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Des jüngsten Chorherrn Maienpredigt

Von der Abtei schallt Glockenklang:
»Geöffnet steht die Pforte,
Du Christenvolk nimm deinen Gang
Zu Messe und zu Chorgesang
Und frommem Predigtworte!«

Doch Alt und Jung zieht lachend vorbei:
»Ruft nur ehrwürdige Glocken!
Auf dem grünen Anger mit seiner Schalmei
Weiß draußen der Mai, der blühende Mai,
Vieltausendmal süßer zu locken.«

Die Klerisei voll Zürnens ist:
Eine Predigt vor leeren Bänken,
Das werde gestraft in kürzester Frist,
Sonst triumphiert der Antichrist
Bald in den vollen Schänken.

Nur einer spricht: »Das Volk ist ein Kind,
Man soll's nicht mit Ruten bekehren!«
Und denkt: Ei wartet, ihr locker Gesind,
Wenn ihr meint, daß ihr heut dem Sermon entrinnt,
Will ich eines Bess'ren euch lehren! –

Legt ab Brevier und Meßgewand –
Nicht macht's ihm große Schmerzen –
Hängt übers Wams mit flinker Hand
Die Laute an schimmerndem Seidenband,
Und ihm selber wird froh im Herzen.

Dann zieht auch er hinaus vor das Tor
In die lachende Maiensonne.
Da stehen die Birken in grünem Flor,
Die Blumen recken die Köpfe empor
In Licht und Lenzeswonne.

Und alles Volk jauchzt: »Tandaradei,
Laßt Sünden und laßt Pfaffen!
Der holde Mai, der liebe Mai
Kommt einmal nur, zieht schnell vorbei
Und ward zur Lust erschaffen!«

Das jubelt laut und tanzt und singt
Rings auf der grünen Wiese;
Der Vögel Lied dazwischen klingt,
Und Kindervolk im Reigen springt,
Froh, wie im Paradiese.

Der junge Mönch es lächelnd sieht
Und greift in die Saiten leise,
Stimmt an ein fröhlich Maienlied,
Und lockend durch die Lüfte zieht
Die neue Lenzesweise.

Da laufen alle, jung und alt,
Herbei aus weiter Runde;
Ein Häuflein Hörer ist gar bald
Gebannt mit lieblicher Gewalt
Vom Lied aus Sängermunde.

Von Liebe singt's und Maienlust,
Von Kampfspiel auf der Heide,
Von allem, was die Menschenbrust
Durchklingt, bewußt und unbewußt,
In Freuden und im Leide.

Doch mählich wandelt sich der Ton
Und anders wird die Weise;
Jetzt klingt ein frommes Loblied schon
Wie Engelsang am Himmelsthron, –
Sic horchen auf im Kreise.

Dem Schöpfer klingt's der Frühlingspracht,
Die strahlend rings ergossen,
Dem Sohn, der in die Sündennacht
Den Lenz des ew'gen Heils gebracht,
Dafür sein Blut geflossen.

Rings lauscht das Volk. Gleich neuer Mär
Klingt heut die alte Kunde, –
Nicht kirchendüster, weihrauchschwer, –
Als ob der Lenzhauch drinnen wär'
Von dieser Morgenstunde.

Längst hängt die Laute still und stumm,
Das Singen ward zur Predigt.
Dann beugt dem Apostolikum
Und Segen sich das Volk ringsum:
Die Botschaft ist erledigt.


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