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Zweites Kapitel.

D Die Gebetsglocke, deren schriller Ton in den schlummernden Zellen der Mönche zum Tage aufrief, überraschte Prior Balthasar nicht länger über seinem Schmerze brütend; schon stand er aufgerichtet am Fenster und kehrte sein gläubiges Antlitz der Morgenröte zu; auch auf dem Gange zur Kapelle, als die Brüder scheu mit seitlichem Blicke den Schmerztragenden streiften, traf sie zu ihrem Erstaunen und Erbauen ein wunderbares Leuchten aus seinen Augen. Nach vollendetem Gebete, das heute mehr als jemals von des Priors Innigkeit und Dringlichkeit getragen schien, stand dieser von seinen Knien auf, wandte sich zu den Brüdern mit einem Ausdruck gewisser Zuversicht, nicht anders, als wäre die Zeit zur Freude über einen Heimgekehrten angebrochen, und sprach:

»Meine lieben Söhne, euer Bruder Benjamin hat sich von euch und von mir gewendet, und gedenkt von nun an unsrer ledig seine Straße zu ziehn! Wir aber wollen der Parder sein, der auf seinem Wege lauert, der Löwe auf seiner Gasse und der Bär auf seinem Steg. Wären wir Ritter und Herren und gelobten in dieser Stunde, eine entflohene Braut aus Räubers Händen zu holen, wir dürften mit der Schärfe des Schwertes kämpfen, und hätten in Fahrt, Streit und Abenteuer einen leichten Handel; denn Sieg oder ein ritterliches Sterben wäre uns gewiß. Nun aber sind wir armselige Predigermönche und der christlichen Demut verlobt; unsre Waffe heißt Gebet, und unsre Hoffnung heißt: Der Vater wird euch geben, worum ihr bittet. Liebe Söhne, unser Bruder Benjamin soll nicht unbehütet seine Straße ziehn; der sich die Kirche zur Mutter und den Hirten zum Vater wählte, soll nicht wie ein Elternloser unbeschützt ins Verderben stürzen, soll, meine geliebten Brüder, einen Vater haben, der auszieht, ihn zu suchen, und eine Mutter, die in der Kammer für ihn betet.«

Der Prior schwieg für die Dauer einiger Atemzüge, schloß die Augen, und ein seltsam glückliches Lächeln verklärte seine milden Züge. Indessen siegte das Licht des Morgens auf allen Altären, goß sich über die Häupter der Brüder und schien als Glauben und Seele vom Antlitz des Priors zurückzustrahlen. Die Mönche betrachteten ihren Oberen mit ungleichen Gefühlen; schon hatten sie das Ziel seiner Rede verstanden und wußten, daß, wenn der Provinzial solch bedenkliche Fahrt gestattete, er keinen unter ihnen mit Botschaft nach Deutschland schicken würde, sondern daß er willens war, nur der eignen Liebeskraft zu vertrauen, ob sie den Verirrten finden und rufen könnte. Da sah mancher unter ihnen mit Sorge das verlassne Kloster dem unbeständigen Willen von vielen preisgegeben; andre bangten um den geliebten Vater, wie er die Beschwerden und Gefahren einer Reise über die Alpen ertragen könnte; wieder andere fühlten sich unversehens von ihrer Menschlichkeit überrascht, neideten Benjamin die zärtliche Liebe dieses gottseligen Mannes und fragten sich im geheimen, ob er auch ihnen nachgehen würde, wie diesem Sünder und Abtrünnigen.

»Wohl habt ihr, meine Söhne,« begann der Prior von neuem, »ein unveräußerliches Anrecht auf meine Gegenwart in diesem Hause; aber ich erbitte von euch um Christi Barmherzigkeit willen, daß ihr mich mögt ohne Groll ausziehen lassen, den Knaben, den mein Herz lieb hat, zu suchen. Gott, der auch mein Begleiter ist, wird euer Vater sein; der bis zu dieser Stunde allen Mangel von uns ferngehalten hat, wird euch nähren und kleiden, während ich unter einem rauheren Himmel weile; dazu setze ich euch Bruder Giovanni an meine Stelle, denn er sorgt im Winter für die Sperlinge und Raben und er wird sich nicht, wo ihr seiner bedürft, gegen eure Klagen verschließen.«

»Dir, mein Giorgio,« wandte er sich mit dem liebevollen Ton seiner Stimme an diesen, »hätte ich Rast und Frieden gegönnt, doch kann ich deine Führung nicht missen; und schon fallen in unsrem gesegneten Lande die Blätter von den Bäumen, dann währt es im Norden nicht mehr lange, bis der Himmel sich öffnet und Flocken fallen läßt, die uns mit ihrer Fülle den Übergang nach Deutschland versperren.«

»Mein Vater,« rief Giorgio mit bewegter Stimme, denn des Priors Wesen und Worte hatten ihm ans Herz gegriffen, »das sei ferne, daß ich Euch reisen lassen sollte, und Ihr verdammtet mich zu müßiger Betrachtung hinter den Mauern des Klosters; aber wie werde ich Euch schützen können gegen alle Gefahren, die Eurem teuren Leben in der Fremde drohen?«

Der Prior lächelte und antwortete:

»Als meine Mutter mich gebar, und sah, daß ihr ein Knabe geschenkt war, wählte sie für mich einen heiligen Königsnamen aus dem Morgenland, denn vor meiner Geburt waren ihr zwei Kindlein in zartester Blüte gestorben, und sie wußte, daß die heiligen drei Könige ihren Namenskindern hohe und glückliche Jahre schenken; – sie werden auch mir, Giorgio, zu den vergangenen noch viele zukünftige Jahre legen und nicht dulden, daß mich in Lebens Mitte ein Unfall in die Grube bringt.«

Als der Prior zu sprechen fortfuhr, wich das Lächeln von seinem Antlitz, und seine Augen umflorten sich.

»Du sollst mit mir ziehen, Giorgio, bei allem Gehorsam, den du mir geschworen hast; aber eh' du ziehst, büßt du mir in vielstündigem Gebet dein vorschnelles Wort, das einem Lanzknecht, nicht aber einem Mönch entfahren darf. Gott weiß, daß ich auf müßige Betrachtung hinter Klostermauern inbrünstiger vertraue als auf meiner Füße Wanderschaft; darum, liebe Brüder, gedenkt unsrer im Gebet!«

Der Prior schwieg, und die Brüder sahen fragend zu ihm auf, ungewiß, ob seine Seele zu Gott emporgehoben sei, und er ihrer Zuhörerschaft nicht länger bedürfe, oder ob er der Sammlung halber verzog und gedachte, ein Mehreres zu ihnen zu sagen. So warteten sie in Geduld, bis der Prior die Stille unterbrach und erzählte:

»Es war im Jahre, das der Herr gesegnet hatte, 1517, als zwei Knaben zum erstenmal unsres Klosters Schwelle überschritten, um in diesen Mauern reif zu werden zu dem feierlichen Tage, an dem ein Jüngling ewige Treue geloben darf. Der ältere Knabe, ein wenig schläfrig und träge zu allem irdischen und himmlischen Tun, war ich; der jüngere, Begnadete, hieß Michele Ghislieri. Ich habe in jener Zeit mich selbst und alle meine Brüder vielfachen Versuchungen erliegen sehen; wir haben uns alle befleckt, und unser aller Wege sind durch die dunkeln Abgründe gebrochner Gelübde gegangen. Aber einer ist ohne Makel, einer trägt das weiße Kleid der Unschuld, das ihm in seiner Taufe gereicht wurde, auf dieser elenden Erde wie in ewigem Feiertag; seine Andacht ist wie wohlriechender Weihrauch, und seine Fürbitte vermag Kranke zu heilen und Sünder selig zu machen.

Lieber Bruder Ambrogio, nimm zu deinem Geleit Bruder Felice und mache dich auf und suche in den Städten Italiens Fra Michele, bis du ihn gefunden hast, und sprich zu ihm: Dein Bruder Balthasar und Prior von Voghera, läßt dir sagen:

Ein Kind des mütterlichen Hauses, das deine junge Seele gespeist hat, darin alle Gaben des Geistes, die deine reifen Jahre schmücken, über dich gekommen sind, – ein Sohn dieses Hauses ist verloren gegangen, – du aber, Bruder Michele, rette ihn durch dein unbeflecktes Gebet!«

Als der Prior bemerkte, daß die Gemüter der Mönche zu Reiselust und Austausch von allerlei Ratschlägen für die Fahrt aufgereizt waren, er also befürchten mußte, der Raum, der sich über dem Tabernakel wölbt, könnte durch weltliche Geschäfte in seiner Feierlichkeit gestört werden, schritt er den Brüdern, die Kapelle verlassend, voran in den Kreuzgang, wo er sie ihrer Neigung zu Rede und Gegenrede überließ.

Die sich am schnellsten zusammenfanden, waren Fra Ambrogio und Fra Felice; Ambrogio, ein gereifter Mann, dessen Jahre mit denen des Jahrhunderts zählten, hatte den Auftrag des Priors mit Freude, aber ohne die berauschende Lust, zu einem neuen und gewagten Unternehmen gewählt zu sein, entgegengenommen; denn zu viele Botschaften, wichtige und geringe, hatte er in seinem Leben aus den Klöstern seines Ordens in die Paläste der Fürsten oder in die Hütten der Niederen getragen; wie ihm aber allezeit die geistlichen Aufträge lieber gewesen waren als die weltlichen, so freute er sich in seinem Herzen, daß er für diesmal der Überbringer eines so engelreinen Grußes werden sollte.

Felice indessen war fast noch ein Knabe. Aufgewachsen in Voghera und frühzeitig mehr von der Frömmigkeit seiner Mutter als von seiner eignen beweglichen Sinnesart zum Klosterleben bestimmt, schlug ihm unter der Kutte ein immer sehnsüchtiges Herz nach Welt und Menschheit, nach Farbe und Pracht. In seinen Träumen wandelten glänzende Ritter mit ihren Damen zwischen gewundenen Marmorsäulen, wurden Dichter von Fürstinnen gekrönt, und Maler, die ihm als die Glücklichsten unter der Sonne galten, durften irdische Schönheit und himmlische Verklärtheit in ein Wesen verschmelzen und schienen ihm deshalb nicht länger dem widerstreitenden Verlangen des Menschen nach dem Trug der Sinne und seiner Überwindung preisgegeben. Da konnte sich nun freilich sein Auge im heimatlichen Voghera nicht satt trinken; wohl brachte er einem Muttergottesbild im Dom, das erst unlängst ein Mailänder Meister dahin geliefert hatte, seine andächtige Bewunderung dar, staunte auch in der Lorenzokirche zu der Kuppel empor, wo die Jungfrau zum Himmel fuhr und alle Apostel über eine seltsame Ballustrade in die Kirche hinuntersahen und der Menge das Wunder bedeuteten; auch grollte er um einiger schön gemalter Pergamente willen, die das Kloster bewahrte, der kahlen Buchdruckerkunst als einer Feindin aller freundlichen Verbindung von Gelehrsamkeit und Anmut. Indessen blieb das Verlangen in seiner Seele mächtig wach, in anderen Städten größere Wunder der Kunst zu schauen, und die sanfte Stimme des Priors dröhnte ihm wie Trompetenstoß in den Ohren, als sie am Morgen in der Kapelle seinen Namen aufrief; gegen allen Anstand war er von seinem Sitze in die Höhe gefahren und hatte den Prior mit so fassungslosem Entzücken angesehen, daß dieser ein stilles Vergnügen empfinden mußte; denn er, der Felices Wanderlust kannte und gern seinen Klosterbrüdern die unschuldigen Triebe ihrer Natur befriedigte, damit sie williger das mönchische Joch tragen möchten, hatte ihn mit Vorbedacht zum Begleiter Ambrogios ausgewählt.

Gering sind die Sorgen und Gedanken, die sich ein Predigermönch um die Ausrüstung zur Reise macht; Hunger und Durst, Kälte und Hitze haben für ihn keine Schrecken, und die Beschwerlichkeit des Wanderns scheint ihm leichte Mühe; wo ein Kloster winkt, oder wo immer gute Menschen wohnen, ist ihm Herberge und Mahl gewiß, auch Segenswunsch und Wegzehrung für die nächste Tagesfahrt; dazu zwei Skudi Notgeld im Beutel und etliche Kräuter für eigne und fremde Wunden, die unverbunden an der Landstraße geblieben sind, – so ausgestattet vertraut er sich willig den ungewissen Schicksalen der Fremde an.

Dennoch war Felice, als ein Neuling, von Geschäftigkeit bewegt, drang mit Fragen und Wißbegierde in Bruder Ambrogio und konnte sich nur schwer mit dessen gleichmütiger Antwort bescheiden, daß der blaue, sternenbesäte Mantel der Himmelskönigin sie hier und dort decken würde. Mitteilsamer als dieser zeigte sich Bruder Giorgio, der zudem einen kühnen Plan in seinem Herzen bewegte, zu dessen Ausführung er mit Freude die lebhafte Teilnahme eines anderen entgegennahm. Ihm dünkte die Wanderschaft über die Alpen für den Prior, der nicht eben von großer Leibeskraft war, ein ungeheures Wagnis; dazu stand die schlechte Jahreszeit vor der Tür, die Wege wurden glatt und gefahrvoll, und nur ein Maultier konnte aus solcher Bedrängnis helfen. Wie aber würde des Priors bescheidener Sinn so großartigen Aufwand gestatten, wenn er selbst Nutzen und Bequemlichkeit davon haben sollte? Deshalb bediente sich Giorgio einer, wie er urteilte, verzeihlichen List, stellte dem Prior mit kläglicher Gebärde vor, wie seine Füße noch von der eiligen Rückkehr geschwollen und geschunden seien, mischte auch ein Wörtlein in seine Rede, um wieviel schneller man Sachsen mit eines Maultieres Hilfe erreichen könnte, bis der gute Vater seine Bedenken hinter sich ließ und den Einkauf bei einem Händler in Voghera zugab. Das war nun ein Zeitvertreib, der Felice über die Stunden bis zu seiner Abreise unterhaltsam hinweghalf. Wie er so an Giorgios Seite über den Marktplatz schritt, konnte er sich glauben machen, er sei eines großen Herrn Seneschall und gehe aus, ihm einen arabischen Zelter zu erhandeln, und fünfzig Maultiere für das Gefolge.

Der Prior, als des Hauses Vater, scheute währenddessen nicht Zeit noch Mühe, Bruder Giovanni in schier endlosen Unterredungen seine Ratschläge, wie er dem Kloster vorstehen sollte, mitzuteilen; so geschah es, daß Ambrogio und Felice schon am nächsten Morgen reisefertig vor ihm standen, er selbst aber noch, mit Schlüsseln und Wirtschaftsbüchern beschwert, den Zeitpunkt abwarten mußte, an dem er sie alle mit der notwendigen Wichtigkeit in Giovannis Hände gelegt haben würde.

»Die Madonna begleite euch,« sagte der Prior den Reisenden zum Abschied, »und führe euch auf schnellem Wege an euer Ziel!« – »Felice,« rief er darauf lächelnd aus, »ich erkenne es am unsicher verhaltenen Blick deines Auges, daß du meinen Wunsch in deinem Herzen nicht nachsprichst!«

Da sah ihn der Jüngling voll und leuchtend an und sagte begeistert:

»Möchte doch die Gottesmutter den guten Bruder Michele uns immer um etliche Tagereisen voraus durch Italiens Städte schicken, bis ich sie alle geschaut und angestaunt hätte!«

Eine strahlende Herbstsonne schien Ambrogio und Felice auf ihrer Straße. Die schnitt von Westen nach Osten wie ein weißer Meterstab ohne Anfang noch Ende durch das Land, zur Rechten und zur Linken Märkte, Dörfer und Städte an ihrer Seite lassend; aber um die Abendstunde mußte sie sich zur Biegung um mächtige Bastionen und starre Mauern bequemen, über welchen Türme ragten wie ein Wald, denn ihre Zahl war hundert, und die Stadt, die stolz wie eine Königin vor den beiden Wanderern lag, war Pavia.

Ambrogio, der öfter, als er in seiner Erinnerung nachzählen konnte, von dieser Straße in die Stadt gekommen war, glaubte sie noch nie so herrlich vor sich gesehen zu haben wie an diesem Tage, als die jugendliche Wonne Felices über das prächtige Bild sich in Fragen und Ausrufen an seiner Seite erging. Auch wurde er plötzlich gesprächig, erklärte dem Jüngling die erhabensten Türme, wie der höchste mit dem Zinnenkranz zu dem von Galeazzo erbauten Kastell gehöre, und begann, daß Felice sich wundern mußte, von der großen Schlacht zu erzählen, die im Schloßpark geschlagen worden war, und deren Kanonendonner bis in die Fenster von Voghera geklirrt hatte.

Unter solchen Gesprächen durchschritten sie das Westtor, und Ambrogio strebte, nach seiner Gewohnheit, in einem fremden Ort erst eine Kirche und nachmals seine Geschäfte aufzusuchen, strebte der im Norden der Stadt gelegenen Klosterkirche San Pietro in Ciel d'oro entgegen; dort, am Grabe des heiligen Augustin, dessen Weisheit er inbrünstig verehrte, verlangte er hinzuknien, und eingedenk seiner augenblicklichen Mission, dem großen Heiligen vorzustellen, wie er selbst aus greulichen Verirrungen seines Geistes und Fleisches nur durch die täglich immer neu erglühende Liebe seiner Mutter Monika herausgebetet worden war, weshalb er sich gewiß über Benjamins Ketzerei und eheliche Schmach in Gnaden erbarmen würde.

Während Ambrogio solche Betrachtungen vor dem Sarkophag St. Augustins anstellte und die Augen dabei zum Himmel gerichtet hielt, glaubte er auch Felice, der tiefgeneigten Hauptes neben ihm kniete, in Andacht versunken. Wie mußte er daher erstaunen, als er diesen plötzlich leise, aber doch vernehmlich murmeln hörte: »O wunderbare Kunst, die so die Leiber der Menschen und Tiere im Stein aufzudecken vermag –« und schon griff seine Hand nach dem ihm zunächst gekehrten Relief des Sarkophags und tastete mit zärtlichem Strich die marmorne Falte eines Apostelgewandes entlang.

Ambrogio glaubte einen Wahnsinnigen neben sich zu haben und sagte entsetzt:

»Was ficht dich an? Gedenke der heiligen Gebeine, die in diesem Schreine ruhn, von denen jedes Fingerglied kostbarer ist als der ganze Marmorbruch von Carrara!«

Felice errötete in aufrichtiger Beschämung, schloß die Augen, um nicht länger von der schönen Welt der Sinne zu irdischem Entzücken versucht zu sein, und gedachte seufzend des Heiligen, der, nachdem er die Früchte der Erde gekostet hatte, diese alle verschmähte und das Herz an Gott hingab.

Die beiden Mönche von Voghera beschlossen, an diesem Abend nur noch in ihre Herberge einzukehren, und den schuldigen Besuch bei Messer Paolo Ghislieri und Madonna Domenika, den Eltern Micheles, zu vertagen; diese waren erst unlängst aus ihren spärlichen Lebensbedingungen in Bosco nach Pavia übergesiedelt, in das Borgo Ticino, wo die vorsichtigen Leute ihre kleinen Geschäfte mit der Stadt anfangen, um gefahrlos zu etwas größerem Wohlstand emporzukommen. Die gute Domenika nahm am nächsten Morgen die Ordensbrüder ihres Sohnes mit liebevoller Fürsorge auf, schalt sie, daß sie nicht ihrem Dache die Ehre angetan hätten, darunter zu nächtigen, und trug alle Vorräte ihrer Speisekammer herbei, um auf solche Weise ein weniges von ihrer überschüssigen Mütterlichkeit zu entladen, deren Guttaten Michele in seiner strengen Gewohnheit unerbittlich zurückwies. Als sie die Botschaft der Brüder an ihren Sohn hörte, begann alsbald vor Rührung des Herzens das Brünnlein ihrer Tränen zu rinnen, doch konnte sie Ambrogio und Felice wenig Gewisses über Micheles Verbleib aussagen, zumal er von der heiligen Inquisition in Rom gewählt war, in den Grenzorten der Schweiz für den wahren Glauben zu kämpfen; doch wies sie die Brüder nach Mailand, in das Dominikanerkloster Santa Maria delle Grazie, wo der Prior allezeit wisse, welche helvetische Stadt eben vom Pater Inquisitor heimgesucht würde.

So geschah es, daß Ambrogio und Felice am zweitfolgenden Tage in Mailand einzogen, Felice mit bangem Herzklopfen, Micheles Anwesenheit im Kloster möchte ihrer Wanderschaft durch das herbstliche Land, das seine Städte trug wie eine Königin ihren Schmuck, ein frühes Ende bereiten. Wie mußte deshalb seine Seele im Innersten erglühen, als er den Prior, auf Ambrogios Frage und Anrede hin, mit bedauerlicher Gebärde antworten hörte:

»Ihr kommt, meine Brüder, mit eurem gottseligen Auftrag zur unrechten Stunde; Bruder Michele ist gen Rom gepilgert, den hl. Vater um Vollmachten zu ersuchen, denn Ferdinand von Gonzaga, unser Gouverneur, stellt seine politischen Händel vor den Kampf der heiligen Kirche gegen die Seuche der Ketzerei und hält die Streiter Gottes in ihrem frommen Eifer zurück; wie lange aber Michele bei seinen römischen Geschäften verzieht, – das fragt ihr mich mehr als ich euch beantworten kann.«

Da tauchte aus dem Ansturm der Gefühle vor Felices Geist die ewige Stadt auf, mit allen ihren Köstlichkeiten, davon er gehört und gelesen hatte, – die dreihundert Kirchen, die verschwenderische Pracht des Marmors, die rauschenden Wasserkünste in den Gärten der Vornehmen, der Purpur der Kardinäle und die strenge Schönheit der Frauen. Wie ihm so die Fülle der Gesichte das Blut vom Herzen zum Kopfe trieb, wäre ihm fast wie zuvor am Sarkophag St. Augustins ein ungeistliches Wort über die Lippen gefahren – »O Welt, Welt, wer deine Herrlichkeit fassen könnte!« – aber er hielt an sich und stieß nur einen Seufzer aus, daß der Prior und die anwesenden Mönche – es war die Zeit des Nachtmahls, und sie saßen um den Eßtisch versammelt – mitleidig auf ihn hinblickten, daß er so große Betrübnis um Bruder Micheles Widerwärtigkeit im Kampfe mit den Irrgläubigen trage.

Wie er nun durch seinen eignen Seufzer aufgeschreckt im Kreise um sich blickte, fühlte er einen seltsamen Zwang von der Rückwand des Refektoriums ausgehen, als könnten von dort – wiewohl keine Tür zu sehen war – noch andere unheimliche Gäste zum Abendmahl der Brüder hinzukommen; er sprang auf, fragte: »Wo sind wir?« und tat hastig einige Schritte gegen die Wand.

»Nun,« sagte lächelnd der Prior, indem er einen silbernen Leuchter ergriff und Felice vorleuchtete, »das nenne ich mir einen Sohn der Musen, – er weiß nicht, wo er ist, und spürt nur die Nähe des Genius.«

Damit hielt er das Licht in die Höhe, so daß es von rechts den wunderbarsten Christuskopf beschien, der je aus einem Bilde auf die Menschheit geblickt hat.

Während der Prior Felice erklärte, daß er das Abendmahl des Leonardo vor sich habe, von dessen Ruhm der Erdkreis voll sei, und auf das kleinste beschrieb, wie es mit dem Bilde gemeint wäre, daß nämlich der Erlöser eben vom Verrat des Judas gesprochen habe, heftete Felice seinen Blick unverwandt auf das Heilandsangesicht, als bedürfe er, es zu begreifen, keiner kundigen Erläuterung. Überdies erlahmte dem Prior der Arm, so daß er den Leuchter auf den Eßtisch zurückstellte und das Bild seiner nächtlichen Verschleierung überließ.

Auch Felice kehrte auf seinen Platz zurück und vollendete schweigend sein Mahl, denn die prächtigen römischen Träume und der stille Blick des Heilandes trugen seine Seele als vom Paradiese Mohammeds zu den Gefilden abgeschiedener Christen, ohne daß sie bei diesen letzten hätte ihre Hütte bauen können. Aber in der Nacht, als alle Mönche und nicht minder er in tiefem Schlafe lagen, träumte ihm, er stehe wie am Abend im Refektorium und halte seine Augen zu dem Nachtmahlsbilde hingewandt; da trat die Gestalt des Heilandes aus der Wand heraus, hob die Hände ein klein wenig in die Höhe, ließ aber den Blick nicht anders, als Leonardo ihn gemalt hatte, mit himmlisch verklärter Trauer auf dem Beschauer ruhen und sagte milde: »Ich habe die Welt überwunden, – ich habe in Wahrheit die Welt überwunden.«

In diesem Augenblick wachte Felice auf und fühlte sein Herz schwer wie einen Stein in der Brust liegen, doch besann er sich bald und gelobte inbrünstig, auf seiner Romfahrt die irdischen Dinge so zu betrachten, wie es einem Jünger Jesu geziemt – als in aller ihrer Herrlichkeit doch der Lilie auf dem Felde nicht vergleichbar.

*

Freilich hatte der Knabe nötig, an jedem Morgen, der über den Zinnen der Städte leuchtete, über den Tälern der Flüsse und über den silbernen Abhängen der Berge – silbern vom matten Glanze der Ölbäume, – solches Gelübde zu erneuern; denn die Gefilde Italiens sind lieblich und predigen auch im Herbst nicht von der Vergänglichkeit des Daseins, sondern machen ihre Kinder glauben, daß zwischen immer grünen Bäumen und unter einem immer blauen Firmament auch Menschenglück in ewiger Jugend wohne, – ein Land für Götter und Heiden, darin der Sterbliche nur zweifelnd die Kunde von einem Reiche aufnimmt, das inwendig in ihm verborgen sein soll, und das zu erkennen er am besten die Augen zuschließt. Und dennoch schreitet der Wanderer durch dieses Land dem Herzen der Christenheit entgegen, schreitet, wenn er sich den Toren Roms nähert, über die heiligen Gräber derer, die eine so unvergleichliche irdische Pracht, daß selbst die glänzende Zeit der Wiedergeburt zu der alten Größe sich wie das gebrochene Bild der Sonne auf bewegtem Wasserspiegel zu ihr selbst am Himmelsbogen ausnimmt, um den Purpur des Blutes für nichts geachtet haben. So geschah es, daß auch Felice sich an dieser Stelle nicht einseitig durch die großen Denkmale des menschlichen Genius hingerissen fühlte, sondern daß gleichermaßen seine Seele durch religiöse Erschütterungen aus ihrem Hang zur malerischen Beschaulichkeit aufgestört wurde; er, den im stillen Voghera kaum der Flügelschlag der großen Zeit gestreift hatte, fühlte alsbald in Rom die Sturmflut aufgeregter Meinungen aus vergangenen und gegenwärtigen Tagen bis zu seinem Herzen hochsteigen.

Bruder Ambrogio hatte für sich selbst und Felice bei den berühmten Dominikanern von Santa Maria sopra Minerva um gastliche Aufnahme gebeten; dort genoß er das Wohlwollen des Priors, der zudem durch Bande des Blutes mit ihm verknüpft war, und immer dem geistlich und leiblich Verwandten gern sein Haus öffnete. Auch glaubten die Brüder hier am sichersten Fra Michele anzutreffen, der, als ein Dominikaner und schon vom Vater der Christenheit mit einem verantwortungsvollen Amte ausgezeichnet, gewiß in dieser vornehmsten Stiftung seines Ordens Quartier nehmen würde. Indessen fand es sich, daß der Prior nichts von einem Bruder Michele Ghislieri wußte, und daß auch der Novize, den er nach Sta. Sabina auf den Aventin geschickt hatte, mit dem Bescheid zurückkehrte, kein zugereister Dominikanermönch habe dort um Speise und Obdach gebeten. Daraus schlossen die Brüder, daß Michele die Tore Roms noch nicht durchwandert habe, und Gott allein wissen könne, welche himmlische Berufung ihn auf seinem Wege zurückhalte. Auch erwogen sie in Demut, daß dem zu glorreichem Wandel Berufenen allezeit seltsamere Dinge auf seiner Straße begegnen als gemeinen Klosterbrüdern.

Somit gewährte das Schicksal den beiden Mönchen von Voghera die Gunst, ihren Schritt auf dem ehrwürdigen Pflaster Roms mit Muße zu prüfen, eine Gunst, zu der sich noch die zweite fügte, daß durch die hohen Verbindungen ihres Ordenshauses sich vor Ambrogio und Felice manche sonst vornehm verschlossene Tür auftat; denn die Dominikaner von Santa Maria sopra Minerva waren nach alter Sitte die Beichtväter der Päpste, sie saßen als Richter im neugegründeten allgemeinen Inquisitionstribunal, sie waren durch ihre ausgezeichnete Bildung die natürlichen Erzieher der weichmütigen Jugend; und sie die unbestechlichen Wächter und Hüter eines reinen Katholizismus; so griff ihr Einfluß teils sanft führend, teils schrecklich drohend in die Gewissen der edelsten Männer und Frauen Italiens und seiner Jünglinge und Mädchen ein.

Schon in den heiteren Zeiten Leos X. hatte diese dominikanisch unerbittliche Richtung eine Anzahl gleichgesinnter Männer zusammengeführt, die, im Gegensatz zu den ästhetischen Schwelgereien des Vatikans, ein Oratorium der göttlichen Liebe gründeten, dessen Mitglieder sich gegenseitig zu den evangelischen Tugenden und Liebeswerken aneiferten; nicht, daß sie dem Oberhaupte der Kirche um seiner Menschlichkeiten willen die göttliche Sendung hätten antasten wollen – das sei ferne! – ihr erstes Ziel war die unermüdliche Arbeit an der eigenen Vervollkommnung, ihr zweites die Rettung des Volkes aus zeitlichem und ewigem Verderben, und ihre Hoffnung war die Langmut Gottes, die ihr Ziel kennt und ihre Stunde nicht versäumt. Dieser Stunde in Geduld entgegenzuleben, sie durch unveränderliches Lehren und Wirken der christlichen Ideale heraufzuführen, ihr aber nicht mit den Waffen der Zerstörung vorzugreifen, war der Geist, der jene Männer beseelte und sie untereinander verband. Und doch waren sie mit den rinnenden Jahren ungleiche Wege gewandelt. Während ehemals ihre Einmütigkeit vollkommen erscheinen mochte, indem sie alle die Religion für das höchste dem Menschen gegebene Gut erachteten und alle bei größerer oder geringerer Schätzung der rings um sie herrlich blühenden Kultur die Verachtung des Evangeliums wegen seiner barbarischen Sprache und mangelnden Klassizität als eines Christen unwürdig ansprachen, so hatte sich doch die Verschiedenheit ihrer Charaktere damals noch nicht an ungleichen Zeitverhältnissen gemessen.

Mit dem Sacco di Roma hingegen war das äußere Band, das die Mitglieder des Oratoriums der göttlichen Liebe untereinander verknüpfte, aufgelöst worden; die bescheidene Kirche von St. Silvestro und Dorotea, wo sie ihre Zusammenkünfte abgehalten hatten, war gleich ihren prunkvolleren Schwestern der Schauplatz wilder Zerstörungen durch die spanischen und deutschen Soldaten geworden und zu frommer Andacht und Erbauung keineswegs länger geeignet; wer da konnte, kehrte der verwüsteten Stadt den Rücken, wandte sich nach dem freien Venedig oder wo sonst Friede und gutes Regiment ihm ein christliches Leben gestattete; und als ein Dezennium später Paul III., der die Besten seiner Zeit kannte, diese nach Rom zurückberief, erwies sich unter ihnen auch das innere Band als gelockert.

In der ewigen Stadt schieden sich jetzt die Parteien nicht mehr wie damals in ästhetische Zärtlinge einerseits, die ihre Ehre in ciceronianischem Latein und ihre Schande in geistloser Frömmigkeit suchten, und jene strengen Asketen andrerseits, die, wenn sie auch an Bildung hinter den ersteren selten zurückstanden, doch die Schätze der christlichen Religion immer gebührend hoch über die Schönheiten des Altertums erhoben. Neben beiden hatte das Volk ein verkommenes, elendes Dasein geführt, das von den Ästheten übersehen und von den Frommen als Weinberg des Herrn betrachtet wurde, in dem um den himmlischen Lohn zu arbeiten ihnen als ihr Teil zufiel.

Jetzt aber waren alle Parteien und Stände von religiösem Interesse ergriffen; die kultiviertesten Geister fanden ein Vergnügen an der neuen Mode über Bibelstellen zu disputieren, statt daß sich Plato und Aristoteles in ihren Salons bekämpften; die ernsten, kirchlich gesinnten Männer bewegten mit Furcht und Zittern die von der Zeit geborenen Gedanken in ihrem Gemüt, und wer sich vom kleinen Handwerker eine Arbeit verrichten ließ, verwunderte sich nicht, wenn dieser sein Schurzfell zurechtstrich und eindringlich fragte: »Wie denkt Ihr, Herr, daß der Mensch vor Gott gerechtfertigt werde?« Das Büchlein aus der Schule des Giovanni Valdez »Von der Wohltat Christi«, darin der Glaube alles und die guten Werke nur wenig bedeuteten, fand sich im Transtiberiner Armeleutehaus sowohl als im Palast der Aristokraten; es fand sich auch im Hause des Kardinals Caraffa, nicht zwar zur Erbauung, sondern vielmehr um über die darin enthaltenen Häresien zu Gericht zu sitzen.

So waren die von religiösem Ernst Erfüllten plötzlich nicht länger eines Geistes; die wachsamen, eifrigen und mißtrauischen Gemüter unter ihnen fühlten den Inquisitor in sich groß wachsen und sandten ihre Späher in die Häuser der Sorglosen, die weder ihre Seele noch die Kirche durch einen Traktat über die Wunderkraft des Heilandsblutes bedroht glaubten, – eine schwermütige Verbindung zwischen Männern, deren gemeinsame Parole die göttliche Liebe gewesen und – geblieben war.

Kardinal Caraffa, als ein alter Dominikaner, stand immer in lebhaftem Verkehr mit dem Kloster Sta. Maria sopra Minerva; aus diesen Mauern, glaubte er, müßten ihm die besten Streiter zum Kampfe gegen alles, was die Einheit der Kirche zu gefährden drohte, kommen. Legte also ein junger Mönch dort Profeß ab, zeichnete einer sich durch Tugend oder Rede besonders vor den andern aus, kamen Mönche aus entlegenen Orten stillen Sinnes zu Gast – und eben diese waren oft die brauchbarsten, – so wünschte er sie alle zu sehen und suchte in jedem den Ersatz für irgend einen Genossen seiner Jugend, der, wie er finster urteilte, treulos am Reiche Gottes auf Erden sich von gleißnerischen Ideen hatte verlocken lassen.

Aber weder in Ambrogio noch in Felice konnte er seinen Erwählten entdecken; weder des ersteren erprobte Rechtlichkeit, noch die schwärmerische Jugend des letzteren war Holz, aus dem man Kämpfer schnitzt, die auf ihrem Posten ausharren. Wenn er ihnen dennoch den Zutritt zu seinem Hause gestattete und sogar gebot, so geschah das, sie für die bescheidene Wirksamkeit, zu der sie von Gott berufen waren, in ihrer innersten Seele anzuregen. Ambrogio, der Rom seit einigen Jahren nicht besucht hatte, staunte nun freilich fast nicht weniger als der junge Felice, dem hier plötzlich und deutlich vor Augen trat, was der Kampf gegen die Ketzerei bedeutet und was ihm in Voghera nur wie ein Nebelbild aus einer anderen Welt erschienen war.

Hier versammelten sich, seit Paul III. vor einigen Jahren die entscheidende Bulle bestätigt hatte, allwöchentlich die vier Kardinäle des heiligen Offiziums und nahmen die Berichte der von ihnen ernannten Generalkommissäre entgegen; diese Berichte allein, insonderheit die des Generalkommissars von Rom, Teofilo di Tropea, stürzten Felice in die außerordentlichste Verwirrung.

Es hatte ein Mönch von der Kanzel in San Carlo al Corso begeistert in die Menge seiner Zuhörer gerufen: »Der dich ohne dein Mühen und Sorgen geschaffen hat, wird er dich nicht ohne dich selig machen können?« worauf ihm das verführte Volk in solchem Haufen zujauchzte, daß man die einzelnen nicht greifen und inquirieren konnte.

Einem beim Jagen gestürzten Herzog war aus seiner Brusttasche ein Schweizer Büchlein entfallen, das von der schändlichen Tyrannei der Pfaffen handelte, und das von irgend einem verworfenen Italiener in die von Gott zu süßeren Rhythmen geschaffene Sprache übersetzt worden war; eine verschleierte Dame hatte, während ein orthodoxer Priester die schrecklichen Gerichte schilderte, die in dieser oder jener Welt über einen Ketzer hereinzubrechen pflegen, geseufzt und ihr Schnupftuch mit Tränen sträflichen Mitleids durchnäßt, – – solche und andere verdächtige Vorfälle zählte Messer Teofilo mit lebhaften Gebärden auf, und Felice dankte Gott in seinem Herzen, daß er nicht ihm – Felice – seine heilige Kirche anvertraut habe, deren Feinde er in seiner verschlafenen Art gewiß niemals recht erkannt haben würde. Er bewunderte hingegen Messer Teofilo seines Eifers halber nicht wenig und schwang sich zu einer ganz unbegrenzten Verehrung auf, als am Schlusse der Sitzung Caraffa sich erhob und mit jener erhabenen Glut, die eine aus dem Geiste entsprungene Leidenschaft dem Menschen verleiht, zu den Anwesenden sprach:

»Bedenken Sie, bevor wir auseinander gehen, daß wir zu Wächtern über die große Sache der katholischen Einheit bestellt sind; es gibt auf Erden kein Meer und kein Gebirge, das der Herrschaft des Kreuzes eine Grenze setzen könnte, und kein Volk, das sich der allumfassenden entziehen dürfte. Bedenken Sie, meine Freunde, daß zur Erhaltung dieser Einheit die äußerste Anstrengung gegenüber den verpesteten Schismatikern vonnöten ist; niemand würdige sich herab, diese Eiterbeulen am weißen Leibe Christi zu dulden, sondern gehe jeder auf den mindesten Verdacht unverzüglich ans Werk und nehme keinerlei Rücksicht auf Fürsten und Prälaten, wenn sie sich etwa mit dem Schilde eines Machthabers verteidigen wollten. Und verflucht sei, wer das Werk des Herrn lässig tut, wer sein Schwert aufhält, daß es nicht Blut vergieße!«

Diese Worte sagte der Cardinal mit erhobenen Händen, mit glühendem Blick und zornbebender Stimme; eine ungewisse, beklommene Angst bemächtigte sich aller, die es hörten, und wich erst, als Caraffa milde hinzufügte:

»Wer das Geständnis ablegt, sei mit Sanftmut und väterlichem Erbarmen zu behandeln.«

Als Ambrogio und Felice an jenem Abend ihrem Kloster zuschritten, schwamm eben die erste Mondsichel im silbrigen Dunste ihres Lichtes, schaukelte sich selig auf rosa Abendwölkchen und schien auf ihnen in luftiger Schwingung davonzufahren. Weshalb sollte sie auch ihre Anmut einer Welt feilbieten, deren vernünftige Bewohner ihre Häupter senkten, statt hingebungsvoll anzuschauen? Ach, schon waren Felices Augen für dieses Abends herbstliche Schönheit blind geworden, schon wandte er sich mit einem qualvollen Ausdruck auf dem jungen Gesicht zu Ambrogio und sagte:

»Bruder, mein Gewissen klagt mich an; ich habe hingelebt, als sei unseres Herrn Christi Werk auf Erden getan. Wie soll ich vor ihm bestehen, der verheißen hat, die Lauen aus seinem Munde auszuspeien?«

»Gemach,« tröstete Ambrogio, »der eine pflanzt, der andere begießt, und der dritte rauft das Unkraut; am Ende bekommen sie alle ihren gerechten Tagelohn.«

Die folgenden Tage verlebte Felice dringlicher in religiöser Betrachtung, als es bisher seine Gewohnheit gewesen war. Da geschah es, als er eben glaubte, die römische Inquisition als eine segensvolle, notwendige, wenn auch schwere Einrichtung deutlich erkannt zu haben, daß der Prior von Santa Maria sopra Minerva ihn mit dem Auftrag in den Palast der Colonnas schickte, einen im Kloster verfaßten Traktat »über die große deutsche Häresie« der Fürstin in ihre eigenen, schönen Hände zu legen.

»Zur Befestigung des katholischen Glaubens,« sagte der Prior, der ihr Beichtvater war, indem er lächelnd die Augen schloß und wieder öffnete, »und mit einem Gruß und väterlichen Segen.«

Es war um die Abendstunde, als Felice klopfenden Herzens dem allzu nahen Quirinal entgegenschritt, denn der Weg zu einer Fürstin war verlockend und beängstigend zugleich; deshalb verlangsamte er, je näher er dem Palast kam, desto mehr seinen Schritt, blieb auch von Zeit zu Zeit stehen und begann, teils um seine Unruhe zu meistern, teils um ein wenig zu sehen, was der Bruder Dominikaner Schauriges zu erzählen gewußt hatte, in dem Büchlein zu blättern und zu lesen. Da es in lateinischer Sprache verfaßt war, begriff er, daß die Fürstin an Gelehrsamkeit mit Männern wetteifere, doch die erbauliche und zugleich schmeichelhafte Widmung belehrte ihn, daß sie auch als Frau um ihrer Schönheit willen gefeiert zu werden wünsche.

Nur zu bald befand sich Felice vor der schwierigen Aufgabe, den Trotz der Diener zu passieren, um sich seiner Mission entledigen zu können; soviel hatte er schon im kurzen Umgang mit Vornehmen erfahren, daß diese selbst mit Huld und Herablassung zu sprechen pflegen, daß aber ihre Diener nicht selten, was jenen an törichtem Hochmut mangelt, durch eigne Dünkelhaftigkeit und Härte ersetzen möchten. Aber der betreßte Lakai im Portal des Palastes nahm ihn keineswegs, wie er gefürchtet hatte, für einen Mönch, der eben im Begriff ist, seine Bettelpflicht auszuüben, sondern fragte ihn ohne aufdringliche Belästigung, ob er vor die Herzogin geführt zu werden wünsche, übergab ihn einem zweiten Betreßten, bis ein dritter ihn an die Schwelle und vor das Angesicht der schönsten Frau Roms brachte. Das Büchlein in seiner Hand hatte die Dienerschaft mehr von der Berechtigung seines Besuches im Empfangszimmer der Herzogin überzeugt, als ihm selbst lieb war, denn nicht ungern hätte er seinen Eintritt durch umständliche Erzählung, was es mit dem Buche für eine Bewandtnis habe, noch um einige Augenblicke verzögert.

Jetzt, als er vor Giovanna Colonna stand, und noch dazu mit Bestürzung einen Kreis von Herren und Damen bemerkte, die alle, wie er sofort erkannte, über die Maßen vornehm, gelehrt und schön waren, versagte ihm seine Sprache vollständig, was indessen wenig schadete, da die Herzogin ihm sogleich mit freundlichem Lächeln das Buch aus der Hand nahm und ausrief: »Das kommt mir gewiß von meinem lieben Prior!« worauf sie sich zu ihren Gästen kehrte, den Titel des Buches und seine zierlich gesetzte Widmung laut vorlas und scherzend hinzufügte: »Sollte ich die einzige unter uns sein, die solcher Lektion von ihrem Beichtvater bedarf?«

Der Herzog Ascanio ließ diese Frage seiner Gemahlin als eine rhetorische unbeantwortet im Saale verklingen und wandte sich nicht ohne Schärfe an ein kleines, verwachsenes Männchen, das sich in seinem Prunksessel ganz verloren haben würde, hätten die adlerscharfen Augen nicht fortwährend und von jedem Anwesenden eine Stellungnahme zu der lächerlichen Ungestalt erheischt.

»Don Niccolò,« redete der Herzog den wunderlichen Krüppel an, »Ihr seid uns eine Aufklärung über Eure jüngsten Funde am römischen Sternenhimmel schuldig!«

Indessen begriff Felice, daß der Herzog keinen Gefallen an religiösen Unterhaltungen haben möchte, und da er sich zu unscheinbar dünkte, als dekorierende oder kontrastierende Figur in einem fürstlichen Saale zu stehen, bat er um die Erlaubnis, sich zurückzuziehen. Aber Giovanna Colonna, die ihre Empfänge niemals gelungener fand, als wenn sie dabei die unähnlichsten Menschen zwingen konnte, ihre Rede gegeneinander und ihren Anblick nebeneinander abzumessen, nötigte den Mönch, sich zu setzen und winkte einem Diener, der sogleich dem neuen Gaste goldklaren im Herzogtum Palliano gewachsenen Wein kredenzte.

Don Niccolò, der gern von der ganzen Gesellschaft gehört wurde, wenn er sprach, hatte Felices Niedersitzen abgewartet, bis er die Frage des Herzogs mit einer Gegenfrage und ironisch beantwortete:

»Der römische Sternenhimmel ist mannigfach,« sagte er, »da gibt es den der Frauenschönheit, den der Literatur, den der katholischen Heiligkeit …«

»Don Niccolò,« unterbrach ihn der Herzog, »ich pflege nicht unter gewählten Bildern meine Meinungen zu verbergen, – dazu, im Ernst, – die neuen Sterne der Frauenschönheit entgehen meinem Späherauge so wenig wie die aufleuchtenden Poeten sich dem Kennerblick meiner Frau zu entziehen vermögen –«

»Bleiben noch immer die sanften Planeten der Heiligkeit,« lächelte der Unhold geheimnisvoll, »aber auch diese lassen sich einzig an dem Sternenhimmel erkennen, der sich über uns allen wölbt.«

»Du mußt wissen, Ascanio,« wandte sich Giovanna an ihren Gatten, »daß Don Niccolò, seit er die letzten Weihen empfangen hat, in päpstliche Dienste getreten ist; nun findet er unablässig die Bahnen der neuen oder zukünftigen Heiligen auf.«

Niccolò nahm eine würdevolle Miene an, als er entgegnete: »Seine Heiligkeit sind sehr weise, sich um die Schicksale ihrer Nebenbuhler zu kümmern; jeder König und Feldherr, wenn er nicht ein Barbar oder ein unfähiger Nachkomme ist, tut das gleiche!«

»Seine Heiligkeit ist indessen von der Heiligkeit, die in den Sternen geschrieben steht, noch ziemlich weit entfernt,« bemerkte eine hühnenhafte Gestalt Namens Curione, und mit der leidigen Eigenschaft behaftet, das Gespräch von der Literatur, der Astronomie oder dem gewöhnlichsten Stadtklatsch auf die Fragen der Religion hinüber zu leiten.

»Mag sein,« entgegnete Niccolò; »um so heftiger erregt ihn meine neueste Entdeckung.«

Endlich hingen, wie Don Niccolò es wünschte, aller Augen an seinem blassen, spöttischen Munde.

»Unser heiliger Vater,« sagte er, »hat den Ehrgeiz, den Namen Paolo terzo als einen glänzenden in die Geschichte eingraben zu wollen; er erstrebt, einen Höhepunkt darzustellen, zu dem die Welt gedrängt hat, und davon sie nach seinem Tode notwendig und klagend wieder absteigen muß; nichts ist ihm daher unwillkommener als eine gewisse Tendenz in seinem geliebten Rom, die er als ein guter Statthalter Christi unterstützen muß, und die doch über ihn hinauszielt; es ist die Tendenz, die schon in den wüsten Tagen der Borgias ihren Anfang genommen hat, und die unentwegt durch alle wechselnden Pontifikate proklamiert: es wird ein heiliger Papst den Stuhl Petri besteigen, – vor dem die Lästerungen, der Antichrist habe das Apostelamt auf Erden im Vatikan weitergeführt, verstummen müssen, – man lasse nur Gott mit seinem langsamen Pfluge das Feld bestellen – oder, wie Seine Heiligkeit und ihr bescheidener Diener Niccolò sich ausdrücken: man lasse die Gestirne ihren königlichen Lauf vollenden!«

»Die deutschen Soldaten haben schon vor 18 Jahren ein Konklave im Vatikan abgehalten,« warf Curione brüsk dazwischen, »und Martin Luther zum Papst ausgerufen; aber da hätte ein Komet mit flammendem Schweif am Himmel stehen müssen, bis euch Überklugen aufgegangen wäre, daß Gottes eiserne Zuchtrute die versumpften Ministranten auf Erden peitscht.«

Schon wollten einige Gäste den kecken Redner durch Worte und Gebärden strafen, als Niccolò ungekränkt und dringlich weiter redete:

»Es hätte auch, Messer Curione, ein Komet am Himmel gestanden, wenn Martin Luther der Richtige gewesen wäre. Indessen haben mich die himmlischen Wegweiser auf eine andere Fährte geführt; ich habe im Einverständnis mit Seiner Heiligkeit unter unendlich mühseligen Berechnungen die Konstellationen Alexanders VI. studiert; da fand ich im Augenblick der tiefsten Schmach, am Todestage dieses Ungeheuers, ein seltsam prophetisches Sternbild –«

Don Niccolò erhob sich in seinem Sessel und sprach mit helltönender Stimme:

»Meine Damen und Herren! Ich versichere sie, während der Borgia starb, ging ein Weib mit einem Knaben schwanger, der die Krone der Heiligkeit mit der päpstlichen Tiara auf seinem Haupte vereinigen wird!«

Curione, der seinen zügellosen Ideen zum Trotz ängstlich an die Kunst der Astrologen glaubte, sagte darauf kleinlaut:

»Ihr habt indessen, Messer Niccolò, nicht herausgefunden, auf welchem Felde die Heiligkeit des zukünftigen Papstes erblüht ist,« und indem er sich zu dem anwesenden Cardinal Contarini wandte, dessen milde und gerechte Gesinnung alle Parteien für sich in Anspruch nahmen, fuhr er fort:

»Seine Eminenz wird Euch beweisen, daß auch jenseits der Alpen, in den Herzen der geschmähten und verfolgten Ketzer Glaube und christliche Frömmigkeit wohnen.«

»Glaube und Frömmigkeit gewiß,« antwortete der Cardinal mit Güte, »nur Heiligkeit, mein Bester, habe ich dort nicht gefunden; die kann nur gedeihen, wo sie geglaubt und verehrt wird.«

Der also verwiesene Curione begnügte sich statt aller Antwort mit einem schmachtenden Seufzer: »O freies Deutschland, freie Schweiz!«

Auch mischte sich bereits der Herzog ungeduldig in das Gespräch, das er nicht willens war, in diesem gefährlichen Bette weiterfließen zu lassen.

»Don Niccolò,« redete er diesen an, »ich bewundere Eure arithmetischen Künste nicht weniger als Eure Gabe, die leblosen Zahlen reden zu machen; aber es will mir nicht gefallen, daß Ihr Euch mit dem Auskundschaften von Pfaffenschicksal eifriger befaßt, als einen Mann ergötzen kann,« – und, da eben des Herzogs halbwüchsiger Knabe Marc Anton in den Saal kam, winkte ihn der Vater zu sich heran, ergriff ihn bei den Händen und sagte stolz:

»Hier, dieser soll mir immer ungeschoren bleiben, und wenn er sich mit seiner Tonsur St. Peters Schlüssel in die Hände beten könnte; aber ob der Ruhmeskranz gewonnener Schlachten unsichtbar über diesen Locken schwebt, darüber bin auch ich versucht, die Sterne und Euch Don Niccolò auszufragen!«

»Exzellenz,« erwiderte der kleine Prophet, »wenn dem Prinzen ein siegreiches Schwert beschieden ist, so gebe der Himmel, daß er es im Dienste des heiligen Papstes führen möge.«

»Gott verdamme alle pfäffische Heiligkeit!« fluchte der Herzog und ließ heftig von dem Knaben ab; indessen wandte sich Contarini, der das erregte Gemüt des Gastgebers gern mit einer sinnigen Zerstreuung besänftigen wollte, an die Marchesa Peskara und sagte galant:

»Euer Gnaden lassen uns heute darben. Sie wissen, daß ich ein Verehrer Ihrer Poesien bin, und würde mich und alle Anwesenden für glücklich schätzen, wenn Sie die Gnade haben wollten, unsre Herzen durch ihre jüngste Komposition zu rühren.«

»Ja, das solltest du wirklich, Vittoria!« drängte Ascanio, dem in diesem Augenblick die mäßig bewegte Seelenstimmung, die ein kunstvolles Sonett zu verbreiten pflegt, erstrebenswerter denn je erschien.

Auch ließ sich die Marchesa nicht lange bitten, sondern griff geschmeichelt in ihren Busen, dem sie ein beschriebenes Blatt Papier entnahm und davon mit lispelnder Stimme ablas:

Auf den Tod eines Jünglings.

O Menschenblüte, früh herabgeweht
Vom rosa Lebensbaum zur kahlen Erde,
Sprach dir nicht auch der ew'ge Schöpfer: Werde!
Hat er dich, Knabe, nicht zur Frucht gesät?
Wir alle klagen, wenn der Lenz vergeht,
Und achten dennoch keiner Glut und Fährde,
Die nachmals kommt, und ängstlicher Beschwerde,
Wenn hoch die Ernte unsres Sommers steht.

Dir ward, o Jüngling, ein bescheidnes Los;
Zur Unzeit ruhst du in der Erde Schoß,
Die deine Männerschritte tragen sollte.
Doch Knabe, war dein Glaube männlich groß,
Der band auch deine Seele frei und los.
Nun preis' ich dich, die ich doch klagen wollte.

Die Herren beeilten sich, der Dichterin unsterblichen Nachruhm zu prophezeien, und die Damen zerdrückten eine Träne in ihren Spitzentüchern; »ich habe ihn gekannt,« schluchzte die Gräfin Piccolomini, »es war der junge Gian Pietrino, ein göttlicher Knabe!«

Nur Giovannas Seele war offenbar nicht auf den Ton der Rührung gestimmt, denn ihre Augen, weit entfernt, sich mit Tränen zu füllen, blitzten vor Kampfeslust, als sie sich zu Felice wandte, und ihn heuchlerisch fragte:

»Wie gefällt Euch das neue Sonett der sapphischen Marchesa?«

Felice, der bisher nur gesehen und gehört, aber gewiß nicht mitgeredet hatte, fand in der Verwirrung, von der Herzogin angesprochen und über das Gedicht einer Marchesa gefragt zu sein, nur mit Mühe den notwendigen Mut, stammelnd zu beteuern, daß er Ähnliches und Schöneres nie in seinem Leben gehört habe.

»Aber habt Ihr denn nicht bemerkt, guter Bruder,« spottete Giovanna, »daß in diesem Sonett nichts anderes als der Glaube des gestorbnen Jünglings gefeiert wird? Ob er auch tugendhaft und eifrig zu guten Werken gewesen ist, erfahren wir mit keinem Wort.«

»Es läßt sich indessen für gewiß annehmen,« stotterte Felice.

»Keineswegs,« entgegnete Giovanna unbarmherzig, »ich werde mich mit dem Prior darüber besprechen, und müßte mich höchlich wundern, wenn er nicht für das ewige Schicksal dieses Jünglings Sorge trüge. Einstweilen aber gestehe du selbst Vittoria« – wandte sie sich darauf an die Marchesa Peskara, – »ob nicht Giovanni Valdez eine lebhaftere Freude an deinem Gedicht empfinden würde, als der Kardinal Caraffa?«

»Liebe Giovanna,« antwortete Vittoria Colonna nicht ohne Vorsicht, »es steht mir nicht an, in einem Sonett, das nichts anderem als der Wehmut dienen soll, Dinge zu bevorzugen, die vor ein allgemeines Konzil gehören und erst nachmals als entschieden gelten dürfen. Einstweilen verhehle ich nicht, daß mir der Glaube gefällt, die Seele gehe durch die himmlische Gnade zur Anschauung Gottes ein.«

»Und ich,« rief Giovanna triumphierend, »bekenne frei, daß ich unsern Herrn Christus nicht für einen Krämer halte, der meine Almosen gegen meine Eitelkeiten abwägt! Gnade bleibt Gnade! Und ein rechter König, der dem armen Sünder unterm Galgen das Leben schenkt, sperrt ihn nicht noch zur Buße in ein dunkles Gefängnis. Sollte Gott nicht von allen Königen der großmütigste sein?«

»Giovanna,« sagte der Herzog diesmal ohne Ungeduld, aber bis in die Lippen erblassend, – »ich beschwöre dich! …«

Aber schon hatten die kühnen Worte der Herzogin im Saale gezündet, und Curione stellte sich breitspurig einem zierlichen Tischchen zur Seite, das aus Rosenholz gearbeitet und mit Elfenbein eingelegt war, und bei einem kräftigen Fluch umzufallen drohte.

»Evviva Frau Herzogin!« rief Curione pathetisch, »die Frauen werden reden, wenn die Männer anfangen zu schweigen; und das tun die Männer, seit gewisse schwarze Raben aus der Leonsstadt ausfliegen und den Menschen die Augen aushacken, damit sie erkennen, welches die rechte Lehre sei; kann aber Feuer und Schwert einem aufrichtigen Menschen Treu und Glauben beibringen –?«

Curione sah sich in seinem rednerischen Erguß unliebsam durch Don Niccolò unterbrochen, der ernsthaft antwortete:

»Das kann allerdings Feuer und Schwert sehr gut, Messer Curione, – o sehr gut!«

»Einer, der ein Mann ist und ein Schwert führen könnte,« warf Curione dem verwachsenen Sterndeuter verächtlich entgegen, »spricht von Gottes Werken, daß sie in den Herzen der Menschen mit der Predigt und der lauteren Lehre ausgerichtet werden müssen. Das Schwert, sagt Martin Luther, ist kein nütze, hilft nicht das Wort, muß Gottes Werk unausgerichtet bleiben!«

Bei dieser Rede war Curione immer bedrohlicher auf Don Niccolò zugeschritten, dessen Augen wie solche des sichren Siegers funkelnd aber kalt auf dem Hünen ruhten.

Erst als Curione ausgesprochen hatte, erhob sich Niccolò, so hoch er konnte, zog, während er sich auf die Zehenspitzen stellte, ein Handschreiben mit päpstlichem Siegel hervor und sagte eisig:

»Im Namen des heiligen Offiziums, – das geht zu weit!«

Da packte alle, die es hörten, ein sinnverwirrtes Grauen; man saß mit seinen Freunden beim Becher Weines, man hielt mit seiner Familie das Nachtmahl, man ging oder stand, wo immer man wollte, schon war das Rüstzeug bereit, die geheimsten Gedanken, tiefe oder leichte, auf einer fürchterlichen Wagschale abzuwägen. Keiner war in diesem Augenblick auf seinem Sessel verblieben, jeder aber um eines Schrittes Breite von Don Niccolò zurückgewichen; auch übersahen sie alle in ihrem starren Entsetzen, daß für diesmal das Opfer ein Riese und der Kerkermeister ein Zwerg war, und daß jener sich nicht in Furcht und Ehrfurcht würde binden lassen. Eine Blutwelle des Zorns und der Verwirrung stürzte Curione ins Gesicht, aber noch ehe sie zum Herzen zurückgekehrt war, hatte er lachend dem erschreckten Häscher in die Soutane gegriffen und gerufen:

»Such' dir einen andern, du Tintenklex der Natur!« Sprach's und schritt dröhnend zum Saale heraus, nahm sein Schwert und sein Roß und sprengte über den Corso durch die Porta del Popolo die Via Flaminia herunter; erst auf der Milvischen Brücke kehrte er noch einmal sein Antlitz der ewigen Stadt zu, ohne freilich das Pferd zu wenden, dem er nach getanem Gruß und Lebewohl die Sporen gab, in scharfen Ritten den Norden und die Freiheit zu erreichen.

Indessen ging im Palazzo Colonna die Gesellschaft verstört und aufgescheucht auseinander. Don Niccolò hatte nach seiner Niederlage versucht, durch eine fadenscheinige Rede sein altes Ansehen wieder herzustellen, aber er bemerkte bald, daß in dieser Stunde kein fühlendes Herz sich ihm anders als mit Scheu und Ekel nahen könnte, und verließ, nachdem der Herzog ihm noch mit Würde vorgestellt hatte, wie er den Frieden seines Hauses habe antasten können, achselzuckend den Palast.

Verstörter als alle, und in seinem Gemüt jeder Versuchung, die ein Christenherz treffen kann, preisgegeben, kehrte Felice in das Kloster zurück. Der Prior, der von der Herzogin einen der wohlgesetzten Widmung entsprechenden Dank erwartet hatte, konnte nur mit Mühe und unter vielerlei Fragen dem jungen Mönch eine unvollkommene Erzählung über die Ereignisse im Hause der Colonnas entlocken; doch fügte er aus seiner Kenntnis der Dinge das Unverbundne, das Felice hervorbrachte, zu einem Ganzen zusammen und bestrebte sich, die haltlosen Gefühle des Jünglings wieder auf einen sichren Weg zu leiten.

»Bescheide dich, mein Bruder,« redete er zu Felice, »und versuche nicht jede Meinung verstehen zu wollen; denn es gibt deren nur zwei, nämlich die falsche und die richtige Meinung. Es ist mir nicht verborgen, daß die heilige Inquisition furchtbar ist wie das Gericht Gottes; Gott aber, der von jeher den Unglauben als ein Verbrechen geahndet hat, konnte nicht Zärtlinge zu Wächtern über sein heiligstes Vermächtnis setzen, sondern Gralsritter, die die Pflicht des Kampfes von der Pflicht überströmender Vergebung zu unterscheiden wissen.«

Indem der Prior noch Felice ermahnte, das Haus des Kardinals Caraffa nicht zu meiden, damit er seine unruhige Seele vergewissere, daß tugendhafte Männer, aber nicht Henkersknechte jenes schwere, richterliche Amt auf sich genommen hätten, entließ er den jungen Mönch, der sich demütig in seine Zelle zurückzog und die Nacht mit Beten verbrachte.

Am nächstfolgenden Nachmittag fanden sich Ambrogio und Felice im Palazzo Caraffa ein.

Um dieselbe Stunde stieg von der Via Marmorata her ein Mönch auf den Aventin und zog vor Santa Sabina die Klosterglocke; der Bruder Pförtner führte ihn vor den Prior, dieser aber konnte sich eines Lächelns nicht erwehren, als er die hagre Gestalt in einer zerfetzten Kutte, von Staub und Schweiß bedeckt, dazu die rätselhaft fragenden Augen des Mönches vor sich sah. »Ein kranker Schwärmer,« urteilte er in seinem befangenen Gemüt, und sagte spöttisch: »Guter Pater, seid Ihr nach Rom gekommen, um im nächsten Conclave zum Papst gewählt zu werden?«

Michele Ghislieri sah den über seine leibliche Verkommenheit Scherzenden traurig an und entgegnete: »Es ist wahr, ich habe mich lange abseits von den Menschen verweilt; nun will ich hier meine Geschäfte mit ihnen in Eile vollziehen; bis dahin erbitte ich von Eurer brüderlichen Liebe ein Obdach und ein wenig Speise, denn ich glaube, mich hungert.«

Der Prior wies dem seltsamen Wanderer die Zelle an, die neben derjenigen gelegen ist, wo einst der heilige Dominikus gerastet und gebetet hat, stärkte ihn mit Wein und Polenta, worauf Bruder Michele ein kurzes Gebet verrichtete und sich unverzüglich auf seinen Weg machte.

So geschah es, daß Kardinal Caraffa noch mit seinen Ratgebern, Freunden und Schülern versammelt war, als Michele Ghislieri begehrte, vor ihn geführt zu werden. Seltsam wie auf Sta. Sabina erschien auch hier seine unzeitliche Gestalt im Rahmen der Tür, aber Caraffa, der den Menschen hellsichtiger ins Antlitz zu schauen pflegte als der Prior auf dem Aventin, nötigte den Unbekannten mit großer Ehrfurcht an seinen Tisch und schien eine Offenbarung seines verklärten Wesens zu erwarten. Da traten Ambrogio und Felice vor, grüßten den Ankömmling unter vielen Zeichen der Freude, und Ambrogio entledigte sich seiner Botschaft mit den Worten des Priors von Voghera:

»Dein Bruder Balthasar läßt dir sagen: ein Sohn des mütterlichen Hauses, das deine erblühende Seele gespeist hat, ist verloren gegangen; du aber rette ihn durch dein unbeflecktes Gebet.«

Michele Ghislieri senkte das mächtige Haupt, als er von dem verirrten Schafe hörte, und den schweren Verlust einer unsterblichen Seele kummervoll in seinem Herzen erwog; darauf entsann er sich der ihm zuteil gewordenen Berufung und antwortete vor Scham erglühend:

»Wer bin ich, daß mein Gebet vor dem Throne Gottes angenehm sein könnte?«

Aber Caraffa, hingerissen von der Gebärde dieses Mönches, rief ihm entgegen:

»Du bist ein auserwähltes Rüstzeug Gottes; ein Gefäß, das zur Verherrlichung geschaffen wurde!«



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