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Der Kinderkreuzzug

(1237)

»Schaut, Vater, was zieht da aus dem Tann
Für ein langer, langer Zug heran?
Und vom Tale herauf klingt Glockenläuten!«
Der Vater schattet mit der Hand
Die Augen und blickt hinaus ins Land:
»Ist Kindervolk! Was mag das bedeuten?«

Klein-Berta, das blasse Sorgenkind,
Reißt sich los von der Hand der Mutter geschwind
Und ruft: »Da kommen die Engelscharen,
Die ich im Traume heut Nacht gesehn!«
Und sie bleibt mit gefalteten Händchen stehn,
Herbstsonnengold auf den blonden Haaren.

Und näher und näher kommen sie,
Eintönig erklingt eine Melodie,
Von hellen Kinderstimmen gesungen.
Voran ein Knabe mit goldrotem Haar,
Das Kreuzbanner tragend, dahinter die Schar
Der Kleinen, Hand in Hand geschlungen.

Wie Erstlingsblüten des Lenzes zu schau'n,
Knaben und Mägdlein, blond und braun,
Alle mit Augen, die seltsam glänzen.
Die Kleinen hängen den Größ'ren am Kleid
Und trippeln dahin in Glückseligkeit,
Geschmückt mit bunten Blumenkränzen.

»Wir ziehen ins heilige Land hinaus,
Lebt wohl, liebe Eltern, lieb Vaterhaus,
Der Heiland will es haben!
Der liebe Heiland Jesus Christ,
Der Trautgenoß und Herzfreund ist
Den Mädchen und den Knaben.

Eia, Gloria
Sei, Herr Jesus, dir gesungen
Von viel tausend Kinderzungen!
Schick' uns deine Engelscharen,
Die uns führen und bewahren!«

Klein-Berta hält länger die Mutter nicht,
Sie streckt mit leuchtendem Angesicht
Den Kindern die blassen Händchen entgegen.
Ihrer zarten, kleinen Leidensgestalt
Zieht's auch den Bruder nach mit Gewalt,
Und die Eltern vermögen sich nicht zu regen.

Sie stehen gebannt wie von höherer Macht,
Und der Zug verschwindet in Waldesnacht
Wie ein Traumbild mit lieblichem Singen.
Schon hebt sich über den Bergen fern
Mit goldenem Blinken der Abendstern,
Und leise hört man's verklingen:

»Eia – Gloria
Sei Herr Jesus dir gesungen
Von vieltausend Kinderzungen!
Schick' uns deine Engelscharen,
Die uns hüten und bewahren!«


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