Der Jesuit
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Es waren mehrere Jahre verflossen, als sich eines Abends, bei noch funkelndem Sonnenglanze, mehrere Reiter dem Dorfe Santa Dominica näherten. Drei derselben, bewaffnete Diener, wie es schien, blieben ehrfurchtsvoll hinter dem Vorausreitenden, der, ein junger Mann, mit vernarbtem, kriegerischem Gesichte, eine goldverzierte Uniform unter dem schlichten Mantel bergend, bald schnell ritt, die Gegend wie mit begeisterten Augen überschauend, bald langsam, den trüben Blick zu Boden schlagend. Die Diener schwiegen, wie die von Arbeitern leeren Felder, und der Herr sprach leise mit sich selbst. »Dort liegen die neuen, muntern Hütten!« sagte er, »der Ort, den ich, auf la Guasta, in dem Tale des guten Jesus stehend, mit klopfendem Herzen herbeiwünschte; er ist da. Werde ich ihn wieder froh verlassen, den ich froh und ahnend betrete? Da sind die bekannten Wege; dort steht die Kirche, dort liegt des Pfarrers Hof! Ehrwürdiger Luis! Wo bist du, du mein Tröster?«

Der edle Mann war heimgegangen. Frische Tamarinden, die er so sehr geliebt, beschatteten sein Grab mit leichtem Blättergewebe. Unter dem Tore seiner ehemaligen Wohnung stand ein anderer: ein Geistlicher, mit vornehmem, flachem Gesichte; rauchte seine Zigarre, grüßte den Reiter herablassend, und sendete ihm, da dieser betrübt vorüberzog, eine Dienerin nach, ihn zur Herberge einzuladen. Die Magd trug abiponische Züge. Der Offizier redete mit ihr. »Wo ist Euer Pfarrer Luis?« – »Dort!« antwortete das Weib, und deutete gen Himmel und nach dem Kirchhof. Des Reiters Auge wurde naß. »Ich habe nichts mit eurem jetzigen Pfarrer zu schaffen,« sagte er, wiewohl milde. »Danke ihm, mein Kind, in meinem Namen und sage du mir, wo ich die schöne Ines finden mag. Sie ist aus deinem Stamme, wie mir bedünkt.« – »Ines, Herr? Wir heißen alle Ines.« – »Die Tochter euers Kaziken, die einst verlorne Misinga?«

Das Weib zeigte nach einem seitwärts liegenden, hübschen Meierhofe, von Palmen umweht. »Fragt dort nach Misinga, Herr!« sagte die Magd und ging gleichmütig davon. Der Reiter trieb das Pferd; in einer Minute stand er am Gatter des Hofs; ein Mann kam freundlich entgegen, lüftete den Strohhut. »Fernandez Vereira!« rief der Ankömmling, vom Pferde springend. »Sennor White!« antwortete der andere und bot ihm freundlich die Hand. »Ihr hier? Ihr da?« wiederholten beide einigemal, und in den schattigen Vorsprung des Gebäudes, zu herrlichem Weine, zog den Offizier der Meier. »Die Flucht aus Aegypten bekam mir wohl, sagte er zu dem Besucher; wir verbargen uns hier, unter den Flügeln des wackern Luis. Mein Vater erhielt in der Folge seine Begnadigung und löschte dann seine Lampe, Ich bin hier geblieben, ein schlichter Bauer, und mir würde zu dem Glücke meines Lebens nichts fehlen, hätte ich den lieben Vater, hätte ich den Pfarrer Luis noch, die beide fast an einem Tage ins ewige Vaterland gingen.«

»Beneidenswerter!« entgegnete James, schwermütig seine Hand drückend. »Mich Armen flieht das Glück, wenn's mich auch noch mit mehreren Goldgalonen bekleidete. Ich hatte mich für Freund Georg hingegeben. In San Sebastian wurde meine List entdeckt. Der Kommandeur, gerührt und menschlich, gab mir schnell die Freiheit, und der Statthalter, eine Tat bewundernd, die doch so natürlich war, verlieh mir den Rang eines Sergeanten. Meines Pflegers, meiner Hoffnungen in der Alten wie in der Neuen Welt beraubt, schlug ich ein und trug die Hellebarde heldenmütig für den König, den ich nicht kenne, für das Land, das ich nicht liebe. Es war aber von jeher mein Los gewesen, das tun zu müssen, dem mein Herz widerstrebte, und die Erlösung von des Lebens Fesseln suchte ich in dem kriegerischen Stand. Auch diese Hoffnung trog. In den Gefechten mit den widerspenstigen Eingebornen suchte ich den Tod und fand Rang und Ehre. Ich bin Kapitän geworden, könnte alle Freuden des Lebens genießen, verschmähe sie, und suche sie hier – Hunderte von Meilen von St. Sebastian entfernt – in der Erinnerung an eine schmerzlich-süße Zeit. Ich finde jedoch nur Gräber!«

»Auf ihnen wächst das Gras, wie einst aus den unsrigen,« bemerkte Fernandez, »laßt indessen auch Gras über den Argwohn und Verdacht wachsen, den ich vorzeiten gegen Euch und Eure Freunde hegte. Ich habe Eure Handlungen würdigen und weiser sein gelernt ... Was ist aus diesen Freunden geworden, mein biedrer Herr?«

»Mein Pflegvater ist nach Deutschland zurückgekehrt,« versetzte James seufzend, »zu spät, als schon Soldatenpflicht mich band, erfuhr ich es. Ich hätte ihn nie verlassen. Der Senator lebt bei seinen Kindern in Neuyork, wie ich vernahm; und glücklich, wie es heißt, hat sich aller Los gestaltet. Ach, wie wünsche ich es ihnen! Mag mir der Himmel zürnen, wenn er nur Justinen lacht. In ihrer und ihres Gatten Tugend liegt der Segen, nicht in Birshers Reichtum, nicht in Müssingers Banknoten, die –«

»Die er verlor,« fiel Fernandez ein, »Luis' Verwendung nützte nicht. Die Väter des Kollegiums zu Assumption leugneten das Leben des Senators, prunkten mit dem Testamente, und haben, es zu vollstrecken, die Sennora Müssinger zu Cordova bei den Karmeliterinnen einkleiden lassen,«

»Justine?« fragte James ganz bestürzt, »ich falle aus den Wolken! Ist's ein Scherz oder ein unbegreifliches Rätsel?«

»Eine begreifliche Bosheit,« antwortete Fernandez mit verächtlichem Achselzucken, »wenn es wahr ist, was Vater Luis behauptete, daß das Provinzialat zu Cordova eine Französin, die Euch hierher begleitet, und sich in der Mordnacht auf dem Schiffe der Jesuiten gerettet, gezwungen habe, unter dem falschen Namen der Sennora Müssinger in jenes Kloster zu treten.«

»Abscheulich!«

»Und nicht zu bezweifeln. Luis verleumdete nicht und war selbst nach Cordova gereist. Die Überzeugung, daß weder Müssinger noch seine Tochter jemals wiederkehren würden, ihre Ansprüche zu behaupten, die Begierde nach den bedeutenden Summen des Testaments waren die Triebfedern, und die schwere Ordensregel hindert das arme Schlachtopfer der trügerischen Willkür auf ewige Zeiten, ihre Beschwerden öffentlich zu machen!«

»O! so hat auch diese, in den Netzen, die sie weben half, befangen, ihre Strafe gefunden!« sagte James, nachdenkend vor sich hinstarrend, »der Fluch, der diese Werkzeuge verfolgt, läßt in mir fast nicht die Hoffnung aufkommen: raubt mir fast den Mut, Euch mein verständiger Fernandez, nach der schönen Ines, der Tochter des abiponischen Oberhauptes zu befragen.«

»Ines? des Kaziken Tochter? Was führt Euch zu dieser Frage?«

»Ich bin des Einsiedlerlebens zu St. Sebastian müde geworden. Dort habe ich kein Herz gefunden, mit dem ich, was das Schicksal mir gab, teilen möchte. In Paraguay hat mir einst von Glück geträumt – von einem Glücke, das ich schnöde abgewiesen, um eines Schattens willen, der zerfloß; um einer Hoffnung willen, die entschwand. Freund, ich will offen gegen Sie sein, mich redlich aussprechen, Misinga-Ines hat mich einst geliebt, mir's gestanden. Das Andenken ihrer Unschuld, ihrer liebenswürdigen Neigung, ist lebendig vor mich hingetreten. Wie mich einst, durch rätselhaften Traum verkündet, das Bild der Versagenden in die Gebirge lockte, weit von der Gewährenden weg, so zog mich jetzo das Bild dieses holden Indianerkindes über Berg und Tal, Strom und Savanne. Hier soll ich es finden. In Eurem Hause soll ich seinen Aufenthalt erfahren. O sagt ihn mir. Bei Ines allein kann mein Herz gesunden; das wunde an einem liebenden. Zu ihren Füßen will ich die Güter des Lebens niederlegen, sie beschwören, mein eitles Glück mit mir zu genießen; ihr Gatte sein, von ihr beweint hinübergehen!«

Er hatte im Feuer der Rede Fernandez' Hand ergriffen, dessen Stirne sich verdüsterte, während sein offenes Auge eine bekümmerte Freundlichkeit aussprach. Langsam entzog der Spanier dem Bittenden die Hand, stand auf, schlug sinnend die Augen gegen die Decke, überlegte einen Moment, während James' Blicke bittend an den seinigen hingen, und sagte hierauf mit ernstem aber bewegtem Tone: »Kommen Sie mit mir, Sennor, ehe ich Ihnen antworte.«

James erschrak vor diesem Tone. »Sie sprechen wie ein schauerliches Orakel!« sagte er bange, »soll ich Ihnen zu einem Grabe folgen? zu den Wohnungen Ihrer Väter? Ach! der Mut des Soldaten besteht nicht vor solchem Anblicke!«

Statt einer Antwort winkte ihm Fernandez noch einmal, schweigend, zu folgen. Mit Anstrengung, mit ahnendem Widerwillen tat es der Kapitän. Sie gingen durch das Haus, nach einem reizenden Gebüsch, das den Hofraum begrenzte. An blühenden Algaroven und Mondblumen vorüber, traten sie vor eine stille dunkle Laube. Auf dem Rasensitz darin ruhte ein schöner als alle Blumen blühendes Weib. Es schlummerte, und an seiner Brust hing mit geschlossenen Augen ein lächelnder Säugling.

»Ines!« seufzte leise – denn seine Brust vermochte, zusammengeschnürt, keinen lauten Ton zu geben – der Kapitän und fuhr erbittert gegen sein Geschick, beschämt vor dem Glücklichen, zurück. »Mein Weib!« sagte Fernandez leise und schonend. Er wollte hingehen und die Schlummernde wecken. Mit Riesenkraft sich ermannend, riß ihn James von der Stelle weg, »Um aller Heiligen willen!« bat er außer sich, »haltet ein, Fernandez. Stört nicht ihren Frieden, mehrt nicht meinen Schmerz. Den offenen Augen dieses Engels müßte ich unterliegen. Nennt ihr meinen Namen nicht, damit sie glücklich sei. Ich bin fertig mit den Freuden der Erde. Lebt wohl! Hinaus in die Savannen, in die Felsgebirge, mit der Handvoll Staub, die zertreten werden mußte, um die Blumen fremden Doppelglücks zu treiben!«

Er schwang sich wie rasend, ohne auf Fernandez' Zureden zu hören, auf sein Roß, und die Diener hatten Mühe, dem Zurückeilenden zu folgen, so spornte er das Tier, so trug ihn der Wind. Die vor die Hütte tretenden Abiponer, der Tage ihrer wilden Kraft sich wohlgefällig erinnernd, priesen den unerschrockenen Reiter; er holte aber nicht ihr Lob, er sah nicht mehr die Gräber der Freunde, nicht mehr die Pracht der Felder, und wilder als die Tiere der Heide, die vor ihm stehen, ritt er mit dem Staubwirbel, mit den Wolken der Nacht um die Wette; aber, allenthalben auf seinem Rosse hinter ihm, saß der dunkle brennende Schmerz.

Der Pater Xaver Münzner an den Hochwolhlgebornen Herrn Baronet James White, Major unter dem 2. Milizen-Regimente zu St. Sebastian.

Aus dem Profeßhause, im Jahre 1738.

»Auf die Adresse gehört der Titel; in der Rede gebrauche ich ihn nicht bei dir, mein geliebter Sohn. Konnte doch der Majorrang dich meinem Herzen nicht näher bringen. Könnte ich dir doch mit dem demütigsten »Sie« nicht die Hälfte der Freude ausdrücken, die dein Brief in meine Einsamkeit brachte; oder den Dank dafür. Schreibe es daher meiner Nachlässigkeit, meiner Gleichgültigkeit nicht zu, daß diese Antwort erst nach mehreren Jahren erfolgt. Bis heute haben Zeit und Raum mich verhindert, mit dir zu reden; wovon in der Folge ein Mehreres. Zuerst von dir, mein Sohn! Ich habe Freude an dir, denn du dienst einem frommen Könige, der das Irdische geringer schätzt, als das Ewige, und, um ein vollkommener Salomo zu sein, nur mit dem heiligen Vater zu Rom mehr Frieden halten sollte. Du bist vom niedern Stande zu einem glänzenden heraufgestiegen, und die Würdigkeit ist in dir belohnt worden; freue dich dessen, denn in der Welt muß Macht und Ansehen sein, und dem Diener des Königs, wie dem Könige selbst, gebührt Ehrfurcht, so lange beide vor Gott wandeln, und nicht aus den Grenzen ihres Rechts treten; widrigenfalls sie natürlich und leider den ursprünglichen Rechten ihrer Untergebenen verfallen müssen. Das ist nicht von dir zu fürchten. Du bist gottgefällig, ein milder Herr. Woher also der Unfriede, der dich quält? Das Gefühl, so man Liebe zum Weibe nennt, ist freilich ein blindes, wie es auch bereits die Poeten und Bildner des Altertums in Figuren und Gedichten dargestellt haben; aber dein Alter, guter James, sollte schon ein hellsehendes sein. Wohl getan ist's, zu freien, sagt ein heiliger Mann, aber besser, es zu lassen. Zwecklose Liebe ist jedesmal sogar verwerflich. Danke dem Himmel, daß er dich von der Protestantin riß, sie hätte deine Seele verderbt; danke ihm, daß er die Indianerin dir nahm, denn sie verehrt den Heiland und die Mutter wie eine Götzendienerin, und kennet den ewigen Vater nicht. Ich kann auch nicht glauben, daß in der Tat dein Herz noch bluten sollte, ob dieser eingebildeten Wunden. Du bist zu vernünftig dazu, und es möchte nur ein Selbstbetrug sein, der dich mit Kummer beschwert. Ich halte dafür, daß diese Bekümmernis eine Buße sei, die dir der gnädige Vater auferlegte, weil du nicht getan nach seinem Befehl und deinem Versprechen. Du fühltest dich freilich nicht geschickt, in unsere Gesellschaft zu treten; ich selbst – bereuend gestehe ich's – redete dir zu einer Zeit das Wort, da ich in deinen Glauben mich verwickelt hatte und vor deinem Widerwillen schauderte. Ich armer einfältiger Mensch! Dem gereizten Herzen eines Jünglings ohne Ziel vertraute ich – nichttrauend der Macht und der Gnade unsers Erlösers, der auch das widerspenstigste – ja, das unwürdigste der Gefäße zu heiligen vermag. Gedenke Sauls, der ein Held des Glaubens wurde, nachdem er dessen Feind gewesen. Darum hat der Herr Plage über dich gesendet, die nur eine aufrichtige Reue haben kann, und die Lossprechung vom Gelübde, die dir, um der Buße willen, nicht der General unsers Ordens, nicht der heilige Vater zu Rom versagen werden. Gehe darüber mit dir zu Rate und meide den Stand der Ehe, damit du wenigstens in diesem Punkte dem Herrn geweiht bleibest. Du wirst dann den Frieden gewinnen. Deine Leiden führen mich von selbst auf das bewundernswerte Schicksal, das uns alle betroffen hat; auf die unerforschlichen Wege der Vorsehung. Auch der Leichtsinn der Lainez hat seinen Lohn gefunden, aber – wie aus allen Züchtigungen des Himmels das Heil erwächst, so wird auch sie in ihrer gottseligen Schwesterschaft daran nicht immer verzweifeln dürfen. Meine Seele endlich hat ausgelitten durch die Gnade des Höchsten und die Bemühungen eines würdigen Mitbruders, der mein Beichtvater geworden ist. Irrtum und Zweifel waren meine Verbrechen und die Ursachen meiner Schmerzen. Sieh, lieber James! Ich war ein lenksamer, gehorchender Mann bis zu der Stunde, da mich Gott und meiner würdigen Obern Wille zu einer Sendung berief, der meine Kräfte nicht gewachsen sein konnten, da ich vom Pfade abirrte. Ich bin nie gehässig gewesen; ich habe nie den Neid empfunden, nie eine Verfolgung angestiftet. Ein reines Wohlwollen für alle Menschen beseelte mich. Ich war – ein Fünfziger – noch ein gutmütiges Kind, aber ein schwaches. Der Schwester letzte Bitte zu erfüllen, nahm ich's über mich, den Senator und seine Tochter selig zu machen. Sie verdienten's, diese Menschen: aber mein Uebermut hat sie und mich verdorben. Was ich an ihnen zu tun begann, wagte ich für mich, zu meiner eigenen Zufriedenheit zu tun, und dieses war mein Vergehen gegen die Pflicht, nur für den Zweck des Allgemeinen zu arbeiten, nur im Sinne und zum Vorteil des Ganzen, der heiligen Gesellschaft, der ich angehöre, zu wirken. Daher alle folgende Uebel, mit denen uns der Herr heimsuchte, zu dessen größerer Ehre allein wir handeln sollen, den ich aber vergaß, um eigener Schöpfung Behagen zu finden. So wie ich tätig für mich selbst wurde, trat ich aus des Ordens Schranken, und mußte dann, wie ein aus seiner Bahn geworfener Stern, meinem Schicksale folgen. Das ist mir erst seit einigen Jahren klar geworden, da mein Irrtum geschwunden war, der in Europa schon begonnen, der sich in der Neuen Welt ausgewachsen. Ach, jene neue Welt war auf dem Punkte, mich gänzlich von der Mutter loszureißen. Jenem gefährlichen Boden entkeimt auch Gefahr für eine schwache Seele! Man glaubt, dort mit hellen Augen zu sehen, wie Gott die herrlichsten Gaben der Natur an Christen und Heiden spendet, gleichsam ohne Unterschied; wie der blindeste Götzendiener ruhig stirbt, wie nur der frömmste Diener des Herrn. Man gerät leicht in Versuchung, zu glauben, diese Unchristen möchten selig werden, wie wir; man möchte zweifeln an dem, was die Satzungen der Kirche sagen. Aber, indem man zweifelt, reißt uns schon der Strudel der Verderbnis mit fort, und, hätte mich nicht das Pflichtgefühl erhalten, auch ich wäre untergegangen. Von dem Senator fürchte ich dieses und wünsche, du könntest mir das Gegenteil berichten. Denke dir, wie schmerzlich es für mich sein müßte, den Mann, um dessen Seligkeit ich fast die meinige geopfert hätte, wieder versinken zu sehen! Und dennoch kann ich nichts anderes hoffen! Ich, das Werkzeug, wollte sein selbständiger Retter sein, und nur zu wahrscheinlich ist's, daß eben darum mein wichtiges Werk in Staub zerfallen muß, Justine – das vielleicht berufene und erwählt gewesene Mädchen – scheint verloren. Ihr Starrsinn hätte sich vielleicht unter die Gesetze der mildesten Kirche gebeugt; aber, verbunden mit dem Amerikaner Birsher, der – ein klares, aber kaltes Gestirn – seine Bahn zieht, gibt sie keine Hoffnung mehr! Wer weiß indessen, was die Zukunft verbirgt? Der Herr hat Justine, den Senator und Herrn Birsher großen Prüfungen unterworfen. Sie haben in Wildnissen die Entbehrung und Genügsamkeit kennen gelernt; sie haben unter wütenden Heiden die Nichtigkeit des Lebens eingesehen; sie haben Fassung und Geduld geübt; sie konnten bemerken, welchen Segen in barbarischen Regionen unsere ehrwürdige Kirche durch ihre ehrwürdigste Gesellschaft verbreitet. Ihrer heiligen Schutzengel Schuld ist's nicht, wenn dieser gute Same nicht in der Folge gute Früchte trägt. Manchmal, lieber James, ist mir zu Mute, als müßte ich übers Meer hinstiegen, wo sie, die Leute, die ich immer noch liebe, wohnen; als müßte ich, von der feurigen Apostelzunge entflammt, zu ihnen reden, sie überzeugen ...! aber – Gott will es nicht, meinem früheren Uebermute zur gerechten Strafe. Ich beuge mich daher seinem Willen, und würde, wäre ich selbst ein kleiner Vogel, nicht durch die Stäbe meiner Fenster entfliehen! Ach, James, ich sehe jetzt erst, daß ich schrieb, was ich dir verheimlichen wollte, und was ich – vielleicht um in deinem Mitleiden zu schwelgen – nicht mehr ausstreichen mag. So wisse es denn: Sie haben mich gefangen gesetzt, und werden mich freilassen, wenn einmal der Provinzial es gut heißt. Sie haben mir bewiesen, daß ich die geheime Gemeinde und den Orden bloß gegeben; daß ich jenes Unternehmen zerstört, daß ich dich der Gesellschaft abwendig gemacht, daß ich pflichtwidrigen Gedanken und Worten Raum gegeben, daß ich dieselben verbreitet. Ich mußte endlich alles zugeben, und danke von Herzen meinen Vätern und Brüdern die milde christliche Strafe; sie konnten dem alten Sünder da« Kleid nehmen, und haben's nicht getan, sie konnten mich verstoßen, oder in einen feuchten Kerker, dunkel und schaurig, sperren, und sie haben mich behalten; ich sitze in einer warmen Zelle; leibliche Speise bringt mir der gute Litzach, der – Witwer und kinderlos geworden – unser Pförtner ist. Geistlichen Trost bereitet mir mein ehrwürdiger Beichtvater. Ich sehe freilich sonst keinen Menschen, aber dafür meinen innern; ich höre kaum etwas von der Welt, aber – ist's denn auch der Mühe wert? Während im Reiche Polen und Sachsen und Frankreich der Krieg brennt, wohne ich im stillsten Frieden, lese die Bücher geistlicher Autoren, die Lebensbeschreibungen der heiligen Märtyrer und unsrer Ordenslichter, und denke zuweilen über die Seele hinaus an dich und an Müssinger, dann an meine guten Eltern und die arme Klara über den Sternen, und endlich an die Zeit, da ich sie alle dort oben wiederfinden werde. Wenn ich meinen Beinen glaube, die – der gewohnten Bewegung ermangelnd – mir dann und wann den nötigsten Dienst versagen, so dürfte bald die Hülle fallen; noch schlägt jedoch das Herz gesund, und der Geist brennt hell genug, dein Bild vor meine trübem Augen zu bringen. Der Brief, den du mir durch den Kaufmann gesendet, hat, vermittelst des guten Litzachs, den Weg in meine Klausur gefunden; insgeheim; denn dazumal lebte der alte Superior noch, der mich zu meinem Heil unter der strengsten Aufsicht hielt. Dieser Brief war mein Labsal, meine tägliche Erquickung am Morgen und am Abend; du bist ja der einzige Mensch, der mich liebend mit der Außenwelt – ach, mit der fernsten – zusammenhält! Empfange daher auch liebend diese Zeilen, die mir, zu schreiben, der neue Superior – ein stiller Mann von vielem Kummer und Leiden – erlaubt und zu befördern versprochen hat. Vielleicht ist dieser Brief, an dem meine zitternde Hand schon eine Woche schreibt, mein letzter Pulsschlag an dich; verzeihe also dem alten Vater die weitschweifige Länge. Wenn ich jedoch noch tausend Worte hinzusetzen wollte, sie würden alle heißen: Sei glücklich! ich liebe dich! ich bete für dich!

Xaver.«


Dieses Schreiben eines nicht minder geliebten, einem grausamen Los verfallenen Mannes, der mit kindlicher Unbefangenheit und Hingebung sein Los duldete, es sogar, in blinder Pflicht versinkend, gerecht nannte, erschütterte im tiefsten Gefühle den Empfänger. Sich den Fesseln des Dienstes entreißend und den reinsten Sohnespflichten Gehör gebend, verließ James Brasilien, kam nach Lissabon, ging, mit Empfehlungen des Patriarchen versehen, nach Rom, erbettelte vom Jesuiten-General und vom Papste des Pflegevaters Freisprechung, brachte sie nach dem Profeßhause, wo der Unglückliche schmachtete. Er hatte schon ausgelitten. Er hatte sich, müde und getröstet im Glauben – in die Erde gelegt. James fand ein Vermächtnis vor, das ihm gehörte: das in den letzten Jahren viel durchlesene Brevier des Verstorbenen. Für den Senator hatte Xaver das wohlgetroffene Bild der verewigten Klara, das bisher an seinem Bette gehangen, bestimmt.

Dieses Bild gelangte – eine Aussaat von vielen Tränen – in die rechten Hände. Den Namen des Baronets und Oberstleutnants James White fand man später auf der Liste der in der Schlacht bei Culloden für den Prätendenten gefallenen Offiziere.

Ende.


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