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Erstes Kapitel.

P Prior Balthasar Schanz, der einst von seiner italienischen Mutter die Lebhaftigkeit des Wesens und vorschnelle Art geerbt hatte, liebte es seit seiner Jugend und in Erkenntnis der eigenen Natur, das Gebot des Schweigens, dem jeder Dominikanermönch täglich auf Stunden unterworfen ist, für sich selbst um ein Beträchtliches auszudehnen und zu verschärfen; denn er schätzte die Früchte des Schweigens, die da sind: Andacht und Innigkeit des Herzens, Zurückhaltung und Reife des Geistes, und strebte fleißig danach, sie für sich zu gewinnen. Wollte aber die Lage der Welt, wollten insonderheit die Wechselbeziehungen zwischen seinem deutschen Vaterlande und der mütterlichen Heimat Italien durchaus wegen ihrer Bedeutsamkeit erörtert und besprochen werden, so begegnete es ihm nicht selten, daß er in ungeduldiger Erwartung des Glockenzeichens wie ein gefangenes und gequältes Tier in seiner Zelle auf und ab lief, lebhaft gestikulierend, um die Freiheit, die der Zunge versagt war, durch energische Betätigung der Gliedmaßen unvollkommen zu ersetzen. Trieb einmal der Strom der Weltgeschicke im eingeschlagenen Bette vorwärts, war aus dem Neuen mählich wieder ein Altes geworden, so entwichen die zeitlichen Fragen mit ihrem Hang zur Geschwätzigkeit aus der einsamen Zelle des Priors, und Muße zur Betrachtung unvergänglicher Dinge stellte sich mit ihrer friedlichen Gefolgschaft ein. Hatte er dann seine Gebete vollendet, so pflegte er gern am eisenvergitterten Fenster zu stehen, mit beiden Händen in die Stäbe greifend, und ließ seine Gedanken vom Anblick des ausgebreiteten lombardischen Landes einladen, nach Norden und Süden Umschweif zu halten. Nur selten verblieben sie bei den fruchtbaren kleinen Quadraten von Weideland und Maisfeld, die durch Pappeln oder Maulbeerbäume sauber voneinander geschieden waren und in ihrer Bescheidenheit ein Bild anspruchslosen Friedens abgaben; lieber schwangen sie sich, einen sehnsüchtigen Blick nach Osten weitertragend, über die dort sanft dahinziehende Hügelkette, welche, von bläulichem Dunst umsponnen, geheimnisvoll zwischen dem nach allen Himmeln unbegrenzten Lande diesseits, und den Wundern der Welt jenseits zu lagern schien. Auch folgten die Gedanken nicht ungern einer der beiden großen Heerstraßen, die rechts und links am Kloster vorbeizogen, und die er in früherer Zeit selbst oft gewandert war, um nach der Bestimmung seines Ordens zu lehren und zu predigen und den Unglücklichen beizustehen. Sah er nun im weißlichen Staube der Landstraße die Heimkehrenden auftauchen, so schlug sein Herz schneller, in Erwartung der neuen Zeitung, die sie ihm je nach ihrem Auftrag aus den lombardischen Städten, aus dem fernen Rom oder gar von jenseits der Alpen aus Thüringen und Sachsen mitbringen würden.

Es war an einem herbstlichen Tage, da der regenfeuchte Westwind alles Ferne dem betrachtenden Auge näher und in dunklen, deutlichen Umrissen erscheinen ließ; die Colli, die sie die von Rivanazzano nennen, hatten Duft und Hülle von sich getan und zeigten ihre grünbewachsenen Wände unverschleiert; Bäume und Sträucher, denen in monatelanger Trockenheit der Staub schon wie ein Eignes angehaftet hatte, waren gebadet und geputzt, und selbst die Landstraße – endlos und gerade, wie sie nur die Ebene kennt – hatte von ihrer blendenden Weiße nachgelassen: siehe, da gab der schwindende Horizont eine menschliche Gestalt von sich, deren faltiges Gewand sowohl eine Mönchskutte als einen Weiberrock bedeuten konnte; auch auf einen jüdischen Handelsmann hätte der Dritte gewettet, wie sie häufig mit ihrer Ware von Genua nach Mailand auf dieser Straße gezogen kamen. Prior Balthasar an seinem Fenster reckte den Hals, und fast wäre ihm ein leichtfertiger Schwur über die Lippen gekommen, wenn sich solches für einen katholischen Christen geziemte, und wenn, wonach er vergeblich mit den Augen suchte, eine zweite Gestalt und Kutte neben der ersten sichtbar geworden wäre. Diese Abwesenheit des Zweiten verwirrte noch für eine kleine Weile das Urteil, welches der erste Blick ohne Zögern und Umschweif abzugeben bereit war: es ist Bruder Giorgio; zwanzig weitere Maulbeerbäume mochte der Ankömmling abgeschritten haben, da mußte die Vernunft ihren Gegenbeweisen zum Trotz dem Auge zugestehn: es ist in Wahrheit Bruder Giorgio. Wo aber war Benjamin?

Bruder Benjamin stammte von Thüringer Eltern, die dem Sohn den bescheideneren Namen Anton gegeben hatten; mit ihnen war er in seinem vierzehnten Lebensjahr über die Alpen gezogen, weil der Vater, von welschen Versprechungen angelockt, im gesegneten Lande der Sonne sein spärliches Brot zu verdoppeln hoffte. Damals schrieben sie das Jahr des Herrn 1535. An des Glückes Stelle hatten Vater und Mutter durch ein böses Fieber unverhofften Tod gefunden, und der verlassene Knabe hing sich an den mitleidigen Mönch aus Voghera, Bruder Balthasar, der eben auf dem Marktplatz von Bosco, wo die Eltern von der Hand Gottes gerührt waren, eine Bußpredigt gehalten hatte. Bruder Balthasar gewann den Knaben lieb, wie denn alle Verwaisten ein natürliches Anrecht auf die Güte seines Herzens besaßen, und erwarb sich für seinen Schützling von dem derzeitigen Prior die Erlaubnis, ihm im Kloster zu Voghera Haus und Heimat zu schenken. Weil er ihn nun, auch als der Knabe schon ein Jüngling und hellen und verständigen Geistes dazu geworden war, noch immer wie seinen Augapfel zu hüten pflegte, hatte Anton mit der Zeit im Munde der Brüder den zärtlichen Namen Benjamin erhalten.

Nomen est omen. Prior Balthasar ließ wie weiland Vater Jakob alle Söhne seines Hauses ziehen, nur behielt er Benjamin, der unterdessen schon sein 24. Jahr vollendet hatte, im Kloster zurück; denn die Sorge, dem Kinde möchte ein Ungemach zustoßen, machte den Freigebigen sparsam mit seiner Kostbarkeit.

Indessen zeigte es sich, daß Benjamin vom Himmel mit einer seltenen Rednergabe geschmückt war, durch die er, wenn der Prior solche Übung gestattete, die im Kapitelsaal versammelten Brüder oftmals zu Tränen rührte. Da war es zu Anfang des laufenden Jahres geschehen, daß Benjamin den biblischen Satz von des Menschen Gerechtigkeit aus dem Glauben gedeutet hatte, als gälte es, einer Schar von Ketzern das Licht der Wahrheit aufzustecken; der Prior aber mußte nachmals im Kreuzgang, wo die Brüder sich lobend und bewundernd ergingen, die vorwurfsvollen Worte hören, die einer zum andern sagte: »Bedürfen wir, die wir im rechten Glauben verblieben sind, solche Gewalt der Rede, die mehr ist als erbaulich? Und unsre deutschen, verführten Brüder, deren Zunge doch Benjamin redet, schmachten im Irrsinn einer falschen Lehre.« Da fühlte der Prior seine schwache Stelle getroffen, ging hin und gelobte Gott, Benjamin zu seiner Ehre von sich zu lassen und ihn Bruder Giorgio, der wie sein Schutzpatron fromm und ritterlich zugleich war, auf eine Reise nach Deutschland mitzugeben.

Als nun der Prior Bruder Giorgio allein die Landstraße heraufkommen sah, wurde ihm bald seine Zelle zu eng und zu still; die hagere Hand streckte sich in der Richtung des Türgriffs aus und schloß sich wieder krampfhaft in der leeren Luft, bis Prior Balthasar für diesmal die kleine Abweichung von der selbstgewählten Pflicht des Schweigens Gott befahl, die Tür entschlossen aufriß und hinausrief: » Giovanni, Fra Giovanni!«

Der Gerufene, einer von den Stillen, trat aus seiner Zelle, wie andere um Mitternacht aus tiefen Träumen aufzustehen pflegen – verstört, und noch den Schimmer einer unsichtbaren Welt auf seinem Antlitz. Balthasar winkte und zog ihn eilig in die Prioratszelle, stellte sich mit unglücklicher Gebärde vor ihn hin und rief klagend aus: »Gott behüte uns alle vor Mord und Gefangenschaft! Bruder Giorgio kommt ohne das Kind zurück.« Ja, so war es wirklich. Giovanni trat ans Fenster und ließ einen Seufzer ausgehen, denn schon glaubte er Giorgio, dessen unstörbare Glückseligkeit sie alle zu überstrahlen pflegte, als einen Bekümmerten zu erkennen.

Schwer und langsam zogen die Augenblicke durch das dämmerige Gemach, bis draußen Bruder Giorgio das Kloster erreicht hatte und die Torglocke schrill erschallen ließ; da hielt es den Prior nicht länger in seinen vier Wänden; er stieg eilig die schmale Wendeltreppe hinunter, umarmte den Heimkehrenden und konnte vor großer Erregung nicht fragen und sagen: »Wo ist unser Bruder Benjamin?« Und als er nun Bruder Giorgio in das veränderte Antlitz sah, blieb ihm Frage und Rede abermals ungesprochen im Halse stecken; Giorgio aber, dessen gerades Wesen die bittren Wahrheiten nur schwer durch freundliche Umkleidung etwas sanfter gestalten konnte, sah den Prior mit einem trostlosen Blicke an und antwortete rauh: »Er ist lutherisch geworden!«

*

Der Tag neigte sich zu seinem Ende. Es war ein schweigsames Nachtmahl, das die Mönche von Voghera miteinander hielten, und ungleich der festlichen Freude, die sonst die Heimkehr der Brüder aus entlegenem Himmelsstrich zu verbreiten pflegte, wenn der gütige Prior die gebundenen Zungen löste und unter wechselnden Gesprächen einem jeden durch das still gewordene Gemüt ein frischer Hauch von draußen zog. Heute wagte kaum einer, Blick und Rede an seinen Nachbar zu richten, und er selbst, der Unglückverkünder, brütete vor sich hin, und der stumme, leergebliebene Platz an seiner Seite vergiftete ihm Speise und Trank. Da läutete der Bruder Glöckner die erste Stunde der Nacht, und die Mönche schlichen ein jeder in seine Zelle; nur der Prior hatte noch einen Auftrag an den jüngsten Laienbruder und befahl ihm, die Lampe in der Prioratszelle frisch mit Öl anzufüllen, auch den Ölkrug stehen zu lassen, denn eine Nacht ist lang, und trübe genug wird Giorgios Erzählung sich im Raume ausbreiten; da bedarf es wohl eines stetigen äußerlichen Lichtes, um nicht ganz in Hoffnungslosigkeit zu fallen.

Als der Bruder gegangen war, nahmen der Prior und Giorgio ihre Plätze am eichengeschnitzten Tische ein – ein Lieblingsstück des Priors, dem alles kunstvolle und Zierliche wohlgefiel – und Giorgio begann mit gesenkter Stirn:

»Vergönnt mir, mein Vater, daß ich zu gelegnerer Zeit erzähle, wie wir glücklich und in Frieden auf unsrer Hinfahrt durch Italien gezogen sind! – Herr! Ein leichtes Ding; denn wo die Kirche Gottes in allen Ehren steht, reisen ihre Diener gut; aber in der Schweiz ist die Wanderschaft hart und gefahrvoll, wo immer ein verlaufener Calviner Euch auf Eurem Wege begegnet; dem ist unser bescheidenes Gewand zu aller Zeit ärgerlich genug, mit Steinen und Wurfgeschossen danach zu zielen; hier – Ihr seht es –« damit wies er eine grob geflickte Stelle seiner Kutte vor, – »wir sind nicht geschont geblieben; es war ein Stein von Pfäffikon, der seinen Weg durch meinen Mantel genommen hat. Aber was weiß mein Herz und Eures von Pfäffikon und den Fährlichkeiten, die dem Wanderer auf Straßen und Märkten auflauern, ob er sie überwinde; Benjamin weilt in Wittenberg, und da weilen unsere Gedanken, und wie meine Brust voll ist, daß sie sich durch den Fluß der Rede entlade, so ist die Eure weit aufgetan, die unglückliche Geschichte zu empfangen.

Herr, – Benjamin konnte es in Bayern und Franken nicht halten; er hatte nicht selten auf den Plätzen gepredigt, daß ich staunen mußte, und der Haufe des Volkes ging mit erhitzten Köpfen auseinander; so oft ich dann zum Verweilen mahnte, denn mich dünkte, die ausgestreute Saat, die auf gutes Land gefallen war, bedurfte doch des Gärtners noch länger, um nicht vom überall in deutschen Landen üppig wuchernden Unkraut erstickt zu werden, so oft entgegnete er mit schwärmerischem Blick, Pflegen und Gießen sei nicht unser Werk, bis wir nicht die Höhle des Drachen erreicht hätten: Wittenberg. Der verblendete Tor! und nicht minder ich, – denn ich glaubte ihn von seinem Engel geführt und erkannte die mir zugewiesene Bestimmung darin, Steinwürfe, die nach ihm zielten, mit meinem Leibe aufzuhalten.«

»Wohlgetan,« sprach der Prior dazwischen, als Giorgio sinnend seine Rede unterbrochen hatte; »bis dahin reistet ihr mit Gott!«

»Ich habe mir nachmals,« entgegnete Giorgio gedankenschwer, »als ich nach geschehenem Unglück die Straßen südwärts zog, die wir zuvor im gewissen Glauben an unsere Berufung gewandert waren, Gottes dunklen Plan also zu erläutern versucht: Wodurch ein Mensch leuchtet, dadurch wird er auch versucht werden; ist einer unter uns ein Maler, so muß er mit seinem ganzen Herzen der süßesten Schönheit nachstreben – möge sie nun von Gott oder vom Satan geschaffen sein, – und muß seine Kunst an ihr messen, bis er ausrufen kann: Siehe, meine Schönheit ist über deiner; hat aber einer die Gabe der Rede empfangen, dem Demosthenes vergleichbar oder, wenn Ihr es lieber hört, Aaron, dem ältesten aller Redegewaltigen, wie sollte er, lebt er in unseren Tagen, nicht suchen und streben, sich dem Manne zu stellen, der sich rühmen darf, Deutschland in vier Predigten seiner falschen, aber hinreißenden Zunge wieder katholisch zu machen, wenn es ihm beliebte!«

Bei dieser lutherischen Lästerung bekreuzte sich der Prior, aber Giorgio fuhr sogleich zu reden fort: »Seht, Herr, unsre Versuchung hat unsichtbare Arme. Benjamin strebte unaufhaltsam vor das Angesicht Luthers, und – ach, wie sauber hatte sich der Knabe seine Gelehrsamkeit zurecht gelegt, mit der er zum mindesten vor dem Widersacher glänzen wollte! Der aber wandte sich zu seinem Freunde Justus, und wenn ich die Augen schließe, sehe ich das breite Lachen seines Mundes deutlich vor mir: ›Da hörst du,‹ sagte Luther, ›wie so ein armer Geschorener von unserem fröhlichen Glauben spricht; kommt mit Vernunft und gelehrtem Geschwätz, damit will er eine Maus hinterm Ofen herlocken; Mönchlein,‹ redete er darauf unsren Bruder mit heller Stimme an, ›wie leuchtet Vernunft, unsres Herrn Christi Tod und Verheißung recht zu erkennen? Das will ich dir sagen, damit du was mehr wissest als dein Provinzial: Wie Dreck in einer Laterne.‹ Damit lachte er, daß die Wände dröhnten, während Benjamin errötete und verwirrt seine Augenlider senkte.

Aber ich führe Euch vorzeitig in des Doktor Luthers Wohnstube und besorge, Ihr möchtet, ohne den Gang der Geschichte zu kennen, an dem wunderbaren Umstand zweifeln, daß wir Ehelosen seines Hauses und Tisches Gäste gewesen sind; deshalb muß ich mit meiner Erzählung auf den Tag zurückgreifen, als die Türme von Wittenberg unsren Augen winkten und unsrer Wanderschaft ein vorläufiges Ziel setzten.

Wir kamen des Weges von Bitterfeld und überschritten tapfrer Kampfeslust voll die Elbbrücke, da hörten wir zwei Schritte hinter uns einen Schneidergesellen die gesegnete Melodie des würdigen deutschen Ostergesanges: ›Christus ist erstanden‹ auf eine freche und ungeistliche Weise pfeifen, und erkannten bald am höhnischen Gelächter eines Vorübergehenden, daß man sich hier zu Lande gewöhnt hatte, ein eigens erdachtes Gedicht darauf zu singen; auch blieb der Bursche nicht lange beim Pfeifen, damit er nur die landkundigen Pfaffen und Mönche, wie er wollte, verspotten konnte. Ein wenig leiser, aber unsrem Ohr nur zu wohl erreichbar, setzte er ein:

Martinus hat geraten,
Man soll die Pfaffen braten,
Die Mönche unterschüren,
Die Nonn' ins Freihaus führen.

Kyreeleis.

Es war ihm noch kaum sein sakrilegisches Kyreeleis entfahren, uns aber erst eben der satanische Sinn des Verses aufgegangen, als der Schneidergesell von einer kräftigen Faust im Genick gepackt wurde und er die zweite, freie Faust des Angreifers als eine derbe Ohrfeige auf seiner Backe fühlte.

›Du verfluchter Lümmel, wer heißt dich nichts tun und ehrliche Leute auf der Landstraße beschimpfen?‹

Damit setzte der mächtige Mann den erschreckten Gesellen etliche Schritte seitwärts, worauf dieser, als er sich befreit sah, alsbald aller Antwort vergaß und ohne Urlaub von dannen lief.

Der uns verteidigt hatte, wandte sich zu uns, so daß wir ihm in sein bärtiges Antlitz sahen, sagte uns, daß er ein Tischlermeister von Wittenberg und katholisch sei, und lud uns ein, Herberge bei ihm zu nehmen, denn es sei kein Unterkommen für Kutten und Soutanen in der Stadt. Während wir dann seinem Hause entgegen und durch die Straßen schritten, hätten wir wohl dies und das über der Lutherischen Gebahren und Regiment hören mögen; aber unser Gastfreund war uns immer mit langen Schritten ein Weniges voraus und zeigte keine Gewohnheit oder Neigung, Neuigkeiten mitzuteilen; so enthielten wir uns der Fragen; nur als wir an der Schloßkirche vorbeikamen, blieb Benjamin stehen, heftete einen langen Blick auf den Ort, wo vor Jahren der Frevel ausgekommen war, und rief: ›Was werden wir hinter diesem Tore hören?‹

Da drehte sich der Tischlermeister um und spottete: ›Dinge, Bruder, die du dein Lebtag nicht im Kloster gelernt hast, wiewohl du doch von der Möncherei soviel verstehen solltest, wie die neuen Prädikanten; du wirst hören, daß du ein abergläubischer Esel bist, daß du hoffst, um deiner Läuse im Filz willen werde dir der Himmel aufgemacht, wirst hören, daß du meineidig dein Gelübde brichst, weil nie kein Mensch so eine ganze Regel herunter halten könne, die doch jeder Mönch geloben müsse.‹ –

›Herr, wir nehmen nicht die ganze Regel auf unsren Eid,‹ warf Benjamin erschreckt dazwischen, aber der Meister lachte über seinen Ernst und fuhr fort:

›Stell dich auf den Mühlenweg, wo der Karl die Gänse heimtreibt; da laß dich anpfeifen von der vorjährigen Gans und nimm es dir für eine »evangelische« Predigt!‹

Wir schwiegen und urteilten in unsrem Herzen, daß der Tischlermeister gewiß ein braver Mann sei, der auf den Glauben seiner Väter selig werden wolle, daß er aber von Ketzern und Neuerern weniger Gutes halte als selbst der Papst in Rom.

Wo die Straßen sich in Gärten und Äcker verlaufen, steht ihm sein kleines Haus, blühen vor den Fenstern seine roten Kressen und reift ihm hinter dem Gartenzaun sein ansehnliches Kornfeld; heute freilich sind die Kressen abgeblüht, das Feld steht in Stoppeln, und auch die liebliche Tochter, die dazumal seines Hauses Zierde war, ist ihm abhanden gekommen.«

»Schlimm, wenn ihm eine Tochter und mir ein Sohn verloren ging!« sagte der Prior begreifend.

»Das ist wohl schlimm,« nickte Giorgio grimmig und fuhr zu erzählen fort:

»Margrete stand auf der Schwelle, als wir uns dem Hause näherten; sie schattete die Augen mit der Hand und mochte wohl schon eine gute Weile nach ihrem Vater ausgeschaut haben, dessen Ankunft sie nun billig hätte erfreuen können; aber ganz im Gegenteil schwang sich eine herbe, hochmütige Linie von den Brauen bis zum Munde, die dem jungen Mädchenantlitz wenig anstand, und mich dünkte, daß es unsre Begleitung sein müßte, die ihren Unmut hervorgerufen hatte; auch deuteten die Worte, die Vater und Tochter zur Begrüßung wechselten, auf zweierlei Meinung, wie geistlicher Besuch im Hause anzusehen sei.

›Margrete,‹ redete sie der Meister rauh an, ›nimm unsre Brüder freundlich auf, sorge für ihr Wohl, denn sie sind unsres Glaubens Genossen!‹

Bedurfte es solcher Mahnung? Margrete errötete, und ihre Antwort gefiel mir wohl.

›Vater,‹ sagte sie stolz, ›sie sind unsre Gäste! Es soll ihnen an nichts fehlen.‹

Damit hatte sie wahr gesprochen; lange war uns nicht so ein sauberes und wohnliches Zimmer angewiesen worden, die Betten weiß eingedeckt, der Boden blank gescheuert und auch die Wände nicht ohne den tröstlichen Schmuck eines gekreuzigten Erlösers und einer heiligen Elisabeth, wie sie die Gefangenen besucht. – Ihr müßt wissen, daß die Deutschen sich seit der Lutherischen Neuerung gewöhnt haben, ihre eigenen Konterfeis, die oft wenig erbaulich sind, in ihren Zimmern aufzuhängen statt der lieben Heiligenbilder, die uns erinnern, ein frommes und gerechtes Leben zu führen.

Als uns der Abend um den Eßtisch versammelt und Margrete die dampfenden Schüsseln aufgetragen hatte, fand sich ein dritter Gast im Zimmer ein, den der Vater wie ein Glied seiner Familie behandelte; ich bemerkte, daß Margrete tat, wie sie uns getan hatte, indem sie zwar, als der Ankömmling mit dem katholischen Gruß ›Gelobt sei Jesus Christus‹ auf sie zutrat, ihm, wie es sich geziemt, ein ›In Ewigkeit Amen‹ zur Antwort gab, daß sie aber dabei eine kalte und abweisende Miene zur Schau trug; ich dachte mir, es möchte ihres Wesens Art sein, so und nicht anders Männern zu begegnen, wiewohl sie im Hause des Vaters Schutz genug für ihre große Schönheit gefunden und also der hochfahrenden Gebärde nicht bedurft hätte.

Unser neuer Tischgenosse war wie der Meister ein Tischler und gehörte unter die wenigen katholischen Handwerker, die um ihrer ehrlichen Arbeit willen in der Lutherstadt noch ein gutes Auskommen fanden; wer konnte es da unserm Gastfreund verargen, wenn er wünschte, seine Tochter solch würdigem Manne zur Ehe zu geben, dessen Werben ebenso heiß wie beharrlich zu sein schien; wie wir denn aus mehrerlei Artigkeiten, die er Margrete während der Abendmahlzeit sagte, merkten, daß er ihren Stolz durch unveränderliche Freundlichkeit zu überwinden hoffte. Der Vater ließ unterdessen manches derb anspielende Wort fallen, woraus wir erkennen mußten, daß Margrete ihren Freier schon dreimal mit aller Förmlichkeit abgewiesen hatte, und daß, während dieser immer noch einige Hoffnung aus der Treue seines eigenen Herzens schöpfte, der Meister auf die rinnenden Jahre vertraute, die bei verblühender Lieblichkeit den Trotz eines Mädchens wohl brechen würden, ehe es zu spät war. Schon stand Margrete im 24. Jahre ihres Lebens, in welchem Alter sie billig Mutter einiger Söhne und Töchter hätte sein können. Endlich ließ der Vater seinen Unmut in Gegenwart der jungen Leute und der unsrigen ganz offen aus, so daß auch wir berechtigt waren, uns mit einem Worte in die Angelegenheit zu mischen. Solches tat Benjamin, indem er sich zu der Jungfrau wandte und, wie ich gestehen muß, mit den folgenden Worten, auch meiner Empfindung Ausdruck verlieh:

›Habt Ihr Euch vorgesetzt, Jungfer Margrete,‹ sagte er, ›zur Ehre Gottes auf die eheliche Gemeinschaft mit einem frommen Bürger Eurer Stadt Verzicht zu tun?‹

Da schlug sie eine Lache auf, die mich erblassen machte, und sprach:

›Gott hat Mann und Weib zur Ehe geschaffen; wie sollte ich mit meinem Willen dawider sein?‹

Herr, – das war lutherisch gelacht und geantwortet.

Eine schwillende Ader auf der Stirn des Alten verkündete losbrechenden Zorn, der sich auch gewiß über Margrete entladen hätte, wenn nicht der junge Mann – Lukas geheißen – mit gleichmütiger Rede eingefallen wäre.

Lukas, um die Gedanken des Meisters von dem Mädchen abzulenken, wandte sich an uns mit der Frage, ob wir nach der Gewohnheit unsres Ordens zum Predigen nach Wittenberg gekommen wären; ich antwortete ihm, daß Benjamin eine ungewöhnliche Gabe besäße, Bibeltexte, die von der Genugtuung des Menschen vor Gott handelten, rechtgläubig auszulegen, daß er dazu trotz seiner Jugend die Schriften der Väter bereits jederzeit zum größeren Nachdruck richtig heranzuziehen wisse, weshalb er sich von Gott berufen fühle, in einem Lande zu wirken, da Unwissenheit und Hochmut das tröstliche Licht kirchlicher Wissenschaft ganz verdunkelt haben. Benjamin bestätigte mit einem Kopfnicken meine wohlgesetzte Erklärung, aber Lukas konnte ein Lächeln nicht zurückhalten, als er antwortete:

›Brüder, wenn es euch in dieser Stadt nur nicht ergeht, wie es vormals einigen großen Heiligen ergangen ist, und ihr weit eher Fische, Vögel oder Steine als Zuhörer findet denn die Wittenberger Einwohner oder gar die Studenten; seit hier jeder Gassenbube weiß, daß er gewißlich mehr und besser die heilige Schrift versteht als alle Gelehrten, Doktoren und Magister, plagt sich keiner gern mit der peinlichen Erklärung eines grämlichen Kopfes; wollen sie aber schon nicht ihre eigenen Prädikanten hören, die, wie sie sagen, keinen Deut gescheiter in göttlichen Dingen sind als sie selbst, – weshalb man sie nur als Schaffner für einige kirchliche Angelegenheiten zu betrachten habe, – was werden sie erst von euch wissen wollen, die ihr die ganze papistische Werkheuchelei in eurem Munde führt; denn daß kein Mensch um Gottes willen ein heiligmäßiges Leben führen könne, daran glauben sie so fest und allezeit getreu wie wir Katholiken an das heilige Sakrament.‹

Jetzt war die Reihe an Margrete, von der Röte des Zornes übergossen zu sein.

›Die lutherischen Christen mögen gute Werke tun sowohl als die katholischen,‹ warf sie Lukas und nicht minder uns entgegen, ›aber Lohn können sie sich nicht damit gewinnen, weil sie ja ohn' alles Verdienst gerecht und selig sind; wenn sie nun Gutes tun, geschieht's, weil auch ein König nicht anders kann als von seinem Reichtum schenken.‹

›Bringst du mir den lutherischen Gestank bis an meinen eignen Tisch, Mädel?‹ donnerte der Alte und schlug mit der Faust auf die Platte; da war es wieder Lukas, der ihn besänftigte, indem er sagte:

›Laß gut sein, Vater! Wenn sie uns mit dem Maule beschämen wollen, so hinkt doch die Tat so langsam nach, daß auch die Türken mitlaufen könnten. Brüder,‹ wandte er sich zu uns, ›spart euch das Predigen für bessere Zeiten und erinnert euch der übrigen Liebeswerke, die Gott und euer Orden anbefehlen: Wollt ihr in Wittenberg Wunden heilen, Gefangenschaft lösen und Sünden vergeben, so haben euch die Lutherischen ihrem ganzen neuen Evangelium zum Trotz so viel Arbeit zu tun gelassen, daß ihr nimmer über die Alpen und in euer Kloster zurückkommt, wollt ihr sie alle verrichten.‹

Margrete schoß einen bösen Blick auf ihren Freier ab, stand auf und verließ das Zimmer; der Vater aber legte seine Hand auf des Jungen Arm und sagte:

›Wie sprichst du mir immer so tröstlich und katholisch, mein Lukas! Wollte Gott das Herz der störrischen Dirne rühren, daß sie sich von dir ziehen ließe!‹

Herr, mögt Ihr mir glauben, daß am selben Abend, als wir allein waren, Benjamin zögernd zwar, aber doch von einem unwiderstehlichen Drang getrieben, zu mir sprechen mußte:

›Ist die lutherische Ketzerei auch noch so greulich, so richtet sie doch die Menschen recht aufrecht in die Höhe, daß sie einen Mut zu ihrem Herrgott fassen, durch welchen es uns demütig Aufgezogenen erscheint, als ob sie alle Fürsten und Grafen in ihrem Haus und Herzen wären.‹

Ich stellte die Öllampe, die ich eben in der Hand hielt, behutsam auf den Tisch; denn eine Lust wandelte mich an, mit Fäusten dreinzuschlagen, wie ich denn die verwickelten Gemütsknoten besser mit der Tat als mit dem Worte zu lösen verstehe; aber Gott stand mir bei in dieser Stunde und legte mir eine gewaltige Rede in den Mund, mit der ich unsrem Bruder beweisen konnte, daß der Teufel, der selbst aus Hochmut abgefallen ist, die Menschen eben an dieser Stelle ihres verführbaren Blutes am ersten versucht, daß Benjamin aber Umschau halten sollte nach den Früchten, die am Baume des Hochmuts reifen, als welche er Selbstvergötterung, Geiz, Hartherzigkeit, Ehebruch, Gattenmord und Brandstifterei erkennen würde. Wie ich ihm so ein grauenvolles Laster nach dem andern gegen die Zähne schleuderte, wich ihm die Farbe aus dem Antlitz, und er antwortete kleinlaut:

›Es ist gewiß ein schreckliches Ding, vom rechten Glauben in die Verstrickung des eigenen Urteils zu fallen.‹

›Amen,‹ sprach ich, schlug ein Kreuz und legte mich in Frieden schlafen.«

»Giorgio,« unterbrach ihn der Prior, »du wirst mir nicht erzählen wollen, daß Benjamin in der Lutherstadt seinen Mund nicht aufgetan und daß die Ketzerei ihn angefallen habe, bevor er noch von seinem Glauben ein gültiges Zeugnis ablegen konnte.«

»So muß es kommen,« brummte Giorgio dagegen; »der das Unglück anrichtet, lebt in Saus und Braus, und der es überbringt, ist zu allem ein Lügner –«

»Gemach! Bruder,« sagte der Prior, »laß dich meine Zweifel nicht kränken; denn ich bin gewiß, daß du mir berichtest, was dir immer im Gedächtnis haften geblieben ist; aber solltest du nicht vergessen haben, wie Benjamin während eurer Abendmahlzeit der Jungfer Margrete eine deutliche und aufklärende Antwort auf ihren Irrtum gegeben, oder wie er in der Nacht deinen Schlaf durch laute Anrufung des göttlichen Heilandes gestört hat, daß er das Glied seines Leibes nicht solle verdorren lassen?«

»Ja, im Ernst, Herr, mein Gedächtnis bedarf Eurer Ermahnungen,« spottete Giorgio, »denn mein Schlaf in jener Nacht wurde in Wahrheit arg gestört, nicht zwar durch lautes Anrufen als vielmehr durch ein leises Geseufze, das ich mir freilich dazumal als ein Unkundiger nicht zu erklären vermochte, heute aber unschwer als das Seufzen des Verliebten erkenne.«

»Halt ein, Giorgio!« wehrte der Prior; »soll ich dir schon glauben, daß es Städte gibt, in denen der Abfall wütet wie die Pest, so daß von ihm ein Unschuldiger wie von dieser ein Gesunder betroffen wird, so wirst du mich doch nicht überzeugen können, daß Benjamin um eines Mädchens willen –. Giorgio! ich kenne die Geschichte vieler Ketzer; es gibt schismatische Lehren, die glänzen wie die Strahlen der Monstranz und können manchen Getreuen bis ins Herz treffen, daß er fast unversehens aus dem Liliengarten der Kirche in Wüstenei und Unzucht gerät; verstehe, Giorgio, erst, so dünkt es mich, kommt die neue Lehre und nachmals die Liebschaft.«

»Hat aber die neue Lehre einen lieblichen und blondzöpfigen Anwalt,« entgegnete Giorgio, »so mag ein anderer als ich entscheiden, welche Saat zuerst in Benjamins Herzen aufgegangen ist, die der trotzigen Worte oder die der roten Lippen selbst, zumal sie von der unsauberen Rede nicht welk oder kalt geworden sind. Herr, hättet Ihr wie ich eine Reise durch das protestierende Deutschland gemacht, Ihr verwundertet Euch nicht länger, wie schnell ein Menschenherz sich zu wandeln vermag.«

»Ich wundre mich nicht,« sagte der Prior schmerzlich, »daß draußen Mönche entlaufen und Nonnen aus ihren Klöstern rauben, wenn nun einmal Eide heute für nichts mehr gelten sollen; aber daß Benjamin sollte lutherisch geworden sein und noch in Frieden essen, trinken und schlafen mag, das mußt du mir deutlich beweisen, Giorgio, damit ich es auch recht glauben kann. Hat er meiner denn ganz vergessen in seinen Abenteuern?«

»Vater, er hat Eurer oft gedacht,« antwortete Giorgio mit weicher Stimme; »auch war ihm zu Anfang das Mädchen nicht bewußt. Ihr werdet sehen, wie er, wenn er vor dem Feinde stand, noch oftmals seine katholische Wissenschaft zusammenraffte, um Euch und dem Gelübde treu zu bleiben; aber das Herz war nicht mehr katholisch, da mochte ihm wohl selbst vor der entseelten Wissenschaft ein Grauen ankommen.

Ich habe dazumal, als er zu Luther katholisch, zu mir aber lutherisch redete, in meiner Angst einen Boten an den sächsischen Provinzial geschickt, der sich eben auf einer Reise und unfern von Wittenberg befand; der beschied uns eine Tagereise stromabwärts zu sich und fragte uns dies und jenes, die gefährlichen Lockungen der neuen Zeitläufte betreffend; da antwortete Benjamin mit aufrichtigem Eifer: ›Ist es nicht ein großes Ding, daß jetzt jeder Bürger und Bauer ein heiliges Bibelbuch auf dem Tische seines Hauses liegen hat, darin er selbst studieren kann, was er seinem Gott und Erlöser schuldig ist; da braucht's nicht allezeit geistlichen Rat und peinliches Verhör, – nur hereingeschaut in die untrüglichen Verheißungen des Neuen Testamentes, die alle Angst in Zuversicht verwandeln!‹ Eine kleine Weile hörte sich der Provinzial unseres Bruders Rede, wie es schien, nachdenklich mit an, so daß Benjamin, der sich begünstigt glaubte, das freie Gewissen der Lutherischen immer höher und herrlicher pries. Da sah ihm der Provinzial scharf in die Augen und fragte bündig:

›Ist's ein braunes oder ein blondes Mädel, in das du dich vergafft hast, Bruder Ungestüm?‹

Nun, es war ein blondes Mädel, Ihr aber mögt daraus entnehmen, Herr, daß die Leute von Sachsen um die folgende Erfahrung reicher sind als wir: Von hundert Ketzern fallen neunzig zuerst mit ihrem Fleisch von der einigen Kirche ab und hinterdrein mit dem Geist; denn die neue Lehre redet dem alten Adam gewaltig nach dem Maule.

Aber Ihr laßt mich schweifen, mein Vater! Wo war ich auch im geraden Verlauf meiner Erzählung stehen geblieben?«

»Da, als du dich noch in Frieden schlafen legtest,« antwortete der Prior seufzend.

»Am andern Morgen,« fuhr Giorgio fort, »machten wir uns früh auf; denn Lukas hatte uns verheißen, uns einigen treuen, aber unglücklichen Katholiken zuzuführen, auf daß wir ihnen tröstlichen Zuspruch geben möchten. An jenem Frühlingsmorgen war das freundliche Städtchen ganz nach meinem Herzen; aus allen Gärten sangen die Vögel just so rechtgläubig, wie Gott es ihnen gegeben hat, indessen sich die Menschen noch in ihren Häusern hielten, so daß ich mir vormachen konnte, die ganze schöne Gotteswelt sei, wie der Heiland es verheißen hat, und wie es denn auch vor dem Ende der Tage gewißlich kommen muß, ein Schafstall, darin eine Herde sich zutraulich versammle. Aber, Herr, noch ist das Ende nicht da, und wer vorzeitig mit solchen Gedanken durch Wittenberg geht, kann recht unsanft an die Härte der Gegenwart gemahnt werden. Gott weiß, was Benjamin damals in seinem Busen bewegte! –

Als wir scharf um eine Ecke bogen, wo die Gasse zum Hause des Lukas hinaufführt, kamen uns gemächlich die beiden Männer entgegen, die dereinst vor ihrem Erlöser das große Schisma werden verantworten müssen.«

»Luther und sein Genosse Philippo!« warf der Prior lebhaft dazwischen; »nun mußt du mir berichten, Giorgio, ob Meister Lukas Cranach die beiden Konterfeis gut und richtig gemalt hat; denn ich habe in Florenz, als ich bei unsern Brüdern von San Marco zu Gast war, lange kopfschüttelnd davor gestanden, und die Worte sind mir in den Sinn gekommen, die einst Kaiser Karl auf dem Reichstag zu Worms gesprochen, nachdem er Martino ins Gesicht gesehen hatte: ›Dieser Mensch würde keinen Ketzer aus mir machen.‹«

»Nun, Herr,« lachte Giorgio, »habt Ihr in den deutschen ›Reformatoren‹ – wie sie es nennen – ein Gespann von Heiligen gesucht nach Weise des heiligen Franz und Dominikus, wie Giotto sie in der Aretiner Marienkirche auf die Säule gemalt hat, – daß wir schier zweifeln müssen, ob ihre Leiber gegenwärtig sind oder verklärt? Da hättet Ihr fehl geraten! Sicher und gewichtig sitzt der Doktor Luther in der Fülle seines Körpers, dem er Zeit seines neuen Lebens nur ungern irgend ein Begehren verwiesen hat; auch pflegt er von sich selbst mit Stolz zu sagen: ›Ich fresse wie ein Böhme und saufe wie ein Deutscher.‹

Herr, dem von irdischer Speise gemästeten Bauch gleicht auch das Gesicht mit den breiten, trotzigen Knochen, mit dem grausam hochmütigen Munde und den kalten, listigen Augen –«

»Du malst, wie Meister Cranach gemalt hat,« unterbrach ihn der Prior.

»Daneben sein Freund Philipp,« sagte Giorgio weiter, »ist nun zwar schmächtig geraten, wie es sich für einen Magister geziemt, der etwas auf sich und die Gottesgelehrtheit hält; aber ich glaube, es ist mehr der Zweifel, der an seinem Fette zehrt als etwa Weisheit und Abgeschiedenheit von der Welt; seine unsteten Augen fragen beständig, ob die Menschheit nicht endlich aufmerken möchte, daß die vielen neuen Laster Martinos neuen Lehren entsprungen sind!

So und nicht anders erschienen mir die beiden Männer, wie ich sie da in der Morgenfrühe und gemütlich miteinander plaudernd einherkommen sah; Benjamin freilich, der Luther mit aufgerissenem Munde angestarrt hatte, urteilte, als dieser unserm Gesichtskreis entschwunden war, ungleich und folgendermaßen: ›Giorgio,‹ rief er aus, ›hast du die unüberwindliche Willensstärke gesehen, die dem großen Manne ins Antlitz geschrieben ist?‹

Ich sagte ›nein,‹ so kalt ich vermochte, womit ich dem Knaben allen Mut zur Weiterrede nahm.

So gingen wir von nun an schweigend unsres Weges, bis wir das Haus des Tischlers Lukas erreichten, der eben in seinem Garten die wilden Schößlinge an Bäumen und Sträuchern verschnitt. Seine Nachbarin ist eine kranke Frau, die um einer Lähmung ihrer Gliedmaßen willen seit zehn Jahren das Lager nicht verlassen hat; nur ihre arme Seele ist lebendig genug, um nach dem Troste der Religion zu schmachten und das Elend ihrer Verlassenheit ganz zu empfinden. Es war eine rührende Stunde, die auch Benjamin ans Herz griff, als wir am Bette jener Frau Zeuge ihrer ausbrechenden Glückseligkeit wurden, darüber, daß es ihr vergönnt sein sollte, die heiligen Sakramente der Beichte und des Altars zu empfangen. Nachdem sie ihrer Tränen und Bewegung ein wenig Herr geworden war, erzählte sie uns, daß sie, bevor Gott ihre Glieder gebunden und in der Verwirrung der Zeit das Abendmahl mit Furcht und Zittern aber unter beiden Gestalten empfangen habe; sie sei danach in große Betrübnis gefallen und versucht worden zu zweifeln, ob sie sich den Leib des Herrn zum Unsegen gegessen habe. Ich deutete auf ein Stücklein Brot, das ich auf ihrem Tische fand, und fragte sie, ob sie auch, wenn sie dieses Brot zum Nachtmahle verzehre, besorge, es möchte ihr Fluch oder Segen daraus erwachsen?

›Vater,‹ antwortete sie, ›nicht alle Frucht des Feldes ist unsres Herrn Christi geheimnisvoller Leib.‹

›Nicht alle,‹ gab ich ihr zu, und sie begriff leicht, daß Brot und Wein unter den Händen der Lutherischen, nachdem sie die Kette priesterlichen Segens zerrissen haben, bleiben müsse, was es zuvor gewesen: Frucht des Feldes und der Rebe. Mir aber wuchs der Groll gegen die Betrüger des arglosen Volkes, das da glaubt, etwas Himmlisches zu empfangen, während es doch nur irdische Kost ist, die man ihm darzureichen vermag; nur die Zuversicht auf Gottes Barmherzigkeit gewährte mir einen geringen Trost, daß er das gläubige Herz der Verführten ansehen werde und ihnen um deswillen Gnade und Vergebung schenken.

Am Nachmittag des selbigen Tages war der Meister über Land gegangen, einen Holzkauf zu tun. Benjamin aber hatte, um mir die Stille der Kammer zu andächtigem Gebet zu überlassen, sein Brevier mit sich in den Garten genommen, wo unter unsren Fenstern ein blühender Apfelbaum die eichne Bank, die rund um seinen Stamm läuft, beschattet.

Herr, ich habe von jeher die blühenden Apfelbäume, in denen der Hauch des Frühlings spielt, als die Träger lockrer Träume erkannt, und würde es lieber gesehen haben, hätte Benjamin sich in den verläßlichen Schatten des Ahorns oder einer Buche begeben; denn wenn schon der Apfelbaum in seiner herbstlichen Reife unsre Stammeltern, die doch unschuldiger waren als wir, verführen konnte, was werden erst die rosa gefärbten Blüten mit ihrem linden Dufte über die Gemüter der Nachgeborenen vermögen?«

»Du hast Recht, Giorgio,« nickte der Prior, »auch ich muß für Benjamins Andacht unter dem Apfelbaum fürchten!«

»So lange er mit diesem allein war, ging es noch an,« fuhr Giorgio fort, »aber es währte nicht lange, bis ich die Gartentüre knarren hörte und eine fröhliche Mädchenstimme die Luft anfüllte.

›Armer Tropf!‹ rief Margrete unsrem Bruder zu, ›plagst du dich schon wieder mit deinem zerfressenen, staubigen Pfaffenbuch, statt dir ein Liedlein zu pfeifen, wie es unsrem Schöpfer wohl gefällt?‹

Mir an meinem Kammerfenster stockte das Blut in den Adern, als ich die Jungfrau so kecke Worte reden hörte, die sie, wäre der Vater im Hause gewesen, niemals hätte wagen dürfen.

Benjamin antwortete ihr mit edlem Anstand, indem er sagte:

›Ich bin gewiß, daß Gott mein armseliges Gebet nicht verachten wird; ein jeder wacht und betet nach dem Maße seiner Gaben.‹

Margrete war ihm inzwischen näher gekommen und sprach:

›Der Doktor Luther lehrt, wenn ich koche, wasche, putze und fege, so ist das Gottesdienst genug, und dem Herrn angenehm –‹

Über der Erwähnung von Luthers Namen mochte den Knaben eine Unsicherheit zur vernünftigen Gegenrede angekommen sein, die doch leicht zu finden gewesen wäre; denn Gott brauchte wahrlich nicht seinen einigen Sohn im Fleische erscheinen zu lassen, um die Weiber das Waschen und Kochen zu lehren. Aber Benjamin antwortete nicht dergleichen, sondern fragte stotternd:

›Jungfrau, kennt Ihr den Doktor Luther von Angesicht zu Angesicht?‹

Margrete lachte.

›Jedes Wittenberger Kind kennt seinen Rockzipfel und seine Fußstapfen!‹

›Wohl,‹ entgegnete Benjamin, ›doch pflegt Ihr Umgang mit dem berühmten Mann?‹

Margrete setzte ihm ein trotziges Schweigen entgegen, denn ich hörte den Knaben verwirrt und dringlich weiterfragen:

›Ihr kennt die lutherischen Lehren, als hättet Ihr nicht selten zu den Füßen des Meisters gesessen –.‹

›Bruder,‹ entgegnete Margrete scharf, ›wenn dich mein Vater angewiesen hat, auszukundschaften, wohin ich meine Schritte setze, so sag ihm, was ihm ohne das nicht lange verborgen bleiben kann:

»Ja, sie pflegt heimlich Umgang mit dem Erzketzer, dem Doktor Luther selber.«‹

Benjamin schien ihre Anklage, daß er sich etwa wolle zum Verräter brauchen lassen, ganz zu überhören, so lebhaft stellte er sich in seinem Geiste einen menschlichen und täglichen Verkehr mit Martin Luther vor; auch ergriff ihn wieder die alte Lust, seine Rednergabe an dem großen Volksverführer zu versuchen; denn er sagte eifrig:

›Jungfrau, wenn ich ihm einmal Rede und Antwort stehen könnte, nicht durch ein Traktat, wie es etliche katholische Autoren, die auch von meinem Orden sind, getan haben, sondern Auge in Auge und Spruch gegen Spruch!‹

›Fragst du mich also nicht, weil mein Vater dich geschickt hat,‹ sagte Margrete, ›geht dir wohl gar selbst ein Lichtlein auf, daß unser Doktor Luther von Gott auferweckt ist, die Welt vom Antichristen, dem Papst in Rom, zu befreien?‹

›Jungfrau, Jungfrau!‹ rief Benjamin entsetzt; ›wie könnt Ihr über Eure unschuldigen Lippen so erschreckliche Lästerung fließen lassen!‹

›Hat dir noch niemand erzählt,‹ antwortete Margrete, ›daß allemal die Lasterhaftesten in der katholischen Christenheit zu Bischöfen und Oberen ausgewählt werden?‹

Hier war es, wo Benjamin Eurer gedachte und sagte:

›Das kann doch wohl nicht also sein; habe ich doch auch einen Oberen, dem ich Treue und Gehorsam schuldig bin, und Gott weiß, daß es wohl um mich bestellt ist, wenn ich mich von meinem geistlichen Vater leiten lasse.‹

Nun aber merket auf, Herr, ob nicht Eva unter dem Apfelbaum allezeit das richtige Wort findet, den Arglosen ins Gemüt zu treffen; denn solange wir nicht nach dem Geist und der Wahrheit einen neuen Menschen angezogen haben, reizt uns keine Rede empfindlicher, als die auf unser Geschlecht abzielt.

›Bruder,‹ sagte Margrete in mütterlichem Ton, als wolle sie seine Schwäche mit Sanftmut entschuldigen; ›du hast dich unter den Welschen an ihre dienstbare Art gewöhnt, darum drückt dich die Regel nicht eben noch ihr strenger Gehorsam; aber ein rechter deutscher Mann mag sich nicht unter die Kutte ducken, und wenn er's in der Minderheit seiner Jahre getan hat, so wirft er sie ab und faßt sich ein Herz, ein Mann zu sein!‹

Herr, ich fühlte Benjamins Beschämung bis hinauf in meine Kammer; auch verging eine geraume Weile, bis der Knabe wieder seinen Mund auftat, in welcher Zeit Margrete, die ein kluges Mädchen ist, sich ihres Sieges gefreut haben mag. Endlich hörte ich ihn sprechen:

›Ihr vergeßt, Jungfer Margrete, daß uns ein Gelübde an unsren Stand bindet.‹

›Kann der Papst Gelübde lösen, so kann es Martin Luther auch!‹ entgegnete sie hart.

›Darüber mögt Ihr denken wie es Euch beliebt,‹ antwortete Benjamin; ›ich in meiner klösterlichen Torheit meine, daß es übel getan ist, Gott oder einem Menschen den gegebenen Eid zu brechen.‹

›Willst etwa den Doktor Luther, wenn ich dich zu ihm bringe, mit deiner papistischen Möncherei beschimpfen?‹ – fuhr sie ihn unvernünftig an, nach dem allgemeinen Brauch der Lutherischen, auf eine These, die zum deuteln zu einfach und wahrhaftig ist, grob und ohne Verstand zu antworten. Benjamin aber ließ wegen der Lebhaftigkeit seines Wunsches, Luther zu sehen, dem Mädchen wieder die Oberhand und fragte schüchtern:

›Wollt Ihr in Wahrheit mich und meinen Bruder Giorgio in das Haus des Reformators führen?‹

Es mißfiel mir, daß er solche Bezeichnung, die wir Katholischen wohl zum Spott aussprechen dürfen, wie die Lutherischen für Ernst gebrauchte.

›Aber wird er nicht,‹ fuhr er fort, ›an unsren Kleidern, die er haßt, Anstoß nehmen?‹

›Luther ist gastfrei,‹ entgegnete Margrete, ›und allerlei Volk, geistliches und ungeistliches, sammelt sich in seinem Hause; auch ist manch einer als Mönch hineingekommen, der als freier Mann wieder herausgegangen ist.‹

›Nun, danach gelüstet mich nicht,‹ warf Benjamin dazwischen.

›Kann sein,‹ antwortete das Mädchen, ›doch gelüstet es mich, dabei zu sein, wenn du ihm nicht wirst widersprechen und widerstehen können!‹

Benjamin antwortete, und ich bin gewiß, daß seine Rede von einem Lächeln begleitet war:

›Ist denn der Doktor Luther gar so unwiderstehlich? Mich dünkt, es sei sonst nicht Eure Art, Jungfer Margrete, Mannsleute etwas gelten zu lassen!‹

Jetzt setzte sie sich neben ihn auf die Bank und sagte zutraulich:

›Wenn mir ein Mann gefallen sollte, – das zuversichtliche Augenblitzen und die freimütige Art müßte er dem Doktor Luther abgeguckt haben.‹

Somit waren Benjamin und Margrete aus dem freien Felde religiöser Meinungen in den engen Bezirk weiblicher Herzenswünsche geraten, und schienen beide ein Wohlgefallen an dem Gegenstand zu empfinden.

›Habt Ihr denn,‹ sagte danach Benjamin, ›auch Euren Freiersmann Lukas wissen lassen, in welcher Schule er die Kunst erlernen könnte, vor Euren Augen angenehm zu werden? Vielleicht bequemte auch er sich, zu Luthers Füßen hinzusitzen, wenn er sich die Braut damit gewinnen könnte!‹

›Der nicht,‹ entgegnete Margrete; ›der ist ein Heimlicher, und die katholische Stockmeisterei gerade recht für ihn.‹

›Aber, wie könnt Ihr glauben, Jungfer Margrete,‹ fuhr Benjamin fort, ›daß Euer Vater Euch einem unkatholischen Manne zur Ehe geben wird, – und es ist doch nicht Euer Wille, ledig und jungfräulich durch dieses Leben hinzugehen?‹

›Braucht ja nicht eben ein Unkatholischer zu sein,‹ antwortete das Mädchen; ›wenn er nur das Seine von der neuen Zeit und Lehre weiß und anwendet! Sind wir doch alle einmal katholisch gewesen!‹

Eben kehrte der Vater von seinem Ausgang heim; Margrete aber verließ bei seinem Anblick in Eile die Bank und den Garten, nicht anders, als treibe sie das Gewissen aus dem Gesichtskreise des Alten; dieser schritt indessen auf Benjamin zu und sagte lachend, indem er auf die Hintertür deutete, durch die das Mädchen entwichen war:

›Habe doch den Schürzenzipfel noch fliegen sehen! – Bruder, die Weiber sind allesamt querköpfig und horchen nicht immer auf des Vaters oder des künftigen Eheherrn Worte. Vielleicht steht just dir die Kappe so zum Gesicht, daß Margrete Lust verspürt, anzunehmen, was du ihr redest und gebietest. Sieh, ich werde ein Narr, wenn mich die Angst um meines Kindes Leben und Seligkeit ankommt; gelingt es dir, das Mädchen zu belehren, du verdientest dir einen Gotteslohn in diesem Hause.‹

Ich neigte das Ohr ein wenig seitlich, Benjamins Antwort um so sichrer aufzunehmen; doch drang nur aus allen Hecken das Zirpen der Grasmücken zu mir, und als ich unsrem Bruder meine Blicke zuwandte, sah ich ihn gesenkten Hauptes unter dem Apfelbaum sitzen.

Von dieser Stunde an suchte der Meister, wie er eine Gelegenheit herbeischaffen könnte, Margrete und Benjamin allein zu lassen; und dieser, wenn er auch das schlaue Blinzeln des Alten mit einem blassen, verstörten Gesichtsausdruck erwiderte, vermochte doch nicht, sich dem lieblichen Zusammensein mit dem Mädchen zu entziehen.«

Giorgio seufzte und stützte seinen Kopf mit beiden Händen, und auch der Prior war versucht, in seinem Herzen mit Benjamins Schutzengel zu grollen, der den Teufel so ungehindert hatte seine Netze legen lassen.

»Überdies kam der heillose Abend heran,« fuhr Giorgio nach kurzem Stillschweigen fort, »an dem Luthers Tür sich uns Geschornen öffnete. Margrete hatte ihm Tages zuvor von Benjamins Wunsch gesagt, vor ihn zu treten und seines Mundes Rede zu lauschen, und mit jener großmütigen Gebärde, die ihm eigen ist, lud er uns als seine Gäste in sein Haus. Um die Stunde der Dämmerung stiegen wir beklommenen Herzens und geführt von Margrete die gewundne Treppe zu ihm hinauf und befanden uns bald in einem wohnlichen Raume, den ich um des großen Eßtisches willen, der ihn fast nach seinen vier Enden beherrschte, als das Refektorium ansprach; doch schien hier auch die Hausfrau zu wohnen und zu schaffen, deren unvollendetes Strickzeug ich auf der Fensterbank liegen sah. Schon erhellte der Schein der Öllampe mit mildem Leuchten das Gemach; denn die Butzenscheiben sind klein, und draußen das schwindende Tageslicht ist zu kraftlos, als daß es noch inwendige Räume aufklären könnte. Luthers Gäste hatten sich bereits um den Tisch versammelt, an dem nur noch unsre Plätze, sowie der des Hausvaters leer geblieben waren. Frau Käthe grüßte uns freundlich und verhieß uns die Ankunft des Gatten, der ein wenig in seiner Kammer verzog, da ihn während des laufenden Tages sein Gallenübel arg geplagt hatte, so daß er einer ungewöhnlichen Ruhe bedürftig gewesen war.

Indessen konnten wir unsre Augen und Gedanken um die Tafelrunde schweifen lassen, wo wir außer einer Reihe von Tischgängern, die sich wegen ihrer Zugehörigkeit zu Luthers Haushalt mit dessen Ruhm und Bedeutung brüsteten, Philipp Melanchthon, Justus Jonas, Anton Lauterbach und Johann Aurifaber in Erwartung ihres Meisters fanden. Herr, ich habe niemals im Vorzimmer eines Gewaltigen auf dessen Erscheinen im Kreise seiner Kreaturen geharrt; doch überkamen mich in diesem unscheinbar bürgerlichen Gemach wunderliche Gefühle, als säße ich auf Teppichen und Brokaten, und über ein Kleines müsse der König von Frankreich auf der Schwelle erscheinen.«

»Auch du, Giorgio?« unterbrach ihn der Prior.

»Fürchtet darum nichts,« gab Giorgio zurück; »doch begriff ich um dieses leichter den Ausdruck ehrfürchtiger Scheu auf dem Antlitz des Knaben, mit welchem er dem Gespräch der Anwesenden folgte.

Man erzählte sich von einem Eislebner Prediger, der nacheinander vier Weiber genommen hatte und endlich um eines neuen, verworfenen Ehebruchs willen von der weltlichen Obrigkeit mit strenger Gefängnishaft bestraft worden war.

›Gott sei uns Deutschen gnädig,‹ sagte Anton Lauterbach, ›wenn wir die Zeit unserer Heimsuchung verachten. Den Juden hat er Elias geschickt, den Heiden den Apostel Paulus, uns aber den Doktor Luther gegeben, daß wir uns von ihm sollen strafen und bessern lassen und mit großem Schrecken auf seine geistliche Prognostikation hören; etliche sagen, er habe den Deutschen nur aus Melancholie Schlimmes prophezeit; die sollten doch bedenken, daß alle seine Rede aus dem Worte Gottes fließt, und sich bald bekehren, damit sie nicht zeitlichen und ewigen Schaden leiden müssen.‹

›Ach, der Undank der Deutschen,‹ sprach Luthers Hausfrau dazwischen, ›drückt dem teuren Gottesmann bei Nacht und Tage aufs Gemüt; in der verfloßnen Nacht wurde mir Angst, ob ich ihm etwa zu schwere und zu reichliche Speisen zur Abendmahlzeit vorgesetzt hätte, und ich dachte, einen von den Buben zum Barbier zu schicken, daß er ihm durch einen Aderlaß das Blut aus dem Kopfe bringen sollte; aber er wehrte mir und sprach prophetisch von allen, die das liebe Evangelium nicht annehmen wollen: »Gott wird den Blutzapfen ziehen, daß ihr des roten Saftes satt trinket!«‹

›Ja, so ist es,‹ sagte darauf Aurifaber, ›das Volk verstockt sich, während sein Prophet das nahe Weltende voraussagt; weil sie das Licht nicht haben wollen, wird Gott sie mit größerer Blindheit schlagen als unter dem Papsttum, und es wird gehen nach dem Wort Christi: »Das Letzte wird ärger sein denn das Erste,« – so haben wir den Doktor Luther oftmals reden hören, und ist es nicht also ausgekommen? Ist aber das eine wahr geworden, warum sollte das andere falsch erfunden werden? Wenn die letzten Tage eintreffen, werden wir uns alle an die Donnerworte unsres Gottesstreiters erinnern.‹

Es wußte, da man einmal auf lutherische Prophezeiungen zu sprechen gekommen war, bald jeder eine Drohung oder Verheißung des ›Reformators‹ vorzutragen, solche, die sich schon erfüllt hatten, und andere, die alle Tage mitten unter uns wirklich werden würden.

Während Benjamin, weiß wie das Leintuch, das den Tisch bedeckte, die ungeheuerlichsten Phantasien eines cholerischen Geistes sowohl als die natürlichen Voraussagungen des gemeinen Menschenverstandes tiefsinnig in seinem Herzen bewegte, gelang es mir, mein Urteil klar zu erhalten und die ersten von den letzten zu scheiden. Herr, Ihr mögt selbst urteilen, ob es eines Propheten bedarf, um die Wasserfluten in den Niederlanden oder das Austreten des Tibers aus seinen Ufern, oder eine in Westfalen geschehene menschliche Mißgeburt mit Schwanz und Hufen als nachdenkliche Zeichen zu deuten, durch die der Zorn Gottes zu den unlustigen Ohren der Menschheit predigt; denn wie Jehovah allezeit Grund hat, über die Erde zu ergrimmen, so hat es auch allezeit Wasserfluten und Mißgeburten gegeben.

Oder getraut Ihr Euch nicht, mein Vater, einer lasterhaften Gemeinde, die seit zwanzig Jahren die Freiheit eines Christenmenschen zu allen Ausschweifungen der Heiden nützt, vorauszusagen, daß Gott ihr gewiß statt heiligmäßiger Hirten grobe Esel zu Predigern geben wird? Seht, solche Prophezeiung des Doktor Luther ist an vielen Orten in Deutschland wirklich wahr geworden –«

»Du spottest, Giorgio,« sagte der Prior, »ich aber sehe Benjamins bleiches Antlitz vor mir.«

»Nachdem Frau Käthe,« fuhr Giorgio fort, »ihre Tischgäste ermahnt hatte, in Gegenwart Luthers keinen neuen Skandal aus einem gut lutherisch gesinnten Haushalt vorzutragen, sondern lieber – hierbei wandte sie sich mit einem unschuldigen ›mit Verlaub‹ zu uns – ein neues Stücklein aus einem Kloster oder einem Bischofspalast zur Erheiterung seines beklommenen Gemütes zum Besten zu geben, erhob Anton Lauterbach seine Stimme und sprach:

›Da könnte ich just mit einem ergötzlichen Histörchen dienen, das Dr. Severus mir um die Mittagsstunde zuraunte; auch verletze ich die anwesenden Dominikaner wohl schwerlich, da es über die Minoriten hergeht, diese aber zu jenen die Freundschaft ihrer Stifter nicht allezeit bewahrt haben, so daß sich die einen nicht ungern an der andern Schwächen erbauen.‹

Wir nahmen diese Anspielung hin, ohne ihr etwa zuzustimmen und Lauterbach erzählte:

›Es kam einmal König Ferdinand in ein Kloster von Barfüßern, darin sein Sekretär diese Buchstaben groß und herrlich an eine Wand geschrieben fand:

M N M G M M M M

Der Sekretär bedachte ihren Sinn eine geraume Weile, König Ferdinand aber befahl ihm, die Deutung zu geben, es solle ohne Gefahr seines Leibes und Lebens sein. Sprach der Sekretär, –

»Nichts für ungut, Eure Majestät, – die Buchstaben bedeuten:

Mentitur Nausea‹.«

Bei dem Namen des Wiener Bischofs runzelte der König bedrohlich die Stirn, doch hieß er den Sekretär fortfahren, indem er auf die folgenden Lettern wies:

» Mentitur Gallus

sagte zitternd der Sekretär, denn der Hofprediger Gallus steht bei Ferdinand hoch in Ehren und Glauben; doch ein Königswort war gegeben, und der Sekretär durfte schleunig seine Deutung vollenden:

» Mentiuntur Majores, Minores, Minorarii.«‹

Aus dem Rahmen der Kammertür erscholl ein herzliches Gelächter; Martin Luther hatte von da aus der Geschichte zugehört, und hielt mit seinem Beifall nicht zurück.

Ich aber, als ich ihn nun in seiner hausväterlichen Würde und Behaglichkeit vor mir sah, fand in meinem Herzen nicht jene Feindesschärfe, mit der ich ihn letzthin in der Morgenfrühe betrachtet hatte.

Margrete brachte Benjamin und mich selbst vor ihn, er aber hieß uns willkommen, fragte, ob wir gut gereist seien, und nötigte uns zurück an seinen Tisch, wo nur Philipp Melanchthon uns von seiner Nachbarschaft trennte. Nachdem er seinen Armstuhl bis an dessen Umgrenzung ausgefüllt hatte, wandte er sich zu Lauterbach und sagte:

›Anton, in meiner Galle hat sich das letzte Stücklein Mönch, das noch in mir wohnt, festgesetzt; darum, wenn ich lachen muß über Majores, Minores und Minorarii, so wirft sie sich zur Rächerin auf, und zwackt mich, bis mir das Gelächter vergeht –‹

Damit hielt er sich die Seite, wo sein Steinübel ihm heftige Schmerzen verursachen mochte. Ein weniges später wurden die Speisen aufgetragen, und der Hausvater und seine Gäste erhoben sich noch einmal von ihren Sitzen; Luther faltete die Hände über der Brust, sah zum Himmel und rief viel mehr als er betete: ›Komm, Herr Jesus, sei unser Gast, und segne, was du bescheret hast!‹ Ich bemerkte, daß von den Älteren noch mehrere das Kreuzzeichen schlugen, während die Studenten, über so fromme Sitte erhaben, die ersten auf ihren Plätzen waren. –

Herr, es fand sich, daß Anton Lauterbach mit seinem Mönchsstücklein doch nur für einen Augenblick Luthers trübe Stimmung aufgehellt hatte; dieser begann mit Seufzen seine sächsischen Klöße zu verzehren und fragte uns düster, ob wir viel Unehre auf unserer Wanderschaft durch Thüringen begegnet wären? ›Ja,‹ sagte ich, ›viel Unehre,‹ worauf er das deutsche Volk hart verklagte, dem Gott die reine Lehre gegeben habe, das er aber um seiner Bosheit willen gewißlich bald verwerfen, und sich einen Propheten unter den Franzosen oder den Polen erwecken werde; die Deutschen indessen müßten hernach das liebe Gotteswort aus einer fremden Zunge annehmen, da sie es jetzt in ihrer eignen nicht begreifen wollten.

›Es gibt allerlei Propheten,‹ wandte ich ein, ›Deutsche und Welsche; welcher recht lehrt und heilig lebt, auf den sollen alle Völker sehen.‹

Luther warf mir einen mißtrauischen Blick zu, als gedenke er plötzlich meines Kleides und sagte:

›Es ist nicht eine geringe Gnade Gottes, daß er sein Wort auch durch böse Buben und Gottlose gibt, – ja es ist etlichermaßen gefährlicher, wenn er's durch heilige Leute gibt, darum, daß die Unverständigen darauf fallen, und hangen mehr an der Menschen Heiligkeit, denn am Worte Gottes. Dadurch geschieht dem Menschen größere Ehre denn Gott und seinem Worte, welche Gefahr nicht ist, wenn Judas, Kaiphas und Herodes predigen.‹

Benjamin sah unsern Gastfreund mit erschrockenen und erstaunten Augen an, und schon glaubte ich, das Wort werde ihm über der Verwunderung in der Kehle stecken bleiben; doch sagte er tapfer:

›Herr Doktor, uns lehrt die Heilige Schrift, ein jedes Gewächs an seinen Früchten zu erkennen, und wahrlich kein fauler oder dürrer Weinstock kann uns die Süßigkeit guter Trauben predigen; unsre eigne Vernunft würde ihn leicht Lügen strafen.‹

Bei dem Worte Vernunft streckte Luther beide Hände zur Abwehr von sich, als gälte es, einen höllischen Spuk von seiner Christenseele fernzuhalten.

Ratio‹, rief er aus, ›die schöne Metze, der man Unrat ins Angesicht werfen muß, daß sie häßlich werde, soll sich auf ihr heimliches Gemach trollen!‹

Wenn ich Euch nun erzähle, mein Vater, daß Martin Luther außer dem Papst und dem zweiten Mönchsgelübde auf Gottes Erde nichts so bitterlich verfolgt wie die Vernunft, so müßt Ihr um deswillen nicht glauben, daß er sich ganz den in der unvernünftigen Natur herrschenden Gewalten ausgeliefert habe; doch ist er so blindlings von gewissen göttlichen Geheimnissen, die über der Vernunft sind, durchdrungen, daß, da er die jenseitige Welt mit dieser zugleich ergreifen will, sinnliche und übersinnliche Dinge in wildem Gemenge aus seinem Munde hervorgehen. Seid Ihr in einem Augenblick versucht, diesen Mann zu verehren, wenn er, nicht in mystischer Verzückung, sondern in leuchtender oder, wenn Ihr wollt, kindlicher Zuversicht demonstriert: Gott hat Wohnung genommen in diesem Leibe, – so werdet Ihr Euch einen Atemzug später vor den Lästerungen entsetzen, die eine bestialische Kreatur, von ihrem Erlöser verlassen und verworfen, auszuspeien scheint. Die Folgen aber sind diese: Das unbegnadete gemeine Volk, dem außer der Tugend guter Werke auch die schlichte Vernunft verdächtig gemacht worden ist, deutet sich die himmelhohe Lehre von der eingegoßnen Gnade und Gerechtigkeit nur mehr nach seinen Lüsten und Begierden.

›Ja, spricht die Welt, es ist nicht not,
Daß ich mit Christus leide,
Er litt doch selbst für mich den Tod,
Nun zech' ich auf sein' Kreide!‹

Herr, das tun sie nicht nur wirklich, sie tun es auch auf eine rohe und barbarische Weise. In der Verschwiegenheit einer Klosterzelle mögen wir ja einmal die bitter empfundene Wahrheit aussprechen, daß unsre römischen Kirchenlichter, die uns allen vorleuchten sollten, oft die Tugend christlicher Enthaltsamkeit schwer verletzen; aber niemals haben sie die lautere Lehre zugunsten ihrer Schwelgerei verkehrt, diese selbst hingegen zu einer menschenwürdigen gemacht, indem sie allen schönen Künsten und freien Wissenschaften erlaubten, die Geister zu entzücken und auch die Sinne in eine sanftere Sphäre als die der ungezügelten Wollust aufzuheben.

Auf Wittenberg, mein Vater, lastet indessen eine so dichte Finsternis, daß man sie mit Messern schneiden könnte; das Streben nach Tugend ist ein papistischer Greuel, ein gottloses Hangen an den Werken, die Vernunft ist eine Hure, das Studium ist ein Gelächter, und die Wissenschaft ist ein Aberwitz gegen Gottes Offenbarung, die sie nur verdunkeln, niemals aber durchstrahlen kann; solchen Lehren zum Trotz wundert sich Martino, daß die Hörsäle leer und die Wirtshäuser voll sind, die Prediger verachtet und die Kirchen verwahrlost. Ich könnte Euch Dinge erzählen, Herr, daß Euch das Herz im Leibe zu bluten anfängt vor Kummer und Angst um alle Zweiglein, Blüten und Früchte des Menschengeistes, die, wie zu fürchten ist, alle von dem rasenden Ungeheuer, das man in Deutschland Reformation und apostolische Zeit heißt, verschlungen werden. Gott geleite das deutsche Volk aus diesem Chaos wieder auf eine ebnere Straße.«

»Erzähle mir solche Dinge,« sagte der Prior, »denn wie du weißt, ist meine Sorge und Begierde, über den Verfall der Wissenschaften in Deutschland zu hören, nicht geringer, als Benjamins unglückliches Schicksal zu kennen.«

»Diese Nacht,« entgegnete Giorgio, »würde nicht reichen, wollte ich Euch die vier Fakultäten, wie sie von einer wüsten Barbarei bedroht sind, vorführen. Doch greift hinein in den vielverzweigten Baum des Wissens, Ihr werdet an jedem Aste einen Wurm nagen finden. Martin Luther selbst ist, wie Ihr bereits begriffen habt, ein unwissender Mensch. Herr, beschwerte ihn Wissenschaft, wie könnte er ungehindert eine einzige Meinung darstellen, wenn auch – was seine eignen Worte sind – die Welt darüber in Trümmer gehen sollte; aber es ist das Geheimnis seiner Stärke, daß er über jedes Ding von einem immer gleichen Punkte aus urteilt.

Uns Geweihten geziemt es, zuerst mit Bangen an die Theologie, als an die vornehmste aller Wissenschaften, zu denken; nichts aber tut sich leichter ab als dieses. Vor den Schriften der heiligen Väter, insonderheit des Hieronymus und Origines, hüte sich der reformierte Christ; sie dringen in einer unliebsamen Weise auf die eigne Bemühung, und wer ihnen glaubt, der verläßt sich nicht länger dreist genug auf das vergossne Heilandsblut, dadurch er aus der Menge der Sünden und auf breitem Wege das himmlische Ziel erreicht.«

»Die Straße ist eng, die zum Leben führt,« wandte der Prior ein.

»Gewesen!« gab Giorgio ihm zurück.

»Auch den strengen Weg der Wissenschaft waren wir gewohnt als schmal und steil anzusprechen; Martin Luther indessen, wie er in die Mysterien unsrer Erlösung plump hineinfährt, rennt auch mit seinem vorgefaßten Urteile alle Schranken, die den Stümper vom Weisen trennen, nieder, so daß jener – ei, wie mühelos – sich in diesen verwandelt sieht und sich über ihn erhebt.«

Giorgio neigte sich näher zu seinem aufmerksamen Hörer, als er fortfuhr:

»Ich brauche Euch, mein Vater, nicht von jenem rätselhaften Buche als von einer Neuigkeit zu berichten, das vor Jahresfrist ans Licht gekommen ist, und mit dessen Deutung Papst und Kardinäle und alle Gelehrten der Welt scheu zurückhalten; es heißt: › De revolutionibis orbium coelestium‹ und lehrt eine Bewegung der Erde, wie es schon einige Griechen, unter ihnen Aristarch von Samos, getan haben. Luther freilich ist kurz und gut mit seiner Entscheidung fertig, den Frauenburger Meister einen Narren zu heißen, womit er sich dem gemeinen Volk jener Stadt gleichstellt, das ihrem großen Mitbürger eine Schellenkappe zur Fastnacht überreicht hat.

Gelüstet Euch, ein Mehreres zu hören, mein Vater, so will ich noch der sinnvollen Weise gedenken, mit der wir gewohnt sind, die ausgebreitete Natur zu betrachten, ob wir hier oder da einen Blick in den wunderbaren Plan Gottes zu tun vermögen, nachdem er Leben und Bewegung auf der Erde erhält. Nicht anders würdigt man in Wittenberg zu Zeiten Garten und Feld eines – freilich flüchtigeren – Blickes, um Gleichnisse darin für die Menschen und ihre Pflichten zu entdecken. So hörte ich eines Tages Luther – wie er gerne tut –, über die Ehe reden, für deren Notwendigkeit wir in der Natur, im Leben der Tiere und Pflanzen die deutlichsten Beispiele erblickten. Auch wir, mein Vater, die wir glauben, daß Gott unsrer unsterblichen Seele die Gabe verliehen hat, schon auf Erden ihm ähnlich und nach dem Maße ihres Glaubens und Liebens von den Bedingungen des Leibes befreit zu sein, vermögen doch einzusehen, daß die natürliche Ordnung des menschlichen Geschlechtes ihr Abbild findet bei Hirsch und Hirschkuh, Hengst und Stute, Kater und Katze, oder wo immer Ihr wollt; daß aber, wie Luther mit dem Ernste eines Weltweisen vorträgt, der Apfel und die Birne untereinander zur Ehe verbunden sind –«

Der Prior nickte nachdenklich und schmunzelnd mit dem Kopfe, als er fortfuhr: »Ich bemerke wohl, daß die schöne Ratio sich nicht ungestraft verachten läßt, – du aber, Giorgio, vollende, was du mir von Benjamin auszusagen hast; denn ich spüre die Schauer des nahenden Morgens, und noch sitzt unser Bruder in deiner und Margretes Gesellschaft an Luthers Tafel.«

»An jenem Abend,« fuhr Giorgio fort, »dauerte des Reformators trübe Stimmung, bis sich die Türe auftat und der Apotheker von Wittenberg, den Ihr, mein Vater, als Meister und Maler kennt, mit einer Kanne Falerner Weines hereinkam, die er dem Freunde zur Verbesserung der Stunde und zum Geschenk brachte.

Als Luther den dunklen Tropfen auf dem Grunde seines Bechers sah, lachte ihm das Herz und der Mund, und selig sprach er zu Lukas Cranach:

›Lukas, weil Vollsaufen ein so alt ehrlich Herkommen ist, so laßt's uns jetzunder nicht abbringen!‹

Danach dauerte es nicht lange, bis der Wein seine Zunge gelöst hatte, und der ›Reformator‹, durch unsre mönchische Gegenwart angeregt, sich in wunderlichen Sprüchen über Glauben und Gerechtigkeit erging. Er beklagte uns, wie mir schien, aufrichtigen Gemütes, daß wir bedacht seien, unter Furcht und Zittern das Heil unsrer Seele zu wirken, wandte sich mit bedauerlicher Gebärde an seine Freunde und sprach: ›Aus Fasten, Wachen, Studieren, Mäßigkeit kann nie kein fröhlicher Christ gedeihen, wie er nach dem Herzen Gottes ist. Wahr ist's! Wir Christen in der reinen Lehre sind eben schläfrig und nachlässig, – wer den Irrtum annimmt, ist hoch bemüht um seine Seligkeit.‹

Ich antwortete ihm, daß doch allezeit ein heiliger Wandel die Folge der reinen Lehre gewesen wäre, er aber, da er meine Aussage nicht Lügen strafen konnte, antwortete mit geröteten Wangen:

›Wo die Lehre des Evangeliums rein gepredigt wird, da müssen auch gewißlich gläubige und rechte Christen sein; das kann nimmermehr fehlen, und wenn gleich alle Welt derselben nicht einen einzigen sehen könnte. Das nenne ich keine Besserung, die in die Augen fällt, oder die das Herz umkehrt, – die wahre Besserung ist die, daß Gott den Menschen erlöst von seinem Gutdünken und eigner Gerechtigkeit.‹

›Herr Doktor,‹ wandte Benjamin ein, – ›wozu hat Gott uns das Gesetz verliehen?‹

›Laß mich unverworren mit Moses!‹ rief Luther heftig; ›ich bin kein Jude, – ich bin ein Christ! – Hat Gott uns seine Gebote gegeben, so hat er uns wollen unsre Unkraft fühlen lassen, und daß wir der keines erfüllen können; ein rechter Christ rühme sich frei: Hie ist keine Heiligkeit, – aber Christus ist's; er trotze nur zu: Habe ich Gottes Gesetz nicht gehalten, so hat es doch Christus gehalten; bin ich für mich nicht fromm, so ist doch Christus fromm; Sünde hin, Sünde her, dennoch bin ich heilig.‹

Benjamin sprang bei diesen Worten von seinem Sitze auf und sah dem Doktor Luther, als rede er irre, angstvoll ins Gesicht; dieser aber sprach lachend:

›Ja, ja, Mönchlein, solche Rede nimmt dich wunder in deiner papistischen Verzagtheit; und doch ist's nicht anders; meine blöde Seele, die ein böses Hürlein war, ist mit dem Herrn Christus in rechter Vermählung eins geworden, nun hangen meine Sünden an ihm, und er mag zusehn, wie er sie vor Gott entschuldigt; ich aber stolziere hochgemut in der Pracht seiner Heiligkeit einher, und wenn ich auch der ärgste Sünder unter der Sonne wäre; das fasse, wer kann. Aber,‹ fuhr er unter Seufzen fort, ›es ist gar ein schweres Ding, Euch Ehelosen solch fröhlichen Wettstreit begreiflich zu machen. Erkenne zuvor das Mädchen, das an deiner Seite sitzt und schon lange ihre Äuglein auf dich geworfen hat, und dann miß deine Kräfte, ob sie nicht bis an den Himmel reichen.‹

Herr, um dieser Worte willen war ich Luther gram; denn sie machten Wissende aus Unwissenden, was zwischen Liebenden die sichre Brücke zur Tat bedeutet.

Es entstand eine peinliche Stille, in der Benjamin und Margrete sich in die Augen sahen, ich aber riß sie voneinander, indem ich sagte:

›Mädchen, hüte dich vor Schuld; es steht ein unfreier Mann vor dir; wollen Mann und Weib aus ihrer vereinigten Stärke sich einen Zugang zum Himmel bahnen, so mögen sie dem Einsamen überlegen sein; haben sie aber die Schuld im Bunde, so haften ihre Sohlen an der Erde, als seien ihnen heimliche Angeln gelegt, die sie halten.‹

›Sankt Paulus sagt,‹ fiel mir Luther in die Rede, ›daß die Gnade nur um so mächtiger wird, wo die Sünde uns schier zerfressen hat, und das sage ich auch: keiner vermag ein gültig Wörtlein über Gottes Barmherzigkeit zu sprechen, der nicht bis an den Hals in der höllischen Grundsuppe der Sünde gesteckt hat. Armes Volk, das mit solchem Humpelwerk und Puppensünden herzutritt, als Fleisch fressen, die Messe versäumen, – wie soll da Christus seine Macht und Herrlichkeit wirken lassen. Rechtschaffne Sünder haben ein ander Register, darin Eltern morden, Gott verachten, Ehe brechen, öffentlich lästern geschrieben steht, Christus aber wäscht das Blutrote schneeweiß, und wer anders seine Sünden betrachtet, hat einen scheelen, sakrilegischen Blick dazu.‹

Philipp Melanchthon rückte bei solchen Worten seines Meisters von Unruhe geplagt auf seinem Stuhl umher; doch faßte er sich kein Herz, ihm laut zu widersprechen, und nur mit gedämpfter Stimme hörte ich ihn zu Aurifaber sagen:

›Wollte er sich doch in Ansehen der katholischen Gäste mäßigen, die glauben müssen, einen Zyniker, nicht aber einen evangelischen Prediger über die guten Werke reden zu hören.‹

Luther indessen hemmte den Schwall seiner Rede mit nichten, sondern lästerte im Tone eines Gebetes:

›Gott, himmlischer Vater, laß uns vielmehr untersinken in allem Schmutz und der Sünde, nur bewahre uns vor der Verblendung, als könnten wir in einem einzigen Werke unsres Fleisches vor dir angenehm sein.‹«

*

»Mein Vater,« sagte Giorgio mit einem langen Blick, »ich bin zu Ende. Ihr habt den großen Verführer Deutschlands reden hören wie ich selbst, und Ihr wißt, daß die Scheu der Unschuld, die bis zu jenem Abend Benjamin und Margrete umsponnen hielt, von roher Hand zerrissen war. Desgleichen werdet Ihr begreifen, daß die Liebenden nicht immer den Apfelbaum unter meinen Fenstern auswählten, sich süße Worte zu sagen, diese also meinem Ohr entgingen, wie die Taten meinem Auge. Daß solche aber bald genug jenen nachgefolgt sind, bewies mir die wachsende Vernachlässigung aller Vorsicht vor den Augen der Menschen; denn schon waren Benjamin und Margrete zwei Hälften eines Ganzen geworden, die zueinander strebten wie die zerrissenen Ketten des heiligen Petrus. Der Vater allein, der, obwohl er in Wittenberg lebt, mit wahrhaft kindlichem Gemüt einen Mönch für unverletzlich ansieht, täuschte sich über den Verkehr der Liebenden, bis eines Morgens die abgeschüttelte Kutte und die leeren Räume eine eindeutige Sprache redeten. Benjamin – oder wie er von seinem Weibe gerufen wird, – Toni und Margrete waren zur Nachtzeit heimlich entflohen; Luther oder Aurifaber wird sie zusammengegeben haben, und fragt Ihr, womit sie sich ernähren, so wißt: Wenn in Sachsen ein schmutziger Handwerker Hunger verspürt, so nimmt er ein Weib und wird evangelischer Prediger.«

Der Prior verhüllte sein Gesicht, und Giorgio sagte finster:

»Wie ich Euch jetzt sitzen sehe, mein Vater, so sitzt wohl auch heute noch der Meister, unser Gastfreund, und trauert um sein verlorenes Kind. Gott gebe uns Frieden!«

Hiermit stand Giorgio auf und zögerte einen Augenblick, ob er den Prior dem Troste menschlichen Zuspruchs oder aber dem Troste der Einsamkeit übergeben sollte; als er seinen geistlichen Vater unbeweglich sah, verließ er das Gemach und ging mit reisemüdem Schlürfen zu kurzer Rast in seine Zelle.



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