiel die rechte, das Skull über den linken Handrücken hinwegführen. Gewöhnlich gleitet die rechte Hand über der linken, aber das kann jeder machen, wie es ihm am bequemsten ist, also auch die linke Hand kann übergreifen. Skulls werden nicht krampfhaft umschlossen in der Hand gehalten. Wir üben zunächst noch ohne Aufdrehen des Blattes. Nun nehmt die Skulls zur Hand und nehmt Grundhaltung ein. Das Blatt steht über der Wasserfläche und zwar senkrecht dazu. Blatthöhlung in Richtung des Vordermannes. – Auslage! – Durch das Vorwärtsführen der Arme geht das Blatt nach hinten. Jetzt folgt der ›Anriß‹ und das gleichzeitige Eintauchen des Blattes ins Wasser, aber mit gestreckten Armen, so, daß die obere Kante des Blattes gerade mit dem Wasser abschneidet. Nun ›Rückschwung‹ – Arme werden dabei zum Körper geführt – und die Blätter mit gleichmäßigem Druck so weit durch das Wasser gezogen, bis der Wasserwiderstand aufhört. Beine fest gegen das Fußbrett stemmen. Jetzt Ausheben der Blätter durch leichten Druck auf den Hebel. Schnelles ›Händeweg‹ zur Grundhaltung geschieht vor dem Ausrichten des Oberkörpers!«

Nach einer Viertelstunde wurden die Mädel von den nächsten vier abgelöst und konnten sich ausruhen. Es ließ sich einrichten, daß jede Mannschaft zweimal an einem Übungstage in den Kasten konnte. Am dritten Übungsnachmittage konnte die Lehrerin schon dazu übergehen, den Ruderschlag zusammenhängend durchführen zu lassen, ohne ihn durch Kommando in seine einzelnen Teile zu zerlegen. Auslage, Einsatz, Anriß und Rückschwung gehen dabei ohne Pause fließend ineinander über. Die Rückenlage darf dann nicht tiefer sein, als zur Erreichung eines wirksamen Endzuges im Wasser nötig ist. Das Blatt muß voll im Wasser sein. Das saubere Ausheben des Blattes geschieht ohne Aufwerfen des Wassers.

Ein schwieriger Punkt für Hanni war das erforderliche schnelle »Händeweg« und das danach ebenso schnelle Aufrichten des Oberkörpers aus dem Rückschwung. Sie gab sich erdenkliche Mühe, aber es wollte und wollte nicht gelingen. »Du mußt dir einbilden, du hättest eine Sprungfeder im Kreuz, die nun flink hochschnellt, wenn du hinten angelangt bist«, versuchte Fräulein Stein, ihr über den schwierigen Punkt hinwegzuhelfen. »Stemme vor allem die Beine kräftig gegen das Fußbrett, damit du tüchtigen Körperschwung bekommst.« Dann mußte Hanni allein üben, und sie stellte sich hinter sie in den Kasten. Als Hanni zur Rückenlage kam, hielt Fräulein Stein ihr die Hand in das Kreuz und schob sie mit einem leichten Druck hoch. Nach einigen Malen Wiederholung klappte die »eingebildete Sprungfeder« tadellos, und Hanni war glücklich, durch solche einfache Erklärung einen großen Fehler in der Ruderarbeit überwunden zu haben.

Bald danach sagte Fräulein Stein: »Ich glaube, ich kann jetzt schon mal das Blattdrehen mit euch üben, denn ihr habt die Skulls schon ganz gut in der Gewalt, und auch die Körperarbeit ist leidlich. In der Grundhaltung liegen nun die Blätter flach auf dem Wasser, mit der Höhlung nach oben. Sobald die Skulls über die Dollenhöhe hinaus sind, also in der letzten Hälfte der Auslage, werden sie langsam so gedreht, daß das Blatt mit der unteren Kante dicht über dem Wasser beim Einsatz senkrecht steht. Eintauchen geschieht in bekannter Weise, und nach dem Ausheben wird es wieder flach aufgedreht durch Ausrichten des Handrückens. Bei der Auslage wird das Blatt dicht über Wasser geführt, ohne es aber zu berühren.« – Es gab zuerst manchen Spritzer ab, denn die Blätter wurden meist schon noch halb im Wasser aufgedreht. Aber durch Üben wurde der Fehler bald behoben. Nun spitzte sich Hanni auf den Rollsitz, wurde aber von Fräulein Stein schwer enttäuscht, die ihn erst für das Boot in Aussicht stellte.

Rückwärtsrudern lernten die Mädel noch, damit sie später das Boot vom Steg wegrudern können, denn ein Boot wird mit dem Steuerende, dem Heck, zuerst ins Wasser gebracht. – Dabei werden die Blätter mit der Höhlung rückwärts gestellt und aus der Grundhaltung heraus die Arme vom Körper nach vorn weggedrückt.

Nun konnte bald die Arbeit im Boot beginnen. Hanni und Hella hatten keinen Übungstag ausgelassen und freuten sich auf das Anrudern, das Anfang Mai stattfinden sollte; die »Jüngsten« konnten sich freilich noch nicht daran beteiligen, sondern durften nur »Zuschauer« spielen.


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