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9

Oh, Edith, was soll ich nur tun? Die Zeitungen …, ich weiß ganz genau: Roger wird sich von mir scheiden lassen!«

»Mach' dir doch nicht mehr Sorgen als nötig!« klang Edith Hunnekers Stimme durch den Draht. »Wenn Fräulein O'Brien dich in Rogers Gegenwart gedeckt hat, so beabsichtigt sie ganz gewiß, dich zu schützen.«

»Aber sie sagte doch, sie müsse es der Polizei mitteilen«, flüsterte Paula leise in den Hörer. »Und sie wird umso mehr dazu entschlossen sein, als ich leider angedeutet habe, daß ich noch etwas wisse, und – still! still! Nein, ich dachte nur, Roger kommt! Ach, Edith, ich bin vollkommen verzweifelt!«

»Häng jetzt lieber an und besuche mich später!« schlug ihr Edith vor.

»Ich kann von hier nicht weg, Roger ist erkältet und verlangt ständige Pflege. Er würde wütend sein, wenn ich auch nur für eine Stunde weggehe. Vielleicht morgen … Auf Wiedersehen, meine Liebe, – ich wollte nur einmal mit dir sprechen … auf Wiedersehen!«

Paula hängte an, und ihre Freundin dachte angestrengt nach, ob sie ihr in irgendeiner Weise helfen könnte.

Inzwischen hatte Tam schnell etwas gegessen, dann fuhr sie in die Mulbury-Straße, wo sie von McCoy mit frohlockendem Lächeln begrüßt wurde.

»Nun, meine Dame? Unsere Abteilung hat etwas Wichtiges herausbekommen, während du deinen Hirngespinsten nachjagst,« sagte er in selbstzufriedenem Ton.

»So?« Tams Stimme klang, als ob das gar keinen Eindruck auf sie machen könnte; sie setzte sich auf eine Ecke seines Schreibpultes und zündete sich eine Zigarette an. »Nun, da ihr so viele seid, müßt ihr ja auch ab und zu irgend etwas herausbringen, – und mag es auch nur durch Zufall sein!«

McCoy hatte eine unwillige Antwort auf den Lippen, mußte aber zugleich über ihre respektlose Äußerung lächeln.

»Nummern sind eine feine Erfindung«, bemerkte er belehrend. »Wenn es nämlich Läden oder Leihämter gibt, die man durchsuchen kann, dann kann man mit Nummern viel anfangen. Man braucht nur herauszubekommen, wo die übriggebliebene unbenutzte Pistole, die man in Ragans Requisitenkasten gefunden hat, gekauft worden ist, und wer sich dazu einen Waffenschein besorgt hat. Die New-Yorker Gesetze über den Verkauf und den Besitz von Schußwaffen erleichtern unsere Arbeit sehr.«

»Du hast also gar keinen Grund, so aufgeblasen zu sein, wenn du endlich nach dreitägiger Arbeit herausgefunden hast, woher sie stammt.«

»Wer sagt dir denn, daß mir das gelungen ist?«

»Sonst hättest du dich nicht so enthusiastisch über die New-Yorker Gesetze ausgelassen.«

»Hm, vielleicht bist du dann auch klug genug zu erraten, wer diese geheimnisvolle Pistole gekauft hat?«

»Nach flüchtiger Überlegung würde ich sagen: Mona Dare oder Terry Nagle.«

»Beim heiligen Petrus … warum?«

»Weil du diese beiden das letzte Mal, als wir miteinander sprachen, am meisten verdächtigt hast! Deine Stimme würde nicht so zufrieden klingen, wenn die Nummer der Pistole auf einen anderen hinweisen würde.«

»Du hast recht! Sag du jetzt nur noch, daß ich Starrkopf an jeder Spur festhalte, die ich einmal aufgenommen habe«, brummte er ganz traurig. »Tust gerade, als ob ich nicht immer meine Augen offen halte.«

»Ja! offen genug, aber nicht nach jeder Richtung!« lächelte sie vergnügt. »Ich erinnere mich, daß du schon manchmal blind warst.«

»Niemals! Ich bin immer zugänglich für Tatsachen, ganz gleichgültig, worauf sie hinweisen.«

»Immerhin ist es oft schwierig, Tatsachen von Einbildungen zu unterscheiden,« meinte Tam. »Nun wollen wir aber aufhören zu argumentieren, lieber Mac, – erzähle mir lieber, wer diese Extrapistole gekauft hat.«

»Terry Nagle. Ungefähr vor drei Monaten!«

»Kann da gar kein Irrtum bestehen?«

»Keiner. Der Waffenschein ist von ihm quittiert.«

»Gibt er irgendwelche Erklärungen ab?«

»Ich habe ihn noch nicht befragt, – ich verschiebe das noch, bis ich mehr Beweismaterial gegen ihn habe.«

»Du glaubst also, es ist möglich, daß er vor Hunderten von Augen, die auf die Bühne gerichtet waren, Kirby erschießen konnte, ohne daß auch nur eine Menschenseele es bemerken konnte?«

»Denke daran, daß er und Darcy außerhalb des Scheinwerferlichtes standen, das über die Girls flutete.«

»Er könnte es gewesen sein«, räumte Tam ein, »obwohl ich immer noch glaube, daß du unrecht hast. Vielleicht werden wir das besser beurteilen können, wenn wir genau wissen, was uns Paula Kent verheimlicht.«

»Paula Kent?« McCoy wiederholte den ihm fremden Namen ganz verwirrt. »Wer zum Teufel ist das denn?«

»Roger Kents Frau und außerdem das mysteriöse Girl.«

»Was?« McCoys Augen verdrehten sich vor lauter Unglauben, aber als Tam ihm bekräftigend zunickte, klopfte er ihr anerkennend auf ihre Schulter.

»Wie bist du ihr nur auf die Spur gekommen, und was weiß sie?«

Tam gab einen kurzen Bericht über Eunice Garneys Anruf und Besuch und von ihrer Aussprache mit Paula Kent. Sie schloß mit den Worten:

»Im letzten Augenblick gab Paula zu, daß sie etwas wisse, was vielleicht mit Kirbys Tod im Zusammenhang stehe, aber ich hatte nicht genügend Zeit, es aus ihr herauszuziehen, denn Roger Kent kam gerade hinzu, und seine Frau fürchtete sich so vor ihm, daß ich den Zweck meines Besuchs bemäntelte und wegging, um sie nicht bloßzustellen.«

»Hm, es wäre besser gewesen, das Eisen zu schmieden, solange es heiß ist«, warf er ihr vor. »Glaubst du, daß sie dir später alles erzählen wird?«

»Ich glaube ja, wenn ich sie nur allein fassen kann. Du wirst doch nicht Paulas Geschichte sofort der Presse übergeben?«

»Warum nicht? Die Leute werden ganz entzückt sein, daß eine Dame aus der Gesellschaft so extravagante Passionen hat, und ich sehe gar nicht ein, daß sie irgendwelche Rücksicht verdient. Sie hätte ja alles, was sie weiß, für sich behalten, wenn du sie nicht ausfindig gemacht hättest.«

»Höchstwahrscheinlich. Wir müssen aber berücksichtigen, daß sie nur so lange aussagen wird, als sie dadurch ihre Position verbessern kann. Sobald ihre Geschichte erst einmal der Öffentlichkeit bekannt wird, hat sie nichts mehr zu verlieren, und dann hätte sie auch kein Interesse mehr, uns durch weitere Mitteilungen für sich zu gewinnen.«

»Hm. Von diesem Standpunkt aus betrachtet, wäre es vielleicht klüger, nicht sofort die Nachricht zu verbreiten, daß Fräulein Smith gefunden ist. Hast du irgendwelche Ahnung, was sie uns verheimlicht?«

»Nur, daß es eine bestimmte Pistole angeht, – ich glaube die, auf der man ihre Fingerabdrücke gefunden hat.«

»Augenscheinlich bringt sie das mit Terry Nagle in Verbindung, da er sie ja gekauft hat. Sagtest du nicht, daß sie ihn ebenso gut kenne wie Darcy und Tearly?«

»Ja, durch die Hunnekers, in deren Haus sie auch Clyde Kirby traf. Kannst du dir vorstellen, daß eine Frau ihren Reichtum und ihre gesellschaftliche Stellung riskiert, nur um diesen tollen Streich auszuführen?«

»Ach Gott, was riskiert eine Frau nicht, wenn sie genügend gelangweilt ist? Jedenfalls hat sie ihren Plan gar nicht so stümperhaft durchgeführt; sie muß ein kluges Köpfchen haben. Wenige Frauen zum Beispiel hätten sich sofort bemüht, diese Briefe und das Photo wiederzuerlangen, bevor Kirbys Papiere durchsucht wurden. Mit welcher Geschicklichkeit hat sie es fertiggebracht, nachts in Kirbys Arbeitszimmer zu gelangen!«

»Selbsterhaltung ist ein starker Trieb, und Geld bedeutet das Leben selber für Paula, darum war sie bereit, jede Gefahr auf sich zu nehmen, um ihr Geheimnis zu wahren. Ich möchte nur wissen …«, Tam verfiel in Schweigen und langte nach McCoys Tischtelefon. »Such doch bitte mal schnell Kents Privatnummer, da ist noch eine Frage, die ich doch gern stellen möchte.«

Als sie mit Paula verbunden war und sich versichert hatte, daß sie im Augenblick allein war, fragte Tam:

»Ist Ihnen bei einem bestimmten Besuch, den ich nicht weiter zu bezeichnen brauche, aufgefallen, daß ein Topf mit Ringelblumen auf einem kleinen Ständer in der Nähe des Schreibtisches stand?«

Eine kleine Pause trat ein, bevor Paula antwortete. »Ich habe es ganz vergessen, aber jetzt erinnere ich mich an die Ringelblumen, weil ich ihren Duft nicht mochte.«

»Haben Sie vielleicht diesen Topf umgeworfen? Denken Sie, bitte, ganz sorgfältig nach, es ist äußerst wichtig.«

»Ich brauche gar nicht nachzudenken, ich weiß ganz bestimmt, daß ich es nicht getan habe. Ich versuchte sehr ruhig zu sein.«

»Danke, das ist alles, was ich wissen wollte. Wenn Sie mir gestatten, werde ich Sie heute am Nachmittag oder am Abend besuchen.«

»Ach bitte, nicht heute!« flehte Paula. »Sie wissen ja, daß Roger hier ist, und ein zweiter Besuch würde Verdacht erregen.«

»Also morgen früh?«

»Ja, ich werde den ganzen Tag zu Hause bleiben.« Tam hängte ab.

»Warum hast du plötzlich so viel Interesse an Ringelblumen?« fragte McCoy.

»Ich erinnerte mich zufällig an sie, – und nachdem ich Paula Kent gesehen hatte, konnte ich mir unmöglich vorstellen, daß sie so ungeschickt gewesen ist, die Pflanze umzuwerfen. Sie sagt, daß die Ringelblumen noch auf dem Blumenständer waren, als sie sich in Kirbys Studierzimmer befand, und daß sie sie nicht umgeworfen hat … nun möchte ich nur gern wissen, wer es getan hat?«


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