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Sechstes Kapitel.
Ein neuer Mensch.


Der Salon des Papa Hinterbein war noch immer derselbe, wie er vor einem Jahre gewesen. Dieselben Bequemlichkeitsgeräthschaften, dieselben Tapeten und Schildereien, dieselben Bücher und Musikalien verzierten ihn. Aber wie still und traurig gegen sonst! Wie öde und unheimlich am ersten Tag nach der durchgreifenden badischen Revolution! Da war es lebendiger in der Charwoche des Achtundvierzigerjahrs zugegangen! Heute indessen – und schon dämmerte der Abend, die gesellige Feierstunde – war dieser früher so geräuschvolle Saal recht langweilig und unerquicklich anzuschauen, obschon der Herr des Hauses mit großen Schritten darinnen auf und ab ging, obschon vier junge Damen, einst so redselig und lustig, dem Papa Gesellschaft leisteten. – Aber Mathilde saß stille und schaute vor sich hin; ob in die Zukunft hinaus, oder in die Vergangenheit zurück? das war die Frage. Cornelia, unfern von ihr, studirte in einer Landkarte; Cymbeline, vorgeblich [116] mit einer andern Arbeit beschäftigt, machte Kalender. Kathrinchen, die schon oft und vergeblich ihre Schwestern angeredet, um ein Gespräch anzubahnen, trippelte hin und her auf der Fährte des »Plantageur«, der bis über den Kopf in ein Papier, so er in den Händen hatte, vertieft zu seyn schien. – Kathrinchen hatte offenbar etwas auf dem Herzen, was der Genehmigung des Vaters bedurfte; jedoch getraute sie vielleicht sich nicht, damit an die Oeffentlichkeit zu treten, und richtete, sich dafür zu entschädigen, allerlei kurze und halblaute Vorwürfe und Strafreden an die schweigsamen Dämchen. »Mathilde, wie langweilig bist du heute!« »Cornelia, du bist ja unausstehlich misselsüchtig;« »Cymbeline, mit dir ist es gar nicht auszuhalten!« Alsdann sagte sie für sich: »Weiß nicht, wie es kommt; die Schwestern hängen alle das Maul, und mir ist so wohl, als ob mir eine rechte Freude bevorstände!« Trillte wieder um den Papa herum, und redete wie im Selbstgespräch, aber doch dem Vater zu Gehör: »Das ist ein Haus wie ein Spital. Die Leute darinnen sind taub, blind und stumm. Wenn ich Musik machen dürfte, so wollte ich schon ein bischen Leben in dieses Elend bringen ... aber, aber ... wir haben wieder Revolution, und da kann Papa leider keine Musik hören ...?«

O Wunder! Hinterbein hatte vernommen, setzte sich in die Ecke des Sopha, schaute über sein Papier hinaus auf Kathrinchen und antwortete ihr leutselig: Na, es soll dir erlaubt seyn. Spiel uns etwas auf, aber nur ein patriotisches Lied! Die Marseillaise zum Beispiel, oder wenigstens »Schleswig-Holstein meerumschlungen« und so dergleichen, und zwar hübsch laut, [117] damit die Nachbarn es hören und wissen können, wo die Musik ist. –

Kathrinchen ließ es sich nicht zweimal sagen und wetterte das französische Kriegslied herunter, daß selbst Cornelia sich die Ohren zuhielt und Mathilde Anstalt machte, davon zu laufen. Cymbeline schien dagegen wirklich taub zu seyn, denn sie gab kein Zeichen, weder des Beifalls, noch des Widerwillens. – Aber während der Papa seinen Töchtern das Davonlaufen untersagte, wurde vor der Thüre eine andere Musik angestimmt, die plötzlich dem Vortrag Kathrinchens den Faden abschnitt und die Töchter des Hauses elektrisirte. Der Schwermuth und dem Marseillerlied zugleich den Abschied gebend, sprangen die Damen an die Thüre, öffneten sie weit und ließen den kleinen Sänger auf den Armen seiner Mutter Laura einen siegreichen Einzug halten. Des kleinen Sebastian Gesang war allerdings nicht rein gestimmt, aber wie hätten die vier Cousinen der Liebenswürdigkeit ihres Vetterchens widerstehen können? Wie in einem Ballettanze ging der Cousin von Arm zu Arm, von Lippe zu Lippe, und schwelgte in Liebkosungen, die der kleine Schelm noch gar nicht zu würdigen verstand. Im Nu war auch ein Kreis von Stühlen gebildet, auf welchen die Schwestern, die Mama Tante und die Amme des Kleinen Platz nahmen, und war früher das Gemach einer stummen Karthause zu vergleichen gewesen, so war es jetzo in eine Plauderstube verwandelt, dergestalt, daß der Doktor Faust hinter seinem Söhnlein eintreten konnte, ohne beachtet zu werden, als eben nur von dem »Plantageur«, der ihn an seine Seite winkte und mit ihm eine lange Unterredung pflog, von welcher, wegen allzugroßer Zungen [118]lebendigkeit der Frauen, auf die Nachwelt nur die letzten Worte gekommen sind, die der Doktor sprach: »Jedenfalls freue ich mich, in diesem Umschwung aller Dinge Herrn Schwager so gefaßt und wohlgemuth anzutreffen. Auch mich hat es nicht besonders angegriffen. Gott segne mir die deutschen Revolutionen; sie sind so gemüthlich! Kein Mord, kein Todtschlag, keine Plünderung!« – Hinterbein versetzte wichtig: Das Volk ist mündig, lieber Schwager. Das Volk ist hochherzig, und Mäßigung seine erste Tugend! – »Sie sind, wie ich bemerke, mit einer Lektüre beschäftigt gewesen, bester Herr Schwager?« fuhr der Doktor fort: »Wir stören doch nicht? Mein kleiner Erbprinz ...« – O, ich bitte; es gibt keine Erbprinzen mehr im Lande Baden! bemerkte Hinterbein ernsthaft. – »Mein kleiner Knabe, wollt' ich. sagen ...« verbesserte der Doktor lächelnd, »… soll nicht stören; er hat den Damen seine Aufwartung gemacht und wird sich mit seiner Amme recht gern nach Hause verfügen und zu Bett legen.« – Dableiben, dableiben! baten die Töchter des »Plantageurs« einstimmig; aber der junge Herr Vetter machte nachgerade ein verdrießlich Gesicht, welches sowohl von Laura, als auch von der Säugamme dahin ausgelegt wurde, daß Sebastianchen in der That schläfrig und zur Conversation nicht mehr aufgelegt. So gab denn Hinterbein die Entscheidung: Wachen und Schlafen hat seine Zeit; Ruhe muß seyn. Sagt daher dem Büble gute Nacht und laßt ihn ziehen. Sie dagegen, Tante Laura, lieber Schwager, wollen sich nicht vertreiben lassen; ich war gerade nur beschäftigt – hier erröthete Papa ein klein wenig, vor einer winzigen Unwahrheit – einen Rechnungsauszug durch [119]zugehen, und die Sache hat durchaus keine Eile. Plaudern wir daher, und sagen Sie mir, was es Neues gibt. –

Der Doktor wollte achselzuckend anheben, als seine Gattin, nach dem Eingang zeigend, ausrief: Da kommt der wahre Bote und Postenträger! Wenn sich der Nachbar sehen läßt, so hat er gewiß die Taschen voll von Neuigkeiten und Depeschen. – Wirklich erschien auch der bekannte Sattlermeister in der Gesellschaft, und seine krause Stirne versprach der Neugier einige Nahrung. Selbst die Damen sammelten sich um den langjährigen Freund der Familie und lauschten seiner Rede, da er, dem Papa die Hand reichend, anhob: »Sie verzeihen schon, daß ich bei Ihnen einspreche; allein ich habe Sie schon seit voriger Woche nicht gesehen, und es ist inzwischen allerlei vorgefallen ...« Allerdings; versetzte Hinterbein mit einer gewissen Steigerung des Vortrags, zugleich mit einer kuriosen Befangenheit, die sich wunderlich an ihm ausnahm: Unvorhergesehene und höchst wichtige Ereignisse sind eingetreten. Das Volk hat sich erhoben, wie ein Mann, und seine Erhebung ist herrlich. Freiheit und Reichsverfassung sind uns für alle Zeiten gesichert. Die Tragweite dieser Ereignisse ist unermeßlich. Hoffen wir, daß jeder Patriot dem großen Augenblick Rechnung trage und seine Pflicht thue!

Hinterbein schwieg hier majestätisch. (Auf dem Papier, das er in seinen Händen hin und her warf, stand keine Silbe weiter, und er hatte das Wenige brav auswendig gelernt und sich selbst damit befriedigt.) Die Verwunderung seiner Zuhörer war unermeßlich. wie die »Tragweite der Ereignisse«. Die Tante schaute [120] ihre Richten, die Nichten schauten die Tante, der Sattlermeister schaute die Damen mit dem größten Erstaunen an; Redensarten, wie die so eben vernommenen, waren von Hinterbein noch nie gehört worden. Nur der Doktor lächelte vor sich hin. Papa verzogen aber keine Miene, und erkundigten sich wieder nach Neuigkeiten. Während der Sattlermeister stockend, weil noch immer perplex, berichtete, daß alle von Karlsruhe gekommene Nachrichten sich als vollkommen wahr erwiesen, daß der Großherzog das Land verlassen und dagegen Brentano an der Spitze eines Landesausschusses seinen Einzug in Karlsruhe gehalten, brachte die Magd des Hauses eine Visitenkarte herein und übergab sie mit den Worten: Der Herr lassen fragen, ob er gelegen kommt, oder ob er vielleicht morgen wieder vorsprechen soll. –

Die Karte nehmen, einen Blick darauf werfen, und mit einem Freudenausruf in die Höhe schnellen, war für Hinterbein das Werk einer Sekunde. »Triller! Salomon Triller! Wie führt Den das Glück daher?« schrie Hinterbein auf, und eilte nach der Thüre: »Herein, nur herein, alter Freund, alter Schwede! Herein, sage ich, an mein Herz, in meine Arme!« – Auf diesen gastlichen Anschrei stürzte in der That ein dicker Hamburger, ächte Roastbeef-Masse, herein und an den Hals des alten Freundes, und nun wurde Norddeutsch und Süddeutsch durcheinander gewälscht, und etwas holländisch gestammelt, und etwas malaisch geradebrecht, daß die Anwesenden abermals in Erstaunen verfielen und schier selber in allen Zungen geredet hätten. – Der Hamburger würdigte in seinem Ungestüm die kleine aber liebreizende Frauengallerie keines Blicks, warf sich neben Hinterbein auf den Sopha, daß es krachte, drückte dem Freund [121] die Hände blau und überfluthete ihn mit seiner Rede Sturm und Strom. »Bist ein schlechter Worthalter, alter Junge!« hieß es da: »Hast mir da vor'm Jahr brieflich versprochen, mit allen deinen Töchtern und Nachkommen bei mir zu Hamburg einzusprechen ... aber es ist nichts daraus geworden. Hohe Fluth, Brüderlein mein, aber gleich darauf Ebbe, leidige Ebbe! Da mußte ich ja wohl selbst mich auf den Weg machen, und auf meiner Reise gen Frankreich meinen alten westindischen Schweden und Sklavenhändler besuchen! Nun, wie geht es dir? oder besser, wie geht es Ihnen? Die Zeit der jungen Kameradschaft ist ja dahin und in unserer Correspondenz das steife ›Sie‹ eingeführt! Wie geht es also? Wie steht's bei Ihnen und in dem verwünschten Ländchen da? Kaum schaue ich da herein, und falle mitten in eine Revolution? Was ist denn bei Euch los?«

Und Hinterbein nahm sich zusammen und erwiederte feierlich dem Salomon Triller, wie schon vorhin dem Sattlermeister: Unvorhergesehene und höchst wichtige Ereignisse sind eingetreten. Das Volk hat sich erhoben wie ein Mann und seine Erhebung ist herrlich. Freiheit und Reichsverfassung sind uns für alle Zeiten gesichert. Die Tragweite dieser Ereignisse ist unermeßlich. Hoffen wir, daß jeder Patriot dem großen Augenblick Rechnung trage und seine Pflicht thue.

Wiederum schauten sich die Damen verwundert an, und das Lachen, das um ihren Mund spielte, drohte Explosion zu machen. Bei dem Hamburger brach es wirklich aus. Er lachte, daß die Wände gellten, rieb sich äußerst vergnügt die Hände und schmetterte heraus: »Köstlich! köstlich, mein alter Junge. Eine herr [122]liche Ironie, das. Ich sehe mit Vergnügen, daß du auf der Höhe aller Dinge stehst und keine Menschenfurcht hast, was ich nach allerhand Vorgängen in unserer Jugend schier bezweifelt hätte.«

Hinterbein wurde fast etwas böse; um so gewichtiger fiel die Antwort aus: Ich wüßte nicht, wo da eine Ironie stecken sollte. Ich wundere mich, daß ein Republikaner aus der freien Stadt Hamburg nicht mit mir einstimmt. Ich möchte, was ich gesagt, aus allen Fenstern schreien, und Sie, mein lieber Triller, dürfen mir's keck und überall nachsagen. Im Herzen war ich stets ein Freibürger, habe mich nie vor einem Fürsten gebückt, habe stets meinem ärmern Mitbürger die Bruderhand gereicht, war stets dem Fortschritt hold ... – Der Hamburger unterbrach ihn: »Dem Fortschritt? Ja, wie man's nimmt: dem Fortschritt auf Segel- und Dampfschiffen, mit Extrapostpferden, auf Eisenbahnen ...«

Da war ein Kapitel angespielt, das dem Sattlermeister nicht erwünschter kommen konnte. Und er sprach den Hamburger an: Mit Ihrer Erlaubniß will ich Ihnen doch beweisen, daß an unsern Revolutionen die Eisenbahnen die größte Schuld tragen! – Triller mußte zuhören, er mochte wollen oder nicht; und indessen klopfte es wieder einmal, und Papa rief wieder »Herein!« und wirklich kam auch Einer herein, als wie vom Himmel gefallen: der Herr Hoftheater-Direktor Raphael. –

Seine Erscheinung machte auf die Damen keinen übeln Eindruck; auf Kathrinchen sogar einen recht guten. Raphael war sehr fein gekleidet, hatte nur mehr einen leisen Anstrich von seinem frühern närrischen [123] Wesen. Zuerst – im Gegensatz zu dem plumpen Hamburger, der die Damen ignorirte, und somit sehr indignirte – grüßte Raphael die Frauen sehr verbindlich, das rosenrothe Katharinchen mit einem besonders schmelzenden Blick, ging geradezu auf den Papa los, streckte ihm die Hand hin und sagte überaus artig: »Da meine Reise mich durch diese Stadt führt, so kann ich nicht umhin, Ihnen meine Aufwartung zu machen; einmal, weil ich Sie und Ihre liebenswerthe Familie unbegränzt verehre, und dann, weil ich Ihnen noch einen Scherz abzubitten habe, den sich einst in Beziehung auf meine persönlichen Verhältnisse mein Freund, der Sekretär Wahlinger, gegen Sie erlaubte. Ich war damals ein armer Schauspieler ohne Engagement, und Fritze hat mich Ihnen als einen Rentier vorgestellt. Verzeihen Sie den schlechten Witz.« – Hinterbein, als ein guter Mann, nahm die dargebotene Hand an und entgegnete freundlich: Sie sind mir recht willkommen. Der Sekretär hat leider in meinem Hause noch schlechtere Witze gemacht. Vergeben und vergessen wir das. –

Während Papa mit Raphael in Begrüßungen verkehrte – Triller war noch immer von dem Sattlermeister in Anspruch genommen und bekümmerte sich nicht im mindesten um den neuen Gast – sagte Cymbeline aufgeregt zu Mathilde: »Da muß Herr Raphael aber auch gleich den armen Sekretär auf's Tapet bringen! Wenn nun der Vater die Geschichte wieder in's Gespräch nimmt, so laufe ich davon!« – Mathilde suchte sie zu beruhigen, und zu fürchten war ohnehin in diesem Punkte nichts, da sich Raphael gleich an den Doktor gewendet hatte, der neben Hinterbein stand, und [124] noch nicht wußte, welch' ein Gesicht, ein gutes oder ein zorniges, er dem Schauspieler, der ihn einst zum Duell gefordert, zeigen sollte. Raphael redete ihn sehr höflich und versöhnlich an: »Auch Sie wollen mir vergeben, daß ich seiner Zeit mich gegen Sie brutal benommen habe. Ich bin unterdessen der Direktor eines Hoftheaters, zugleich aber ein Mann des völligsten Friedens geworden. Ich bitte Sie um Friede und Freundschaft, mit der Versicherung, daß ich nie im Ernst daran gedacht habe, Ihr schätzbares Leben zu bedrohen.« – Tante Laura winkte ihrem Gatten lachend zu, und Herr Doktor antworteten daher mit würdiger Milde: Auch ich, werthester Herr, habe nicht im Ernst an's Raufen gedacht, und somit Friede und Freundschaft!

Die Versöhnung war fertig und abgemacht, und alsbald wollte die Politik an die Reihe kommen, indem Raphael anhob: »Ich bin glücklich, Sie alle recht munter und gesund zu finden, was bei den eingetretenen bedenklichen Zeitumständen noch von größerem Werth als sonst.« – Hinterbein wurde gleich um ein paar Zoll höher, und begann mit Nachdruck: Allerdings, ja wohl, ohne Zweifel. Unvorhergesehene und höchst wichtige Ereignisse sind eingetreten. Das Volk hat sich erhoben wie ein Mann, und seine Erhebung ist herrlich ... – Raphael machte einen Balletsprung zur Seite und rief erschrocken: »Nun, da muß ich bitten, da muß ich danken. Bester Herr, Sie reden da wie der Rötheste unter den Rothen! Eine schöne Erhebung mit Knall und Fall, mit Blut und Tod! Ein Friedensmann, wie ich, darf nicht zugeben ...«

Just rief Triller, der mit dem Sattler in einen Wortwechsel gerathen war, den »Plantageur« ab, um [125] den Streit durch sein Gutachten beizulegen. Raphael hatte mithin Zeit, in den Kreis der Damen zu treten, und hob mit einem Kompliment an: »Ich weiß nicht, wie Dero Herr Vater und Schwager mir vorkommen? Jedenfalls was ich von der Revolution in verwichener Nacht gesehen, macht mich heute noch schaudern, sträubt mir heute noch die Haare zu Berge. Zürnen Sie mir nicht, Fräulein Cornelia; ich habe den Freischärlerhut und den Schleppsäbel begraben. (Cornelia nickte hier schwermüthig. ihrer begrabenen Liebe eingedenk.) Entschuldigen Sie, Fräulein Mathilde, daß ich an Schrecknisse erinnere, die vielleicht traurige Eindrücke der jüngsten Zeit in Ihrer Seele wieder auffrischen. Auf Ihre Nachsicht, Fräulein Cymbeline, baue ich ohnehin, und das holde Fräulein Katharine schaut noch so unbefangen in das Leben hinein, daß sie vielleicht nicht ungerne hören wird, wie es mir und meinen Freunden, dem wackern Alfred, der Ihnen noch heute aufzuwarten gedenkt, und dem armen Sekretär in Karlsruhe ergangen ist?«

Alfred kommt! flüsterte Mathilde ihrer Schwester Cornelia zu, die mit einem leisen »Muth gefaßt« antwortete. Der arme Sekretär! lispelte dagegen Cymbeline in das Ohr der herbeikommenden Tante: Was mag dem Sekretär widerfahren seyn? Soll ich es mit anhören, oder soll ich hinausgehen? »Bleiben, und nicht dergleichen thun!« befahl die Tante. Katharinchen hatte in die Hände geklatscht, einen kleinen Hüpfer gemacht und den Raphael mit den Worten angelacht: Ach ja, erzählen Sie doch, bester Herr Raphael! Sie erzählen ja immer so schön, und wenn ich Sie auf dem Theater agiren sähe, so würde ich Niemanden lieber [126] zuhören als Ihnen! Ich höre Sie gar zu gerne, erzählen Sie geschwinde.

So fing denn nun Raphael sehr geschmeichelt, und das zuthuliche Kathrinchen gleichsam zur Stärkung mit den Augen verschlingend, seine Erzählung an, die im Beginnen leidlich Wahrheit, die aber im Verlauf immer mehr Dichtung und sogar zur Schaudernovelle wurde. Denn Raphael wurde im Erzählen selbst wider seinen Willen stets ein geläufiger Stegreifdichter. Er berichtete, wie er mit seinen Freunden in der Residenz zusammengetroffen, und wie der Soldatenaufruhr mit gräßlichen Verwüstungen losgebrochen. Die Freunde, wohlverstanden, waren immer mitten im Gewühl des Aufstandes, bei der Plünderung im Hause des Obersten, im Dragonergefecht auf der Hauptstraße, wo der Poet unbarmherzig schlachtete und metzelte, und die Kämpfer dem Hundert nach fallen ließ; bei'm Sturm auf's Zeughaus, woselbst er beliebte, mehrere Batterien spielen zu lassen. »Es fing an mehreren Orten an zu brennen;« sagte er, ohne Furcht und Tadel fortdichtend: »die Glut umwallte uns, die Lohe versengte uns beinahe das Antlitz; wir glitten aus in den Blutströmen, die über die Gasse flossen. So tappten wir durch Pulverdampf und grimmige Heerhaufen auf's Gerathewohl dahin, und ein glücklicher Zufall, wenn nicht ein tückischer Dämon, führte uns an den Gasthof, in den wir nur mit vieler Mühe Einlaß gewannen. Kaum aber hatten wir einen Augenblick in der öden Gaststube gerastet und Athem geschöpft, so fährt, paff! eine Bombe durch's Fenster, sprengt uns auseinander, und der Sekretär ...«

Da unterbricht den Dichter ein lauter Angstschrei, und Cymbeline sinkt wie verloren in die Arme der [127] Tante, und diese Letztere ruft: O schweigen Sie, schweigen Sie! – Und die andern Fräuleins rücken dafür dem Poeten mehr auf den Leib mit dem Begehren: »O sagen Sie, sagen Sie doch! Der Sekretär ... was ist mit ihm geschehen?« – Und Raphael fährt fort: »Der Sekretär, wollt' ich sagen, der zunächst daneben stand, ist zum Glück unversehrt geblieben.« – Die Enttäuschung der Zuhörerinnen war groß, Cymbelinens Freude aber noch größer, und mittlerweile trat Papa mit seinen drei Herren hinzu, um nach der Ursache der Damenaufregung zu fragen, und mittlerweile trat noch ein anderer Herr in die Stube: Alfred!

Sein Kommen gab die Losung zu einer allgemeinen freudigen Bewegung. Die Damen wendeten sich ihm freundlich zu; die Tante, als briefstellerische Vermittlerin, Mathilde, von einem höhern Interesse beseelt, Cornelia und Katharinchen, weil vergnügt in Mathildens Vergnügen; Cymbeline, immer noch dankbar dem wackeren Freunde ihres ehemaligen Bräutigams, dem Friedensstifter aus früherer Zeit. Die Herren folgten dem Beispiel der Frauen. Der Doktor begrüßte in Alfred immer noch mit Erkenntlichkeit seinen ehemaligen einzigen Zuhörer von Heidelberg, der Sattlermeister den aristokratischen Gesinnungsgenossen, der Hamburger, dessen Augen ein bischen schlecht, einen vornehmen Engländer, den er seiner Zeit in London kennen gelernt; Hinterbein vollends empfing ihn wie einen alten Freund. Ihm beide Hände schüttelnd, sagte er auch gleich: Sie böser Mann, der so lange gar nichts von sich hören ließ! O, wenn Sie zur rechten Zeit hier gewesen wären, mancher Kummer, mancher [128] Verdruß würde meinem Haus erspart worden seyn! – Wohlbegreifend, worauf der Papa anspielte, erwiederte Alfred mit Bedauern: »Ach, wenn ich alles richten und schlichten könnte, es sollte wohl viel ungeschehen geblieben seyn, sowohl bei Ihnen, als in Freiburg, als im ganzen Lande. In welchen Zuständen, mein Gott, finde ich dieses Ländchen, diese Stadt wieder!« Nun war es wieder an Hinterbein, sich in die Brust zu werfen, und mit seinem angelernten Spruch vorzureiten: Allerdings; unvorhergesehene und höchst wichtige Ereignisse sind eingetreten. Das Volk ...– Für diesmal kam Papa nicht weiter. Alfred bat kurz und gut: »Würdigster Herr und Freund, nur jetzt kein Wort von dem Volk und von den Ereignissen! Unsere Meinung hievon geht ja Hand in Hand; wir verstehen uns, und reden ein andermal über diesen Punkt. Erlauben Sie, daß ich den Damen meine Huldigung darbringe, und mich zugleich bei ihnen entschuldige, daß mein Besuch ein so später geworden. Einige unaufschiebbare Geschäfte hatten mich gleich bei meiner Ankunft in das Joch genommen, und mich gehindert, meine Aufwartung zu machen.« – Alsobald war Alfred im Gespräch mit den Frauen vertieft, und der kälteste Zweifler hätte an die Verliebniß des stolzen und kalten Mannes glauben müssen, so artig, so warm und gefällig stellte er sich dar. Einer Jeden der Damen wußte er etwas Angenehmes zu sagen; für Mathilde und die Tante hatte er sogar Gefühl. Unverkennbar seine Liebe zu der Ersteren; seine Dankbarkeit für die Letztere, die Vertraute seiner Liebe. Papa merkte wohl, was die Uhr geschlagen, und hätte gern mit seinen Blicken das Pärchen und die Freundin desselben genauer [129] auf's Korn genommen; aber da war der Hamburger Triller an ihm, der ihm erzählte, wie Alfred so merkwürdig ähnlich sei dem gewissen Sir Sprizzletown, seinem vornehmen englischen Gönner – und der Sattlermeister tuschelte dem Papa in die Ohren, wie Alfred so schön gebräunt und gesund aussehe – und der Doktor flüsterte ihm zu, daß Alfred ein ganz anderer Schwiegersohn seyn würde, als gewisse Sekretäre, und so dergleichen. Papa hatte demnach überall hinzuhorchen, und zum Ueberfluß stellte sich an diesem visitenreichen Abend noch ein Besuch ein, der die Aufmerksamkeit der ganzen Gesellschaft, zwei einzige Seelen ausgenommen, auf sich zog. Und dennoch war's ein alter Bekannter, eine komische Person, die noch Allen im Gedächtniß; nur für den Hamburger eine nagelneue ergötzliche Erscheinung. Herr Hannsdennel, der Straßburger, wie er gewachsen, wie er leibte und lebte, stolperte in den Salon, fuhr auf Hinterbein los, umarmte ihn, küßte ihn auf beide Wangen, und rief mit gewohntem Ungestüm: » Bon jour, mon ami, bon soir la compagnie! Da bin ich wiederum, me voilà, da ist wieder der alte Hannsdennel arrivirt. Diesmal hab' ich mich zur rechten Zeit auf den chemin de fer gesetzt ... die Volksversammlung hat meine curiosité piquirt ... Frau, hab' ich zur Meinigen gesagt, komm mit mir nach Offenburg zu verreisen pour entendre proclamer la république in Ditschland! Aber ma femme ist nicht gekommen avec, und so bin ich tout seul dort gewesen, und die république ist jetzt da. Ich wünsch' Glück, mon ami; Ihr habt jetzo das gouvernement provisoire, wie wir's gehabt haben, und [130] dann wird kommen tout le tremblement, wie bei uns, tout comme chez nous

Rings um den Sprecher stand die Gallerie von Damen und Herren, und lächelte schon begierig der Antwort entgegen, die der überraschte und gestörte Hinterbein geben würde. In der That sammelte sich Papa mit einigem Husten, klaubte sein Gedächtnis zusammen, und antwortete auf gut republikanisch: Unvorhergesehene und höchst wichtige Ereignisse sind eingetreten ... – Worauf Hannsdennel geschwinde anhob: C'est cela; des événemens de la plus haute importance!« – Das Volk hat sich erhoben, wie ein Mann ... – » Comme un seul homme; bien, c'est cela.« – ... und seine Erhebung ist herrlich ...! – »… est magnifique. Très bien.« – Freiheit und Reichsverfassung sind uns für alle Zeiten gesichert ... – » La constitution à jamais!« –Die Tragweite dieser Ereignisse ist unermeßlich ... – » Oui, oui, portée immense!« ... Hoffen wir ... – » Oui, espérons ...« –… daß jeder Patriot dem großen Augenblick Rechnung trage ... – » Justement: qu'il tiendra compte« ... –… und seine Pflicht thue! – » Sans doute, c'est cela, pardieu! Tour le monde fera son devoir ...!« –

Hinterbein, da er mit seiner Aufgabe fertig, und sich von Hannsdennel so vortrefflich übersetzt sah – was kein Wunder, da wir Deutsche seit mehreren Jahren im politischen Floskelfach nur französisch reden – konnte sich nicht enthalten, verschmitzt zu lächeln, und diesem Lächeln folgte das laute Gelächter aller Zuhörer. (Unter den Zuhörern waren Mathilde und Alfred nicht begriffen, die, in einem interessanten Zweisprach ver [131]tieft, gar nicht wußten, was um sie her vorging). Um desto ausgelassener lachten und schäkerten Raphael und Katharinchen, und führten sogar einige Tanzschritte auf. – Dem guten Hannsdennel war indessen gar nicht spaßhaft zu Muthe; mit Entrüstung rief er die Lacher und Tänzer an: » Comment donc, qu'est-ce-à rire? Sie werden plaisantiren, bis die Württemberger, die noch ein paar Stunden von da im cantonnement sind, Ihnen den grand-diable im Gläsle zeigen werden. On m'a dit, man hat mir gesagt, daß sie die Stadt bombardiren wollen ... und da gibt's eine bataille, und in der Zeit müssen alle Aristokraten an die lanterne! Garde à vous, ich rath's Ihnen Allen, garde à vous

Diese Anrede verstimmte allerdings plötzlich die lustige Zuhörerschaft, nur nicht das plaudernde Pärchen, für welches die ganze Gesellschaft nicht vorhanden war. Der Scherz hörte auf. Bange Befürchtungen vor den schwäbischen Reichstruppen, die zwar schon vor einigen Tagen die Stadt verlassen, aber sich in den Ortschaften zwischen Freiburg und der Höllensteige eingelagert hatten, nahmen die Stelle der Schwänke und lustigen Witze ein. Das Gespräch wollte nicht mehr recht fort ... endlich sah Papa ein halb Dutzendmal hinter einander auf die Uhr ... die Gäste verstanden den Wink ... einer nach dem andern empfahl sich, bis aus weiteres. Alfred, von Raphael aufgemahnt, folgte den Uebrigen, wie ein Träumender. Bei'm Abschied sagte ihm der Hausherr vertraulich: Schenken Sie mir morgen am Vormittag und in meinem Kabinet die Ehre Ihres Besuchs! –

Auf der Gasse vertraute Alfred seinem Freund diese [132] Einladung, hinzufügend: »Vielleicht bringt mich Papa gleich auf das rechte Kapitel, und ich werde ihm Rede stehen wie ein Mann.« Und Raphael erwiederte ihm schwärmerisch, in Seligkeit ganz aufgelöst: »Ha, wenn ich dein Geld hätte, ich wollte den Alten noch heute auf's rechte Kapitel bringen! Katharinchen ist mein, für Cornelia hab' ich nur Mitleid, seit das Schicksal, das mathematische, den Moritz dahinriß und das falsche Mädchen unglücklich machte. Dem Katharinchen hab' ich alles verziehen, seit bei ihr die Liebe zu mir durchschlug. ›Verliebt bis über die Ohren!‹ Das ist meine Devise!«


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