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Zehntes Kapitel.
Noch ein Säckchen mit Briefen.


1.
Hinterbein an Dr. Faust in Freiburg.

Basel am 8. Juni 1849.

Geliebter Herr Schwager!

Sie haben mir einst geschrieben, wenn ich nicht irre, daß lange Briefe Ihre Sache nicht sind, und viele Briefe noch weniger, daß Sie jedoch in das Briefschreiben hineingerathen seien, ohne recht zu wissen wie? Dazumal lachte ich hierüber, da selber gewohnt, nur kurze Geschäftsbriefe zu schreiben, mehr oder weniger, nach Bedarf. Heute geht mir's aber just wie Ihnen: es pressirt mir jetzo, an einen theilnehmenden Mann meine Feder zu richten, und ihm mein Herz auszuschütten. Sie werden das merken. Vor acht Tagen erhielten Sie von mir ein Schreiben, und heute geht schon wieder ein anderes an Sie ab, bevor Sie mir noch den Empfang meines ersten bestätigt haben. [174] Das macht: ich bin voll Kummer und Verdruß, weiß fast nicht, ob ich einen Kopf habe oder keinen, und daneben setzt mir die Langeweile fürchterlich zu. Ich lebe zwar hier mit meiner Familie in dem Hotel zu den »Drei Königen« wie der reiche Mann im Evangelio. Essen, Trinken, Schlafen und auf der Gasse schlendern im Müssiggang – das ist meine Beschäftigung. Neuigkeiten würde ich gern hören, und habe anfänglich alle Zeitungen gelesen, und mit meinen Fragen alle Flüchtlinge aus Baden, deren täglich viele ankommen, auf die Tortur gelegt. Der Erfolg war jedoch schlecht; die Zeitungen lügen wie gedruckt, die guten loyalen Flüchtlinge schwätzen alles verkehrt und drunter und drüber. Lieber will ich gar nichts hören und lesen, und wie der Vogel Strauß meinen Kopf in den Busch verstecken, und alles gehen lassen, wie es geht. Somit habe ich Langeweile, und deßhalb schreibe ich Ihnen so oft, und erwarte, einmal von Ihnen zu hören, wie es drüben aussieht. Sie werden sich verwundert haben, wie es uns auf der Reise ergangen ist. Heute kann ich Ihnen melden, daß der Sekretär noch am Leben, und sogar auf dem Wege ist, wieder gesund und heil zu werden. Sapperment, das war eine dumme Geschichte! Wie aber der Sekretär überhaupt in das Dorf kam, habe ich erst jetzo erfahren, und zwar durch den trefflichen Herrn Alfred, der mir ganz lieb, und meine rechte Hand geworden ist. Ich weiß nicht, ob ich Ihnen in meinem Ergebensten vom 31. v. M. gemeldet habe, daß Herr Alfred gleich nach unserer Ankunft in Breisach umkehrte, um seinem Freund wo möglich Hülfe zu bringen, oder denselben wenigstens anständig zu begraben. Item: er fuhr zu [175]rück, und traf den Sekretär wieder bei Leben und Besinnung, aber bepflastert und verbunden, daß es ein Elend. Der Schuß des nichtswürdigen Buben – welcher von seinen Kameraden selber brav durchgeprügelt worden, dann aber entlaufen ist – ist dem armen Herrn in die rechte Backe hinein und bei der linken wieder hinausgegangen, hat ein paar gesunde Zähne und ein Stück vom linken Ohrläppchen mitgenommen. Im Uebrigen ist dem Kopf nichts von Belang widerfahren, und außer einer garstigen Narbe, meint Herr Alfred, wird dem Patienten nichts besondres von der Geschichte zurückbleiben. Ein großes Glück, daß besagter Sekretär auf seinem Fluchtversuch im Hause jenes Arztes einkehrte, der sein Freund ist, obgleich ein Freischärler und Republikaner vom reinsten Wasser. Selbiger Doktor, der den Sekretär vermocht hatte, bei ihm einen Rasttag zu machen, indem er demselben zugesagt, ihn mit seinem eigenen Gefährt nach Frankreich hinüberzubringen, sorgt jetzo für den Verunglückten, wie ein Bruder, schnitzelt und schmiert fleißig an ihm herum, und verspricht, ihn binnen kürzester Zeit reisetüchtig auf die Beine zu stellen. Eben so lange will auch Alfred bei ihm verweilen, und ich lobe das, weil in jenem Dorfe ehrliche Leute wohnen, von denen keine weitere Gefahr zu besorgen ist; und dann, weil ich wohl leiden mag, wenn Einer für die Freundschaft den rechten Sinn hat. Derselbe wird dereinst auch ein braver Gatte und ein ehrfürchtiger Tochtermann seyn.

Insoweit wäre alles gut, wenn ich nur nicht mein Kreuz und Leiden mit meinen Töchtern hätte. Aber da sind wieder einmal alle Hexen los! Von der Betrübniß und dem stillen Weinen meiner allerherzliebsten [176] Cymbel, die jetzo in den geschossenen Sekretär geschossener ist als jemals, können Sie sich keine Vorstellung machen. In Summa: sie geht mir drauf, wenn der Sekretär nicht bald gesundet, und seine Reverenz macht. Cymbelchen bleibt dabei, daß der Sekretär, gleichsam sie beschützend, die gefährliche Kugel empfangen habe u. s. w. Was mit dieser Unterstellung verknüpft seyn mag, überlasse ich Ihnen, sich gefälligst zu denken. Nun ist aber meine Mathilde ebenfalls trostlos, da ihr Verlobter so lange bei seinem Kranken aufgehalten wird, und Katharinchen, die da geruht hat, sich gar ernstlich in den Raphael zu verlieben, ist unleidlich vor Ungeduld, indem ihr allerliebster Schauspieldirektor bereits einen Tag länger ausbleibt, als er versprochen. Was den Trübsinn meiner Cornelia endlich betrifft, so erinnern Sie sich, daß derselbe schon von langer Dauer ist, und sich von dem denkwürdigen Tag von Staufen herdatirt. Fast möchte ich glauben, das die hinterlistigen Weiber – Ihre verehrte Gattin nicht ausgenommen – mich über den Löffel barbirt haben; mir wenigstens verschwiegen haben, daß die Cornelia, die ich mit dem Herrn von Milzheim verplempert glaubte, eigentlich mit dem armen Teufel von Moritz, der in Staufen sein Ende gefunden, in Herzensrapport gewesen. Dieses Bedünken erscheint um so triftiger, als mir auch mein Freund, der Amtmann Pilnitz, da ich meine Töchter bei ihm abholte, im Gespräch mittheilte, daß Cornelia mit allem Eigensinn darauf bestanden sei, eine Wallfahrt nach dem Gottesacker zu Staufen machen zu wollen, – und daß nur der ernstlichste Widerstand von Seite Mathildens sie davon zurückgebracht habe. Seitdem hat Cornelia's Traurigkeit nur zugenommen, und nach [177] dem Herrn von Milzheim, der allerdings schon längst nichts mehr von sich hören ließ, wird gar nicht gefragt. – Da sehen Sie, lieber Schwager, wie sehr weit die Duckmäuserei der Weiber gehen kann! Da sehen Sie auch, in welchem Klaghaus ich sitze, und wie mir das Leben verleidet seyn muß! Noch einmal gebe ich Ihnen den dringenden Rath, in Ihrer Familie keine Töchter aufkommen zu lassen, und sich mit einigen handfesten Söhnen zu begnügen! Da ich jetzo erschöpft bin, zugleich die Mittagstafel vor der Thüre ist und ich dieses Schreiben vor Abend nicht zur Post geben kann, so mache ich eine Pause, mit dem Vorbehalt, später noch ein paar Zeilen Gegenwärtigem anzuflicken, und empfehle mich einstweilen zu geneigtem Appetit – –

(Nachmittags um vier Uhr.)

Herr Schwager, bester Herr Schwager, wo soll ich anfangen, wo soll ich aufhören ...? Ich habe um Mittag diesen Brief sistirt, und mich zu geneigtem Appetit empfohlen ... aber auf eine unbarmherzigere Weise ist mir selber der Appetit noch nie verschlagen worden, als heute, da ich mich mit den besten Anlagen zur Tafel gesetzt hatte. Es geht doch nirgends wunderbarer zu als in der Welt! Stellen Sie sich vor: Ich sitze an meinem gewöhnlichen Platz, der Thüre des Saals gegenüber, an meiner grünen Seite links mein Cymbelchen und Nesthäckchen Katharine; zu meiner Rechten Mathilde und dann Cornelia. Die Tafel war schon ziemlich mit Gästen garnirt, die Suppe wurde eben aufgetragen. Nach Gewohnheit putze ich mein Besteck rein, wische meinen Teller ab, knöpfe mir die Serviette in die Weste ... Cymbeline schenkt mir [178] mein Glas halbvoll mit Wein, weil ich im Brauch habe, gleich nach der Suppe zu trinken ... der Kellner servirt bereits in unserer Umgebung ... ein Trüppchen von verspäteten Gästen wandert zur Thür herein ... ich gebe nicht Acht auf die Leute, bin, wie gesagt, beschäftigt ... da macht das Trinchen einen Gix, als ob ihr eine Maus über'n Teller trabte ... und während ich hinüberschaue, stößt mir zur Rechten die Cornelia einen Schrei uns, einen gellenden, und paff liegt sie in den Stuhl zurückgesunken. Mathilde und andere Nachbarn springen dagegen erschrocken auf, der Kellner läßt seine Suppenteller fallen ... der Rumor wird allgemein ... und ich weiß immer nicht warum und wie und aus welchem Grunde? Stellen Sie sich meine Lage vor, und dann erst noch die andere, worein ich eine Minute später verfiel, da mir gegenüber, am Rand der Tafel, ein Gespenst sichtbar wurde, lang, schneeweißen Angesichts, gesträubten Haars und mit seinen bleichen Händen langend nach mir, oder nach uns, so daß ich fühllos wurde und kalt und unbeweglich, wie der Münsterthurm zu Freiburg ... nur etwas schmächtiger und kleiner, denn ich fürchtete schon, unter'm Tische zu verschwinden. Sapperment, das war ein Zustand! Mathilde war die Klügste von uns allen, und Cymbeline gab ihr darinnen nichts nach; mit Hülfe anderer Damen schafften sie die Ohnmächtige auf ihr Zimmer, und hoben also die Störung der Gesellschaft aus. Katharinchen, obgleich selbst verstört, unterstützte mich in meiner Verstörung, das praktische Mädchen, und gab mir den Wein zu trinken, den ich erst nach der Suppe zu mir zu nehmen gewohnt bin. Das half, das restaurirte trefflich! Ich konnte gleich [179] darauf ... jedoch erinnere ich wich plötzlich, vergessen zu haben, Ihnen zu sagen, wer denn eigentlich das Gespenst gewesen, welches mich so tief in die Angst geführt, und ohne Zweifel schon früher das Trinchen alterirt, und die Cornelie umgeworfen hatte. Es war nämlich, Sapperment, der in Staufen erschossene und begrabene Moritz, der auf einmal gekommen war, mit uns zu Mittag zu speisen. Des armen Mannes Schrecken, uns in diesem Saale unangemeldet vorzufinden, war nicht geringer als der unsrige. Darum sein Gesicht so blaß, darum sein Haar gesträubt! – Schon diese Beschreibung hat mir den Schweiß ausgetrieben ... Der Brief kommt ohnehin heute nicht zur Post ... ich halte daher wiederum ein bischen inne, trinke eine Tasse Kaffee, und sammle Kräfte, um baldigst fortzufahren. –

N. S. Da unser Freund, Herr Spitzenberger von Tuttlingen, noch heute Abend nach Freiburg und Karlsruhe verreist, so gebe ich ihm wegen Eile und Portoersparniß diesen Brief zur gefälligen Besorgung mit. Schreiben Sie mir umgehend, was Sie von obigen Geschichten halten. Grüßen Sie Ihre liebe Frau von mir, und seyn Sie ditto gegrüßt von Ihrem

schwerbeladenen und tiefergebenen
Schwager Hinterbein.

2.
Der Soldat Lenhard Thoma an seinen Vater, den Metzger-Thoma in Heurlingen.

Mannheim ten 2 Juni 1849.

Lieber Vatter

Da ich vom Waldin gehörd habe Ihr seid mir [180] wider gut und wolled mich for einen brafen Son anemen allso schreib ich auch in Gotzname. Da es Die Zeit nicht erlaub hat sonst hät ich euch schon geschriben am 30ten Mai. Da sind wir nach Weinheim gekomen und wir sind kaum Eine halbe Stund Da gewesen so haben wir fort gemußt aus Laudenbach Da sind Die fom Leib Reg. schon im Feuer geweßen und wie Mir auf Hembspach kommen sind Da sind sie schon Rederrird weil sie zu wenig Leud warme und wir haben Es gar nicht gewüßt Das Es Los get. Die heßen haben sich auf Die Weinberig gesteld und haben mit Gardetschen auf uns gefeuert Es waren mehr heßen Als Badischen Den Es waren hanoferaner und Gut Heßen waren auch Dabei Den wan Es mir nur ender gewüßt häten so war es andest gekomen Den wir haben keine Anfürer gehabt Es hat nichts zu sachen Es hat Doch mehr Heßen gefalen sind Als Badische wie mir gekomen sind Da sind sie auch rederird und sind auf Heebspach und haben sich hinder Die heuser gesteld und wir sind inen Als nach und wen Die Ganonir Das Henbspach nicht verschont hät so häten wir Die Hessen gebreund wir sind fom 3 Uhr bis am ½ zehn Uhr im Feuer gestanden, Es hat fiel Leut gekost fon Unseren Als wie von Den Hessen Die Hessen haben 8 Wehen soll fordgefürd fon Unser Reg- hat es 4 Man gekost und 20 Plesird Es ist auch einer fon ab dem Somerberich Dabei er ist fon meiner Kompani dem sind 2 Gugle Durch die Schenkel heute ist er gestorben Den Es liehen auch noch mehr in Der Frucht Das niemand weist Das Gardetsche Feuer Das kan ich euch nicht schreiben wie die Kuglen geflogen sind Es ist auch ein Haubman fom 3ten Reg.mend Der hat 2 - Hundert Gulden [181] Geld bei sich gehabt wen die Kugle nich zu arich geflochen were so hät ich es gehold aber sie haben mit Gardetschen auf uns geschossen Da bin ich am Weinberich for ich wold nichts wünschen Als sie kämten noch ein Mall unßer Soldaten sind kanns Wütend Den heude den 1ten Juni Da ist das Badische Milid- in Heidelberich und in der umgehend gelegen Da hat er sich nicht sehe laßen er ist uns gekomen als wie ein schpizs Bub es dauer kein 3 Tag get es wieder Los, Ich habe nach dem Michel gesucht es hat mir ein Soldat gesacht Das sie in Leimen Lichten ich bin bedinter worden bei einem Ober Arzst Da brauch ich nicht mehr for aus gehen ich muß bei meinem Her bleiben weil er die blesirde ferbinden muß Da muß ich im helfen Lieber Vatter seid Des Halb unbesorigt und mach Eeuch keine getangen ich bin gern Dabei ich wiell Lieber Tott geschossen werden Als ich mich in die geschlaferei begeben Thu ich bin Jezst 1 Jahr 8 Monat im Dienst Als wie ein Züchtling Es ist freilich hart für Euch wen man 1 Dabei hat und weißt nicht ob man ihn noch einmal sieht aber ich denke ich sehe euch noch mal wen wir gestanden wäre Als wie die Hessen so wär kein Mann dafon gekomen sie haben uns ale überschoßen weill sie zu hoch gestanden sind ale Guchle Drefen nicht sonzst könd der Theufel Soldat sein Ich Wiell mein Schreiben Schließen und Euch fiel Mall Grüßse und alle meine Freunden laß ich auch Grüßen Schreibet mir auch wie Es bei Euch geht

Soldat Lenhard Thoma

Verzeit mir in meinem schlechten Schreibere-

Die Stif Mutter lauft mit der Schnabsflasch bei der [182] Arbeither Leszschon und mit dem Hunts Gerle dem Kaszspar – der ist aber schon Tott und begrabe, die Mutter hab ich nicht gesehe – sie wird ihre Lon kriechen Euer Son wie oben.

3.
Doktor Sebastian Faust an Hinterbein in Basel.

Freiburg i. B., am 12. Juni 1849.

Werther Herr, insonders hochgeehrtester Herr Schwager.

Es hat einmal in der Urzeit, wie ich mich noch aus der Schule erinnere, ein zauberisches Weibsbild gegeben, das sich beifallen ließ, am Wege zu lagern, und den Passanten Räthsel zu proponiren, die sie knacken mußten, um von der Dame Sphynx nicht selber geknackt zu werden. Die Griechen jener Zeit müssen dumme Kerle gewesen seyn, da das Räthsel quaestionis ziemlich albern, und dennoch im Lande nur ein Mann, der gewisse Oedipus, im Stande war, das Räthsel zu lösen, und die Sphynx in den Abgrund zu schmeißen, worein sie alle seine Vorgänger bereits geschmissen hatte. Sans comparaison, und ohne Ihr Räthsel mit dem sphyngischen in einen Topf zu werfen, kommen Sie mir vor, wie jene löwenfüßige Dame, wenn ich Ihren Brief vom achten dieses Monats überlese. Ein Oedipus bin ich aber nicht, denn ich kann nicht errathen, wie die Geschichte von dem Herrn Moritz, der in Staufen erschossen und erstochen und begraben worden, und trotzdem zu Basel [183] mit Ihnen speisen will, zu erklären ist. Sie sind mir das Wort des Räthsels grausam schuldig geblieben, ohne gefälligst zu bedenken, daß wir freie Bürger in Baden ohnehin bis über die Ohren in einem Pfuhl von Räthseln stecken, deren Auflösung wir mit nicht geringer Bangigkeit erwarten. So wissen wir platterdings nicht, ob wir in einem Großherzogthum, oder in einem deutschen Gesammtreich oder in einer Republik leben. Unsere Gewalthaber schweigen hierüber mausstill. Sie haben den Landesausschuß aufgelöst, und eine »provisorische Regierung« geschaffen. Minister haben wir gerade genug, und alle Tage einen andern Obergeneral. Wenn uns in diesem letzten Artikel nicht die Polacken aushelfen wollten, so müßten wir am Ende ganz darauf verzichten. Wenn wir auch keine Imperatoren aufzubringen vermögen, so hofft doch meine ahnende Seele, daß jedenfalls die Diktatoren nicht ausbleiben werden. – Wenn nur Sie, geliebter Schwager, nicht so unbarmherzig ausblieben! Meine Laura liegt mir unaufhörlich in den Ohren, daß ich Sie doch bestimmen soll, entweder nach hier wieder umzukehren, oder uns wenigstens die schwere Last der Bewachung Ihres Hauses abzunehmen. Laura kann es hier kaum mehr aushalten, und ich, der vor Kurzem noch für das Bleiben stimmte, möchte wohl nachgerade meiner Laura Recht geben. Unsere Regierer nehmen gar keine Rücksicht auf den beschaulichen, stillen Lebenslauf eines Gelehrten. Ich bin gewohnt, mich einsam mit Büchern und Pflanzen zu unterhalten, wie der selige Archimedes in meinen Zirkeln zu leben, und doch wimmelt stets mein Haus von freischärlerischer Einquartirung und mich überlaufen immerdar die Mannschaften, die Ihnen zugedacht sind, und [184] die ich jetzt in Gasthäusern unterbringen muß, welches mir viel Ueberdrang, und Ihnen schmähliche Kosten verursacht. Nicht genug: da haben wir auch einen alten polnischen Kommandanten erhalten, der immer in den Straßen auf und abzieht, beschäftigt, die Gassen auszumessen, um fahrende oder tragbare Barrikaden einzurichten! Saubere Aussichten das. Sollen wir noch einmal eine Erstürmung, einen Straßenkampf erleben? Wenn nicht alles erlogen ist, was die Leute plaudern, so gehen die Preußen, sammt allen übrigen Reichssoldaten, gegen uns in's Feld, und wir sollen bereits am Neckar brav abgewandelt worden seyn. Die Franzosen helfen uns nicht, die Pfälzer lassen uns stecken ... wie bald dürfte unsere Stadt ein Schauplatz der Verwüstung werden! Und dabei fallt mir immer das Wort jenes Unglückspropheten ein, der da sagte, der Rückzug würde erst das tüchtig gesalzene Ende unserer Revolution seyn! Die Freischärler, die noch immer vorwärts marschiren, erzählen auch viel von allerlei Legionen, die sich furchtbar einstellen werden: von dem »Korps der Rache«, von der Legion des Robert Blum und andern mehr. Soll ich das alles abwarten? Bin ich nicht ein Mann des Friedens, wie der Herr Raphael? Ach, ein – Gelehrter ist doch ein armer Bursche! Wahrlich, lieber Schwager, ich sag' es Ihnen:

»…: ein Kerl der speculirt,

Ist wie ein Thier, auf dürrer Heide

Von einem bösen Geist im Kreis herum geführt,
Und rings umher liegt schöne grüne Weide.«

Verzeihen Sie mir diesen Rückfall in die Citate, die mir von Ihnen und von Laura verboten sind, aber [185] es ist eine strenge Wahrheit, daß der Gelehrte in das Leben einer bewegten Zeit nicht taugt. Lieber wär' ich jetzo dumm, wie ein Bund Stroh, von Profession ein Schustergesell, los und ledig, und fünfundzwanzig Jahre alt ... da wollte ich wohl die Dinge ruhiger abwarten, und Gott einen guten Mann seyn lassen, wie unsere Soldaten thun, die da nichts mehr wissen von Dienstgehorsam und vom Zapfenstreich, die mit der Cigarre im Maul Schildwacht stehen, und wenn ihnen die Wache nicht mehr behagt, frei und frank in's Bierhaus gehen; die da marschiren, wann sie mögen, und es bleiben lassen, wann es ihnen beliebt. Ein Herrenleben, auf mein Wort! Aber woher würde ich die fünfundzwanzig Jahre nehmen? Woher jetzo die beneidenswerthe Dummheit, die Freiheit eines Schusterischen Junggesellen? Hab' ich nicht Weib und Kind, und steh' ich nicht, ein Doppeldoktor, im Glanz der reifern Jahre? Mir bleibt nur übrig, auf eine gelinde Weise durchzugehen, wie Herr Schwager gethan haben, und wozu ich mir mit Nächstem die Erlaubniß erbitte. Der Nachbar Sattler, der in loco bleiben muß, würde Ihr Haus noch besser hüten können, als ich, und das meinige noch obendrein. So eben geht er von mir, hat mir aus der Zeitung einen großen Sieg der Unsrigen bei Hemsbach (?) mitgetheilt, und aus Privatnachrichten eine dito Niederlage. Leider glaubt man allgemein mehr an die Schlappe, als an den Erfolg.

Sonst nichts Neues. Diesen Brief gebe ich meinem Meffi-Stoffel mit, der zum Aufgebot kommandirt ist worden, und einen Zug nach Kaudern und Efringen mitmachen muß. Von letzterm Ort wird er die Depesche wohlbehalten nach Basel spediren, da ich sie wegen ver [186]dächtigen Inhalts und möglicher Folgen nicht gern auf die Post gebe. (Im Vertrauen gesagt, so glaube ich, daß der Kerl den Brief eigenhändig überreichen wird, indem er nicht abgeneigt scheint, auszureißen.) Eine baldige Erwiederung hoffend und erbittend, auch Sie und Familie von mir und Laura herzlich grüßend, zeichne ich

als Ihr ergebener Freund und Schwager
Faust Dr.

4.
Papa Hinterbein an Herrn Dr. Sebastian Faust in Freiburg.

Basel am 16. Juni 1849.

Hochwohlgeborner Herr und Schwager

wollen auch mir vergeben, so wie ich Ihnen das unangenehme Gleichniß von der alten Sphynx und das Citat in Versen verzeihe, daß ich den Bockstreich gemacht habe, Ihnen jenen Brief vom 8. ohne gehörigen Endaufschluß geschickt zu haben. Aber dergestalt haben mich unsere politischen Wirren zerstreut gemacht, und dergestalt haben meine Töchter mich zu unterst und oberst gekehrt, daß ich schier ein Simpel geworden bin. Geben Sie also Pardon, und empfangen Sie hiemit nachträglichen Bericht und Aufklärung.

Beiläufig gesagt, habe ich Dero Brief durch Ihren vertrauten Stoffel-Meffi von Hand zu Hand empfangen. [187] Derselbe läßt schön grüßen und vermelden, daß er für's Beste halte, hier zu verbleiben und den badischen Rummel abzuwarten. Einstweilen hab' ich den Menschen bei mir in Kost genommen, und können Sie ihn, wenn alles vorbei, wiederum bei mir abfassen. Und ich denke doch, es werde, und zwar bald, drüben alles vorbei seyn; so viel ich höre, sind ja schon die Preußen in die Pfalz gerückt, und werden etwa bereits über den Rhein gegangen seyn. Die Reichsarmee wird auch nicht schlafen, und am Neckar sind wir, wie auch Sie melden, scharf herübergelegt worden. Gott gebe seinen Segen, und verleihe Ihnen die nöthige Geduld, zum Schutz unsers beiderseitigen Eigenthums in Freiburg auszuharren; denn meine Erlaubniß zum Abzug von dort bekommen Sie gewiß nicht. Ich würde Sie für den röthesten Republikaner halten, und Ihre Frau Liebste für eine wahre Hochverrätherin an meinen Majestätsrechten, wenn Sie mein armes Haus ohne Permission im Stich lassen wollten. – Doch bin ich abermals, wie ich bemerke, von der Historie des Herrn Moritz abgekommen, und erwische den Faden noch einmal, um Ihre, übrigens billige, Neugier zu stillen.

So fange ich denn bei dem Herrn von Milzheim an, der mir an jenem denkwürdigen Vormittag gleichsam als eine Vorerscheinung in den Weg gekommen war. Sehen Sie, bester Schwager: meine einzige Unterhaltung in jetziger Zeit ist, daß ich vor Tisch und gegen Abend über die Rheinbrücke dem Postomnibus entgegengehe, der die Reisenden aus dem Badischen nach Basel bringt. Da begegnet man vielen Bekannten, die mit Neuigkeiten aller Art herausrücken, Dichtung und Wahrheit gemischt. Item: man unterhält sich. [188] So bin ich also an jenem Tag der Gespenstererscheinung ebenfalls vor Tisch mit Cornelia und Mathilde über die Brücke gegangen, und sah schon in der Ferne den Omnibus auffahren, als ich plötzlich weit näher bei mir einen Herrn und zwei Damen gewahre, die an uns vorüberziehen, ohne nur dergleichen zu thun, als ob sie uns kennten.

Das war der Herr von Milzheim, an dessen linker Seite sein Fräulein Schwester, an der rechten jedoch, Arm in Arm mit dem Baron, eine andere sehr stattliche Dame. Sie und Er schienen eben nicht von Kraut und Rüben miteinander zu sprechen; sie schauten sich zärtlich an und drückten sich die Hand, wie junge Eheleute. Ich war darüber ganz weg; Herr Schwager erinnern sich, daß ich einst mein Auge auf den Baron geworfen, und denselben als einen immerhin möglichen Schwiegersohn betrachtet habe. So blickte ich die Cornelia scharf an, und fragte: Ist das nicht der Herr Baron? Das Mädel antwortet kalt wie Eis: Freilich ist er's. – Und wer die Dame neben ihm? frage ich die Mathilde, und diese entgegnet ganz gleichgültig: Es wird wohl seine Frau seyn. – Ich falle aus dem Himmel, ziehe jedoch höflich den Hut, und wer den sitzen läßt und gar nicht herüberschaut, und geruhig weiter geht, ist der Baron. War nun sein Betragen mir schon ein Räthsel, so konnte ich doch noch weniger Cornelia's Kälte begreifen, und habe das Nähere erst nach der Auferstehung des Herrn Moritz erfahren. O die Weiber, die Weiber!

Jetzt stehen wir aber richtig bei dem fraglichen Moritz, und lassen ihn nicht aus. Nachdem ich Wein getrunken, frage ich ihn herzhaft über den Tisch hinüber: Sind Sie denn ein sterblicher Geist, oder gar [189] ein gespenstiger Körper? – Ich lebe; antwortete er, wie ein todter Mensch. –Nun, da haben Sie schöne Dinge angerichtet; sage ich aufstehend und winke ihn in das leere Nebenzimmer, um dem Gaffen und dem Zischeln der Tafelgäste aus dem Weg zu gehen. Um's Essen war mir ohnehin nicht mehr zu thun; dem Moritz gleichfalls nicht. Die Cymbel schickte ich nach der Cornelia, blieb mit dem Moritz allein, betastete ihm Kopf und Hände, und siehe: es war ein lebendiger warmer Mensch! Aus unserm Diskurs stelle ich der Kürze halber Folgendes zusammen. In dem Gefecht zu Staufen war ein Freund des Herrn Moritz, ein gewisser Spiegler, den ich mich noch erinnere, vor Zeiten in Freiburg gesehen zu haben, wo er unter den Studenten der größte Fantast gewesen, durch eine Prellkugel mit einer schweren Kontusion auf der Brust und Schulter heimgesucht worden. Sein enger Rock drückte ihn sehr; Moritz tauschte mit ihm das Kleid. Bei der allgemeinen Flucht waren die beiden Freunde getrennt worden, und Spiegler, der von der Fährte abgekommen, und wegen seiner Verletzung nur langsam voran konnte, fiel noch in der Stadt vom Blei eines Freischärlers. So wurde er von meinen Töchtern für den Moritz gehalten und von Cornelia, wie sie wissen, heftiger betrauert, als ich mir einbildete, ich ärmster aller Väter, die je von Töchtern hinter's Licht geführt wurden! Der Baron von Milzheim, –das habe ich erst jetzo aus dem Munde der Mathilde und der Cornelia – hat auf den Irrthum derselben hin dem Moritz ein einfach Denkmälchen setzen lassen, und dann ganz geschwinde, während seiner kurzen Anwesenheit zu Freiburg im Winter, hinter meinem Rücken der Cornelia [190] seine Hand angetragen. Die Antwort lautete, wie von einer empfindsamen Thörin zu erwarten. Ein schönes Kompliment, und aus der Sache könne nichts werden, weil die Liebe selbst über's Grab hinaus dauert, und so weiter, wie eben der Firlefanz immer zu Markt gebracht wird. Mit der Antwort geschah dem Baron sein Recht, – warum hatte er sich nicht an mich, den Vater gewendet? aber sie verschnupfte ihn doch, und von diesem Eitelkeitsschnupfen sich zu heilen, hat der Baron unverzüglich geheirathet, und zwar in den reichsten Adel hinein. Davon hab' ich nun kein Wort gewußt, bis dato, und der Moritz hat auch nichts von sich wissen lassen, obschon er mit heiler Haut nach der Schweiz entkam. Bald darauf nämlich war er brav geworden, und daran war vorerst der Tod seines Freundes Schuld, den er nachträglich erfuhr, und der ihm sehr zu Herzen ging. Zweitens aber wurde ihm das Revolutzen verleidet ganz und gar, als er, um den Hausleuten des Spieglers dessen Hintritt bekannt zu geben, sich in des Letztern ehemaliger Wohnung einstellte. Dortselbst fand er die Mutter des Unglücklichen, die, wie schon oft, ihren Sohn zu besuchen und zu unterstützen gekommen war, und da sie mit Schrecken erfahren, daß ihr Sohn abermals in den Aufruhr gezogen, plötzlich den Verstand verloren hatte. Die arme Wahnsinnige gab ein lebendig Exempel ab von all dem Unglück, so die Revolutionen über Länder und Familien verbreiten ... und Moritz ließ sich das gesagt seyn, und brach dergestalt mit dem Aufruhr, daß er nicht einmal mehr nach Baden ein Lebenszeichen gab, weder der Geliebten, die ihn etwa seiner Abtrünnigkeit wegen verachtet hätte, noch den Freunden, deren Spott [191] er fürchtete. In jene Zeit fällt der Umstand, daß besagtem Moritz Gelegenheit wurde, einem grundreichen Fabrikanten von Basel einen wichtigen Dienst zu erweisen. Diese Geschichte ist gar weitläufig, daher sag' ich sie Ihnen einmal mündlich. Der Fabrikant übrigens, ein dankbarer Herr, hat den Moritz so zu sagen als seinen Genossen in's Geschäft aufgenommen, und er sitzt nun gleichsam als Herr und Meister nicht weit von Basel in dem großen Fabrikgebäude seines Freundes. Eben von da, ein Betriebsgeschäft zu besorgen, war Moritz in die Stadt gekommen und wollte seine Mahlzeit in unserm Hotel einnehmen – als da geschah, was Sie bereits wissen!

Ich bin vom Schreiben so müde, daß ich unter allen Umständen die Feder gern niederlegen würde, wenn ich Ihnen nicht geschwinde noch sagen müßte, daß meine Töchter mich aufs Aeußerste gebracht haben. Ich weiß doch auch, Sapperment, was es mit der Liebe ist! Ich selber habe geliebt in Westdeutschland und in Westindien, auf schwarze, braune und weiße Manier ... aber stockverliebte Köpfe, wie die meiner Mädchen, und aufbrausende Herzen, wie die ihrigen, sind mir unter keiner Breite und Länge vorgekommen. Wir Männer sind eben doch Gold und Juwelen, und die Weiber sind nur Glimmer und Thon. Einen Liebhaber, wie Herr Schwager waren, will ich mir gern gefallen lassen; ein Freiwerber, wie Herr Alfred, ist ein Kapitalmensch. Respekt davor! Ich will auch noch rühmen den Herrn Direktor Raphael, der endlich angekommen ist mit gemachten Wechseln und braven Obligationen, und der mir den ganzen Plunder zur Aufbewahrung und zur Verwerthung übergeben hat. Für dieses Ver [192]trauen, auf Ehre, gebe ich ihm mein Katharinchen, namentlich da er das Theater dahinten lassen und, wenn wieder Ruhe im Land ist, in Freiburg als Friedensapostel wohnen will. Ich werd' auch nicht umhin können, dem Moritz, der auf dem Weg zu einem soliden Glück ist, meine Cornelia zur Gattin zu geben, damit nur endlich die arme Seele Frieden hat. Sie kann dann als eine Republikanerin in der Republik leben, und mir bei vorkommenden anderweitigen Revolutionen ein Absteigquartier bereit halten. Daß Mathilde den unvergleichlichen Alfred kriegt, ist Ihnen schon bekannt, und die Hochzeit Nummer eins bis drei wird stattfinden mit einem Schlag, an einem Tag, sobald man sich wieder zu freuen vermag. – Dann haben die Mädels, was ihnen gehört, und wenn ich einmal drei von ihnen los bin, so will ich auch mit der vierten fertig werden, und dann, » Tedeum laudamus!«

Am 18. Juni ejusd. ann.

Wenn ich sage,daß es nirgends wunderlicher zugeht als in der Welt, so ist das eine vollendete Wahrheit, und bleibe ich dabei. Wer hätte geglaubt, daß ich vorliegenden Brief nicht schon vorgestern absenden, daß ich ihn heute noch fortsetzen würde? Das ist aber folgendermaßen gekommen. Es kam nämlich der Herr Moritz, in Gesellschaft seines Prinzipals oder Associé, eines recht lieben Herrn, um mich und Cornelia einzuladen, seine Fabrikanstalt und häusliche Wirthschaft mit eigenen Augen zu betrachten. Eine splendide Kutsche war zur Hand, die Einladung sehr freundschaftlich, da blieb also dieser Brief liegen, und wir gingen oder fuhren vielmehr hinaus an Ort und Stelle. Auch [193] Mathilde war von der Partie; Herr Moritz ritt neben dem Wagen ganz nobel auf einem schönen Pferd einher. Die Anstalt ist wirklich vortrefflich, und die Aufschlüsse, so mir der Eigenthümer gab, in Beziehung auf die jetzige und zukünftige Lage des Moritz, die befriedigendsten. Moritz wird eine herrliche Laufbahn durchmachen, und Er, so wie sein Gesellschafter, nahm mich unter vier oder sechs Augen in's Gebet, und bewies mir sonnenklar, daß nur Cornelia ihm zu seinem Glück fehle. Was wollt' ich machen? Mehr als halb schon einverstanden, bat ich mir vierundzwanzig Stunden Bedenkzeit aus, und gestern wurde die Sache in's Reine gebracht. Der Moritz kriegt also die Cornelia; in vierzehn Tagen hat er sie schon. Denn ich warte, wie ich Ihnen schon versicherte, nicht mehr lange zu, wenn Eine meiner Töchter sich verlobt hat. Der Teufel legt gar zu gern sein Ei in's Nest, wenn gezögert wird. – Nun sollte man aber glauben, daß jetzo nicht nur Moritz, sondern auch Cornelia zufrieden seyn müßte? Prosit die Mahlzeit, nichts da! Der Himmel weiß, wie unsere Vorfahren es angestellt haben, mit ihren Weibsbildern fertig zu werden – ich begreife es nicht, denn ich werde mit den meinigen nie fertig, das merke und spüre ich nur zu gut. Die Hochzeit binnen vierzehn Tagen wäre uns Allen recht; bis dahin dauert auch noch gewiß unsere badische Revolutionskomödie und unsere freiwillige Verbannung, die mich nebenbei gesagt, ein schandbares Geld kostet, während die Freischärler zu Freiburg auf meinen Beutel hin im Wirthshaus lumpen und zechen. Wäre indessen die Revolution auch schon darniedergeschlagen, so dürfte eben doch der Moritz noch eine gute Weile nicht in's Vaterland hin [194]über, da er sich leider schon zweimal an dem Unfug betheiligt hat. Nun liegt mir aber die Cornelia unaufhörlich auf dem Nacken mit der Klage, daß sie mich verlassen müsse, was sie kaum über's Herz bringe. So sind die Weiber. Immer unzufrieden, niemals in ihrem Gott vergnügt! Stellen Sie sich meine Noth vor. Die Mathilde macht mir's um kein Haar besser. Mit ihr und dem lieben Alfred ist schon alles in der Ordnung, bis gerade auf das Heirathen; nichtsdestoweniger behelligt sie mich mit Lamentiren und Seufzen von wegen der Abwesenheit ihres Verlobten, der zwar alle Tage ein Bülletin und einen zärtlichen Gruß herüber schickt, aber noch steif und fest bei seinem Freund ausharrt. Mathilde fürchtet wohl, es möchte ihr auch der zweite Bräutigam durch das harte Schicksal entrissen werden ... und ich fürchte es auch manchmal, wenn ich höre, wie jetzo Eure Rothen drüben auf dem Lande brandschatzen, Pferde, Kühe und Fahrnisse aller Art wegnehmen, die Leute mißhandeln, und vielleicht in Versuchung kommen möchten, dem loyalen Alfred eine Kugel zu schicken, wie sie schon eine dem Sekretär geschickt haben. Ich schnaufe zwar kein Wörtchen von meiner stillen Angst, muß jedoch alle Aengsten der Mathilde über mich ergehen lassen. Dazu kommt noch, daß selbst Kathrinchen, die jetzt am Ziele steht, indem ich sie heute Morgen mit ihrem Raphael verlobt habe – die Hochzeit in vierzehn Tagen, zugleich mit Cornelia und Moritz – anfängt, ungeberdig zu werden, weil sie zu mißbilligen und zu beklagen geruht, daß Raphael vom Theater Abschied nehmen will! Die Gans wäre wohl am Ende selber gern eine Komödiantin geworden! Der Raphael, der jetzt nur auf dem ewigen [195] Frieden reitet, lacht zum Jammer der dummen Trine; aber ich, der all' den Trödel schlucken muß, bin der geschlagenste Vater auf dieser besten Welt, und tröste den Kindskopf nur damit, daß ich in Freiburg für ein Liebhaber-Theater sorgen wolle, woselbst Raphael seinem Weibchen zur Freude die schönsten Rollen spielen werde. Dieser glückliche Einfall schafft mir zuweilen Ruhe, und ich freue mich darüber um so mehr, als ich mich wundern muß, den Einfall gehabt zu haben, indem ich von all dem Verdruß, den mir die Politik und die Töchter bereiten, schon ganz zipfelsinnig geworden bin, wie bei uns die Bauern sagen. Lieber Schwager, nur keine Töchter, ich bitte Sie; und wenn Sie dennoch deren haben sollten, so verheirathen Sie nur dieselben gleich im zehnten Jahre! ... Beim Blitz! Da werd' ich eben zu einem Frauenzimmer beschieden ... es pressirt ... was gibt's schon wieder? Später ein Mehreres ... – –

Abends sechs Uhr ... ein heißer Nachmittag! Was ist's gewesen? Trinchen hat mich abgerufen ... auf der Treppe begegne ich dem Alfred und der Mathilde ... eine Freude, nicht zu beschreiben ... Umarmungen, schwiegersöhnliche Handschläge, töchterliche Küsse und Liebkosungen ... unten an der Treppe Moritz und Cornelia, in zärtlichem Verein lauschend an der halb offenen Thüre meines Frauengemachs ... lächelnd und mit dem Finger auf dem Mund geben sie mir ein Zeichen, das Maul zu halten und das Ohr hinzurecken, wie auch sie gethan ... ich halte, ich recke ... was hör' ich ...? Die Stimme des Sekretärs, welche dumpf und traurig aus einem dicken Backenverband herausdringt und spricht: »Wenn ich hieher [196] gekommen bin, so geschah es nur, theures Mädchen, das ich leichtsinnig mir selbst verloren, um Sie noch einmal zu sehen, meiner ewigen Reue zu versichern, und mich dann am Ende der Welt zu verstecken, bis der Tod kommt! Schauen Sie mich noch einmal barmherzig an, und vergeben Sie dem Sünder, der zwar nicht würdig ist mit seinem häßlichen, zerfetzten und geflickten Angesicht vor Ihnen zu stehen ...« – Und was antwortet hierauf meine Cymbel? Sie reicht dem Sekretär die Hand, und ruft ganz unerschrocken, gar nicht mehr eingedenk ihres gerechten Grolls, mit wahrer Herzlichkeit aus: »Was sagen Sie? Ich danke dem Herrn, daß Sie wieder genesen, daß Sie das Leben behielten, und Ihre Narben dünken mich schön, weil Sie die Wunden erhielten, sich opfernd für mich, deren Daseyn jene Unholde bedrohten!«

Dieses hörend – nun, was will ich noch sagen? – da war Alles aus. Herr Alfred sprach dem Sekretär das Wort ... selbst Mathilde redete mir zu ... Kathrinchen und Raphael, Moritz und selbst Cornelia, welche da ganz vergaß, daß sie einst den Sekretär als einen »Fürstenknecht« nicht wohl gelitten ... Alle liefen Sturm auf mein armes Vaterherz, und strangulirten mich gleichsam mit Umhalsungen, bis ich, des Athems schier beraubt, opferwillig stöhnte: In Gottes Namen denn! Wenn Ihr's nicht anders haben wollt, und auf eure Gefahr, will ich sagen »Ja!«

Sapperment, die Begebenheit war schwierig, aber noch schwieriger die Beschreibung derselben! Nachträglich noch, daß ich, als meine gute liebe Cymbel, auf mein Jawort hin, wie ein Engel an meine Brust sank, um zu danken für den Sekretär, der da weinte, wie ein [197] Kind – daß ich, sage ich, fast bereute, obiges Jawort gegeben zu haben, weil mir einfiel, daß der Sekretär darauf hingearbeitet, ein Amtmann oder so was auf dem Lande zu werden. Darum rief ich weinerlich, und die Cymbel recht zärtlich in den Arm nehmend: So willst auch Du von mir scheiden, mein herziges Mädchen, das mich gepflegt, auf den Händen getragen und für mich gesorgt, wie ein liebes Mütterchen? So wird denn keine Tochter in meinem Hause bleiben, um mir dereinst die Augen zuzudrücken? – Da packte mich der Sekretär bei einem Wickel, Cymbeline bei dem andern, und schrieen mir in's Ohr: »Wir bleiben, wir bleiben ja bei Ihnen, liebstes Väterchen!« Und ich frage darauf ganz schachmatt: Wenn aber der Dienst den Fritze da aus meinem Hause und von meinem Spieltisch zu den Kaffern oder in die Fremde jagt? – Holla! da wird Cymbelchen plötzlich still, und niedergeschlagen läßt sie die Hände sinken ... aber der Sekretär – man muß ihm lassen, daß er ein besonnener und vernünftiger Mann – hat alsogleich einen guten Einfall und ruft fröhlich: »Wenn's weiter nichts ist? Da ist bald geholfen. Ist denn unser Haus nicht überall das Ihrige, und werden Sie jemals Ihre Kinder verlassen?« Und die Cymbeline stimmte gleich mit ein, und die Andern klatschten Beifall.

Da war nun wieder alles aus, lieber Schwager. Da verlobte ich nun mein letztes Kind – nicht später als in vierzehn Tagen die Hochzeit – und nach dieser Frist werd' ich eben noch der einzige Mensch seyn, der den Namen Hinterbein auf Erden führt.

Wenn übrigens der Sekretär meiner Cymbel gefällt, so hab' ich nichts dagegen. Seine Wiederherstellung [198] ist ein Wunder von Schnelligkeit; aber er sieht aus wie ein roth und blau tätowirter Indianer, und das ist nicht aller Damen Geschmack. Cymbel braucht nicht eifersüchtig zu seyn, und Fritze kann sich gratuliren, ein so hübsches Weibchen zu bekommen. – Also in vierzehn Tagen General-Hochzeit, lieber Schwager. Wenn bis dort die Preußen unsere Revolution geschluckt hätten, so wären Sie, sammt Gattin, freundlichst eingeladen. Wenn dagegen noch alles beim Alten, so harren Sie nur muthig aus, und ich werde Sie dafür loben. In Eile, weil die Post abgeht, und mit vielen Grüßen

Ihr schreibmüder und hochzeitbegieriger
Schwager Hinterbein.


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