Julius Stettenheim
Heitere Erinnerungen
Julius Stettenheim

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255 XVIII.

Wie ich Vorleser wurde, will ich mittheilen, vorerst aber gegen den Verdacht protestiren, als hielte ich mich für einen Vorleser, einen Kollegen jener berühmten Herren, welche dem Publikum mit ihrem bekannten sonoren Organ und tiefem Verständniß die nationalen Dichter gewissermaßen erst enthüllen, indem sie ihm eines ihrer Gedichte oder eine Szene aus ihren Dramen vorlesen. Das Publikum, das diese Vorlesungen besucht, kennt natürlich jede Zeile, die irgend ein Strakosch mit der Würde des Schöpfers vorträgt, und ist auch längst in den Geist der Dichtung eingedrungen. Ich habe eigentlich niemals begreifen können, aus welchem Grunde man sich eine Szene aus »Faust« oder »Demetrius« vorlesen läßt, die man selbst und ganz gewiß mit demselben Verständniß lesen kann, und habe auch niemals eingesehen, daß selbst der berühmteste Vorleser mehr leisten könne, als ein verständiger, mit vernehmlicher Stimme begabter Schauspieler, der sich 256 statt des Souffleurs eines Buches bedient, in das er dann und wann hineinblickt. Etwas anderes oder mehr leistet auch Herr Strakosch nicht, für den Heinrich Laube den munteren Titel »Vortragsmeister« erfunden hat, und bei dem die ausgezeichnetsten Mitglieder des Theaters die Rollen studiren mußten, während diese »Schüler« dem Vortragsmeister Unterricht im Vortrag und in der Darstellungskunst ertheilen konnten. Ich halte die »Kunst« des Vorlesers, oder richtiger des Deklamators für eine sehr untergeordnete, und ich würde derselben auch dann keinen Geschmack abgewinnen können, wenn ich vorlesen oder deklamiren könnte, wie dies von den Virtuosen verstanden wird, die mit einigen Bänden unserer Klassiker herumreisen. Dagegen finde ich es begreiflich, daß ein Verein, welcher die Litteratur oder Kunst fördert oder fördern will, von Zeit zu Zeit Schriftsteller und Künstler zu Gaste bittet, um dieselben persönlich kennen zu lernen und von ihnen vortragen zu hören, was sie geschrieben, oder was sie über ihre Kunst Neues und Altes mitzutheilen haben, und ebenso begreiflich finde ich es, daß solche liebenswürdige Einladung angenommen wird.

Das heißt: Jetzt finde ich es begreiflich. Jahrelang hatte ich einen heillosen Respekt vor dem öffentlichen Auftreten, und wenn ich aufgefordert wurde, 257 einen Vortrag zu halten, war es mir immer, als würde ich eingeladen, mich auf dem Seil zu produziren oder am Trapez zu »arbeiten«, was ich so gar nicht kann, und stets wußte ich irgend einen Grund zu finden, der mich veranlaßte, mit dem herzlichsten Dank und dem tiefsten Bedauern meine Zusage auf das nächste Mal zu vertagen. Das gelang mir auch eine Weile ganz vortrefflich. Aber der freundlichen Energie des bekannten Wiener Schriftstellers Friedr. Gustav Triesch war ich denn doch nicht gewachsen. Als Mitglied des Vorstandes des Wiener »Vereins der Literaturfreunde«, der allwinterlich mehrere deutsche Schriftsteller zu Vorträgen gastfreundlich in seinen Salon im »Goldenen Lamm« einladet, suchte er, so oft er nach Berlin kam, auch mich auf, um mir eindringlich zu sagen, daß es nun die höchste Zeit für mich sei, einen Vortrag in dem einflußreichen und ungemein populären Verein zu halten, der mich 1885 bereits durch eine direkte Einladung ausgezeichnet hatte. So erfreut ich war, Triesch bei mir zu sehen, mit dem es sich vortrefflich plauderte, so entsetzt war ich, wenn er mir von dem Vortrag sprach, denn dann beschlich mich so was wie Coulissenfieber, oder es erschien mir der in Aussicht gestellte Tisch, an dem ich lesend sitzen sollte, wie der Block, auf den ich den Kopf zu legen hatte, um den Todesstreich zu erwarten. Wie ich zu dieser 258 Furcht kam, das weiß ich nicht. Jedenfalls erschien sie meinem Freunde Triesch damals schon so kindisch, wie sie mir heute erscheint, und eines Tages machte er kurzen Prozeß und sandte mir ein gedrucktes Programm der im Verein der Literaturfreunde für das Wintersemester 1886 stattfindenden Vorträge, unter denen ich zu meinem Schrecken einen von mir am 20. Januar zu haltenden entdeckte.

Eine große Angst ergriff mich. Ich dankte meinem Freunde Triesch herzlichst und wünschte ihn zum Teufel. So oft ich auch bisher in befreundeten Kreisen »gesprochen« oder gelesen hatte, immer war ich der Einladung mit einem Gefühl des Unbehagens gefolgt, und immer war ich froh, wenn ich mit meinem Vortrag fertig war, obschon es sich ja stets um eine Leistung vor Freunden und Bekannten handelte, die dankbar zuhörten und dem Redner, wie jeder Einladung beruhigend hinzugefügt zu werden pflegte, keinenfalls den Kopf abrissen. Nun aber sollte ich vor einem mir ganz fremden und sehr verwöhnten Publikum aus meinen Schriften vorlesen, die nicht für den Vortrag entstanden waren, wie beispielsweise die Saphir's, des nicht immer nach Gebühr gewürdigten, namentlich von ganz witzfreien Kritikern so oft mit tapferem Behagen hochnäsig behandelten Humoristen. Dem Gewaltakt Triesch's 259 gegenüber kamen alle Bedenken zu spät. Ich stellte mir rasch eine Reihe meiner Humoresken zusammen, von denen ich glaubte, daß sie sich anhören ließen, und war präcise an Ort und Stelle, in dem halb komisch feierlichen Ballkostüm, das auch für die Vorlesungen beliebt worden ist, die Mappe unter'm Arm. Chiavacci und Ferdinand Groß hatten mich vom Hotel abgeholt und in den Saal des »Goldenen Lamm« geführt, in dem ich die Feuerprobe bestehen mußte. Zuerst in einen Vorsaal, von dem aus ich einen Blick in den Raum werfen konnte, in welchem die Exekution stattfinden sollte. Der Raum war überfüllt. Ueber der offenen Thür stand nicht der oft citirte Dante'sche Rath, die Hoffnung draußen zu lassen, aber ich las ihn dort. Neben der Tribüne stand, wahrlich nicht zu meiner Beruhigung, der Meister der Deklamation, Lewinsky, vor derselben hatten berühmte Künstler und Schriftsteller, Wilbrandt an der Spitze, Platz genommen. Ich weigerte mich mit bewußter Erfolglosigkeit, hineinzugehen, und eine Minute später stand ich, halb dahin getragen, auf der Tribüne und hörte, wie ich mich bemühte, mein Debut als Vorleser der Nachsicht der Hörer zu empfehlen und meine Befangenheit zu erklären. Aber ich hatte die Rechnung meiner Sorge ohne den Wirth gemacht. Der Wirth war eben Wien, die Liebenswürdigkeit. Mit dem Publikum 260 Wiens kann sich kein anderes vergleichen. Jedes andere mag eine vortreffliche Art haben, eine Leistung anzuerkennen, das Wiener Publikum hat neben dieser Anerkennung auch seine Freude daran, fördern und einen Erfolg bereiten zu können. Was ihm gefällt, das vertheidigt es wie sein Eigenthum, und es ist im Stande, wo es sich sympathisch berührt fühlt, kleine Mängel für große Vorzüge zu halten. Das ist die echte Liebenswürdigkeit: Es thut ihr leid, wenn sie irgend eine Leistung nicht unterstützen kann, und es freut sie doppelt, ihr mit warmem Beifall beispringen zu können.

Während des ganzen etwa zweistündigen Vortrags empfing ich Beweise dieser Liebenswürdigkeit, und selbst die von mir in Berlinischer und plattdeutscher Mundart verfaßten und vorgetragenen Humoresken, die dem Verständniß der Hörer ziemlich fern lagen, wurden mit heiterem Beifall begleitet.

Nach der Vorlesung, als eben die Mitglieder des Vereins zum Abendessen versammelt waren, folgten Vorträge von den Mitgliedern des Burgtheaters, Lewinsky und Meixner. Dieser las einige Wippchenberichte mit großer Meisterschaft.

Die Presse behandelte mich mit kollegialischer Freundlichkeit. In dem gastfreien Hause Wien macht sie die Honneurs, und bald fühlt sich der Fremde daheim, wo er fürchtete, als Ein- und Aufdringling 261 betrachtet zu werden. Meine Kollegen, denen ich zu vielem Dank verpflichtet wurde, wetteiferten in der Kunst, meine Leistung zu überschätzen, und die Wirkung machte sich schon am folgenden Tage geltend, als Einladungen nach Preßburg, Graz, Prag, Brünn und Breslau eintrafen, denen ich auch nachkam, überall die herzlichste Aufnahme findend.

Von Preßburg kehrte ich nach Wien zurück, um meine Vorlesung zu wiederholen. Bei dieser Gelegenheit lernte ich im Hause des Stadtbaumeisters Zifferer den Bildhauer Tilgner kennen. Der Meister saß mir gegenüber an der Tafel, an welcher u. A. Chiavacci einen Monolog seiner klassischen Fratschlerin Sopherl über Wippchen vortrug, und lud mich ein, in sein Atelier zu kommen, da er beabsichtige, meine Büste anzufertigen. Als ich dankend bedauerte, höchstens nur noch einen Tag in Wien bleiben zu können, lachte er mit seinen genialen Augen und sagte in seinem wohlklingenden Wienerisch: »Ah, da ist also noch Zeit genug, das Ding zu machen.« Ich sollte am nächsten Vormittag in sein Atelier kommen. Als ich das Atelier betrat, schleppte der Diener den zur Büste geformten Lehmklumpen herbei, und der Künstler machte sich an die Arbeit. In welcher Weise dieser aus dem gestaltlosen Material die Büste hervorzauberte, das machte mich sprachlos vor bewunderndem Staunen. Indem 262 Tilgner heiter plauderte, formte er, mich ansehend, mit den Fingern und dem Modellirhölzchen wie spielend die Büste, die eigentlich fertig war, als ich glaubte, nun sollte erst begonnen werden. Als ich nach etwa zwei Stunden das Atelier verließ, war das Werk vollendet, das, als es in der nächsten Ausstellung erschien, durch seine frappante Aehnlichkeit und charakteristische Auffassung allgemeinen Beifall fand.

Seit meinem ersten Vortrag in Wien habe ich alljährlich im Herbst und Winter Vortragsreisen unternommen, die mir trotz der unvermeidlichen Strapazen außerordentlich viel Unterhaltung brachten. Aber auch solche, welche mir Aerger und Enttäuschung bereiteten, hatten für mich einen amüsanten Reiz, obschon ich überallhin meine redaktionellen Pflichten mitschleppte und oft bis kurz vor Beginn der Vorlesung arbeiten mußte. Es war in mir der Wandertrieb erwacht, der auch heute noch nicht wieder eingeschlummert ist, und der sich nun ungehindert austoben konnte. Die 125 öffentlichen Vorlesungen, welche ich bis jetzt hielt, führten mich durch ganz Deutschland und Oesterreich und in die Schweiz.

Ich bin gewiß nicht undankbar gegen die vielen Beweise von Sympathie, die ich überall empfing, wenn ich an dieser Stelle weniger von diesen, als von kleinen Widerwärtigkeiten erzählen will, die ich 263 allerdings nicht ausschließlich als solche empfand, weil sie stets mit mehr oder weniger Komik verknüpft waren, die herauszufinden ich mir einiges Talent zutrauen darf.

Ich war nach Görlitz gekommen, woselbst von der Concert-Direktion Hermann Wolff ein Saal im Evangelischen Vereinshaus für meine Vorlesung bestimmt war. Aber die »Görlitzer Nachrichten« waren darüber außer sich. Sie veröffentlichten die Anfrage, wie denn die Verwaltung des evangelischen Vereinshauses dazu käme, den Saal desselben einem Manne einzuräumen, der notorisch die Opposition gegen die von der Regierung Seiner Majestät des Kaisers im Sinne der Allerhöchsten Botschaft vom 17. Novbr. 1881 in Angriff genommene thatkräftige Reformpolitik mit allen Mitteln des Spottes und der schärfsten Satire betreibe und der als Redakteur eines Witzblattes seinen Hohn auch über Dinge auszulassen sich nicht scheue, die jedem Christen heilig seien. Mit dieser albernen Lüge wurde die Polizei angerufen, das genannte Vereinshaus vor einer Entweihung zu schützen. Die Polizei erhörte denn auch das Gezeter, und ich fand den Saal geschlossen. Rasch mußte ein anderes Unterkommen für meine Vorlesung gesucht werden, das schließlich im »Kaisersaal« gefunden wurde. Natürlich wich das Publikum scheu seitab. Wer vielleicht die Absicht gehabt haben 264 mochte, meine Vorlesung zu besuchen, fürchtete nun, in den Verdacht der Ketzerei zu kommen, und Mancher gab das bereits genommene Billet wieder zurück, nachdem mein tapferer Kollege mit so viel Mannesmuth in mein Inneres hineingeleuchtet hatte. In dem beruhigenden Gefühl, mir dergleichen Unfug, der mich ziemlich langweilte, selbst auf den Hals geladen zu haben, betrat ich die Buchhandlung, in welcher der – Nichtverkauf der Billets stattfand. Hier begrüßte mich ein Herr, der meinen Namen nennen hörte, und fragte mich: »Werden Sie im Kostüm lesen?« Ich bejahte natürlich, da es, wie ich hinzufügte, wohl nicht schicklich wäre, in Schwimmhosen zu erscheinen. Er war aber sehr enttäuscht und nahm deshalb kein Billet. Abends erfreuten mich die Tapferen, welche, mich zu hören, im Kaisersaal erschienen waren, durch den freundlichsten Beifall, aus dem ich heraushörte, daß ihnen das öde Muckerthum ebenso unsympathisch sei wie mir, und an die zwei reizenden Damen, welche nach dem Schluß der Vorlesung dieser Empfindung in den zierlichsten Worten Ausdruck gaben, denke ich heute noch mit Vergnügen. Aber ich war doch recht froh, als ich am folgenden Morgen frühzeitig davonfuhr.

In Hirschberg wurde mir ein Hustenanfall derart übelgenommen, daß mir Niemand ein Glas Wasser 265 reichte, als ich mich mit der Bitte um Entschuldigung hinter eine spanische Wand – der Saal hatte kein Nebenzimmer – zurückgezogen hatte und daselbst dem Publikum etwa zehn Minuten lang etwas vorhustete, bis ich fortfahren konnte. Ein Hirschberger Weltblatt fiel sehr wüthend über meine Erkältung her.

Die angenehme Kleinstadtluft sollte ich in Bielefeld in vollen Zügen schlürfen. Den ersten Schluck that ich am Mittagstisch im »Westfälischen Hof« im Kreise der Honoratioren der Stadt, ein Ohrenzeuge der leeren Unterhaltung, deren Humor aus den Witzen bestand, die über ein unglückliches Mitglied der Gesellschaft tagtäglich gerissen wurden. Man begreift die Anspruchslosigkeit derselben nicht. Dann wurde über mich gesprochen. Sie machten gastfreundlich Gebrauch von dem Recht, meine Anwesenheit ignoriren zu dürfen, und vernichteten mich vollständig. Namentlich verziehen sie mir mein Bekenntnis nicht, nachdem einer der angenehmen Gäste die Frage, ob ich Jude sei, aufgeworfen und ich dann, mich vorstellend, diese Frage bejaht hatte. Mein Lachen auf ihre Versicherung, mich nicht haben beleidigen zu wollen, verstanden sie natürlich nicht. Und Abends begleitete meine Vorlesung, die im Saale der Gesellschaft »Eintracht« stattfand, eines der Mitglieder derselben mit lauten antisemitischen Schimpfereien. Meine Leser können sich nicht denken, mit welchem Vergnügen ich 266 mich am Schluß mit dem herzlichsten Dank für die freundliche Aufnahme verbeugte.

Dergleichen Episoden nahmen aber meinen Reisen nichts von dem Reiz, der einer Vagabundenfahrt nun einmal anhaftet. Die meinige gewann besonders durch die Gegensätze in der Art und Weise der Aufnahme und des Interesses, das sich für das, was ich zu bieten hatte, kundgab. Heute las ich vor einem Publikum, das das Lachen und den Beifall nur dem Namen nach zu kennen schien, morgen fand ich Hörer, die mich mit stürmischem Beifall unterbrachen und jeder Pointe das munterste Verständniß entgegenbrachten. In manchen Städten überließ man mich nach der Vorlesung mir selbst, in andern folgte ein Bankett oder sonst ein scharfes Trinken in großer Gesellschaft, daß ich oft genug Mühe hatte, den Anschluß an den Frühzug nicht zu versäumen. Ich fand heute Hörer, welche sich vor ihren Stuhlnachbarn zu fürchten schienen, alles zu verstehen, und morgen ein Auditorium, vor dem ich, durch seine Heiterkeit animirt, meine ganze Mappe leerlesen mußte, um dem freundlichen Verlangen zu genügen. Dem mit literarischen Fabrikaten Reisenden verräth das Publikum einer Stadt oder eines Städtchens im ersten Augenblick seines Erscheinens, ob und wie es sich für Literatur interessirt. Dies geschieht durch die Art des Zuhörens, abgesehen von dem so sehr nöthigen und 267 angenehmen »Drängen zu den Billets.« Ich habe alle Sorten Publikum kennen gelernt: Das lebhafte und das scheintodte, das heitere und das ernste, das dankbare und das nicht zu erwärmende. Und auch das ängstliche und prüde. Nicht selten wurde ich aufgefordert, vorher zu erklären, daß in der Vorlesung weder politische, noch kirchliche Fragen berührt werden, und daß die Frauen und Mädchen auch alles hören dürften, und ich habe am Schluß mancher Vorlesung einen Dank dafür über mich ergehen lassen müssen, daß ich nicht geschmack- oder taktlos gewesen war.

Ein komisch-kritischer Tag erster Ordnung in meinem Vorlesungs-Kalender war der 9. Februar 1893, den ich in Brody verbrachte. Am 7. war ich in Mährisch-Ostrau gewesen, wo ich ein herzliches Entgegenkommen und einen aus den lustigsten und intelligentesten Männern und Frauen bestehenden Kreis gefunden hatte. Ich schwelgte noch in der Erinnerung an diesen, als mich das Schicksal mit seinem schaudervollsten Schneefall und mit dem Befehl des Bezirkshauptmanns, sofort meine Vorlesung zur Prüfung einzureichen, auf dem unwirthlichen Bahnhof in Brody empfing. Mit diesem angenehmen Auftrag bestieg ich unter dem Geschrei der sich um mein Handgepäck balgenden und zankenden schmutzigen Träger den zu einem Transport von Menschen nur sehr 268 mangelhaft eingerichteten Schlitten, um die Stadt zu erreichen. Das war Nachmittags, und um 7½ Uhr sollte meine Vorlesung beginnen. Düstereres als das Gebäude, in welchem der Bezirkshauptmann herrschte, ist nicht zu denken, und in einem der unfreundlichen Zimmer mit seinen noch unfreundlicheren Beamten wartete ich nun, abgespannt und hungrig nach langer Fahrt, stundenlang. Einmal bat ich einen der kaum deutsch verstehenden Schreiber um Beschleunigung, der mir antwortete, ich solle nur warten, die Schriftstücke müßten erst gelesen werden, übrigens gehe ihn die Sache nichts an. Nur die Komik, daß anstatt meiner ein nur polnisch lesender Beamter in Brody »las«, schützte mich vor einer gefährlichen Ungeduld. Endlich, etwa eine Stunde vor Beginn der Vorlesung, wurde ich vor den Bezirkshauptmann befohlen, dessen Lektor dahintergekommen war, daß meine Vorlesung ohne Gefahr für die galizische Ruhe abgehalten werden könne. Er setzte mir auseinander, daß meine Manuskripte eigentlich in Lemberg hätten geprüft werden müssen, und so schloß er, oder suchte zu schließen: »Wenn Sie also wieder nach Brody kommen, so –« Schon die Annahme, daß ich wieder nach Brody kommen könnte, erfüllte mich mit derartigem Grauen, daß ich dem Bezirkshauptmann ins Wort fiel: »Seien Sie ganz ruhig, ich komme nicht wieder nach Brody.« Er wiederholte sein: 269 »Wenn Sie wieder nach Brody kommen –«, und ich fiel ihm abermals ins Wort mit einem aus dem Tiefsten meiner Seele aufsteigenden: »Unmöglich! Wie kann einer wieder nach Brody kommen!« Ich hielt im Musikvereinssaal meine Vorlesung und schloß dann meinen Koffer, um am andern Morgen um 5½ Uhr »ungefrühstückt« wieder im Schlitten, begleitet von dem noch etwas heftiger gewordenen Schneegestöber, den weiten Weg zum Bahnhof zurückzulegen. Man kann sich nichts Ungemüthlicheres denken, und doch: Wer sich einmal eine harmlose und reine Freude bereiten will, der reise von Brody ab.

Ich hoffe nicht, undankbar zu erscheinen, wenn ich anstatt des vielen Schönen, das ich auf meinen Vortragsreisen erlebte, nur einiges vom Gegentheil schilderte. Man darf nicht glauben, daß ich mir für dieses den nöthigen Raum in meinem ziemlich weitläufigen Gedächtniß reservirt halte. Das Liebe und Schöne zu schildern, wie es sich für »Heitere Erinnerungen« eignet, fehlt mir der Raum. In Wien und Königsberg, in Budapest und Breslau, in Prag und Triest, in Brünn und München, in Graz und Frankfurt a. M., überall fand ich lustige Gesellschaft, freundliche Aufnahme und kollegialische Unterstützung. Ohne einige mir angeborene Begabung für die Kunst, an allerlei Widerwärtigem vorbeizuhören und 270 vorbeizusehen, sind allerdings die Strapazen und unausbleiblichen Enttäuschungen der Vortragsreisen nicht besonders leicht zu ertragen, auch wenn der Wandertrieb ein sehr mächtiger ist.


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