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Drittes Kapitel.
»O schöner Mai, o lieber Mai!?!«


Wenn der Lenz meistentheils und allerwärts ein rüstiger Bursche ist, der ohne Aufhören, so lange ihm die Zeit gegönnt, mit wilder Lust und Liebe im Boden schafft, und wühlt, und treibt, die Saaten keimen macht, die Früchte zur Reife bringt und geschäftig das alte Holz umstürzt, damit das junge lebendiger knospe und wachse, so durfte man von dem Frühling des Jahrs Neunundvierzig, ob mit Freud' oder mit Leid, rühmen, daß er doppelt arbeitsam gewesen, und sich eifriger gerührt, als eine lange Reihe seiner Vorgänger. Hauptsächlich galt das allerdings von dem politischen Frühjahrleben in der deutschen Landesmarke, die man gewöhnlich das badische Land nennt. Die Revolution war wiederum da, ehe sich's die Leute versahen, und ihre Saaten sproßten, keimten und trieben so lustig, daß die baldigste Reife derselben nicht zu bezweifeln war. Welche Ursache dieser üppigen Fruchtbarkeit zu Grunde lag, gehört nicht hieher. Schliefen auch die meisten Köpfe von Denen, die nur mit Leidwesen [58] dem Umsturz des Alten entgegen sehen konnten, so wachten und gährten dafür um so besser die Köpfe Derjenigen, die gern ein neues Leben aus dem bevorstehenden Ruin hervorzaubern wollten. Im Bürgerstand der Städte, in der Menge der schlichten Landleute, in nicht wenigen Geistlichen, Beamten und Lehrern des Volks brauste und schäumte es, wie der Most zu schäumen pflegt, wenn er Lust hat, zum hellen und scharfen Wein zu werden. Der Soldatenstand sollte und wollte auch nicht zurück bleiben. – Bereits hatten sich die Obern desselben genöthigt gesehen, die Truppen möglichst ihren Garnisonen zu entfremden, damit sie nicht angesteckt würden von dem Geiste, der dort allmählig überhand nahm. In größeren oder kleineren Abtheilungen wurde das Militär da und dort im Lande untergebracht, wechselte seine Quartiere und Standplätze so oft, als nur thunlich, war überall und nirgends zu Hause. Den Beschlüssen des Frankfurter Parlaments zufolge, waren auch schon abgediente Mannschaften unter die Fahne gerufen worden, und diese letzteren brachten eben nicht den Geist, den man den guten nennt, aus ihrer Heimath und aus ihren Familien in die Regimenter mit. Wohl Manchem der Offiziere schwante von einer übeln Entwicklung und Auflösung der bestehenden Verhältnisse; aber kein Mittel wollte mehr ausreichen, um die Katastrophe aufzuhalten Sie rückte näher und immer näher. Was nicht ohnehin schon von selbst aus der Lage der Dinge sich ergab, wurde in den verschiedenen Truppenkörpern durch die Bemühungen der geheimnißvollen und geschickten Redner gezeitigt, die aller Orten sich an den Soldaten drängten, ihm in Schenken und Kasernen predigten, [59] und ihn nach und nach für die Idee, mit dem Volke Hand in Hand zu gehen, und die Monarchie über Bord zu werfen, begeisterten.

In den Städten und Städtchen längs der Schweizergränze waren die genannten Bemühungen natürlich um so dringender, als die Männer, die am Hecker- und am Struve-Putsch Theil genommen, und in die Verbannung gegangen, in bequemer Nähe wohnten, und sich nicht selten auf dem verbotenen vaterländischen Boden einfanden, um ihres stillen Predigtamts zu warten. Allzugefährlich war dieses Wagniß nicht; sie kamen und gingen, ohne viel belästigt zu werden. Ihre Freunde und Gesinnungsverwandten wachten und sorgten für sie; die Soldaten, die ihnen gern zuhörten, verriethen sie nicht.

Doch war in einer kleinen Garnison, nicht allzuweit von Basel, ein Infanterist, der an den politischen Unterhaltungen seiner Kameraden nicht viel Freude fand, obschon des Militärstandes völlig überdrüssig, und seinen Vorgesetzten nicht gar gehorsam. Der Dienst war ihm ein Gräuel, und so oft er davon frei war, oder sich losmachen konnte, ging er mutterseelenallein und gedankenvoll vor das Städtchen hinaus, auf eine kleine Anhöhe, wo ein Wallfahrtskirchlein stand, und setzte sich dort auf eine Bank, die zwischen ein paar hochaufgeschossenen Tannen hergerichtet war, um des Anblicks auf die Gebirge des Schwarzwaldes vollauf theilhaftig zu werden. Stundenlang konnte der Soldat auf jener Bank verweilen, sehnsüchtig nach den Bergen schauend, und manchmal weinte er dabei, wie ein Kind. Von allen seinen Waffengefährten als ein trübseliger Mensch gekannt, der schon seit Monaten [60] keine gute Laune mehr gefunden, keinen fröhlichen Becher mehr getrunken, erfreute sich der fragliche Soldat des ungestörten Genusses in seiner Landschaftsliebhaberei, und daher kam ihm – es war in den ersten Tagen des Mai – desto unerwarteter der freundliche Gruß eines Mannes, der, als ein Fremdling, zu Fuß auf das Bergle pilgerte, und den schwermüthigen Soldaten, der just in der Anschauung verloren dasaß, bei seinem Namen rief.

»Je, wen seh' ich da? Ist denn das nicht des Metzger-Thoma Sohn, der Lenhard von Heurlingen?« Also rief der Fremde, den der verwunderte Soldat lange nicht für seinen Vetter Melchior ansah. Denn so wie einst er den Winkeladvokaten zu Neustadt nicht erkannt, wegen seines mächtigen Vollbarts, also hätte er ihn jetzo schier wieder nicht erkannt, weil dem Vetter der Bart und die langen Locken fehlten. Die Stimme war's indessen noch halb und halb, und, die allerlei Veränderungen im Gesicht und im Gewande bei Seite lassend, sagte Lenhard mit einem Anflug von Freundlichkeit: So so, bei Gott, du bist der Melchior, wenn du ihm auch weiter nicht gleich siehst! So grüß' dich denn Gott, weil's nicht anders seyn kann. Was führt denn dich herüber in die Mausfalle? Willst du dich in's Zuchthaus stellen? Oder bist du begnadigt worden? Oder schmuggelst du dich über die Gränze, wie ein seidenes Halstuch, wie eine Flasche welschen Weins?

»Das Letztere dürfte wohl der Wahrheit am nächsten kommen;« sprach Melchior versteckt lächelnd: »Es steht bei dir, Lenhard, mich bei'm Kragen zu nehmen und der wohllöblichen Polizei auszuliefern Ich will's [61] drauf ankommen lassen, will mich ganz in deine Hände geben.« – Mit diesen Worten setzte er sich unbefangen an Lenhard's Seite nieder, und fügte bei: »Thue jetzt nur, was dir gut dünkt. Aber ich habe, hol' mich der Teufel, ein bischen herüber kommen müssen, um vaterländische Luft zu schnappen. Die Heimath, guter Lenhard, das Vaterland geht doch über Alles!« – Der lose Vogel machte, indem er sich also aussprach, ein dergestalt empfindsames Gesicht, daß seinem Vetter ganz barmherzig zu Muthe wurde.

Darum rückte auch Lenhard, gefällig Platz machend, und sagte mit bewegter Stimme: Was du da redest, verstehe ich schon, bei'm Strahl! Warum sitz' ich denn schon manche Stunde, manchen Tag hier oben, als eben nur nach meinen heimathlichen Bergen mich umzusehen? Du glaubst nicht, wie mir das Soldatenleben an allen Ohren hängt! Wär's nur ein Sack, so wollt' ich ihn gleich wegwerfen, und hinlaufen, wo mir's besser gefallen thäte!

»Sieh' doch: der Lenhard ist ja ein ganz anderer Mensch geworden? Schleppt noch immer den Rock des Fürstensöldners, tragt da einen Schnurrbart im Gesicht, wie ein rechter Diebsfänger von der gesegneten Polizei, und führt dennoch eine so freimüthige Sprache? Ich lobe dich, Vetter, um dieser günstigen Verwandlung willen, und gebe dir den Rath, ohne Anstand nach Heurlingen, nach deiner Heimath zurück zu gehen.«

– Ha, du hast gut schwätze; wo sollt' ich denn den Urlaub herbekommen? Bin ich nicht vor vier Monaten etwa auf'm Wald gewesen? Ach, mein lieber Melcher, dort hat sich's schlimm verändert! Mein Schatz, an dessen Lieb' ich geglaubt habe, wie an's Evangelium, [62] hat sich einem Lumpen an den Hals geworfen, und sitzt als dessen Weib mit wenig Ehren zu Furtwangen. Mein Alter ist um all' sein' Sach' gekommen, und hat kaum mehr nothdürftig zu nagen und zu beißen. Die liederliche Stiefmutter ist drauf und dran, ihn zu verlassen, weil die besten Tage vorbei sind ...! Du merkst, daß ich in der Heimath, wenn ich sie auch recht lieb habe, nur wenig Freud' finden könnte! Ich weiß in Gottes Namen nicht, wohin ich gehen sollte, wenn ich vom Dienst frei wäre. Zudem würde jetzt Keiner frei, nicht für viel Geld, und desertiren will ich doch auch nicht, denn ich hab' dem Großherzog geschworen, und einen Eid soll man halten. –

Melchior sprudelte auf: »Schon wieder die alte Leier! Du bist noch aus dem alten Sauerteig gebacken, du lebst nicht in der heutigen Zeit, dir hängt noch hinten ein ellenlanger Zopf. Die öffentliche Meinung hat alle Eide abgeschafft, beziehungsweise die politischen, und das Parlament zu Frankfurt läßt nur einen einzigen Eid bestehen: Den auf die Reichsverfassung. Was Ihr den Fürsten geschworen, das ist abgethan. Um so mehr abgethan ist es, da jene Fürsten selber Euch armen Soldaten alle Zusagen nicht halten, und aller Pflichten gegen Euch sich entschlagen.«

Lenhard war aufmerksam geworden, und fragte: Die Reichsverfassung? Hab' auch schon davon gehört; die Kameraden schwätzen oft von der Reichsverfassung unter sich. Was kümmert mich aber das? Ich hab' mich als ein guter Soldat gehalten, zu Freiburg wie zu Staufen. Ho, zu Staufen hab' ich noch gemeint, ich würde meinen Schatz heirathen, und bin in's Feuer und in den Sturm gegangen, wie ein alter Eisenfresser. [63] Was hat's geholfen? Ich hab' eben doch meinen Schatz nicht bekommen, und bin nicht einmal Korporal geworden, und hatte mir's doch der Oberst selber in die Hand hinein versprochen. – Wenn ich daran zu Zeiten denke, so werd' ich ganz wild. Von der Reichsverfassung versteh' ich nichts, aber dem armen Soldaten sollte man freilich halten, was man ihm versprochen hat. –

Melchior klatschte in die Hände und versetzte arglistig: »Nun, da hast du's ja; da bist du jetzt von selber auf den Text gekommen, den ich vorhin angeschlagen habe. Freilich hält man Euch keine Zusage, freilich erfüllt man gegen Euch keine Verpflichtung! Ich will nur von einem Ding reden, das über alle Schornsteine hinausgeht. Nicht wahr, Ihr armen Soldaten habt bei Staufen, wie schon vordem zu Freiburg, Euer Blut, Eure geraden Glieder, Euer Leben selbst gewagt, um der Tyrannei wieder auf den Strumpf zu helfen? Wie hat Euch nun die Tyrannei vergolten? Die Führer des Septemberaufstands, die in Eure Reihen gezielt und geschossen, die Euer Leben gefährlich bedroht, sie waren in die Hände des Tyrannen gefallen. Ihr verlangtet mit Recht von Euerm Standpunkte aus, daß jene Gefangenen mit der strengsten Strafe, mit der Todesstrafe, belegt würden. Eure Gewalthaber retteten jedoch das Leben jener Männer vor das Geschwornengericht zu Freiburg, und sie sind mit ein paar Jahren Zuchthausstrafe davongekommen. Ich will damit nicht etwa sagen, als sei es ein Unglück, daß dieses geschehen: im Gegentheil halte ich die Rettung jener Volksmänner für einen Sieg der guten Sache, und meine nicht, daß sie noch gar lange im Kerker schmachten werden. Nichts [64] desto weniger hattet Ihr Soldaten Euer Leben in die Schanze geschlagen, und doch wurde Euern erbitterten Feinden kein Haar gekrümmt. Das erkläre und entschuldige mir, wer da kann. Wäre ich jedoch Soldat gewesen, – ich hätte von Stund an meinen Kommißprügel zerbrochen, der Tyrannei abgeschworen, und der Sache des Volks meine Arme, meinen Kopf, mein ganzes Leben zur Verfügung gestellt!«

Lenhard betrachtete seinen Vetter, der sich in eine gewisse Begeisterung hineingeredet hatte, mit scheuem Auge, und antwortete langsam: Ich sollte freilich dergleichen Geschwätz nicht geduldig anhören, sollte wenigstens nicht darauf merken. Jedoch – dir's ehrlich zu gestehen – sind mir auch schon zuweilen Gedanken zum Hirn gestiegen, die just so dreinsehen, wie das, was du geredt hast. Das Soldatenleben ist mir zum Ekel geworden ... Die Offiziere, die uns bis auf den Tod plagen, denen wir aufwarten, apportiren, und exerziren müssen, wie die Pudelhunde ... die Leutschinder kann ich nicht ohne Verdruß mehr ansehen. Sie wissen's auch ... sie haben mich auf der Muck' ... strafen mich, wo und wann sie nur können ... aber ich mach' mir nichts draus. 's ist vielleicht noch nicht aller Tage Abend. – Jetzo aber, damit die Red' auf etwas Anderes kommt, sag' mir geschwind, Vetter Melcher, wie's dir ergangen ist, seit dem Heckerputsch?

Melchior verzog spöttisch und langweilig sein Gesicht, gleichgültig erwiedernd: »Was kann ich da erzählen? Wie es mit uns zu Freiburg ausgegangen, weißt du am besten, der auf uns geschlagen und geschossen, wie ein rechter Blutvergießer und Herrenknecht. [65] Nun – ich verzeih' es dir; du warst verblendet in der Furcht des Herrn, warst verhext von närrischer Liebe, hast die Welt gesehen, wie sie nicht ist ...! Jetzo fallen dir die Schuppen freilich von den Augen – ein bischen spät – aber ›besser spät als gar nicht‹ sagt das Sprichwort, und aus dir kann noch immer ein wackerer Kerl werden. – Von meinen Schicksalen zu reden, will ich nur bemerken, daß ich dazumal, als schon alles verloren, mich geflüchtet habe, wie die Andern. Mit dem Turner, dessen du dich noch aus dem Mohrenwirthshause erinnern wirst, bin ich im Gebirg zusammen getroffen. Er war mit Geld und Paß und Kleidung wohlversehen; ich war rattenkahl. Wir hatten uns allerdings noch am Tag zuvor schlimm gehändelt und gezankt; aber im Unglück reichen sich edle Patrioten gern die Hände, und vergessen allen Zwiespalt, um der goldnen Freiheit willen, der sie sich verlobt und geweiht haben. So auch der Turner Titus, so auch ich. Wir halfen einander redlich über die Gränze; Titus blieb in St. Gallen hängen, meine Wenigkeit setzte sich zu Liestal fest. Zum Struvezug kamen Titus und ich zu spät um einen Tag. Seither leben wir zusammen im Baselgebiet, bald hier, bald da, und harren des neuen Sonnenaufgangs. Schon beginnt sie zu leuchten, die neue Freiheitssonne ... Des Volks Begehren und Wünsche sind immer noch dieselben, wie im März vorigen Jahrs ... Die Revolution ist organisirt über's ganze Badische Land ... Die Tyrannei hat blind und dumm sich die Hände selbst gebunden; vor Allem hat das Heer ungeheure Fortschritte in Verstand und Gesinnung gemacht. Wer weiß, Vetter Lenhard, ob nicht bald der Generalkrach losplatzt? Halte dich [66] verständig und volksgetreu, Lenhard; du kannst es leicht zum Hauptmann in der Volksarmee bringen, und stehst dann höher, als ein Feldmarschall des kannibalischen Willkürregiments. Kratze dich nicht hinter den Ohren, verdrehe nicht bedenklich deine Augen! Wir werden diesmal glücklicher seyn, als im April und im September. Dreimal ist Bubenrecht; Rom ist nicht in einem Tage gebaut worden. Beherzige dieses, und, weil du aus dem Volke, so gehe auch für das Volk und mit dem Volk den Weg, den Alle wandeln, die da reinen Herzens sind!«

Schweig' still, schweig' still! gab Lenhard heftig darauf: Du redest mich sonst frei in's Nervenfieber hinein. Seitdem mich die Stiefmutter zum schlechten Kerl verläumdet hat, seitdem ich mein Annele ganz und gar verloren, und durch meinen alten schwachen Vater blutarm geworden bin, hab' ich einen Watz und Hassard auf die Welt, daß mich immer die Fäuste jucken, daß ich überall dreinschlagen möchte! Wenn's nur Krieg gäbe! Ich wollte meinetwegen zu Euch Republikanern halten, wenn's nur Krieg gäbe!

Melchior versetzte beifällig: »Der Krieg kann kommen, er wird auch kommen, sobald wir im Badischen losschlagen. Stell' dir einmal das ganze Deutschland als eine geladene Flinte vor. Die Pulverpfanne daran ist das badische Land, und so wie's da Feuer gibt, geht der ganze Plunder los! Wir werden siegen, die Fürsten müssen alle zum Land hinaus. In der Pfalz brennt's schon, die Franzosen kommen uns zu Hülfe, die Italiener ziehen bei, durch die Schweiz und durch's Tyrol; die Ungarn haben jetzt schon ohne Zweifel Wien erobert, und werden am Bodensee stehen, ehe man's nur [67] glaubt, Du siehst, an Freunden und an Brüdern fehlt es uns nicht.«

Worauf Lenhard verwundert: Ha, wenn Alle unsere Freunde und Brüder sind, mit wem sollen wir uns denn schlagen?

Die einfältige Frage machte den gescheidten Melchior fast stutzen. Aber schnell besonnen erwiederte er: »Mit den Tyrannen, du Schafskopf, mit dem Geldsack, und mit den Russen, die schon auf dem Weg sind, die Freiheit zu Tod zu knuten!«

Da reichte ihm der Lenhard beide Hände, und rief aus: Nun, es gilt! Weg mit den Tyrannen! weg mit dem Geldsack, da ich keinen vollen Geldsack mehr zu erben habe, und weg mit den Russen, die mir noch kein Mensch gelobt hat! Woher kommt's aber, daß du von der Zukunft schon so viel weißt, Vetter Melcher?

»Darauf kann ich dir jetzt noch keine Antwort geben;« machte der Vetter, indem er schnell von der Bank aufstand: »Dort kommen Leute, und ich möchte nicht gern, daß wir beisammen gesehen würden. Leb' wohl, und halte dein Wort! Morgen, in der Stadt sehen wir uns wieder!«

Der Vetter verschwand im Gebüsche, und Lenhard kehrte erhitzt und aufgehetzt in sein Städtchen zurück. Unterwegs kam auch eben nicht der beste Engel zu ihm. Sein guter Freund Zweier, der verstickte Student, schloß sich ihm an. Zweier war leicht angetrunken und ließ seine Zunge durchgehen, wie ein wildes Pferd; erzählte von einem Brief, den er aus dem Unterlande erhalten, und der ihm gemeldet, daß überall die Sachen gut ständen, nämlich für die Regierung schlecht. Die Mo [68]narchie werde nächstens den Gnadenstoß erhalten. In Bruchsal und Mannheim walle und gähre Alles durcheinander; am kommenden Sonntag werde zu Offenburg eine Volksversammlung abgehalten werden, die das Schicksal Badens und der deutschen Republik zu entscheiden habe. Zu Rastatt sei die Infanterie und die Artillerie völlig für die Sache des Volks gewonnen; in Freiburg halte das Militär ebenfalls große Zusammenkünfte, um das alte Wesen abzuthun, und die Reichsverfassung mit Glanz durchzuführen. – Und schier nach jedem Absatz seiner weitläufigen Erzählung erging sich der Redner in dem Kehrreim: »Nichts mehr Großherzog, nichts mehr adelige Offiziere, nichts mehr reiche Aristokraten und Menschenschinder! Strick ist entzwei, und wir sind frei!«

Der Haarbeutel, den der Exstudent führte, hinderte ihn nicht, seinen Feldwebel zu erkennen, der ihm auf der Gasse entgegenkam. Der Unteroffizier war als ein strenger Mann bekannt, und deßwegen bei der Kompagnie gründlich verhaßt. »Ich will dem Waldteufel aus dem Wege gehen!« machte Zweier kurz und gut, und verlor sich in's nächste beste Haus. Lenhard dagegen, von Augenblick zu Augenblick mehr erbittert und gesteigert, wich dem Feldwebel nicht aus, wenn ihn schon das böse Gewissen daran erinnerte. So kam es, daß der Unteroffizier, an welchem Lenhard finster und ohne zu grüßen vorbei wollte, den Soldaten stellte, mit den Worten: »Aha, schon wieder Einer, der nicht bei'm Verlesen war! Wo hat Er gesteckt, ungehorsamer Mensch?«

Da blitzte Lenhard auf, und sagte mürrisch: Man heißt mich Sie und nicht Er; und wenn ich nicht beim [69] Verlesen war, so werd' ich eben wo anders gewesen seyn! – Wollte sich alsdann drücken, aber das war des Feldwebels Sache nicht. Maß und Ziel vergessend, hob er die Hand gegen den Soldaten auf, und rief dabei: »Was hält mich denn ab, Euch frechen Burschen abzustrafen, wie sich's gehört?« – Eben so rasch war jedoch Lenhard einen Schritt zurückgesprungen, legte die Hand an sein Seitengewehr, und schrie wild aus: Rührt mich nur an, und Ihr sollt sehen!

Im Nu war ein Haufe von Gassenläufern um die Streitenden versammelt, und die Autorität des Feldwebels hätte wohl mißachtet werden können, wenn nicht ein paar Dragoner, die noch nicht zur Umsturzpartei hielten, zufällig vorübergegangen und von dem Unteroffizier zum Beistand aufgefordert worden wären. Die Reiter bemächtigten sich des Soldaten, der die Subordination so gröblich verletzt, und führten ihn in's Gefängniß, ohne auf das Pfeifen, und das Hohngelächter des Pöbels zu achten. Lenhard wurde in ein trauriges Kämmerlein gesperrt, wo er zwischen vier schwarzen Wänden, und eine lange Nacht hindurch, Zeit genug hatte, Betrachtungen über seine Zukunft anzustellen; welche Zukunft allerdings gewiß nicht die erfreulichste gewesen wäre, wenn der Spruch der Obern und die Kriegsartikel noch Geltung gehabt hätten. –

Allein das Uebel war schon zu weit gediehen. Keine Frage, daß, wenn Kompagnie- und Bataillonskameraden des Lenhard bei dessen Gefangennehmung zugegen gewesen wären, eine blutige Rauferei sich entsponnen haben würde, deren Ziel und Ende nicht abzusehen. So aber saßen die Infanteristen schon massenweise in den Kneipen, wo über Freiheit, Soldatenwürde [70] und Volksbewußtseyn Vorträge gehalten wurden. Einer der beredtesten Professoren dieses Schlags, und eigens dazu von seinen geheimen Obern über die Gränze herein kommandirt, war der gewisse Schriftverfasser Melchior; und seine Rede hatte schon wacker Feuer und Flamme unter seine Zuhörerschaft geschleudert, als der Exstudent Zweier eiligst in die Versammlung gesprungen kam, und meldete, daß Lenhard, der melancholische aber biedere Kamerad, von dem verhaßten Feldwebel abgefaßt worden sei. – Da Zweier nun auch ferner erzählte, daß der Feldwebel den Lenhard grob beleidigt, und daß der Letztere seinen Beleidiger ritterlich zur Rechenschaft gefordert, so brach ein Sturm des Unwillens unter den Soldaten aus, der schon am selben Abend zu blutigen Auftritten geführt hätte, wenn nicht dem besonnenen Melchior gelungen wäre, die aufgeregten Gemüther vor der Hand zu beschwichtigen. Der Sinn seines Zuspruchs war ungefähr folgender: »Die Nacht ist keines Menschen Freund; handelt darum nicht bei dunkler Nacht, und beruhigt Euch für jetzo! Morgen ist auch ein Tag, und der Patriot nimmt stets das Gestirn des Tages zum Zeugen seiner Thaten. Laßt uns morgen draußen auf der Wiese eine Versammlung halten, gemischt aus Bürgern und Soldaten; denn kein Unterschied soll mehr seyn zwischen den Söhnen des Volks. Sage dieses Einer dem Andern; wer in der Nähe noch Freunde und Brüder weiß, laufe noch heute hin, und biete sie auf, morgen auf dem Platze zu erscheinen. Die Sorge für das Wohl des Vaterlands geht vor dem Herrendienst und vor den dummen Befehlen eurer Drillmeister. Wisset, daß Ihr ihnen nicht zu gehorchen habt, und daß, wenn Ihr allesammt nicht gehorchen [71] wollt, Euch die Handvoll von Offizieren und andern Abrichtern nicht zum Gehorsam zwingen kann. Darum kommt auch Alle, das Wohl des Landes zu berathen, und zu bestimmen, was für Euern armen Bruder Lenhard, der für euch Alle leidet, gethan werden soll. Denn Ihr seid ihm schuldig einen glänzenden Beweis der Anerkennung, weil er seine Mannespflicht gethan, und dagegen schuldet Ihr Eueren unverbesserlichen Zwingherren eine strenge Lektion, auf daß sie lernen, daß der Bürger unter den Waffen ein Mensch sei und kein Hund. –«

In der Stimmung jener Zeit und in jenem Orte war begründet, daß eine solche Aufmahnung nur willige Ohren und Herzen finden konnte. Wie ein Lauffeuer pflanzte sie sich von Schenke zu Schenke, von Quartier zu Quartier fort. Dem Gebot zufolge wurden noch in der Nacht diejenigen Truppenabtheilungen, die in der Nachbarschaft untergebracht worden waren, zur Volksversammlung befohlen. Auch schon am frühsten Morgen erschienen von nah' und fern die Soldaten, die dem Regiment angehörten, ließen Dienst Dienst seyn, bezogen keine Wache, fragten nicht, und meldeten sich nicht, und waren zur Verwunderung der Befehlshaber, deren Befehle jedoch nicht respektirt wurden, am Vormittag in einer Menge vorhanden, die allerdings imponirte, und an welche sich eine Unzahl von Stadt- und Landvolk anschloß. Die Schenkenprediger von gestern ließen sich für's erste gar nicht sehen. Bürger und Proletarier hatten sich der Soldaten bemächtigt, und wollten sie eben an den bezeichneten Versammlungsort führen, als der Oberst des Regiments, ein entschlossener Mann, un [72]erschrocken in die Mitte der Truppen trat, und sie strenge befragte, was sie hier zu schaffen beabsichtigten?

Die langgewohnte Ehrfurcht vor dem Befehlshaber übte noch für einen kurzen Moment ihre alte Gewalt aus. Die Massen, die bereits in fortschreitender Bewegung, hielten an, wie auf's Kommando. Es wurde auf dem Marktplatz still; die Haltung der Soldaten war beinahe anständig zu nennen. Und auf die wiederholte Frage des Obersten traten nur langsam ein paar Unteroffiziere vor, die es mit den Aufständischen hielten, und gaben zögernd zur Antwort, daß die Zeit gekommen sei, den Soldaten gleiche Rechte mit den übrigen Bürgern zu verwilligen; daß bereits in mehreren Städten des Landes das Militär mit dem Volke zu politischen Versammlungen sich zusammengethan; daß die hier an der Gränze aufgestellten Truppen dieselbe Freiheit für sich in Anspruch nehmen wollten, und daß sie jetzo mit den Bürgern der Stadt und den Landbauern der Umgegend auf der großen Wiese fraternisiren würden, und zwar unter allen Umständen, ohne irgend eine Einrede oder einen Gegenbefehl zu berücksichtigen. – Das lebhafte Beifallsgeschrei der Menge unterstützte diesen Vortrag. und überzeugte den Oberst, daß hier nichts zu thun sei, als nachzugeben. Er ermahnte daher seine Untergebenen schließlich, sich in der Versammlung als wackere und getreue Soldaten zu benehmen, und gleich nach derselben wiederum zur Dienstpflicht zurückzukehren. – Hierauf wurde zwar keine Antwort gegeben, aber die Truppen zogen mindestens, ohne Lärm und Aufruhr zu machen, an den Ort ihrer selbstherrlichen Bestimmung.

Auf der großen Wiese ging es dafür gar geschwinde [73] viel leidenschaftlicher zu. Eine Rede nach der andern wurde gehalten. eine wilder als die andere, und die vollständigste Auflösung aller Dienstverhältnisse als das Mittel, schnellstens die wahre Freiheit zu erobern, angepriesen. Nicht lange, und auch der Handel des eingefangenen Lenhard kam zur Sprache, und Zweier empfahl den lärmenden Zuhörern eine rasche Erledigung der Sache. Es wurde da nicht viel berathschlagt; der Wege, die da zum Ziele führten, waren nur zwei. Entweder sollte der Märtyrer, der für die beleidigte Würde des Kriegers litt, mittelst einer großartigen Abordnung von dem Obersten freigebeten werden, oder man wollte ihn mit Gewalt befreien. Der erstere Vorschlag wurde nur gering unterstützt; die Sprecher wiesen darauf hin, daß alle solche Petitionen überall nicht zum völlig erwünschten Ziel geführt hätten. Die rechte Stunde sei da; der Umsturz des alten Herrenwesens sei vor der Thür, die Geduld des Volks erschöpft, die Gewalt am Platz, wo gute Worte nichts mehr helfen. – So bewegte sich denn plötzlich die ganze Menschenmenge bunt durcheinander und zum größten Theil bewaffnet von der großen Wiese wie im Sturm nach dem Städtchen zurück, und tobte gegen das Gefängniß an, mit wüthendem Geschrei die Freilassung des Gefangenen begehrend. Der Wachtkommandant hatte den Muth, die demüthigende Anforderung zurückzuweisen, ließ seine Mannschaft unter's Gewehr treten, befahl ihr zu laden, rüstete sich zum Widerstand. Dieses Beginnen schüchterte natürlich die Aufrührer, die sich ihrer Uebermacht bewußt, nicht ein, und es bereitete sich das widerwärtigste Schauspiel vor, als der Oberst, nur seinem Gefühl gehorchend, und jede Warnung seiner Freunde in [74] den Wind schlagend, noch einmal auf den Platz herniederstieg und sich zwischen die Streitenden warf. Noch einmal forderte seine Erscheinung ihr Recht. Noch einmal wurden die tobenden Haufen still, und lauschten der Rede ihres alten Kommandeurs. Aber an eine nachhaltige Wirkung seiner Ermahnungen, seiner Bitten, war nicht zu denken. Kaum hatte er seine herzliche und tiefbewegte Ansprache geendet, als schon wieder der Wuthschrei der Soldaten, das Spottgelächter der bürgerlichen Menge losbrach, grimmiger denn zuvor. Nicht wenige von den Soldaten zogen blank, eine Rotte von Männern des Volks näherte sich mit geschwungenen Beilen der Gefängnißthüre, um sie einzuschlagen. Das Haupt des Obersten selbst war gefährlich bedroht. Und nirgends eine Hülfe! Im weiten Kreise um den ganzen Tumult her standen die Dragoner, die freilich noch nicht zum Volke hielten, aber dennoch keine Hand rührten; unfern von ihnen die Kanoniere, die auch noch nicht offenkundig zum Ausstand übergetreten waren, und sich ruhig verhielten, wie die Reiter. Ein paar Offiziere allein drängten sich bis zum Obersten hin, ihn vor dem ersten Angriff zu beschützen. Immer unheildrohender wurde der Sturm auf dem Platze, und vergebens wurde die Wachmannschaft befehligt, das Bajonnet zu fällen. Sie that es nur lässig. Vergebens auch wurde »Feuer« kommandirt. Es knackte kein Hahn; aber mitten aus dem Gewühl des wuthschäumenden Volks knallte plötzlich ein Schuß, und verwundet sank der Oberst nieder. Nur mit der größten Mühe konnte der Blessirte vom Fleck gebracht werden; beinahe über seinen Leib stürmte der Aufruhr zum Kerker hinan und Lenhard, der sich gar nicht recht verwußte, und nicht [75] begriff, was sich mit ihm begeben sollte, wurde aus seinem Arrest gezogen, und mit Gesang und Klang auf den Schultern seiner Befreier an den hellen Tag und Sonnenschein hinausgetragen. Trompeten schmetterten vor ihm her, Jubel und Freudenschüsse umdonnerten ihn; aus allen Fenstern regnete es Blumen auf ihn herab. Der arme Bursche, der anfänglich gemeint, er solle auf offener Straße niedergemetzelt werden, wurde gleichsam überhirnt, da er merkte, wie er so unverhofft ein Gegenstand der allgemeinen Liebe und Fröhlichkeit geworden. Fast unnöthig, hinzuzufügen, daß Schmaus und Trunk in allen Wirthshäusern den wilden Tag beschlossen; daß Lenhard von einer Prasserei zur andern geschleppt wurde, und daß er zum Dank für seine glänzende Befreiung mit Herz und Seele zur Sache seiner Kameraden übertrat. –

So war im badischen Oberland der erste Schritt zur Revolution geschehen. Die Bande der Pflicht und des Gehorsams waren zerrissen, und schon am nächsten Morgen verließen die allermeisten Offiziere, in Begleitung der geringen Mannschaften, die dem »alten Wesen« treu geblieben, das Städtchen, um gen Freiburg ihren Rückzug zu nehmen. Die aufständischen Truppen ließen sie ungehindert abziehen, und blieben zurück, um sich ihres gelungenen Werkes zu freuen, um neue Offiziere aus ihrer Mitte zu wählen, und überhaupt ihre Angelegenheiten nach Gutdünken selber zu ordnen. –


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