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Erstes Kapitel.
In welchem der Admiral eingeführt wird

Während seines Aufenthaltes in Paris schloß Dick Naseby manche seltsame Bekanntschaft. Er war einer von jenen, die Ohren haben zu hören und die ihre Augen nicht weniger als ihren Verstand zu gebrauchen verstehen. Er machte sich ebenso viele Gedanken wie Stuart Mill. Aber seine Philosophie hatte Fleisch und Blut, und ihre Methoden gründeten sich auf Experimente. Ständig war er auf der Jagd nach menschlichen Originalen. Nichtssagende und unbedeutende Persönlichkeiten, mochten sie in Gestalt von Herzögen oder von Handlungsreisenden auftreten, verachtete er und ließ sie wie Seetang links liegen. Aber zeigt ihm ein überfeinertes oder charaktervolles Antlitz, laßt ihn ein einschmeichelndes oder tönendes Organ hören, ködert ihn mit einem lebensvollen Blick in eines anderen Auge, einer leidenschaftlichen Gebärde, einem bedeutungsvollen oder doppelsinnigen Lächeln, und sofort ist sein Interesse wach. Das ist ein Mann! Das ist ein Weib! schien er dann zu sagen, und mit der Begeisterung eines Künstlers für seine Kunst macht er sich an die Lösung seiner Aufgabe.

Und wirklich war sein Interesse, richtig betrachtet, ein künstlerisches Interesse. Beim Studium der menschlichen Natur gibt es kein Wissen. Alles Verstehen bedeutet Nachschaffen. Die Frau, die ich liebe, ist zum Teil meiner Hände Werk, und der ist der große Liebhaber wie der große Maler, der es versteht, seinen Gegenstand so zu veredeln, daß er ihn über das Menschliche hinaushebt, während er doch gleichzeitig, dank der Vollendung seiner Kunst, das Werk seiner Verklärung so in der Natur des Gegenstandes verankert, daß das Weib auch fernerhin ein echtes Weib zu bleiben und ihren Charakter frei zu entfalten vermag, daß sie Kleinlichkeit zeigen, ihre Bosheit pflegen oder gierig nach niedrigen Vergnügen sein kann, und der Künstler trotzdem ohne ein Gefühl von Inkonsequenz an seinem Werke weiterschafft. Einen Charakter lieben, ist nur der heroische Weg, ihn zu verstehen. Wenn wir aus einem edlen Gefühl heraus lieben, oder wenn etwas Edles in der Haltung und dem Wesen eines anderen Liebe in uns erweckt, erfassen wir das geliebte Wesen mit dem, was in uns selbst das Edelste ist. Ja, selbst wenn wir eine Exzentrizität nur studieren, so besteht die Methode unseres Studiums in nichts anderem als in einer Reihe von Zugeständnissen. Anfangen zu verstehen heißt anfangen zu sympathisieren. Denn Verständnis erwacht erst, wenn wir eines anderen Fehler und Tugenden zu unseren eigenen in Beziehung gesetzt haben. Daher die sprichwörtliche Nachsicht der Künstler gegen ihre eigenen, schlechten Schöpfungen. So kam es auch, daß Dick Naseby, ein hochgesinnter Mann und so gewissenhaft und tapfer, wie ihr euch einen Gentleman nur wünschen könnt, eine gewisse Zuneigung zu den verschiedensten zweibeinigen Wesen faßte, die er kennengelernt und studiert hatte. –

Eines von diesen war Mr. Peter van Tromp, ein englisch sprechendes zweibeiniges Lebewesen internationaler Gattung und seiner Profession nach von allgemeiner, mehr als zweifelhafter Nützlichkeit. Vor Jahren hatte er in den Kolonien ein gewisses Ansehen als Maler genossen, und Porträts, gezeichnet »van Tromp«, hatten die Bedeutung der kolonialen Führer und Richter gefeiert. Zu jenen Zeiten war er verheiratet gewesen und hatte seine Frau und sein Töchterchen in einem Ponywagen spazieren gefahren. Welches waren nun die Stufen seines Abstieges? Genau wußte das niemand. Er war nun einmal da und hatte in den ganzen letzten zehn Jahren in Paris die Rolle eines elenden Parasiten bei Ausländern gespielt.

Es wäre gewagt, van Tromps Tätigkeitsfeld scharf zu umgrenzen. Im großen und ganzen hätte seine Arbeit einen für unsere Ohren etwas unfreundlichen Namen verdient. So wie er sie betrieb, mit einer geschickten Zurückhaltung, in einer Art von gesellschaftlichem Claireobscure, war es der Höflichkeit gerade noch möglich, ihn einen professionellen Maler zu nennen. Sein Standquartier waren die großen Hotels und die prächtigen Kaffeehäuser. Dort konnte man ihn beobachten, wie er mit dem Anschein der Inspiration eine Skizze hinwarf; er war stets leutselig, und wohl kein zweiter Mensch war so geneigt, sich mit aller Welt in ein Gespräch einzulassen. Gewöhnlich gipfelte seine Unterhaltung in einer besonderen Art von Intimität, und es war erstaunlich, wie zahlreiche kleine Dienste van Tromp im Verlauf von sechsunddreißig Stunden zu leisten verstand. Er beanspruchte eine Zwischenstellung zwischen einem Freunde und einem Kurier; das machte es mehr als peinlich, ihn zu entlohnen. Aber jeder, der sich ihm verpflichtet fühlte, mußte zwangsläufig eines seiner abscheulichen kleinen Gemälde kaufen oder, wenn die Gefälligkeiten längere Zeit gedauert hatten und besonders delikater Natur waren, ein großes Oelgemälde bei ihm bestellen und bar bezahlen, mit der absoluten Sicherheit, nie wieder etwas von diesem Geschäft zu hören.

In der einheimischen Künstlerschaft genoß er eine gewisse Berühmtheit, die jedoch nichts mit seiner Kunst zu tun hatte. Er hatte, mehr Geld verschwendet – mindestens drei große Vermögen, flüsterte man – als irgend einer seiner Kollegen je hoffen konnte, zu verdienen. Nach seinem Aufenthalt in den Kolonien war er auf einer mit vier Messinggeschützen bestückten Brigantine in Griechenland gelandet; in einem Vierspänner hatte er Europa bereist und hatte vor den Palasttoren deutscher Fürstlichkeiten seine Rosse gezügelt. Königinnen des Gesanges und Tanzes waren ihm gleich Schafen nachgelaufen und hatten seine Schneiderrechnungen beglichen. Wenn man ihn jetzt erblickte, wie er mit jämmerlicher Leutseligkeit geringfügigen Darlehen nachjagte oder einen neunzehnjährigen Kunstschüler um ein Frühstück anschnorrte – ein gefallener Don Juan, der es versäumt hatte, auf der Höhe seines Glückes zu sterben –, so hatte das für eine jugendliche Phantasie einen Schimmer von Romantik. Ja, sein Name und seine glänzende Vergangenheit, durch das Prisma heimlichen Klatsches betrachtet, hatte ihm den Spitznamen »der Admiral« eingetragen.

Dick traf van Tromp eines Tages vor den Toren der Stadt, wie er rasch in ein kleines Skizzenbuch ein paar Hennen und einen Hahn zeichnete und dann und wann einen Blick zum Himmel emporwarf, gleich einem Manne, der bei der Muse Inspiration sucht. Dick, den es überraschte, daß ein Maler bei einem Absynth in einem öffentlichen Kaffee arbeitete, blickte zu ihm hinüber. Die überalterte Flottheit seiner Erscheinung stach merkwürdig von der jugendlichen Kleidung ab. Er besaß eine unreputierliche graue Mähne und eine ebenso unreputierliche entzündete rote Nase. Aber der Anzug und die Gesten, die Außenseiten des Mannes, waren auf Wirkung berechnet. Dick trat an seinen Tisch und fragte, ob er sich ansehen dürfe, was der Herr zeichne.

Niemand war darüber begeisterter als der Admiral.

»Ach, ein Nichts«, sagte er, »ich werfe das nur so hin. Ja – ich werfe es so hin«, fügte er mit einer großartigen Handbewegung hinzu.

»Fabelhaft«, sagte Dick, der über die Schwäche der Arbeit entsetzt war.

»Sie müssen wissen«, fuhr van Tromp fort, »ich bin ein Mann von Welt und doch – einst ein Künstler, immer noch ein Künstler. Plötzlich packt mich auf der Straße eine Idee. Ich falle ihr einfach zur Beute! Es geht mir wie bei einer schönen Frau. Kein Sinn, da-* gegen anzukämpfen! Ich muß es – muß es einfach hinwerfen.«

»Ich verstehe«, sagte Dick.

»Ja«, fuhr der Maler fort, »alles kommt ganz leicht, ganz leicht. Es ist für mich keine Arbeit. Es ist ein Vergnügen. Leben! heißt mein Geschäft – Leben! – diese große Stadt Paris – Paris nach Dunkelwerden – seine Lichter, seine Gärten, seine seltsamen Winkel. Ach!« rief er, »wieder jung sein! Das Herz ist jung, aber die Glieder werden schwer. Ein armseliges, erbärmliches Geschäft, das Altwerden! Nichts bleibt, nur der Coup d'oeuil, des beschaulichen Mannes Vergnügen, Mister –« Er wartete auf den Namen.

»Naseby«, erwiderte Dick.

Der andere lud ihn sofort zu einem anregenden Getränk ein und verbreitete sich über die Freude, in einem fremden Lande einem Landsmanne zu begegnen. Wenn man ihn hörte, konnte man glauben, sie hätten sich in Zentralafrika getroffen. Dick hatte noch nie jemanden kennengelernt, der so rasch eine Vorliebe für ihn gefaßt und diese Neigung in freierer und unaufdringlicherer Form gezeigt hätte. Der Alte schien Gefallen an Dick zu finden, wie ein älterer Lebemann sich für einen amüsanten und witzigen jungen Burschen interessiert. Er deutete an, daß er selbst durchaus kein Puritaner sei; aber auch in seinen wildesten Zeiten wäre er niemals ein solcher Draufgänger gewesen, wie er es von Dick annähme. Dick protestierte vergebens. Diese Art, eine Intimität gewissermaßen auf der Spitze der Bajonette aufzuzwingen, war van Tromps Geschäftskapital. Bei einem älteren Manne schmeichelte er sich ein, einem jungen Menschen dagegen drängte er sich einfach auf und machte aus seinem Opfer im gleichen Atemzuge eine Idealgestalt, so daß diesem nichts übrigblieb, als sich zu jener Höhe aufzuschwingen oder die Achtung dieses alten und verderbten Patrons zu verlieren. Und welcher junge Mensch möchte wohl ertragen, einen lasterhaften Ruf einzubüßen?

Endlich, als die Dinerzeit herannahte, fragte van Tromp:

»Kennen Sie Paris?«

»Sicherlich nicht so gut wie Sie«, sagte Dick.

»Das will ich meinen«, erwiderte van Tromp ausgelassen. »Paris! Mein junger Freund – Sie gestatten mir doch diese Bezeichnung? –, wenn Sie Paris erst so gut kennen wie ich, werden Sie seltsame Dinge erlebt haben. Mehr sage ich nicht! Alles, was ich sage, ist: seltsame Dinge! Wir beide sind Männer von Welt, Sie und ich – und sind in Paris, im Herzen der Zivilisation. Das ist ein Glückszufall, Mr. Naseby. Wir wollen zusammen dinieren. Gestatten Sie, Ihnen zu zeigen, wo man diniert?«

Dick stimmte zu. Auf dem Wege zum Abendessen zeigte ihm der Admiral, wo man Handschuhe kauft, und veranlaßte ihn, welche zu kaufen; wo man Zigarren kauft, und überredete ihn, sich eine ungeheuere Menge zuzulegen, von der er zuvorkommend einige annahm. In dem Restaurant riet er ihm, was man bestellen sollte, mit überraschenden Folgen auf der Rechnung. Was van Tromp in dieser Nacht an Prozenten einstrich, würde sich nur schwer schätzen lassen. Und während dieser ganzen Zeit stimmte Dick lächelnd zu, obgleich er sehr wohl wußte, daß er geneppt wurde. Aber er nahm seine Verluste bei der Suche nach Charakteren hin, wie ein Jäger seine Hunde opfert. Was die »seltsamen Dinge« betrifft, so wird es den Leser erleichtern, wenn er erfährt, daß sie nicht seltsamer waren, als man erwarten konnte. Er selbst kann genau so seltsame Dinge erleben ohne den Aufwand für einen van Tromp als Führer. Und doch war der Alte ein Führer von nicht geringer Qualität, der die Aermlichkeit dessen, was er zu zeigen hatte, durch einen wort- und phantasiereichen Kommentar ersetzte.

»Das«, sagte er mit einem Rülpsen, »das ist Paris.«

»Puh!« machte Dick, den die Vorführung ermüdet hatte. Der Admiral ließ ein Ohr hängen und blickte ihn von der Seite mit leisem Argwohn an.

»Gute Nacht«, sagte Dick, »ich bin müde.«

»Echt englisch«, rief van Tromp und ergriff seine Hand. »Echt englisch! So blasé! Ein prächtiger Gefährte, ich werde Sie nach Hause begleiten.«

»Hören Sie«, erwiderte Dick, »ich habe ›Gute Nacht‹ gesagt und will jetzt gehen. Sie sind ein amüsanter alter Knabe; ich mag Sie in gewissem Sinn auch gern, aber für heute hat es hiermit sein Bewenden. Keine neuen Zigarren, kein weiterer Grog, keine weiteren Prozente sind aus mir herauszuholen!«

»Verzeihung«, rief der Admiral mit Würde.

»Aber, Mann, Sie sind ja gar nicht beleidigt; Sie sind doch ein Mann von Welt, denke ich. Ich habe Sie studiert und bin mit meinem Studium fertig. Habe ich für die Lektion nicht bezahlt? Au revoir.« Van Tromp lachte vergnügt, schüttelte Dicks Hände bis zum Ellbogen, hoffte von Herzen, daß sie sich, und zwar noch häufig, treffen möchten, blickte aber Naseby, als dieser sich entfernte, doch etwas indigniert nach. In der nächsten Zeit kreuzten die beiden noch häufig einer des anderen Weg, und Dick pflegte den alten Knaben dann oft zu einem anständigen Frühstück, allerdings in einem Restaurant seiner eigenen Wahl, einzuladen. Oft lieh er van Tromp auch ein oder zwei Pfund im Hinblick auf die bevorstehende Abreise dieses Gentlemans nach Australien. Dann pflegte eine fast rührende Abschiedsszene zu folgen, und eine Woche oder einen Monat später trafen sie sich ohne Ueberraschung oder Verlegenheit auf dem gleichen Boulevard. In der Zwischenzeit erfuhr Dick von allen Seiten immer neue Einzelheiten über seinen Bekannten; über seine Jacht, seinen Viererzug, seine kurze Berühmtheit inmitten einer vertrauensseligen Bevölkerung, über seine Tochter, bei deren Erwähnung er es liebte, in sein Glas hineinzuwinseln, über seine schmarotzende, ausschweifende Lebensführung, und mit jedem neuen Detail regte sich in seinem Herzen etwas, das mehr als bloßes Interesse, aber noch keine direkte Zuneigung für diesen unrühmlichen Stiefsohn der Künste war. Als Dick Paris verließ, gehörte van Tromp zu denen, die er zu einem Abschiedsessen einlud, und der alte Gentleman hielt den Toast des Abends. Dann sank er weinend, lächelnd und völlig betrunken unter den Tisch.


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