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Viertes Kapitel.
Kaspars Freud', Annele's Leid.


Eine sehr vormärzliche Errungenschaft des Erzählers ist das Recht, nach Bedürfniß und Belieben Sprünge zu machen von Osten nach Westen, vom Süd zum Nord, nöthigenfalls das Weltmeer zu überschreiten und seine gesammte Zuhörerschaft ohne Zeitverlust mitzunehmen. Wir wollen uns dieses Rechts denn auch gebrauchen, und zwar bescheidentlich, indem wir unsere Leser von den meuterischen Auftritten in dem Garnisonsort an der Gränze nur kleine anderthalb Dutzend Wegstunden in das Gebirg entführen: auf den Schwarzwald nämlich, in den Bereich des Reviers, wo das Gewerbe der Uhrenfabrikation und des Handels mit diesem Artikel am schwunghaftesten betrieben wird.

Es ist ein Freitag, der elfte Mai des Frühjahrs, das so viele Köpfe und Fäuste und Beine in Bewegung gesetzt hat; das Wetter ist hübsch, die Sonne scheint so überschwenglich, daß ihre Strahlen sich selbst in die dunkle Gasse Furtwangens verlieren, worinnen das Haus des Metzgers Kaspar Flamm sich befindet. [77] Ein schmales Haus, ein düstres Haus; doch wäre Raum und Licht genugsam darinnen vorhanden für die Liebe, die an sich selber genug hat und der Welt nicht viel bedarf – für das eheliche Glück, das nur in Stille und Verschwiegenheit gedeiht. – Im Erdgeschoß ein Metzgerladen, worinnen ein dämeliger Lehrbursche gähnt und schläfelt, weil der Meister nicht um die Wege, weil die wenigen Kunden bereits versorgt; im obern Stock eine geräumige Wohnstube und eine Familienschlafkammer, worinnen in einer Wiege ein krankes, unruhig schlummerndes Kind. Neben diesem Krankenbettchen, beschäftigt, es zu schaukeln und den Fliegen zu wehren, die ihr leidendes Söhnlein belästigen, eine noch leidendere Mutter. Annele aus dem Hirzenbach, Annele aus dem »Leuen«, was ist aus dir geworden? Vor einem Jahr noch eine stolze gen Himmel wachsende Rose ... und nun eine bleiche Lilie, die das stolze Haupt gebeugt unter bösen Wettern und Stürmen. Gündermanns Tochter, was hat sich mit dir begeben? Die Seufzer, welche deinem Busen mühsam entquellen, die schwere Thräne, die an deinen Wimpern hängt ... gelten sie nur dem kleinen Wesen, das neben dir dahinsiecht, statt auf deinem Schooß munter und gesund zu spielen und zu gaukeln – oder ist es ein drückenderes Weh, so deine Seufzer weckt, deine Thränen fließen macht? Gedenkst du des väterlichen Hauses, der schönen freien Tage, die nun abgethan, die unwiederbringlich dahin? Oder des Gatten, der dich allein läßt in der bittern Trauer?

Kaspar trauert wahrlich nicht. In seinen Adern prickelt eben jetzt, um diese schlimme Stunde, am bösen Freitag, das Blut stürmisch auf und nieder, und in [78] seinem Gehirn tanzen unzählige Gedanken, Wünsche und Begierden auf und ab, wie eben so viele Teufelchen der Versuchung. – Hinter dem Hause des Metzgers ist ein kleiner Garten, worinnen sich der Metzger selbst herumtreibt, den er an dem genannten Freitag schon tausendmal durchschritten, mit einer zappelnden Ungeduld, wie diejenige gewesen, die ihn gepeinigt an dem Tage, da er vom Hirzenbach hinausgewollt zum Struveputsch, und statt dessen sein geliebtes Annele zur Frau bekommen. – An den Garten gränzt des Nachbars Wohnung; dessen Fenster schauen in den Garten herein. Und der Nachbar selber, sonst ein hagerer Gesell, war seit unlängst des Metzgers dicker Freund geworden, weil Beider Neigungen, Sehnsuchten und Lebensweise ungefähr dieselben. Nachbar Gäbele hätte auch eher zum ewigen Wanderjuden gepaßt, als zum Stillsitzen auf seinem Schneidertisch. Auf diesem letztern fand er in der That seine Hölle, ohne Wortspiel sei's gesagt. Seine langen Wanderjahre durch Frankreich, Belgien und Deutschland hatten ihm fürtrefflich behagt; da er die Geige leidlich spielte, hatte er als Musikant seine Pilgerschaften fortgesetzt, war in die schweizerischen Freischärlereien gerathen, just wie Kaspar auch, hatte dann im Vaterland eine Frau bekommen, wie fast auch Kaspar, wenn schon nicht so reich, und war zu seinem Leidwesen genöthigt worden, die Profession zu treiben. Und da kam das Frühjahr! Und da kam die Aussicht auf neue Bewegungen, auf neue Erhebungen, auf neue Volkswanderungen in Waffen, um die Freiheit zu erringen und die Gewaltherrschaft zu bezwingen! Da mochte es ein Anderer aushalten bei der Nadel und Zwirn! Und so wie Gäbele dachte, [79] so dachte auch Kaspar in seiner dumpfigen Metzgerbank.

Selbigen Gäbele erwartete nun Kaspar, gleichsam auf glühenden Kohlen. Der Schneider sollte ihm hehlings einen Bericht mittheilen, der ihren beiderseitigen Plänen den Ausschlag gab. – Und wirklich erschien der Nachbar, während seine Frau die Küche besorgte und das arme Annele bei ihrem Kinde trauerte, an dem Gatter von Kaspars Garten und flüsterte ihm zu: »Der Steffel und der Stoffel, der Hans und der Martin, der Michel und der Niklas, sie ziehen richtig alle mit. Auch ist Einer von Offenburg da, der auf Leib und Seel betheuert, diesmal werde es den Fürsten nichts mehr helfen und das Volk überall gewonnen Spiel haben. Vom Krämer hab' ich eine Flinte, Kapseln und Pulver bekommen, und wenn's dir noch Ernst ist, Nachbar Flamm, so brechen wir unverzüglich auf. Der Weg ist weit und übermorgen schon der Tag der Verheißung.«

Der Metzger war außer sich vor Freude, holte aus einem Versteckwinkel unverzüglich sein Gewehr, das blaue Hemd und den Schlapphut des Freischärlers, und seinerseits putzte sich auch Gäbele entsprechend heraus, und Beide hielten noch ein Weilchen Kriegsrath, wie sie es anzustellen hätten, um von ihren Weibern kurz und gut abzukommen, und wie andere Junggesellen ihre Kriegs- und Wanderfahrt frisch und fröhlich anzutreten. –

Indessen war bei Annele ein Engel eingekehrt. Ihre Stiefmutter, die gute Frau Gertrud, hatte den weiten Weg nicht gescheut und die Tochter heimgesucht; schon zum dritten Male seit deren Verehelichung. Mit [80] welchem Vergnügen wurde die brave Frau empfangen! Annele hätte schier auch die Krankheit ihres kleinen Xaver vergessen, so glücklich, so selig machte sie der Besuch, der in ihrem Kerker, in ihrem Unglückszwinger angekommen. Selbst das kranke Kind, aus seinem Schlummer geweckt durch den Freudenruf des Wiedersehens, schaute mit klaren Augen und vergnügtem Lächeln zu der guten Frau empor, die es schon einigemal zärtlich auf ihren Armen getragen, und es gesegnet und Gottes Beistand auf sein Haupt herabgebetet.

»Seht doch, liebe Mutter,« sprach Annele, das Kind zu Gertrud emporhebend, »ob nicht der Kleine just aussieht, als wolle er genesen? Leider schüttelt der Doktor noch immer den Kopf, wenn er das Büble besucht; und ich selber habe leider für keine Hoffnung mehr einen Platz in meinem Herzen. Warum sollte ich auch nicht an jeglicher Zukunft verzweifeln, da ich doch an meines Vaters Liebe verzweifeln muß?«

Worauf die Mutter, ihre feuchten Augen an der Stirne des Kindes verbergend: Sey nicht kleinmüthig darum, liebs Annele. Mit Gottes Hülfe kann noch Alles gut werden. Für jetzo freilich steht die Sach' auf dem alten Punkt. Ich hätte selber nicht geglaubt, daß in dem wackern Herzen deines Vaters der Groll gegen sein einziges Kind so lange aufrecht bleiben würde. Da ist nichts mehr zu reden und zu rathen; nur unser Herrgott kann da helfen. Der arme Mann geht schier dabei zu Grund; seine besten Freunde kennen ihn nicht mehr, so sehr hat er sich in seinem Aeußern und in seinem ganzen Betragen geändert. Wenn du ihn jetzt sähest, liebs Annele! Er ist ganz grau geworden, schwätzt über den Tag keine zwanzig Worte und in der Nacht [81] kann er nicht schlafen. Ich hab' ihn oft gehört, da sein Zustand auch mir den Schlaf nimmt, wie er in der Nacht geseufzt und gestöhnt hat, wie er dann und wann aufstand aus seinem Bette und dann stundenlang in der Stube draußen auf- und abging, wie ein unruhiger Geist. Im Anfang hab' ich darum an ihm gebettelt, er solle sich doch selber schonen, solle zu dir die alte Liebe walten lassen, um selber wieder fröhlich und gesund zu werden. Eya wohl, da bin ich schön angekommen! Es ging mir, wie allen andern Leuten, die sich unterstanden hatten, nur deinen Namen vor dem Alten auszusprechen. Er that so wüst, so ungattig, daß mir die Lust vergangen ist, einen weitern Versuch zu machen. –

»O das ist hart, das ist mein Tod!« klagte Annele trostlos in sich hinein. Die Mutter fuhr fort: Gott wird es machen, nach seiner Weisheit. Dein Vater thut sich selber einen gräßlichen Zwang an, den er unmöglich aushalten kann. So oft von dir ein Brief kommt, verwechselt er die Farbe, wirft mir den Zettel hin und läuft zur Thür hinaus. Wenn er etwas von deinem Mann hört, so macht er ein Gesicht, als wolle er die ganze Welt verschlingen. Das nehm' ich ihm weniger übel, weil der Kaspar ihn so oft und grob um Geld anspricht, und würdigt ihn nicht eines guten Worts.

»Ach, freilich sind das böse Dinge!« klagte Annele mit schmerzlich gefalteten Händen: »Ach, daß mich der Himmel so ganz verlassen hat! Wie verblendet war ich doch! Schon tausendmal hab' ich bereut, daß ich nicht in Gottesnamen dem Pfarrverweser folgte und ledig blieb! Wahrlich: ›die Schläferin‹ hat mir's vorausgesagt, daß ich [82] in der Ehe nur Unglück zu erwarten hätte! Herr Waldo hat mir noch am dritten Juni – o Tag der Schande! – prophezeit, daß ich dem bösen Geist unterliegen würde. Seine schweren Worte klingen mir noch heute in den Ohren ... kaum war der Sendbote des Herrn hinausgegangen, so hatte mich schon die Sünde in ihrer Gewalt ...! Wie glücklich ist die todte Cölestine, wie glücklich gegen meiner!«

Davon könnte man noch viel reden; meinte die Mutter kopfschüttelnd: Die »Schläferin« mag's freilich jetzt besser haben, als auf Erden; aber was den Herrn Waldo angeht, so will man behaupten, daß er vielmehr auf das Geld und Gut seiner Klosterfrauen spekulirt habe, als aus deren Seligkeit. Er soll jetzt, heißt es, auf St. Peter in der Kuh sitzen, »Kuh« triviale Benennung des Disciplinargefängnisses. wohin ihn der Erzbischof gesprochen hat. Alle Uebelthat findet ihren Lohn. Auch bei dir, lieb's Annele, ist er kein Sendbote des Herrn gewesen. Die Ehe stammt vom Herrn, und das Ledigbleiben ist eines jeden Menschen eigener Wille. Deinen Fehltritt hast du durch den Ehestand wieder gut gemacht, Annele; mußt dich eben schicken in das, was dir der Ehestand bringt. – Wie hat sich denn, seit ich dich nicht mehr gesehen, dein Mann aufgeführt?

»Hm, ich kann eben nicht über ihn klagen;« entgegnete Annele, die bei dieser Gelegenheit, wie im gleichen Fall manche Frauen thun, ein bischen von der Wahrheit abwich: »Der Kaspar ist ein rechter Mann, kann mich wohl leiden, hat das Büble gern, treibt sein [83] Geschäft ordentlich, ist kein arger Trinker und kein Schuldenmacher. Es gibt schlimmere Männer, als Er ist!« – Hier machte Annele einen kleinen Stillstand, nach welchem sie etwas lebhafter und der Wahrheit getreuer fortsetzte: »Leider hat er zweierlei an sich, was eben eine Frau nicht glücklich macht. Er ist eitel und hochmüthig auf seine Person, wie Ihr's gar nicht glauben könnt, liebe Mutter. Nach seiner Meinung ist er der schönste und gescheidteste Mann. Und dann ist er das Herumlaufen, Wandern und Landstreichen aus seinen früheren Jahren so gewohnt, daß es ihn ordentlich juckt und brennt, sobald die Sonn' am Himmel und das Frühjahr da ist. Hab' schon seit ein paar Tagen gemerkt, daß ihm wieder unruhig in der Haut ist. Sie schwatzen wieder von einer Volksversammlung im Unterland; wer weiß, ob nicht der Kaspar wieder dabei seyn muß? Ich kann ihn nicht halten, ich hab' keine Gewalt über ihn.« Annele ließ den Kopf betrübt sinken.

Aber die Mutter sprach mit dem Selbstgefühl einer rechten Hausfrau: Ei was denn! Nur nicht verzweifeln! Eine Frau, die mit gutem Rath und Beispiel nicht nachläßt, hat schon manchen Mann vom Irrweg wieder heimgebracht. Ich geb' ja auch bei meinem Alten die Hoffnung noch nicht auf. Dein Kaspar wird noch brav werden.

Worauf Annele, wiewohl mit wenig Glauben: »Der Himmel geb's! Aber sagt selbst, Mutter, wie kann in meine Wirthschaft der Segen kommen, wenn mir der Vater nicht verzeiht?«

Die Mutter tröstete verlegen: Es wird doch einmal geschehen; dem Alten selber würde ja das Herz brechen, wenn es nicht geschähe. Meinst du – wenn [84] ich ihm so obenhin sage: Alter, ich geh' ein bissel nach Furtwangen hinüber ... und nenne dabei weder dich noch deinen Mann – meinst du, daß er alsdann nur ein böses Wörtlein schnaufe? Er schnauft gar keines, sondern nickt stumm mit dem Kopf, und in selbigem Nicken steckt immer so etwas, als wollt' er sagen: Grüß mir auch schön das Annele! – Und wenn sich's einmal schickte, an einem heiligen Tag, zu einer frommen Stunde, daß du selber ihm unter die Augen trätest, unverhofft, mit dem lieben Xaver da auf dem Arm, den unser Herrgott bald gesund machen möge ... meinst du denn, daß der Alte werde widerstehen können i

Hierauf antwortete Annele, die das Kind auf ihrem Schooße wehmüthig betrachtete: »Liebste Mutter, hab' ich denn das nicht schon einmal probiren wollen? Aber der Vater war auf und davon, ehe ich nur zu Euch hinüber kam, und mußt' ich nicht alsdann unverrichteter Sache abziehen? O, das gedenkt mir schmerzlich ...!«

Wiederum hustete die Mutter verlegen, und sagte kleinlaut: Wahr ist's, leider Gottes, und kann ich mir noch heute nicht einbilden, wer deinem Vater wohl verrathen hat, daß du ihn zu besuchen kommen würdest?

Annele schlang ihren Arm liebevoll um den Hals der Mutter, und sagte ihr mit einer Feierlichkeit, die der Sprecherin äußerst reizend zu Gesichte stand: »Wißt Ihr, wie das zugegangen ist? Ein Mensch hat's dem Vater nicht verrathen, denn ich hatte keinem Menschen von meinem sauern Gang etwas vertraut. Aber mein sehnsüchtigster Gedanke war schon lange bei'm Vater, [85] mein Glaube, meine Lieb' und Hoffnung waren schon lang vor mir in Hirzenbach, und, wie oft ein abgestorbener Geist bei einem lebendigen Menschen einspricht, den er auf Erden lieb gehabt, so ist auch gleichsam meine Seele bei'm Vater eingekehrt und hat ihm das reumüthige und bußfertige Annele angesagt. Leider, leider hat er von seinem Annele, von seinem verstoßenen Kinde nichts mehr wissen wollen, hat darum von mir sein Angesicht gewendet ... ich fürchte, ach, mein Gott, auf ewig!« – –

Während der Zeit hatten Kaspar und Gäbele endlich ihren Diskurs in's Reine gebracht. Gäbele, der im Hause so gut ein Pantoffelmännchen, als außer dem Hause ein großer Schreier, fand für gut, von seinem Weibe gar keinen Abschied zu nehmen, und wollte auch den Metzger zum Abschied hinter der Thür bereden. Kaspar hatte jedoch noch so viel Anhänglichkeit an seine Frau, daß er nicht wie ein Holländer durchbrennen wollte. Vielleicht war auch dabei ein wenig Hoffart im Spiel. Denn in der vollständigen Ausrüstung des Freischärlers, Feder auf dem Hut, Flinte unter'm Arm, Halsbinde roth, stellte er sich plötzlich den Weibern dar, die in der Schlafkammer einander gegenseitig trösteten, umarmten, miteinander weinten. – Sieh' da, die Schwiegermutter! machte Flamm, und zog dabei ein Gesicht, das just nicht das angenehmste: Schon wieder einmal hiesig? Hat sich der Alte noch nicht besonnen? Will er noch nicht herausrücken mit seinen alten Batzen, nicht endlich einmal zu geschehenen Dingen ein vernünftig Gesicht machen? Es wär' die höchste Zeit; heut' über acht Tage steht's im Land ganz anders, und das Volk regiert alsdann mit Freiheit und mit Gleich [86]heit, und damit Alles gleich werde, werden die Geldbrotzen mit ihrem Sach herausrücken müssen und mit ihren Söhnen und Tochtermännern bis auf den Gulden abtheilen, so lang da war. –

Weil nun Frau Gertrud ganz verhofft dasaß, die größten Augen machte, aber kein Wort zurückgab, weil sie den ganzen Kerl nicht verstand, so wendete sich Kaspar ohne weitere Erklärung an seine Ehehälfte, mit der kurzen und barschen Rede, die schon von vorn herein sich jede Einsprache verbat: Das Wetter ist gut, der Wind pfeift aus dem rechten Loch ... ich geh' noch heut' nach Offenburg hinunter, wo der große Kehraus getanzt werden soll. Halte mir gut Haus, bis ich als Bürgermeister oder so etwas zurückkomme. Daß ich das Kind ja wieder gesund antreffe! Und du, Annele, leb' wohl und sey munter bis auf Wiederseh'n. Adje wohl, Alle miteinander, mit dem Alten werd' ich schon reden, wenn wir die Republik haben! – Klopfte seinem Weib tappig und ungeschlacht auf die Schulter, machte der Schwiegermutter einen boshaften Kratzfuß und stolperte zur Thüre hinaus, zum Hause hinaus, zum Städtchen hinaus, fort mit seinen Gesellen, deren eben nicht viele waren, weil meistens die Uhrenmacher des Schwarzwalds, welche handwerksmäßig die Hand stets am Puls der Zeit haben, die Zeit, die da kam und kommen mußte, richtig genug beurtheilten, und lieber daheim hinter'm Ofen blieben. – –

Der grobe Kaspar war schon lange fort, und noch immer und lautlos starrten die beiden Frauen einander an, da der rasche Abschied des Metzgers ihnen die Sprache und ein gut Stück von Fassung verschlagen hatte. – Endlich stammelte die Mutter: Welch' ein [87] Lebewohl! Seiner Frau nicht einen Kuß, nicht ein gutes Wort! – Annele entgegnete in tiefstem Gram: »Seinem kranken Kinde nicht einen freundlichen Blick!« – Auf einmal fielen sie sich wieder in die Arme, ohne Klage, ohne Zähre; schier ohne eine freundliche Rede, als nur etwa: Nimm dich herzhaft zusammen, lieb's Annele! sagte die Mutter; und: »Wenn ich Euch nicht hätte, allerliebste Mutter! sagte die Tochter. Dem kleinen Xaver hingegen war just seit dem Abschied des Metzgers so leicht und wohl geworden, sein Auge strahlte noch einmal so hell, sein Mund lächelte noch einmal so lieblich, daß die Frauen einander verwundert und durch Zeichen auf das Wohlseyn und das Getändel des Knaben aufmerksam machten ...

Da kam über die Treppe herauf ein rüstiger Schritt. – Da kommt Jemand! machte Frau Gertrud schier unwillig Ueber Annele's Antlitz leuchtete indessen ein Blitz der Freude. »Ha, es ist nur ein schlechter Spaß gewesen!« flüsterte sie der Mutter zu: »Kaspar kommt zurück, und lacht uns aus!«

Auch wurde die Thüre ohne Klopfen derb aufgemacht, und vor den Weibern stand richtig eine wohlthuende Erscheinung, und zwar der rechte Mann in dieser schlimmen Stunde. – Gündermann, der »Leuenwirth« in selbst eigener Person, mit nassen Augen und heftig aufschnaubender Brust, begrüßte die Weiber mit den tiefbewegt hervorgestotterten Worten: »Na, grüß' dich Gott von Herzen, du lieb's Annele ...! Sei mir nicht bös, du Alte, wenn ich dich erschrecke ...! Ich hab's eben nicht länger verzwingen mögen ... hab' eben mein arm's Maidele wiedersehen müssen, vorab ich sterbe ... und so bin ich dasele, und macht jetzt [88] mit wir wasele ihr wollt, ihr Donnersweiber! Ein Vater ist halt ein Vater, und das Leben ist gar so kurz, aber die Lieb' hört doch nicht auf!«

Frau Gertrud, schier übergeschnappt vor Freude, an ihres Mannes Halse ... Annele, schier vernichtet von der allmächtigen Gnade des Himmels, zu des Vaters Füßen ... der kleine Xaver, wie von einem Zauber emporgetragen, in des Großvaters Armen ...! Der heilige Tag, die fromme Stunde, von denen die Mutter geredet, auf welche sie gottvertrauend gehofft, sie waren gekommen, sie waren da!


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