Julius Stettenheim
Heitere Erinnerungen
Julius Stettenheim

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234 XVII.

»Man spricht selten von der Tugend, die man hat,« läßt Lessing seine Franciska sagen. Dies ermuntert mich, einmal – und dies ist doch selten genug – von meinem Wippchen zu sprechen. Denn wenn ich auch gar nicht daran denke, mir die Erfindung dieser Figur als eine Tugend anzurechnen, so hat man ihr doch so häufig einige Originellität und Popularität zugestanden, daß ich es wohl wagen zu dürfen glaube, von ihr zu erzählen, besonders wenn ich es vermeide, mich ihrer zu rühmen. Und ich könnte dies vielleicht, wenn ich etwas Talent für das bekanntlich nicht geruchlose Selbstloben hätte. Denn – und dies ist doch wahrlich kein geringer Vorzug meines Wippchen – niemals hat man in dieser Zeit der Plagiatentdeckungen ernsthaft und mit Erfolg sich bemühen können, mein volles geistiges Eigenthum an dieser Figur in Zweifel zu ziehen. Daß Bohrungen nach Wippchenquellen vorgenommen wurden, versteht sich von selbst, aber dies war doch 235 schließlich nur das, was es naturgemäß sein konnte: Der Liebe Müh' umsonst. Unter den Versuchen, mir die Erfindung des Wippchen abzuerkennen, ist als der geistvollste und gelehrteste der im Feuilleton der »Frankfurter Zeitung« vom 18. August 1880 zu bezeichnen. In dieser vortrefflich geschriebenen Studie führt der Autor, Monachus, die Leser in das zweite Jahrhundert unserer Zeitrechnung, bis in die Aera der römischen Antonien, zurück, um sie mit den Schlachtfeldern bekannt zu machen, auf denen die Römer und Griechen ihre Weltreiche zu vertheidigen gezwungen waren. »Es gab noch keine Zeitungen, die sich die Aufgabe gestellt hätten, die Neugier täglich oder wöchentlich zu befriedigen, aber die Neugier war trotzdem, vielleicht gerade darum, nicht minder lebhaft und hungrig, wie sie es in unseren Tagen ist« Und nun schildert der Verfasser nach Lucian von Pamosata, den Aristophanes als den bedeutendsten Satiriker Griechenlands bezeichnet, die Kriegsberichterstatter und Historiker, welche die Neugier des Volkes zu befriedigen suchten. »Zu Lucian's Zeiten, unter den Kaisern Marcus Aurelius und Lucius Verus, hatten die Römer und also auch die Schriftsteller es mit den Parteien unter dem König Vologeses zu thun. Zahlreiche Federn waren in Bewegung, die gewaltigen Waffenthaten der Römer gegen die Barbaren aufzuzeichnen, und so wie 236 Wippchen, wenn er den orientalischen Krieg schildert, in Bernau sitzt, so saßen diese griechischen Kriegsweisen ruhig daheim, in Korinth, Athen oder sonstwo. Lucius erzählt von Einem, der nie aus Korinth herausgekommen war, aber trotzdem seine Geschichte des Parthischen Krieges mit den Worten beginnt: »Die Ohren sind nicht so glaubwürdig, wie die Augen; ich schreibe also, was ich gesehen, nicht, was ich gehört habe.« Und nun folgen sehr amüsante Auszüge aus derlei Berichten, deren phantastischer Inhalt meinen Wippchen beschämen könnte, wenn er für dergleichen Konzessionen zu haben wäre, aber der Autor der kurzweiligen Studie verlangt dies auch nicht, sondern er giebt zu, daß die klassischen Kriegsberichterstatter es genau wie Wippchen treiben, indem er fragt: »Macht Wippchen nicht ähnliche Kunststücke?« oder erklärt: »So, Zug für Zug, finden wir in Wippchen die vortrefflichen Eigenschaften der griechischen Kriegsberichterstatter der Zeiten Lucians. Hätten die Herren damals auf Bestellung und für griechische oder römische Zeitungseigenthümer oder Redaktionen geschrieben, so würde auch wohl – vorausgesetzt natürlich, daß diese letzteren den modernen deutschen ähnlich gewesen wären – die regelmäßige Betonung eines Vorschußbedürfnisses nicht gefehlt haben.«

Trotz dieser interessanten Enthüllungen aus der 237 publicistischen Thätigkeit verschollener Ahnen Wippchens, an deren Verbreitung ich mich mit Vergnügen beteilige, – von weniger feinen oder höchst plumpen Denunciationen nehme ich hier nicht Notiz, – erhebe ich doch den Anspruch auf das vielleicht geringe Verdienst, den Wippchen ohne irgend eine Anlehnung an berühmte Muster erfunden zu haben. Auch der Verfasser der Feuilletons: »Die Urbilder Wippchens«, will mir dieses Verdienst nicht schmälern. Er sagt am Schluß äußerst liebenswürdig: »Ehe wir wagten, auf Herrn Stettenheim's Wippchen auch nur den Schatten des Verdachts zu werfen, als sei er nicht ganz und ohne fremde Beihülfe im Haupte seines Vaters entstanden und aus demselben wie Pallas Athene aus dem des Zeus hervorgegangen, würden wir lieber einen körperlichen Eid dahin leisten, Herr Stettenheim habe den alten Lucian niemals gelesen.« Der geschätzte Autor darf diesen körperlichen Eid mit gutem Gewissen ablegen und hinzufügen: »So wahr mir Gott helfe!« Ich habe den alten Lucian auch heute noch nicht gelesen. Mehr als das Vertrauen, welches der Autor der »Urbilder« in die Lücken meiner Belesenheit setzt, mich ehrt, freut mich seine Versicherung, daß er mir meine »Erfindung«, die mir nun einmal patentirt ist, nicht schmälert.

Die Idee zum Wippchen gestaltete sich in sehr 238 einfacher Weise. Als der deutsch-französische Krieg ausgebrochen war, eilte, was Hände hatte, sich zum Kriegsberichten einzurichten, und es regte sich geschäftig Jung und Alt auf dem Gebiet der Korrespondenz. Frankreich wimmelte von berufenen und unberufenen Federhelden, die, wie sie irrthümlich versicherten, aus den besten Quellen schöpften und sich rücksichtsvoll gutunterrichtet nannten. Aber auch in Deutschland selbst wurden unzählige Berichte vom Kriegsschauplatz geschrieben, mit denen die Blätter ihr Publikum fesselten und unterhielten. Dem Bürger des journalistischen Staates war das kein Geheimniß. Er wußte, daß der Kriegstheater-Berichterstatter meist das eine beste Quelle nannte, was er, selbst nicht Augenzeuge, fern vom Schuß von irgend einem militärischen Freunde gehört hatte, der ebensowenig Augenzeuge war, aber, um als solcher oder als gutunterrichtet zu gelten, ihm irgend welche Mittheilungen gemacht hatte, die ungefähr als authentisch gelten konnten. Das wurde dann telegraphirt oder mit blühenden Redeblumen ausgeschmückt als neuester Bericht »unseres eigenen Kriegskorrespondenten« veröffentlicht. Daß auch Berichte vom Kriegsschauplatz in den Redaktionen verfaßt wurden, versteht sich von selbst. Eine tüchtige Redaktion weiß sich zu helfen, wenn sie zufällig nicht bei den Ereignissen auf dem Kriegstheater persönlich vertreten ist. Es kommt 239 dazu, daß in unseren Hauptquartieren kein besonderer Eifer vorherrscht, gegen die Presse liebenswürdig zuvorkommend zu sein. Die auf den Kriegsschauplatz entsendeten Journalisten werden eben wie uneingeladene Gäste behandelt und ohne eigentliche Schuld der schneidigen militärischen Würdenträger, die, einer alten und üblen Tradition getreu, die Presse und deren Vertreter als etwas Ueberflüssiges zu betrachten gewöhnt worden sind, während sie die unbedingt überflüssigen und störenden fürstlichen und adligen Schlachtenbummler in ihrer Ebenbürtigkeit als die geborenen Besucher des Kriegstheaters betrachten. Die unfreundlich und mißtrauisch behandelten Vertreter der Presse haben daher häufiger, als bei etwas Entgegenkommen seitens der Militärs nöthig wäre, ihre Phantasie arbeiten zu lassen, wenn sie ihre Zeitung mit Nachrichten vom Kriegsschauplatz »bedienen«.

Diese Berichte werden, ob nun im Hauptquartier oder im Redaktionsbureau, natürlich mit großer Hast zu Papier gebracht, und solche Fabrikation mit Dampfbetrieb schließt die sorgsame Arbeit fast gänzlich aus. Der Schreiber hat weder Zeit, lange zu überlegen, noch zu feilen, weder seine Nachrichten zu prüfen, noch seine Phantasie zu zügeln, wenn ihm der Stoff zu einem ansehnlich langen Bericht fehlt, und so producirt er darauf los, froh, 240 Manuskript abschicken zu können. Der Journalist ist ohnehin meist ein Schnellschreiber, der langsam arbeitende, bedächtig überlegende ist heute kaum noch zu gebrauchen. Er mag wollen oder nicht, er ist ein »Concertschreiber«, wie es Concertzeichner und Concertmaler giebt. Und aus der Verbindung dieser eiligen Production mit der nicht allzu seltenen Halbbildung und Flüchtigkeit entstammt ein literarischer Handwerker, dessen Thätigkeit besonders während des deutsch-französischen Krieges sehr viel Heiterkeit hervorrief und zwar meist an falscher Stelle und bei unpassender Gelegenheit. Er forderte förmlich zur Parodie heraus.

Aber ich nahm damals diese Herausforderung nicht an, weil die zu schaffende Figur am allerwenigsten zu dem Ernst gepaßt hätte, mit dem wir den Ereignissen folgen mußten. Ich wartete einen Krieg ab, der uns fernlag, und solchen, den russisch-türkischen, brachte das Jahr 1877. Die Nummer der »Berliner Wespen« vom 4. Mai enthielt den ersten Wippchen.

Nicht selten bin ich gefragt worden, ob es wirklich so lustig, wie man erzählte, zugegangen sei, als der Wippchen entstand. Das Erzählte war dann meist sehr merkwürdig und auch sehr lustig, um die Figur hatte sich eine ganz passable Legende gebildet, die mir aber immer ganz unbekannt war. Es begab 241 sich gar nichts Merkwürdiges oder Lustiges bei Wippchens »Geburt«, wie ich der Wahrheit gemäß berichten muß. Wippchen entstand, wie jeder andere Zeitungsartikel dieser oder ähnlicher Art, bei welchem Form und Inhalt erst beim Schreiben auf's Papier fließen. Der Journalist arbeitet nicht nach vorher entworfenen Plänen. Wie der Appetit mit dem Essen, so kommt der Inhalt mit dem Schreiben. Ich weiß nicht einmal, wie ich denn eigentlich auf die Namen Wippchen und Bernau kam. Wahrscheinlich ging mir ein Lied »Mach' mir keine Wippchen vor«, das ich in meiner Jugendzeit gehört hatte, durch den Kopf, und ich versetzte Wippchen nach Bernau, weil mir dies Hussitenstädtchen durch einige Besuche, die ich meinem alten dort wohnenden Freunde, dem Chemiker und Schriftsteller Emil Jacobsen, abgestattet hatte, der durch sehr lustige Lieder und dramatische Scherze, die besonders an den Festabenden des »Vereins Berliner Künstler« mit großem Vergnügen vorgetragen wurden, bestens bekannt geworden ist. Ich erinnere mich, daß Jacobsen eines Tages zu einer höchst interessanten Ausgrabung eingeladen hatte. Es handelte sich natürlich nur eine scherzhafte Persifflage dieser damals besonders stark grassirenden Unternehmungen übereifriger Archäologen: Es sollte ein leibhaftiger Hussit an's Licht gefördert werden. Ein auf das Tollste 242 gefaßter Kreis, in welchem sich auch der am selben Tage nach Berlin gekommene Julius Stinde befand, umstand einen verdächtig neu aussehenden Hügel, der bald das erwartete »Tollste« enthalten sollte. Denn nach einigen kräftigen Spatenstichen ward eine Tonne sichtbar, aus der uns ein völlig gerüsteter Hussit entgegenkroch und uns einen guten Tag wünschte. Dieses Scherzes und anderer dankbar gedenkend, wählte ich Bernau zum Wohnsitz für Wippchen.

Um über den Namen Wippchen ganz ausführlich zu sein, muß ich noch anführen, daß derselbe sich neben dem citirten Liedervers auch aus der Lektüre des alten »Till Eulenspiegel« in meinem Gedächtniß erhalten hatte: Die Mutter Tills hieß Anna Wibeken.

Wippchen war kaum vier Wochen alt geworden, als er sich auch schon einer Popularität erfreuen durfte, wie ich sie nicht erhofft hatte. Von allen Seiten gingen mir alte und neue Zeitungen und belletristische Erzeugnisse zu, in welchen die Leser den Styl Wippchens entdeckt hatten, und schon daran war leicht zu erkennen, daß ich den Wippchen nicht aus der Luft gegriffen hatte, sondern daß in ihm eine Satire sich darstellte, welche schon lange reif gewesen und erwartet worden war. Aber nicht nur in solcher Weise interessierten sich die literarischen Kreise und das gebildete Publikum für Wippchen und seine 243 parodistische Thätigkeit. Sie befreundeten sich gewissermaßen persönlich auf das engste mit ihm. In der Presse trat das Wort Wippchen als eine ganz bestimmte kurze und deutliche Kritik an die Stelle einer weitschweifigen, und das Publikum brauchte es nur zu lesen, um zu wissen, was es von irgend einem Elaborat zu halten hatte. In unzähligen Nachahmungen erschien Wippchen in Vereins- und Festzeitungen, Witzblätter, welche nicht stolz waren, kopirten ihn, und in der ausländischen Presse erschien er in Uebersetzungen, welche, nebenbei bemerkt, den Uebersetzern nicht geringe Mühe verursacht haben müssen. Sein Name und seine Bitte: »Verzeihen Sie das harte Wort!« haben einen Platz im Büchmann und dann in allen ähnlichen Sammelwerken gefunden, Sprachforscher würdigten ihn in ihren Büchern und Aufsätzen freundlicher Erwähnung, Wilhelm Goldbaum widmete ihm in seinen »Literarischen Physiognomien«, Paul Lindau in der »Gegenwart« ein ausführliches Kapitel, wie auch viele andere Feuilletonisten sich eingehend mit ihm und seinen Berichten beschäftigten. Der berühmte Bildhauer Max Klein stellte ein Wippchendenkmal her, das durch seine Porträtähnlichkeit und phantastische Staffage ein humoristisches Meisterwerkchen und der Schmuck meines Arbeitszimmers geworden ist. Es ist umgeben von Wippchen-Porträts auf 244 Porzellan, Glas, Holz und anderem Material, mehrere Freunde Wippchens haben sich, ihn in Costüm und Haltung kopirend, photographiren lassen, und der geniale Zeichner Döpler d. J. hat ihn auf mehreren Tischkarten angebracht. In Berlin bildete sich ein »Verein Wippchen«, und in vielen anderen Vereinen, wie im »Eulenspiegel«, wurden regelmäßig Wippchenvorträge auf das Programm gesetzt. Auf der Bühne ist Wippchen häufig erschienen, so von dem vortrefflichen Komiker Emil Thomas auf der Bühne des Wallnertheaters dargestellt, nachdem er die von mir verfaßte Soloscene »Wippchens Liebesleid«, die alsdann in der Theateragentur von Felix Bloch erschienen ist, auf einem Ballfest des Vereins »Berliner Presse« gespielt hatte, und für Frau Niemann-Seebach schrieb ich auf deren Wunsch eine ähnliche Scene, in der eine Dame die Anträge schilderte, mit denen sie von dem in sie verliebten Wippchen verfolgt werde. Die große Schauspielerin trug den Scherz in einem Wohlthätigkeitsbazar vor. Aber schon auf dem Theaterzettel des Berliner Variététheaters vom 24. September 1877 finde ich ihn als »Herr Wippchen aus Bernau, Zeitungs-Correspondent«, in einer Posse von R. Hahn: »Berliner auf dem Kriegsschauplatz, oder: Vom Kreuzberg bis zum Balkan.« Wie weit und allgemein bekannt Wippchen geworden ist und zugleich, 245 daß der Ton, den er angestimmt hatte, nicht allein in Berlin und in Norddeutschland verständlich war, dafür empfing ich später in meinen Vorlesungen, die ich nicht nur im deutschen Reich, sondern auch in der Schweiz, in Böhmen, in Ungarn, in Siebenbürgen, in Galizien u.s.w. hielt, Beweise. Ueberall trug ich Wippchens Prosa und Verse vor, und überall wurden diese nicht nur verstanden, sondern konnte ich auch bemerken, daß Wippchen in der Ferne längst so populär geworden war, wie daheim.

Während ich diese Zeilen schreibe, fühle ich wohl, daß ich mich der Gefahr aussetze, für eitler gehalten zu werden, als Jedem zu sein erlaubt ist, der von seiner Arbeit spricht. Ich habe mich daher bemüht, mich in den Schranken des Referats zu halten, und ich glaube daher, in meiner Eigenschaft als Berichterstatter die Eigenthümlichkeiten des Herrn Wippchen vermieden zu haben. Aufrichtig, ich spreche gar nicht sehr gern von Wippchen. Ich bin eigentlich ein wenig eifersüchtig auf ihn. Auch ist er mir schon manchmal im Wege gewesen. Eifersüchtig bin ich auf ihn, weil man ihn, wie dies häufig geschieht, für einen Journalisten hält, der zu mir nur in dem Verhältniß eines Mitarbeiters zu seinem Redakteur steht. Man spricht sehr oft mit mir über ihn als von einem Manne, dem ich zu großem Dank verpflichtet sei, weil er mich doch durch 246 seine schriftstellerische Thätigkeit sehr bekannt gemacht habe, und man wünscht mir Glück, daß ich ihn gefunden. Ich bin also im Recht, wenn ich behaupte, daß er mir schon oft im Wege gewesen sei, besonders auch dadurch, daß er von Denen, die ganz genau wissen, wie wir mit einander stehen, allem anderen vorgezogen wird, was ich außer seinen Berichten producire und ganz gewiß mit nicht weniger, oft mit mehr Fleiß und Sorgfalt. Man sagt Wippchen, wenn man Julius Stettenheim sagen will. Das ist mir höchst selten angenehm, oder er gilt mehr als andere Figuren, die ich ersonnen habe und die älter sind als er. Wenn ich nach Karlsbad komme, und das ist nun schon ein Dutzend mal geschehen, so kündigen mich die Blätter unheilbar mit den Worten an: »Wippchen ist hier eingetroffen.« Das ist mir auf meinen Vortragsreisen ebenso geschehen. Auch das direkte Gegenteil widerfährt mir zuweilen, indem mir Jemand, dem ich vorgestellt werde, sagt: »O, ich habe Sie sofort an der Aehnlichkeit erkannt.« Es ist, nebenbei bemerkt, gar nicht angenehm, Herrn Wippchen ähnlich zu sehen.

Einen lustigen Beweis für die Thatsache, daß Wippchen auch heute noch für einen leibhaftigen Menschen gehalten wird, lieferte mir ein Biedermann aus Potsdam, der an der Tafel eines öffentlichen Festes neben mir saß und mich anredete. Man sagte 247 ihm, ein uns gegenüber sitzender Herr sei Wippchen, dem er manche heitere Stunde verdanke, er wolle ihm dies sagen, wenn der Herr wirklich der bekannte Kriegskorrespondent sei. Ich bedauerte, ihm keine Auskunft geben zu können, da ich annahm, daß es sich um einen jener Tafelscherze handelte, die einem den Appetit verderben. Aber mein Nachbar war ein sehr ernsthafter Mann, und als solcher erhob er sich, ergriff sein Glas und wandte sich an den uns gegenüber Sitzenden, der sich nun gleichfalls erhob und einige große Liebenswürdigkeiten erst etwas überrascht und dann ganz ruhig anhörte. Das war ein Händeschütteln und Gläserklingen! Dem Einen war es eine zu große Freude, endlich einen seiner Lieblingsschriftsteller persönlich kennen zu lernen, und dem Anderen, dem die Natur in einem Moment der Freigebigkeit eine Wippchennase verliehen hatte, gab die Weinlaune den ganz vernünftigen Gedanken ein, dem dankbaren Zeit- und Tischgenossen eine große Verlegenheit zu ersparen, indem er allen Dank über sich ergehen ließ. Er wollte sich nicht etwa mit einer fremden Feder schmücken, er hatte eine eigene Feder, die ihn auch heute noch schmückt, er wollte nur kein Spaßverderber sein, obschon es sich gar nicht um einen Spaß handelte. Sehr befriedigt setzte sich mein Nachbar endlich wieder nieder, aber von Zeit zu Zeit stieß er unter freundlichstem Kopfnicken mit 248 unserem Gegenüber an, bis er ganz voll süßen Weines war.

Oft ertappe ich mich aber auch selbst, wie ich von Wippchen als von einer Person spreche, mit der ich zufällig in Verbindung stehe; so habe ich mich endlich selbst daran gewöhnt, in ihm, wie es Andere thun, einen fleißig an seinem Schreibtisch in Bernau sitzenden Berichterstatter zu sehen. Ich spreche und schreibe unwillkürlich von ihm als von einem Kollegen, einem Mann, den ich persönlich oder aus seinen Publikationen kenne. Es wird dies begreiflich, wenn man weiß, daß ich jahrelang in Briefen und Gesprächen von Wippchen als von einem lebenden Kriegskorrespondenten lese und höre, – jedenfalls scheint es mir ein Beweis dafür zu sein, daß die Figur eine lebensfähige humoristisch-satirische Gestalt ist, der man unter anderem Namen und journalistisch thätig schon in den Spalten der Journale begegnet ist.

Gleich nach dem ersten Auftreten Wippchens habe ich alle auf ihn sich beziehenden, eigentlich an ihn gerichteten Briefe, Drucksachen u. s. w. gesammelt, und so entstand eines der lustigsten Archive, welche der journalistische Staat aufzuweisen haben wird. Neben vielen guten und mittelmäßigen Nachahmungen finden sich hier in unzähligen Zeitungs-Ausschnitten die unfreiwilligen »Wippchen«, welche häufig 249 drastischer sind als die von mir erfundenen, – es ist erstaunlich, was in allem Ernst geleistet, mit der Hast der Production kaum erklärlich und meist dem armen Druckteufel in die Schuhe geschoben wird! Dann habe ich nicht wenige Briefe aufbewahrt, deren Absender außer sich darüber sind, daß ich Berichte eines so ungebildeten Menschen wie Wippchen abdrucke, der in fast jedem Satze bekunde, daß ihm die Bildung eines Quintaners fehle, ja, daß er nicht einmal im Stande sei, richtig zu citiren, dagegen die landläufigsten Citate in der dümmsten Weise ineinanderschiebe. Solche Briefe gelangen auch heute noch an mich und beweisen, daß Wippchen auch auf den Titel eines verkannten Genies Anspruch hat. Neben solchen Dokumenten liegen die schmeichelhaftesten Briefe seiner Leser und Freunde, auch viele von Damenhand. Als in dem Fechner'schen Atelier die Photographie Wippchens nach einer Zeichnung Gustav Heil's, des Erfinders der die Berichte begleitenden Figur, hergestellt worden war und ich diese Bilder in mit »Feldpost« bezeichneten Briefen, die in Bernau auf die Post gegeben waren, an viele Vertreter der Literatur, Kunst und Regierung mit entsprechenden Widmungen verschickt hatte, – Wippchen sollte sich im Oktober 1877 für die ihm bereitete freundliche Aufnahme persönlich bedanken, – da gingen viele der Adressaten verständnißinnig auf 250 den Spaß ein, indem sie sich durch Zusendung ihrer Photographie mit humoristischen Begleitzeilen revanchirten. Um diese Briefe und Porträts darf jeder Autographensammler das Wippchen-Archiv beneiden. Die ernsthaftesten Schriftsteller und Künstler schrieben zu ihrem Bilde ausführlich im Geiste Wippchens, und der Minister Graf Eulenburg machte sich den Scherz, mir sein Porträt mit folgenden Zeilen zu senden: »Vor mehreren Wochen ist mir eine sehr hübsche Photographie des Kriegscorrespondenten der Wespen, Herrn Wippchen, zugegangen. Ich hätte gleich meine bildliche Gegenvisite gemacht, wenn mir Karten zur Disposition gestanden hätten. Da dies aber erst jetzt der Fall ist, kann ich auch erst jetzt meiner Höflichkeitspflicht nachkommen, und ersuche Ew. Wohlgeboren ganz ergebenst, die beiliegende Photographie Herrn Wippchen zukommen zu lassen, dessen derzeitiger Aufenthalt mir unbekannt ist. Ganz ergebenst Eulenburg

Auch in Bismarck's Hause war Wippchen wohlgelitten. Als ich vor Jahren in einer Gesellschaft dem Grafen Herbert Bismarck vorgestellt wurde, sagte er mir, daß, »wenn Vater krank an das Sopha gefesselt sei, ihm die Mutter oder einer der Söhne aus dem Wippchen vorlese, was ihn sehr amüsire.« Und ein anderer Beweis für die Beziehungen Wippchens zu unseren Staatsmännern 251 ist, was unser Gesandter in Athen, Herr v. Radowitz, im Januar 1879 an den Geheimen Legationsrath Herrn Rudolph Lindau, der ihm die Berichte Wippchens geschickt hatte, schrieb: »Für Wippchen besten Dank; ich lasse mir natürlich Alles schicken, was dieser Historiker leistet!«

Moltke erkundigte sich – so erfuhr ich aus den Zeitungen im December 1880 – im Generalstabsgebäude bei einem der höheren dort arbeitenden Offiziere, wie es mit einer soeben eingelaufenen, nicht unwichtigen Nachricht aus einem der Donaufürstenthümer stände. Als der Offizier erwiderte, daß die Notiz aus einer gerade nicht sehr lauteren Quelle stamme, fragte der große Stratege lächelnd: »Sie wird doch nicht von Wippchen sein?«

Des Kaisers Generaladjutant, Graf von Lehndorff, weiß mir in zwei Briefen viel Liebenswürdiges in so humoristisch geistvoller Form über Wippchen zu sagen, daß ich, um meinen Kriegskorrespondenten nicht eitel zu machen, die Briefe nicht veröffentliche.

Der Berliner Congreß im Jahre 1878 brachte meinem Wippchen zwar viel Arbeit, aber auch viele journalistische Ehren. Nach dem Erscheinen seines Berichts über ein Interview, das er an Andrassy vollstreckt haben wollte, wurde ich diesem von dem Dichter Ministerialrath Doczi vorgestellt, bei welcher 252 Gelegenheit mir der österreichisch-ungarische Staatsmann lustig schilderte, wie erfreut er über ein Interview gewesen sei, bei welchem er nicht habe zugegen sein müssen. Dann schilderte er mir eine Soirée auf der englischen Botschaft und wie bei seinem Eintreten die Kleinstaaten über ihn hergefallen seien, um etwas über ihre Zukunft von ihm zu erfahren. Die mit den launigsten Einfällen verzierte Erzählung überzeugte mich, daß Wippchen dann und wann mit seiner Erfindung kaum die Wirklichkeit erreiche.

Am 1. Juli fand für die Vertreter der ausländischen Presse ein Bankett im großen Saale des Zoologischen Gartens statt, zu welchem sie von den Berliner Kollegen eingeladen waren. Das Fest verlief sehr glänzend. Ich hatte zugesagt, die vom Meister Paul Meyerheim mit sehr witzigen Seitenhieben auf Politik und Presse gewürzte Tischkarte zu erklären, und ich versuchte, mich dieses Geschäfts durch einen Brief von Wippchen zu entledigen. Meine auswärtigen Kollegen, mit Ausnahme der aus Oesterreich erschienenen, verstanden von dessen Inhalt freilich sehr wenig, aber ihre Zurufe bei der Ankündigung des aus Bernau eingetroffenen Schriftstücks bewiesen, daß sie die Parodie kannten, welche den Muth oder den Uebermuth hatte, vor ihnen zu erscheinen. Sie nahmen sie mit beifallsfreudiger 253 Duldung auf und stimmten schließlich in den dreisprachigen Toast auf die Berichterstattung: »One deux drei! Hurrah!« mit lautem Gelächter ein. Selbst die Pariser Kollegen, die damals noch weniger als heute gute Miene machten, wenn es sich um die Berliner Presse handelte, vergaßen Wippchen gegenüber allen Groll. In der Nummer des »Temps« vom 14. Juli fand ich unter dem Titel: »Le congrès de Berlin«, datirt: Berlin, 12. Juillet, minuit, und mit der Bemerkung: De notre correspondent spécial et par fil télégraphique particulier die genaue Uebersetzung eines Wippchen-Berichts aus der Sitzung des Congresses. Der Correspondent des »Temps«, Herr G. de Coutouly, sandte mir den Abdruck »avec les compliments de son bien dévoué imitateur.«

Nun will es mir scheinen, daß ich zuviel aus dem Archiv plaudere. Vielleicht findet sich einmal eine passendere Gelegenheit, einige der sehr lustigen Gedichte und Briefe mitzutheilen, die an Wippchen gerichtet, einen Blick in die Heerde von Salamandern zu werfen, die auf ihn gerieben und mir telegraphisch angemeldet, die Dokumente zu veröffentlichen, die ihm bei Gelegenheit seiner Ernennung zum Ehrenmitglied heiterer Gesellschaften (u. A einer in Constantinopel) zugestellt worden sind. Mit dem herzlichsten Dank an das Publikum will ich schließen, das dem 254 Wippchen, der jetzt seinem 18. Geburtstag entgegengeht, die freundlichste Gunst erhalten hat. Diese liebenswürdige Treue hat mich auch ermuntert, eben einem humoristisch-satirischen Blatt den Namen »Wippchen« zu geben.


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