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2

Auf der Bühne brannten wieder alle Lampen. Das Piratenschiff hatte man stehen lassen. Die Chorgirls und die beiden Schauspieler des Finales standen in Gruppen beieinander. Der Rest des Personals hatte sich in die Garderoben zerstreut.

»Ich habe die Leute, die auf der Bühne waren, als der Schuß auf Kirby abgegeben wurde, abgesondert gehalten«, erklärte der Bühnenmeister, als Tam und McCoy auf die Bühne kamen und von Bob Maxwell vorgestellt wurden.

»Die anderen habe ich auch hier behalten, ihnen aber nicht erlaubt, die Bühne zu betreten.«

»Und die Schußwaffen?«

»Sie wurden wie gewöhnlich in Ragans Requisitenkasten getan, bevor noch jemand wußte, was geschehen war.«

»Also alle durcheinandergeworfen?«

»Natürlich, keiner konnte doch annehmen, daß es ein Schuß war, der die Frau da in der ersten Reihe zum Schreien brachte.«

»Nun gut, sorgen Sie dafür, daß sie nicht angerührt werden, bis die Sachverständigen Gelegenheit haben, sie zu untersuchen!« McCoy wandte sich jetzt an die ziemlich erschreckten Mädchen, die ihn als Vertreter des Gesetzes mit einer gewissen Ehrfurcht anstaunten, die sie sonst vor keinem Manne hatten.

»Das ist Vivian Fayne, dort drüben am Pfeiler.« Maxwell zeigte auf ein schlankes, schwarzhaariges Mädchen, dessen Gesicht so blutleer war, daß die Schminke in garstigen roten Flecken abstach. »Und die weinende Kleine dort drüben ist Kirbys Schützling, Mona Dare.«

»Es hat keinen Sinn, sie jetzt zu vernehmen«, bemerkte McCoy mit gedämpfter Stimme zu Tam. »Wenn eine von ihnen schuldig sein sollte, so wird sie sich nicht hier auf der Bühne bloßstellen.«

»Ich werde sie mit den anderen zusammen vernehmen«, stimmte sie zu. »Vielleicht ist es ihnen noch nicht zum Bewußtsein gekommen, daß sie unter Verdacht stehen. Und, Mac, würden wir nicht Zeit sparen, wenn die Girls alle ihre gewöhnliche Stellung für das Finale einnehmen? Auf diese Weise kannst du die, die auf der äußersten rechten Seite stehen, sofort ausschließen.«

»Gute Idee.« Er gab diesen Vorschlag an Maxwell weiter, und während sich die Girls postierten, ging er dorthin, wo die beiden Hauptdarsteller miteinander sprachen.

Einer, der Komiker des Stücks, war ein pausbäckiger rosenwangiger junger Mann, dessen runde blaue Augen und unschuldiger Gesichtsausdruck einen komischen Kontrast zu seiner schneidigen Kapitänsuniform bildeten. Als sich McCoy näherte, wandte er sich von seinem Kollegen ab.

»Ist das nicht eine gräßliche Sache, Inspektor? Ragan sollte sofort verhaftet werden!«

»Ragan? Meinen Sie den Requisiteur?«

»Natürlich.« Der Komiker wies auf einen Mann mit einem harten Gesicht, der über die Pistolen wachte. »Er war der einzige, der Gelegenheit hatte, die Pistolen so zu laden, daß eine scharfe Patrone an Stelle der Platzpatrone hinein kam.«

»Sehr interessante Theorie. Sie können sich ein wenig später weiter darüber auslassen. Sie sind doch Terry Nagle, nicht wahr?«

»So groß ist mein Ruhm! Sie scheinen ja ein wenig daran zu zweifeln, und dabei macht das Theater mit meinem Namen die größte Reklame! Wollen wir hoffen, daß Ihnen Jules Darcys Gesicht ein wenig vertrauter ist. Er ist der offizielle Star und soll eine wundervolle Stimme haben, obwohl ich noch niemals Gelegenheit hatte, sie selbst zu hören.«

Der große, etwas mürrisch aussehende Mann hinter ihnen nickte kurz bei der Vorstellung und zeigte keine besondere Neigung, auf Terrys Späße einzugehen. McCoy verschob die Unterredung mit ihnen, als er sah, daß die Chorgirls ihre Stellung eingenommen hatten.

Clyde Kirbys Platz war in der Mitte der ersten Reihe der dritte vom Gang, links. Wenn er wie jetzt einfach in der Mitte seines Stuhls gesessen hätte, mußte der Schuß von jemand auf der linken Bühnenseite abgefeuert worden sein. Denn die auf der rechten Seite der Bühne hätten seine weiß leuchtende Hemdbrust kaum sehen können. Der Einschußwinkel zeigte ganz deutlich, daß der Schuß von links gekommen war.

Tam hielt sich bei der Prüfung der Aufstellung der Girls durch McCoy mit Absicht im Hintergrund und machte sich eine kleine Skizze. In der ersten Reihe befanden sich nur fünf Girls, die flach auf dem Boden lagen, und Tam bezweifelte, ob die zwei Mädchen am linken Flügel genug sahen, um auch nur einigermaßen auf den Autor des »Piratengoldes« zielen zu können. Die zweite Reihe war schon reichhaltiger, sie umfaßte acht schlanke Piratinnen, und von ihrer halb knienden Stellung war ihr Ausblick aufs Publikum schon weniger gehemmt. Mona Dare war die zweite von links. Ihre Stellung war für den Schuß gar nicht so übel. In der nächsten Reihe zählte man neun Girls, Vivian Fayne war die dritte des linken Flügels. Auch sie hatte eine Stellung, von der aus man Clyde Kirbys Hemdbrust und seinen funkelnden diamantenen Hemdenknopf genau sehen konnte.

Im Hintergrunde waren weitere neun Girls, die aufgerichtet dastanden, im ganzen also einunddreißig, – eine ziemlich sonderbare Zahl, so dachte Tam, denn beim Chor war meist eine gerade Zahl üblich.

Sie ging weiter nach hinten, und ihre Augen studierten aufmerksam die Gesichter all derer, die die linke Seite des Piratenchors bildeten, nicht gerade mit der Absicht, irgendwelche Anzeichen von Schuld bei einer von ihnen zu entdecken, sondern nur, um sich die verschiedenen Typen einzuprägen, so daß sie sie später wiedererkennen würde.

Während McCoy die Girls vernahm, ging Tam zufällig zu dem Seitenflügel, wo Ragan und ein Mann in Zivilkleidung über die Pistolen wachten.

»Arme Irre! Mir zu sagen, daß ich aus Versehen eine scharfe Patrone hineingesteckt habe«, murmelte der Requisitenmann finster, mehr zu sich selbst als zu seinem gelangweilten Kollegen. »Was sollte ich wohl mit so was anfangen? Denken wohl, daß ich ein Gangster bin und scharfe Munition bei mir herumtrage!«

»Versuchen die Leute wirklich, Ihnen die Schuld zu geben?« Tams Stimme hatte einen Klang von äußerst beruhigendem Mitgefühl. »Wie unglaublich dumm!«

Ein schwaches Lächeln zeugte von seiner Dankbarkeit. »Von solchen Leuten, Fräulein, kann man ja auch nicht mehr erwarten. Terry Nagle hat keinen Verstand. Er hat versucht, dem Bühnenmeister zuerst einzureden, daß ich unvorsichtig gewesen bin.«

»Als ob Sie nicht die ganze Saison lang die Pistolen verwahrt hätten, ohne daß jemals ein Unfall passiert ist!« Sie blickte in die sorgfältig behütete Requisitenkiste. »So eine Menge! Es muß ziemlich viel Zeit erfordern, die ganzen Dinger sauber zu halten und zu laden …«

»Zweiunddreißig.« Er nickte mit dem Kopf, jede Spur seines Grolls war wie weggeblasen. »Ich habe sie nach jeder Vorführung gezählt, denn fast immer lassen diese törichten Mädels sie herumliegen, weil sie es so verflucht eilig haben, in ihre Garderobe zurückzulaufen, um eine Zigarette zu rauchen.«

»Aber heute abend waren doch alle da?«

»Alle, bis auf eine … Ich habe sie gezählt, bevor ich noch wußte, daß aus einer von ihnen der Schuß auf Kirby abgegeben wurde. Offen gesagt, ich bin ganz zufrieden, daß wir ihn los sind«, fügte er hinzu, und es schien ihm daran zu liegen, seine Überzeugung auszusprechen. »Er war ein schrecklicher Leuteschinder, allen gegenüber, außer den Chorgirls. Keiner, der in Hosen herumlief, bekam jemals ein anständiges Gehalt bei Clyde Kirby.«

»Aber ich habe gelesen, wie sehr seine Leute ihn liebten.«

»Das muß sich wohl bloß auf die lieben Damen bezogen haben«, lachte Ragan auf. »Obgleich er die Schauspieler ganz gut behandelte – er wußte genau, wie er mit einem wirklichen Talent umgehen mußte –, uns Arbeiter hat er immer übers Ohr gehauen.«

»Sie schimpfen doch gern, nicht wahr, Ragan?« Terry Nagle sprach in heiterem Ton über Tams Schulter hinweg. »Wissen Sie denn nicht, daß es unklug ist, seiner Abneigung gegen einen Ermordeten Ausdruck zu geben?«

»Nein, diesmal ist es nicht so!« erwiderte Ragan. »Kirby wurde von der Bühne aus erschossen, und ich war nicht oben.«

»Ich hoffe, daß Sie mich nicht verdächtigen, weil ich zufällig oben war.«

»Na ja, da ich ja weiß, daß Sie und Darcy keine Pistolen hatten …« Ragan beendete den Satz nicht, sogar seine sichtbare Abneigung gegen den Komiker konnte einen Mann ohne Waffen kaum anklagen.

Unterdessen hatte Inspektor McCoy alle die Chorgirls abgesondert, die zu weit rechts standen, um auf Kirbys Sitz zielen zu können. Der Vorhang war, nachdem das Haus leer geworden war, noch einmal hochgezogen worden, so daß der verhängnisvolle dritte Sitz, von dem man Kirbys Leiche hatte wegschaffen lassen, deutlich sichtbar war, und McCoy hatte ein weißes Tuch über die Rückenlehne werfen lassen, um den Platz deutlich zu markieren.

»Nun, meine Damen …« Er schaute die Mädchen mit lächelnder Freundlichkeit an, die ihnen die Befangenheit nehmen sollte. »Nun, Mädels, ihr bleibt dabei, daß ihr nichts gesehen oder gehört habt, was uns auf die Spur von Clyde Kirbys Mörder bringen könnte. Ich hoffe, ja ich erwarte bestimmt, daß ihr morgen oder übermorgen kommen werdet, um mir zu erzählen, daß ihr euch doch an irgend etwas erinnern könnt, was euch jetzt entfallen ist. Nun noch ein paar weitere Fragen: keine von euch hat also die Pistole verlegt oder vergessen, sich von Ragan eine geben zu lassen?«

Nachdrückliche Verneinungen waren die Antwort, und jedes Girl versicherte, daß es in dem großen Finale wie gewöhnlich geschossen habe.

»Also liegt nirgends eine Pistole herum. Sie alle hatten Ihre eigene oder besser gesagt die, die Ihnen von Ragan für diese Vorstellung ausgehändigt wurde. Schön. Dann bitte ich Vivian Fayne und Mona Dare, auf mich zu warten, bevor sie das Theater verlassen, und wenn eine von Ihnen außerdem Kirby genauer gekannt hat oder irgendwelche wichtige Einzelheiten aus seinem Privatleben erzählen kann, so würde ich mich sehr freuen, wenn Sie mir aus freiem Willen Ihre Kenntnisse sogleich mitteilen wollten.«

Niemand erwiderte etwas. Er wartete noch eine Weile, in der schwachen Hoffnung, daß es mehr an Mut als an Material fehle, als ihn jemand am Ärmel berührte. Tam flüsterte ihm zu:

»Halte die Mädels noch eine Sekunde länger auf, Mac, es stimmt da etwas nicht, und du wirst sie deswegen vernehmen müssen.« Beide gingen auf den rechten Flügel zu, wo sie außer Hörweite waren.

»Wo liegt die Schwierigkeit?« fragte er und wußte nur zu gut, daß Tam ohne zwingenden Grund ihn niemals unterbrochen hätte.

»Ich habe den Chor durchgezählt und festgestellt, daß einunddreißig Girls da sind, und Ragan gibt an, daß zweiunddreißig Pistolen ausgegeben wurden. Wo ist das zweiunddreißigste Girl?«

»Heiliger Petrus! Mir hat noch keiner gesagt, daß ein Girl fehlt!« McCoy schaute schnell um sich, dann winkte er dem Bühnenmeister zu, der auf der entgegengesetzten Seite stand. Als er auf sie zukam, fragte der Inspektor:

»Wieviel Girls hat der Chor eigentlich?«

»Nun, zweiunddreißig.« Der Bühnenmeister schaute abschätzend auf die Girls.

»Hier sind doch nur einunddreißig«, behauptete McCoy. »Es fragt sich nun, ob das zweiunddreißigste Mädel vor oder nach dem Schuß verschwunden ist?«

»Wir sollten lieber Ragan fragen, ob heute abend alle Pistolen verteilt worden sind«, riet Tam.

Als man den Requisitenmeister befragte, behauptete er, daß keins der Girls gefehlt habe, als nach den Pistolen verlangt wurde, und daß alle zweiunddreißig wie gewöhnlich ausgegeben worden waren.

»Das fehlende Mädchen ist eine Fremde, die erst seit einer Woche bei uns ist«, sagte der Bühnenmeister, der in der Zwischenzeit die Sache nachgeprüft hatte.

»Was meinen Sie mit ›Fremde‹?« fragte der Inspektor ungeduldig.

»Ungefähr Mitte letzter Woche ordnete Clyde Kirby eine Probe an, da er einige geringfügige Änderungen im Piratenchor und in einer oder zwei der anderen Nummern vornehmen wollte. Als er hierzu erschien, brachte er ein Girl mit, das keiner vorher gesehen hatte, und sagte, sie hieße Smith, obwohl wir alle wußten, daß dies der erste beste Name war, der ihm gerade einfiel. Auf jeden Fall engagierte er sie für die Nummern, die er ändern wollte, und man kann wohl sagen, daß sie tanzen konnte und eine herrliche Stimme hatte, aber irgendwie hatte ich doch den Eindruck, daß sie Amateurin sei, nicht Schauspielerin von Beruf. Sie kam zu drei oder vier Proben, und Montagabend nahm sie die Stelle eines Mädchens ein, das Kirby rausgefeuert hatte, um für sie Platz zu schaffen.«

»War sie heute abend da?«

»Sie können mich aufhängen, aber ich kann das nicht behaupten. Die schöne Vera hatte ihre Anfälle bekommen, und ich hatte meine Mühe, sie zu besänftigen, so daß ich mich nicht so sehr um die anderen kümmern konnte. Die Vorstellungen laufen schon so lange, daß alles von selber geht.«

»Welchen Platz hat dieses fremde Girl im Piratenfinale eingenommen?« fragte Tam, und man sagte ihr, daß sie in der letzten Reihe auf der äußersten Linken gestanden hätte, – eine Stellung, von der aus man ohne Schwierigkeit auf Clyde Kirbys weiße Hemdenbrust zielen konnte.

Als McCoy fragte, wann Clydes mysteriöses Protektionskind zuletzt gesehen worden sei, konnte sich niemand darauf besinnen. Ihr Platz war am äußersten Flügel und in der letzten Reihe gewesen, so daß nur das Girl neben ihr hätte bemerken müssen, ob sie die Bühne vor dem Schlußchor verlassen hatte oder noch während des großen Finales. Zufällig hatte aber jenes Girl mit bösen Zahnschmerzen zu tun, und das hatte ihre ganze Aufmerksamkeit so in Anspruch genommen, daß sie sich nicht mehr entsinnen konnte, ob das mysteriöse Fräulein Smith neben ihr gestanden hatte oder nicht.

»Weiß jemand, wo Fräulein Smith wohnt?« fragte der Inspektor weiter. Keine wußte das, jedenfalls bekam man die Adresse dieser unbekannten Dame nicht heraus. Nur ein Girl, das schärfer beobachten konnte als die anderen, sagte aus, daß Kirbys unbekanntes Protektionskind stets am Bühnenausgang ein Auto genommen, aber dem Schofför niemals die Adresse angegeben hatte, solange sich der Wagen in Hörweite der anderen befand. McCoy stellte noch einige Fragen, aber niemand schien Auskunft geben zu können, und endlich entließ er alle außer Mona Dare und Vivian Fayne. Eine Garderobe war ihm für seine Zwecke frei gemacht worden. McCoy wollte zuerst die Schauspieler ausfragen, bevor er sich auf die wenigen konzentrierte, von denen anzunehmen war, daß sie etwas Genaueres über Kirby wußten. Er überreichte dem Bühnenmeister eine mit Bleistift geschriebene Liste, auf der er eilig die notiert hatte, die er zurückbehalten wollte, und dann bat er, man möge ihn in das Publikumsvestibül führen. Es lag in der Nähe der Bühnentür.

Schon von weitem hörte man das laute Schelten einer Frau, eine tönende Warnung im voraus.

»Das kann nur Vera sein«, sagte der Bühnenmeister traurig zu McCoy, »das sieht ihr wieder einmal ähnlich, so anzugeben – und noch dazu bei einer solchen Gelegenheit! Wahrscheinlich ist sie ganz außer sich, weil man sie hat warten lassen!«

Und so war es in der Tat. Die geöffnete Tür des Vestibüls zeigte eine große üppige Blondine, die wütend im Zimmer auf und ab tief, wobei sie ihrer schlechten Laune in lauten Worten Luft machte.

»Da wartet eine Abendgesellschaft auf mich, in der einer ein Millionär ist, und dieser ekelhafte Polizist hält mich hier gefangen!« Das waren die ersten Worte, die McCoy deutlich hörte. »Was glaubt er eigentlich, wer ich bin, dieser verdammte Idiot?«

Als sie sich umdrehte, um ihren Weg durch das Vestibül in anderer Richtung fortzusetzen, sah sie die Gruppe im Türrahmen. Sofort segelte sie auf sie zu, drohte mit geballten Fäusten, als ob sie entschlossen sei, die Männer, die es gewagt hatten, sie von ihrer Abendgesellschaft zurückzuhalten, tätlich anzugreifen.

»Es tut mir leid, daß ich Sie aufgehalten habe …«, begann McCoy in aller Höflichkeit, aber es war ihm nicht möglich, weiter zu sprechen.

»Vielleicht glauben Sie, daß man den Star einer erstklassigen Aufführung wie ein schmieriges Küchenmädchen behandeln kann!« wütete sie. »Ich war nicht einmal in der Nähe der Bühne, als man Kirby erschossen hat, und trotzdem will man mich beinah verhaften! Jeder wird annehmen, daß ich eine von seinen Freundinnen war, und nicht eine unabhängige Künstlerin, die auf ihren Ruf bedacht ist. Ich sage Ihnen, ich lasse mir eine solche Behandlung nicht gefallen. Ich werde mich morgen bei dem Distriktvorsteher beklagen.«

»Tun Sie das auf alle Fälle«, grinste McCoy, auf den diese Rede nicht den leisesten Eindruck machte. »Er wird wahrscheinlich glauben, daß Sie etwas verheimlichen, wenn Sie sich mit solchem Lärm über eine vorübergehende, vollkommen unpersönliche Haft beklagen.«

»Sie … Sie … wagen es anzudeuten …«

»Oh, ich deute gar nichts an, sondern gebe Ihnen nur einen Rat. Der Distriktsanwalt ist sehr mißtrauisch. Aber nun beruhigen Sie sich und erzählen uns das, was Sie über die Tragödie von heute nacht wissen.«

»Gar nichts«, sagte ihm Vera, die plötzlich ruhig geworden war. »Ich war am Ende des zweiten Aktes nicht auf der Bühne, und zu der Zeit, als Kirby erschossen wurde, befand ich mich in meiner eigenen Garderobe.«

»Kennen Sie die Dame, die heute abend in seiner Gesellschaft war?«

»Nein.«

»Oder das mysteriöse ›Fräulein Smith‹, das er erst kürzlich hier eingeführt hat?«

»Bestimmt nicht. Ich habe nicht die Angewohnheit, mich um Chorgirls zu kümmern.«

»So können Sie uns also gar keine Aufschlüsse geben?«

»Ich sage Ihnen, daß ich nichts über diese Schießerei weiß, ich war nicht einmal auf der Bühne«, wiederholte sie.

»So! Dann können Sie natürlich ohne weiteres zu Ihrer Abendgesellschaft gehen, und ich wünsche Ihnen recht viel Vergnügen!«


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