Hermann Stegemann
Daniel Junt / Die Himmelspacher
Hermann Stegemann

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Der Lohn

Als schwarzer Riesensarg schwamm das Schiff auf dem gelbgrünen Wasser des Kanals. Wenn das Mareile sich auf die nackten Zehen erhob, konnte es über die Uferdämme und das Wirrsal der Weiden hinweg auf die Felder sehen.

Die Ferne ertrank in Dunst, die Berge hockten klumpig im Grau, zuweilen strich eine Krähenschar über das Tal, das im Sommerregen dampfte.

Die Mutter lag unter Deck und schlief, der Vater war seit gestern nicht aus Illfurt zurückgekehrt, wo er Vorspann holen wollte. Vorspann mochte er selber brauchen, um Schiff und Kanal wieder zu erreichen. Das Mädchen kicherte, als es diesen Gedanken aufgespießt hatte, dann fuhr es sich mit der roten Zunge lüstern über die aufgeworfenen Lippen und kniff sich mit voller Kraft in die Arme.

Drei Monate war es her, auf den Tag schier, da hatte der Kahn auch hier gelegen. Aber damals ging die Sonne über den Himmel, die grünen Berge rollten in die Ferne, und auf dem Kanal spielten die ersten Mücken. Die Weiden blühten, und die Schollen, die die Pflüger aufwarfen, lagen rauchend, mit glänzendem Bauch in der Sonne.

Der mit Stückgütern beladene Kahn lag an jenem Tage tief im Wasser, und der Schimmel zog schwer.

Plötzlich lachte das Mädchen auf.

Es war ihm gewesen, als sähe es den Vater wieder wie damals mit blöden Augen über dem Steuer lehnen und seinen Rausch abbüßen, säh' ihn auf einmal ausgleiten, den Steuerbalken küssen und der Länge nach auf Deck stürzen. Und – klapf, da rannte auch schon der 180 Kahn mit der Nase ans Ufer, daß Mutter und Tochter rücklings zu Fall kamen. Der Schimmel knickte auf allen vieren zusammen. Der Roßknecht fluchte, die Mutter aber wußte nichts anderes zu tun, als die Kohlenschaufel zu packen und mit dem Stiel auf den Vater loszugehen. Und als das Mareile darob hatte lachen müssen, da war sie auch über es gekommen.

Vom Ufer aber schrie einer: »Kreuzdonner, was ist das für ein wildes Volk!«

Und das Mareile, das schon den ersten Schlag gekostet hatte, sah sich auf einmal befreit und die Schaufel im Schwung über Bord fliegen. Dann erst war es des Burschen gewahr geworden, der mit schweren Ackerstiefeln auf dem Deck stand und die Mutter am Arm schüttelte, während der Vater seine Knochen zusammensuchte und immer noch nicht begriffen zu haben schien, was eigentlich alles über ihn hereingebrochen war.

Die Mutter aber hatte gekeift: »So geht und helft den Kasten vom Ufer lösen, wenn Ihr denn Eure Nase in unsere Geschäfte stecken müßt!«

Der Bursche hatte gelacht und geantwortet: »Meinetwegen, spannen wir halt den Kohli zu dem Mehlschimmel, hernach schleift's Euch das alte Faß in zwei Stunden bis ins Frankreich.«

»Allez,, Saufaus, nimm den Stachel!« hatte die Mutter dem Vater zugerufen.

Dann war der Bauer von Deck gegangen und hatte sein Roß aus der Egge und vor den Schimmel gespannt. Die an Bord griffen zu den Stangen, und mit einem Ruck kam der Kahn frei und in Lauf, daß das Wasser an seiner breiten Brust laut aufrauschte.

Eine Viertelstunde weit waren sie so in den Frühling hineingefahren, da zog der Helfer das Leitseil an und rief:

»So, jetzt fehlt nur noch der Fuhrlohn!«

Die Mutter aber schrie: »Was, auch noch Lohn! Und wer kommt mir für meine Schaufel auf, hein?«

»Nun, dann machen wir's anders,« hatte der Bursche 181 erwidert, »hernach zahlt die Jungfer Eure Schuld. Heut' Nacht, wenn's Wetter lind und die Liebe blind ist!«

Und er hatte sie angelacht mit heißen Augen, sich auf den schwarzen Gaul gehoben und war frei über die Felder davongeritten.

Am Abend war Feuer in ihrem Blut gewesen, aber die Mutter hatte sie eingeschlossen und eingeriegelt.

In der Nacht waren gellende Pfiffe am Kanal laut geworden. Die Mareile hatte sie gezählt, aber die Riegel hielten fest, die Nacht verging, die Pfiffe verstummten, nur der Hund bellte ins Nebelgrau.

Am frühen Morgen waren sie weitergefahren. Das Mareile hatte den Werber nicht wiedergesehen . . . Jetzt lagen sie an der alten Stelle fest.

Unaufhörlich rieselte der warme Regen. Der Tag war im Schwinden, dichter sanken die Schatten, die Berge waren ins Ungewisse hinabgetaucht und tiefe Stille rings. Einschläfernd sang der Tropfenfall.

Dem Mädchen trat ein Seufzer über die Lippen. Es erhob sich schwerfällig. In den Füßen stachen tausend Nadeln, das blonde Kraushaar war feucht, aber heiß ging sein Atem.

Noch stand es zweifelnd, da erschien die Mutter:

»Ist er noch nicht zurück? Allez, Schuh' und Rock angelegt! Hol' ihn heim, deinen sauberen Vater!«

Als das Mädchen tat, als zögere es, da wischte ihm die Mutter eins, daß ihm der dicke blonde Zopf in den Nacken rollte.

Kurz darauf rannte es mit leuchtenden Augen durch den Regen, schlenkerte übermütig die Erdklumpen ins Weite, die sich auf dem Feldweg an seine schweren Schuhe hängten, und schrie im Übermaß der Lebenslust mit heller Stimme in den Regen.

Das Dorf lag vor dem Fuß des Bahndammes und sparte seine Lichter, nur die Fenster der »Krone« blickten mit gelbem Schein ins Dunkel. Das Mädchen starrte unschlüssig zu ihnen hinauf. 182

Noch flog seine Brust vom Lauf. Es schüttelte den Rock aus, strich ihn an den runden Hüften glatt und sah unverwandt nach den Fenstern.

Stimmengewirr, dann und wann ein lauter Ruf, der Schlag einer Faust auf den Tisch. Das Mareile horchte und wußte nicht, was tun. Endlich machte es sich auf, stieg leise die Vortreppe empor, trat in den Flur und schielte durch die offene Tür in das Wirtszimmer. Grauer Qualm, rote Köpfe.

Jetzt schoß die Wirtin an ihm vorbei.

»Was will die Jungfer?«

»Ich soll dem Vater heimhelfen. Der Schiffer-Matthis ist's.«

»So, der, der ist gut aufs Wasser mit seinem Brand,« antwortete die dicke Frau lachend. »Spazier' nur hinein, auf der hintersten Bank hockt er wie ein Kater und schnurrt.«

Sie schob das Mädel über die Schwelle.

»He, ein Schnäpsle für das Kind!« schrie einer. Ein anderer reichte ihm das Weinglas. Da packte das Mareile der Schalk, es ergriff das Glas, trank es aus und rief dann in das Gelächter der Gäste: »So, jetzt gebt mir auch den Vater heraus!«

»Und wer hat so ein schleckriges Geißle auf die Beine gestellt?« fragte einer.

»Das Kind ist mein, Nundedie noch einmal!«

Und über Bänke kam's plump dahergestolpert, tastete sich zu dem Mädchen hin, hielt sich an ihm, und als er Stand gewonnen, beteuerte der Schiffer noch einmal: »Mein ist's, und Niemand weiß um seinen Schlaf Bescheid.«

»Sieh da, das ›Lachgickele‹ vom Kanal!« rief eine Stimme hinter dem Mareile, und ein heißer Atem stob ihm in den Nacken.

Ein Blitz durchzuckte seine Brust. Es schnellte herum.

Da stand er vor ihm, breitbeinig, den zerweichten Strohhut mit dem entfärbten roten Band in den Nacken 183 geschoben, Regentropfen im blonden Schnauzbart und blickte es an. Einen Augenblick war dem Mareile, als fehlte ihm das Herz.

Es atmete schwer. Dann schlug ihm eine Flamme ins Gesicht.

»Kommt, Vater,« flüsterte es mit klangloser Stimme und zog den Schwankenden nach der Tür.

»He, Jungfer, zuerst bezahlen, s'il vous plaît!«

Die Wirtin sperrte den Ausgang.

Und wiederum lachten die Bauern, als der Schiffer-Matthis die Taschen umkehrte, bis er mit Hilfe seiner Tochter das Geld erlegt hatte.

Nun suchte das Paar die Schwelle zu erreichen. Da schoß ein Bursch, dem der Wein das Herz gewärmt hatte, von der Bank, griff das Mareile am Rock und rief: »Der Alte hat die Schuhe voll, der mag heimkanonieren, sein Maidle aber, das bleibt da!«

Doch ehe sich der Kecke dessen versah, fuhr ihm die Jungfer mit der geballten Faust wider die Brust, daß es dröhnte.

»Sapperment, zieht die aus beim Grasschneiden,« spottete der Wirt, der den Geschlagenen aufgefangen hatte.

Und schon waren die beiden aus der Tür.

Das Mareile mußte den Vater mit ganzer Kraft halten, denn er schoß vornüber. Es tat es wie im Traum, des Liebesdienstes gewohnt. Sein Ohr aber lauschte gespannt, ob sich hinter ihnen nichts rege.

Da war's wie ein Tritt und leises Schreiten. Unwillkürlich lockerte das Mädchen den Griff seiner Hände, und im nächsten Augenblick saß der Vater in einer Pfütze.

Die Tochter stieß einen Schrei ans, er aber blieb wohlgemut.

»Der Wein ist gut gewesen, er ist mir in die Beine gezogen,« sprach er und streckte ihr die Hände entgegen.

Der Lichtschein aus der »Krone« fiel auf die Gruppe. 184

»Da braucht's zwei dazu,« sagte jemand, und der Schiffer fühlte sich im Schwung vom Boden gehoben.

Der Alte richtete sich langsam gerade auf, mühte sich unter den Händen des Helfers, sah ihm starr ins Gesicht und sagte dann plötzlich mit der Hellsichtigkeit des Trunkenen:

»Mais c'est l'homme au cheval noir - le bougre!«

»Der ist's,« versetzte jener, »erst das Schiff und jetzt der Meister! Das lohnt sich!«

Da trat die Tochter hastig näher, faßte den Vater am Arm und sagte: »Merci und nichts für ungut. Komm heim, Vater!«

»Heim? Dem da bin ich noch einen Kirsch schuldig. Allons enfants de la patrie‑e‑e,« sang er plötzlich in die Nacht hinaus.

»Sapristi!« stieß der Bursch erschreckt hervor, »haltet's Maul oder soll Euch der Gendarm päckeln und ein Jahr in den Schatten setzen?« Und im Eifer hielt er dem Schiffer den Mund zu, um die Töne der Marseillaise zu ersticken.

»Jetzt ist's verspielt, jetzt bringen wir ihn nimmer heim,« klagte das Mädchen. »Wenn er anfängt zu welschen, ist Feuer im Dach.«

Und so war's. Der Matthis machte kehrt. Vergebens suchten sie ihn zurückzuhalten.

»Und Vorspann muß ich auch noch besorgen,« rechtfertigte er sich. »Ja, ja, wenn der Vater nicht an alles denkt, so ein Hühnle wie's Mareile hat den Kopf und die Gedanken nie am gleichen Ort.«

Da stürzte das Mädchen mit Fragen auf ihn. Ob er denn das vergessen habe! Nun sollten sie auf den Tag in Straßburg sein mit der Ladung, und er liege auf der Zechbank von früh bis spät und in den zweiten Tag hinein.

Ihre Wangen brannten, der fahle Lichtschein sah die Glut.

Da faßte der Bursch ihre Hand und flüsterte: »Laß ihn gehen, ich spann' dir zulieb noch einmal den Kohli ein.« 185

Sie wehrte sich schwach und suchte ihm die Hand zu entziehen.

Der Vater hatte sich aufgerafft und ging schwankend, aber allein auf die »Krone« zu.

»Mareile,« bat der Bursch, »bleib, laß ihn, er mangelt dir nicht und mir nicht.«

Und das Mädchen fand kein Wort der Abwehr mehr. Der Schiffer hatte die Vortreppe erklommen und verschwand im Flur. Das Hallo, das ihn begrüßte, scholl in die Nacht hinaus.

Seite an Seite gingen sie über den Dorfplatz in das Dunkel. Nur wenige Schritte, und sie ließen die Häuser zurück, und die Talstraße rollte ihr helles Band vor ihnen in die Ferne. Der Regen war erstorben, ein milchiger Glanz breitete sich über den Himmel, wo irgendwo hinter dem weißen Florgewölk der Mond stand. Die Lichter der Bahnstrecke brannten hell, und in den Pappeln am Kanal rauschte der Wind.

Das Mareile hatte keinen Laut von sich gegeben. Er raunte ihr ins Ohr; das machte sie so still, und war doch kein Sinn in seinen abgerissenen Worten.

Und weiter und weiter schritten sie eng aneinandergeschmiegt in die Sommernacht. Ein starker Duft stieg von der feuchten Erde auf, und als der Pariser Eilzug mit grellen Lichtern und blinkenden Fenstern, ein dumpfes Dröhnen im Gefolge, vorüberjagte, da ging ein heißer Atem über die beiden hin, die am Fuße des Dammes wandelten. Jäh warf der Bursch die Arme um das Mädchen, und das Mareile schloß die Augen, denn die nächtliche Helle blendete es. Der Mond trat hervor. Das Wasser des Kanals glänzte herüber. Da flüchteten sie in den Schatten.

Als die Tochter den Vater zum zweiten Male heimholte, folgte er willig. Draußen übernahm ihn der Schlaf so, daß er im Gehen einnickte. Aber die Beine waren fügsamer, er torkelte zufrieden seines Weges.

Silbernebel brauten über dem Kanal. 186

Die Mutter hatte sich so in Gift gewacht, daß kein Wort über ihre Lippen kam; schweigend bettete sie den Mann auf sein Lager. Das Mareile stahl sich in seinen Schlafwinkel.

In der Frühe erschien der Knecht mit dem Schiffsgaul, und kurz darauf trabte ein zweiter herzu.

»Aber den sollt' ich kennen!« murmelte die Mutter und blinzelte in die Morgensonne, die strahlend aufgegangen war.

Doch sie hatte keine Zeit, dem Gesicht nachzusinnen, denn der Schiffer lag wie tot auf dem Strohsack, und Mutter und Tochter steuerten und stakten selbander den Kahn, während am Ufer die Rosse unter Geißelklang das Seil zogen. Jedesmal wenn das Leitseil durch das Gras streifte, sprangen tausend Wasserperlen in die Sonne. An der Schleuse spannte der eine aus, hob sich auf den Gaul und rief zu dem Schiff hinüber: »So, jetzt schafft ihr es wieder, aber das dritte Mal reit' ich nimmer allein heim.«

»Will's Gott, 's ist der gleiche Sepple, der's letzte Mal angespannt hat!« rief die Schifferin erstaunt.

»Nein, nicht Sepple, Aloisle heißt er,« entfuhr es dem Mareile.

Kaum war ihm das Wort entwischt, so biß es sich auf die Lippen.

Argwöhnisch schaute die Mutter es an, aber es ertrug den Blick, nur in der Tiefe der Brust spürte es ein Klopfen, und als der Alois noch einmal mit der Geißel knallte, schossen ihm zwei Tropfen in die Augen.

Die Mutter aber rief dem Burschen nach: »He, und Euer Fuhrlohn!«

Da klang's zurück: »Schreibt's auf bis zur Hochzeit!«

Fort war er. Da fragte die Mutter, die nicht alles verstanden hatte, das Mädchen: »Ist er am End' gar schon bezahlt für beide Mal?«

»Bezahlt!« flammte das »Lachgickele« auf, »fragt doch den Vater, mit dem Zahlen hab' ich nichts zu tun.« 187

Sprach's und schwang sich aus dem Schiff, stieg zur Schleuse hinauf und sah dem Reiter nach, der zwischen dem gelben Korn und dem Mattengrün dem Dorf zutrabte. Die Grillen schrien, das Wasser brauste unter dem Schleusentor, und als das Mareile sich wandte, sank der schwarze Schiffssarg mit der fallenden Flut langsam in die Tiefe.



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