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Luther in Erfurt

Vier kahle Wände. Flackernd Licht
Fällt auf ein bleiches Mönchsgesicht,
In tiefe Augen, die durchwacht
Mit brennenden Lidern die ganze Nacht.
Beschwörend hebt eine hagere Hand
Sich aus dem dunklen Mönchsgewand.
Ob der Geschor'ne mit Geistern spricht?
In letztem Zucken erstirbt das Licht.
Und lauter klingt es: »Aus Gnaden allein
Soll der Christ nach dem Worte selig sein?
Gerungen hab' ich die lange Zeit
Um der guten Werke Gerechtigkeit,
Weiß, wie das Töten des Fleisches tut, –
Gegeißelt hab' ich mich bis aufs Blut, –
Und dennoch blieb ich, wie ich war:
Elend und friedlos, Jahr um Jahr.
Demütig nahm ich den Bettelstab
Und zog die Gassen auf und ab;
Almosen hab' ich dem Orden geheischt,
Und Scham hat die Seele mir zerfleischt.
Doch blieb ich ein Sünder, der nimmer wert,
Daß, Herre, dein Antlitz sich zu ihm kehrt!« –
Starr richtet sich auf das mächtige Haupt:
»Helf' Gott, daß mein Herz an Gnade glaubt!« – –
Längst floß des Morgens erster Schein
Fahlblau ins kleine Fenster herein,
Nun flammt der Ost in roter Glut, –
Sein Hirn durchzuckt's: »Wie Christi Blut!«
Jetzt schießt ein Strahlenbündel empor,
Und die Sonne tritt aus dem Wolkentor. –
Mit dem Blick eines Sehers, groß und weit,
Schaut er ahnend hinaus in die Herrlichkeit.
Das ist der Gnadensonne Bild,
Die sich täglich hebt überm Erdengefild,
Die unverdient auf alles fließt
Und Lebenskräfte herniedergießt!
Des Mönches Haupt umspielt der Glanz,
Als trüge es einen Strahlenkranz.
Jetzt wird der Seele offenbart,
was sie nimmer ergrübelt schwer und hart:
»Also hat Gott die Welt geliebt,
Daß er den einigen Sohn ihr gibt!«
Greif' zu, Martinus, dem Gnade verbürgt
Das Gotteslamm am Kreuz erwürgt!
– – Fort Menschensatzung und Klerisei!
Die Gnade fließt vom Himmel frei,
Strömt wie der liebe Sonnenschein
Ganz unverdient ins Herz hinein.
Und der in bangen Zweifeln lag
Schaut klar hinaus in den neuen Tag;
Die Bangnis wich, die Nacht zerrann.
Der aufsteht, ist ein freier Mann.


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