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Kapitel IV.
Alle Sechse


»Wir müssen ausziehen, Frau Kurd«, waren Tante Ninettens erste Worte, als sie am anderen Morgen zum Frühstück herunterkam; »wir sind in eine ganz erschreckliche Nachbarschaft geraten, wir werden noch heute umziehen.«

Frau Kurd stand sprachlos vor Erstaunen inmitten der Stube still und schaute die Frau Ehrenreich an, so, als könnte sie kaum den Sinn der Worte fassen.

»Es ist mein Ernst, Frau Kurd, wir müssen umziehen«, wiederholte Tante Ninette.

»Aber der Herr und die Frau Ehrenreich können ja in ganz Tannenberg keine bessere und keine geachtetere Nachbarschaft finden, als sie hier haben«, begann endlich Frau Kurd, die sich von ihrem Erstaunen etwas erholt hatte.

»Aber, Frau Kurd, sollten Sie denn den unerhörten Lärm von gestern Abend gar nicht gehört haben? Das war ärger als alles, was ich Ihnen als zu vermeidende Dinge bezeichnet hatte.«

»Aber, Frau Ehrenreich, das waren ja nur die Kinder, und dann war eben gestern ein großes Familienfest, da ging es denn besonders lebhaft zu.«

»Wenn aber die Familienfeste hier so gefeiert werden, daß erst die Freudenausbrüche und dann der Feuerlärm den unerhörtesten Tumult herbeiführen, so ist eine solche Nachbarschaft nicht nur laut, sondern auch gefährlich; wir müssen wirklich umziehen, Frau Kurd.«

»Ich glaube nicht, daß das Feuer zum Fest gehörte«, beruhigte Frau Kurd, »es kam gewiß zufällig hinzu und war ja gleich gelöscht. Es herrscht ja eine so gute Ordnung drüben, und ich könnte auch nicht begreifen, daß der Herr und die Dame wirklich um der Nachbarschaft willen ausziehen wollten; sie würden es gewiß bereuen und bekämen in ganz Tannenberg nicht wieder eine solche Wohnung.«

Tante Ninette beruhigte sich nun wieder ein wenig und setzte sich zum Frühstück, zu dem eben auch Onkel Titus erschien, gefolgt von der Nichte Dora.

Um diese Zeit war drüben das Frühstück schon beendet; der Vater war seinen Geschäften, die Mutter der Wirtschaft nachgegangen. Rolf war längst zu seinen Lateinlektionen abgegangen, die er täglich beim Herrn Pfarrer der anstoßenden Gemeinde erhielt und sich daher immer frühmorgens auf den Weg zu machen hatte. Paula hatte ihre Musikstunde bei Fräulein Hanenwinkel und Wili und Lili sollten derweilen noch ihr Erlerntes für die kommenden Unterrichtsstunden wiederholen und befestigen. Der kleine Hunne saß an seinem Tischchen in der Ecke und betrachtete sinnend den klagebereiten Nußknacker, der vor ihm stand.

Jetzt trat der große Jul ins Zimmer, in der Hand die Reitpeitsche, an den Füßen die neuen Sporen; er kam von seinem Morgenritt.

»Wer zieht mir die Reitstiefel aus?« rief er, indem er sich auf einen Sessel setzte und seine Sporen bewunderte. Augenblicklich schossen Wili und Lili herbei, froh über das neue Arbeitsfeld, das sich ihnen eröffnete.

Ohne Zögern faßte jedes von ihnen einen der langen Stiefel an, und ehe Jul sich's versah, kam er in die Luft hinaus, denn Wili und Lili zogen beide mit aller Kraft; aber nicht die Stiefel kamen von den Füßen, sondern der ganze Jul kam mit. Im letzten Augenblick konnte er sich noch an den Stuhl anklammern; der kam aber auch mit, und nun rief Jul aus allen Kräften: »Halt! Halt!« Und wie nun der kleine Hunne die hilflose Lage des großen Jul sah, kam er eilends zu seiner Rettung herbei, erfaßte von hinten den Sessel und stemmte sich mit beiden Füßen aus allen Kräften gegen den Boden hin. Aber auch er wurde mitgerissen und fuhr wie auf der Schlittbahn mit beiden Füßen zugleich dahin. Wili und Lili wollten ihr Werk vollenden und zogen immerzu, immerzu; Jul rief fortwährend: »Halt! Halt! Halt!

O Wiling und Liling,
Ihr schrecklichen Zwilling!«

Der kleine Hunne schrie aus vollem Hals, um weitere Hilfe herbeizuziehen.

Jetzt trat die Mutter ein. Das half. Wili und Lili ließen los, Jul schwang sich behend auf den stillgestellten Sessel, der kleine Hunne kam nach einigem Schwanken ins Gleichgewicht und stand wieder auf seinen Füßen.

»Aber, Jul, wie kannst du mir die Kinder so wild machen, du solltest doch Besseres zu thun wissen«, sagte die Mutter tadelnd.

»Ja wohl, ja wohl, das Bessere wird gleich nachkommen. Aber siehst du, liebe Mama«, erklärte Jul begütigend; »eigentlich unterstützte ich dich durch dieses Vornehmen wesentlich in deiner Erziehung; denn so lange ich hier Wili und Lili mit nützlichen Leibesübungen beschäftigte, waren sie verhindert, irgendeine ungeheuerliche That auszuführen.«

»Jul! Jul! So nimm du nun dein Besseres vor!« mahnte die Mutter. »Und du, Lili, geh ans Klavier der unteren Stube und übe dich fleißig, bis Fräulein Hanenwinkel mit Paula oben zu Ende ist. Wili lernt bis dahin. Vom Besseren wäre, Jul, wenn du eine Weile dich in vernünftiger Weise mit dem Kleinen abgeben wolltest, bis ich selbst herkomme.« Jul war sehr bereitwillig und versprach sein Bestes zu thun. Lili eilte zum Klavier; da sie aber in etwas aufgeregter Stimmung war, fiel sie bei den Tonleitern immer mit einem Ton über den anderen hinaus und kam bald auf den Gedanken, die kleinen Stücke würden besser gehen; und so fing sie an und spielte mit allen Kräften immerzu:

»Freut euch des Lebens,
Weil noch das Lämpchen glüht,
Pflücket die Rose,
Eh' sie verblüht.«

Onkel Titus und seine Frau hatten eben ihr Frühstück beendet, als die Stiefelscene drüben ihren Anfang nahm. Herr Titus begab sich auf sein Zimmer und riegelte die Fenster zu. Seine Frau rief die Hauswirtin herein, damit sie selbst höre, was da drüben vorgehe. Die Sache schien nicht denselben Eindruck auf diese zu machen.

»Ach, sind die wieder lustig!« sagte sie ganz wohlgefällig, und als ihr Frau Ehrenreich vorstellte, daß solcher Lärm doch nicht geeignet sei, erholungsbedürftige Menschen zu erfreuen, da meinte Frau Kurd: wenn der Herr vielleicht ein wenig spazieren ginge, das könnte ihm recht wohl thun; etwa in den Wald hinauf, da wäre es schön still. Aber drüben werde es auch nicht lange so gehen, so etwas sei nur vorübergehend, der junge Herr sei gerade in den Ferien da und gehe ja wohl bald wieder. Jetzt erscholl auf einmal Lilis Freudenlied auf dem helltönenden Klavier.

»Auch das noch! Ist das auch der junge Herr, der bald geht?« fragte Tante Ninette in Aufregung. »Es ist unabsehbar; immer kommt wieder etwas Neues, etwas Lärmendes, Tönendes, Erschreckliches; Frau Kurd, sollten Sie das nie gehört haben?«

»Ich habe es wirklich nie so geachtet; aber das Kleine spielt ja schon so nett, daß es einen doch freuen muß, es zu hören«, meinte Frau Kurd.

»Und wo ist denn auf einmal Dora hingekommen? Die ist auch schon wie angesteckt und kommt ganz außer Rand und Band, und heute sollte doch einmal wieder die Arbeit vorgenommen werden«, jammerte die Tante von neuem. »Dora! Dora! bist du schon wieder unten?«

Wirklich war Dora schon wieder an ihrem Loch in der Hecke und lauschte mit Wonne dem fröhlichen Lied, das Lili drauflos trommelte. Sie erschien aber sofort auf der Tante Ruf, und die Hemden wurden vorgenommen und für Dora ein Platz am Fenster zurechtgemacht, wo sie den Tag durch an ihrer Arbeit sitzen sollte.

»Hier können wir nicht bleiben«, war das letzte Wort der Tante, bevor sie das Zimmer verließ. Das brachte der Dora fast die Thränen in die Augen, denn ihr höchster Wunsch war, gerade hier zu bleiben, wo so viel Ansprechendes immerfort in ihrer nächsten Nähe sich zutrug, von dem sie immer etwas hören und merken konnte; und durch das Loch in der Hecke konnte sie so viel von den Kindern sehen und wie sie sich lustig machten in ihrem schönen Garten drüben. Dora suchte und suchte und grübelte nach, was sie wohl thun könnte, um den Auszug zu verhindern, aber sie fand kein Mittel.

Unterdessen war es elf Uhr geworden. Jetzt stürmte Rolf heran, und da er durch die offene Küchenthür die Mutter erblickte, lief er gleich da hinein.

»Mama, Mama!« rief er eifrig, noch ehe er drinnen war, »jetzt kannst du gleich raten:

›Mein erstes macht –‹«

»Lieber Rolf«, unterbrach ihn die Mutter, »ich bitte dich herzlich, such dir einen anderen Rater, in diesem Augenblick habe ich wirklich keine Zeit. Geh zu Paula, eben ist sie ins Wohnzimmer eingetreten.«

Rolf gehorchte.

»Paula«, rief er schon unten, »rat einmal:

›Mein erstes macht dir –‹«

»Nein, Rolf, bitte, jetzt nicht«, gab Paula zurück; »ich suche mein Heft und muß gleich gehen, eine französische Übersetzung zu machen. Da kommt Fräulein Hanenwinkel, die kann gut raten.«

Rolf stürzte auf sie zu: »Fräulein Hanenwinkel,

›Mein erstes macht dir –‹«

»Keine Zeit, Rolf, keine Zeit!« unterbrach ihn das Fräulein. »Dort sitzt der Herr Jul in der Ecke und läßt sich Nüsse knacken, geh zu ihm. Auf Wiedersehn!«

Fräulein Hanenwinkel war einmal in Italien gewesen und hatte sich diese, dort übliche Form des Abschiednehmens so angeeignet, daß sie dieselbe nun ohne Unterschied in allen Trennungsfällen anwandte. Kam zum Beispiel der zudringliche Scherenschleiferbube, so sagte sie regelmäßig: »Bist du schon wieder da? Bleib doch einmal, wo du hin gehörst! Auf Wiedersehn!« Damit ging die Thür zu. – Kamen die herumziehenden Krämer, und das Fräulein mußte Bescheid geben, so sagte es: »Ihr wißt ja doch, daß wir nichts brauchen, kommt doch nur gar nicht mehr! Auf Wiedersehn!« Und zu klappte die Thür.

Das war die Eigentümlichkeit des Fräulein Hanenwinkel.

Wirklich saß Jul in der Ecke und vor ihm der kleine Hunne, der mit großer Aufmerksamkeit die verzweiflungsvollen Mienen seines Nußknackers verfolgte, indem er diesem eine Nuß nach der anderen zu zerbeißen gab und nachher die Kerne gewissenhaft teilte, immer einen dem großen Jul, den anderen in den eigenen Mund steckend.

Rolf trat zu den beiden heran: »Jul, du hast wohl Zeit, jetzt rat einmal:

›Mein erstes macht dir bange,
Kommt's von der Klapperschlange.
Aufs zweite kannst du pochen,
Hast du viel in den Knochen.
Das Ganze ist ein starker Mann,
Der noch in jedem Streit gewann.‹«

»Das ist wohl der Bismark mit dem ß«, erklärte der schnell fertige Jul.

»O, o! das hast du aber schnell geraten!« sagte Rolf staunend.

»Jetzt ist's an mir, Rolf; paß auf, das erfordert Nachdenken, eben hab' ich es ausgedacht«, und Jul deklamierte mit Nachdruck:

»Meine ersten spazieren
Von jeher auf allen vieren,
Und machten immer die letzten,
Daß Mensch und Tier sich entsetzten.
Das Ganze – betracht es:
Der Studente macht es,
Der Professor verlacht es.«

»Das ist schwer«, erklärte Rolf, der Zeit brauchte zum Nachdenken. »Wart einmal, Jul, ich komme schon.« Damit setzte sich Rolf auf einen Schemel, um bequem nachdenken zu können.

Der große Jul und der kleine Hunne fuhren unterdessen in ihrer Thätigkeit rüstig weiter. Als Zwischenspiel warf Jul auch etwa eine kleine Schale nach einem bestimmten Ziel hin, um seine Geschicklichkeit zu erproben.

»Ich weiß es«, rief Rolf jetzt hocherfreut, »es ist Katzenjammer!«

»O, o, Rolf, wohin gerätst du!« rief Jul entsetzt aus; »im Gegenteil, im höchsten Gegenteil! Musik ist's, Musik, eine Katzenmusik.«

»Ja so«, sagte Rolf etwas enttäuscht; »aber wart, Jul, was ist das?

›Die ersten singen früh und spat,
Die zweiten machen das Rindvieh satt.
Das Ganze war ein Dichter sehr,
Doch ist es jetzt schon lang' seither.‹«

»Hans Sachs«, sagte Jul unverzüglich.

»Oho, weit gefehlt«, lachte Rolf; »wie sollte denn dein zweites das Rindvieh satt machen?«

»Gewiß, Rolf, in Sachsen, da wird doch das Vieh auch satt, was meinst du denn?«

»Daß du's nicht erraten hast«, triumphierte Rolf; »im Gegenteil, Jul, im Gegenteil, ›Vogelweide‹ ist's, Walter von der Vogelweide! Aber wart, ich weiß noch eins:

›Die ersten –‹«

»Nein, nein, ich muß um Schonung bitten, das strengt an; ich muß überhaupt einmal nach meinem Castor sehen.« Jul war schon aufgesprungen und lief dem Stalle zu.

»O wie schade, wie schade!« sagte Rolf seufzend; »jetzt giebt niemand mehr Bescheid, und ich habe noch vier schöne Rätsel gemacht; und du kannst ja nicht raten, Hunne, du bist noch zu einfältig.«

»Doch, ich kann«, erklärte der kleine Hunne ziemlich trotzig.

»So probier einmal; aber paß gut auf, hörst du, und laß alles liegen, du kannst nachher wieder Nüsse knacken«, ermahnte Rolf und begann:

»Mein erstes schmeckt besonders gut,
Wenn man's im Stalle trinken thut.
Das zweite zieht man auf und ab
Einmal im Schritt und einmal im Trab.
Jetzt guck nur zum Himmel, aber Nacht muß es sein,
Dann glänzt dir das Ganze in die Augen hinein.«

»Ein Nußknacker«, sagte der Hunne unverweilt, denn Jul war sein bewundertes Vorbild und er dachte, schnell ein Wort parat haben, wie Jul es machte, das sei die Hauptsache.

Aber Rolf war empört. »Wie kannst du so dumm raten, Hunne; denk jetzt einmal ein bißchen nach; kann man eine Nuß im Stalle trinken?«

»Nein, aber essen im Stall«, behauptete der Hunne.

»Ach was! Und wie kannst du denn einen Knacker auf und abziehen im Schritt und im Trab, Hunne?«

»Ja, das kann ich«, sagte der Hunne entschlossen, band sein Taschentüchlein dem geduldigen Nußknacker um den Hals und zog ihn durch die Stube, regelrichtig im Schritt und dann im Trab sich bewegend.

»So, jetzt meinst du, du habest noch recht und man kann dir's nicht einmal beweisen, du verstehst es doch nicht«, eiferte Rolf; »aber so sieh jetzt einmal an den Himmel hinauf; siehst du denn dort oben einen Nußknacker?«

»Nein, er ist jetzt heruntergekommen, siehst du, Rolf?« Und überzeugend hielt der Hunne seinen Nußknacker dem Rolf unter die Augen.

»Mit dir lass' ich mich nicht mehr ein, Hunne; man kann sich gar nicht helfen«, sagte Rolf in Bedrängnis und wollte sich eilig davon machen; aber das ging nicht so leicht, denn jetzt hatte der Hunne sich einmal versucht, und das Rätselmachen war auch ihm in den Kopf gestiegen.

»Wart, wart, Rolf«, schrie er und hielt sich an Rolfs Jacke krampfhaft fest, »jetzt ist's an mir und du mußt raten: ›Mein erstes kann man nicht trinken, aber essen‹ –«

»Ach, das giebt ja schon wieder ›Nußknacker‹«, rief Rolf und lief, so viel er konnte, um sich vor solchen erschrecklichen Rätseln zu retten; aber der kleine Hunne lief behende nach und rief immerfort: »Du hast's nicht erraten! Du hast's nicht erraten! Rat, Rolf, rat!«

Und auf einmal kamen von der anderen Seite Wili und Lili im Sturmschritt daher gerannt und riefen aus allen Kräften ihm entgegen: »Rolf! Rolf! Ein Rätsel, rat einmal! Sieh! Sieh! Rat einmal!« Lili hielt dem Rolf mit großem Drängen ein Papierstreifchen dicht unter die Augen, während der Kleine immer noch rief: »Rat, Rolf! Rat, Rolf!« Jetzt war der Rätselverfasser selbst in einer großen Rätselklemme.

»So laßt mir doch nur Platz zum Raten«, rief er, mit den Armen um sich fechtend, um Raum zu gewinnen.

»Du kannst's nicht erraten, ich gehe zum Jul«, sagte der Hunne etwas abschätzig und ging davon.

Jetzt ergriff Rolf das schmale vergilbte Papierstreifchen, das Lili ihm immer noch entgegenstreckte, und schaute es verwundert an. Mit einer Kinderhandschrift, die er noch nie gesehen hatte, standen die rätselhaften Worte geschrieben:

»Meine Hand
Lagen feste
Wollten sein
Aber anders
Eines bleibt
Und ein jedes
Und jetzt wird
Dieses Blättlein
Kommt die Zeit
Da die Stücke
          Passen
Dann freu'n wir
Und wir gehn
Nimmer«.

»Das ist vielleicht ein Rebus«, sagte Rolf nachdenklich, »den werd' ich schon erraten, laßt mich jetzt nur allein, denn da muß man stark nachdenken.«

Dazu blieb aber für diesmal wenig Zeit, denn gleich nachher ertönte die laute Glocke als Ruf zum Mittagessen, und bald war die ganze Familie in der großen Stube um den Mittagstisch versammelt.

»Was hat mein kleiner Hunne heut' Gutes gemacht«, fragte der Papa, als die Beschäftigung am Tische gut im Gange war.

»Ein Rätsel hab' ich gemacht, Papa; aber Rolf will nie, nie meine Rätsel erraten, und den Jul finde ich nicht, und die anderen geben mir auch keinen Bescheid.«

»Ja, Papa«, fiel Rolf jetzt eifrig ein, »und ich habe vier oder fünf schöne Rätsel gemacht, aber kein Mensch hat Zeit, sie zu erraten, und wer Zeit hat, hat zu wenig Verstand, und wenn der Jul eines erraten hat, so ist es schon aus mit seinem Vermögen und ich könnte alle Tage sechs Rätsel liefern.«

»Ja, ja, Papa«, fielen nun Wili und Lili mit einander ein, »und wir haben ein so schweres Rätsel gefunden – ja so schwer – daß nicht einmal der Rolf es erraten kann – ja und es ist ein Rebus.«

»Wartet doch nur, das will ich schon noch erraten«, behauptete Rolf.

»Wir haben ja das Haus ganz voller Rätsel«, sagte der Vater; »mir scheint, es herrscht ein wahres Rätselfieber bei uns; wir könnten einen eigenen Angestellten brauchen, der nichts thun würde, als Rätsel auflösen.«

»Ja, wenn ich nur einmal einen solchen Menschen fände!« seufzte Rolf ganz ernsthaft; denn immerzu Rätsel machen für jemanden, der sie mit Teilnahme anhören und mit Verständnis auslösen würde, schien ihm das Wünschbarste auf Erden zu sein.

Als das Mittagsmahl beendet war, zog die ganze Gesellschaft in Fröhlichkeit unter den Apfelbaum hinaus, wo sie sich im Kreise niederließ, die Mutter samt Fräulein Hanenwinkel und die Mädchen mit Näh- und Strickzeug bewaffnet; sogar der kleine Hunne mit einem fraglichen Stück Zeug in der Hand, auf das er mit rotem Faden große Stiche hinpflanzte; er wollte dem Jul eine Roßdecke brodieren. Jul hatte ein Buch nach dem Wunsch der Mutter mitgebracht; er wollte vorlesen. Rolf saß drüben unter der Vogelesche und studierte Latein. Willi saß neben ihm und sollte seine Sprüche lernen, aber er schaute erst nach den Vögeln oben in den Ästen und dann nach den Arbeitern drunten im Feld und dann nach den roten Äpfeln drüben auf dem Baum, denn der Wili liebte die sichtbaren Dinge und brachte die unsichtbaren nur mit großer Mühe und meistens nur unter Lilis Mitwirkung in seinen Kopf hinein; daher verwandelten sich seine Nachmittagsstudien gewöhnlich in eine unausgesetzte Landschaftsbetrachtung.

Auch Jul schien heute seine Vorlesung mit ähnlichen Betrachtungen vertauschen zu wollen, denn noch hatte er sein Buch nicht aufgemacht, sondern hatte seine Blicke hin und her gehen lassen und sie vornehmlich auf seine Schwester gerichtet.

»Paula«, sagte er jetzt, »du trägst heute unausgesetzt ein Gesicht umher, als wärst du eine wandelnde Sammlung von Ärgernissen.«

»Lies du nur vor, Jul, so hört man etwas Besseres, als solche Vergleichungen, die kein Mensch verstehen kann«, entgegnete Paula.

»Es ist wirklich recht, Jul, wenn du endlich beginnst«, sagte jetzt die Mutter; »das muß ich aber auch sagen, Paula, du bist heute und schon mehrere Tage so kurz und abweisend, daß auch ich fragen möchte, was dich denn so verstimmt und zuschließt gegen deine ganze Umgebung?«

»Aber Mama, gegen wen sollte ich mich denn aufschließen? Ich habe ja gar keine Freundin in ganz Tannenberg und auch sonst nicht, ich habe ja gar niemand, mit dem ich vertraut sein könnte.«

Die Mutter meinte, Paula könnte sich mit ihrer Schwester Lili ein wenig mehr abgeben, oder auch sich näher zu Fräulein Hanenwinkel halten, die Beiden könnten wohl ihre Freundinnen werden; aber Paula erklärte, die erste sei viel zu jung und die zweite zu alt für sie; Fräulein Hanenwinkel war zwar erst zwanzig Jahre, aber das kam der Paula schon als vorgerücktes Alter vor. Zu einer Freundschaft müßten zwei Menschen im gleichen Alter sein, meinte sie und gleiche Gefühle haben, und müßten sich so zusammenfinden, daß sie gleich wissen, sie gehören zusammen und wollen nie mehr von einander lassen, und wenn man keine solche Freundschaft finde, so habe man auch an allem keine rechte Freude, weil man dann mit niemand alles teilen könne, was man denke und erlebe.

»Die Paula ist ins Zeitalter der Romantik eingetreten«, sagte Jul ernsthaft. »Sicher guckt sie seit einiger Zeit jedes Erdbeer-Mareili darauf an, ob es nicht auf einmal heimlich eine Fahne hervornehme und sich als eine Jungfrau von Orleans entpuppe und jedem Giftmauser auf dem Feld sieht sie genau auf die mausenden Hände, ob er nicht etwa einen Siegelring am kleinen Finger trage und als ein verjagter Wasa zwischen den Mauslöchern sein verlorenes Königreich suche.«

»Sei nicht so neckisch, Jul«, verwies ihm die Mutter; »es ist auch wahr, es ist etwas sehr Schönes um eine solche innige Freundschaft, wie Paula sie ersehnt, das habe ich selbst erfahren, und die Zeit, die ich darin lebte, gehört noch jetzt zu meinen liebsten Erinnerungen.«

»O, erzähle doch noch einmal von deiner Freundin Lili, Mama«, bat Paula, die schon mehrmals die Mutter davon erzählen gehört hatte und der diese Freundschaft als ein Ideal vorschwebte, und Lili stimmte auch in die Bitten ein und mit großer Dringlichkeit, denn sie wußte noch gar nichts von dieser Freundin und trug doch denselben Namen.

»Nicht wahr, Mama, darum heiß' ich Lili, weil deine Freundin so hieß?« fragte Lili noch einmal zur Sicherheit, und die Mutter bestätigte ihr, ganz allein nach dieser Freundin Lili sei sie so genannt worden.

»Ihr kennt ja alle das lange Fabrikgebäude unten am Berg mit dem schönen Wohnhaus daneben in dem großen schattigen Garten«, begann die Mutter zu erzählen; »dort wohnte Lili, und ich kann mich gut erinnern, wie es war, da ich sie zum erstenmal sah.«

»Ich war etwa sechs Jahre alt und spielte im Garten am Pfarrhaus mit meinen einfachen Püppchen, die ich am Boden auf die flachen Steine setzte, welche ich überall als gute Sitze für meine Kinderchen suchte und aufhob, wo ich solche fand, denn ich hatte nicht so vollständige Hauseinrichtungen für meine kleinen Puppen, mit Sesseln und Sofas, wie ihr sie jetzt habt. Ihr wißt, euer Großvater war Pfarrer in Tannenberg, und es ging sehr einfach zu in unserem Pfarrhaus. Meine Gespielinnen, ein paar Kinder aus der Nachbarschaft, standen wie gewöhnlich um mich herum und schauten mir zu, ohne ein Wort zu sagen, denn das war so ihre Art. Sie zeigten auch nicht einmal die rege Teilnahme an der Sache, die diese, meiner Ansicht nach, erforderte; meistens starrten sie nur alles an mit denselben großen Augen, ob ich Neues oder Altes, Gewöhnliches oder Besonderes brachte, was mir oft sehr empfindlich war. An jenem Abend nun, als ich am Boden kauerte und meine kleinen Puppen in der Runde hinsetzte, trat auf einmal eine Dame in den Garten ein und fragte nach meinem Vater. Ehe ich noch antworten konnte, sprang ein Kind, das an ihrer Hand mitgekommen war, auf mich zu, kauerte auch auf den Boden nieder und fing an, alles genau zu untersuchen, denn hinter jedem flachliegenden Stein war einer aufgestellt und ein wenig in die Erde gedrückt, daß es einen Stuhl gab, wo die Puppen anlehnen konnten. Das gefiel dem Kinde alles so gut, daß es gleich mit der größten Lebhaftigkeit mit den Puppen zu spielen begann, und ich wurde so hingerissen von dem Kinde und seiner Weise und seinen lustig flatternden Locken und seiner zierlichen Sprache, daß ich alles andere ganz und gar vergaß und mit Entzücken zuschaute und zuhörte, was meine Puppen sagten und thaten, bis die fremde Dame nach einiger Zeit noch einmal nach meinem Vater fragte. Von dem Tage an waren Lili und ich unzertrennliche Freundinnen und für mich fing ein so schönes, reiches Leben im Hause meiner Freundin Lili an, wie ich es nie gekannt noch geahnt hatte; in meinem ganzen Leben werde ich die herrlichen, ungetrübt wonnevollen Tage nie vergessen, die ich in dem schönen Hause dort unten zugebracht habe. Eine Freundlichkeit und Liebe ist mir da zuteil geworden, als wäre ich das eigene Kind des Hauses, und wirklich in allem wurde ich von der liebevollen Mutter und dem vortrefflichen Vater gehalten wie ihr eigenes Töchterchen. Lilis Eltern waren aus Norddeutschland gekommen. Der Vater hatte durch Vermittelung eines Bekannten die Fabrik angekauft und gedachte nun für immer hier zu bleiben. Lili war ihr einziges Kind, und da wir uns sogleich so gut verstanden hatten, strebten wir immerwährend danach, wieder zusammen zu sein, und waren wir wieder zusammen, so brachte man uns fast nicht mehr von einander. Bald konnten wir gar nicht mehr ohne einander sein.

»Lilis Eltern waren so gut! Oft erbaten sie von meinen Eltern, wie eine große Vergünstigung, daß ich eine Zeit lang so ganz bei Lili wohnen dürfe, und ich durfte dann viele Tage hinter einander in dem gastlichen Hause bleiben; mir kam es nicht anders vor, wie ein großes unausgesetztes Fest, das wir alle diese Tage hindurch feierten. Was hatte auch Lili für prächtige Spielsachen! So was hatte ich in meinem Leben noch nie gesehen. Unvergeßlich ist mir besonders die Schar von zierlichen Tragantfigürchen, die sie besaß. Mit diesen konnten wir ganze Tage lang spielen, denn da hatten wir, jede von uns, ganze, große Familien, deren Glieder wir alle einzeln genau mit Namen und Charakter kannten und mit denen wir alle ihre mannigfaltigen Schicksale durchlebten, da wir von ihren Freuden und Leiden ganz erfüllt waren. Überreich beschenkt, kehrte ich jedesmal von meinen längeren Besuchen ins Pfarrhaus zurück, und gar nicht lange nachher erfolgte neuerdings die Bitte um meine Wiederkehr. Später lernten wir zusammen und hatten gemeinsame Unterrichtsstunden, einmal vom Lehrer und einmal von meinem Vater, und dann begannen wir auch zusammen zu lesen und hatten unsere Helden und Heldinnen, die uns erfüllten, wie vorher unsere Tragantfamilien; und wie lebten wir alle die Erlebnisse unserer Geschichtshelden mit durch! Was war auch für ein Feuer und ein Leben, welche Frische und Beweglichkeit im Wesen meiner fröhlichen Lili mit ihren fliegenden braunen Locken und den lachenden Augen!

»So lebten wir in ungetrübtem Glücke die Jahre dahin ohne Ahnung, daß unser köstliches Zusammenleben je enden könnte. Da auf einmal, wir waren zwischen dem elften und zwölften Jahr, sagt mir mein Vater – noch weiß ich, auf welcher Stelle des Gartens es war, denn es war ein ganz zerschmetterndes Wort für mich –, daß Herr Blank, Lilis Vater, seine Fabrik verlassen und nach Deutschland zurückziehen werde. So viel ich verstehen konnte, war Herr Blank von Anfang an nicht recht berichtet worden; die Geschäfte gingen nicht, wie man ihm vorgestellt hatte, und er mußte mit großem Verlust die ganze Sache abgeben. Mein Vater war sehr traurig und sagte, es sei ein großes Unrecht an Herrn Blank begangen worden und er habe hier sein ganzes Vermögen verloren.

»Ich war wie zerschmettert. Daß ich Lili verlieren und daß Lili nun arm sein sollte, waren zwei Dinge für mich, die mich fast erdrückten und mir für lange Zeit alle Freudigkeit zerstörten. Am folgenden Tag schon kam Lili, um Abschied zu nehmen. Wir weinten erst zum Erbarmen, denn es war uns beiden, als könnten wir das Leben nicht mehr aushalten, wenn wir getrennt würden. Dann versprachen wir uns ewige Treue, und daß wir alles thun wollten, wieder zusammenzukommen und zuletzt setzten wir uns hin und machten ein letztes Gedicht, wir hatten ja vorher so viele Verse zusammen gemacht. Dann schnitten wir unser Gedicht in der Mitte von einander – denn wir hatten es darauf hin verfaßt –, und nun nahm jedes eine Hälfte, die wollten wir als festes Band zwischen uns behalten und dann bei unserem Wiedersehen als Kennzeichen wieder ineinanderfügen.

»Lili reiste ab. Einige Jahre lang schrieben wir uns mit großem Eifer und immer gleicher Wärme; mir waren diese Briefe das einzige Labsal in meiner Verlassenheit und meinem einförmigen, gar so stillen Landleben. Wir waren unterdessen Mädchen von sechzehn und siebzehn Jahren geworden. Da schrieb mir Lili, ihr Vater habe den Entschluß gefaßt, nach Amerika auszuwandern. Wenn sie drüben angekommen und festsitzen würden, wolle sie sogleich an mich schreiben. Ich erhielt nie wieder einen Brief von ihr. Ob Briefe verloren gegangen waren, ob die Familie lange sich nirgends für bleibend niedergelassen hatte und Lili darum nicht schrieb, ob sie überhaupt nie mehr Nachricht von sich gegeben hat, indem sie annahm, unsere Lebenswege gingen nun zu sehr auseinander, um noch einen Zusammenhang aufrecht erhalten zu können, das weiß ich alles nicht. Ob Lili gar nicht mehr lebt, vielleicht schon damals nicht mehr am Leben war – auch das ist ja möglich. Ich habe jahrelang getrauert um meine erste, liebste, unvergeßliche Freundin, der ich so viel zu verdanken hatte. Umsonst habe ich immer und überall nach ihr gefragt und gesucht, irgendeine Nachricht von ihr zu erhalten, ich habe niemals mehr eine Spur von ihr entdecken können.«

Die Mutter schwieg; es war ein ganz trauriger Ausdruck auf ihr Gesicht gekommen. Die Kinder waren auch ganz niedergeschlagen von dem Ende der Erzählung, und eins nach dem anderen sagte seufzend: »O, wie schade! Wie schade!« Der kleine Hunne aber, der sehr aufmerksam zugehört hatte, schmiegte sich zärtlich an die Mutter an und sagte tröstend: »Sei nur nicht traurig, Mama! Siehst du, sobald ich groß bin, gehe ich auf der Stelle nach Amerika und hole dir die Lili wieder.«

Rolf und Wili waren auch als Zuhörer zu der Erzählung herbeigeschlichen, und Rolf sagte jetzt, nachdem er eine Zeit lang ganz nachdenklich ein Papierchen angeschaut hatte:

»Mama, war das Gedicht, das ihr durchgeschnitten habt, nachher anzusehen wie ein Rebus, auf einen schmalen Papierstreifen geschrieben?«

»Vielleicht, Rolf; das kann wohl sein, daß es den Eindruck macht«, entgegnete die Mutter. »Warum fragst du mich so?«

»Sieh, Mama«, sagte Rolf, ihr seinen Papierstreifen hinhaltend, »glaubst du nicht, das könnte jene Hälfte sein?«

»Rolf! Wahrhaftig!« rief die Mutter in großer Erregung aus; »ich glaubte das Papier längst verloren. Ich hatte es viele Jahre lang aufbewahrt, dann kam es mir aus den Augen; lange, lange schon glaubte ich es für immer verloren. Nachher hatte ich auch nie mehr daran gedacht, bis ich euch wieder von der Kinderfreundschaft erzählte. Wo hast du das liebe Andenken gefunden, Rolf?«

»Wir haben's gefunden!« riefen Wili und Lili triumphierend mit einander aus. »In der alten Kupferbibel haben wir's gefunden. Wir wollten wieder einmal die Eva ansehen, ob sie noch das Gesicht verkratzt hat«, berichteten Wili und Lili weiter, sich gegenseitig in der Mitteilung ablösend.

»Ach ja, das ist auch noch eine Erinnerung an meine Lili«, sagte die Mutter lächelnd; »das führte sie einmal in der Aufregung aus, als wir uns vorgestellt hatten, wie schön es wäre, wenn wir jetzt mitten im Paradies säßen. Da wurde sie plötzlich so aufgebracht gegen die Eva, daß sie den Apfel gegessen hatte, daß sie ihr mit dem Bleistift das ganze Gesicht zerkratzte und entstellte zur Strafe. Aber mein altes Gedicht! Ich kann es nicht mehr zusammenfinden«, sagte die Mutter, nachdem sie an den abgebrochenen Sätzen herumstudiert hatte. »Es ist auch gar zu lange her; denkt doch, Kinder, über dreißig Jahre!« Jetzt legte die Mutter das alte Papierstreifchen sorgsam in ihren Arbeitskorb und ermahnte dann die Kinder, alle ihre Dinge schön zusammenzupacken und ihr bald zu folgen, denn schon war die Zeit nahe, da der Tisch zum Abendessen sollte gerüstet werden und der Vater war sehr pünktlich in seinem Erscheinen. So wurde schnell zusammengepackt, und eins nach dem anderen wanderte mehr oder weniger beladen dem Hause zu und verschwand durch den Triumphbogen, der immer noch stehengeblieben war. –

Dora hatte schon längere Zeit durch das Loch in der Hecke hinübergeguckt und die lauschende Gesellschaft unter dem Apfelbaum betrachtet.

Jetzt, wie sich alle langsam zurückzogen, konnte sie einmal die Kinder, eins nachdem anderen, recht ansehen, und wie sie nun alle weg waren, atmete die Dora tief auf und sagte leise: »O, wenn ich nur ein einziges Mal mit ihnen drüben in dem Garten sein dürfte!«

Beim Abendessen sagte heute Tante Ninette: »Endlich ein paar Stunden ohne betäubenden Lärm. Wenn es so fortgehen könnte, so wäre ein Verweilen hier doch noch möglich. Wie meinst du, lieber Titus?«

Dora lauschte gespannt auf die Antwort des Onkels.

»Die Luft in diesen Zimmern ist sehr dick und ich fühle mehr Schwindel als selbst in Karlsruhe«, erklärte der Onkel.

Dora schaute enttäuscht auf ihren Teller hinab und hatte keinen Appetit mehr.

Die Tante brach in Jammern aus. Wenn nun die ganze Reise und der Aufenthalt völlig unnütz für ihren Mann sein sollte! Vielleicht hätte man gleich am ersten Tag ausziehen sollen! Endlich tröstete sie sich selbst mit dem Gedanken, daß doch nun in der Familie einige Ruhe eingetreten sein möchte, so daß man morgen die Fenster aufmachen könnte, und Dora klammerte sich schnell wieder an diese Hoffnung an, denn so lange sie so nahe wohnte, blieb doch immer eine Möglichkeit, daß sie einmal, wenn auch nur ein einziges Mal, zu den Kindern in den blumenduftenden Garten hinüberkommen konnte.



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