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Neuntes Kapitel.
In dem der Herausgeber der Liberalen Zeitung als »Deus ex machina« erscheint

Es war vielleicht eine Woche später. Der alte Mr. Naseby saß brütend in seinem Arbeitszimmer, als ein kleiner, schäbig gekleideter, hektischer Gentleman in einer dringenden Geschäftsangelegenheit zu ihm geführt wurde.

»Ich muß Sie wegen dieser Zudringlichkeit um Entschuldigung bitten, Mr. Naseby«, sagte er, »aber ich bin hergekommen, um eine Pflicht zu erfüllen. Meine Karte ist Ihnen überbracht worden, aber vielleicht wissen Sie nicht, was sie Ihnen verschweigt, daß ich der Herausgeber des ›Thymebury Star‹ bin.«

Mr. Naseby blickte indigniert auf.

»Ich kann mir nicht vorstellen«, bemerkte er, »daß wir viel Gemeinsames zu besprechen hätten.«

»Ich habe nur ein Wort zu sagen – gewissermaßen eine Nachricht zu übermitteln. Vor einigen Monaten hatten wir – Sie werden entschuldigen, wenn ich mich darauf beziehe, aber es ist absolut unvermeidlich –, nun wir hatten eine unglückliche Meinungsverschiedenheit über Tatsachen.«

»Sind Sie gekommen, um sich zu entschuldigen?« fragte der Gutsherr streng.

»Nein, nein, Sir, nur um einen bestimmten Umstand zu erwähnen. An dem fraglichen Morgen kam Ihr Sohn, Mr. Richard Naseby –«

»Ich erlaube nicht, daß sein Name erwähnt wird.«

»Sie werden es mir dennoch gestatten!«

»Sie sind grausam«, sagte der Gutsherr.

Das war die Wahrheit: der Alte war ein gebrochener Mann.

Dann schilderte der Herausgeber Dicks bedrohlichen Besuch, und wie er in des Burschen Augen gelesen hätte, daß etwas wie eine Tracht Schläge in der Luft läge, und wie er nur aus Mitleid der Sache entgangen wäre – so drückte es der Herausgeber aus – »nur aus Mitleid, Sir! Und oh, Sir«, fuhr er fort, »wenn Sie gesehen hätten, wie er für Sie eintrat, ich bin überzeugt, Sie wären auf Ihren Sohn stolz gewesen. Das weiß ich bestimmt. Ich bewunderte den Burschen ja selbst. Und tatsächlich, das ist es auch, was mich hierher führt.«

»Ich habe ihm unrecht getan«, sagte der Gutsherr. »Wissen Sie, wo er sich aufhält?«

»Ja, Sir, er liegt krank in Thymebury.«

»Können Sie mich nicht zu ihm bringen?«

»Das kann ich.«

»Ich flehe zu Gott, daß er jetzt mir verzeihen möge«, sagte der Vater.

Und er und der Herausgeber machten sich eiligst auf den Weg nach dem Landstädtchen.

Am nächsten Tag verbreitete sich die Nachricht, daß Master Richard sich mit seinem Vater ausgesöhnt hätte und wieder in Nasebyhaus aufgenommen worden wäre. Er sei noch leidend, hieß es, und der Gutsherr pflege ihn mit der sprichwörtlichen Hingabe einer Frau. In diesem Falle entsprach das Gerücht der lauteren Wahrheit. Und über dem Krankenlager wurden zahlreiche Bekenntnisse ausgetauscht, und Wolken, die sich seit Jahren angehäuft hatten, lösten sich in wenigen Stunden und – wie die törichte Menschenseele nur zu gern hofft – für immer auf. Manches lange Gespräch verlief zwar, was Aeußerlichkeiten anbetrifft, fruchtlos, aber dennoch fruchtbar für das beiderseitige Verstehen. Und endlich, an einem regnerischen Dienstag, konnte man den Gutsherrn auf dem Wege nach dem Häuschen an der Straße beobachten.

Der alte Herr hatte seine Gesichtszüge mehr im Hinblick auf Selbstbeherrschung als auf äußerliche Heiterkeit abgestimmt, und so betrat er gelegentlich seines Versöhnungsversuches die Villa mit dem Ausdruck eines Geistlichen, der kommt, um einen Todesfall zu melden. Der Admiral und seine Tochter waren beide im Zimmer, und beide blickten ihren Besuch mehr überrascht als freundlich an.

»Sir«, begann Mr. Naseby zu van Tromp gewandt, »man sagt mir, ich hätte Ihnen sehr unrecht getan.«

Ein schwacher Laut entrang sich Esthers Kehle, und mit einer plötzlichen Bewegung preßte sie die Hände aufs Herz.

»Das haben Sie in der Tat, Sir; allein das Zugeständnis genügt mir«, erwiderte der Admiral. »Seitdem ich gehört habe, daß Sie die Sache mit meinem Freunde Dick in Ordnung gebracht haben, bin ich geneigt, Ihnen entgegenzukommen. Aber ich möchte Sie daran erinnern, daß Sie auch dieser jungen Dame eine Abbitte schuldig sind.«

»Ich werde die Tollkühnheit haben, sie sogar um mehr als nur um Verzeihung zu bitten«, versetzte der Gutsherr. »Miß van Tromp«, fuhr er fort, »damals befand ich mich in großer Verzweiflung und wußte nichts von Ihnen und Ihrem Charakter. Aber ich glaube, Sie werden einem alten Manne, der Sie von ganzem Herzen um Entschuldigung bittet, ein paar rauhe Worte verzeihen. Seit damals habe ich viel von Ihnen gehört, denn Sie gebieten in meinem Hause über einen glühenden Fürsprecher. Ich denke, Sie werden verstehen, daß ich von meinem Sohne rede. Mit Trauer muß ich sagen, daß es ihm ganz und gar nicht gut geht. Er erholt sich nicht, wie die Aerzte es erwartet hatten. Eine schwere Last ruht auf seiner Seele; um Ihnen die Wahrheit zu sagen, mein Kind, wenn Sie uns nicht helfen wollen, so fürchte ich, werden wir ihn verlieren. Kommen Sie, verzeihen Sie ihm. Ich war selbst einst über ihn erzürnt, und ich sah ein, daß ich unrecht hatte. Dies ist ja, wie das andere, auch nur ein Mißverständnis, glauben Sie mir. Und mit einem einzigen freundlichen Wort können Sie ihn glücklich machen und mich und sich selbst!«

Esther machte eine Bewegung in der Richtung zur Tür, aber lange bevor sie sie erreicht hatte, brach sie in Schluchzen aus.

»Es ist alles in Ordnung«, sagte der Admiral. »Ich verstehe mich auf Frauen. Erlauben Sie mir, Ihnen meine Glückwünsche auszusprechen, Mr. Naseby.«

Der Gutsherr fühlte sich viel zu erleichtert, um ärgerlich zu werden.

»Mein Herzchen«, sagte er zu Esther, »Sie müssen sich nicht selbst so quälen.«

»Das Beste ist, sie geht sofort zu ihm und sieht nach dem Rechten«, regte van Tromp an.

»Ich hatte nicht gewagt, das vorzuschlagen«, erwiderte der Gutsherr. »Les convenances, glaube ich –«

»Je m'en fiche«, rief der Admiral und schnippte mit den Fingern. »Sie wird gehen und meinen Freund Dick besuchen. Lauf, Esther, mach dich fertig.«

Esther gehorchte wortlos.

»Sie ist doch nicht – doch nicht wieder weggelaufen?« erkundigte sich Mr. Naseby, sobald sie gegangen war.

»Nein«, sagte van Tromp, »nicht wieder. Sie ist aber ein verteufelt merkwürdiges Mädel, wenn Sie das meinen.«

Den Mann mit dem Furunkel kann ich aber nicht ertragen, überlegte der Gutsherr.

Und das ist der Grund, weshalb es einen neuen Haushalt und ein funkelnagelneues Baby in Naseby-Dower-Haus gibt, und weshalb der große van Tromp ein angenehmes Leben an den Küsten Englands führt; und weshalb sechsundzwanzig Exemplare des »Thymebury Star« täglich an der Tür von Nasebyhaus in Empfang genommen werden.


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