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Anrudern

Anfang Mai wurde die Rudersaison festlich eröffnet. Es war schon sehr warm, so daß auf dem Bootsplatz im Freien eine lange Kaffeetafel für die Schülerinnen mit ihren Gästen gedeckt werden konnte. Dies waren zumeist die Eltern. Bootsplatz und Schuppen waren mit bunten Wimpeln geschmückt. Diese gaben dem Festplatz ein lustiges Aussehen.

Hanni und Hella, deren Eltern auch an der gemeinsamen Kaffeetafel saßen, hielten es hinter dem Kuchenteller nicht allzulange aus. Sie streiften über den Platz, hatten sich untergehakt und waren glücklich, daß der Sommer da war, daß sie nun wieder schwimmen und hoffentlich auch gemeinsam rudern konnten. Immer wieder warf Hanni einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Nun muß die Tante gleich kommen«, flüsterte sie.

Hanni hatte nämlich auch Tante Else eingeladen, die Eltern wußten davon noch nichts. Heute wollte sie es bei den Eltern durchsetzen, daß sie der Ruderriege beitreten dürfe. Fräulein Stein hatte ihr schon ihren Beistand versprochen, wenn nun auch noch die Tante für sie ein gutes Wort einlegte, konnte die Sache ja nicht schief gehen, dann mußten Vater und Mutter doch einfach »ja« sagen.

»Nun ist es doch schon fast ein Jahr her, seitdem ich zum ersten Male in Berlin war«, sprach sie zu Hella. »Damals hätte ich nie und nimmer geglaubt, daß ich einmal für immer hier wohnen würde.« – »Von mir wußtest du damals auch noch nichts«, lachte Hella. »Nein, damals war Gretel Braun meine einzige Freundin.« Hanni zögerte im Weitergehen. Sie dachte an Rothenburg, an den kleinen See und Fischer Schalks morschen Kahn, schön war es ja auch gewesen.

»Deine Tante!« rief da plötzlich Hella aus und deutete zur Einfahrt. Ja, da stieg Tante Else gerade aus ihrem Wagen und sah sich suchend um. Die beiden Mädel liefen über den Platz, vorbei an ihrem Schuldirektor, der erschrocken stehenblieb.

»Tante Else!«

»Na, da seid ihr ja!«

Die Mädel hängten sich ein und führten die Tante den Eltern zu, denn, wie sie lachend sagte, hatte sie Kaffeedurst bekommen.

Das Fest wurde eröffnet mit der Taufe des einen Vierers, der seit dem Herbst als Heidenkind im Besitz der Ruderriege war. Der Täufling ruhte, mit einer Girlande aus Tannengrün geschmückt, auf Böcken auf dem Platze. Der andere Vierer und der Doppelzweier lagen fahrtbereit am Steg, um den Täufling nachher auf der Paradefahrt zu begleiten. Mit aufgepflanzten Skulls standen vier Primanerinnen, die ihn nachher rudern sollten, während des Taufaktes neben ihm. Der Direktor der Anstalt hielt eine Rede und taufte das Boot auf den Namen des märkischen Heimatdichters »Theodor Fontane«, indem er in hergebrachter Weise eine Flasche Sekt am Bug zerschellte. »Richtiger Sekt ist da drin«, flüsterte Hanni den Eltern zu, – »allerdings von Obstwein!«

Dann wurde das Boot zu Wasser gebracht und machte seine erste Fahrt, von den beiden anderen Booten in Kiellinie begleitet. Die Gäste standen alle am Steg und schauten zu. Da nur zwei Boote gleichzeitig am Steg Platz hatten, blieb nach der Paradefahrt der Zweier noch auf dem Wasser, um die Gäste mit einigen Schaustücken zu unterhalten. Vor allem sollten sich die Eltern davon überzeugen, daß ihren Töchtern bei richtigem Verhalten wirklich nichts passieren konnte, wenn mal Gefahr drohen sollte.

Der Zweier hatte am Heck oberhalb des Kiels ein Loch zum Ablaufen des Wassers aus dem Boot, das, ähnlich wie bei einer Badewanne, mit einem Korken dicht verschlossen war. Der Steuermann krabbelte nun nach hinten und entfernte den Korken, sodaß das Wasser ungehindert ins Boot strömen konnte. Während die Mädel vor dem Steg noch auf und ab ruderten, füllte sich das Boot schnell mit Wasser. Es reichte schon bis über die Laufbretter, und langsam begann das Boot zu sinken. Ganz ruhig blieben die Ruderinnen auf ihren Plätzen mit ausgebreiteten Skulls sitzen. Die Blätter lagen ruhig flach auf dem Wasser. Jetzt verschwand schon die oberste Bordkante im Wasser, vom Boot war nichts mehr zu sehen. Nur ein Stück unter die Oberfläche sank das Boot, dann blieb es stehen, obwohl das Wasser hier ziemlich tief war. Die Mädel saßen bis zur Brust im Wasser, ganz unbeweglich. Jetzt rief der Steuermann: »Skulls lang, loslassen, und 'rausspringen!« Sobald die Skulls nun bewegt wurden, schlug das Boot um und kam kieloben an die Oberfläche, ging auch nicht wieder unter, obwohl sich nun alle drei Mädel daran festhielten. Im Ernstfalle ist das das allein Richtige und dem Wegschwimmen vorzuziehen, denn Hilfe ist doch meist in der Nähe. Nun zogen sie das Boot unter dem Beifall der Zuschauer schwimmend an Land. Fräulein Stein gab noch die Erklärung ab, daß jedes Boot, wie gezeigt, bei ruhigem Verhalten nur bis kurz unter die Wasserfläche sinke und selbst beim Kentern immer wieder kieloben auftauche, so daß ein Unglück eigentlich ausgeschlossen sei.

.

Die gelungene Kenterübung nutzte Hanni dahin aus, den Eltern das Einverständnis für ihren Beitritt zur Ruderriege abzugewinnen. Sie bat Fräulein Stein, nun mit den Eltern zu sprechen, der Tante nickte sie zu, und dann brachte sie ihren Wunsch vor. Sie sprach erst ein wenig stockend, aber als sie sah, daß Hella – die hinter den Eltern stand – beide Daumen drückte, gewann sie alle Zuversicht wieder.

Als Hanni geendet hatte, sah der Amtsgerichtsrat Hase fragend seine Frau an. Ihm selbst gefiel ja dies Treiben hier draußen ausgezeichnet. Das fühlte auch Fräulein Stein, darum wandte sie sich gleich an die Mutter. »Sie können Hanni wirklich unbesorgt auf's Wasser lassen, Frau Hase. Sie kann gut schwimmen und ist ein vernünftiges Mädel, das bestimmt keine Dummheiten machen wird. Sie haben eben auch gesehen, wie wir unsere Schülerinnen vorbilden.« – »Das stimmt schon«, gab Frau Hase zu. »Ich möchte glauben, daß die wilde Ruderei in Schalks Kahn auf dem Rothenburger See gefährlicher war.« Fragend sah sie ihren Mann an, der nickte lachend zurück. »Und ob das gefährlicher war!« meinte er.

Jetzt hielt die Tante ihre Zeit für gekommen, und auch Hanni schien das zu glauben, denn sie gab der Tante einen sanften Rippenstoß. »Ich rate dir auch zu, Käthe«, sagte sie. »Einmal machst du deinem Mädel damit eine Freude, wie ich sie kenne, würde sie ja auch nicht eher ruhen, bis du ja gesagt hast, und dann: sieh dir doch die sporttreibende Jugend hier an! Hat man an den Mädeln nicht seine Freude?« – »O ja«, gab Frau Hase zu. »Seitdem Hanni im Kasten rudert, ist sie sichtbar kräftiger geworden.« – »Hungriger auch«, ergänzte der Vater und fuhr seiner Hanni übers Haar.

»Nun, dann gibt es wohl kein Überlegen mehr?« fragte Fräulein Stein.

Herr Hase sah noch einmal seine Frau an, dann antwortete er zustimmend:

»Soll die Hanni ihren Willen haben!«

»Hurra!« rief Hanni, fiel erst der Mutter und dann dem Vater um den Hals. »Hurra!« rief auch Hella und gab die arg zerdrückten Daumen wieder frei.

Bei dem nun folgenden gemütlichen Beisammensein konnte Fräulein Stein mit launigen Worten die strahlende Hanni als jüngstes Ruderküken feierlichst in ihre Schar aufnehmen. Hellas Eltern hatten schon früher ihrer Tochter die Zustimmung gegeben.

»Wißt ihr«, sagte die Tante, »ich habe meinen Photoapparat im Wagen. Da können wir von der jüngsten Ruderin Deutschlands gleich einmal eine Aufnahme machen.« Gesagt, getan. »Wer kriegt denn nun das erste Bild?« fragte der Vater. Da sah Hanni strahlend auf und über sie alle hinweg. »Gretel«, sagte sie leise.


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