Julius Stettenheim
Heitere Erinnerungen
Julius Stettenheim

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290 XX.

Meine Leser wird es vielleicht interessiren, etwas von meinen Verbindungen mit der Diplomatie zu vernehmen, deren eine in Karlsbad angeknüpft und wieder gelöst worden ist.

Eines Tages fand ich in meinem Zimmer die Karte eines hohen Beamten eines nordischen Staats vor, durch welche ich gebeten wurde, diesen Herrn in einer nicht unwichtigen Angelegenheit aufzusuchen. Er bewohnte mit mir dasselbe Haus. Am andern Morgen suchte ich ihn auf. Er war ein sehr liebenswürdiger Herr, dankte mir herzlich für mein Erscheinen, als hätte ich ihm eine schwere Sorge vom Herzen genommen, und traute mir zu, daß ich wohl recht gut wüßte, in welcher Krisis sich sein Heimathland befinde. Eine Katastrophe sei unvermeidlich. Nur bedauere er, daß die deutsche Presse in dieser Angelegenheit entweder von Vorurtheilen erfüllt, oder überhaupt schlecht oder garnicht über den Grund und den Verlauf der 291 bedenklichen Ereignisse unterrichtet sei. Es wäre ihm also sehr erfreulich, daß es durch meine Anwesenheit möglich werde, eine aufklärende Verbindung mit einem deutschen Journalisten anzuknüpfen, und ich würde ihm also einen wichtigen Dienst leisten, wenn er mich seinem Chef, dem Ministerpräsidenten, der eben zur Kur eingetroffen sei, vorstellen dürfe, welcher gleichfalls wünsche, mit der deutschen Presse zur Beseitigung vieler Mißverständnisse in Verbindung zu treten. Natürlich beeilte ich mich, den eifrigen Staatsmann durch das freundlichste Entgegenkommen zu bezaubern. Es sei mir eine große Ehre, seinen und des Ministers Wunsch zu erfüllen, und er möge nur bestimmen, wann die ersehnte Unterredung stattfinden solle. Das werde er, da er den Minister sofort treffe, mir heute noch genau angeben.

Ich war selbigen Tages ziemlich spät, was man in Karlsbad ziemlich spät zu nennen beliebt, nach Hause gekommen und wollte mich eben ins Bett begeben, als geklopft wurde. Ich öffnete, annehmend, der Hausdiener habe mir irgend was zu bestellen oder zu bringen; ich war im tiefsten Negligée. Da stand mein staatsmännischer Nachbar, in bequemster Haustracht, ein Licht in der Hand, an eine unheimliche Lady-Macbeth-Scene erinnernd, vor mir. Ich entschuldigte mich so eindringlich wie möglich, er that ein Gleiches und trat ein, während ich mich rasch 292 verhüllte, um wenigstens äußerlich dem feierlichen Moment halbwegs würdig entgegenzuharren. Wie wichtig mußte sein, was ich noch so spät erfahren sollte! Der nächtliche Besucher theilte mir mit, daß der Minister mich morgen in aller Frühe am Brunnen zu sprechen wünsche. Ich ersuchte ihn, mich bereit erklärend, um die Gefälligkeit, mich am Bernhardsbrunnen aufzusuchen und zu seinem Minister zu führen. Dann schieden wir.

Nach dem ersten Becher am andern Morgen schritten wir Zwei zu der höchstgelegenen Quelle, an der der Minister den heißen Heiltrank schlürfte. Es regnete natürlich. Wenn man in Karlsbad keinen Schirm hat, dann regnet es. Auch mein Staatsbeamter hatte keinen Schirm. Aber was thut man nicht, wenn es sich darum handelt, in einer großen politischen Frage aufgeklärt zu werden! Indeß war der Minister, dem es plötzlich nicht ebenso wichtig vorzukommen schien, aufzuklären, bereits zum Frühstück gegangen, und wir kehrten unverrichteter Audienz zu unserm Brunnen zurück. Selbstverständlich erklärte ich den Vorfall für höchst unbedeutend, den ziemlich heftigen Regen für ganz angenehm und den unnützen Weg für durchaus wohlthuend. Wenn man sich plötzlich mit der hohen Politik verbunden sieht, dann muß man sich auch möglichst diplomatisch auszudrücken versuchen. Als ich aber am nächsten Morgen 293 wieder vor meinem Brunnen stand, drehte mich der staatsmännische Vermittler feierlich herum, und ich befand mich dem Minister gegenüber. Er war eine hohe, würdevolle Erscheinung, von edler Haltung, ganz Staatsmann, dessen schöner angegrauter Bart zu dem Ernst seiner Züge prächtig stimmte. Er bedauerte, daß ich ihn gestern vergeblich gesucht, und fragte mich, wie mir die Kur bekommen, wie oft ich schon in Karlsbad gewesen sei, – was man so fragt, um, wie ich glaubte, ein Gespräch einzuleiten. Ich antwortete ausführlich und fragte ihn gleichfalls, ob er mit der Kur zufrieden sei, erwartend, daß er nunmehr geschickt den Uebergang zu den wichtigen Mittheilungen finden werde, welche die deutsche Presse über die unter seiner Regierung hervorgetretene Krisis aufklären sollte. Statt dessen griff er meine Frage nach dem Erfolge seiner Kur mit großem Eifer auf. Er beantwortete sie mit einer Ausführlichkeit, deren Details sich für die Veröffentlichung nicht eignen. Der Karlsbader Kurgast ist ja an solche intime Ausführlichkeit derart gewöhnt, daß sie selbst dem Frühstück nicht schaden, aber außerhalb Karlsbads sind solche Enthüllungen weder salon-, noch promenadenfähig, auch höchstens für das Ohr des forschenden Arztes von einigem Interesse.

Ich lauschte den Worten des Ministers zwar mit der Gleichgültigkeit, von welcher man in Karlsbad 294 solchen ungemein häufigen und unvermeidlichen Mittheilungen gegenüber beherrscht zu werden pflegt, doch gab ich, wie es die Situation erforderte, meinem Gesicht abwechselnd den Ausdruck der lebhaftesten Theilnahme, des aufrichtigsten Bedauerns oder der trostreichsten Zustimmung. Dies ermunterte den Erzähler, sich immer mehr in Kleinmalerei zu vertiefen, so daß mir auch nicht die unbedeutendste Wirkung des heißen Wassers verborgen blieb. Während sich das vollzog, hatte sich um uns ein Kreis von Kurgästen gebildet, denen die hohe Staatsstellung des Redners bekannt war, die sich aber umsonst bemühten, etwas von den Mittheilungen zu erhaschen, durch die ich ausgezeichnet wurde. Endlich, als ich alles wußte, was in dem Minister im Laufe des Tages vorzugehen pflegte, reichte mir der Staatsmann erleichtert die Hand, und wir schieden mit einer vielsagenden Höflichkeit wie Männer, welche sich gegenseitig mit ihrem Vertrauen beehrten und stillschweigend Verschwiegenheit geloben.

Mit einer großen Geschicklichkeit, die ich mir nie zugetraut hatte, vermied ich von diesem Augenblick an, wieder mit dem Ministerialbeamten zusammenzutreffen, der mir die Unterredung mit dem Minister so ungemein dringend und als so überaus wünschenswerth zur Förderung der Wahrheit über die Staatskrisis in seinem Vaterlande empfohlen hatte. Ich 295 war auf die Mittheilung wichtiger Einzelnheiten und Geheimnisse gefaßt gewesen, und ich will auch zugeben, daß ich allerlei Wichtiges und Geheimnißvolles vernommen hatte, aber das alles hatte doch nichts mit der Lage eines vor eine Katastrophe gerückten Staatswesens zu thun. Ich mußte fürchten, dem Ministerialbeamten wieder zu begegnen und mich zu der Frage verleitet zu sehen, was denn die bekannten Wirkungen der Karlsbader Kur, von denen mir der Minister ausschließlich gesprochen hatte, die deutsche Presse interessiren könnten, falls sie, wie er und der Minister behaupteten, über die politische Lage eines fremden Staates nicht gehörig informirt sei.

Gleich nach der Unterredung wurde ich von Vielen ersucht, in der vertraulichsten Weise indiskret zu sein, namentlich von Börsenmännern, welche jedenfalls solche Mittheilungen für Baisse- oder Hausse-Spekulationen zu verwerthen bereit waren. Aber ich wies sie mit dem Achselzucken eines Mannes ab, der das Vertrauen eines hochgestellten Diplomaten um jeden Preis zu rechtfertigen willens war. Damit legte ich mir keine kleine Wichtigkeit bei. Als ich aber später einem Frager die Wahrheit sagen wollte, kehrte mir derselbe nach den ersten Worten den Rücken und meinte, ich hätte wohl das Recht, diskret zu sein, aber es sei unpassend, ihn zum Besten zu halten. Und er schmollt heute noch mit mir.

296 Wenn ich so geschickt bei dieser Gelegenheit den Mitwisser eines Staatsgeheimnisses spielte, was mir großes Vergnügen bereitete, während mir nur das Gleichgültigste mitgetheilt worden war, so muß ich eingestehen, daß ich in dieser Kunst schon durch einige Praxis bewandert war. Vor Jahren wurde ich in einer Soirée von dem mir befreundeten Attaché Duplessis dem französischen Botschafter Saint-Vallier vorgestellt, der neben mir Platz nahm und einige Zeit mit mir plauderte. Gleichgültige Dinge, die wirklich nichts mit der französischen Republik und ihrem Verhältniß zum deutschen Reich zu thun hatten. Kaum weiß ich mich der Einzelnheiten zu erinnern. Aber deutlicher als heute trat damals die Spannung zwischen den beiden Reichen hervor, und ganz gewiß gab es damals eine brennende Frage, mit der man sich lebhaft und mit naheliegender Sorge beschäftigte. Eine solche war und ist ja immer vorhanden. Als sich dann der Botschafter entfernt hatte, sollte ich freundlichst sagen, was er geäußert habe. Daß ein Botschafter einem Publizisten weder Wichtiges, noch Geheimes anvertraut, steht ja so fest, daß es komisch ist, das Gegentheil zu vermuthen, und in diesem Sinne erklärte ich denn auch den Fragern, daß es mir unmöglich sei, irgend etwas von den Mittheilungen politischen Inhalts zu verrathen. Es war eine Art Orakelauskunft, ich hatte, wie gesagt, 297 nichts zu verrathen, und dies nahm man mir sehr übel.

Als ich mich in Paris und Rom aufhielt, empfing ich freundliche Einladungen unserer Botschafter, in Paris von dem Fürsten Hohenlohe, dem jetzigen Reichskanzler, und in Rom von Herrn von Keudell. Ich fand eine freundliche Aufnahme und anregende Unterhaltung, aber ich wurde in kein einziges politisches Geheimniß eingeweiht, obschon, das wußte ich, die wichtigsten Geheimnisse zu verrathen gewesen wären. Einige meiner Kollegen, mit denen ich nach diesen Besuchen zusammentraf, waren nicht wenig erstaunt, daß ich mich unter keiner Bedingung entschließen wollte, sensationelle Telegramme an mir nahestehende Blätter abzusenden. Daß ich nichts zu berichten hatte, erschien ihnen ganz nebensächlich und gleichgültig, ein tüchtiger Journalist müsse schon aus irgend einer harmlosen Aeußerung eines Diplomaten eine Haupt- und Staatsaktion heraushören, wenn er seinen Beruf verstehe, und so war ich denn genöthigt, ihnen, um nicht als ganz untüchtig zu gelten, zu erklären, daß mir das tiefste Stillschweigen zur Pflicht gemacht worden sei. Daß ich nun dieses räthselhafte Schweigen nicht brechen wollte, erregte bei meinen Kollegen neues Erstaunen und arge Entrüstung.

Durch die Bayerische Gesandtschaft in Rom – unsere Botschaft nahm damals noch eine 298 Culturkampfstellung gegenüber dem Vatikan ein – war mir Gelegenheit gegeben worden, einem Empfang des Papstes beizuwohnen. Ich fand eine große erwartungsvolle Gesellschaft von Männern und Frauen in einem der klassischen Säle, dessen Wände Raphael geschmückt hat. Ich hörte Sprachen, die ich kannte, und solche, deren Existenz mir völlig unbekannt war, man glaubte sich in einen Saal des Thurms von Babel versetzt, alle entdeckten und unentdeckten Länder schienen durch mindestens ein Menschenpaar vertreten zu sein. Viele hatte wohl die Neugierde hierhergeführt, aber Anderen sah man es an, daß sie von Verehrung und Begeisterung erfüllt waren und mit Ungeduld den Augenblick erwarteten, wo sie das Oberhaupt ihrer Kirche erblicken sollten. Jene mit dem banalen Ausdruck der ein Schauspiel erwartenden Reisenden, die wenig Zeit haben und doch alles sehen wollen, was ihnen zu sehen empfohlen worden ist, Diese erfreut, am Ziel einer frommen Wallfahrt zu sein: man kann sich keine schrofferen Gegensätze denken. Nach ziemlich langem Warten – ein pensionirter preußischer Major hatte schon sehr deutlich auf die Pünktlichkeit seines Königs hingewiesen – wurde die Erwartung Aller befriedigt. Das Erscheinen des von halb militärisch, halb kirchlich feierlichem Pomp umgebenen Papstes machte einen unvergeßlichen Eindruck. Wie Leo XIII. nun durch den Saal auf den Thron 299 zuschritt und seine wohlwollend ernsten und geistvollen Blicke die große sich tief verneigende Menge streiften, sah man in ihm nicht den »Gefangenen des Vatikan«, oder den »Entthronten«, sondern nur den einzigen Kirchenfürsten, dessen Macht jede andere überwand. Die Audienz verlief, wie alle solche Empfänge, und ich will sie daher nicht schildern. Indem der Papst, bevor er den Saal wieder verließ, einen Rundgang antrat, hier einen hervorragenden Besucher durch eine kurze Unterhaltung auszeichnend, dort die von einer Dame mitgebrachten Rosenkränze weihend, wurden ihm von einem der ihn begleitenden Beamten die Namen derjenigen genannt, vor denen er angelangt war und einen Augenblick verweilte. Der Beamte nahm zu diesem Zweck die Einladungen, die wir erhalten hatten, und las die Namen ab, die er, beiläufig bemerkt, wenn es nicht italienische waren, meist bis zur Unkenntlichkeit entstellte. Als er meinen Namen und Berlin nannte, merkte ich, daß Berlin damals im Vatikan nicht besonders gut angeschrieben war. »Ah, de Berlino!« sagte der Papst in einem schwer wiederzugebenden Ton und schritt vorüber.

Nachdem der Papst sich mit demselben Ceremoniell, mit welchem er eingetreten war, entfernt hatte und nun die ganze Gesellschaft die Treppe des Vatikan hinabstieg, machte es einen komischen Eindruck, daß 300 sehr Viele sich währenddeß der weißen Cravatte entledigten und sie durch eine schwarze ersetzten. Es waren das die erwähnten Touristen, welche die Audienz als eine Sehenswürdigkeit wie jede andere aufgesucht hatten, und die nun zu einer anderen eilten, für welche die weiße Cravatte sich nicht eignete. Diese Correktur der Toilette war ganz dazu angethan, viel von dem schönen Eindruck zu verderben, den man eben empfangen hatte.


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