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10

Am Tage vorher hatten Darcy und Tearly Tam zu einem sogenannten Prohibitionstee eingeladen. Die Gesellschaft war exklusiver als der Kreis, der sich an den Sonntagabenden einfand, an denen jeder kam, der Lust hatte. Sie fand außer Lois Chalmers und Dimples zwei nett aussehende junge Mädchen. Man war dabei, aus Teetassen eisgekühlte Getränke zu schlürfen, wobei die Trinkgefäße den Schein der Alkoholfreiheit wahren sollten.

»Treten Sie näher, Fräulein O'Brien, und sagen Sie, welches Gift Sie am meisten lieben«, begrüßte sie Humphrey Tearly mit gewinnender Liebenswürdigkeit.

Da Dimples sich für sie verbürgt hatte, wurde es von der ganzen Gesellschaft übersehen, daß sie mit dem Fall Kirby beruflich in Verbindung stand und möglicherweise auf der Suche nach Beweismaterial war. Dieses dunkelhaarige junge Mädchen bildete für alle eine interessante Bereicherung der Gesellschaft.

»Könnte ich vielleicht etwas Ingwerbier haben?« Sie zog einen Stuhl in die Nähe von Lois und nahm die angeborene Zigarette.

»Mit einem Schuß Scotch- oder Rye-Whisky?«

Tam, die am liebsten keines von beiden genommen hätte, hielt es doch für besser, sich den hier geltenden Gesetzen zu unterwerfen. Sie überließ ihrem Gastgeber die Wahl und begann sich mit Lois zu unterhalten, die sie nur sehr flüchtig kannte.

Das junge Mädchen war ganz reizend, einfach und anmutig, mit einer gewissen Scheu in Augen und Stimme. Tam konnte es sich gut vorstellen, daß sie einen starken Reiz auf die Männer ausübte, die nur an die unabhängige Kameradschaft der Durchschnittsschauspielerinnen gewöhnt waren.

Ein wenig später kam Terry Nagle, und Tam, die beobachtete, wie er den leichtherzigen Clown spielte, machte sich Gedanken darüber, ob sein fröhliches Herumalbern nicht irgendwelches Schuldgefühl verdecken sollte. Und doch wollte sie an seine Schuld nicht glauben.

Als die Stimmung immer ausgelassener wurde, konzentrierte sich ihre Aufmerksamkeit auf den älteren der beiden Gastgeber: Jules Darcy. Mit seinem klugen, unergründlichen Gesicht und seinen sonderbar ruhigen Augen fiel er in irgendeiner Weise aus dem Rahmen der Gesellschaft heraus, wenn auch keiner von den anderen sich dieser Tatsache bewußt zu sein schien. Als ob er von ihren stillen Betrachtungen über ihn angezogen worden wäre, ging er zu Tam in der Nähe des Fensters und fragte:

»Ist es vielleicht erlaubt, Sie etwas über den Fall Kirby zu fragen, oder bestehen Sie darauf, Gesellschaft und Beruf streng voneinander getrennt zu halten?«

»Oft genug verschmelzen beide so sehr, daß man nicht merkt, wo das eine aufhört und das andere anfängt«, versicherte ihm Tam mit einem freundlichen Lächeln.

»Darf ich Sie dann also fragen, ob man wirklich schon so nahe daran ist, den Täter zu ergreifen, wie die Zeitungen behaupten?«

»Es ist eine ebenso alte wie schlechte Gewohnheit der Zeitungen, versteckte Anspielungen auf angeblich bevorstehende Festnahmen zu machen. Damit erhöhen sie ja das Interesse der Käufer an der nächsten Zeitungsnummer. Um ganz ehrlich zu sein, bis jetzt hat man noch keine Haftbefehle erlassen.«

»Es sind ja auch erst drei Tage vergangen«, meinte Darcy wohlwollend, »und ich nehme an, daß Sie doch seit Freitag abend allerhand entdeckt haben.«

»Eine Unmenge. Allerdings haben die neuen Entdeckungen die Lage eher verwirrt als geklärt, aber das ist ein Stadium, das sich bei jeder Untersuchung ergibt, und das überwunden werden muß. Wir hoffen, daß der Fall bald restlos geklärt sein wird.«

»Und ich habe mir eingebildet, dieser Fall läge viel einfacher als die meisten.« Seine dunklen Augen studierten sie mit einer etwas aufreizenden Aufmerksamkeit. »Sie gehen immer davon aus, daß der oder die Schuldige unbedingt unter den Leuten zu suchen ist, die bei Kirbys Tod auf der Bühne gestanden haben, und alle anderen Verdachtsmomente fallen nicht sehr ins Gewicht?«

»Ja, zuerst waren wir natürlich alle dieser Ansicht«, gab Tam zu, »aber dann komplizierte sich alles doch wieder sehr, wir haben kein sicheres Beweismaterial, das sich auf eine bestimmte Person richtet.«

»Und die Hauptsache: das Motiv?«

»Da gibt es wieder neue Schwierigkeiten! Sie haben sicher aus den Zeitungen erfahren, daß Mona Dare die einzige ist, die ausgesprochene Vorteile aus dem Tod ihres Pflegevaters zieht. Aber auch ein anderes Motiv: Rachsucht zum Beispiel kann dem Mörder die Waffe in die Hand gedrückt haben, ebenso eine Art von Selbstverteidigung.«

»Ich verstehe.« Sein dunkler Kopf beugte sich vor, er schien in tiefes Sinnen verloren, und seine Augen hingen immer noch beobachtend an ihr. »Die Zeitungen haben so wenig über Vivian Fayne gesagt. Hat man denn ihr stürmisches Temperament und den Umstand, daß Kirby sich von ihr zurückgezogen hatte, hinreichend in Erwägung gezogen?«

»Nun, gerade das leugnet sie entschieden.«

»Das kann man ja verstehen. Nichtsdestoweniger bin ich ganz sicher, daß die Beziehungen zwischen ihnen sich dem Ende nähmen. Kirby galt niemals als der Treueste der Treuen.«

»Gewiß, aber man kann doch nicht eine Frau des Mordes anklagen, wenn keine greifbaren Tatsachen vorliegen, die das motivieren. Wir haben nichts über Streitigkeiten oder besonders ausgeprägten Haß in Erfahrung bringen können.«

»Und wie steht es mit Vivians Auftritt mit der verschwundenen Smith?«

»Ach Gott, vielleicht mag etwas daran sein. Übrigens wollte ich Sie fragen, ob Sie selbst einmal mit Fräulein Smith gesprochen haben, oder ob Ihnen bekannt ist, daß sie mit einem anderen Girl besonders gut stand?«

»Auf beide Fragen muß ich mit Nein antworten. Natürlich habe ich das Mädchen gesehen, als es Kirby zu den Proben mitbrachte. Es war ein sehr hübsches Ding, aber abgesehen von meiner Bewunderung aus der Entfernung habe ich keine Beziehung zu der Dame gehabt.«

›Was für ein durchtriebener Lügner!‹ dachte Tam im stillen und überlegte, daß sich so etwas nicht von heute auf morgen erlernt. Die Neugier bewog sie, noch weiter über das mysteriöse Girl zu sprechen, aber Darcy zeigte auch nicht das leiseste Zeichen von Verwirrung. Sie Lauschten also noch eine Weile ihre Meinungen über »Fräulein Smith« aus, bis ein Bote erschien und Darcy herausholte. Jetzt kam Dimples sofort herüber und bot ihr gastfreundlich noch ein Gläschen an, aber Tam dankte.

»Es sieht so aus, als ob den guten Darcy wieder einmal die Arbeitswut gepackt hat!« Dimples guckte zu, wie ein ziemlich großes Paket in einem Nebenraum des Wohnzimmers abgestellt wurde.

»Wegen dieses Paketes? Warum? Was ist denn da drin?«

»Bildhauerton! Hin und wieder arbeitet Darcy mit diesem Zeug herum, macht Modelle für Ausstellungsgebäude und ähnliches. Dann rührt er es wieder monatelang nicht an.«

Tam beobachtete Darcy, der im Flur am Telefon stand, durch die offene Tür. Anscheinend hörte er sich irgendeine langatmige Geschichte an, schaltete nur hin und wieder »ja« oder »nein« ein. Endlich hängte er den Hörer an und mischte sich wieder unter die anderen, aber der Schatten von Unzufriedenheit, der stets über seinem Gesicht lag, schien noch ein wenig tiefer als gewöhnlich.


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