Hermann Stegemann
Daniel Junt / Die Himmelspacher
Hermann Stegemann

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Die Marktfahrt

Es war hohe Zeit. Sie schoben den Marktwagen mitten auf den weitläufigen Hof, über den das Abendlicht eine sanfte Röte goß. Zu Bergen häuften sich die Gemüse, die nun in den Wagen verstaut werden mußten.

»Jetzt ist es Weibersach'. Komm eins nehmen für den Durst, Matthis,« rief der eine der Burschen, die den Wagen in den Hof gesteuert hatten. Und er warf den letzten Kohlkopf mit mächtigem Schwung auf das Gefährt, wo das Liesele ihn behende auffing.

»Ja, ja, 's ist recht. Geht nur, ich brauch' euch nimmer, ihr Kreuzschwaben,« spottete das Liesele und schaute von seinem hohen Standort verächtlich auf die Burschen, seine beiden Brüder und den Vetter Matthis herab.

»Laß das Fuchsen, du Malefizmaidle,« schrie der Toni; der Matthis nagte an der Lippe.

»Fuchsen,« rief das Mädchen und lachte, »kann man denn die Hasen auch fuchsen!«

Plötzlich verstummte das Liesele. Es stand hochaufgerichtet, seine schlanke, kräftige Gestalt wuchs in den verglühenden Himmel. Über die Hofmauer hinweg konnte es auf die Straße schauen. Dort ging jemand dicht an die Gartenmauer geschmiegt – eine bekannte Bewegung mit dem Hut zu ihr herüber: Er war's.

Da weckte sie plötzlich die Stimme des Matthis aus ihrem horchenden Sinnen.

»Hier, Liesele, nimm das Gewächs, ich helf' dir noch fertig aufladen,« sagte er langsam, wie beklommen, und bot ihr den flachen Korb, gefüllt mit Mohrrüben. Verwirrt, ohne sich zu bedenken, griff das Mädchen nach dem Korb und polsterte den Marktwagen mit den Büscheln. Er half ihm, sich über den Wagenkasten 204 beugend, und atmete schwer, als ihm Lieseles gelöstes Braunhaar die Stirn streifte.

»Liesele, sag', bist du denn nicht zu stolz für die Arbeit, so eine Gärtnerstochter, die Musik gelernt hat?«

»Red' nicht so dumm daher,« flüsterte sie und wußte doch kaum, was sie sagte, denn sie lauschte, ob der Verwegene nicht wieder durch das Pförtchen des Tores schleiche. Unruhig fuhren ihre Blicke über den dunkeln Hof. Da stieß sie unversehens mit der Stirn an des Matthis Krauskopf. »Du Tappi,« rief sie und funkelte ihn aus bösen Augen an.

Er aber lachte verlegen. Und plötzlich, ehe sie wußte, wie ihr geschah, hatte er ihre Hände gefaßt und zog sie mit unwiderstehlicher Gewalt herab.

Aber jäh warf sie den Kopf zurück, und als er ihre Hand freigab, um den Arm um ihren Nacken zu legen, packte sie plötzlich den nächsten Kohlkopf, riß sich los, schnellte auf und schleuderte das gewaltige Geschoß auf ihn herab. Dumpf prallte die seltsame Kugel an die Brust des Matthis und hüpfte weithin über den Hof. »Himmel und Erde,« fluchte der Bursch, »aber das sag' ich dir, Liesele, wenn du mir die Nase eingeschlagen hättest mit deinem ungeschnittenen Sauerkraut, hernach hätt' ich dir das Zu-Markt-fahren versalzen.«

Dann drehte sich der Matthis auf dem Absatz und ging ins Haus, ohne noch einen Blick an die trutzige Jungfer zu verschwenden.

Der Herbstabend war hereingebrochen, nur im Zenit zogen noch rote Lämmerwölkchen, über den Bergen aber leuchtete ein grüner, klarer Himmel, der wie aus Glas gebildet war. Auf dem Hofe fielen die Schatten dichter, von der Straße her klang das Geräusch heimkehrender Fabrikarbeiter, schlurfende Schritte, Murmeln und zuweilen ein lauterer Ruf.

Da fuhr das Liesele zusammen. Das Pförtchen hatte sich wirklich bewegt, und nun huschte er keck herein, duckte sich hinter dem Marktwagen und flüsterte: »Da 205 bin ich, und jetzt sag', warum kommst du nicht zum Rendezvous?«

Das Liesele bückte sich über ihn, deckte ihn mit dem Leib, damit die im Flur ihn nicht etwa sähen, und hastete: »Wenn's aufkäm', Charles! Die Mutter tät uns nicht übel heimzünden!«

»Laß mich,« stieß er hervor und zog sie zu sich herab. Der Duft seiner schöngescheitelten Haare kitzelte Lieseles Nase.

Einen Augenblick war es ihr, als tanzte sie wieder mit ihm draußen zu Türkheim auf der Kilbe, wo sie ihn kennengelernt und sein gewandtes Wesen, sein flottes Auftreten ihre Eitelkeit bestochen hatten. Dann aber entwand sie sich ihm, drängte ihn zurück und befahl in entschiedenem Tone:

»Geh' jetzt, sonst kommt noch einer von drinnen, und hernach ist alles verspielt.«

»Es kommt niemand, Liesele. Ich war heut' mittag zwei Testamente machen mit dem Patron. Geld, viel Geld, und das hat mir auf die Nerven gegeben. Tu sais, un clerc, c'est un homme de goût, mais millionnaire ou capitaliste - oh non!« So sprach er auf Französisch mit gemachter Ironie und suchte, sie abermals zu umfassen.

»So geh doch, Charles, oder willst du am Ende mitfahren auf den Markt?«

»Oh, das wäre noch nicht das letzte, mit dir, im Wagen, unter der großen couverture. Je t'aimerais bien, Lisette,« murmelte er, sentimental werdend. Damit hatte er sie immer bestochen.

Liesele antwortete mit leisem Spott: »Das glaub' ich, aber die Mutter, die tät uns mit der Geißel zwicken. Und dann wär's fertig mit deinem Französisch.«

Bei dieser Vorstellung mußte sie so herzlich in sich hineinlachen, daß der Druck ihrer Arme nachließ. Charles gewann ihr sofort den Vorteil ab, schob den Fuß in die Radspeichen und saß plötzlich neben ihr im Wagen. Sein Hut war ihm zwischen die Zwiebeln gefallen, aber er 206 hatte nicht acht darauf und suchte den Augenblick zu nutzen, die Überlistete mit Liebkosungen und kecken Künsten überschüttend. Doch Lieseles Überraschung war schnell verflogen, und ehe der Notariatsschreiber sich dessen versah, packte ihn das kräftige Mädchen, rang ihn nieder und hielt ihn fest. Der Länge nach lag er im Gemüse, zwischen Zwiebeln und Rüben, und Rotkraut und Petersilie purzelten auf seinen duftenden Scheitel.

Ein heller Jungfernzorn war über das Liesele gekommen, und es schüttelte ihn und keuchte: »Du willst mich meistern, du?«

Da fiel ein gelber Lichtschein auf den Hof, und laute Stimmen riefen. Das Mädchen fuhr verstört in die Höhe und sah die Brüder, die Mutter und den Matthis aus dem Haus treten und die Sturmlaterne in alle Winkel blitzen. Charles zuckte empor, aber hastig drückte sie ihn nieder.

»Lieg still, das ist unsere einzige Rettung!«

Und hastig raffte sie, was sie von Gemüsen neben sich erreichen konnte, und deckte ihn damit zu.

»Du hast dir Zeit gelassen, Liesele,« brummte die Mutter, die schon in ihr großes wollenes Tuch eingewickelt war und die Hände an dem heißen Kaffeekrug wärmte. »Da, nimm den Kaffee und versorg' ihn!«

Dann kamen sie mit den Reifen, und schließlich stieg der Matthis in den Wagen, und sie zogen die Leinwandhülle über das Eisengerüst. Nun stand der Marktwagen als hochrückiges, weißhäutiges Ungetüm im Lichtschein, der Gaul wurde eingespannt, das Hoftor geöffnet, die Mutter fuhr noch einmal in den Geldsack, den sie im Unterrock eingenäht hatte, schüttelte die Scheidemünzen, um sich zu vergewissern, daß sie nichts vergessen, und schickte sich an, ins Innere des Wagens zu kriechen.

»He, Matthis, mach', daß du herauskommst!« rief sie.

Der Matthis nestelte noch an der Leinwand. Dicht neben ihm ging Lieseles beklommener Atem. 207

»Was ist dir? Bin ich dir auf den Fuß getrampt?« fragte er, denn ein unterdrückter Ausruf des Schmerzes war laut geworden.

»Nein, ja, aber es macht nichts,« stotterte das Mädchen und drängte ihn hinaus.

Da faßte er ihren Arm, ihren Kopf und küßte sie. Schnell, kaum, daß er darüber einen Atemzug tat, aber Mund hatte auf Mund geruht. Kein Schlag, keine Antwort strafte ihn. Wie gelähmt, ließ das Mädchen diesmal seine Kühnheit über sich ergehen, und nun schwang er sich über das Rad und die Deichsel auf die Erde, und die breite Gestalt der Gemüsebäuerin erschien in der Öffnung, sank auf den Sitz und ergriff Zügel und Peitsche.

Der Wagen verließ den Hof.

Als er die Straße erreichte, kamen schon andere Marktfuhren die Straße herauf. Langsam gingen die Gäule, die Laternen schaukelten, und der Zug kroch dahin auf der Baseler Straße, in die Nacht hinein, dem Baseler Markt zu.

»Wo hockst du denn heut'? Komm her!« befahl die Mutter.

Hastig löste das Mädchen die Hand aus den kalten Fingern des Gefangenen, der den Arm und das Gesicht aus dem Grünzeug gewühlt hatte, und setzte sich neben die Mutter. Im Laternenlicht sah es vor sich den Gaul, auf dessen Rücken das Geschirr tanzte, den Wagen, der ihnen vorausfuhr, die spärlich belaubten Bäume an der Landstraße und den weißen Dunst, der über die Wiesen strich. Die letzten Häuser blieben zurück, die Rebgärten machten den Äckern Platz, und nun erschien in der Ferne die schwarze Linie, die den Lauf der Ill bezeichnete. Dahinter lag eine Wolkenwand und gestaltloses Dunkel. Das Liesele wußte keinen klaren Gedanken zu fassen. Zorn und Angst, Scham und zuweilen sogar ein krampfhafter Lachkitzel saßen in seiner Brust. Endlich faßte es sich ein Herz und rückte ein paarmal auf dem Bänklein hin und her. Als die Mutter sich nicht rührte, 208 sondern ihren Schüttelschlaf weiter zu schlummern schien, schlug es die Beine schnell über den Sitz und glitt wieder ins kühle Kraut.

Seine tastende Hand fand endlich zwischen Kohl und Rüben das Gesicht des Charles. Ganz kalt waren seine Backen, er tat ihr leid.

»Liesele, laß mich hinaus, die Zwiebeln bringen mich um!« flüsterte er und nieste hinterher.

»Still! Wir sind ja mitten auf der Landstraß'. Und die Mutter! Du mußt an ihr vorbei!«

»Auf der Landstraße! In der campagne, mitten in der Nacht,« stöhnte er und suchte einen Blick ins Freie zu werfen. Da tat die Mutter einen lauten Schnarcher, und wie vom Blitz getroffen fuhren sie auseinander.

Aber gerade ihre Hast verriet sie. Der Clerk riß die Krautköpfe über den Haufen, daß sie dumpfkollernd herabstürzten, und das Mädchen prallte an die Mutter, Rücken an Rücken. Der Stoß war heftig, und im Nu saß die Schläferin vor ihrer Bank im Stroh, zwischen dem Kaffeekrug und der großen Wärmflasche.

»He, he, Liesele, er reißt mir durch die Finger,« schrie sie jäh aus dem Schlaf geschreckt und ruckte an den Zügeln, daß der alte Marktgaul, der seines Weges gekrochen war, entsetzt in Trab fiel und mit der Nase in den Vorderwagen rannte. Und dem Beispiel folgend, setzte sich der folgende und der zweitnächste, der dritte und vierte Wagen, die ganze Kolonne in Trab, und eine Zeitlang rasselten die Ketten, schüttelten die Räder und schrien die Marktweiber, daß die nächtige Landschaft in hellen Aufruhr geriet.

Das Liesele hatte sich hastig aufgerafft, zog und zerrte die Mutter in die Höhe und stammelte verwirrt: »Nein, nein, Mutter, er ist nicht fort, er hockt noch da hinten.«

»Wer, wo? Bist denn du mit dem linken Bein aus dem Bett heut morgen? Oder hast du mit dem Toni geschöppelt?« 209

Die Worte überstürzten sich. Wie ein Regensturz ging es auf das Liesele nieder. Aber das tat gute Wirkung. Auf einmal schlug sein Herz ganz ruhig, es zuckte nur unwillkürlich mit dem Arm, um etwa den Kopf zu schützen, dann sagte es: »Nein, Mutter. Ich mein' den Charles. Da hinten hockt er. Wir müssen ihn hinauslassen, sonst findet er den Heimweg nicht mehr.«

Einen Augenblick saß die Mutter wie erstarrt. Und das Liesele konnte nicht anders, es fühlte den Lachkitzel in die Kehle steigen, als es im unsteten Laternenschein das Gesicht der Mutter vor sich sah, blöd das Auge, den Mund halb geöffnet, dick umrahmt von dem gestrickten Kopftuch.

Aber zum Lachen kam es nicht, denn plötzlich rutschte etwas den Gemüseberg herab, und der Liebhaber lag neben ihnen im Stroh und stotterte: »Seid mir nicht bös, Madame, ich halt's nimmer aus dort hinten in den Zwiebeln. Et je l'aime, votre fille, pour sûr, je l'aime.«

Dreimal nieste er zur Bekräftigung mit tränenden Augen.

Dann kam das Bekenntnis. Bald er, bald das Liesele, aber stets schwächte das Mädchen seine Beteuerungen ab, und als die Mutter immer noch starr von einem zum anderen blickte unter der Laterne, alle drei einander so nahe, daß sie in dem engen Raume beinahe mit den Köpfen zusammenstießen, da sagte das Mädchen endlich zornig: »Jetzt schweig endlich! Du bist nicht der Notari!«

Doch kaum war das Wort gesprochen, das dem Mädchen das Herz erleichtert hatte, da kam Leben in die Mutter, und ehe sich das Liesele des Unglücks versah, hatte es einen Katzenkopf erhalten, daß ihm das Feuer aus den Augen flog und das dicke, braune Haar über den Nacken hinunterrollte.

»So, das ist für dich, für den Anfang,« schnaufte die Mutter, »und jetzt zu dem Strolch, dem Wackes!« 210

Sie packte ihn an den Aufschlägen seines Rockes, unbekümmert um Zügel und Gaul, zog ihn dicht heran, schüttelte ihn wie einen leeren Balg und fragte: »Ist etwas gegangen mit dem Maidle?«

Aber ehe er antworten konnte, erhob sich das Liesele und sprach: »Nein, Mutter, so wahr ich's Leben hab'.«

Die Augen der Mutter blickten noch einmal prüfend in die blassen Gesichter, dann ließ sie den Sünder los, rückte nach rechts, daß Platz wurde, und befahl: »Marsch, links übers Rad, wo keine Laterne brennt!«

Er zauderte noch einen Augenblick, aber als sie den Peitschenstiel umdrehte, da kletterte er eilig und ungeschickt hinaus und tauchte stumm und ungesehen in die Finsternis.

Weiter mahlten die Räder, in die Nacht hinein zog der Markttroß nach Basel. Eine Weile schwieg die Mutter, dann drückte sie der Tochter Leitseil und Peitsche in die Hand.

»Tiens, fahr' zu. Ich muß einen Kaffee haben und ein Stück schlafen.« Und als sie sich eingeschenkt hatte, lachte sie verächtlich über die Tasse weg und sagte: »So ein Bohnenstecken! Der letzte Ochsenknecht wär' mir lieber.«

Heiß stieg es dem Liesele in die Backen. Es biß sich auf die Lippen und atmete schwer. Ein heftiger Groll gegen den Clerk war in ihr. Mochte er heimlaufen vier Stunden weit! Es starrte mit gerunzelten Brauen auf den Gaul, dessen Rücken im Lichtschein glänzte.

Die Mutter war schon im Einschlafen, da sagte das Liesele plötzlich mit seltsam belegter Stimme: »Er kann mir in die Schuh blasen, zwischen uns zwei ist es aus.«

»Da kannst du den lieben Herrgott drauf nehmen,« antwortete die Mutter gähnend und fuhr unwillkürlich mit der Faust aus der Pferdedecke. Dann schlief sie ein, und die Tochter saß still auf dem engen Bänklein.

Auf einmal tat das Liesele einen Seufzer, es spürte ein Brennen auf seinen Lippen. 211

»Dem Matthisle sein Schnauz,« fuhr es ihm durch den Kopf, und hochauf schlug ihm das Herz. Eine wilde Kraft ging durch seine Glieder, es richtete sich auf, streckte den Arm mit der Geißel aus dem Wagen und tat einen lauten Peitschenknall in die Nacht hinaus.

Es klang wie ein Pistolenschuß und war auch einer, und hat den Clerk, Monsieur Charles, in Lieseles Herzen glatt über den Haufen geschossen.



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