Hermann Stegemann
Daniel Junt / Die Himmelspacher
Hermann Stegemann

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Und wieder dunstete der Tau, stieg die Sonne und flimmerte die Luft. Kein einziges Wölklein segelte im Blau. Von einem sanften Wind bewegt, seufzten die Wälder. Auf den Graskuppen zitterten die Glockentöne der Weidkühe. Wie grün geschmolzenes Gold lag der Trübsee in der Mulde.

Als um die Mittagszeit die Sensen schwiegen, glitt die Gritt den Beerenhang hinunter durch die Krüppelkiefern zur Kapelle. Ihr Atem flog, unter dem Hemd sprang ihr das Herz, sprang ihr aus dem Mund, und sie schoß mit einem inbrünstigen Seufzer in das Gebethäuslein, das wie ein Backofen glühte, und warf sich auf den nackten Steinboden.

Eine Hummel, die sich hineinverirrt hatte, summte ihr um den Kopf. Die Mutter Gottes streckte die verstümmelten Hände, als müßte sie einer Spinne, die ihr Gespinst von den Blechlilien zu dem Heiligenschein gezogen hatte, das Garn halten.

Schweißtropfen standen auf der Stirn der Gritt, Grassamen hing im funkelnden Haar, sie lechzte nach seinen Küssen.

Als er zu ihr trat, seufzte sie schwer.

»Warum sprengst du einen so weit?« fragte er und zog sie hinaus auf die Schattenseite des steinernen Klotzes, wo sie unter Stechpalmen und Farnen hocken konnten.

Das grüne Wasser lag träge, als feste Masse im Becken. Silberweiße Wolken stiegen über die Berge und deckten die Sonne auf und zu.

»Der Hans äugt wie ein Sperber,« murmelte die Gritt und gab sich gefangen wie ein Vöglein. 291

»Der! Dem schlag' ich den Schädel ein,« prahlte der Bursch und zog sie an sich.

»Hast du mich auch lieb?« fragte sie seufzend.

»Wär' ich sonst bei dir?« gab er zurück.

»Und du kommst wieder?«

»Oder du reisest mir nach, nimm deinen Teil und blas' ihnen in die Schuh,« riet er lachend und dachte sich nichts dabei, riet nur, um ihr zu denken zu geben, während er sie an sich preßte.

»Ich hab' dich lieb,« murmelte sie als Antwort.

Auf einmal ergriff sie seinen Arm, machte sich frei, schüttelte die aufgerollten Haare und sagte hart:

»Schwör' mir, daß du kommst oder rufst!«

»So plag' dich doch nicht,« erwiderte er und versuchte sie in der Umarmung auf den Boden zu strecken.

Aber sie stemmte die Knie und stand plötzlich aufrecht.

»Den Verspruch will ich, ich geh' ins Wasser ohne den Verspruch!«

Sie starrte auf den grünen wolkigen See, in den die Treppenstufen hineinwuchsen.

Er faßte sie um den Leib und preßte sie an sich.

Da riß sie ihn mit verzweifelter Kraft an die Öffnung der Kapelle.

»Ich geb' dir alles, ich hab' dich ja so lieb, ich kann ja nicht anders, aber versprich dich mir für Zeit und Ewigkeit,« rief sie mit tonloser, vom Schlag ihres Herzens und vom Hämmern des Blutes erstickter Stimme, im Taumel, in der Hingabe sich an ihn klammernd. Und sie las ihm den Schwur von den Lippen, der leicht wie ein Fluch über seine Zunge sprang, und dann erlosch ihr Widerstand, und sie lag mit selig geschlossenen Augen in seinen Armen, über sich die silberweißen Wolken, die träumerisch im Blau zerflossen.

Das Geläut der grasenden Kühe klang in verlorenen Tönen über den Berg. –

Und wieder zog die Gritt den Rechen, rauschten die Sensen durchs stäubende Gras. Die Sonne war 292 plötzlich erstorben. Eine brandrote Wolkenwand deckte den Himmel. Windwirbel sprangen auf und entführten das Heugras in lustig wehenden Schwaden.

Über den welschen Tälern ging ein Gewitter nieder. Goldbraun und violett stand dort das Gewölk und sandte eine silberne Regentracht über das Waldgebirg.

Zu »Allen Winden« wirbelte es in einem wilden heißen Taumel trocken vorüber, brannte glühend auf der Haut, versengte die Lunge und zerriß den letzten Erntewagen, ehe der Himmelspacher den Wiesbaum einlegen konnte, daß die Last aus dem Gleichgewicht kam und in dumpfem, sanftem aber unwiderstehlichem Drang kippte und die geschorene Matte deckte.

Der Himmelspacher hatte noch Zeit, beiseite zu treten, der Kolmarer aber geriet unter die stürzende Last und mit ihm die Leuni. Er war überrascht worden, doch die Leuni hatte sich rasch an ihn geworfen und aus freien Stücken mit zudecken lassen.

Als sie herausgefischt wurden, lagen sie eine Weile wie erstickt vom Gräserstaub. Weiter war ihnen nichts geschehen.

Der Himmelspacher sagte zu seiner Frau:

»Hättest du die Gabel eingestoßen und gehalten, so wäre es an einem Aufladen genug gewesen.«

Die Leuni zuckte die Achseln.

Sie half jetzt beim Aufladen, während der Bursch die Hände in die Hosentaschen schob und erklärte, er habe ein halbes Fuder im Hals und bevor das nicht hinuntergespült sei, rühre er keinen Finger.

Als die Gritt die erste Gabel auf den Wagen reichte, wo der Hans das Heu empfing und verteilte, zitterten ihr die Arme so, daß sie zu früh losließ. Der heiße Windwirbel zerriß die Tracht und streute sie über die Matte.

Da nahm ihr die Leuni die Gabel aus der Hand.

»Du bist mir eine rechte Hilfe,« sagte sie geringschätzig.

»Ich bin's nicht schuld, daß wir noch einmal laden müssen,« erwiderte die Gritt gereizt. 293

Im fahlen Licht erschien das Gesicht der Leuni wie Wachs.

»Willst du mich lehren, du Krott!« schrie sie und stieß die Gabel so hart neben der Gritt ins Heu, daß die Zinken ihr den Rock streiften.

»Ja, gift nur, man könnt' meinen, du hättest expreß abgeladen, um darunter zu liegen!« antwortete das Mädchen, und ihr Gesicht wurde rot wie Blut. Blitzschnell zuckte ein weher, eifersüchtiger Blick von der Leuni zu dem Burschen, der untätig, ein keckes, brutales Lächeln im braungebeizten Gesicht, dabeistand.

Einen Augenblick war es still. Die anderen schossen verwunderte Blicke.

Der Himmelspacher hob den Kopf wie einer, der irgendwo in der Ferne ein Geräusch gehört hat und nicht weiß, ob es Gefahr kündet. Erdfarben schlich es über seine Züge.

Die Leuni faßte sich geschwind. Ihr dunkles Lachen klang wohltönend in den heißen Wind.

»Expreß? – Voyons, comme tu es bête, Marguerite! – Und sich dabei die Gabel in den Leib rennen und das Genick abstürzen, hein! Das wär' dir kommod!«

Hart an die Gritt herantretend, schwenkte sie die Last auf den Wagen.

Da wich der aufgeschreckte Ausdruck aus dem Gesicht des Franz. Er wischte den Schweiß und bückte sich über die Arbeit.

Der Knecht stand auf dem Wagen, fing das Heu und staute es bedächtig fest. Er schaffte, als hätte er nichts gehört und nichts gesehen.

Das Wetter stand still. Der Wind fiel zu Boden. Es wurde ein schwüler Abend, bis die ersten kühlen Luftwellen aus der Gewittergegend herüberstrichen.

»Morgen leert's bei uns aus,« sagte der Melker und freute sich auf den Ruhetag. Er hatte seine Harmonika schon wieder hervorgezogen, und die anderen saßen um ihn herum. Die Abendkost war gespeist. 294

Da trat die Leuni zu ihrem Mann, der den Gaul striegelte.

»Es regnet morgen, und der Melker vom Roßkopf hat mir beim Milchtragen gesteckt, daß der Gendarm von La Grange die Höfe absucht. Zahl' ihn aus, den Kolmarer, so streicht er sich morgen ins Frankreich!«

Er warf dem Gaul noch einen Eimer Wasser über die Hufe, dann blickte er auf.

Drüben hockten die Leute, der Melker spielte auf, die Heuer tubackten, der Kolmarer lag auf dem Scheitholz und starrte in den dunklen Himmel. Es war so schwül, daß keiner mehr auf dem Leib trug als Hemd und Hosen. Nur der Kolmarer lag in den Schuhen. Hans, der Knecht, karrte im Mist und zöpfte ihn mit der Gabel.

Ein Wetterleuchten lief die höchsten Kuppen entlang und schien dem Himmelspacher ins Gesicht.

Und der Himmelspacher antwortete:

»Er mäht uns alle aus, aber er ist nicht treu.«

Die Leuni preßte die Lippen. Ihre Stimme war belegt, als sie herrisch riet:

»Tant mieux – so zahl' ihn aus!«

Dann wandte sie sich und stieg in den Keller, zapfte einen halben Liter Wein und trug ihn mit zwei Gläsern in die Stube. Der Abend war dunkel, aber sie sparte das Licht.

Als der Himmelspacher den Kolmarer in die Stube rief, lag der Fünffrankentaler schon auf dem Tisch.

»Ihr geht ins Frankreich. Da kommt Euch der Fünflivres recht,« sagte er und kündigte ihm.

Der Bursch begehrte auf.

»Gestern habt Ihr mir das Blau vom Himmel versprochen, wenn ich Euch heu', und heut' sagt Ihr mir auf! Mir hat noch keiner gekündigt, Himmelspacher!«

Da trat die Leuni dazwischen und berichtete von dem Gendarm, der auf ihn vigiliere. Nun brannte ihm plötzlich der Boden unter den Füßen. 295

Und listig riet die Frau:

»In der Nacht steigt keiner nach ›Allen Winden‹. Schlaft in der Scheuer, da sucht er Euch nicht, und streicht Euch still, eh' es tagt.«

»Man könnt' meinen, Ihr mißgönnt einem das Bett,« stieß er unsicher hervor. In diesem Augenblick ging die Tür, die Gritt huschte aus der Küche, stand still, wollte reden und rannte dann stumm aus der Stube. Schneeweiß war ihr Gesicht im blassen Dunkel.

Der Himmelspacher faltete die Brauen, griff zum Glas und sagte:

»Auf gute Fahrt ins Frankreich!«

Als der Kolmarer zauderte, schob ihm die Leuni das Glas hin, und ihre Worte hatten einen verborgenen Sinn, als sie beisetzte:

»Tut Bescheid, Ihr habt ja noch ein halbes Fuder im Hals vom Wagen her. Oder habt Ihr das vergessen?«

Da tat er einen tiefen Atemzug und wiegte sich keck in den Hüften.

»Das vergess' ich mein' Lebtag nicht, und es bleibt, wie es ist: A la vôtre!«

Aus seiner Stimme stieg wieder der übermütige triumphierende Klang, er füllte die Stube mit seinem Claironton, und der Gesell hob das Glas, schüttete den Wein in die Kehle und ging.

Hinter der dunklen Wolkenwand war ein opalfarbener Himmel erschienen, der leuchtete jetzt über den Vogesen und streute seinen matten milchigen Glanz auf »Allen Winden«.

Der Himmelspacher trank den letzten Schluck und wischte den Bart.

»Es gibt noch einmal Sensenlicht,« sagte er und zog den Gurt an.

»Hast du noch nicht genug geschafft? Du hundest dich ab vor der Zeit.«

Sie warf es so spitz hin, daß es ihn mehr stachelte als zurückhielt. 296

»Es ist wie es ist!« erwiderte er kurz und ging.

»So nimm den Hans mit, der soll seine Tannen erst verdienen,« rief sie ihm nach.

»Das ist dem Hans seine Sach',« gab er auf der Schwelle zurück. Gleich darauf verließ er mit der Sense den Hof.

Der Knecht stand am Brunnen und wusch die Füße. Als der Himmelspacher vorüberschritt, machte er eine Bewegung, reckte sich gerade und öffnete den Mund, um ihn anzurufen. Da sah er die Leuni lauernd unter der Tür stehen; er besann sich und schwieg.

»Der schindet sich zu Tod, und er weiß nicht, für wen,« sagte der Melker zu den anderen, und sie ließen den Himmelspacher stumm vorübergehen.

Dann sprach der Kolmarer, der wieder faul auf der Holzbeige lag:

»Und der dort ist noch ärger. Er geht mir auf die Nerven, daß ich ihm eins aufbrennen könnt'!«

Dabei blickte er geringschätzig und feindlich zu dem Knecht hinüber, der die Füße wieder in die Schuhe schob und die Sensen zusammentrug.

Sie schwiegen.

Die Gritt schlich wie eine arme Seele unstet umher. Die Fledermaus, die ihre schwirrenden Bogen um die Dächer zog und bald in den Schatten der Scheuer, bald in den Glast der letzten Helle stieg, war nicht unsteter als sie. Aber der Kolmarer lag hoch oben auf dem Scheitholz und darunter saßen die Heuer, der Melker und die Magd. Er hatte kein Aug' für sie, und sie, sie konnte nicht zu ihm mit ihrem schweren Herzen.

Ihr Herz wog wie ein Stein. Sie seufzte. Aber dann schoß ihr plötzlich das Blut in einem seligen Schwall aus dem Herzen und lief ihr warm und voll durch die Adern, wie in ihrem ganzen Leben noch nicht.

Er war bei ihr gewesen – er hatte geschworen – sie waren versprochen – er kam wieder – er hatte sie lieb – – – 297

Und auf einmal stimmte die Magd mit ihrer dünnen Stimme ein Lied an, die anderen fielen ein, einer und noch einer, zuletzt der Kolmarer, der mit seinem stolzen Tenor prahlte, bis er neben sich die leise gedeckte Stimme der Gritt hörte, und dann sangen sie mit todernsten Gesichtern in den verglimmenden, im Nachtblau erlöschenden Abendbrand:

Der Winter ist gekommen,
Die Mädchen werden stolz,
Sie sagen zu ihren Gesellen,
Geh' hin und hack' mir Holz.
Und hack' es nicht zu groß
Und hack' es nicht zu klein –
Du mußt auch diesen Winter
Mein Herzallerliebster sein.

Am Trübsee schnitt der Himmelspacher die letzten Schwaden, im dunklen Haus geschäftete die Leuni, vor der Scheuer schlug der Dengelhammer des Knechtes den Takt. Die Nacht sank auf den Berg.

Als der Himmelspacher heimkam, war alles still. Nur der Hans saß noch auf dem Gartenmäuerlein und rauchte.

»Schlafenszeit,« sagte Franz und schnallte den Gurt auf.

Der Knecht nahm ihm die Sense und den Wetzstein ab.

»Dünkt mich schon lang,« erwiderte er.

Der Himmelspacher lachte. Es war ein lautloses gutes Lachen.

»Warum sitzest du dann noch auf, Hans?«

»Wir gehen miteinand', wie die Hühner,« gab der Knecht Bescheid, und es war ein warmer Klang in seiner harten Stimme.

»So schlaf' wohl – es taget früh,« mahnte der Himmelspacher, bog den Kopf über den Brunnen, trank und ging ins Haus.

Ein ungewisser Schein zitterte über den Hof, Mondlicht, das aus langsam ziehenden Wolken sickerte. Der Knecht ließ die Hand über die Schneide der Sense 298 gleiten. Sie war blank und feucht. Er stellte sie beiseite. Der Wetzstein war abgeschliffen und nur noch ein Faustkeil. Er hing den Gurt an den Brunnenhals.

Die Fenster des Hauses waren geschlossen. Nur das Fenster der Gritt gähnte offen.

Der Knecht stieg leise auf den Kellerladen und zog das Fenster zu. Er hatte den Fallriegel aufgestellt, und als er mit den harten Fingernägeln den Rahmen an den Kreuzstock drückte, hörte er inwendig den Riegel fallen. Nun lag der Laden fest. Die Gritt tat keinen Laut.

Darauf ging der Hans in seine Kammer. Im Vorbeigehen rührte er an das Pförtlein im Scheunentor. Es gab nach und fiel mit leisem Schnarren wieder zu. Der Kolmarer hatte nicht geriegelt.

Nun saß der Knecht auf seiner Matratze, löste den Hosenbund und fuhr aus den Schuhen. In den Hosen lag er ruhig auf dem Bett, und die ersten kühlen Nachtschwaden strichen durch die offene Fensterluke herein. Das Vieh war ausgetrieben, nur der Gaul schnaufte im Stand.

Der Knecht lag auf dem Ohr. Seine Augen fanden die Haustür, wenn er den Kopf scharf nach oben drehte und ins graue Dunkel schaute.

Es war nach Mitternacht, da hob sich der Hans und starrte auf den helleren Fleck am Brunnen. Einen Augenblick lag er noch, dann stand er auf und stieg die Leitertreppe hinunter. Das Roß erwachte und schlug mit dem Hinterhuf an die Stallwand. Dumpf polternd klang der bekannte Lärm in die Nacht.

Hans wollte nicht den Horcher machen. Er schlich nicht wie ein Dieb oder Diebesfänger, aber als er am Brunnen stand, kam ihm der Gurt in die Hand, der dort hing, und er band ihn um die Hüften und wandte sich nun zur Scheuer, wo die Sensen hingen. Feuchte Dünste waren in der Finsternis erwacht, es ging dem Morgen zu. 299

Er hatte einen Schatten aus dem Haus gleiten sehen. Die Tür hatte nicht geschlagen, aber ein hellerer Schein war von ihr aus ins Dunkel gefahren. Als er aus dem Stall trat, war die Gestalt hinter dem Scheitholz verschwunden . . . als er am Brunnen stand, bewegte sich das Scheuertürlein. Jetzt stand der Knecht vor dieser Tür. Er wartete einen Augenblick, zog die Hand zurück, die er nach den Sensen ausgestreckt hatte, und stieß plötzlich die Tür weit auf. Er kannte die Scheuer bei Tag und bei Nacht, jedes Ausmaß, jeden Winkel, wußte bis auf den letzten Strohhalm, was hier stand und lag.

Und jetzt, jetzt hörte er in der dichten Finsternis das Knistern der Streu und unterdrückte Atemzüge.

»Wach' auf, Kolmarer, es ist Zeit für dich ins Frankreich!« sprach er ins Dunkel hinein.

Die Überraschung hatte ihnen die Überlegung geraubt. Statt zu antworten schwieg der Bursch. Er lag noch auf der Streu, die Arme an ihren Hüften, und sie kniete noch, wie sie niedergesunken war, als sie sich zu ihm hingetastet hatte.

Keins hatte den Knecht gesehen, bis er unter die Tür trat, und als er diese aufstieß, zitterte der Laden noch vom Schwung aus erster Hand. So schnell war er über sie gekommen.

»Soll ich dir Füße machen, Kretin?« knirschte der Hans, und in einem Schuß fuhr seine kalte Ruhe wie Rauch dahin. Von wilder sinnloser Wut gepackt, sprang er plötzlich blind in die Finsternis hinein.

Ein erstickter Schrei schlägt ihm ins Gesicht. Er greift und wird gegriffen und spürt einen weichen Leib, trifft auf langes Haar, fühlt zuckende Finger an seinem Hals und faßt über einen schlanken Nacken weg. Es zerrt und ruckt ihm etwas am Ärmelbund, er hört einen zweiten Schrei, krampft die Hand um ein Ding, das ihm hart und klebrig in die Finger gerät – dann steht er frei, und sie taumelt, schießt an ihm vorbei ins Freie und verschwindet im grauen Duft. 300

Da kehrt ihm das kalte Blut zurück. Er reißt ab, was ihm am Ärmel hängt, und schiebt in den Hosensack, was ihm in der Hand geblieben ist. Er weiß, daß alles so schnell geschehen ist wie Blitz und Schlag und tritt einen Schritt zurück.

»Ich seh' dich – geh' voraus«, befiehlt er argwöhnisch, und der schwarze Schatten vor ihm wird lebendig.

»Verreck, du Kaib,« kommt die Antwort, und der Kolmarer schlägt das Messer auf.

Der Knecht hört die Klinge einschnappen.

Er packt den Wetzstein, der ihm schön die Faust füllt, und sagt:

»Voraus, du Lump, oder ich sichel dir den Hals ab!«

Er hält nur den Stein, aber er denkt an die Sense, die draußen hängt.

Da verläßt den Kolmarer der Mut. Er weiß nicht, wo die Sense auf ihn wartet.

»Geh' du voran, meinst du, ich lass' dich hinter mich?« entgegnet er und versucht keck und klug zu scheinen.

Stumm dreht sich der Knecht. An der Tür raunt er drohend ins Dunkel zurück:

»Weck' mir keinen, der schläft!«

Draußen greift der Hans nach seiner Sense. Der Kolmarer will es ihm nachtun, aber der Knecht verstellt ihm den Weg und sagt mit finsterem Spott:

»Du hast ausgemäht zu ›Allen Winden‹, ich weis' dir den Weg ins Frankreich.«

Im ersten Morgengrauen faßt der Bursch Mut und schüttelt auch die Erinnerung an die Gritt ab.

Ein blutiger Streif brennt im Osten.

Mit gemachter Keckheit wendet sich der Kolmarer und sagt:

»Gott verdamm' mich, nicht begraben sein will ich zu ›Allen Winden‹, dem Fuchsloch! En route pour la France!«

Er hat die Hände in die Hosentaschen geschoben. In der rechten steht verborgen das Messer. Sorglos geht er voraus. 301

Der Knecht hat stumm den Arm ausgestreckt und auf den Pfad gedeutet, der am Krautgarten hin ins Grau läuft. Er will seine Schuhe anziehen, ehe er jenem folgt, und noch einen Blick in den Hof tun. Der Bursch läuft ihm nicht davon, und wenn auch – er findet auch ohne ihn den Weg zur Höll'!

So wartete er ruhig und stand Wacht vor Fenster und Tür, bis der Kolmarer im grauen Duft verschwand, und holte dann seine Schuhe. Am Brunnen schnürte er sie fest und griff wieder zur Sense.

Da sprang das Fenster der Gritt auf.

Er tat, als hätte er nichts gesehen, doch als der Knecht, der wie zum Grasschneiden auszog, um das Mäuerlein bog, war sie schon hinter ihm.

Sie war durch den Garten gerannt. Atemlos und barfuß erreichte sie ihn, im aufgeisternden Tag glänzte ihr Gesicht weiß wie Schnee.

»Hans, Hans, ist er schon fort? Wo ist er, Hans? Will er mir nicht noch einmal Ade sagen? Er kann ja nicht so gehen! Es ist ja so lang, bis er wieder kommt!«

Die Mauer war zwischen ihr und dem Knecht. Und über das Mäuerlein hinüber ergriff sie seinen Arm, daß er die Sense von der Schulter gleiten lassen mußte, um ihr Rede zu stehen.

Vom Kolmarer war nichts mehr zu hören. Der Morgenduft hatte ihn verschluckt. Doch der Hans hatte ihn hinter das Stechpalmenkraut am Kiefernholz tauchen sehen und wußte, wo er zu finden war. Jetzt war ihm plötzlich zu tun um das Geleit. Er hatte gelesen im Herzen der Gritt.

Es war heller geworden. Ein sanftes Grau, in dem alles größer erschien, zitterte unsicher über den Bergen, rosenrote und grasgrüne Wolkenstreifen glänzten am Himmel, ein warmer Wind strich mit leisem Atem über die Weide. Noch einmal rief die Gritt und blickte verstört, mit schlaftrunkenen Augen umher. Barfuß, mit 302 aufgeflochtenem Haar, schillernde Tränenkugeln in den Wimpern, stand sie vor dem Knecht und krampfte die Finger um seinen Arm.

Und der Knecht stellt langsam die Sense ab und blickt ihr lange forschend ins weiche, weiße Gesicht. Ein letztes kindliches Lächeln zuckt darin.

Die Arme sind ihm plötzlich so schwer geworden. Er kann nicht mehr denken, denn es hat ihn einer mit der Axt vor die Stirn geschlagen.

Die Gritt setzt den Fuß auf die Mauer und will ins Blinde stürmen . . . An der Kapelle wartet er ja . . . Daß sie nicht daran gedacht hat . . . Natürlich wartet er auf sie an der Kapelle . . . Sie liegt nicht auf dem Weg ins Frankreich, aber er wartet dort! . . . Er muß ja dort auf sie warten! . . .

Und sie bettelt:

»Hans, gib mir deine Schuh, ich komm' sonst nicht über den Berg!«

Und der Knecht darauf:

»Die Schuh sind dir zu groß, und er ist schon über den Berg!«

Seine Stimme fällt dumpf und schwer, ein Krampf zerbricht ihm fast die Kinnbacken, er hat aus ihren wirren Reden und verstörten Mienen gelesen, daß er zu spät gesorgt hat. Zu spät und am falschen Ort!

Die Gritt begehrt keine Schuhe mehr. Sie hockt auf dem Mäuerlein und schickt ihre Blicke auf die Reise. Er ist ja schon über den Berg!

Und sie läßt den Knecht gehen, ohne ihm zu folgen, und der geht, ohne sich umzukehren. Ein letzter Sensenblitz, und er ist verschwunden. Er geht – er ging.

Er stieg die Bodenwelle hinan und schlug sich von der anderen Seite in den Kiefernbusch. Dort wartete unwirsch der Bursch, der des Wegs nicht kundig war.

Der Knecht antwortete nicht auf seine Fragen, beschrieb ihm den Weg nicht, sondern ging stumm voraus.

Der Dunst wich aus den Tälern. Auf den Bergen glänzte 303 schon ein kupferroter Schimmer. Hinter den welschen Seen stand immer noch eine schwere blaue Regenwand.

Sie waren eine Stunde gestiegen. Ohne erkennbaren Pfad. Vergebens suchte der Kolmarer den Begleiter loszuwerden.

»Jetzt streifen die Zollwächter mit dem Gendarm um die Wette,« sagte der Knecht, und der Bursch schwieg und scheute jeden krummen Baum.

Sie stiegen über grasige Kuppen und an blanken, rosig schimmernden Seelein vorbei, zwischen taufeuchtem Vieh hindurch, das langsam die Köpfe hob. Ein Melkerhorn rief schwermütig in der Ferne.

Endlich blieb der Knecht stehen und ließ die Sense von der Schulter gleiten.

»Dort geht's ins Frankreich,« sagte er und wies über das Hochmoor, vor dem sie haltgemacht hatten. Ein schmaler Felsschrund, der in ein enges Tal ausging, trennte sie von der grünfilzigen Decke. Drüben zog der Wald den Hang hinauf, und im Wald lief die Grenze. Wald stieg auch aus den Tälern. Schmetterlinge, rot wie Blutströpflein, schwammen in der klaren Morgenluft über den Moorblumen. Violett leuchtete die Wolkenwand im Westen.

Es war eine einsame Gegend, der Blick blieb zwischen Berg und Himmel gefangen und ging nirgends in die Tiefe. Keine Straße führte hier, kaum ein dunkelgetretener Strich im Alpgras, und nur das Summen der Bienen, die dem Honigtau in den Tannenwäldern nachzogen, füllte das Ohr.

Der Kolmarer maß die Entfernung zum Grenzwald mit den Augen.

Sie standen am Schrund, der unversehens in ein schwarzes Waldtal stürzte. Der Bursch stieg ein paar Schritt hinunter, um am Rand des feuchten Mooses hin einen Weg zu gewinnen. Ein Wässerlein sickerte aus dem filzigen Moor.

Der Knecht stand über ihm und ließ den Blick über das Moos laufen. 304

Plötzlich horchte der Kolmarer auf und fragte verwundert mit einem unsicheren Gefühl:

»Was ist das? Orgelt man mir in die Kirche?«

Ein Orgelton schwebte über dem schwarzen Wald im Tal. Nun ward es ein gewaltiges Summen, endlich ein klingendes metallenes Dröhnen und sank dann wieder zu einem tiefen gehaltenen Orgelton herab, bis es in einem müden Schnarchen erstarb. Die Morgensonne stach gelb, die Wetterwand schob sich langsam höher, verirrte Winde liefen über die Berge, weiße Nebelflocken kräuselten sich in den Tannenwipfeln, das Wässerlein fraß im Grund, aber das Geräusch stammte nicht von den Wetterwolken, nicht von Wald und Wind und wallendem Wasser.

»'cré nom de Dieu – was ist das?« schrie der Bursch und blickte dem Hans ins Gesicht. Es war ihm plötzlich bang geworden.

Ein seltsames Zucken lief über das dunkle Gesicht des Barhäuptigen, und den Kolmarer fror, als er ihn so zusammengerafft, finster und gelassen vor sich sah.

Da antwortete der Knecht auf die Frage, die an ihn gestellt worden war: »Das ist dem Irion Karl seine Säge!«

»Eine Säge!« lachte der Bursch und spottete seiner eigenen Angst. Ein wilder lustiger Rausch fuhr ihm zu Kopf, und er schrie: »Eine Säge! Ei, die schnarcht und schnurrt ja wie der Himmelspacher! Salut, Hans, du Totenschädel, und grüß' mir die zu ›Allen Winden!‹ Sie sollen mich gern haben!«

Er kehrte sich und sprang über das winzige Wässerlein, das hier aus dem Moor in die Schlucht sickerte und unten im Waldtal als stolzer Bach die Säge trieb.

»Halt, sag' mir noch eins!«

Die Sense des Knechtes lag plötzlich ausgeschwungen im Griff. Das Eisen funkelte wie eine Schlange im feuchten Ried. Wenn der Hans den Schnitt tat, mähte er den anderen wie Gras hinweg. 305

Der Bursch wollte lachen.

Da fragte der Knecht:

»Was ist mit der Gritt?«

Rasch trat der Kolmarer nach links aus dem Kreis der Sense, aber sie folgte ihm funkelnd nach und lag schon wieder an seinem Fuß.

»Mit der Gritt?«

»Ja, mit der Gritt – sie sitzt und wartet auf dich. Und so frag' ich, was ist mit der Gritt?«

»Die Gritt! Die Frau! Die Magd! So frag' doch nach allen! Bin ich's schuld, daß keiner von euch Sporen hat zu ›Allen Winden‹?« schrie der Bursch und fuhr mit der Hand in den Sack.

Da trat der Knecht über den Spalt und schwang das Eisen im Kreis.

»Ich mach' dich hin,« stöhnte er dumpf.

Doch die Sense fing sich an einem Stein und klirrte leer.

Der Kolmarer zückte das Messer.

»So friß erst das,« knirschte er und stach. Zwischen Brust und Arm fuhr das Messer hindurch und zerriß dem Knecht die Haut über den Rippen. Aber der fing mit der Linken die Faust, in der das Messer steckte, und die Sense hinter sich werfend, suchte er mit der Rechten den Gurt.

Doch der andere würgte ihn am Hals, daß ihm das Blut und der Atem stockte. Keuchend traten sie hin und her. Das Messer stand hell wie ein Licht in der hochgestemmten Faust. Schon röchelte der Knecht. Da schwang er noch einmal den Arm und traf den Jungen mit dem Wetzstein an der Schläfe und zerbrach ihm das Schädelbein.

Hintenüber zuckte der Bursch, die Arme wurden schlaff, die Knie knickten, er lag, schlug die Fersen trommelnd ins Gras, rollte die Augäpfel und war tot.

Reglos, mit röchelndem Atem, ein starres Lächeln im geschwärzten Gesicht, stand der Knecht in der gilbenden Sonne. 306

Der Orgelton von des Irions Säge schwebte dunkel über Wald und Moor.

Wo den Hans das Messer getroffen, brannte der Schweiß in der Wunde. Er preßte das Hemd dagegen und starrte dem Toten ruhig ins Gesicht.

Endlich bückte er sich zum Rinnsal und riß das Hemd über den Kopf, wusch die Wunde, die nicht ins Leben gedrungen war, wartete, bis das Blut stand, wusch auch das Hemd und legte es auf die Steine zum Trocknen. Dann trat er zu dem Toten und murmelte so laut, daß sein Engel es hätte hören können, wenn er noch bei ihm stand:

»Es hat sein müssen.«

Langsam und besonnen ging der Knecht ans Werk, die Leiche zu verbergen. Er legte sie in eine tief ausgewaschene Furche des Mooses, brach mit der Sense ganze Tafeln der harten Grasnarbe am Schrund, wo das Moos ins Leere hing, und deckte die Leiche zu. Sie lag wie in einem rechten Grab, das Messer neben sich; nur die Aufschüttung fehlte, glatt und eben strich das Gras mit dem Moor.

Das Hemd war noch feucht, als der Knecht es wieder auf den Leib zog.

Die Sonne hatte sich verborgen, die Wolkenwand warf ihren Schatten über das Grab, das keins war.

Der Knecht stand auf die Sense gelehnt. Unwillkürlich fuhr er nach dem Wetzstein, denn das Eisen war übel zerschartet. Die Augen, die tief und dunkel in den Höhlen lagen, fest auf die kupferroten Wolken geheftet, schärfte er die Sense, ohne die Knöchel zu zerstoßen.

Die Säge war verstummt.

Und der Knecht wusch auch den Stein, schulterte die Sense und ging.

Unterwegs hielt er an einem verlorenen Wiesstück, das zu »Allen Winden« gehörte, und schnitt ein Dutzend Schwaden. Dann zog er heim.

Niemand hatte nach ihm gefragt. Er kam vom See 307 herauf und half mitten unter den anderen dem Regen noch abgewinnen, was trocken lag auf der Matte.

Das Wetter zog über den Berg und saugte sich fest. Der Regen schlug kalt und dreschend herab und schwemmte das Heugras. Die Weide dampfte. Das Vieh kam ungerufen noch vor dem Abend zum Stall. Als der Regen drei Stunden lang gefallen war, rauchte der Atem in der kalten Luft.

Die grauen Nebelschwaden lagen rings um den Hof, hockten im Kiefernbusch und drängten zu den Fenstern herein. Der Regen lief in silbernen Schnüren vom Dach, und die Gritt stand in der dunklen Stube und starrte hinaus – blanke Tränen liefen über ihre Backen, wie Regentropfen am Fensterglas.

»Jetzt ist's wieder still zu ›Allen Winden‹,« sagte die Magd, als sie stumm die Nachtkost löffelten.

»Ja, er hat sich gestrichen und ist jetzt schon trocken im Frankreich,« antwortete der Melker.

Die Leuni saß blaß, die schwarzen Flechten noch tiefer über die Schläfen gekämmt und das Nest so tief im Nacken, daß sich kaum der Rand eines ihrer goldenen Ohrringe hervorstahl unter dem Haar.

Plötzlich hob sie die Augen und heftete sie trotzig auf den Hans, der ihr gegenüber saß.

Dem zitterte vom Heuen der Löffel in der Hand. Er hatte erst gestern den Bart gemacht, aber die grauen Stoppeln standen im schwarzbraunen Gesicht, als wären sie acht Tage alt. Unter den dunklen Bogen hervor sandte er einen traurigen Blick zur Gritt, die ihre Tränen mit dem Löffel schluckte.

Der Himmelspacher achtete auf nichts.

Am Tag darauf höhnte die Leuni die Gritt, weil sie immer noch blaß und verstört umherschlich, und die Gritt brach in neue Tränen aus und schoß aus der Stube.

Da hob der Knecht den Kopf, in seinen Augen brannte eine dunkle Drohung.

»Schonet die Gritt, Frau, sie darf zeigen, was ihr fehlt.« 308

Seine Stimme schlug ihr schwer ans Ohr. Das Blut stieg ihr rot ins Gesicht.

»Und was geht's Euch an! Man könnt' meinen, Ihr habt sie gemacht, die Gritt!« stieß sie wild hervor.

Eine Weile saß er still und stellte die Antwort im Kopf zusammen, dann ließ er die Augen durch die Stube gehen, um zu sehen, ob ihn niemand mehr hörte außer der Frau, und legte endlich die Antwort, Wort für Wort, wie aufgezähltes Geld vor sie hin.

»Zu ›Allen Winden‹ gelten nur Kinder aus dem Ehebett, Himmelspacherin.«

Er wollte gehen, aber die Leuni vertrat ihm keck den Weg.

Grau stand der Tag in der Stube.

Gelb wie Bienenwachs war das Gesicht der Frau unter dem tiefgekämmten, die Ohren deckenden Haar.

»Meint Ihr, ich fürcht' Euch, Hans! Dem Franz bin ich nicht feil!«

Der Knecht nickte.

»Ich kenn' den Franz ein Leben länger als Ihr und weiß, daß er treu ist. Aber weil er treu ist, gilt auch nichts anderes zu ›Allen Winden‹.«

Da trat sie noch dichter an ihn heran.

»Wer sagt, daß ich nicht treu bin!«

Sie hielten einander fest im Auge. Die Leuni hatte wieder ihr stolz gefärbtes Gesicht, in dem die Linien sich schärfer spannten und der Schatten auf der Oberlippe dunkler hervorstach.

Der Knecht war noch magerer geworden. Am Hals klopften die schwarzen Adern, scharf sprang die Nase aus dem hageren, bartlosen Gesicht. Ein düsteres Lächeln zog langsam über seine starren Züge. Er legte die harte Hand auf ihren Arm.

»Niemand sagt's, Frau. Niemand lebt, der's sagen kann, so lang' ich schweig'.«

Sie wollte lachen, aber es war nur ein ohnmächtiger Versuch, und nun fragte sie geradezu: 309

»Was wollt Ihr von mir?«

»Nun wohl, es gilt einen Handel, Frau. Ich weiß nichts von dem, was Euch zu dem in die Scheune getrieben hat – aber Ihr schonet die Gritt.«

»Ich bin nicht in der Scheuer gewesen. Redet Euch nicht ums Brot!« flammte sie auf.

»Der Hans hat Brot zu ›Allen Winden‹, so lang' er lebt. Und ich weiß, was ich weiß.«

»Die Gritt schonen! Sie schont sich selber. Wenn der Franz sich zu Tod geschunden hat und ich verdorrt bin wie Gras, so blühet erst die Gritt!«

Sie wandte sich ab.

»Das ist die Ordnung, denn die Gritt ist die Jüngst'.«

Da fuhr sie herum und schrie:

»Aber es ist nicht die Ordnung, daß die Gritt erbt, daß uns kein Kind, nicht ein einziger kleiner Schächer wächst und die Gritt mit dem Namen auch den Hof davonträgt in der Schürze! Das ist nicht die Ordnung, das kehrt einen um und um!«

Und so hastig sich abwendend, wie sie sich ihm entgegengestellt hatte, schritt sie aus der Stube. Ein rauher Kehllaut, der wie ersticktes Schluchzen klang, blieb hinter ihr, als sie die Tür ins Schloß warf.

Der Knecht hielt sie nicht zurück und schwieg.

Der Regen zog immer noch über die Berge, der Westwind wälzte die Wolken in die Täler. Aber in der Höhe lief ein Strich helleren Gewölks nach Süden, und die Sonne schlug zuweilen wie Feuer und Gold durch den Dunst.

Da stieß die Himmelspacherin die Wäsche in die Kessel, und die Seifenbrühe dampfte im Hof. Die Gritt und die Magd fochten mit der groben Leinwand, und in der Wäsche war das Hemd des Hans, aber der Schweiß hatte das Blut herausgebissen, und der Riß, den das Messer gemacht, war wie hundert andere. Es fand sich auch ein Kopfkissen der Gritt darunter, das war wie jedes andere und hatte doch Tränen geschluckt wie keins. War noch ein Kissen und Bettuch dabei, 310 die starrten von Blut, und Blut klebte am Hemd des Franz vom Ärmel aufwärts zum Hals.

Als sie die Wäsche erlasen, hatten sie sie gesiebt und geschwenkt auf den Befehl der Himmelspacherin, aber nichts darin gefunden, und die Leuni hatte am Abend ungeheißen zu ihrem Mann gesagt:

»Der Ohrreif ist nicht in der Wäsche, den hat die Diele verschluckt.«

Der Himmelspacher antwortete:

»Soll ich die Dielen aufreißen und das Haus abdecken lassen? Er hat sich im Haar verfangen, und das Haar sich im Knopf an meinem Hemd verstrickt, und ich hab' gezerrt im Schlaf und den Arm über das Bett geschlagen – da ist dir der Reif aus dem Ohr gesprungen – so hast du selbst erzählt – aber ich weiß von nichts, als daß du mit Blut neben mir gelegen bist. Tu den anderen auch ab, es trägt uns keine goldenen Ohrringe mehr zu ›Allen Winden‹.«

Die Leuni schüttelte das Haar in den Nacken und band einen Zopf auf die Nacht. Im Spiegelglas brannte ihr Auge. Langsam bückte sie sich über die Kommode und hob das offene Licht. Das rechte Ohr trug noch den großen goldenen Ring, das linke war leer, das Läpplein aufgerissen und mit Schorf bedeckt.

Sie stellte das Licht wieder hin und löste den Ring. Dabei suchte sie das Gesicht des Mannes, das im Spiegel hin und her schwankte.

Er lag schon langgestreckt.

»Du hast geschlafen wie ein Toter und mich nicht gespürt,« sagte sie leise.

»Lösch' aus,« erwiderte er und drückte die Augen zu.

Am anderen Morgen trat die Sonne aus dem Dunst, und ein blanker Wind trocknete die Weiden.

»Böse Weiber haben schönes Wetter zum Trocknen,« spitzte der Melker, aber die Leuni lachte dazu, und die Wäsche flatterte von der Leine und bleichte im Krautgarten auf der Matte. 311

Die Sonne stach durch alle Ritzen der Scheuer, und als die Himmelspacherin hineinging, wirbelte der Staub in dem Strahlengeflecht goldgelb um sie her.

Sie bückte sich und suchte, schüttelte das Stroh auf und fuhr mit den Händen über den Lehmboden hin. Auf den Knien kroch sie umher und hob sich endlich müd vom Boden, strich das Haar glatt und ging wieder zu den anderen.

Die Männer waren auf den Matten und wendeten das Heu, das ausgelaugt, gelb und kraftlos, eher Streu als Futter, unter Dach kam.

»Jetzt mäht dich keiner mehr aus,« sagte der Melker zum Hans.

»Nein,« antwortete der kurz und starrte blicklos in den Sonnenglanz.

»Jetzt ist er schon übers Meer,« sprach die Gritt zu ihm, und ihr Seufzer zitterte um ihn her.

»Ja,« antwortete er kurz, und große Schweißtropfen, wie sie noch nie bei ihm gesehen worden waren, traten aus seiner Stirn und liefen lauter und rund wie Tränen über sein hageres Gesicht.

Er stand im flammenden Sonnenschein auf einer Kuppe, ganz ins Licht gehoben über den Bergen, und hielt einen neuen Wetzstein, der ihm langgestreckt, dunkelglänzend und feucht wie ein Fisch in der Hand lag. Die Sense blitzte, als er darüber strich.

Wie klagender Vogelschrei fährt's um den Hof zu »Allen Winden«. 312

 


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