Der Jesuit
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Vierter Abschnitt.

Die Unglücksprophetin. – Das Bild in der Kapsel. – Gewitter im Brautstande. – Der Magister. – Morgenbesuch bei der Braut. – Trauliche und böse Stunde. – Angst des Senators. – Er und seine bösen Engel. – Das schreckliche Billet. – Todesschrecken, übereiltes Versprechen; listige Hilfe. – Seelenverkauf, – Birsher und Nothhaft. – Hiobsposten. – Die Predigt mit Donner und Blitz. – Schande und Arrest. – Wundergleiche Rettung. – Die Lainez erscheint. – Der Turm von St. Paul. – Hoffnung durch den Freund, – Der Balsamhändler. – Zehn Uhr.

Das Leben im Hause des Senators hatte sich anders und besser gestaltet. In den Familienvater war die Spannung und Kraft zurückgekehrt, die auf einen bestimmten Zweck hinarbeitete: auf das Glück seines Kindes, auf seine eigene Beruhigung zugleich. Die Senatorin schien in die ehemalige Lebensweise zurückgetreten; apathisch wie vordem, allein der begonnenen Feindseligkeit gegen den Ehegatten entratend. Justine war zufrieden. Sie begriff, daß Georg Birsher, wenn sie ihn auch nicht mit jener Leidenschaft liebte, welche das Ziel jugendlichen Sehnens ist, nicht ermangeln würde, ihre billigen Ansprüche auf eheliches Glück zu erfüllen, und daß er geeignet sei, mit seinem besonnenen, ruhigen und klaren Wesen Hand in Hand mit ihr, der starken, nicht an Schwärmerei noch Idealen hängenden Jungfrau zu gehen. Ein Gedanke trug noch vieles zu ihrer Beruhigung und Zufriedenheit bei. Sie fühlte in ihrem Innern, daß sie sich als Opfer für irgend eine Ungerechtigkeit, die ihr Vater an dem alten Birsher begangen, hinzugeben habe; sie fühlte, daß der Senator mit Verlangen ihrer Verbindung entgegensah; er hatte von einer heiligen Schuld gesprochen und sie war stolz darauf, die Zahlerin derselben zu sein. Die Besuche, die ihr Herr Georg Tag für Tag zweimal abstattete, machten sie immer mehr und mehr mit den edeln Eigenschaften bekannt, deren sich sein Herz rühmen konnte, und wenngleich Schüchternheit und Konvenienz ihr verboten, dem Verlobten die volle Achtung zu zeigen, die sein Benehmen ihr abzwang, so entschädigte sie sich dafür in ihren Gesprächen mit der Lainez, die gutmütig und freundlich dem Lobe zuhörte, das die Braut dem Bräutigam spendete und ihr eine Teilnahme zeigte, welche die Mutter nicht äußerte, weil sie dieselbe nicht empfand. Unvermerkt nahmen indessen die Unterredungen eine andere Wendung. Die Lainez, obgleich die Verbindung mit dem Amerikaner höchlich billigend, stimmte allgemach das Lob des ungebundenen fessellosen Lebens an.

»Glauben Sie nicht,« sagte sie einst, da Justine sich mißbilligend dagegen ausgesprochen hatte, »daß ich den mindesten Zweifel wider den Beruf hege, den der gute Herr Birsher verspürt, Ihr Mann zu werden. Ich halte ihn für einen rechtschaffenen Mann; für denjenigen, der das Glück zu schätzen weiß, das ihm in Ihnen zu teil wird. Aber, beste Mademoiselle, erlauben Sie, daß meine Erfahrung Sie nicht ungewarnt lasse. Ich lebte in einer glücklichen Ehe, geliebt von einem jungen, schönen, mit Rang und Ehre begabten Manne; ich wurde von ihm auf den Händen getragen, aber dennoch fühlte ich oft recht schmerzlich den Verlust meiner Freiheit. Die Gattin, der Gewalt des Mannes unterworfen, darf keinen Schritt mehr nach ihrem Kopfe tun, denn die Männer haben die Gesetze gemacht. Die Frau bleibt vor den Augen der Welt nichts mehr und nichts weniger als eine leidige Zugabe des Gatten, der sie mit seiner Ehre bekleidet; eine trügende Sonne, die ihre Strahlen von dem Gestirne, woran sie geknüpft ist, entlehnt, und untergehen muß, sobald der Herrscherstern verlischt, oder ... was nicht selten geschieht, eine abweichende Bahn zu beschreiben für gut findet. Unvermählt, gibt Jugend und Schönheit uns einen Rang, auf welchen oft Fürstinnen neidisch herniedersehen; verheiratet, legen wir den Zepter der Reize nieder, um die Sklavin eines – wenn auch geliebten – Herrn, unsrer Wirtschaft, unserer Kinder, unsers Rufs zu werden, und in Dunkelheit ein Leben zu enden, das oft so reizend, so vielversprechend begann.«

»Ei, gute Frau, welche Reden?« sagte Justine verwundert und empfindlich, »Ihre Gedanken fliegen hoch. Ihre Prophezeiung soll aber an mir zuschanden werden. Halten Sie mich für das schwache Geschöpf, das sich unterjochen lassen, oder Herrn Birsher für den Mann, der solche Erniedrigung begehren würde? Wenn – verzeihen Sie mir – der Kapitän Lainez, gewohnt, anderthalbhundert Menschen mit Sack und Pack nach seinem Wort zu leiten, diese militärische Tyrannei in sein Hauswesen übertrug, so machen's die Herren vom Degen nicht anders. Ich soll jedoch die Frau eines friedlichen Kaufmanns werden, die Gefährtin seines Glücks, nicht die Magd seiner Bequemlichkeit, und, wenn die Wagschale einer gewissen Herrschaft auf eine Seite schwanken sollte, so müßte es die meinige sein; darauf gebe ich Ihnen mein Wort.«

Die Lainez lächelte, zuckte die Achseln. »Wir werden ja sehen!« sagte sie einsilbig. Justinen genügte dieses nicht.

»Sie sollen die Sache nicht unentschieden lassen,« sagte sie lebhaft, »Sie müssen sich mir gefangen geben oder mich gefangen nehmen. Mein Charakter ist leicht zu erkennen, zu ergründen. Glauben Sie etwa, er passe, trotz seiner Gewohnheit, alles durchzusetzen, unter das Joch, dessen Sie erwähnten?«

»Fürchten Sie sich vor einem härtern, unerträglichern,« entgegnete die Lainez hastig; »Sie gehen mit der Unbefangenheit, ich möchte sagen, Unbesonnenheit einer zuversichtlichen Jugend einem Bunde entgegen, zu welchem, wie Sie es auch leugnen wollen, das Herz, die Neigung, Sie nicht zieht. Sie werden blindlings die Frau eines Mannes, der Ihnen nicht mißfällt, den Sie aber auch nicht lieben. Diese Leidenschaft bleibt jedoch nicht aus. Wehe Ihnen, wenn in Ihr beschränktes, einförmiges Leben einst der Mann tritt, der Ihre Gefühle mit Siegelgewalt an sich reißt; der es versteht, Sie, die Unbewachte, zu bezwingen. Hätten Sie auch die Obergewalt in Ihrem Hause errungen, vor dem Fremdling müßten Sie dieselbe niederlegen!«

Justine sah, bis unter die Haare errötend, die Lainez starr und verwundert an, verzog dann spöttisch den Mund und erwiderte: »Sie sprechen Dinge aus, woran meine Seele bis jetzt noch nicht gedacht. Sollten auch diese zu Ihren Erfahrungen gehören? Sorgen Sie nicht für mich, die Ehre ist der Harnisch, der mich gegen den Versucher wappnen soll.«

Die Witwe verstand sehr wohl die rauhe Antwort; sie erhob sich schnell und gekränkt von ihrem Stuhle, schob die Arbeit von sich und trat ans Fenster, Justinen stumm und beleidigt den Rücken kehrend.

Das Mädchen bemerkte, schnell bereuend, den Eindruck, den seine Worte gemacht. Es näherte sich – den Vorwurf fühlend, einen unglücklichen Gast gekränkt zu haben– der Französin. Zaudernd überlegte Justine, wie sie wohl die Verletzte anzureden habe; da gewahrte sie, an dem Stuhle der Lainez niederbückend, ein Papier, das der Aufstehenden entfallen war. Sie hob es auf, trat zu der Witwe und sagte ihr freundlich-ernst: »Hegen Sie keinen Groll gegen mich. Ich bedenke nicht lange, was ich sagen will. Es tat mir aber leid, Ihnen so unsanft geantwortet zu haben. Vergeben Sie und nehmen Sie Ihren Platz wieder, wie dieses Papier, das Sie verloren,«

»Sie sind ein heftiges, liebes Kind,« entgegnete die Lainez und wendete die Augen voll Tränen der Reuigen zu, »wer wollte Ihnen nicht vergeben?« Sie umarmte dabei Justine und drückte, zum erstenmal, Küsse auf die Stirne, die Augen und den Mund de« Mädchens, die wie Flammen brannten und Flammen auf Justinens Antlitz riefen. Dann fuhr die Französin, ruhig werdend, zu der Erröteten fort: »Es ist möglich, meine liebliche Freundin, daß ich mich, von Besorgnis für Ihr Wohl ergriffen, mancher Ausdrücke bedient habe, die Sie auf den Argwohn führen konnten; es sei mir darum zu tun, Ihren Geist, Ihr Herz in Unruhe zu versetzen und gewissermaßen den Versucher selbst zu spielen. Verbannen Sie dieses Mißtrauen! Glauben Sie an meine harmlose Zuneigung. Dieses Papier, das Sie mir reichen, das mir entfiel, führt den Beweis für mich. Es ruht seit vorgestern in meiner Tasche und ich zeigte es Ihnen nicht, um Ihre Ruhe nicht zu erschüttern. Jetzt aber, da der Zufall es in Ihre Hände gegeben, da ich nun weiß, wie fest Ihre Entschlüsse stehen, mögen Sie es eröffnen, und sich von meiner Diskretion überzeugen.«

Justine tat neugierig und gespannt, wie ihr die Lainez hieß. Bekannte Schriftzüge. Sie las dieselben. Ihre Hand zitterte, aber ihr Auge, verräterischer vielleicht, als ihre Hand, wich nicht von der Schrift, bis sie zu Ende war. James, der aus Justinens Nähe verwiesene James schrieb: »Wie auch immer Ihre Gesinnung, Madame, sich gegen mich entschieden, ich sende Ihnen diese Zeilen: Saatkörner, die auf ein wirtliches Feld fallen mögen, wenn Gott es will. Sie leben, wie ich höre, bei Ihr! Sie wohnen in dem Paradiese, aus dem mich leichte Schuld und eine allzustrenge Tugend verbannt hat! Sie atmen Himmelsluft und ich erstickenden Nebel, der mein Glück mit dem Trauerflor eines ewigen Scheidens bedeckt. Wollen Sie, die Reiche im Schoß der Seligkeit, dem Armen in dem Gefühle der Verzweiflung einen kühlenden Tropfen versagen, daß seine brennende Lippe sich labe? eine einzige Wohltat, die Ihnen nur ein Wort der Fürsprache vor dem Throne der Gnade kostet? Madame, Sie retten mich vom zeitlichen, wie vom ewigen Tode, wenn Sie mir mit einer Silbe sagen, daß Sie mir vergibt!«

Justine legte das Blatt auf den Tisch, zog ihr Schnupftuch hervor und ging schnell in das Kabinett. Nach einigen Augenblicken kehrte sie wieder; sie hatte geweint, aber die Träne getrocknet; ihre Wange war blaß, aber ihr Gang sicher. Sie sagte zu der Lainez: »Nehmen Sie diesen Brief wieder zu sich und erlauben Sie mir, Ihnen zu bemerken, daß Sie hart und grausam handelten, indem Sie mir den Brief nicht mitteilten. Was besorgten Sie für mich? Meine Brust ist ruhig, völlig ruhig! ich versichere es Ihnen. Aber das Gehirn des jungen Schwärmers, der von seiner trügerischen Gelassenheit völlig Abschied genommen zu haben scheint ... welche Marter hat er vielleicht in den paar Tagen ausgestanden – eine Antwort ersehnend und keine erhaltend? Schreiben Sie ihm, gewissenhafte Frau. Sagen Sie ihm, daß ich versöhnlich bin unter der Bedingung, daß er vernünftig sei, und ferner rechtschaffen handle.«

»Sie sind ein Engel!« erwiderte die Lainez mit vielem Aufwand von Affekt, »ich wagte nicht, hier Fürsprecherin zu sein, und nun ... ja wahrlich, mein Brief wird Balsam für den Armen sein. Gut indessen, daß er – wie die Sachen abgeredet sind – nicht erfahren kann, daß und wie bald schon Sie sich vermählen. Welch ein Sturm auf seine heftigen Gefühle! Vernimmt er die Nachricht, nachdem sich bereits alles begeben, wird er sie leichter tragen. Denn was einmal geschehen ...«

»Ich verstehe Sie nicht,« unterbrach sie Justine, die Augen starr auf die Arbeit geheftet, »Sie reden wieder in Rätseln.«

»Ei, Mademoiselle,« versicherte die Lainez lustig, »Ihr Scharfsinn und Ihre Weiblichkeit wären mir ein Rätsel, wenn Sie nicht erraten hätten, daß der junge Mann sterblich in Sie verliebt ist.«

»Madame Lainez!«

»Mademoiselle Müssinger! Sie werden abermals heftig und ungerecht. Ich will lieber schweigen.«

»Was halten Sie von Monsieur White?« fragte Justine nach einer langen Pause, »Sie kennen ihn, glaube ich, genauer.«

»Wie Elias seine Verfolger in der Wüste. Er war mein Wohltäter! kam und ging, je nachdem sein Pflegevater meiner Armut gedachte.«

»Diesen Pflegevater,« nahm Justine schnell das Wort auf, »diesen Pflegevater – Sie kennen ihn?«

»Ich habe ihn nie gesehen.«

»Er war neulich ein Gast meines Vaters; der Doktor mit der großen Perücke war's.«

»So? hätte ich das gewußt! Und der edle Mann, der doch meinen Namen hörte, verriet sich gegen mich mit keiner Silbe ...!«

»Das war sehr männlich und gut. Ich gäbe jedoch etwas darum, könnte ich von dem Doktor etwas Näheres erfahren.«

»Welche Teilnahme! Wenn Sie es wünschen, so soll Herr White uns morgen schon die nächste Auskunft geben.«

»Welch ein Gedanke! Monsieur White wäre der letzte, den ich zu diesem Zwecke auffordern würde.«

»Ihre Gründe?«

»Mein Geheimnis.«

»Ich bescheide mich. Wenn Sie jedoch an der Bereitwilligkeit des jungen Herrn zweifeln sollten, so bürge ich Ihnen, diesem Briefe zufolge, dafür. Aus diesen Zeilen spricht viel Hingebung. Ich bin überzeugt, Ihnen zu Gefallen würde er sich den Pfeilen einer amerikanischen Horde mit so vielem Mute aussetzen, als der heilige Sebastian es tat, um den Himmel zu gewinnen.«

»Welch ein Gleichnis! Madame, Ihre Scherze sind stumpfe Pfeile.«

»Eine Braut findet alles langweilig. Uebrigens, meine gute Dame, werde ich wohl meinen armen Sebastian und die wunderschöne verlassene Pulcheria nimmer zu sehen bekommen? Finden Sie Geschmack daran, meine Bilder zu behalten?«

»Warum nicht gar?« versetzte Justine ein bißchen verlegen, »ich muß gestehen, daß ich das Medaillon gänzlich vergessen habe.«

»Geben Sie es mir zurück,«

Justine suchte verlegen in den Taschen. »Ich habe den Schlüssel zu meinem Schranke verlegt. Ich werde ihn holen.«

Die Lainez lächelte. »Recht, meine Liebe,« sagte sie, »bringen Sie nur zugleich das Bild mit. Ich will Ihnen sagen, wo es sich befindet. Sie haben es zwischen Myrten aufgestellt und ihm ein liebliches Tempelchen hergerichtet; traulich, ungestört, denn Mama und Papa lieben die Blumen nicht sonderlich, und der Wärterin dieser Sommertöchter ist es unverwehrt, dort im sichern Versteck ihren stillen Gottesdienst zu halten.«

»Abscheulich!« rief Justine, »bin ich eine Götzendienern? Auf der Stelle sollen Sie das Bild haben, das ich in der Tat an jenem Platze vergessen habe.« Sie eilte rasch davon und brachte etwas verdrießlich und gereizt das Medaillon.

»Hier, Madame, haben Sie Ihr Pfand zurück.«

Die Lainez nahm es gleichmütig und ging damit zu einem Kästchen, das ihre Papiere und einige aus dem Sturme ihrer Verhältnisse gerettete Angedenken einer bessern Zeit enthielt und öffnete es. Während sie ein Futteral hervorholte, in welches sie das Medaillon verschloß und dasselbe in die Schatulle niederlegte, sagte sie scherzend: »Es ist gleichwohl besser gewesen, daß dieses Bild unter jenen Myrtensträuchern und nicht an Ihrem Busen vergessen wurde, Mademoiselle.«

»Wieso?«

»Hm! Es soll eine Eigenschaft besitzen, die ...«

»Und welche?«

»Die alle diejenigen, welche das Bild tragen, zwingt, katholisch zu werden, oder es zu bleiben.«

»Welche Posse!«

»In der Kapsel liegt eine Reliquie des heiligen Kreuzes. Diese mag das Wunder wohl bewerkstelligen. Aber die Wirkung soll unleugbar sein. Darum wird es,« setzte die Lainez ernsthafter hinzu, »besser sein, wenn ich das Zauberbild nicht mehr am Halse trage. Es möchte sonst aus meiner Bekehrung zu Liebkirchen nichts werden.«

»Sie sprechen etwas leichtfertig von der Wohltat, wozu ich Ihnen verhelfen will, meine Schutzbefohlene. Um Sie von dem Aberglauben, wovon Sie sprachen, zu heilen, wollte ich wohl dieses Bild auf meiner Brust tragen, so lange Sie es begehren, ohne von dem törichten Schwindel ergriffen zu werden, dessen Sie erwähnten.«

»Es käme auf die Probe an,« sagte die Lainez leichtsinnig, »hier ist das Bild,« sie nahm es aus dem Kästchen, »samt der geweihten Kapsel. Getrauen Sie sich, das übermütige Wort zu bewähren?«

»Geben Sie her!« erwiderte Justine ebenso leichtsinnig und trotzig, »ich verspreche Ihnen sogar, nicht einmal die Kapsel zu öffnen, und die Wunderkraft der Reliquie, wie die Neugierde zumal zu besiegen; ein doppelter Triumph, der Sie von meiner Ausdauer überzeugen soll!«

»Recht so, meine kleine Heldin!« rief die Lainez und hing dem Mädchen das Bild um den Hals. »So reizend sich nun wohl dieses rabenschwarze Samtband auf dem prachtvollen Nacken ausnimmt,« setzte die Schmeichlerin scherzend hinzu, »so wollen wir das Medaillon samt Band doch sorgfältig unter dem Schleiertuche des Mieders verstecken. Mama könnte neugierig und ungehalten werden – erführe sie den Scherz!«

Justine gab ihr recht und ließ die Witwe gewähren. Der bald darauf eintretende Bräutigam unterbrach das fernere Gespräch über obigen Gegenstand.

Die Lainez, um die Unterhaltung der Brautleute nicht zu stören, ging aus, und nach und nach versammelten sich der Senator und seine Frau in Justinens Stube. Die Mama belobte die feine Arbeit der Französin, die Geschicklichkeit, mit welcher dieselbe die Spitzengarnitur angebracht; der Vater pries die stille Anspruchslosigkeit der neuen Hausgenossin; Georg schüttelte jedoch den Kopf und sagte: »Die Unglückliche, Heimatlose verdient mein Mitleid und meine Achtung. Mir ist es jedoch angenehmer, daß sie nach Berlin zieht, während ich und Justine nach Amerika ziehen. Französische Nachbarschaft tut weder der Deutschen noch dem Engländer in die Länge gut. Mich freut es indessen, bei dieser Gelegenheit die Herzensgüte meiner tugendsamen Braut kennen gelernt zu haben. Wer sich so freundlich einer Fremden, Hilfsbedürftigen anzuschließen versteht, wird den Verwandten nimmer fremd werden, den Gatten stets lieben, die Kinder stets sorglich pflegen. Ich billige es auch sehr, daß Sie, Herr und Frau Senatorin, diesem Hang zum Wohltun keinen Zwang entgegensetzten.«

»Sie ist das einzige Kind,« sagte der Senator lächelnd.

»Sie tut immer, was sie will,« fügte Jakobine langweilig hinzu, »wir sind es schon an ihr gewöhnt und es wäre nicht mit ihr auszukommen gewesen, hätten wir nicht die Landstreicherin, von der niemand das geringste weiß, im Hause geduldet. Freilich hat die Syndikussin sie empfohlen, wie das Töchterchen sagt, aber ihr Köpfchen hätte der Empfehlung nicht bedurft.«

Die Senatorin schwieg, von der langen Rede erschöpft, und alle schwiegen mit ihr. Justine grollte über die ihr zugefügte Beschämung! der Senator über die geringe Lebensart seiner Frau; Georg überlegte und sinnend ruhte sein Auge auf Justinen.

»Sind Sie so herrschsüchtig?« fragte er plötzlich und legte seine Hand auf Justinens arbeitende Rechte, »spricht Ihre Mutter wahr?«

»Monsieur ...« stammelte Justine nach einer Antwort suchend.

»O gewiß,« fuhr Georg offenherzig fort, »gewiß scherzte Ihre Mutter nur. In diesen Augen, in diesem Gesicht, das nur Ruhe und Festigkeit ausdrückt, suche ich vergebens nach Trotz und Eigensinn. Nachgiebigkeit und Sanftmut schmücken ja die Frau. Durch diese Eigenschaften regiert sie den Mann und erhält ihre Reize.«

»Sie predigen frühzeitig, mein Herr!« versetzte Justine, ihn scharf von der Seite anblickend.

»Man verständigt sich nie früh genug,« sagte er hierauf ohne Heftigkeit, »es ist besser, sich zuvor zu kennen. Unser Brautstand ist kurz, wir können ihm nicht vertrauen. Wir sind riskierende Kaufleute, schließen einen Handel auf Treu und Glauben, ohne Assekuranz. Sein Sie daher offenherzig, wie ich, meine Liebe. Despotismus in der Ehe werde ich nicht tragen, der Launen Knecht nicht sein. Ich biete Ihnen keine Eisenketten. Wollen Sie mich damit binden? Sagen Sie mir's, damit wir beide unser Glück und unsere Freiheit retten.«

»Sie führen seltsame Diskurse, worauf ich nicht antworten kann,« antwortete Justine sehr spitzig, erhob sich und verließ mit ihrer Arbeit das Zimmer.

Georg sah die Zurückbleibenden verdüstert und fragend an. Die Eltern schlugen beschämt die Augen nieder. »Sehen Sie, mein Wertester,« begann der Senator sich räuspernd, »das Frauenzimmer ist hierzulande der Galanterien, die von den Welschen kommen, mehr gewöhnt, als der amerikanischen Freimütigkeit. Ich möchte Ew. Edeln nicht das Konsilium geben, auf dem durchgreifenden Tone zu beharren, sintemalen das Kind noch in der Welt so fremd und unerfahren...«

»Ich merke wohl, wo es hier fehlt,« sagte Birsher lächelnd, »es tut jedoch nichts, wenn nur das Herz gesund und gutgeartet ist. Sie wird sich an meiner Fassung, an meiner Aufrichtigkeit ein Beispiel nehmen, und alsdann die Härten mildern, die ihr noch aus der früheren Jugend ankleben. Könnte ich das Gegenteil voraussehen, so würde ich es, so weh mir es täte, vorziehen, Ihnen, Herr Senator, Ihr Wort zurückzugeben.«

Der Senator erschrak. »Ew. Edeln Scherzen wohl,« sagte er, von dem Gewissen angeregt.

»I nu,« entgegnete Georg lächelnd, »wer weiß, ob Justine mir da« meinige nicht zurückzugeben gedenkt. Das arme Kind ging sehr böse von hier, und scheint eine hartnäckige Feindin zu sein, wenn sie den Krieg erklärte.«

Der Senator war verlegen. Die Senatorin versetzte jedoch sehr ruhig und treffend: »Sorgen Sie nicht, geehrter Herr Schwiegersohn. Justine ging nicht, ohne das Brautmieder, woran sie arbeitet, mit sich zu nehmen. Mit diesem beschäftigt, ist's dem Mädchen mit dem Groll nicht ernst.«

»Sie beruhigen mich, geehrteste Frau,« sagte Birsher, »ich hoffe wieder, will aber, da ich das Scharwenzeln um die Jungfern nicht leiden kann, auf morgen die Versöhnung verschieben.«

Ein Weibel des Rats erschien und überbrachte dem Senator die Weisung, am folgenden Tage Punkt neun Uhr auf dem Rathause zu erscheinen.

»Ist denn morgen eine außerordentliche Sitzung?« fragte Müssinger verwundert, »warum eine Stunde früher, als sonst?«

»Der wohlehrsame und weise Herr Senator sollen zuvor vor Sr. Magnifizenz dem amtierenden Herrn Bürgermeister privatim vernommen werden,« lautete die Antwort des abgehenden Ratsboten. Der Senator schwieg sinnend und staunend; die Senatorin wurde bald bleich, bald rot und sah ihren Mann scheu von der Seite an. Georg sah sich hier überflüssig und empfahl sich, nicht minder gedankenvoll.

Er begab sich nach seinem Gasthofe zurück. Die Reden der Senatorin, das Betragen der Braut hatten auf den geraden Mann einen gefährlichen Eindruck gemacht. Das Ideal häuslicher Glückseligkeit, das er sich in einsamen Stunden entworfen, das er an Justinens Seite zu finden gehofft, schien ihm Plötzlich eben nur Ideal zu sein und zu bleiben. So manche schielende Bemerkung, die er aus dem Munde der Gastwirtin über Justine sowohl, als das Hauswesen des Senators überhaupt vernommen und bis jetzt überhört, gewann mit einem Male Gewicht und Bedeutung. Ein schmeichelnder Traum, der seine Sinne und sein Urteil umzogen, fiel stückweis vor ihm, der zu erwachen vermeinte, zusammen. In großen Mißmut versunken, betrat er sein Zimmer und suchte an seinem Fenster, das die Aussicht auf die vom Abendstrahl beleuchtete unferne Promenade mit ihren Spaziergängern gewährte, Unterhaltung, Zerstreuung. Ein leises Klopfen an der Türe erregte seine Aufmerksamkeit, zog ihn von der Aussicht ab. Auf sein »Herein!« kam demütig grüßend und gebückt ein ältlicher Mann mit kummervollen Zügen, in schwarzen Kleidern, mit einem schüchternen »Guten Abend mein Herr!« in das Zimmer.

Georg hatte nicht so bald den unbekannten Besuch mit dem Blicke gemessen, als er auch in ihm einen jener reduzierten Schullehrer oder grau gewordenen vazierenden Kandidaten zu sehen glaubte, die dazumal häufig von Stadt zu Stadt wandelten, ein ärmlich Stück Brot suchten, und sowohl auf den Kanzleien, bei Pfarrern und Gutsbesitzern, als auch in Gasthäusern bei wohlhabenden Fremden ein Matikum zu erbetteln pflegten. Der Amerikaner, dem ähnliche Figuren bereits in Deutschland vorgekommen waren, griff mitleidig in die Westentasche. Der Fremde verstand diese Gebärde und eine versagende Bewegung seines Kopfes und seiner Hand verriet dem Freigebigen, daß es hier auf seine Geldwohltat nicht abgesehen sei. Er ließ daher die milde Hand sinken und fragte artig und zuvorkommend, was denn wohl zu den Diensten des Schwarzgekleideten stehe. Der Mann richtete sich besser empor, trat näher und fragte mit einer sehr weichen Stimme entgegen, ob er die Ehre habe, mit Herrn Georg Birsher von Neuyork zu sprechen.

»Ich bin's, Herr. Ihr Anliegen ...?«

»Ist lediglich ein Anliegen, das sich an Ihre Großmut richtet. Ich frage nicht nach Ihrem Gelde, mein Herr; ich erkundige mich nur nach Ihrem Herzen.«

Birsher staunte und wies dem Fremden einen Sessel, Der Mann setzte sich und fuhr fort: »Man hat Sie als einen wackern, streng rechtlichen Herrn geschildert, der wenig Worte zu machen, aber desto mehr zu handeln pflegt. Da habe ich den Mut gefaßt, Sie auf die Probe zu stellen,«

»Sonderbar! Wieso?«

»Ich befand mich gestern zu Liebkirchen, wohne eigentlich zu Faldern und habe den Herrn Pfarrer und Inspektor in ersterem Orte besucht. Se. Ehrwürden, die gerne lustig und guter Dinge sind, und einen frohen Schmaus so sehr lieben, als es sich mit Ihrer Würde verträgt, sagten zu mir: Magister, wenn Sie sich bene tun wollen, so kommen Sie nächsten Dienstag, Es gibt hier eine Kopulation, die sich fideliter endigen wird. Der Bräutigam ist reich, der Brautvater nicht minder und lustig obendrein. Ein splendides Carmen von Ihrer Hand würde seinen Zweck nicht verfehlen, und Ihnen silberne Früchte und Wein und Kuchen nach Herzenslust eintragen. Sie wissen vielleicht, mein Herr, daß wir stellenlose Magister unser Zeitliches sauer und schmal zu verdienen haben, und daher Hochzeiten und Kindtaufen nachziehen, wo sich solche auch begeben. Ich freute mich daher und fragte nach den Namen des verehrtesten Brautpaars, damit ich solche in dem Epithalam gebührenderweise einfließen lassen möchte. Da nannte mir der ehrwürdige Herr Inspektor die Namen: Herr Georg Birsher, Kauf- und Handelsmann aus Neuyork, und die tugendbelobte Jungfer Justine Müssingerin, des Kaufherrn und Senators eheliche Tochter allhier. Ich stutzte zwar, verbarg jedoch dem Herrn Pfarrer mein Erstaunen, habe mich indessen eiligst auf den Weg gemacht, um, Verehrtester, aus Ihrem Munde zu hören, ob sich wirklich die Sache also verhalte.«

»Der Herr Pfarrer, auch Inspektor, ist ein Schwätzer, Herr Magister, Er sollte nicht Plaudern. Da Sie jedoch einmal unterrichtet sind, so mag ich's nicht leugnen, unter der Bedingung, daß Sie verschwiegener sind und ein recht fröhliches Hochzeitslied liefern. Sie sollen dann zufrieden sein.«

»Zufrieden?« sagte der Magister, indem er seufzend und mit gefurchter Stirne aufstand, »wie kann ich lächeln, da ich traurig bin? heißt es in irgend einem Psalm. Zu dieser Kopulation kann ich kein Hochzeitcarmen fertigen.«

»So? Und warum nicht, wenn's beliebt?«

»Ich will lieber ein Leichengedicht machen und einen Sarg bestellen.«

»Herr! Sie sind ohne Zweifel im Kopfe nicht gesund.«

»Doch, doch, Verehrtester. Allein ein Mensch, der mir nahe angehört, steht am Rande des Wahnsinns, am Rande des Grabes! und er taumelt hinein, sobald der Inspektor zu Ihrer Trauung läuten läßt.«

Dem Bräutigam wurde immer unheimlicher zu Mute. Er starte den seltsamen Magister an, rieb sich die Hände, faßte sich nun gewaltsam und versetzte: »Erklären Sie sich, Herr. Ich bin kein Kind, sondern ein Mann, mit dem sich das ernsteste Wort deutlich und ohne Umschweif reden läßt. Von welchem Menschen sprechen Sie, und welchen Bezug hat meine Ehe auf denselben?«

»So hören Sie. Mein ehemaliger Zögling, der junge hoffnungsvolle Mann, ein Engländer von Geburt, ein Baronet, unglücklich, aber brav, liebt – liebt Dero Jungfer Braut.«

»So?« das tut mir leid um meines Landsmanns willen. Er lasse sich indessen die Torheit vergehen. Wo nicht Ansprüche sind, gilt die einseitige Leidenschaft nichts.«

»Keine Ansprüche? Ach, er hat die gültigsten; denn Jungfer Justine hat ihm ihr Herz geschenkt.«

»Herr!« fuhr Georg auf.

»Er war ihr Lehrer; Amor mischte sich in« Spiel. Ein Verständnis erwuchs. Der Vater schlug es nieder. Daher ohne Zweifel das Geheimnis, worein er diese Hochzeit verschleiern will.«

»Wahrlich; ich besinne mich, von einem jungen Engländer gehört zu haben, aber – Justinens Unbefangenheit...«

»Ihre Neigung unterwarf sich dem strengen Willen des Herrn Senators. Es ist aber nur Asche über die Glut gedeckt. In der letzten Zusammenkunft der jungen Leute ...«

»Zusammenkünfte? Schöne Entdeckungen!«

»Sollte Abschied genommen werden, aber Jungfer Justine wollte nichts davon wissen. Sie ermutigte meinen James, ihr binnen einer gewissen Zeit nach Amerika zu folgen,«

»Wahrhaftig?«

»Dieser Vorschlag war der eines heftigen unbesonnenen Mädchens. Mein Zögling verwarf ihn. Glaubst du,« sagte er, »daß ich einen Landsmann, einen wackern Herrn, wie Herr Birsher ist, hintergehen möchte? Lieber sterbe ich, hier zurückbleibend, vor Gram.«

»Sieh doch! Der Landsmann hat mehr Ehrgefühl, als die Jungfer Braut.«

»Die Jungfer bereute auch alsbald, und weinte, und letzte sich mit dem Freunde. Ich wußte von allem nichts. Der Jüngling hatte mir alles verschwiegen. Seine Liebe hatte ich jedoch gemerkt. Darum kam ich zur Stadt, zu erfahren, ob er wohl wisse, was sich zu Liebkirchen begeben solle. Da gestand er mir alles, und weinte und verzweifelte, und ich fürchte, er tut sich ein Leids.«

»Nein, nein! das soll der Landsmann nicht. Was wollten Sie aber eigentlich bei mir?«

»Ich komme ohne Vorwissen meines James. Ich wollte Ihnen alles entdecken und Ihre Großmut fragen, ob sie es über sich gewinnen kann, zwei Menschen unglücklich zu machen, die sich lieben? ein kaltes Herz an sich zu binden?«

»Wahrlich! das will und werde ich nicht. Eine heuchelnde Gattin, die sich nach einem fernen Freunde sehnt? Nimmermehr. Einen Nebenbuhler, der sich eine Kugel vor den Kopf schießt, und meine Frau zur Grube welken macht? Gott behüte mich vor solchem Verdruß und Jammer!«

»Gott lohne Ihnen diesen Entschluß!« rief der Magister gefühlvoll und führte ihn an das Fenster, »sehen Sie auf jener Bank den blassen jungen Mann, der tiefsinnig vor sich niedersieht? Er ahnt nicht, daß hier von ihm geredet wird, aber da« tiefe Weh, das seine Brust empfindet, läßt ihn auch alles um ihn her vergessen. Da« ist James. Ueber sein Leben haben Sie nun zu entscheiden.«

»Ein ansprechendes Gesicht!« versetzte Georg, mitleidig herniederblickend, »wenn ich nun aber Ihrer Zuversicht auf meine Rechtlichkeit entspreche und dem Glück, das ich geträumt, entsage? was wird es dem jungen Unbemittelten nützen? der Senator wird nicht zu bewegen sein.«

»Was wäre der ausdauernden Liebe unmöglich?« fragte der Magister, »sie bändigt Löwenbrut; warum nicht ein zur glücklichen Stunde überraschtes Vaterherz?«

»Ei, Herr Magister! Sie scheinen die Liebe studiert zu haben!« sagte Georg Birsher gedankenvoll lächelnd, »Ihre Beredsamkeit überzeugt jedoch den soliden Geschäftsmann nicht. Wo ist die Kaution für Ihre Aussage? Sie sind der Magister...«

»Liebhold aus Faldern.«

»Ganz recht. Ihr Zögling ist in meine Braut verliebt. Woher der Beweis, daß ihn meine Braut wieder liebt? Frage ich gerade und offen wie ein Mann, so errötet sie wohl und leugnet nachher, des Vaters Zorn fürchtend, in den sie sich gehorsam gefügt. Der Vater wird mir, rede ich mit ihm, die Sache als eine jugendliche Torheit schildern, und ich führe mißtrauisch, aber dennoch beim Wort gehalten, einen trügerischen Handel aus. Von der andern Seite kann aber alles nur Trug sein. Man hat schon eine gewisse Komödie auf meine und eines Verstorbenen Rechnung versucht. Wer weiß, ob Sie, Herr Magister, nicht ein Fuchs sind, der mich irre leiten soll? der Urheber eines neuen Possenspiels, mir Lust und Neigung zur Ehe zu rauben?«

Der Magister bückte sich ergebenst. »Ich habe wie ein Mensch zum Menschen gesprochen,« sagte er mit dem Ausdruck tiefer Resignation, »mein Stand erlaubt mir nicht, öffentlich als Ehestörer aufzutreten. Ich hätte die Rache des Senators zu fürchten und bin ein alter Mann, der den Rest seiner Jahre in Frieden zuzubringen wünscht. Meine Worte sind Ihnen vielleicht verdächtig. Ein gültigerer Zeuge ist wohl das Bildnis des Geliebten, das Jungfer Justine behielt, das sie, wie mir James vertraut, noch auf ihrer Brust trägt, das sie geschworen hat, auch seiner zu tragen, so oft ...«

Es wurde dem Amerikaner heiß vor der Stirne. Er sprang auf, unterbrach den Redner heftig. »Sein Bildnis!« rief er, »Gott verzeihe mir die Sünde, bald wäre mir ein unbescheidenes Wort entschlüpft! O ja, Herr Magister! das ist ein unverwerflicher Zeuge; ich werde ihn ans Licht ziehen! ich werde sehen ... und ... finde ich's so, wie ich jetzo beinahe fürchte ... Sie sollen von mir hören. Gehen Sie aber jetzo, mein Herr, denn ich bin etwas aus dem Gleichmut getreten, der zu einer komfortabeln Konversation gehört. Auf Wiedersehen ... wann und wo Sie wollen!«

Er schob, ohne viele Umstände zu machen, den komplimentierenden Magister zur Türe hinaus und verriegelte diese hinter ihm. Ein stummer, aber heftig grollender Sturm bewegte seine sonst so ruhige Brust, und er mußte, zum erstenmal in seinem Leben, sich bittere Gewalt antun, um den Sturm zu beschwören. Er sah an diesem Abende keinen Menschen mehr und suchte vergebens den wohltätigen Schlaf. Der Morgen fand ihn jedoch wieder gelassener. Er machte sich Vorwürfe, seine Ruhe vergessen zu haben. Eine stille ahnungsvolle Wehmut stellte sich bei ihm ein, während sein der Ungewißheit und dem Zögern feindlicher Charakter ihn ermahnte, den quälenden Verdacht, den marternden Zweifel, gegen bare unverfälschte Münze umzusetzen. Er warf sich in die Kleider, er verließ das Haus, er suchte des Senators Wohnung auf, zu einer Zeit, die für einen Besuch nicht die gewöhnlichste war, denn die Glocke aus dem Rathause hatte kaum halb zehn Uhr geviertelt.

Er fand Justine allein, in einem reizenden Hausgewande. Die Braut, errötend vor der unerwarteten Ueberraschung, hatte kaum die Zeit, einen Blick in den Spiegel und ein seidenes Flortuch um den Busen zu werfen, der noch von keiner Schnürbrust beengt war. Ihre Locken fielen natürlich, unfrisiert um das Haupt. Das anliegende Gewand, günstiger als die steife Visitenrobe, zeigte die schönsten Formen. Die Flor-Enveloppe verhüllte nur schwach die schönen Arme, und schöner als je malte die Wange der Verlobten die Zufriedenheit, sich ohne künstlichen Schmuck, dem schmeichelarmen Spiegel gegenüber, schön zu wissen. Birshers Herz klopfte unruhig und sehnsuchtsvoll bei ihrem Anblicke; er hatte seine Vorsätze durcheinander geworfen. Streng wollte er sein und kalt, und wurde milder und wärmer als je. Justinens Gesicht sprach Sieg, aber auch zugleich die zarte Hoffnung, die Sanftmut einer milden Siegerin, Justine hätte dem frühen Besucher gezürnt, wäre sie sich nicht des gestrigen Unrechts bewußt gewesen. Sein wehmutsvolles Antlitz, nur leicht von Rosenschimmer überstrahlt, schien ihr die Leiden zu bekennen, die ihre Härte in ihm erzeugt. Sein frühes hastiges Erscheinen schmeichelte ihrem eiteln Stolze. So empfing sie ihn doppelt zauberisch, triumphierend und beschämt, vergebend und reuig; hoffärtig, also geliebt zu sein, und geneigt, liebend zu umfangen. Verlegen antwortete ihr Mund den verlegenen Entschuldigungen des Bräutigams. Sie schien seinen Mut tadeln zu wollen und bekannte fast, daß er ein Recht dazu habe. Noch nie hatte sie den Gedanken an das innigere Verhältnis von Verlobten so lebhaft aufgefaßt. Noch nie war ihr dieser Vorhimmel das glückliche Mittelding zwischen Fremd- und zu Bekanntsein klar geworden; und indem ihre Lippe lächelnd zürnte, verlobte sich erst und wurde erst bräutlich ihr Herz. Birsher hing, wohltuend erregt, an ihren Augen, die lebendiger glänzten als die Diamanten des Brautschmucks, der vor ihr auf dem Tische stand; in dessen Beschauung der Bräutigam die Braut gestört hatte.

»Ich hatte nicht gehofft, Sie mit diesem Gegenstande beschäftigt zu finden,« sagte der junge Mann leichter atmend, »Sie äußerten gestern unverdienten Groll gegen mich.«

»Sind Sie überzeugt, daß er unverdient gewesen,« erwiderte Justine gefällig und näherer Erläuterung feind, »so war er von meiner Seite ungerecht. Trauen Sie mir zu, daß ich es eingesehen, und sind Sie nun zufriedener?«

Birsher küßte entzückt ihre Fingerspitzen, und in den Hintergrund seiner Erinnerung waren Argwohn und Vorsatz zurückgetreten. »Dieser Empfang bürgt mir für mein künftig Glück,« sagte er freudig, »so zarte Versöhnung macht lüstern nach der veranlassenden Zwietracht. Hoffen auch Sie, beste Jungfer, mit mir glücklich zu werden?«

»Ich hoffe es,« antwortete Justine freundlich und reichte ihm ungeziert die weiche Hand, »nun aber keine Zweifelsfrage mehr. Ich glaube, daß vernünftige Leute sich in den Vortagen ihrer Ehe anders zu benehmen haben, als die Amanten in den Romanen gewöhnlich zu tun pflegen. Das Schäferleben und das Seufzen der Doris, und Corydons Klagen sind mir nicht angenehm, und Ihnen ebenfalls nicht sehr, mein werter Monsieur. Wir wollen uns demnach fein gescheit benehmen und den Anstand wahren. Erlauben Sie daher, daß ich Sie ersuche, einstweilen die Bilder an den Wänden zu betrachten, bis ich Ihnen in geschickterer Kleidung aufzuwarten die Ehre haben werde,«

Die Listige wollte wie ein glatter Aal entschlüpfen. Birsher hielt sie sanft auf. »Neidische Braut!« sagte er, »Sie wollen mir den schönsten Anblick rauben, dessen sich meine Augen jemals rühmen konnten? Tun Sie es nicht. Ich bin kein langweilig girrender Corydon und suchte nicht eine seufzende Doris, aber ich liebe das Ungezwungene trotz den Schäfern Arkadiens. Der steife Haarputz, die umfangreichen Damastkleider, die martervollen Korsetts, welche Ihnen die Mode aufzwingt, sind eben so viele Beleidigungen der Natur, die Ihnen ihre schönsten und seltensten Gaben nicht verweigert hat. Gewähren Sie daher Ihrem treuesten Freunde ein ferneres trauliches Beisammensein mit Ihnen, der Ungeschmückten, aber desto Reizendern!«

»Das schickt sich nicht!« hieß die Antwort der Widerstrebenden. Birsher ließ ihre Hand nicht los und bat, »so lassen Sie mich wenigstens die erste Hand an Ihren Schmuck legen. Vergönnen Sie, daß ich Sie ersuche, heute mir zuliebe diese Halskette, gleichsam zur Probe zu tragen. Erlauben Sie, daß ich selbst diesen schönen Nacken damit schmücken darf?«

»Ei, welche Zumutung!« versetzte Justine, und wickelte sich schamhaft in die Enveloppe. Birsher drang noch mehr auf die Erfüllung seiner Bitte und der gesetzte Mann bat diesmal so sanft, so dringend, so freundlich, daß es dem Mädchen vorkam, als müsse es dem liebenden Freunde nachgeben. Sittsam die Enveloppe um einen Zoll vom Kinn sinken lassend, neigte sie das Köpfchen, schloß errötend die Augen und lispelte: »Sie sind ein arger Schalk, werter Herr; indessen, damit Sie mir nicht böse werden ... meinetwegen!«

Georg ergriff freudig die blitzende Kette. Die blinzelnde Justine sah mit Entzücken, wie seine Hand zitterte, da sie das Schloß öffnete; schon berührte das kalte Gold, der eisige Diamant ihren zarten Hals. Das Flortuch sank tiefer und ein staunendes »Ha!« entfuhr Birshers Lippen.

»Was ist? Was haben Sie?«

»Sie tragen bereits einen Schmuck, dessen Stelle ich beneide!«

»Wieso?« Birsher zeigte auf das schwarze Samtband, das sich aus dem verhüllenden Tuche gestohlen. Justinens Wange wurde Purpur. »Lassen Sie den Schatz sehen, der sich solchen Vorzugs freuen darf ...«

»Mein Gott, nein!«

»Warum denn nicht?«

»Ich ... ich darf nicht ...«

Birsher heftete einen starren verdüsterten Blick auf Justine. Sie gewahrte es, aber – wie ein Blitz fuhr's durch ihr Herz; dem strengen Protestanten durfte sie, selbst im Scherze, das katholische Heiligenbild auf ihrer Brust nicht zeigen. Sie sträubte sich entschieden gegen sein Verlangen, es zu sehen. Er begehrte es freundlich, dann ernstlicher, dann mit kalter Bestimmtheit. »Nimmermehr!« rief sie, »Monsieur trauen mir zu, daß sich nichts Böses in diesem Medaillon befindet; aber ich bestehe nun einmal auf meinem Geheimnis!«

Mit diesen Worten reißt sie das Band von ihrem Halse, um es in ihrer Tasche zu verbergen. Das Medaillon fällt von dem Bande, stürzt zu Boden. Die Kapsel springt. Justinens unsichere Hand erfaßt diese. Georg rafft das Bild auf, betrachtet es, ehe Justine es verhindern kann, mit bitterm Lachen und gibt es dann der Trägerin zurück. »Ich gratuliere zu dem geliebtem Freunde!« sagte er, und Justine glaubt vor Scham und Bestürzung in die Erde zu sinken; das Bild ist James in der vollen Blüte seiner Jugend: sprechend ähnlich; herrlich gemalt. Sie verstummt, das ungeheure Mißgeschick nicht begreifend. Der Amerikaner sagt aber mit zitterndem Tone zu ihr: »So ist es denn wahr, Jungfer Justine? ich war der Betrogene? sollte der Betrogene bleiben? Armes Geschöpf, ich bemitleide Sie!«

Ohne noch ein Wort hinzuzufügen, verließ er Justine, die, ebenfalls ohne ein Wort der Entschuldigung beizusetzen, ihm sprachlos und beklommen nachstarrte. Indem er eilig und außer sich dahinschoß, begegnete ihm – zu seinem Entsetzen – der Mensch, den ei gestern gesehen, den das Bild vorstellte.

»Sind Sie ein Engländer?« fragte er hastig, den Jüngling bei der Brust fassend.

»Ja, Herr.«

»Heißen James?«

»James White.«

»Sie lieben meine Braut, Justine Müssinger?«

»Mein Gott! was soll das heißen? woher wissen Sie?«

»Ihr Pflegvater hat mir alles entdeckt.«

»Wie? Doktor Leupold?«

»Derselbe. Sie werden geliebt!«

»Mein Herr!«

»Sie trägt Ihr Bild auf der Brust...«

»Ach, mein Herr! Sie sind ein Engel, wenn Sie...«

»Stille. Warum ließen Sie mich im Dunkeln tappen? damit ich schmerzlicher erwachen mußte? das war unrecht von Ihnen. Brav jedoch, daß Sie nicht nach Amerika folgen wollten. Darum renne ich Ihnen auch nicht den Degen durch den Leib. Sein Sie glücklich! Ich sage mich von ihr los!«

Er ließ den Staunenden, Bebenden stehen und eilte, seine aufwallende Wehmut zu unterdrücken, weiter. Unfern vom Rathause stieß er auf den Senator, der, schwankend und blaß wie ein Geist, einherkam. Kaum rückte er vor demselben den Hut und stürzte davon, sich in sein Zimmer zu verschließen. Der Senator sah ihm verwundert, aufgebracht, niedergeschlagen nach; setzte dann seinen Weg nach Hause fort und kam sehr verdrießlich daselbst an. Frau und Tochter saßen still beisammen. Jakobine kämmte ihr Hündchen; Justine saß an einer Arbeit und tat dennoch nichts. Der Senator warf sich seufzend in einen Stuhl.

»Der Satan ist los!« sagte er, »wenn ich mich aus dem Unglück losreiße, das mich jetzo niederschlägt, so will's etwas heißen. Mein Ruf, mein Amt, meine Würde stehen auf dem Spiele!«

»Mein Gott!« sagten die Weiber. Die Senatorin rückte weit ab von dem Senator, Justine rückte ihm dagegen näher.

»Ihr wißt, fuhr der Senator mit gedämpfter Stimme fort, »daß ich aufs Rathhaus beschieden wurde. Der Bürgermeister hat mich förmlich verhört. Ich denke, mein Kopf macht Bankrott, als er vom Lotto anhebt, und behauptet, ich hätte neulich das große Los in dem Hamburger Glücksspiele gewonnen. Auf die Verschwiegenheit meines Korrespondenten bauend, leugne ich Stein und Bein. Da wird er ernsthaft, nennt mir, als wäre er ein Hexenmeister, den Tag der Ziehung, die Nummer, die ich gespielt, den Gewinstbetrag und die Prämie, den Kaufmann, der meine Angelegenheit besorgt, und endigt damit, mir frei zu erklären, ein Kontordiener jenes Mannes, der in Unfrieden von ihm gegangen, habe eine Kollekturliste hieher gebracht und dieselbe hin und wieder indiskret zur Schau gelegt. Mein Name sei von ihm genannt, der Senat stutzig geworden. Ich sei mit dem bestehenden Verbote bekannt, müsse mich diskulpieren oder gewärtig sein, daß man Rechtens gegen mich verfahre. Der Angeber sei schon abgereist, die vidimierte Kollekturliste liege aber vor; ich müsse erklären, woher mir damals das viele Geld gekommen, und die Erbschaft nachweisen, die ich dazumal vorgeschützt. Er, der Bürgermeister, könne mir nicht helfen und müsse mir noch überdies bemerken, daß diverse Gerüchte über mich und mein Haus neuerdings in Schwung gekommen, die dem ganzen Corpori Senatus nachteilig werden könnten. Vor allem wolle er mich aufmerksam machen, daß der Pastor Lammer öffentlich über meine Saumseligkeit, die Kirche zu besuchen, lästere, und daß es von der äußersten Notwendigkeit sei, hierüber den Menschen den Mund zu stopfen, worauf man allerdings im übrigen gelinder und gnädiger untersuchen wolle, um keinen Anstoß zu geben. Hierauf entläßt mich Se. Magnifizenz sehr kalt und fehl unwillig, indem sie mir noch aufgibt, binnen vier Wochen die Beweise beizubringen, wie es sich mit jenem Gelde verhalte. Da habt ihr mein Elend, ihr Weiber; mir ist's ein Trost gewesen, es in eurem Busen niederzulegen, aber ich wünsche, daß es darin, und ein Geheimnis bleibe.«

»Das versteht sich,« sagte die Senatorin, die wieder zutraulicher geworden war, »die Bürgermeisterei hat sich im geringsten nicht um die Art und Weise zu bekümmern, wie man zu Gelde kommt. Der saubere Bürgermeister sollte selber gar nicht den Großen spielen. Man weiß sich noch sehr wohl zu erinnern, wie er – ein armer Schlucker – zu den Schweden ging, um zu marketendern. Dann kam er an die Heulieferung, dann an die Spitalverwaltung, und endlich als reicher Mann hieher zurück. Wenn man seinem Reichtum nachfragen wollte... pfui!«

»O des unnötigen, vergeblichen Geschwätzes!« versetzte der Senator ungeduldig, »Bei dem allen,« fügte er bei, »ist es notwendig, daß ich auf Mittel denke, das Gewitter abzuwenden. Ich bedarf des Rats... und wer soll mir raten?«

»Du nimmst von mir den besten Rat nicht an,« sagte die Senatorin gähnend, »darum gehe ich. Weißt du dich jedoch nicht aus der Fatalität zu wickeln, und sie wollen dich nicht mehr im Rate haben, so lasse ich mich scheiden. Ich muß Frau Senatorin heißen bis ans Ende. Der Titel ist ohnehin der einzige Gewinn, den ich aus der Ehe mit dir gezogen habe.«

»Abscheuliches Weib!« murmelte der Senator der Abgehenden zwischen den Zähnen nach, »rate du mir, Justine. Mit wem soll ich mich bereden? wen beschicken? der Augenblick drängt. Ich will mich dem Buchhalter nicht anvertrauen, der Mann ist zu streng und... nun heraus damit! zu ehrlich mit einem Worte. Berndt ist eine philadelphische Schlafmütze. Wünschte ich mir doch fast wieder den vermaledeiten Rothhast herbei! Er war ein geriebener Kniffespinner. Aber wie wäre es, wenn dein Bräutigam ... ? er ist die gute Stunde selbst und gäbe vielleicht in aller Unschuld einen Ausweg an die Hand? was fehlt dir denn, Mädchen? du bist ia weiß wie eine Sternblume? hast nasse Augen? was hat's gegeben?«

Justine leugnete. Der Senator besann sich nun, Birsher gesehen und sich über dessen Unhöflichkeit geärgert zu haben. »Ich verstehe,« rief er, »ein verliebter Zwist! Deine Hartnäckigkeit wird dir noch böses Spiel machen, Justine! Was den Bräutigam betrifft, der ist gut zu lenken, aber ... der Ehemann ist ein ganz anderer Herr. Zu viel Sonnenschein in dem Brautstand, finstere Wolken in der Ehe. Versöhnt euch. Herr Birsher wird jedoch nicht geeignet sein, den besten Rat zu erteilen; darum – sende nach dem Doktor Leupold, mein Kind ... ich ließe mir die Ehre ausbitten ...«

»Das tue ich nicht gerne, Herr Vater!« antwortete Justine.

»Warum nicht? Ach! ich besinne mich, du hast einen Widerwillen gegen den Mann. Mische dich doch nicht in unsere Angelegenheiten, Justine.«

»Lassen Sie den Doktor nicht zu tief in die Ihrigen blicken,« ermahnte Justine, »ohne mich Ihnen ganz deutlich machen zu können, warne ich Sie noch einmal vor ihm.«

Der Senator seufzte tief und wendete sein Auge ab.

»Er ist gewiß ein doppellarviger Mensch!« fuhr Justine fort, »überhaupt, mein Vater, kömmt es meiner Ahnung vor, als hätte uns ein immer enger werdendes Netz umfangen und umspannt; als sollten wir die Beute eines böslich bereiteten Verderbens werden.«

Der Senator sah die Tochter betroffen und starr an.

»Der Doktor,« sprach diese weiter, von der Unruhe ihres Herzens wie von dem vorteilhaften Augenblicke begeistert, »erscheint wie eine Hauptgestalt, bemüht, dieses Netz, das ich nicht kenne, nicht durchschaue, wohl aber fühle, zu bereiten. Mit jedem Tage wird mir klarer, was mir einst der Zufall enthüllte. Der Doktor ist nicht der einfache Jurist, der simple Privatmann, mein Vater; er ist... wie ich beschwören möchte... er ist...«

»Halt!« donnerte ihr der Senator, von Angst und Unruhe geschüttelt, zu, »ich will nichts hören, ich darf nicht aus deinem Munde erfahren! Du machst mich unglücklich, Justine, und wirst es selbst, wenn eine Silbe deiner ungereimten Vermutungen unter die Leute kommt! Justine... wir wären ja alle zugrunde gerichtet!«

Justinens Begeisterung schauderte vor dem außerordentlichen Schrecken des Vaters zurück. »Wie Sie befehlen!« stammelte sie verschüchtert, »beruhigen Sie sich nur. Ich habe mit der Mutter nicht geredet und Gott wird wohl alles gut machen. Ich aber will nach dem Doktor schicken.«

Es wurde ihr erspart. Die Schelle des Kontors erklang und der Doktor, wie von einer Ahnung gerufen, kam mit einem Fremden, den Senator zu besuchen.

Dieser Fremde gab sich in einer salbungsvollen Begrüßung dem Senator als Superior eines Profeßhauses der Gesellschaft Jesu zu erkennen und freute sich, in ihm ein bereitwilliges Werkzeug der göttlichen Gnade zu finden. Der Senator erwiderte das Kompliment etwas lau und sagte, die niedergeschlagene Verlegenheit des Doktors bemerkend, ohne besondere Umschweife, daß es ihm fast leid tue, sich durch seine sonderbaren Verhältnisse in Verbindungen verwickelt zu sehen, die seiner bürgerlichen Existenz nachteilig weiden könnten. »Ich hätte wenigstens gehofft,« sprach er, »nicht kompromittiert zu werden, aber ich habe mich getäuscht. Indem ich heute vom Rathause komme, nähert sich mir ein Mann; der Krämer Ernst, übel berüchtigt in der Stadt durch seine lockre Lebensweise und die Vergehen seines Bruders, wegen welcher derselbe im Gefängnis sitzt. Der Mensch redet mich an und fordert mich ziemlich unverschämt auf, bei der Kriminalkammer dahin zu arbeiten, daß sein Bruder auf freien Fuß gestellt werde. Da ich es ihm nun natürlich abschlage und mich wundere, daß er sich gerade an mich gewendet, den er kaum kennt, so sagt mir der Mann im Vertrauen: ich kenne niemand, der geeigneter und verbundener wäre, mir in dieser Sache beizustehen. Ich weiß ja, daß Sie ebensogut Katholik geworden sind, wie ich, und man hat mir den Anschlag gegeben, Sie zum Beistand aufzufordern. Ich war wie vom Donner gerührt und hatte kaum Fassung genug, den Menschen mit einigen Drohungen der Lüge zu zeihen und ihn von mir zu weisen, worauf er sich ärgerlich und stumm entfernte. Was soll ich nun denken? Kaum habe ich seit wenigen Tagen – wie in einen Strudel hinabgezogen – mich zum Uebertritt anregen lassen, und schon stehe ich bloßgegeben da! verraten an Menschen, für deren Verschwiegenheit kein Dreier zu verbürgen ist!«

Der Doktor sah verwundert den Superior an; dann beteuerte er dem Senator, dessen Aufnahme geheim gehalten zu haben – vor der ganzen Gemeinde. Der Superior versetzte dagegen hochmütig und zuversichtlich: »Beruhigen Sie sich, Herr Senator. Ich war's, der den armen Teufel auf Sie aufmerksam machte. Er suchte bei mir den Beistand eines geistlichen Vaters und ich verwies ihn an Ihren weltlichen Schutz. Ein gutes Wort aus Ihrem Munde kann vieles fruchten und setzt Sie keinem Verrat aus; der Krämer ist mir als ein eifriges Glied der wachsenden Kirche geschildert worden, und ich habe durchaus keine Ursache gefunden, dieser Angabe zu mißtrauen. Sehen Sie, lieber Sohn: Eintracht, gemeinsames Wirken führt stets zum ersehnten Ziele. Concordia parvae res crescunt! Wie nun eine Gemeinde, die sich im Schoße der Verborgenheit bildet, einem Bruderverein im schönsten Sinne zu vergleichen ist, so ist auch jeder der Brüder dem andern Schutz und Hilfe schuldig. Leisten Sie daher dem Supplikanten nur einen leichten Beistand, wie er gerade in Ihren Kräften steht, und zählen Sie dagegen auf jeden Beistand des Ganzen. »O, daß ich mich in diese mißliche Spekulation eingelassen habe!« sagte der Senator mißmutig, und achtete nicht der zornig aufsteigenden Wolke auf des Superiors Stirne, noch des bekümmerten Angesichts des Doktors. »Wenn Sie es vermögen, meine Brüder, beweisen Sie mir den Ernst Ihrer Worte. Raten Sie mir in meinem äußerst kritischen Verhältnisse.« Er erzählte von dem Verhöre des Morgens.

Der Doktor schüttelte mitleidig und besorgt den Kopf. Der Superior lächelte aber gleichmütig und erwiderte, fast spöttisch: »Das versetzt Sie in Unruhe? Gilt das Zeugnis eines verlaufenen Ladenburschen gegen Ihr Ratsherrnwort? Und hat man nicht Mittel, den Notbehelf der Erbschaft klar darzutun, als wäre er wahr wie die Sonne? Ich verpflichte mich, Ihnen Zeugen zu schaffen, und der Pater Münzner, der zugleich Doktor beider Rechte ist, wird Ihnen mit einem in allen Formen ausgestellten Testamente auszuhelfen nicht ermangeln.«

»Pater Superior!« versetzte der Doktor stutzig, »bedenken Sie! ein fingiertes Testament! ein falsum

»Nun?« fragte der Superior kalt, »was weiter? Es gilt hier, einen christlichen Bruder aus der Verlegenheit zu ziehen. Ich behaupte sogar, daß ein Testament, dessen Aussteller eine persona fictitia ist, gar kein falsum darbietet. Es sei übrigens Ihre Ansicht, welche sie wolle, so wird hoffentlich der Befehl Ihrer Obern hinreichend sein, alle Bedenklichkeiten zu heben.«

Der Doktor bückte sich mit unterdrücktem Widerwillen. Der Senator schauderte ein wenig vor der Leichtigkeit, womit der Superior eine so trügliche Maßregel durchgehen ließ; aber da sein System, sollte es ihn vor Schande retten, auf Lügen beruhen mußte, ließ er sich's gefallen, daß es der kühne Pater übernahm, eine Zusammenstellung von Begebenheiten und Dokumenten – beide in der Ferne geschehen und aus der Ferne gesendet – zu erdichten, die dem Unbefangenen jeden Zweifel an des Senators Aufrichtigkeit rauben mußte, da man der Verschwiegenheit des Korrespondenten in Hamburg versichert sein konnte.«

»Sie unterscheiden jetzt, bester Sohn,« sagte der Superior, »wie redlich wir es mit Ihnen meinen, und werden uns eine kleine Bitte Ihrerseits nicht abschlagen. Nach reiflicher Ueberlegung habe ich gefunden, daß unsre Handelsbücher und Register über kirchliche Angelegenheiten im Hause des ehrwürdigen Paters Münzner zu exponiert erscheinen. Ich ersuche Sie deshalb, diese acta in Ihren Verschluß zu nehmen, und zu erlauben, daß der Pater sich täglich etwa eine Stunde in irgend einem abgelegenen Winkelchen Ihres Hauses damit beschäftige, wenn es einzutragen oder abzuschließen gibt. In einem Lokale, wie das Ihrige sich darstellt, wird solches Ab- und Zugehen unbemerkt bleiben; Sie sind außer Gefahr, und wir können völlig ruhig sein.«

Der Senator antwortete: »Da ich mich bereits so offen in Ihre Hände gegeben habe, meine Väter, so mag es darum sein. Ich will Ihnen auch im gegebenen Falle meine Bereitwilligkeit nicht entziehen. Ich will in aller Stille ein Kabinett, an den Hof stoßend, zum Gebrauch des Herrn Doktors einrichten lassen, und die nötige Sorge tragen, daß er nicht gestört werde.«

»So werde ich noch heute abend die Bücher herbringen lassen,« setzte der Doktor bei, »da der ehrwürdige Pater Superior sie bei mir nicht sicher glaubt.«

»Quidquid agas, respice finem!« bemerkte der Superior mit dem schlauesten Gesichte, »ich danke Ihnen für die schöne Bereitwilligkeit, womit Sie unserem Antrage entgegengekommen. Ich gestehe, daß derselbe mich mit dem Mangel an Aufrichtigkeit versöhnt, den Sie meinem würdigen Freunde, dem Pater Münzner beweisen.«

»Wieso?« fragte der Senator und fixierte den Doktor, der wie beschämt die Augen niederschlug. Der Superior fuhr, wie scherzend, fort: »Der würdige Herr hat Ihnen Gründe der Freundschaft, der Moral und der Pflicht angegeben, die eine Heirat zwischen Ihrer einzigen Tochter und dem protestantischen Amerikaner dringend verbieten. Er hat, wie er behauptet, Ihr Herz gerührt, indem Sie versprachen, seinen Gründen nachzugeben. Aber leider ist solche Rührung nur ein Phantasma gewesen, das ebenso schnell zerstiebte, wie mancher gute Vorsatz. O, mein Sohn, in Ihrem Gemüte liegt noch viel des ketzerischen Sauerteigs verborgen, von welchem Sie nur eine reine und reife Andacht zu dem geheiligten Herzen Jesu befreien kann! Wie könnten Sie es ansonst über sich gewonnen haben, Ihr Versprechen zu widerrufen, und, mit Fleiß Ihre Wege vor uns versteckend, auf dem alten erwiesenen Unrecht beharren?«

Da der Senator, seiner Verstellung überführt, kein Wort redete, so hob der Doktor sanft und eindringlich zu ihm an: »Ja, bester Herr Senator, wir wissen – da uns nichts in die Länge verborgen bleibt – daß Sie dennoch Ihre Tochter mit Herrn Birsher zu vermählen gedenken ... wann und wo Sie es tun wollen; und ich frage Sie noch einmal freundschaftlichst, haben Sie auch alles erwogen und überlegt?«

»Ich bin meinem Gewissen und meinem Worte Erfüllung schuldig,« antwortete der Senator aufs äußerste gebracht, »ich hasse jede Einmischung Unberufener in mein Hauswesen. Ich habe mir nur die Schwäche vorzuwerfen, daß ich vor Ihnen verhehlte, wie es mir darum zu tun sei, recht zu handeln. Können Sie das nicht vergeben, meine Väter, so dispensieren Sie mich von jeder weitern Gemeinschaft mit Ihren Kirchen und Gesellschaftsverhältnissen!«

»O welche bedauerliche Hitze!« sagte der Superior, die Augen wehmütig gen Himmel richtend, »Saule! Saule! cur me persequeris? Verblendeter, heftiger, geliebter Sohn! Glauben Sie denn, daß das heilige Herz unsers Heilands sich so schnell von Ihnen reißen werde, als Ihr Unmut sich von ihm zu trennen begehrt? Mitnichten, mein Sohn! Der Heiland wird Sie nicht verlassen, da Sie sich ihm einmal ergeben! Wir, seine unwürdigen Diener, Ihre innigen Freunde, werden es auch nicht tun, und sollten wir immer vergebens warnen, und immer vergebens ausrufen: durch diese Verbindung machen Sie Ihr Kind des Himmelreichs verlustig! durch diese Verbindung bringt der Protestant Unglück in Ihr Haus, das erst kürzlich in Ihnen der Herr gesegnet hat mit Gnade, mit Erweckung, mit dem zukünftigen Paradiese!«

Die Herren schwiegen allesamt, da sich vor der Türe Schritte vernehmen ließen. Berndt schaute demütig herein und langte dem Prinzipal ein Billet hin. Der Kellerbursche aus dem Schwan hat's gebracht, sagte er, grüßte höflich und verschwand. Der Senator sah in der Ueberschrift Georg Birshers Hand. Seine Seele war so schreckhaft und argwöhnisch geworden, daß er unter jedem Siegel eine giftige Schlange fürchtete. Darum löste er auch dieses mit Herzklopfen, und – wie sehr seine Ahnung die Wahrheit gesprochen, wie giftig die Schlange sei, die sich aus dem kleinen Briefe in seine Augen und sein Herz bohrte, das bezeugte das Erbleichen seiner Wangen, das Erstarren seines Blicks, die physische Vernichtung, die aus den schlaffen Zügen trat. Mit einer Bewegung der Verzweiflung aufspringend, reichte er mit zitternder Rechte das Briefchen an den Doktor und sank mit dem Ausrufe: Nun bin ich ohne Rettung verloren! in den Stuhl zurück. Der Doktor las, während der Superior dem mit Ohnmacht Kämpfenden beisprang, für sich, was folgt:

»Unglücklicher Müssinger! Meine Hand bebt, aber mein Herz erbebte noch heftiger, da ich erfuhr, was mich und Sie elend macht. Elender! Sie haben meinen armen Vater gemordet! der mir's entdeckt hat, ist fast Zeuge der schändlichen Tat gewesen! um mich vor dem schauerlichen Bunde mit Ihnen zu warnen, hat er's mir gestanden! aber ich weiß, wozu die Rache den Sohn auffordert. Die Gerechtigkeit anzurufen, ist meine Pflicht! um drei Uhr fahre ich bei dem Bürgermeister vor. Ich will nichts von dem wissen, was Sie bis dahin unternehmen!

Birsher.«

Der Senator schlug die verwirrten Augen wieder auf, sandte einen trostlosen Blick nach dem Doktor, der schnell das Briefchen wieder zusammenfaltete, dem Senator zurückgab und sagte: »Fassen Sie sich, Sie sind nicht verloren, Nothhafts Beschuldigung – gewiß durch die transpirierende Neuigkeit von Justinens Vermählung veranlaßt – richtet Sie nicht zugrunde. Ihre Seelenangst ist Ihr mächtigster Gegner; darum – obschon Sie gegründete Hoffnung haben dürften, von den Gerichten erledigt zu werden – ist es geratener, das Unheil in der Geburt zu ersticken. Birsher scheint großmütig handeln zu wollen. Er will Ihre Flucht begünstigen. Hüten Sie sich jedoch. Weichen Sie keinen Fuß breit. Halten Sie sich ruhig, überlassen Sie uns, für Sie zu handeln. Bevor es drei Uhr wird, denke ich, müßten Sie aller Gefahr enthoben sein!«

»Wenn Sie das könnten!« rief der Senator und warf sich dem Pater in die Arme, »mein Vater! Bruder meiner Klara! tun Sie das möglichste! der Verdacht! mein Ruf! die Schande! Gott stehe mir bei, wenn Sie mich verlassen!«

»Hier muß dieser Mann helfen!« versetzte der Doktor auf den Superior zeigend, der aufmerksam und erwartend dastand, »Pater Superior! als Beichtvater dieses unglücklichen Mannes fordere ich Sie, einen der Vorsteher unsrer heiligen Gesellschaft, in Ihnen den ganzen Orden auf, ihn vor einer dringenden Gefahr zu retten, mit der ihn Birsher bedroht. Der Grund derselben ist ein Beichtgeheimnis, aber ich beschwöre Sie bei Ihrer priesterlichen Würde, den Folgen vorzubeugen.«

»Ich werde mich mit Ihnen bereden,« antwortete der Superior gleichgültig, »ich werde Ihre Meinung hören und tun, was ich mit Gottes Hilfe vermag. Verspräche aber wohl der Herr Senator, jeden fernern Gedanken an eine Verbindung seiner Tochter mit einem Protestanten aufzugeben? das unschuldige Kind unsrer alleinselig- und glücklichmachenden Mutterkirche zuzuwenden? es für ein erbauliches Jungfrauenleben zu bestimmen, damit es im Verein mit andern gottseligen Chorschwestern die Sünden des Vaters abkaufe mit Gebet und Ergebung? sein Vermögen nach seinem Hinscheiden der Kirche zu vermachen, der liebenden und helfenden Gesellschaft Jesu insbesondere? Respondeas, mi fili; und dir soll geholfen sein!«

Der Senator nickte sprachlos mit dem Kopfe, winkte mit der Hand und der Superior ergriff dieselbe, ihn beim Worte nehmend. »Sie sind Zeuge, Pater,« sagte er feierlich, »und nun, kommen Sie, damit wir das widrige Geschäft in Ordnung bringen. Ich bin sanfter Natur, wähle gewöhnlich leichte Mittel; hier aber, fürchte ich, wird es auf dasjenige ankommen, was ich schon einmal vorgeschlagen, und das Sie als zu hart verworfen haben!«

Der Doktor winkte dem Pater, zu schweigen, indem er auf den Senator deutete, welcher aus seiner Betäubung erwachte. Die Jesuiten gingen bedächtig und stille von dannen. »O, der sauern Pflichten!« seufzte Münzners Seele, aber sein Mund sprach keine Silbe, die seinem Vorgesetzten hätte mißfallen können.

Die Herren fanden in ihrem geheimen Konvente die Lainez und den ehemaligen Schauspieler Litzach. »Unser Plan scheitert!« sagte die erstere, indem sie dem Doktor das gefährliche Medaillon zurückgab, »behalten Sie das Bild Ihres Zöglings, mein Vater; es hat Aufsehen genug gemacht, aber Liebesleute vertragen sich nach dem heftigsten Zanke. Vorderhand hat mich Jungfer Justine der Mühe, ihr Gesellschaft zu leisten, enthoben, und alle meine Entschuldigungen gingen in den Wind.«

»Unser Plan glückt im Gegenteile, kurzsichtige Frau!« sagte der Superior stolz lächelnd; »Sie hat Ihre Kommission ganz gut verrichtet, und es kommt nur darauf an, ob Er, Litzach, dasselbe tut.«

Er führte den Untertänigen in das Nebengemach. Indessen hatte der Doktor James Porträt in seinen Schrank verschlossen, und die Tränen waren ihm in die Augen gestiegen, und er lehnte sich über die in schwüler Hitze welkenden Blumen seines Fensters hinaus, ins Freie, und betete: »Du heilige Mutter! vergib mir, daß ich ein Bild, welches von einem treuen Mutterbusen getragen wurde, bis das Herz darunter stille stand, daß ich es – das heilige Geschenk jugendlicher Dankbarkeit – mißbrauchen ließ, zu einer Betrügerei. Der Obere befahl es jedoch, und um der Pflicht willen wirst du die Sünde vergeben, gebenedeite Mutter!«

Die Augen trocknend, fragte er die Lainez, ob sie den jungen James nicht gesprochen habe. Die Lainez wußte nichts von ihm, als daß er ihr mit dem fröhlichsten Gesichte, daß sie noch je an ihm gesehen, begegnet war, im Begriff, gegen das Tor zu eilen. Kapitän Tormerpick, der hinzu kam, hatte den jungen Menschen ebenfalls auf dem alten Glacis angetroffen. James hatte ihn umarmt, hatte ausgerufen: »Kapitän! sehe ich denn aus, wie der glücklichste Mensch in der Stadt?« und hatte sich dann entfernt – wie sich der Kapitän ausdrückte – tanzend, wie ein Matrose, der nach sechs Monden wieder zum erstenmal festes Land betritt. Der Doktor schüttelte ernsthaft und betrübt den Kopf, und verfügte sich in das Seitenzimmer, aus welchem bald nachher Litzach schlüpfte und dem Kapitän bemerkte, die Herren erwarteten nun ihn. Während Litzach davon eilte, sprach Tormerpick mit den Vätern. »Ich nehme Abschied von Ihnen,« sagte er, »Schlag zwei Uhr fahre ich ab. Ein dringender Brief ruft mich nach dem Hafen. Das Schiff wird geladen. Ich bitte mir weitern Bericht oder anderwärtige Aufträge aus.«

Der Superior gab ihm ein Paket, mit dem Bedeuten, daß sich darinnen alles befinde, was auf Handelsangelegenheiten Bezug hätte. »Wir hätten Euch noch jemand mitzugeben,« schloß der Pater, listig lächelnd, »einen Engländer, wohl gewachsen, stark, robust; ein gutes Kapital, in Batavia anzulegen.« Der Kapitän runzelte die Stirne. »Wollen Sie mich foppen, meine frommen Väter?«

»Nicht doch, Kapitän. Versteht uns wohl! wir hassen die Seelenverkäuferei, wenn unsere Warentransporte dadurch Not leiden. Wo es aber auf eigene Rechnung geht ...«

»Ich verstehe,« erwiderte der Kapitän grinsend, »Sie sollen Ihren Willen haben. Wann? wie? wo? Ich habe zwei Matrosen bei nur, die auf einem Kaperschiffe gedient haben. Den Burschen bangt vor dem Teufel nicht.«

»Haltet um zwei Uhr auf dem Damme,« instruierte der Superior, »dort ist's abgelegen und einsam. Der Mensch, welcher vorhin wegging, wird den Bewußten zum Damme bringen; einen großen tüchtigen Mann, nicht wahr, Pater Münzner?«

»Unsern Tischnachbar im Schwan,« entgegnete der Doktor. Der Kapitän lachte hell auf. »Den stummen Oelgötzen?« fragte er, »der mich so unverschämt anlaufen ließ? Hoho, den kenne ich, und werde ihn wohl von dem dürren Magister unterscheiden. Brav! ich habe dem naseweisen Flegel eine volle Lage zu geben! ich hab's ihm geschworen. Gut so! ein Pechpflaster auf den Mund, Strick um Arm und Beine! wie der Teufel nach dem Kanal gefahren; die Nacht durch gerudert, mit Tagesanbruch an der Küste ... binnen zwei Tagen im Schiffe! herrlich! die Moorländer sind wenig und nur von lockerem Gesindel bevölkert! ich bringe den Passagier glücklich durch, oder fülle ihm den Kopf mit Blei, wenn er mich durch ein unanständiges Spektakel in Gefahr setzen wollte. Gott behüte Ew. Ehrwürden! sollen von mir hören!«


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