Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

13

Also wenn Terry Nagle am Freitag abends um zehn Uhr fünfzehn ein Solo gesungen hat, konnte er nicht zur gleichen Zeit außerhalb des Theaters telefonieren«, meinte Tam gedankenvoll, ihre Augen auf den Rauch gerichtet, der von ihrer vernachlässigten Zigarette emporstieg.

Statt jeder Antwort zeigte McCoy bloß ein spöttisches Grinsen, dann wandte er den Blick von ihr auf Conway Fisk. Keinem von ihnen war es bis jetzt gelungen, ihn von der Richtigkeit ihrer Theorie über den Mord an Paula Kent zu überzeugen. Er wäre eher gestorben, als das einzusehen. Dieser kleine gewandte Inspektor war in seiner Eifersucht außer sich darüber, daß Tam einem anderen Polizeibeamten lieber zur Seite stand als ihm. Tam schaute ihn halb amüsiert, halb erstaunt an.

»Nun, wenn er gerade zu dieser Zeit auf der Bühne war, kann er doch Paula Kent nicht angerufen haben«, wiederholte sie noch einmal.

»Du hast doch gar keinen Beweis, daß dieser Telefonanruf um zehn Uhr fünfzehn irgend etwas mit ihrem Tod zu tun hat«, gab McCoy zurück. »Die ganze Sache klingt auf jeden Fall reichlich unwahrscheinlich.«

»Auch wenn man in Betracht zieht, was Edith Hunneker mir über die ausgetauschten Pistolen gesagt hat?«

»Ich kann wirklich nicht einsehen, daß das irgend etwas beweist«, behauptete er skeptisch. »Aus welchem Grunde sollte denn der Mörder sie vertauscht haben, warum konnte er die eine Pistole nicht ebensogut wie die andere gebrauchen?«

»Auf jeden Fall hatte er irgendeinen Grund dafür, den wir später entdecken werden. Konntest du in Erfahrung bringen, ob jemand kurz nach zehn Uhr das Theater verließ und lange genug wegblieb, um ein Telefongespräch erledigen zu können?«

»Der Portier kann sich an nichts erinnern. Die finstere Miene, die er aufsetzte, als man ihn befragte, läßt darauf schließen, daß er um diese Zeit am Freitagabend ein Schläfchen gehalten hat oder gerade weggegangen war.«

»Entweder war dieser Telefonanruf dazu bestimmt, eine Verabredung mit Frau Kent auszumachen, oder unsere Theorie ist falsch«, warf Conway Fisk gedankenvoll ein. »Denn Kents Bedienstete behaupten, daß sie nur einmal nach dem Besuch Tams telefoniert hat, und das war, wie wir alle wissen, mit Edith Hunneker. Um zehn Uhr fünfzehn waren sie allerdings alle aus oder bereits im Bett, deswegen können sie nicht bezeugen, was dann geschehen ist.«

»Es besteht noch eine andere Möglichkeit«, schaltete Tam ein, aber es klang nicht sehr überzeugt. »Der Mörder kann ja auch gekommen sein, ohne vorher mit Paula gesprochen zu haben, und sie hat zufällig auf sein Klingeln geöffnet.«

»Wenn mein Gedächtnis mich nicht meines hohen Alters wegen täuscht, so habe ich schon mal gehört, daß du dich skeptisch über Dinge äußerst, die ›zufällig‹ geschehen«, bemerkte McCoy ironisch. Tam überhörte seinen Einwand.

»Wissen Sie, ob Edith Hunneker weitererzählt hat, daß Sie den wahren Namen des mysteriösen Girls kennen?« schaltete Fisk ein, um den Gesprächsgegenstand zu ändern.

»Sie hat eingestanden, Jules Darcy deshalb angerufen zu haben«, antwortete Tam. »Ich glaube sogar, daß ich selber bei dieser Unterhaltung dabei war.«

»Warum gerade Jules Darcy?«

»Bloßer Zufall. Alle drei Männer wußten von diesem Geheimnis und waren ein wenig beunruhigt, aus Furcht, daß sie Komplikationen mit der Polizei haben würden, wenn Paulas Geheimnis einmal ruchbar werden sollte. Frau Hunneker beabsichtigte, sie zu warnen, und versuchte bei Terry anzurufen, und da sie ihn nicht antraf, so rief sie Darcy an, und Darcy hat dann auch mit ihr gesprochen.«

»Natürlich hat er es sofort auch den anderen beiden mitgeteilt, alle drei waren in dem gleichen Boot«, bemerkte McCoy, dessen Humor wieder zurückgekehrt war, »sie wären bestimmt in sehr heißes Wasser hineingefallen, als gerechte Strafe dafür, daß sie der Polizei wichtige Informationen vorenthalten haben. Sollte deine Annahme, daß Paula Kent nur ermordet werden mußte, um sie zum Schweigen zu bringen, richtig sein, so spricht alle Wahrscheinlichkeit dafür, daß auch Terry Nagle wußte, was vorging.«

»Ich freue mich zu sehen, daß du dich jetzt zu unserer Ansicht bekehrst.« Tam warf ihm ein schelmisches Lächeln zu.

»Wer hat das gesagt?«

»Sonst hättest du ja nicht besonders betont, daß höchstwahrscheinlich der Mann, den du so gern verdächtigen möchtest, Terry also, gewußt hat, daß Paula mir etwas beichten wollte.«

»Nun, von mir hat keiner je sagen können, daß ich nicht einsichtig wäre«, antwortete er schlagfertig. »Wenn ihr beide glaubt, daß die Morde zusammenhängen, so habe ich nichts dagegen, auf dieser Basis eine Zeitlang mitzuarbeiten. Natürlich weist die Fettschminke auf dem Schal auch darauf hin, daß der Träger mit dem Theater in Verbindung steht. Dazu hat mir Fisk eben berichtet, daß der Flecken heute analysiert wurde und ganz gemeine Fettschminke ist, wie es Tam auch angenommen hat. Solche Theaterschminke ist kein Schönheitsmittel, das allgemein benutzt wird.«

»Dann schließt du dich uns also an?« Tam bestand auf einem Ja oder Nein.

»Unter der Bedingung, daß sein Solo um zehn Uhr fünfzehn für Terry noch kein Alibi bedeuten muß«, bedang sich McCoy aus. »Das Telefongespräch um diese Zeit kann aus irgendeinem anderen Grunde geführt worden sein, weiß man denn, wer angerufen hat? Was mich beunruhigt, ist folgendes: Wenn er schuldig ist, wie konnte er in den Besitz einer der Pistolen kommen, wenn ihm nicht ein Girl dabei geholfen hat? Aber das, was Paula Kent gesehen hat, könnte das ja erklären.«

»Bei allem Durcheinander scheint euch eine Tatsache nicht aufgefallen zu sein,« bemerkte Tam, die einem Gedanken folgte, der ihr selbst nicht sehr sympathisch war. »Wenn wir annehmen, daß Paula nur deshalb ermordet wurde, um sie zum Schweigen zu bringen, dann haben alle Personen, soweit wir sie bis jetzt verdächtigt haben, ihr Alibi, sobald wir festgestellt haben, daß sie nicht gewußt haben können, daß Paula aussagen wollte. Stimmt das? Wer hat also davon gewußt? Frau Hunneker hat die Sache an Darcy weitergegeben. Darcy hat sie den andern beiden Männern erzählt. Gut. Aber an wen ist diese Nachricht noch gegangen?«

»Man kann mit Sicherheit annehmen auch an die Braut von Terry Nagle«, entschied McCoy mit Nachdruck, »und einer von den andern Jungens, oder auch beide, werden es Lois Chalmers weitergetratscht haben, und da wir genau wissen, daß alle drei flunkern konnten wie die Zauberkünstler, denn sie haben uns weiß machen wollen, daß sie das mysteriöse Girl nicht kannten, kann man mit aller Bestimmtheit annehmen, daß die Mädels ebenso gut lügen können.«

»Ja, in diesem Fall werden wir den Kreis der Verdächtigen kaum einengen können«, schaltete Fisk lachend ein, »denn wenn zwei weibliche Wesen von der Absicht Paulas wußten, da hätte man diese Nachricht ebensogut durch Radio weitergeben können.«

Tam zog ihre Lippen verächtlich zusammen. »Als ob wir Frauen nicht ebenso fähig wären, uns nur um unsere eigenen Angelegenheiten zu kümmern wie ihr Männer.« Hier wurde die Unterhaltung durch Hannah, Tams Haushälterin, unterbrochen, die Kaffee und frischgebackenen Kuchen hereinbrachte. »Ich habe mir gedacht, soviel Reden macht durstig«, entschuldigte sie sich, »und die meisten Herren mögen hausbackenen Kuchen so gern.«

Ihre junge Herrin lächelte voller Anerkennung, sie hatte wohl begriffen, daß die erwähnten Kuchen ihr zuliebe gebacken worden waren, denn die etwas altjüngferliche Hannah betete das junge Mädchen geradezu an und verwöhnte es über alle Maßen. Beim Kaffee teilten Tam und McCoy Fisk verschiedene geheimgehaltene Einzelheiten über Kirbys Tod und über verschiedene Mitglieder der Piratengoldgesellschaft mit. – »Und haben Sie nichts Sicheres über diesen Erpresserbrief ausfindig gemacht?«

»Nichts!« antwortete McCoy kummervoll. »Das ist ja von A bis Z Unsinn, daß Maschinenschrift ebenso leicht identifiziert werden kann wie Handschrift. Ich gebe zu, daß man nachweisen kann, ob ein bestimmter Brief auf einer bestimmten Maschine geschrieben worden ist oder nicht. Aber da heißt es erst, diese Maschine ausfindig machen. Da liegt der Hase im Pfeffer. Es ist zwar nicht allzu schwer, eine bekannte Handschrift unter vielen anderen wiederzuerkennen, aber es gibt wenige Menschen, die den winzigen Abweichungen und Besonderheiten einer Schreibmaschinenschrift Beachtung schenken. Zeigen Sie den Leuten eine Probeseite, und keiner wird sich entsinnen, daß er diese winzigen Fehler an den Typen und in der Unregelmäßigkeit der Zeilengeradheit bemerkt hat. Dabei mag auch er schon ein Dutzend Briefe bekommen haben, die mit dieser einen Schreibmaschine geschrieben sind.«

»Es ist nur schade, daß Roger Kent aus Kirby nicht mehr herausgeholt hat. Nach allem, was Sie sagen, muß doch Kirby eine Ahnung gehabt haben, wer ihm diese Briefe geschickt hat, er hat ja Kent angedeutet, es sei eine Frau, nicht wahr?«

»Gewiß, wenn aber ein Herr, privat wie geschäftlich, mit so vielen Damen umgeht, dann hilft uns das nichts«, murmelte McCoy vor sich hin. »Auch in anderer Richtung haben wir keine Fortschritte gemacht. Wir haben leider nicht feststellen können, wer von den Darstellern schießen kann. Natürlich wissen die Mädels am linken Flügel, daß sie sofort Verdacht erregen könnten, deshalb rühmt sich auch keine, mit Schußwaffen umgehen zu können. Und Nachforschungen, die wir draußen gemacht haben, bringen uns auch keinen Schritt weiter. Keiner und keine will gut schießen können.«

»Hast du die Andeutung von Vivian Fayne, daß Mona Dare oft in die Mainewälder zur Jagd ging, weiterverfolgt?« fragte Tam, und McCoy bejahte das. Mona hatte ohne weiteres zugegeben, daß sie oft mit ihrem Pflegevater auf die Jagd gegangen sei, aber schießen könne sie deshalb keineswegs.

»Und wie steht es mit Terry Nagle?«

»Er behauptet, er habe keine Ahnung vom Schießen.«

»Und hat doch eine Pistole gekauft?«

»Ja, er erzählt, in einer Lebensbeschreibung eines berühmten Mannes gelesen zu haben, daß es ein höchst beruhigendes Gefühl sei, ein perfekter Scharfschütze zu sein, und deshalb habe er sich vorgenommen, ein solcher zu werden, er meint aber, er sei vor lauter Berufsarbeit nicht dazu gekommen, und es sei bei dieser löblichen Absicht geblieben. Wenn man ihm glaubt, hat die Pistole schon wochenlang vor dem Mord an Kirby unbenutzt in seiner Lade gelegen.«

»Er gibt also zu, daß sie abhanden gekommen sei?«

»Ja, aber er will keine Ahnung haben, wann und durch wen. Er hat sie erst vermißt, als er einmal die Schublade auf der Suche nach einem anderen Gegenstand öffnete, dabei merkte er, daß die Waffe gestohlen war.«

»Und es kann sie nur jemand genommen haben, der zu der Truppe gehört?«

»Er sagt es. Kann aber nicht angeben, wieviel Menschen wußten, wo er sie aufbewahrt hat.«

»Die ganze Bande ist darauf aus, akuten Gedächtnisschwund zu simulieren!« warf Tam ein. »Sonst produzieren die Leute eine Unzahl von Theorien und Angaben und aufschlußreichen Folgerungen und dergleichen, aber hier geht es immer wieder: ich weiß nicht, ich kann mich nicht erinnern und so fort. Sieht doch aus, als ob sie sich verschworen hätten!«

»Die alte Gemeinschaft, wie sie bei den Theaterleuten eben üblich ist. So stehen sie immer zusammen gegen die Außenwelt. Gegeneinander, da gehts immer scharf los, aber laß' nur einen Außenseiter rankommen, dann stehen sie da wie eine Mauer, wie ein einziger Mann.« McCoy holte eine seiner scheußlichen, aber vielgeliebten Zigarren heraus, setzte sie in Brand und sah seine Mitarbeiter vorwurfsvoll durch eine Wolke wenig aromatischen Rauches an:

»Hat einer von euch vielleicht eine blasse Ahnung, was mit der vermißten Pistole los ist?«

»Mit welcher?« gab Fisk zurück. »So viele Pistolen schwirren hier umher, daß ich bekennen muß, ich sehe auch nicht mehr ganz klar.«

»Also: Ragans Requisitenkasten sollte zweiunddreißig Pistolen enthalten, für jedes Girl eine«, erläuterte McCoy, »und diese Zahl stimmte denn auch nach Kirbys Tod, aber nur die Zahl. Die eine Pistole war anderer Herkunft, es war ein anderes Modell, und nachher fand man heraus, daß sie das Eigentum Terry Nagles war und daß sie an diesem Abend von dem mysteriösen Girl benutzt worden ist, von Paula Kent, wie wir genau wissen, und zwar aus den Fingerabdrücken. Die wurden, nebenbei gesagt, von den Fingern der Leiche abgenommen. Nun möchte ich wissen, was ist aus der zweiunddreißigsten Pistole geworden?«

»Hast du Nachforschungen nach ihr anstellen lassen?« fragte Tam.

»In aller Stille, gewiß, und dabei so gründlich, als man es tun konnte, wenn man keine Haussuchungsbefehle für alle sechzehn verdächtigen Girls erlassen wollte.«

»Freitagabend ist es passiert und heute ist schon Dienstag!« Sie hob vier Finger in die Höhe und sah sie mißvergnügt und unzufrieden an. »Vier ganze Tage, und wir stehen der Lösung des Geheimnisses nicht näher als zu Anfang. Mae und ich sollten einen Kursus der detektivischen Wissenschaft belegen, wahrhaftig, wir arbeiten langsamer als Amateure.«

»Ja, ist alles gut und schön, meine Dame, aber laß dir sagen, daß dieser Fall aller Regeln spottet. Ich möchte nicht gern sagen, wie lange ich schon die Verbrecherjagd betreibe, aber zum erstenmal habe ich gleich mit sechzehn Personen zu tun, von denen eine allem Anschein nach schuldig sein muß und von denen auch nur eine einzige, soweit wir es wissen, einen richtigen Grund dazu haben kann.«

»Dann sag doch lieber gleich zwei, denn Mona Dare und Terry Nagle hatten ja den gleichen Grund; den Widerstand Kirbys gegen die Verlobung aus der Welt zu schaffen.«

»Na, ist das vielleicht kein ausreichendes Motiv?« gab McCoy kurz zurück. »Ob es nun auf beide zutrifft oder nur auf eine, und daß Mona Dare seine Erbin ist, macht es noch gewichtiger.«

»Ich kenne mich da noch nicht ganz so aus wie Sie beide,« unterbrach ihn Fisk, »aber mir scheint es, als ob dieser Anruf um zehn Uhr fünfzehn für Terry Nagle ein Alibi bedeutet. Wir müssen uns darauf konzentrieren, welches der sechzehn Girls Gelegenheit hatte, Paula Kent um diese Zeit anzurufen.«

»Kinder, macht was ihr wollt«, sagte Tam sehr lebhaft, »ich verfolge eine ganz andere Spur. Ich möchte wissen, warum sich Vivian Fayne so merkwürdig still verhält. Bei der Untersuchung war sie sehr sparsam mit ihren Angaben, und seither hat sie nicht einen Funken Interesse gezeigt für das, was weiter geschah, und hat nicht ein einziges Mal nachgefragt. Diese Zurückhaltung liegt nicht in ihrem Wesen. Ich möchte wissen, was dahinter steckt.«

»Vielleicht Angst vor einem Skandal? Man kennt ihre Beziehungen zu dem Opfer«, meinte McCoy.

»Unsinn! Vivian ist kein bescheidenes Veilchen. Sie wird schon ihren Grund haben, sich im Hintergrund zu halten, und ich habe die Absicht, morgen die Sache zu untersuchen.«


 << zurück weiter >>