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Zweites Kapitel.
Was näher und ferner noch geschah am Staufener Tag.


1.

Jedes Trauerspiel im Menschenleben, wie schrecklich es auch sei, hat in seinem Gefolge gewisse kleine Nachspiele, die entweder versöhnlich mildernd in den Gräuel hineingreifen, oder, von der Ironie des Schicksals herbeigeführt, sogar komische Streiflichter über das große Jammerbild werfen. Der blutige Tag von Staufen hatte ebenfalls dergleichen Zwischenbegebenheiten aufzuweisen. Die Damen, die bei Frau Valentine wohnten, durften sich an ein paar Begegnungen erfreuen, die wenigstens für den Augenblick ihren Schmerz abstumpften, und Heiterkeit in ihr niedergeschlagenes Gemüth zauberten.

Hatten zu Mittag die guten Staufener alle Hände voll zu thun gehabt, um die Freischärler zu traktiren, so war ihnen dafür am Nachmittag – denn das Gefecht und der Sturm hatten um halb vier Uhr ein [23] Ende genommen – wiederum die ausgiebige Beschäftigung geworden, die Soldateska nach gethaner Müh' und Arbeit festlich zu bewirthen. Valentine und Tante Laura hatten ihre Küchenschürzen abermals vorgebunden, und fanden nicht Zeit, sich um die Fräuleins zu bekümmern, welche daher Muße hatten, ihre Empfindungen ungestört auszutauschen; so daß Cornelia gar bald kein Geheimniß mehr vor ihrer Mathilde verbergen mußte, und dafür die Theilnahme der vom Unglück hart getroffenen Soldatenbraut in vollem Maß erobert hatte. Schmerzhaft an einander gelehnt, zärtlich umschlungen und die Hände verflochten, stand das Geschwisterpaar noch immer an dem halboffenen Fenster, und schaute hinab auf das Pflaster, dahin, wo die Leiche des jungen Mannes gelegen ... als von der Krotzinger Straße her im gestreckten Trab eine Kutsche gegen den Marktplatz anrollte, die, je näher sie kam, den jungen Damen, trotz ihres starren Leibes, immer bekannter erschien. »Mein Gott, ist das nicht ...?« stammelte Mathilde. Und Cornelia setzte hinzu mit ungewissen Lauten: »Des Vaters Wagen ... o mein Heiland ... er ist's ... es kann kein anderer seyn!«

Die Mädchen zauderten nicht; ohne eine von den begierigen Fragen, die sich gewaltsam auf ihre Zunge drängte, auszusprechen, eilten sie über die Treppe hinab, kamen auf der gastlichen Schwelle mit dem neuen Gast zur selben Zeit an, stürzten sich blindlings in dessen Arme, und nur erst dann flossen erleichternd ihre Thränen – an der Brust des liebevollsten Vaters!

Wer konnte sie wiedergeben, die freundlichen, die jubelnden Grüße, welche da von beiden Seiten gespendet [24] wurden? Der Vater, der überglücklich, mitten unter den Schauern der Verwüstung seine Kinder unverletzt wieder zu finden – die Töchter, die mit Wonne dem Vater begegneten, wie einem himmlischen Sendboten, der sich muthig Bahn gebrochen durch den Mord, durch das Brand des Schlachtengewühls, um seine Kinder zu erlösen, und hinwegzuführen von dem Schauplatze der Trübsal – sie überboten sich, um die Wette in den fröhlichsten Liebkosungen, und so wie die Angst des Vaterherzens, war auch in diesem Moment die Klage um Hugo, der Tod des Moritz vergessen.

Für jetzo kam die Tante, die vom lauten Sturm der Freude herbeigelockt worden, nicht ganz so gut weg. Dem freudigen Willkommen folgte alsobald die hastige Frage nach dem Doktor. Dieser Frage begegnete Hinterbein mit einem ebenso hastigen: »Um's Himmelswillen, ist er denn noch nicht da?«

Nun brach die Bestürzung erst recht bei der Frau Doktorin ein. Mit jämmerlicher Angst fragte sie wieder: »Soll denn mein Sebastian schon da seyn? O weh! ihn hat noch keine Seele gesehen, und gewiß ist der friedlichste aller Menschen dem scheußlichen Kriege zum Opfer gefallen! Ach, meine Füße tragen mich nicht mehr ... führt mich hinaus, gute Kinder ... unterstützen Sie mich, bester Schwager, daß ich nicht ohnmächtig auf die Gasse hinsinke ... und erklären Sie mir, wie es kommt, daß Sie meinen Sebastian so ganz allein den Gefahren der Schlacht preisgeben konnten?«

Die Tante hatte sich mit dem ganzen Gewicht ihres Körpers in die Arme ihrer Nichten zurückgeworfen, und suchte mit ihren Augen oben am Himmel irgend einen Tröster, irgend eine Rettung ... als sie auf einmal, [25] die so eben ohnmächtig zu werden gedroht, mit bemerkenswerther Kraft sich von den Mädchen losriß, auf die Straße rannte, ehe man sie daran hindern konnte, und mit einem grellen Schrei – ob der Freude oder des Entsetzens – in einen Soldatentrupp sich drängte, der, überrascht von dem wilden Angriff des Weibes, sie verwundert gewähren ließ. Den Schrei wiederholte Laura, als sie mit ausgespreiteten Armen einem Mann um den Hals fiel, der in der Mitte der Infanteristen wie ein armer Sünder dahergekommen war, und nun dastand, noch wie ein armer Sünder, aber wie einer, der unter'm Galgen begnadigt worden. Der Mann war Doktor Sebastian Faust, oder jede Aehnlichkeit auf Erden lauter Spiegelfechterei!

Laura wollte, ohne viel zu fragen, ihren Eheherrn geradezu der bewaffneten Macht entführen; die Soldaten bequemten sich jedoch nicht zu fernerer Nachgiebigkeit, und auch die schwere Kaution, die der reiche Hinterbein für die unmittelbare Freilassung seines Schwagers bot, wäre schwerlich von den Kriegern, die noch von der Höhe des Gefechts glühten und von der Verfolgung des Feindes zurückkehrten, angenommen worden. Der Zufall jedoch macht hin und wieder seine Sachen nicht halb, und führt sein Spiel manchmal ohne Säumen zum glücklichen Ende. So mischte sich auch hier plötzlich ein Offizier, der den »Plantageur« und dessen Schwager zu Freiburg oft gesehen, in den Streit, ließ sich von dem Feldwebel, der die Streifwache befehligte, erzählen, wie der Doktor um seines verdächtigen Aussehens willen auf dem »Bötzen« abgefaßt worden, um als muthmaßlicher Spion vor den General gestellt zu werden; – beruhigte alsdann mittelst seiner Bürgschaft [26] die aufgeregte Streifmannschaft, erlaubte dem Papa Hinterbein, dieselbe mit einem artigen Trink- und Lösegeld zu beschenken, und gab verbindlich der Gattin den Gatten zurück.

Laura's und der Familie Genugthuung, ihren Ehemann und Angehörigen seiner Bande entledigt zu sehen, war groß, wie billig; sie führten den Doktor, der aus einem traurigen Schächer ein wohlgemuther Siegesheld geworden, in das Haus hinaus, und erwiesen ihm alle erdenkliche Ehre. Zugleich entstand aber von Seite der Damen ein solches Fragengeplänkel, daß Herr Doktor mit dem Antworten für sich allein nicht auskamen, sondern den Schwager Hinterbein in Mitleidenschaft ziehen und zum Beistand aufbieten mußten. Das Duett der beiden Herren lautete ungefähr, wie folgt: »Meine theure Laura, du sollst wissen:« – Liebe Kinder, ihr mögt erfahren ... –… »Daß wir im Eisenbächle zusammengetroffen und dort zuerst von dem neuen Aufstand erfahren haben.« – Unser Schrecken war gränzenlos, liebe Kinder, liebe Schwägerin. Man ist nicht umsonst Vater ... – »… und schon gar nicht umsonst ein junger Ehemann und immerhin möglicher zukünftiger Papa!«

Die Tante, die wirklich etwas interessant aussah, gab dem leichtfertigen Sebastian einen Klapps auf den Mund, und Hinterbein fuhr fort: »Wir haben uns eine ganze Nacht mit uns selber herumgebalgt, um zu einem vernünftigen Entschluß zu kommen. Den Einen zog das Herz natürlich gen Staufen; den Andern befehligte die heiligste Pflicht gen Freiburg. Staufen schien uns ein sicheres, nichts beunruhigtes Paradies; Freiburg konnte jedoch bereits in Feuer und Flammen [27] stehen. – »Wir zögerten jedoch nicht, uns zu entscheiden;« hob auch der Doktor wieder an: »im Wirthshaus zum Rößle ... erinnerst du dich noch, beste Laura? ...« (Wieder ein Klapps.) Hinterbein sprach weiter: Im Rößle also, vor dessen Thür wir schier den Hals gebrochen, weil mein Wagen brach, dessen Ausbesserung uns einen vollen Tag aufhielt – im Rößle also trennten wir uns. Der Schwager suchte mit seinem Feldgepäck, der Blechbüchse und dem Pflanzenbuch, zu Fuß den Weg über Hinterzarten nach dem Münsterthal und diesem gesegneten Staufen. Wie er diese Aufgabe gelöst, wird er selbst erzählen, da ich davon nichts weiß. Was mich selber betrifft, so habe ich in meinem langen Leben nicht die Sorgen und die Angst ausgestanden, die mich plagte und mit Fäusten schlug, da ich die Höllensteige hinunter fuhr. Das kleinste rothe Morgenwölkchen war mir bereits ein Widerschein der Feuersbrunst, die mein liebes Freiburg in Asche legte ... und ich wurde ruhiger erst dann, als ich zu Ebnet für ganz gewiß vernahm, daß sich in der Stadt noch gar nichts Absonderliches zugetragen. – »Dagegen ich« ... machte der Doktor ... »ich ging des fröhlichsten Muthes voll meine Straße, oder vielmehr meine Geißenpfade dahin. Aber welch' eine Reise! Allerdings gehörte ein frischer Muth dazu, um das ›Geschwend‹, das ›Krautäckerle‹, das ›Bödele‹ zu passiren, ohne Hals und Bein zu brechen, oder wenigstens verzagt stecken zu bleiben in irgend einer Schrunde jenes vermaledeiten Reviers. Ich hatte wegen der dringenden Zeitverhältnisse nicht einmal Raum für meine Pflanzenliebhaberei; denn ich sehnte mich nur nach meiner einzigen, allerschönsten und allerliebsten Rose ...!« [28] (Noch ein Klapps.) – Hinterbein nahm das Wort auf: Mir war das Herz munter geworden, da ich in das Schwabenthor einfuhr. Mein Barthelmä ist auch gefahren wie ein Spitzbube, wie ein Hexenmeister, wie ein junger Gott. Zu Hause fand ich alles in der besten Ordnung, Kathrinchen und die Cymbel im schönsten Wohlseyn; die erstere, ein Kindskopf wie immer, die letztere maudrig, wie sich's für eine Braut nicht schickt. (Mathilde berührte verstohlen Cornelia's Ellbogen, und diese nickte ernsthaft.) Ich achtete nicht darauf, weil in der Seele vergnügt, und vermeinend, daß die ganze Struvegeschichte nur eine müßige Erfindung, nur eine leere Fabel sei. Da brachte mir aber der Nachbar Sattlermeister eine Schreckenspost, die mir noch jetzo den Angstschweiß auf die Stirne treibt, obschon ich meine lieben Töchter sammt Frau Schwägerin kerngesund umarme, obschon der Revolutionsteufel noch einmal zu Paaren getrieben worden ist ...! –

Während Hinterbein in der That seine Stirne abtrocknete, fuhr der Doktor fort: »So hatte ich denn laufend wie ein Schelm, durch Busch und Wald, über Berg und Thal meinen Pfad verfolgt, der nicht selten gar kein Pfad war, sondern kaum die Fährte seines flüchtigen Rehbocks. Auf den Felsen die Stiefel zerrissen ... im Sumpfe meine Beinkleider kalabrisch beschmutzt ... dieses Loch mir in den Aermel gesetzt ... an einem Fichtenspan mir den Backen geschunden ... einen Stolperer die Halde hinunter gemacht, wo mir der Hut unter dies Füße gerieth, und aus der Form kam ... so langte ich im Münsterthal, dort herum bei St. Trudpert an, frischte mich aus einer Quelle und stieg gleich wiederum bergan, da mir von einem [29] Kohlenbrenner der belaufenere Weg als gar zu weit und zudem sogar etwas gefährlich geschildert wurde. Es sei nicht sauber im Thale draußen, versicherte der brave Mann; in Heitersheim liege alles voll von Freischaaren, und Staufen werde seinen Theil auch bekommen. Das machte mich sehr nachdenklich, und da im Bergansteigen die Gedanken immer unlustiger sind, als wenn's bergab geht, so schwand mein Muth beträchtlich hin, und da ich endlich auf des Berges Höhe stand und nach dem mühseligen Dauerlauf von so vielen Stunden etwas leichter Athem schöpfen wollte, da fiel mir der Rest meines guten Muths völlig in die zerrissenen Stiefel. Ich hörte nämlich Kanonendonner und Kleingewehrfeuer, dringend und ernsthaft abwechselnd, und daß der Kriegslärm bei oder gar in Staufen selbst wüthete, war unzweifelhaft, und mehrere Strolche, die sich im Gebirgswald zu verstecken bemüht waren, versicherten mich, daß es richtig hier in loco blutige Köpfe absetze. Gott, welch ein Gefühl war das meinige! Obschon ich selbst den Kopf verloren, so bangte mir doch nur für ein einziges, für das theuerste Haupt!« (Wiederum ein Klapps, aber sodann ein süßer Laurablick und ein zärtlicher Händedruck.)

Hinterbein nahm nun hastig seinen Anlauf, einfallend: Nun, so könnt ihr Euch meine Angst vorstellen, da mir der Sattler berichtete, daß vermuthlich bei Staufen oder dort herum das Militär mit den Rebellen handgemein werden dürfte, und daß von Schonung und Pardon keine Rede mehr sei. Da litt mich's nicht mehr in der Stadt. Ich küßte noch einmal die Cymbel, deren Bräutigam sich unbegreiflicher Weise auch nicht mit einem Blickchen hatte sehen lassen, küßte dito mein [30] Kathrinchen, und ließ die Pferde rennen und den Barthelmä gen Krotzingen jagen, was das Zeug hielt. Mochten doch die Rosse zu Grund gehen, wenn ich nur zur rechten Zeit ankam, um Euch zu retten, meine lieben Kinder, oder wenigstens mit Euch zu sterben!

Die ungeheuchelte Wahrheit., die sich in diesen Worten kund gab, wurde auf der Stelle von den Töchtern durch eine wiederholte Umarmung gefeiert. Während dessen setzte sich der Doktor wieder in Positur, und fuhr schmachtend fort: »Ich kann dich versichern, angebetete Laura, daß meine Empfindungen just dieselben waren. Ich hätte eine Million dafür gegeben, um mit einem Sprung plötzlich mitten in Staufen, an deiner grünen Seite zu seyn! – Aber – kaum hatte ich angefangen, recht verwegen in den Tag hinein zu rennen, so wurde ich aufgehalten mit Gewalt, wurde mir zugerufen mit Uebermacht: Bis hieher und nicht weiter!«

Eben wie es mir passirte zu Krotzingen; schaltete der »Plantageur« ein: Denn es war dort Militär in Menge aufgestellt, das keine Maus durchließ, bevor nicht das Gefecht zu Ende gegangen. –

»Wer mich zuerst festhielt,« sagte der Doktor, »war ein Haufe von Gesindel, der über den Berg mir entgegen kam. Die Herren sahen aus, als ob ihnen nicht recht wohl im Leibe wäre, und sie rathschlagten wirklich schon, ob sie mich nicht kaput machen sollten, damit ich nicht verriethe, wohin sie den Weg der Flucht genommen. Ich merkte wohl, daß ihre Sache verloren gegangen war, und doppelt unangenehm wäre mir daher der Tod von Mörderhand gewesen. Aber das Haupt der Bande hatte billiges Erbarmen, und auch seine [31] Frau muß ich loben, die für mich ein gutes Wort einlegte. Das schöne Geschlecht ist immerdar milde und versöhnlich!« (Ein eifersüchtiger Drohblick der Gattin machte den Doktor wieder einlenken, und er beeilte sich, mit seiner Erzählung auf's Reine zu kommen.) »Sie schenkten mir also das Leben, ließen mich sogar weiter gehen, und nahmen mir nur das Versprechen ab, nicht eher von unserer Begegnung zu reden, als bis etwa eine Stunde verstrichen. Dennoch habe ich gleich nachher manchem nacheilenden Flüchtling anzeigen müssen, wohin Struve und die Seinen ihre Richtung genommen. Es hätte mir sonst schlimm ergehen können, denn die Kerle waren bewaffnet, und rabiat über allen Begriff. Ich dankte Gott, da ich endlich aus dem Walde trat, zu meinen Füßen die Stadt meiner Sehnsucht und unfern von mir eine Ziegelhütte mit einem behäbigen Wohnhaus sah, wo ich hoffen durfte, mir eine Erfrischung erbitten zu können, denn ich lechzte vor Durst und fiel schier um vor Hunger. Die Bewohner des Hauses hatten christliches Mitleid, und boten mir unverzüglich eine Labung. Aber nicht so bald hatte ich etwas auf die Lippe genommen, als schon die Soldaten den Bötzenberg herauf kamen, meinen Zufluchtsort besetzten und mich, vergeblich, weil ich verdächtigen Aussehens sei, als einen maroden Freischärler zum Kriegsgefangenen machten, und herein nach Staufen schleppten.«

– Die guten Leute sind zu entschuldigen, bemerkte Hinterbein lächelnd und behaglich, denn der Herr Schwager sehen allerdings, mit Respekt zu sagen, wie ein Strauchdieb aus; und wohl Manche, die in anständiger Kleidung einhergingen, haben heute den wilden [32] Tod des Freischärlers gefunden! – Aber, was ist denn mit Euch, liebe Cornelia, liebe Mathilde? Wir sitzen so glücklich beisammen, und doch sind Eure Augen so trübe, Eure Stirnen so ernst? –

Cornelia's Schmerz um ihren lieben Todten wurde so aufwallend, daß ein bitteres Geständniß ihr schon auf der Zunge saß; aber Mathilde beschwichtigte sie mit einem Wink, und beide Mädchen seufzten fast einstimmig: »Ach, welche Angst werden die Schwestern um uns und den lieben Vater haben!« – Worauf Papa Hinterbein ohne weitere Zögerung die Abreise befahl, den abgerissenen Doktor und dessen Gattin zu den Töchtern in die Kutsche packte, sich selber darinnen einschachtelte, wie es eben anging, und ein fröhliches »Glückauf« rief, als der Wagen davon rollte. Cornelia bezeichnete mit thränenden Augen ihrer Schwester noch einmal den Platz voll Blut, wo ihres Theuern Leiche ausgestreckt gewesen, und Mathilde umarmte sie mit den Worten: »Das Leid vereint ertragen, gibt Muth und Trost!« Und Hinterbein, Mathildens Ausruf ein wenig mißverstehend, fügte mitleidig hinzu: »Und das muß wahr seyn, Kinder: Ihr habt viel Leid und Schrecken wiederum ertragen müssen! Doch hoffe ich, daß in unserm lieben Freiburg, nach wiederhergestelltem Frieden, sich Vieles ausgleichen, und Cymbelinens Hochzeitfest Euch erheitern werde. Weine nicht, beste Mathilde: Hast viel verloren, doch ist der Lenz des Lebens dir nicht abgeblüht; und der Winter wird vielleicht die Blumen bringen, die der Herbst nicht bringen wollte!«

Der Doktor und Laura deuteten auf sich des Schwagers Rede, und nickten einander mit zärtlichem [33] Einverständniß zu. Aber Mathilde schüttelte verneinend das Haupt, und Cornelia sagte halblaut, mit starrem Blick und wehmüthiger Betonung: »Unser Winter, so fürchte ich, wird ein recht trauriger seyn«.

2.

Der vierundzwanzigste September war, wie zu Staufen, auch in Hirzenbach allerdings ein Sonntag; ein friedfertiger obendrein, dem Anschein nach. Es wurde dort nicht aus Kanonen und Haubitzen geschossen, es hagelte dort nicht Granaten und Kartätschenkugeln, die Sonne war nicht verfinstert von Pulverdampf und anderweitigen Nebeln. Aber dennoch war in dem schönsten Hause des Zinkens, in dem Leuenwirthshaus, der Friede nicht daheim. Es waren abermals – wie schon am dritten Juni desselben Jahrs – nur zwei Menschen in dem weitläufigen Gebäude zurückgeblieben; die übrigen Bewohner befanden sich in der Kirche zu Heurlingen. Wiederum war es dasselbe Paar, welches an jenem Sonntage den verhängnißvollen Bund geschlossen, der schon jetzo nicht mehr in seinem Frieden bestand; dasselbe Paar hütete das Haus. Kaspar irrte unstät von seiner Kammer in den Hof, in den Garten, in den Stall, und wieder in seine Kammer zurück, die Augen gegen den blauen Himmel emporgerichtet, ungeduldig mit der Nase schnuppernd in die frischbewegte Luft, just wie ein Wettersucher. Dann rieb er sich innerhalb seiner vier Wände die Stirne brennroth, athmete heftig aus, dann und wann brummend: »Ich kann's schier nicht aushalten! Jetzt sollt' ich fort, hinaus, in die [34] Welt hinaus, wo ein munterer Bursche hingehört!« – Dann schlich er sich an seinen Kasten, öffnete ihn wie verstohlen, und zog leise ein funkelnagelneues Schießgewehr hervor. Er äugelte freundlich mit der Waffe und schmunzelte dabei: »Ich hätte jetzt schon wiederum alles beisammen ... den Hut, den Franzosenkittel, den Schießprügel ... alles hab' ich mir erspart, alles das liegt parat!« – Dann schreckte er wieder plötzlich auf, gab sich selber ein paar Backenstreiche, schalt sich selber einen Tropf und Weibernarr und lief davon, um eben seinem Ungestüm zu verlaufen, jagte aber nur umher im Kreise, immer auf derselben Bahn.

Annele dagegen saß auf ihrem gewohnten Platze in der Zechstube. Sie hielt ein Gebetbuch in ihrer Hand, dasselbe schöne funkelnde Betbüchlein, das ihr die Mutter am dritten Juni geschenkt hatte; sie las aber nicht darinnen. Wie hätte sie auch sonst schwarze Gedanken hegen können, wie sie ihr jetzt im Kopfe auf und ab gingen? Nicht nur träumte sie schwer von drohendem Unheil, von Schmach und Schande, vom Tod der reuigen Sünderin; nicht nur beneidete sie die hingestorbene Schläferin Cölestine, die so früh und so heilig von der Welt sich frei gemacht. Annele dachte an Schlimmeres: an den gräßlichen Selbstmord. Zum Glück fehlten ihr die Mittel dazu. Sie hatte nicht Gift, und das Messer zu gebrauchen, oder gar den schimpflichen Strang, war sie nicht muthig genug. Wer weiß jedoch, was sie gethan haben würde, wenn der Rheinstrom unter ihrem Fenster vorüber gezogen wäre? »Ein kecker Sprung in's tiefe Wasser sollte mich bald von meinem Leid erlös't haben!« seufzte sie stille vor sich hin, und hatte alles [35] Gedächtnis verloren an die Eltern, die ihr vordem so theuer gewesen. Und wenn denn doch hie und da eine Mahnung an frühere bessere Zeiten und frömmeren Wandels an ihr Gewissen klopfen wollte, so schaute urplötzlich das Gesicht des Pfarrverwesers, von Hohn und schnöder Rachsucht verzerrt, in den Gedankenwust der Armen, und um so gieriger schmachtete sie nach dem Tode und stammelte zähneklappernd: »Nicht zu Schanden werden vor dem Waldo! Vor dieser Demüthigung, o Herr, bewahre mich!«

Da kam der Kaspar aus seinem Grillengang zu Annele herein, um die Unglückliche zu quälen, damit er selber weniger gequält seyn möchte. – Trotzig schritt er auf und ab, das Annele nur von der Seite betrachtend. Annele schenkte auch ihm nur einen finstern, unter den Wimpern rasch hervorblitzenden Blick. Kein Gruß der Liebe, und sie sahen sich doch an dem Tage zum ersten Mal. Kein Wort des Vertrauens, und sie hätten sich doch so viel zu sagen gehabt! – Die Spannung dauerte lange; Kaspar bequemte sich endlich, das feindliche Schweigen zu brechen, wenn auch nur mit der groben Frage: »Warum ist Sie heute nicht in der Kirche drüben?« – Worauf Annele trocken: »Bin krank und matt zum Sterben, mußte schon daheim bleiben; wundere mich jedoch, Ihn zu Hause zu sehen!«

Kaspar sagte spitzig: »Denk' wohl, Sie wird dem Lenhard eine Bestellung gegeben haben?« – Annele versetzte verächtlich: »Er ist ein Schelm und ein Heimtücker! Er weiß am besten, daß ich vom Lenhard kein Zeichen habe, und daß ich leider des Lenhard gar nicht mehr werth bin!« –

[36] »Was hätte denn der Singsang des Landolin und Ihre Ohnmacht zu bedeuten gehabt?« spottete Kaspar giftig; und ebenso widerwärtig antwortete Annele: »Wenn es wahr ist, daß der Landolin für den Lenhard und mir zu Gehör gesungen, so darf Ihn nicht wundern, Kaspar, daß mir schwach geworden ist. Ich hab' den Lenhard freilich gar nicht mehr lieb, aber die Furcht, daß er kommen könnte, mich zu sehen in meiner Schande, mich auszulachen in meiner großen Noth, hat mich umwerfen müssen, und ich wollte nur, ich wäre an den Gichtern gestorben.«

»Schwätze Sie nicht vom Sterben!« polterte Kaspar hinein, als ob er im strengsten Recht wäre: »Liegt's nicht in Ihrer Hand, Ihrer sogenannten Noth plötzlich ein End' zu machen? Thue Sie den Mund auf, schwätze Sie von der Leber heraus, was Ihr fehlt, und noch heut wird Alles in Ordnung kommen, und Sie hat einen Mann, hat Ehr' und Neider genug!«

»Es wäre Seine Schuldigkeit, zu reden!« sagte Annele beklommen und vorwurfsvoll. Der eigensinnige Knecht ging jedoch darauf nicht ein, schlug ein bitteres Gelächter auf und entgegnete: »Ei ja, daß ich ein Narr wäre. Der Leuenwirth sollte mir die Leviten schön verlesen, wenn ich armer Hund vor ihn hinstände, und das reiche Annele zum Weib begehrte! Nein, nein; auch ich habe Ehr' im Leibe. Sie hat mich verführt, und wenn ich schon meintwegen die Sach' gut machen will, so will ich selber doch darum nicht betteln, sondern will gebeten seyn.«

Annele versetzte langsam: »Vor Seinen Reden werd' ich ganz zu Stein. Wie kann ich Ihn nur lieb haben, wie nur glauben, daß Er mich lieb hat? Genug aber: [37] ich kann mit dem Geständniß nicht heraus. Das geht wider meine Natur, und eh' ich's thue, mag Er mich umbringen!«

Kaspar verschränkte die Arme und sah das Annele bedenklich an, als ob er mit sich zu Rath ginge, wie das Umbringen am leichtesten in's Werk gesetzt werden könnte. Nach einer langen Pause, in welcher dem Mädchen allerhand böse Vorgefühle zu Kopfe stiegen, hob der Metzger an: »Wenn Sie mir nur nicht so in's Herz gewachsen wäre! Dich todt machen, und mir gleich darauf eine Kugel in's Hirn jagen – das wäre bald gethan. Aber du hast mich einmal verhext; du hast mich verführt ... ich kann dir nichts anhaben. Weil du jedoch nichts thun willst, um unsere verderbte Sach' wieder in Ordnung zu bringen, so muß ich eben mir selber helfen. Ich bin in dem Haus da zuviel; ich will fort, heute noch fort!«

Annele fuhr erschüttert auf, und fand kaum die Sprache. Von Zorn und Angst zugleich beseelt, stieß sie mühsam die Worte aus: »Schon wieder die alte Drohung? Du bist ein schlechter Mensch, der mich martert, wo er mich auf den Händen tragen sollte! Fort willst du? Zu der Kunegund hinüber, zum Metzger-Thoma ohne Zweifel?«

Kaspar fletschte böswillig lachend die Zähne: »Ich denke nicht daran; selbige Zeit ist vorbei. Der Thoma steht an der Gant, wie die Leute sagen, und die Kunegund hat kein blutiges Kreuzerle im Vermögen. Nein; der Kaspar setzt sich nicht an den Betteltisch. Ich will hinaus in die Welt, als ein rechter Freischärler will ich hinaus. Der Struve ist im Land, die Republik ist im Land ... wer seine Arme brauchen kann und [38] eine Büchse führt, ist dem Struve willkommen. Die Sonne scheint warm, die Spatzen fliegen munter, der Freiheitswind blast aus der Schweiz und aus dem Wälschland herüber. Ich muß hinaus in die frische Luft der Freiheit! Meine Lieb' ist dahin ... ich will mir wo anders eine neue suchen. Die Weiber sind den Kriegsleuten hold ... ich will mein Glück probiren und mir draußen Eine suchen, die weniger falsch ist, als du!«

Wie ein gelernter Komödiant drehte sich Kaspar um, als wolle er stehenden Fußes seine Drohung verwirklichen. Außer sich stürzte ihm Annele nach, ihn zurückhaltend mit ihren Händen, und mit erstickter Stimme ihn anrufend: »Wenn du das thust ... Kaspar, liebster Kaspar, von dem ich nicht lassen kann ... so werfe ich mich in den Brunnen ... so bin ich todt ... und du würdest keine Ruhe haben auf dieser Welt. Bleib'! Bleib' um Gottes Willen! Ich will ja mit der Mutter reden ... ich will ja alles gesteh'n! Bleib nur, geh' nicht fort!«

Kaspar wollte noch den Widerspenstigen spielen, aber es drängte die Zeit, denn mit viel Geräusch und Plaudern kehrten just die Hausgenossen vom Kirchgang heim, und die Stimme der Frau Gertrud ließ sich bereits vor der Thüre vernehmen. Deßhalb sagte Kaspar, indem er sich von Annele los machte, kurz und befehlend: »Was du aber thun willst, das thue gleich. Heut oder nimmermehr!«

Somit zog er sich in eine Ecke der Stube zurück. Die Leuenwirthin trat herein, ging ihrer Stieftochter mit Freundlichkeit entgegen, und fragte besorgt: »Wie steht's mit dir, mein Kind? Du kommst mir so bleich [39] und abgemattet vor! Willst du denn immer nicht den Doktor rufen lassen? Jesus Maria, wie zittern deine Hände?«

Worauf mit verzweiflungsvoller Hast das zum Aeußersten gebrachte Annele: »Kommt, kommt, liebste Mutter, kommt geschwind in die Kammer herein. Ihr seid der beste Doktor für mein Gebresten, und nur von Eurer Liebe darf ich hoffen zu genesen!« – Umstrickte die verwunderte Gertrud heftig mit ihren Armen, zerrte sie hinein in die Kammer, schlug die Thüre zu. – Der gewaltsamen Aufregung von wenigen Minuten folgte eine lange lange Viertelstunde des peinlichsten Schweigens. Selbst Kaspar, der sich auf den Herrensessel neben der Wanduhr gepflanzt hatte, vernahm aus der Kammer nichts, als bisweilen ein dumpfes Schluchzen, oder einen matten Laut, der sich anhörte, wie ein Ausruf des höchsten Erstaunens. – –

Endlich endlich öffnete sich wieder die geheimnißvolle Thüre, und Frau Gertrud wankte daraus hervor wie ein Schatten, blässer noch, als vor Kurzem das bresthafte Annele selber. Bei ihrem Anblick wollte sogar den ungeschliffenen Metzgerburschen eine gewisse Beschämung beschleichen. Unsicher erhob er sich von seinem Stuhle und gegen seine Gewohnheit grüßte er demüthig die Frau vom Hause. Aber Gertrud, da sie des Kaspar gewahr wurde, schlug wie erschreckt die Hände über'm Kopf zusammen, wollte reden, versuchte das aber vergebens, winkte dann heftig dem Burschen, das Zimmer zu verlassen. – Von dem Schmerz der Mutter unterjocht, schlich Kaspar mit hängendem Kopfe hinaus. »Wenn ich nur fortgegangen wäre!« murmelte er in sich hinein: »'s ist doch eine verdammte Geschichte! [40] So wie sich Einer mit dem Weibsvolk einläßt, sitzt ihm auch das Unglück schon auf dem Halse. Mit der Wirthin wollt' ich übrigens schon fertig werden; wenn's nur schon mit dem Alten überstanden wäre!« – –

Gertrud hatte kaum Zeit gehabt, das todtmüde Annele in's Bett zu bringen, als auch schon der »Alte« nach Hause kam. – Bereits hatten einige Nachbarn aus dem Zinken im Leuenwirthshaus ihre Einkehr genommen, um den üblichen Sonntagstrunk vor dem Mittagsmahl zu schlucken. Der »Leuenwirth«, keineswegs freundlich wie sonst, hatte den Gästen die Labung vorgesetzt und sich alsogleich auf seine Schlafstube gemacht, wo er seiner Frau begegnete und nach dem Befinden seiner Tochter fragte. – Gertrud dachte noch das Schlimmste zu verheimlichen, und berichtete nur obenhin, daß sich Annele unpäßlich zur Ruhe gelegt. – Dabei entging ihr jedoch nicht, daß Gündermann von einer ungewöhnlichen Bewegung ergriffen war. Der sonst so heitere und geruhige Wirth war wie ausgewechselt: finster, wild angeregt, als wie zum Streit und Zanken bereit und aufgelegt. – »Was fehlt denn aber dir, mein lieber Mann?« fragte die Wirthin. – Und Gündermann, der nur auf eine solche Frage gewartet, um seinem Herzen Luft zu machen, polterte heraus: »Drum steck ich voll von Gift und Galle, und will mir schier der Kopf davon rennen ob der Unverschämtheit des Metzger-Thoma, den ich drüben zu Heurlingen hinter'm Schoppen gefunden habe, da er just sein böses Maul über unser Haus spazieren gehen ließ. Bei'm Eid, wär' der Kerl nicht schon ein alter Gesell mit weißen Haaren, wär' er nicht schon betrunken gewesen – der Simpel kann nichts mehr vertragen, und sauft jetzt aus [41] Desperation, weil ihm, das Messer am Hals steht, nämlich die Gant und die Verarmung – und wüßt' ich nicht, daß all' sein boshaftes Geschwätz nur von der frechen und nichtsnutzigen Kunegund herkommt, ich hätte ihm ein paar Watschen in's Gesicht geschlagen, daß er daran genug gehabt hätte! Aber verklagen werd' ich ihn bei'm Amt, nicht später als morgen, weil ich genau erfahren will, wer die schändliche Verläumdung ausgeheckt hat. Hat der schlechte Mann nicht den Bauern erzählt, daß er dem Himmel danke, weil aus dem Handel mit seinem Lenhard und mit unserm Annele nichts geworden sey? Der Lenhard tauge nichts, hat er gesagt, aber das Annele sei noch viel schlechter. Man wisse wohl – liebe Alte, ärgere dich nur nicht – daß unser Mädel seine Sach' mit unserm Metzger habe, und daß in Folge dessen es nicht mehr richtig mit dem Annele sei! Die Katzen auf den Dächern redeten schon davon, daß im ›Leuenwirthshaus‹ im Hirzenbach bald getauft werden würde! Die Mutter zum Kinde hätte man bereits, aber um so weniger den Vater ...!! Potz Mord! Es war Alles, daß ich dem Kerl nicht mit den Fäusten zu Leibe gegangen bin. Stell' dir vor, Gertrud, diese Schande! – Du stehst ja aber da, wie eine arme Sünderin? Du siehst ja aus, als ob dir das Herz bräche? Ach, gräme dich doch nicht. Unserm lieben verschwärzten Annele will ich sein Recht verschaffen, und wenn's mich all' mein Hab und Gut kostete.«

Nun ist leicht zu merken, daß auf solche Mittheilung hin Frau Gertrud nicht mehr wohl mit den Geständnissen des Annele hinter'm Berg halten konnte; und daß dieselben den »Leuenwirth« nicht zufriedener [42] stimmten. Der Natur des Menschen ist eigen, daß in schlimmen Fällen und Lagen des Lebens, wenn solche sich unversehens einstellen, die Gemüthsstimmung des Betroffenen aus ihrem gewohnten Kreise in einen ganz andern umspringt. So wird oft der Wildeste plötzlich zahm wie ein Schäfchen; der Sanftmüthigste dagegen wild wie ein reißend Thier. Der so edel und väterlich gesinnte Leuenwirth schlug in dieser Weise um. Der Ausbruch seines Zorns war der eines feuerspeienden Berges, und nachhaltiger als dieser. In seiner Ehre, in seinem Ansehen als Gemeindebürger, und in seiner heißesten Liebe tief verletzt, wollte er seine Tochter nicht mehr sehen, den Verführer aus dem Hause werfen. Gertrud mußte all' ihren Einfluß aufbieten, um den Wüthenden im Zaume zu halten. Doch konnte sie nicht verhindern, daß er in der nächsten Stunde mit dem Kaspar zusammen traf; zum Glück an einem abgelegenen Orte des Gehöftes, wo keine Zeugen der fatalen Unterredung beiwohnten. – Kaspar, der den Wirth auf sich zukommen sah, war schon auf alles gefaßt, und stellte sich mit untergestemmten Fäusten dem zürnenden Vater breit gegenüber. Gündermann hob schnaubend an: »Pfui und Schand' über Euch! Ihr war't mir großen Dank schuldig, und habt mir und meinem Maidele mit Schimpf und Unehre vergolten!« – Kaspar entgegnete schnell und frech wie der Blitz: Ha, mit dem Dank könnten wir abrechnen, und ich bekäme, denk wohl, noch einen hübschen Trumpel heraus! – »Ihr habt mein Annele verführt und vor der Welt zu Schanden gemacht! wie könnt Ihr Euch da weißbrennen?« – Ha, das Annele wird nicht weniger schuld seyn, als ich. So lang die Welt steht und [43] junge Leute auf der Welt sind, wird die Sach' vorkommen. Ich hab's auch nicht vertragen, hab's nicht ausgeklascht; einmal hat's doch an den Tag kommen müssen! – »Ich hätt' wohl Lust; dir die Knochen entzwei zu schlagen ...« Rührt mich nur an! – »… Dich aus dem Hause zu jagen ...« – Das könnt Ihr; damit hat das Annele noch immer keinen Mann. – »Ich will dich nicht mehr vor Augen sehen!« – Das kann seyn; ich geh' halt fort. – »Ich will auch das Annele nicht mehr sehen ... nimmermehr sie sehen, die mich so liederlich betrogen hat!« – Auch das kann seyn; ich nehm' halt das Annele mit. – »Das kannst du, so bald der Pfarrer Euch den Segen gegeben hat; auf meinen Segen dürft Ihr nicht rechnen!« – Ha, wenn Ihr nur Eure Einwilligung gebt, und eine brave Aussteuer dazu, so wird's nicht fehlen, auch ohne Segen. – »Ich werde freilich das Mensch nicht verhungern lassen, aber untersteht Euch nicht, mir irgendwo mehr unter die Augen zu kommen!« – Nur zu gern, Leuenwirth. Adje wohl, Schwiegervater! –

Gleich von dieser Unterhaltung weg lief der Leuenwirth in den Stall, rüstete mit eigenen Händen das Wägele, spannte das Bräunel vor, und fuhr stracks, ohne von einer Seele Abschied zu nehmen, zum Tempel in die Welt hinaus. –

Vergebens warteten Gertrud und Annele seiner Heimkehr am Abend; vergebens hofften sie darauf während einiger Wochen. Der »Leuenwirth« hauderte mit seinem schwarzen Verdruß im Breisgau, am Kaiserstuhl, ja selbst im Elsaß umher, ohne der schwarzen Sorge ledig werden zu können, und das arme Bräunel konnte [44] sich nicht erinnern, irgend in seinem Reiseleben so viele Hiebe genossen zu haben, als auf dieser Fahrt ohne Ruhe und Rast. Statt des »Leuenwirths« war freilich indessen ein Brief von seiner Hand an Gertrud eingelaufen, welchem zufolge die gute geplagte Stiefmutter alles gehörig einleitete. Sie machte den sauern Gang zum Pfarrverweser, um ihre Tochter und den Kaspar ausrufen zu lassen; sie hatte dem unverbesserlichen Freischärler zu predigen, der ungeachtet seines Hochzeiterstandes gern in den Krieg gezogen wäre, wenn derselbe nicht zu Staufen ein so trauriges Ende genommen hätte; sie allein hatte die Mühe und Last, das verzweifelte Annele zu trösten und zu pflegen, und ihr die Hoffnung zu verlebendigen, daß die Vaterliebe denn doch in der Zukunft sich ihr wieder zuwenden dürfte. Frau Gertrud auch, mit wenigen Freunden und Verwandten, war Zeuge bei der stillen Hochzeitsfeier, die nach ein paar Wochen das Annele mit dem Kaspar unauflöslich vereinte. Vater Gündermann fehlte bei dieser heiligen Handlung, und zur Beruhigung der weinenden Braut fehlte auch Herr Waldo, der zufällig und schnell von seinem Posten abgerufen und durch einen mildern Priester abgelöst worden war. – Unmittelbar nach der Hochzeit ließ Frau Gertrud, laut Befehls vom Leuenwirth, das junge Ehepaar sammt Aussteuer, Kisten und Kästen, Betten und Hausrath, nach Furtwangen abreisen, wo Kaspar Flamm seine Metzgergerechtsame antrat und sein Hauswesen einrichtete.

Erst dann, als die Herberge zum »Leuen« von der gleichsam verstoßenen Tochter und von dem verhaßten Schwiegersohn rein geworden, kam Gündermann von seiner Reise zurück. Des Lebens Heiterkeit war indes [45]sen von dem Hause gewichen. Der Wirth saß umher, wie ein Träumer, die Wirthin vergoß im Stillen manche Thräne; nicht einmal der Name des geschiedenen Annele durfte im »Leuen« mehr genannt werden. Und also verging dort der Winter in Schwermuth und Trübsinn, und konnte nichts Erfreuliches weder von Furtwangen noch aus dem Hirzenbach gemeldet werden.

3.

Papa Hinterbein, da er in den Staufener Krieg fuhr, hatte Wunder geglaubt, in welcher friedseligen Sicherheit und Ruhe er sein geliebtes Freiburg und seine Lieben darinnen hinterlassen. Das Militär war ja muthig, einen tapfern General an der Spitze, ausgezogen, die Aufständischen im offenen Felde zu bekämpfen; der Anmarsch von Hülfstruppen war schon angesagt. Die demokratischen Elemente in der Stadt ließen sich viel schüchterner an, als bei'm Heckerputsch; die conservativen Bürger waren natürlich viel getrösteter, als im April. Die Sachen standen demnach für Freiburg günstig. Aber in dem Hause des »Plantageurs« selber war nicht Friede, nicht Ruhe. Der Krieg, der schon lange im Stillen geführt worden war, brach gleich nach Hinterbeins Abreise in vollen Flammen aus; eine Schlacht wurde geschlagen, erbitterter als das Gefecht von Staufen – Sieg und Niederlage waren gleich groß; wer jedoch, Sieger oder Besiegter, schlimmer daran, war kaum zu ermitteln, kaum zu ermessen.

Es konnte hier nicht die Rede seyn von dem unschuldigen Kathrinchen, dessen Herz immer noch im [46] völligen Gleichgewichte lag, obschon geärgert von der Befürchtung, abermals die erwünschten Freischaaren, oder die französischen Rothhosen nicht in Freiburg begrüßen zu können; obschon ein bischen sehnsüchtig aufwallend dann und wann, bei der Erinnerung an den gewissen Schauspieler Raphael, der bei Kathrinchen seit dem Monat Mai um hundert Prozent im Preise gestiegen.

Mit Cymbeline hingegen war es ein ander Ding. Ihr freundliches Gemüth hatte schon seit mehreren Tagen sich umgestaltet zu einem tobenden Meer, auf dem das schwache Schifflein ihres eigenen geträumten Glücks hülflos umherschwankte, des Augenblicks gewärtig, da es scheitern und auf den Grund sinken würde. – Zwar hatte die plötzliche Ankunft des Vaters jenes stürmische Meer für den Moment beruhigt; Cymbeline hing ja mit so viel Liebe an dem Vater! Die Kunde von dem Kriegsunglück, welches die Stadt bedrohte, wo sich die Tante, Mathilde und Cornelie – alle drei von Cymbeline gleich geliebt – aufhielten, hatte das Ihrige dazu beigetragen, den Gedanken des armen Bräutchens eine andere Richtung zu geben. Sobald jedoch der Vater geschieden, sobald Cymbelinens Blick wiederum auf ihre nächste Umgebung, auf ihre persönlichen Verhältnisse fiel, so wogte es wieder auf's Neue in ihrer Seele ungestüm, und die Angst für die Schwestern, die Sorge für den Vater, die Furcht vor dem Wechsel der politischen Dinge schwanden dahin wie ziehende Wolkenschatten, vor dem schmerzlichen Bewußtseyn ihres eigenen Elends.

Nachdem Cymbeline eine Weile am Fenster gestanden und ausgeblickt hatte, sie wußte selbst nicht wonach, [47] lief sie eiligst an den Schreibtisch, setzte sich entschlossen daran und sagte, als werfe sie eine furchtbare schwere Last von sich: »Es muß ein Ende nehmen! Seit einigen Tagen hat Friederich unser Haus, meine Nähe gemieden. Genug des Zuwartens! Da sein böses Gewissen ihn ferne hält, und mir die Gelegenheit verweigert, ihm zu sagen, was ich von ihm denke, was ich von ihm halte, so will ich's jetzt schriftlich ausführen. Vielleicht schreibt meine Feder ein strengeres Wort, als etwa meine Zunge spräche ... um so besser dann. Ein Ende muß sein.«

Sie hatte das Papier zurecht gelegt, die strenge Feder ergriffen, als Katharinchen hereinhüpfte und lustig meldete, daß der Herr Sekretär so eben in's Haus gekommen und ergebenst frage, ob er das Glück haben könne, seiner hochverehrten Fräulein Braut aufzuwarten?

Hätte Cymbeline der ersten Regung Folge geleistet, sie würde sie gern unter irgend einem Vorwand sich Friedrich's Besuch verbeten haben. Entschlossen wie sie war, ein letztes unwiderrufliches Wort zu reden, fürchtete sie sich dennoch nicht wenig vor diesem Ausspruch selber, und mißtraute billig ihrer eigenen Schwäche, dem Mann gegenüber, den sie in ihrem Herzen getragen, der sie um ihre schönste Zuversicht betrogen. Nun aber sind die Frauen in den schwierigsten Stunden des Lebens gar oft viel männlicher gesinnt, als der Mann selber, und dieser tapfere Geist kam, da es jetzo noth that, auch über Cymbeline. »Es würde mir eine Ehre seyn;« gab sie der Schwester zum Bescheid: »du aber, liebes Trinchen, laß mich fein mit dem Herrn Sekretär allein verkehren. Die Unterredung wird nicht von [48] langer Dauer seyn, und ich bitte mir hierauf ein munteres Liedchen aus, wie du es gerne singst, mich zu erheitern.« – Woraus Katharinchen munter in die Hände klatschte, eine Pirouette machte, und mit den Worten: Ein Liedchen denn, wie es für eine Braut nicht schöner seyn kann! aus dem Zimmer tanzte.

Cymbeline, in den Lehnstuhl sinkend, seufzte zum Himmel auf: »Für eine Braut!? Daß Gott erbarm'! Aber Gott wolle mich stark und Alles wohl machen!«

Der angemeldete Herr trat ein, sorgfältig gekleidet, wie immer, seitdem er sich verlobt hatte; jeder Zoll ein »schöner Fritz«. Die Freude, die auf seinem Gesichte zu lesen, war eben keine erkünstelte. Es war ihm angenehm, seine Cymbeline wiederzusehen, nachdem ihm dieses Glück eine kurze Zeit lang nicht bescheert gewesen. Cymbelinens ernste Vorsätze wankten bedeutend, als der junge Mann sie mit aufrichtigem Vergnügen anredete. – Mein liebes, liebes Fräulein, sprach er mit dem süßen Tone, der die Seele des Weibes so leicht gewinnt: Ich schwelge, Sie wiedersehend, in Seligkeit, und dennoch habe ich Ihnen vieles abzubitten. Als ich in voriger Woche – Sie wissen noch, am Abend des Donnerstag – mich von Ihnen beurlaubt hatte, fand ich zu Hause eine Weisung meines Vorgesetzten, ohne Verzug nach Karlsruhe abzureisen, um dort eine wichtige Dienstsache zu erledigen. Weil nur noch eine Viertelstunde bis zum Abgang des letzten Bahnzugs zu verstreichen hatte, so fand ich keine Sekunde, Ihnen nur mit ein paar Worten meine Abreise zu melden, und gehorchte, Hals über Kopf, dem unangenehmen Befehl. Ich dachte ja, schon am nächsten Tage wieder zurückzukehren! Allein – wie denn so häufig ein bos [49]hafter Kobold die Pläne des Liebenden durchkreuzt – so wollte auch mein Mißgeschick, daß ich mich in der Hauptstadt gedulden mußte bis zum heutigen Morgen. Was ich ausgestanden, da ich so lange mich von Ihnen getrennt sah, da ich auf einmal – ein Wetterstreich aus blauer Luft – von dem wahnsinnigen Struvezug hörte, und für Freiburg, welches mir theuer, weil Sie es bewohnen, zitterte, indem es abermals das Ziel der Rebellen geworden zu seyn schien, das können Sie leicht ermessen, beste Freundin, beste Cymbeline! Kurzum: ich lag auf der Folter und mußte leiden bis heute, da mir erst die Freiheit wurde, mit dem geflügelten Dampfroß nach der Heimath meines Herzens umzukehren. So eben komme ich an; mein erster Gang hat Ihnen gegolten. Ich finde die Stadt unversehrt, ich finde Sie liebenswürdiger als je. Gottlob! Die Sicherheit Freiburgs wird verbürgt durch eine bedeutende Heeresmasse, in deren Gefolge ich selber auf dem Schienenwege ankam; Ihre Ruhe aber, Ihren Frieden zu beschützen gegen jeden Feind, soll jetzo meine, einzig nur meine Sache seyn Und, nicht wahr, Sie vergeben jetzt und verzeihen Ihrem armen Friederich, den die grausame Pflicht aus Ihrer Nähe entführte, und der, obgleich unschuldig, doch so hart bestraft worden ist, da ihm beinahe dreimal vierundzwanzig Stunden lang das Glück versagt gewesen, Sie zu verehren, und im Strahl Ihrer Augen sich zu sonnen?

Ein gutes Wort, sagten die Alten, findet eine gute Statt. Dem klugen Schönredner gehört die Welt, wenigstens die Welt der Gefühle. Diese Erfahrungsätze hätten sich beinahe in diesem Augenblick völlig bewährt, denn Cymbeline schaute den Sekretär bereits [50] viel freundlicher an, als sie bei'm Empfang gethan. Der Schluß jedoch der Ansprache des Bräutigams verdarb, weil er zu stark aufgetragen, den guten Eindruck. Cymbeline zog sich wieder in sich selbst zurück, und versetzte kühl: »Ich bitte recht sehr ... ich komme hier gar nicht in Betracht ... mein guter Vater indessen, der heute ankam, hat Sie recht sehr vermißt.«

Der Sekretär stand schnell auf, und erwiederte: So will ich denn gleich, wenn Sie es erlauben, dem Herrn Vater meine Aufwartung machen ...!

Woraus Cymbeline wie oben: »Bemühen Sie sich nicht, Herr Sekretär; der Vater ist bereits wieder verreist – hinüber nach Staufen, wo es gefährlich aussehen soll, und wo die Tante, und Cornelia und Mathilde ...« – Die Sprecherin hielt plötzlich inne, und ihre Stirne verfinsterte sich, während Friederichs Antlitz, wie mit Blut unterlaufen, sie anstarrte. Zugleich entschlüpfte dem Sekretär der halblaute Ausruf: Mathilde! – Cymbeline erhob sich unmuthig, ging an den Schreibtisch, und suchte emsig in einer kleinen Brieftasche umher, worinnen die wichtigsten Papiere zu finden, die das Bräutchen besaß. Und wie der Blitz war Friederich hinter ihr her, wollte sie mit seinem Arm umschlingen, was aber höflich verbeten wurde, und sagte, schmelzend: O, warum muß in so stürmische Zeiten fallen der selige Tag, der uns bald vereinen wird, meine herrliche Braut!

Mit der Brieftasche in der Hand zu dem Sofa sich zurückflüchtend, sagte Cymbeline kurz: »Hm, wer weiß? Der Tag kommt vielleicht nicht so bald; es kann bis dahin noch viel geschehen, viel unterlassen werden. Reden wir jetzo nicht von dem Hochzeitstage.«

[51] Der »schöne Fritz« ergriff hastig Cymbelinens widerstrebende Hand und fragte zärtlich: Darf ich denn nicht reden von meinem Glück und von dem Weihetag desselben: Sie sind heute so unbegreiflich kalt, beste Freundin? O, lassen Sie sich nicht verstimmen durch die Wirren des Tages. Nach dem Gewitter leuchten schöner die Sterne. Unsere Zukunft wird eine glückliche seyn! Hören Sie, was ich mir in diesem Betreff zusammengereimt, was ich bereits gestern in Karlsruhe angebahnt habe. –

Cymbeline machte eine ungeduldige Bewegung, entzog dem Redner die Hand und sah steif auf den Teppich zu ihren Füßen. – Der »schöne Fritz«, der wohl merkte, daß nicht alles richtig und klar, fuhr um so eindringlicher fort: Gestehen Sie selbst, theuerste Cymbeline, daß eine größere Stadt nicht geeignet ist, das trauliche Nestchen eines jungen Ehepaars vorzustellen. Junge Leute, die sich lieben und einander angehören dürfen, wollen mit ihrer Seligkeit allein seyn, hassen das geräuschvolle Treiben der zudringlichen Gesellschaft. Auch wir wollen nicht unter dieser Zudringlichkeit leiden, wollen uns selbst genug seyn ein paar Jahre lang in vergnüglicher Einsamkeit. Darum habe ich bei der höchsten Stelle um einen Beamtendienst auf dem Lande angehalten, und die Hoffnung, denselben alsobald nach unserer Trauung antreten zu können, ist mir geworden. Was sagen Sie dazu, liebste Cymbeline?

Die Braut antwortete mit geringschätzigem Blick und Ton: »Ich habe nichts darauf zu sagen, als daß ich einsehe, wie Sie den ersten Schritt gethan, um unsere Verbindung aufzulösen!«

[52] Wie? Was? stotterte der »schöne Fritz« und machte ein ellenlanges Gesicht. Cymbeline fuhr schnöde, und immer steigend in ihrer Entrüstung fort: »Ich will mich nicht von meinem Vater trennen; mein Vater trennt sich nicht von mir. Die einzige Bedingung, die er Ihnen gestellt, war, daß wir bei ihm im Hause blieben, und bei ihm wohnten, bis an sein Ende. Sie aber, mein Herr, Sie wollen es anders. Erfunden und erheuchelt ist, was Sie mir da vorgegaukelt von dem Nestchen der jungen Gattenliebe, von dem Bedürfniß innig verwandter Seelen, allein zu seyn, und sich selbst zu genügen in Einsamkeit. Glauben Sie ja nicht, daß ich das Weib bin, welches den Strudel der Weltgenüsse der ländlichen Häuslichkeit vorzieht! Aber ich durchschaue Ihre Absichten; ich weiß, daß Sie sich meiner schämen, daß Sie die unscheinbare, von der Natur verwahrloste Gattin gleichsam auf dem Lande begraben wollen; ich weiß auch, daß Sie gern dorthin eine Leidenschaft retten würden, die unter Ihren jetzigen Verhältnissen für Sie und für mich eine Schmach, eine Hölle ist!«

Dem »schönen Fritz« ging's wunderlich im Kopf herum. Mit gefalteten Händen und gebeugtem Knie flehte er die zürnende Jungfrau an: Engel mit dem Medusenhaupt! Ich erstarre vor dir zu fühllosem Gestein! Welch' ein Argwohn! Wie kann ich das fassen? Hab' ich je ein Wort gesagt, welches ...?

Nun riß Cymbeline aus der bewußten Brieftasche ein Papier, hielt es stracks dem Sekretär, der davor, wie vor einem Gespenste sich entsetzte, unter die Augen, und rief mit Erbitterung: »Wenn Sie es nicht ge [53] sagt haben, so haben Sie es doch geschrieben in diesem Briefchen, welches Sie, ohne allen Takt, und ohne Schicklichkeitsgefühl, meiner Schwester Mathilde zu überreichen sich unterstanden haben, just an dem Tage, da Mathilde den größten Schmerz ihres Lebens erfahren. Läugnen Sie nun Ihrer Handschrift in's Gesicht, daß Sie meiner Schwester auf's Neue Ihre Liebe angetragen ... daß Sie hinzugesetzt, was sich mir als die größte Verunglimpfung in's Gedächtniß brennen mußte: ›Glauben Sie mir, mein Fräulein, daß ich meinen Gefühlen nicht nur die leeren Worte leihen würde, wenn ich mich nicht unvorsichtig in ein Bündniß verstrickt hätte, das vielleicht weder wir, noch meiner, übrigens sehr verehrten, Genossin zum Glück und Frieden ausschlagen dürfte. Da jedoch der ächte Mann auch das übereilte Wort halten muß ...‹«

Weh' mir! schrie der Sekretär aus, und sank auf das Sofa nieder. – »Den Rest erlasse ich Ihnen;« endete Cymbeline ihre Strafrede: »Der Beleidigung für mich ist in dem Gelesenen schon zu viel; der Beschämung für Sie hinlänglich und genug. Sie haben gegen mich als ein Verräther, Mathilde, indem sie mir dieses Blatt mit gebührendem Unwillen auslieferte, hat als eine wackere Schwester gehandelt. Unsere Wege, Herr Sekretär, gehen – nicht erst von heute an – auseinander. Suchen Sie Ihre Eitelkeit und Unbeständigkeit zu bessern, und überlassen Sie mir die Sorge, meinem Vater bei seiner Heimkehr zu melden, daß wir geschieden sind.«

Der Streich war geführt; Cymbeline, die Siege [54]rin, zog sich stolz in ihr Schmollkämmerchen zurück. Der besiegte »schöne Fritz« schlich vernichtet nach Hause. Aber – wie schon oben gesagt – Cymbeline hatte vielleicht den Sieg theurer bezahlt, als Friedrich seine Niederlage! –

Welch ein Erstaunen den Papa Hinterbein überkam, da er mit seinen geretteten Töchtern wieder sein Haus begrüßte, und alsogleich erfahren mußte. wie seines lieben Cymbelchens Brautstand sich zerschlagen, ist nicht zu beschreiben. Die böse Nachricht drückte ihn völlig zu Boden. Er konnte nicht einmal so viel Lebenskräftigkeit aufbringen, um der Cymbeline den Text zu lesen; um so weniger, als Mathilde und Cornelia der mißhandelten Schwester rüstig zur Seite standen, und selbst die Frau Doktorin Tante in der schlimmen Sache ihr Urtheil dahin abgab, daß unter bewandten Umständen, und Angesichts des vorliegenden Dokuments ein Bruch ganz und gar unvermeidlich gewesen. Den verbündeten Frauen gegenüber mußte Hinterbein ohnehin schweigen, und tröstete sich einstweilen damit, daß er dem Doktor mit der saubern Geschichte einige Tage in den Ohren liegen durfte, wobei der Zuhörer mit aller Geduld vielleicht hundertmal die Betrachtung hinnehmen mußte: »Immerhin ist es ein eigenes Schicksal, daß so zu sagen zur nämlichen Zeit meine beiden verlobten Töchter ihre Hochzeiter eingebüßt haben!« (Wenn Papa mit den Herzensverhältnissen seiner Cornelia vertrauter gewesen wäre, so hätte er auch den dritten Eidam in die Liste aufnehmen können.) »Das soll Mir aber eine Lehre seyn; und sobald wieder in meiner Familie ein Verlieb- und Verlöbniß vorkäme, [55] muß geheirathet werden binnen vierundzwanzig Stunden, und wenn der Himmel darüber einfiele, muß das geschehen, oder ich sage: Nein, und ewig Nein! Es ist keine kleine Aufgabe, ein Vater von vier Töchtern zu seyn, bester Schwager, und ich rathe Ihnen, dieses wohl zu bedenken, und in Ihrer Ehe lieber auf ein paar handfeste Söhne zu reflektiren.« – Worauf der Doktor leichthin schmunzelte, und bescheiden meinte: Was der Herr macht, das ist wohlgethan! – –

Eine Thatsache ist übrigens, daß die Familie Hinterbein über den ganzen folgenden Winter wie verschwunden, und in der Gesellschaft nirgends zu sehen war. Aber auch der »schöne Fritz« lebte dahin wie ein Einsiedler, obwohl aus seiner Versetzung auf's Land nichts geworden war, und kaum wußte man mehr von ihm. Auch von Alfred war nichts zu hören, und von Raphael keine Spur. Das Grab des Freischärlers zu Staufen schwieg natürlich, wie Gräber überhaupt zu thun pflegen. – Cymbeline, Mathilde und Cornelia trauerten still, Katharinchen hatte furchtbar Langeweile. Der Doktor seufzte sehnsüchtiglich – er wußte als Pflanzenfreund, wie als Ehemann und Papa in Hoffnung, warum? – dem Frühjahr entgegen; Tante Laura hielt sich bei Hause und fertigte Kinderzeug an. – Also verging das Jahr, und das neue Jahr kam, und immer wollte die Zeit nicht heiterer werden, und die Befürchtung, die Cornelia schon bei der Abreise von Staufen ausgesprochen, ging buchstäblich in Erfüllung. Leid und Trauer überall in Hinterbeins Genossenschaft – was Niemand peinlicher empfand, [56] als der »Plantageur« selber, wenn er im Museum vereinsamt sein Piquet spielte, und immer dabei an den rüstigen Spielgefährten denken mußte, an seinen Exschwiegersohn, den Sekretär, den die grausame Fügung des Himmels ihm genommen und verboten.


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