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Zehntes Kapitel.


Weh' dem, der zu der Wahrheit geht durch Schuld;
Sie wird ihm nimmermehr erfreulich seyn!

Schiller.

In dem Hause des Rathsherrn Philipp Wernher war noch Alles beim Alten. Von Tag zu Tage wurde ihm seines Weibes trotzige Herrschsucht lästiger, und der Wunsch lebhafter in seiner Seele, endlich ein Mal von Simons frevelgewohnter Hand den Streich führen zu sehen, zu dem er ihn in der Verzweiflung eines lasterhaften Gemüths gedungen hatte. Allein Simon war schon seit geraumer Zeit genesen, und schien seines Versprechens sich im Geringsten nicht mehr zu entsinnen. Philipp hatte hin und wieder auf jene Verabredung die Sprache bringen wollen; der Alte wußte ihm jedoch so geschickt auszuweichen, und das Gespräch auf andere Dinge zu lenken, daß der Gebieter deutlich daraus schließen konnte, die Zusage habe ihn gereut. Nun ist auch ein Mord keine Sache, von der ein Mann, welcher gerade kein Handwerk daraus macht, gerne alle Tage spräche, und so blieb es von Philipps Seite lange bei bloßen Anspielungen und Hindeutungen, und von Simons, bei unbestimmten Abweisen dieser Versuche. Dieser Zustand konnte demungeachtet bei Philipps schwarzgallichter Complexion nicht lange dauern; die erste beste Gelegenheit mußte von Neuem den Zunder in's Pulverfaß werfen, und diese Gelegenheit blieb auch nicht aus. Thurneisen hatte seinem Eidam eine abermalige Summe Geldes zur Tilgung einer nicht unbeträchtlichen Schuld, theils durch Ueberredung, theils durch Drohungen abzulocken gewußt. Die Stunde darauf hatte es den Tochtermann gereut, das Darlehen gemacht zu haben, indem ihm aus Erfahrung bewußt war, wie wenig der Schwäher auf Zurückzahlung des Geliehenen zu denken pflege. In seinem Unmuthe ließ er ein Wort davon in seines Weibes Gegenwart fallen. Diese, erfreut zu neuem Hader die Bahn gebrochen zu finden, nahm das Wort für eine Beleidigung des Vaters, schalt den Gatten undankbar, ehrvergessen, rüttelte alte, längstvergessene Streitigkeiten auf, und bließ mit vollen Backen die Hölle der ehelichen Zwietracht an. Philipps Stolz empörte sich, sein Zorn sprudelte auf, und versuchte das kecke Weib niederzudonnern durch seine Kraft, allein – dem giftigen Gewürme gleich – das von wiederholten Streichen zu Boden geschlagen, stets von Neuem in den geschmeidigen Krümmungen seines Körpers neue Stärke findet, um sich drohend aufzurichten, wohl auch oft dem überlegenen Feinde einen tödtlichen Biß beizubringen – kehrte die ausgeartete Gattin immer einen neuen Pfeil gegen des Mannes Herz und schlug ihn endlich durch ihre unbesiegbare Bosheit aus dem Felde. Wüthend, an allen Nerven bebend, entwich er dem Hause und tobte seinen Grimm im Freien aus. Wie ein Verzweifelnder rannte er auf die Stadtmauer, wo er, von wenigen Menschen bemerkt, seinen bittern Empfindungen ungestörten Lauf lassen durfte. Bald stand er auf dem Vorsprunge, wohin ihn vor kaum sechs Jahren sein Peiniger Thurneisen am Hochzeitstage geführt hatte. »Hier stand ich,« rief er, »in der Hoffnung schwelgend, für meine lasterhafte That belohnt zu werden durch Friede, häusliches Glück und Genuß! Durch diese Maueröffnung starrte ich damals nach der Brücke, über welche der Engel, den ich mißhandelte, im Kleide der Schande hinausgetrieben wurde vom Büttel, und mein Auge war trocken, denn ich fühlte Mariens Unglück nicht, weil ich auf der letzten Sprosse zum Paradies zu seyn wähnte! Armseliger Thor! der ich hoffen konnte, aus höllischer Saat himmlische Früchte reifen zu sehen. Der nächste Morgen fand mich schon dem blinden Wahn entrückt, der Reue Preis gegeben! Ihre Pein hat zugenommen lange Jahre hindurch … hat sich gesteigert zur höllischen Folter. Ich kann … ich will sie nicht länger erdulden!« – Ueber finstern Entschlüssen brütend lehnte er sich auf das Geländer, und sah einem Zuge prächtig gekleideter fremder Herren und Frauen zu Pferde entgegen, der sich langsam über die Brücke bewegte. – »So allein?« fragte Jemand hinter ihm, auf seine Achsel klopfend. Er sah sich um. Simon war's. »Ihr ergötzt Euch wohl an dem geschmückten Zuge?« fuhr er fort. – Ich habe ihn unten durch die Straßen reiten sehen. Es ist der Schloßhauptmann von Burgau, der Herr von Herbenstein mit seiner Gemahlin. Sie kehren von einer Wallfahrt zu irgend einem wundertätigen Marienbilde aus dem Schwarzwalde nach der Heimath zurück. Die edle Frau hat sich dahin verlobt, als ihr Söhnlein in schwerem Siechthum darnieder lag. Und siehe, ein junger Arzt ist plötzlich erschienen und hat den Knaben, an dem Alles verzweifelte, geheilt. Die dankbaren Eltern haben darauf das Gelübde der Mutter erfüllt und viele Adelige den Zug mitgemacht, theils aus Freundschaft für den Herrn von Herbenstein, theils aus zarter Achtung für seine schöne Gemahlin. – Sie ist aber auch ein Muster von Liebenswürdigkeit und Sanftmuth. Schaut! dort reitet sie. Die auf dem weißen Zelter ist's; ihre Anmuth könnte sogar das Eis in meinen Adern wieder in das frische lebenswarme Blut der Jugend umwandeln. Was ist Euch aber? Ihr werdet wie die Wand? was ist's?«

Philipp, der dem ritterlichen Zuge aufmerksam nachgesehen, war mit dem Haupte vor sich hin auf die Mauer gesunken. Leise fragte er auf Simons Anrede: »Sage mir, ist der Zug vorüber?« – »Ja, Herr,« antwortete der Alte. »Die Weidenbüsche, die längs dem Flusse stehen, verbergen ihn. Er kann nicht mehr gesehen werden. Was war Euch aber?«

»O Simon!« rief Philipp erschüttert. »Welch eine Erinnerung! Hast Du die Frau von Herbenstein genau betrachtet?«

»Sehr genau,« erwiederte Simon. »Sie ist ein wunderschönes Frauenbild.«

»Du hast meine Marie gesehen!« rief Wernher mit Thränen; eine täuschendere Aehnlichkeit gab es nie. »Zug für Zug; sie war es wie aus dem Spiegel gestohlen. Etwas älter und vollkommneren Gliederbau's mag die edle Frau seyn, aber dennoch dieselben Reize, dasselbe Lächeln! … Glühende Schwerter durchbohren meine Brust, denke ich an diejenige, deren Ebenbild die Fremde ist, an die, welche ich mißhandelte, in den Tod jagte!«

»Zu späte Reue!« lächelte Simon mit widerlicher Miene, und zuckte spöttisch die Achseln. »Hin ist hin, und wenn jenes Frauenbild in der That der ehemaligen Geliebten gleicht, so begreife ich nicht, wo Ihr die Augen hattet, als Ihr auf die Freite gingt. Hättet Ihr doch in's Himmelsnamen Eure Marie heimgeführt, die Euch durch die halbe Welt nachgelaufen ist. Eure jetzige Ehehälfte würde wohl nicht vom Sessel aufstehen, um dasselbe zu thun, wenn Euch in den Sinn kommen sollte, ihrer Liebe aus dem Wege zu gehen.«

»Willst Du mich rasend machen durch Deinen Hohn?« fragte Philipp wild, und packte den Alten bei der Brust. – »spotten kannst Du, Versucher! aber Hilfe verlange ich von Dir vergebens.«

»Eine seltsame Weise, in der Noth Hilfe zu verlangen!« grinste Simon, sich mit aller Anstrengung von der Faust des grimmigen Herrn befreiend. »Ihr seyd der Bettler, welcher, die Muskete auf der Gabel und die Lunte am Schloß, den Vorübergehenden sein Elend klagt und um Gotteswillen ein Almosen heischt. Ihr seyd im Fieber. Ich gehe voraus; kommt glücklich nach. Lebt wohl!«

Er ging auch richtig seines Wegs, obschon langsamen Schrittes, und ließ Philipp allein zurück. – »Teufel!« knirschte dieser zwischen den Zähnen … »kalter Satan! verstand ich Deine Worte? Legte ich noch nicht genug auf Deine Schaale? Du hast das Spiel gewonnen. Ich kann nicht elender werden, als ich bin … ich muß den Jammer enden. Der rachgierige Vater droht mich unter Schande zu begraben, wenn ich vor die Richterstuhle meine Klage bringe … es kostet also ein Leben; das ihre oder meines. Wohlan denn! Ich will zum mindesten Ruhe haben, wenn ich auch nicht glücklich werden soll. Hedwig starb um meinetwillen … meinem geträumten Glück schlachtete ich Marien, mein Kind, meinen Bruder. Der Opfer viere sind gefallen, ohne mir zu nützen und das fünfte sollte nicht nützen, um mir wenigstens die Ruhe meiner Tage zu sichern, da meine Nächte ohnehin den bösen Geistern verfallen sind? Ich will doch sehen, ob ich nicht durchsetze, was ich will.«

Der Unglückliche hatte bald den Alten eingeholt, welcher sich in einem dunkeln Winkel der Stadtmauer, da, wo der Gang durch einen Thurm führte, verweilt und auf einen Stein niedergelassen hatte. Der schaurige und enge Ort hätte nicht besser zu der Verschwörung gegen ein Menschenleben gewählt werden können, und Philipp scheute sich auch nicht, dem lauernden Simon noch einmal sein Elend und seine Bitte um schleunige Abhülfe desselben zu wiederholen, und ihn an seine Zusage zu erinnern. »Ich habe mir's überlegt, Herr Wernher, erwiederte ihm derselbe, daß es besser sey, wenn ich es unterließe. Mein Seelenheil« …

»Schweig', alter Heuchler,« unterbrach ihn Philipp verächtlich. »Du wirst mich nie an Dein zartes Gewissen glauben machen.«

»Nun, entgegnete Simon,« die Larve abnehmend, »so ist zum mindesten der Preis zu klein und gering, mit dem Ihr es einschläfern wollt.«

»Zu gering?« fragte Philipp, auf den Einwurf gefaßt. – »Das soll nicht seyn. Ich bot dreihundert Gulden, ich lege zweihundert zu.«

»Zweihundert Gulden?« spottete Simon. »In der Wagschaale eines Handels, wie der unsrige, wiegen diese nicht ein Quentlein mehr als die zuerst gebotenen dreihundert.«

»Habsüchtiger Schurke!« gellte Wernher. Versteigt sich Deine Raubgier so weit? Was hindert mich denn, meinen Grimm« …

»Gemach! gemach!« entgegnete Simon und hielt ihm den drohenden Arm auf. »Vergeßt Euch nicht! Was wollt Ihr thun? Ich will einmal nicht – um Euere Paar hundert Gulden vollends nicht. Ihr könnt mich doch beim Teufel nicht zwingen zu einem Morde!«

»Wohl, Elender!« sprach Philipp, um ihn auf andere Weise zu packen – »Du weigerst mir Deine Hand? willst Deinen Gewinn steigern? Verliere denn Alles. Ich verübe selbst, was ich begehre.«

»Es wäre das Kürzeste, versetzte Simon mit kaltem Hohne; nur Jammerschade um Euch selbst. Bestellt Euch nur im Voraus das Armesünderkleid mit den schwarzen Schleifen; denn Euere Missethäterangst wird Euch in der Stunde der That verrathen. Einen armen Buben in's Elend jagen, einer verlassnen Dirne das Herz brechen, ist Kinderspiel. Ein Ernsteres gilt's, wenn es d'rauf ankömmt, mit kecker Hand, sicherm Blick und wechselloser Farbe der Gattin das Todespulver zu mischen. Das könnt Ihr nicht.« –

»Höllischer Drache!« stammelte Philipp in ohnmächtigem Widerstreben … »Du hast mich überwunden, in Deinen Netzen mich gefangen. Du, Du bist meine einzige Hilfe! Fordere, verlange, was Du willst … es sey Dein, was Dein Herz begehrt.«

»Nun sprecht Ihr endlich großmüthig,« erwiederte Simon – und man kann sich mit Euch verständigen. Merkt Euch die Lehre: Man muß nie mit dem Solde eines Verbrechens knickern. Da Ihr zu Verstande gekommen, will ich es auch billig mit Euch machen. Ihr gebt mir tausend Gulden, das Gärtlein vor dem Ehinger Thore, das mir immer so wohl gefallen hat, und überlaßt mir Euer altes Haus, damit ich für meine alten Tage ein Eigenthum habe, in dem ich sterben kann. Das alte Gebäude nützt Euch doch nichts, und kostet Euch verlorne Zinsen. – Nun, was meint Ihr? meine Forderung ist schon zu Ende. Antwortet doch!«

»Vor Deinem unverschämten Verlangen muß ich wohl verstummen« … sprach Philipp, sich von seinem Erstaunen kaum erholend. »Du forderst mein halbes Vermögen.«

»Ihr seyd Kaufmann,« versetzte Simon achselzuckend – »und macht in Euerem Laden den Preis; ich mache ihn im meinigen. Wem er nicht behagt, lasse die Waare liegen. Was kann ich dafür, daß Euch ein verhaßtes Menschenleben so wenig gilt? Ich fordere Euer halbes Vermögen, sagt Ihr? – Possen! ich verlange für Euere Rettung aus Teufelsklauen nicht die Hälfte dessen, was Ihr auf ewigen Credit hinaus an den Thurneisen verschleudert habt, der Euch den Teufel als Ehekreuz aufhängte.«

Wernher kämpfte einen Augenblick mit seinem verzweiflungsvollen Entschluß … mit seinem angebornen Geiz, und schlug endlich, wiewohl von Herzen widerstrebend, ein.

»Endlich sind wir des Handels einig!« lachte Simon und rieb sich vergnügt die Hände; »und weil gerade schönes Wetter ist, und Ihr ein Stündlein Muße habt, so dächte ich, wir gingen straks mit einander zum Tabellion, und ließen den Schenkungsbrief aufsetzen, denn: Alles im Voraus! ist mein Wahlspruch.«

»Mißtrauischer Bösewicht!« sprach Philipp mit der tiefsten Verachtung. »Ich soll mein Vertrauen in Dich setzen, und Du schenkst mir keines?«

»Das ist so Brauch und Sitte zwischen Leuten unsers Schlags!« versicherte Simon mit arger Tücke. »Kommt nur, und laß't uns gehen!«

»Mein väterliches Haus!« murrte Philipp vor sich hin … »es an diesen Menschen hinzuwerfen!«

»Immer besser als an den Thurneisen,« meinte der Alte, und zog den Gebieter mit sich fort. »Ihr habt Euch ohnehin gefürchtet, darin zu wohnen.«

»Hast Du sie denn abgelegt, die Angst, welche Du mit mir theiltest?« fragte Philipp beißend. – »So plötzlich abgelegt?«

»Ich will's versuchen,« antwortete Simon, »und wenn es nicht angeht, Euch das alte Nest um ein Billiges wieder verkaufen. Ihr seht, wie ehrlich ich es meine. Fördert nur Euere Schritte, und wenn Euch der Tabellion fragen sollte, aus welchem Grunde die Schenkung stattfinde, so antwortet hübsch: Für lange und treue Dienste. Hört Ihr?«

Finster, wie eine gewitterschwangere Wolke, ging Wernher neben dem Alten her, der seinen Zweck endlich erreicht hatte, und sich beinahe am Ziele seiner Anschläge sah. Bei der Verhandlung mit dem Notarius sogar mußte Simon seinen Herrn im Stillen zu mehrerer Heiterkeit ermahnen, um keinen Verdacht oder Zweifel zu erregen, und so wurde also die Schenkungsakte nach allen von Simon bestimmten Punkten geschrieben, unterzeichnet, besiegelt und an den Alten gegeben. Noch denselben Abend schloß Philipp seufzend seinen Geldkasten auf, und zahlte dem nachsichtslosen Gläubiger das Gold auf den Tisch, die Schlüssel zu Haus und Garten beifügend. »Nimm!« sagte er mit düstrem Groll in den Zügen – »nimm, Blutigel! Wenn aber binnen sieben Tagen Dein Versprechen nicht erfüllt, die Unselige nicht geliefert ist, so mache Du Dein Testament. Es koste mich immer den Hals; aber auf offener Straße schieße ich Dich nieder, wie einen tollen Hund. Das merke Dir, und geh'!«

Simon hätte indessen, auch ohne die strenge Ermahnung, für dieses Mal zur Erfüllung seiner Zusage die nöthigen Anstalten getroffen. Nun er den Lohn seiner That bereits zwischen den Zähnen hatte, nun lag ihm selbst daran, die lästige, ihm besonders gehässige Hausfrau aus dem Wege zu schaffen. Mit den Mitteln dazu war er auch bald im Reinen. Der frische Lenz trieb gerade die Sprößlinge der Erde saftig in die Höhe; heilende wie schädliche Kräuter standen in voller Ueppigkeit in Hain und Feld. Im Thau des Abends sammelte Simon die, deren er bedurfte zu seinem finstern Werk, trug sie unbemerkt nach Hause, und braute in stiller Kammer und verschwiegener Mitternacht daraus den verderblichen Saft, von betäubendem Gifte geschwängert. – Wohl verkühlt, und in ein festes Fläschlein verschlossen, brachte er denselben am nächsten Abend in's Ladenstübchen zu Philipp, der, zerfallen mit sich und der Welt, gedankenlos in die Lampenflamme stierend, an seiner Rechentafel saß. »Guten Abend,« sprach der Eintretende leise. – »Warum so düster? warum so verschlossen?«

»Ich habe den Stand meiner Habe untersucht,« antwortete Philipp mürrisch, »und nicht die erfreulichste Berechnung herausgebracht. Freund und Feind haben mich gerupft, wo sie nur konnten.«

»Das ist böse,« äußerte Simon theilnehmend. – »Seyd indessen getrost! Der Thurneisen wird bald seine Forderungen einstellen und an Euere Befriedigung denken müssen.«

»Bis jetzt hat er noch keine Lust dazu,« erwiederte Wernher. »Er machte im Gegentheil neue Ansprüche unter dem Scheine des Rechts. Noch heute war er bei mir, und verlangte die endliche Bestimmung des Witthums für seine Tochter, auf den Fall, daß ich stürbe, oder nach seinem Tode mich vielleicht von ihr scheiden ließe, welches er bei Lebzeiten niemals zugeben wird, ohne die empfindlichste Rache zu nehmen. – Was soll ich thun? ich bin in seinen Händen. Er will noch heute Abends mit einem Notarius zu mir kommen und meinen Entschluß hören. Was mache ich? was soll ich?«

»Die Gelegenheit ergreifen« – fiel Simon mit eifriger Hast ein – »Euch in Zukunft vor jeder übeln Nachrede sicher zu stellen. In des Rathsherrn Begehren willigen, dieses Haus und Euern großen Garten jenseits der Donau Euerer Frau als Witthum verschreiben, und das zufriedenste Gesicht von der Welt dabei machen.«

»Bist Du verrückt?« fuhr Philipp auf … »meine ganze liegende Habe?«

»Meinetwegen noch einen tüchtigen Geldsack dazu,« sprach Simon wie oben weiter. »Das zeugt nur von Euerer Bereitwilligkeit, ist ein Beweis, daß Ihr kein Falsch im Herzen habt, und es redlicher mit dem Weibe meint, als nöthig wäre. Zudem könnt Ihr leicht versprechen und verschreiben … seht diese Phiole … sie wird Euch das Leben in ihrem Tode schenken. Ist das Weib dahin, so gibt das freiwillig und ehrlich ausgestellte Witthumsdokument den besten Zeugen für Euere Unschuld ab, wenn überhaupt Verdacht geschöpft werden sollte. Die verschriebenen Güter und Gelder verbleiben natürlich Euch; Ihr spielt eine Zeit lang den betrübten Gatten, und geht dann dem groben Schwähervater wegen seiner Schulden zu Leibe … sollte er auch Haus und Hof zu ihrer Tilgung verwenden müssen. Seht Ihr, so muß es kommen, und die Bahn zu allem Dem bricht Euch der Witthumsbrief.«

»Du hast Recht,« versetzte Philipp nach langem Bedenken. »Dieser klug und listig ausgestellte Brief ist auch allein im Stande, durch die Glorie der Großmuth, dieser um mein Haupt verbreitet, das böse Gewissen auf meiner Stirn zu überstrahlen. – Wie ist es aber? Ist Alles bereit? Kann der Streich fallen? antworte aufrichtig!«

»Dieses Fläschlein bürge für die Wahrheit meiner Worte, wenn ich sage: Es ist Alles bereit,« erwiederte Simon. »Morgen, wenn's Euch beliebt, mische ich den Saft in ihre Morgensuppe. In einer halben Stunde darauf hat sie in der Welt nichts mehr zu verdauen.«

»Hinterläßt das Gift keine Spur?« fragte Philipp, das Fläschlein besorgt gegen das Licht haltend.

»Nicht die geringste,« versicherte, der Alte. »Jungfer Hedwig lag im Sarge wie eine blasse Rose, und kein Fleckchen zeigte sich an ihrem blüthenweißen Körper. Ihr Beispiel lehrt ebenfalls, wie geschwinde der Himmelsschlüssel ihr Thor und Thüre zu öffnen verstand. Wollt Ihr Euch aber überzeugen, ob diese Substanz dieselbe sey, so macht den Versuch damit an Alba oder Spaniol.«

»Wie? an meinen treuen Hunden?« rief Wernher entflammend. »Wo denkst Du hin? Ich hätte Lust, Dich, zur Strafe für diesen Vorschlag, von ihren Zähnen zerfleischen zu lassen.«

»Nun, nun,« höhnte Simon. »Das Unglück ist doch nicht so groß. Die todte Bestie hätte ich in einen Sack gesteckt und nach der Donau getragen. Kein Hahn hätte darnach gekräht.«

»Dort auf dem Schranke sitzt der Staarmatz!« sprach Philipp. »Seit einigen Tagen ist er krank, und gibt keinen Laut mehr von sich. Versuche, ob ein Paar Tropfen ihm den Rest geben.«

»Wird bald gethan seyn,« lachte Simon, auf den Vogel losgehend, erwischte den Armen mit fester Hand, und flößte ihm, trotz seines Sträubens, etwas von dem Gifte ein. Nach einigen Augenblicken bekam er Zuckungen; sträubte die Federn auf, und fiel todt zur Erde. – Philipp nickte zufrieden mit dem Kopfe und Simon schob den todten Vogel in die Tasche.

»Ihr seht, das Mittel ist probat,« fragte er darauf, »wann befehlt Ihr, daß es wirke?«

»Je früher, je besser,« versetzte Philipp, die Zuversicht eines schnellen und glücklichen Ausgangs der That in seinem verzerrten Lächeln tragend.

»Morgen also,« bestimmte Simon. »Morgen um die siebente Frühstunde hört Euer Weib auf zu leben. Sie soll ein Haar in der Suppe finden, und sich den Tod daran würgen. Verlaßt Euch darauf und seyd frohen Muths! Doch, halt! beinahe hätte ich vergessen, was ich zunächst bei Euch wollte. Ich habe heute Mittag im alten Hause, welches nun das meine ist, aufgeräumt und ausgelüftet; habe auch alle dem seligen Herrn gehörige Habe, die ich auf Euern Befehl in eine Bodenkammer sperren mußte, zusammengelegt, um sie zu Euch zu bringen, wenn Ihr's begehrt. Bei diesem Räumen und Suchen also habe ich in einem unbeachteten Schubfache des Kästleins mit den gewundenen Säulen, worin der Herr Wernher feine Kleinodien zu verwahren pflegte, einen kleinen Pack Schriften gefunden, die mir, wenn ich auch lesen könnte, dennoch von keinem Nutzen seyn würden, während sie Euch vielleicht in etwas dienen könnten. Ich liefere sie daher in Euere Hände ab, und wünsche, daß Ihr viel Gutes darinnen finden möget.«

Er legte den bestaubten Papierkram auf den Tisch und entfernte sich.

Philipp hatte kaum die Zeit, das Päcklein, das mit einer Schnur umwunden, und ohne Aufschrift war, von außen zu besehen, und es zu sich zu stecken; denn Thurneisen und der Notarius traten so eben in die Thüre. Die nahe Entwickelung seines traurigen Verhältnisses gab dem Kaufherrn Laune und Muth zur Verstellung. Thurneisen fand sich weit eher mit ihm zurecht, als er je gehofft hatte, stieß nur auf geringe Bedenklichkeiten und Hindernisse, und sah sich bald am Ziele. Philipp zeigte sich endlich bereit, sein neues Haus, seinen großen Garten vor dem Donauthor, und zweitausend Reichsgulden seiner Ehefrau als Witthum auszusetzen, die Urkundsperson schrieb an Ort und Stelle den Vertrag nieder, und nahm ihn, nach gehöriger Unterzeichnung, in Verwahr. Der Rathsherr, vollkommen getäuscht durch Philipps Betragen, konnte nicht umhin, sich im Innern viele Vorwürfe wegen der Unbilden zu machen, die er an seinem Eidam verübt, und ihm recht herzlich die Hand zu schütteln. – »Ihr seht, Schwähervater,« sprach Philipp zu dem Rathsherrn, etwas leise, doch mit Bedacht laut genug, daß der Notarius es vernehmen konnte – »Ihr seht, wir ehrlich ich es mit Euerer Tochter meine, wie ich gerne den Frieden im Hause erhalten möchte. Redet ihr doch ein Mal in das Gewissen, daß auch sie ihr Theil dazu beitrage, und mich nicht durch ihre Bosheit um Gesundheit und Leben bringe, auch ferner der Welt kein Aergerniß gebe. Ich bin bereit, ihr Alles zu vergeben, was sie gegen mich verbrochen, wenn, ich ein Mal sehen werde, daß es ihr Ernst mit der Besserung ist.« – Thurneisen versprach auch Alles, was Philipp wollte, nannte ihn seinen braven lieben Schwiegersohn, und ging vergnügt hinweg. Der Notarius kehrte sich aber noch unter der Thüre zu Philipp, und sagte ihm leise: »Herr Wernher! nehmt's nicht ungerade, aber Ihr dauert mich. Es ist bekannt, daß Ihr einen unglücklichen Haushalt führt mit Frau Barbara, ohne Euer Verschulden, und ich wünsche, Euer edles Thun möchte von Vater und Tochter erkannt werden. Euere fromme Rede zum ersten beim Abschiede hat Mich beruhigt, denn … nehmt's nicht ungerade, es fiel mir nur so ein … weil Ihr vor einigen Tagen so viel Gutes an Euern alten Diener und heute wieder so viel an Euer Weib verschrieben habt, dachte ich mir, Ihr wolltet Euch am Ende gar ein Leides anthun; aber ich sehe nun, daß Ihr ein frommer Christ seyd, der Beleidigungen zu vergeben weiß, und auf Leben und Sterben denkt, um seine Angehörigen nicht in Zweifel und Ungewißheit dereinst zu hinterlassen. Gott segne Euch dafür mit Glück und häuslichem Frieden; denn wenn er es will, so wandelt er den verstocktesten Heiden in einen Bekenner Jesu, das bösartigste Weib in ein sanftmüthiges Lamm.«

Er ging freundlich zunickend von dannen. Doch Philipp lachte dem frommen Alten spöttisch nach. – »Wo Gott nicht hilft, helfe der eigene Arm!« sprach er hierauf vor sich hin. »Wohl bekomme dir das Morgenbrod, verworfenes Weib!« – Er schloß den Laden, und überlegte, ob er wohl zu Barbara hinaufgehen, und zum Letztenmal den Abend bei ihr zubringen solle, um sie durch verstellte Freundlichkeit kirre, und auf alle Fälle hin sorgloser zu machen – oder ob es besser sey, im fröhlichen Becher Kraft für Morgen zu suchen, und auf das Gelingen des Anschlags zu trinken. – Dem Rest von unverdorbnem Gefühl in seiner Brust widerstand es, sich an dem Anblick seines Opfers zu weiden, und er suchte deßhalb das Getümmel lustiger Zecher, gegen Mitternacht mit schwerem Kopfe das Lager. Demungeachtet weckte ihn schon der erste Frühstrahl, und die Dämpfe des Weins flohen bei der Erinnerung an das Werk, welches den heutigen Tag bezeichnen sollte. Sein Geist besaß nicht Stärke genug das Vollbringen desselben ruhig und gelassen abzuwarten. Namenlose Angst peitschte ihn aus dem Hause. Simon begegnete ihm in der Hausflur. Der Alte schlich wie eine Katze um die Küchenthüre herum. Leise und verstört fragte ihn Philipp, was er da beginne. »Ich erwarte einen günstigen Augenblick,« antwortete Simon. »Ihr habt aber Recht, das Haus zu meiden. Euere Jammermine würde Verdacht erregen. Nach sieben Uhr mögt Ihr heimkehren. Ihr werdet dann des Geheuls genug finden, und die arglose Welt schreibt Euer Entsetzen auf Rechnung des unvorhergesehenen Verlustes.« – Nagende Schlangen im Busen, rannte Philipp davon; an der Ecke hielt er einen Augenblick-stille. »Jetzt wäre es noch Zeit,« flüsterte sein zagendes Gewissen; »ein Wort, und die Unthat bleibt ungeschehen, deine Hand rein« … Schon zuckte der Fuß zurück … da stürmte plötzlich der Eigennutz wüthend darein: »Du zauderst noch, und schon ist der ungeheure Preis bezahlt und dem Teufel verschrieben. Willst du ihn zurücklassen, ohne deine Absicht zu erreichen? Vertraue dem Glück und Simons Klugheit, und laß die Feindin ihre Bosheit büßen!« – Diese Gründe überwogen, und Philipp schlich sich scheu durch die noch ziemlich öden Gassen der Stadtmauer zu. Es war ihm, als könne er nirgends Ruhe finden als in der Nähe des Orts, wo die Frevelthat endlich unwiderruflich beschlossen worden war. Seine Hoffnung täuschte ihn. Die dicken Mauern beengten seine Brust, aus jedem Winkel drohten die Schreckbilder seiner Einbildungskraft. Die dann und wann an ihm vorbeieilenden Wächter schienen ihm, von dem Verbrechen unterrichtet, auf den Fersen zu folgen. Vor seinem eigenen Gehirne fliehend, verließ er die Stadt und streifte unstät umher auf den Feldern. Die sechste Stunde brummte vom hohen Münsterthurme; zusammenschaudernd warf sich Wernher unter einen in Blüthen stehenden Baum auf den kühlen Rasen nieder. »Noch eine Stunde,« seufzte er, »noch eine Stunde, hat sie zu leben. – Muth! Muth! auch diese Stunde wird verrinnen, ihr den Tod gebracht haben, und ich werde ruhig seyn!« In Erschlaffung sank sein Haupt zurück, die Hände falteten sich auf der Brust, und in halber Abwesenheit des Bewußtseyns versuchten seine Lippen ein Gebet für die dem Tode Geweihte zu stammeln, das in seinen verkehrten Wendungen und Ausdrücken ein treues Bild des Sturms in seiner Seele wiedergab. Erschöpft richtete er sich wieder auf, nach kurzer Frist, und griff unwillkürlich nach der linken Seite, wo er einen leichten Druck verspürte. Seine Hand faßte in der Tasche des engen Wamms das Päckchen, das ihm Simon am verwichenen Abend gegeben. Zufrieden, etwas gefunden zu haben, womit er sein Gemüth beruhigen, seinen Geist zerstreuen könne, öffnete er seinen Fund. Haarlocken, Schleifen, Bänder fielen heraus. Es war eine Sammlung von Liebespfändern, die der eitle Vater des Kaufherrn aufzubewahren pflegte, um in einsamen Stunden der Muße sein Alter durch Erinnerungen an beglückte Stunden der Jugend aufzufrischen. Unter diesen vergänglichen Zeichen vergänglicher Liebe befanden sich einige Papiere, größtentheils Briefe von denjenigen Geliebten des Rathsherrn, die der Schreibkunst in solchem Grade mächtig waren, um an den Studirten ein Schreiben wagen zu dürfen. Philipp überflog sie oberflächlich, und warf sie mit mitleidigem Lächeln auf die Seite. Der letzte jedoch, kurz und deutlich genug, fesselte seine Aufmerksamkeit, und machte ihn plötzlich erbleichen., Der Zettel hieß, wie folgt: »Geliebter Wernher. Ich ergreife die Gelegenheit, die sich mir darbietet, um Dir, wiewohl mit zitternder Hand, zu melden, daß Dein Kind sich wohl befindet. Ich bin dagegen noch immer krank. – Wenn Du Deine Tochter doch sehen könntest! Du weißt gewiß, daß sie gestern getauft wurde. Sie heißt Barbara wie ich, weil Du diesen Namen liebst. Ich schicke Dir hiemit einige Haare ihres Haupts, das sie voll Locken auf die Welt gebracht hat. Versuche es aber nicht, mich und Dein Kind zu sehen. Ehrenfried hält zu strenge Wache, und ahn't, fürchte ich, weit mehr als Thurneisen, der bei seiner Heimkunft wohl stutzen wird, wenn er das dicke Dirnlein findet, welches keinen Zug von ihm hat. Ich kann ihm aber, wenn ich nur seinem Hochmuth schmeichle, Alles was mir einfällt als Wahrheit aufheften. Und somit beruhige Dich. Deine treue Barbara.«

» Valga me Dios!« schrie der entsetzte Leser auf … »Barmherziger Gott! welch ein fürchterliches Licht dämmert vor meiner Seele! Verflucht sey der Tag, der mich, der sie in's Leben rief! Barbara ist meine Schwester, und ich Elender habe sie unwissend in Blutschande umarmt!«

Wie ein sinnloser Mensch schlug er zu Boden und wälzte sich wüthend im Grase, krallte seine Hände grimmig in die Erde. Ein neuer zerschmetternder Gedanke jagte ihn aber plötzlich wieder empor. – »Was thue ich?« brüllte er … »was will ich denn eigentlich? Bin ich nicht auf dem Punkte mehr zu thun, als ich bereits gethan? Will ich sie nicht ermorden lassen … meine Schwester ermorden? Vielleicht indem ich daran denke … trinkt sie das Gift von des Gatten, von des Bruders Hand! Fürchterlicher Gedanke! Du machst mich wahnsinnig, und entmannst mich! – Ist es nicht schon zu spät?«

Im selben Augenblicke schlug die Thurmuhr Sieben. Jeder Schlag war ein Keulenstreich auf Philipps blutendes Herz, und seine stumme Verzweiflung konnte den unerbittlichen Hammer nicht aufhalten. »Wenn ich mich verrechnet hätte,« stammelte des Verbrechers Seelenangst, während dem Zählen; wenn es jetzt erst sechs Uhr schlüge?« – Umsonst! die Zeit schenkte ihm keine Stunde. Der siebente Schlag der Glocke setzte aber alle Getriebe seines Körpers in Bewegung. Das unselige Blatt im Busen verbergend, flog er mit Riesenschritten über die Flur, über die Heerstraße, der Stadt zu; athemlos stürmte er durch die vom Markt belebten Gassen nach seinem Hause, eilte wie ein gescheuchtes Reh die Treppe hinan. Alles schien im Hause ruhig, Alles seinen geregelten Gang zu gehen. Bleich wie ein Gespenst stürzte Wernher in Simones Kammer. – »Schon daheim?« fragte der darin unruhig auf- und abgehende Diener und fuhr vor der Blässe und Verstörung des Gebieters zurück. – »Ja!« keuchte der Letztere … »wollte Gott! ich käme nicht zu spät? Hat Barbara getrunken?« »Sie hat,« entgegnete Simon kalt. »Vor einer Viertelstunde trug die Magd die Morgensuppe auf ihre Kammer.« – »Weh – mir!« stöhnte Wernher, und knickte zusammen. – »Was ist Euch?« fragte Simon besorgt. »Plagt Euch der Satan? Wollt Ihr Euch und mich verderben? Richtet Euch auf; was hat Euch denn so ergriffen?« – »Barbara ist … meine Schwester!« stammelte der Verzweifelnde. – Simon stand wie vom Blitze gerührt, ermannte sich aber schnell. »Wenn sie Euere Mutter wäre,« sprach er hierauf kalt, »so könntet Ihr sie doch nicht mehr retten. Ich stehe auf Nadeln, denn ich erwarte von Minute zu Minute das Beginnen des Sterbejammers und Klagegeheuls.«

»Entsetzlicher!« rief Wernher. »Du stehst so kalt bei meiner Verzweiflung? Wohl denn, ich will mich überzeugen und retten, wenn es noch nicht zu spät ist.« – »Und uns elend machen!« erwiederte Simon und hing sich mit aller Macht seines alten Körpers an den Auftobenden; allein dieser war von dem schwachen Greise nicht zu bändigen. Er schleuderte ihn von sich und eilte auf Barbaras Gemach zu. Ohne aus sich oder irgend etwas and'res Rücksicht zu nehmen, stieß er die Thüre auf; sein erster Blick auf Barbara machte ihn zu Stein. Sie saß bleich, mit blauen Lippen und an allen Gliedern zitternd am Tische; vor ihr stand die unselige Schale. – Lautlos blieb er an der Thüre gelehnt stehen, und starrte auf das Weib; das Letztere durchbohrte ihn mit ihren Augen. »Was willst Du?« kreischte sie ihm endlich entgegen. »Dein Frühstück theilen,« stammelte er bewußtlos. – »Verzehr's ganz, feiger Mörder,« schrie sie wuthentbrannt, und schleuderte ihm die Schaale vor die Füße. »Ich trank keinen Tropfen!« – »Gott sey gelobt,« ächzte Wernher, und ein Fels wälzte sich von seiner Brust. – »Ja, er sey gelobt,« wiederholte Barbara hämisch; »obschon Dir der Wunsch nicht von Herzen geht. Deine Arglist scheiterte an meiner Vorsicht und Gottes Gnade. Längst schon auf eine ruchlose That gefaßt, aß und trank ich seit geraumer Zeit von nichts, wovon Du nicht auch gekostet, und untersuchte jeden Morgen die Suppe, die für mich bereitet wird; heute finde ich sie übelriechend. Der Schierlingsduft, der gräuliche Schleim, der sich am Boden der Schale sammelt – beides enthüllt mir Deine Gräuelthat. Versuche nicht, zu läugnen. Margaretha hat mir in ihrer Einfalt erzählt, daß sie Dir begegnet … Du sey'st blaß und verstört gewesen … läugne also nicht, Ungeheuer! Mörder! Giftmischer! Doch Dein Lohn wird nicht ausbleiben; noch weiß das Gesinde nichts, aber ich habe nach meinem Vater geschickt … er soll Dein Urtheil sprechen, falscher Mann!«

Als wie gerufen, polterte Thurneisen zur Thüre herein. »Was gibt's?« rief er. »Was soll ich? gilt's wieder Frieden zu stiften? Wie seht Ihr aus, Eidam? Und Du, meine Barbara, was hat Dich so entsetzlich ergriffen?«

Barbara donnerte ihre Klage herunter, und forderte Rache. Philipp konnte noch immer kein Wort hervorbringen. Thurneisen ging die ganze Stufenfolge der Gefühle bis zur Wuth durch. Bebend vor Zorn brach er endlich los: »Niederträchtiger Bube! habe ich mein Kind dem Moloch geopfert? Du stellst ihr nach mit Gift? Geduld, Elender, Du sollst mir's büßen. Stehenden Fußes gehe ich vor Rath, zeige Dein Verbrechen an, und übergebe Dich dem Blutgericht!« Er wollte wie ein Sturmwind zur Thüre hinaus. Philipp stellte sich ihm aber entschlossen in den Weg. »Bleibt!« schnaubte er dem Rathsherrn zu. – »Wollt Ihr mich auf's Schaffot bringen? Hat nicht das nichtswürdige Weib selbst mich zu der verdammlichen That gezwungen? Dürstet Ihr nach meinem Blute? Wohl, so geht hin, ich werde mich stellen, werde nicht läugnen, aber öffentlich vor allem Volke es ausschreien, daß Ihr den Bruder mit der Schwester verkuppelt habt.« – »Mensch! was sagst Du da?« schrie Thurneisen, packte den Eidam bei der Brust und starrte ihm in die Augen. – »Die Wahrheit!« erwiederte Philipp außer sich. »Barbara ist Wernhers, meines Vaters Tochter, erzeugt mit Euerm buhlerischen Weibe. Les't und glaubt! – Er hielt ihm den verhängnißvollen Zettel hin; Thurneisen ergriff ihn mit zitternden Händen, seine Zähne schlugen zusammen, seine Kniee wankten. »Wahr!« heulte er nachdem er gelesen! »Wahr! Barbara! es ist wahr! – Allmächtiger! die Schande!« stöhnte Wernher's Gattin, und sank vom Stuhle. – Philipp fuhr jedoch fort: »Ihr habt gelesen; Ihr glaubt. Geht nun hin, mich dem Tode zu überliefern. Ich sterbe auf dem Hochgerichte. Dieser Tod ist das Werk einer Minute … aber das Brandmahl Eurer Schande, tilgt eine doppelte Lebenszeit nicht von Eurer Stirn!« – »Meiner Schande!« tobte Thurneisen. »Die Schmach überlebe ich nicht!«

Ehe ihn Philipp aufhalten konnte, war er der Stube entsprungen und verließ mit allen Zeichen eines irren und verzweifelnden Gemüths das Unglückshaus Der Stolz des hochfahrenden Mannes war wie von einem Wetterstrahle gebrochen, seinem Herzen in dieser Demüthigung der empfindlichste Streich versetzt. Sein verstorbnes Weib eine Buhlerin, seine Tochter, die er in stolzem Selbstbewußtseyn die seinige nannte, ein Sprößling unkeuscher Liebe – die Gattin des Bruders. Es war zu viel für ihn. Die Probe war zu hart, und ein ungestümer Geist wie der seinige greift gern zu verzweifelten Mitteln. Als Simon, den Philipp eiligst dem Rathsherrn nachgesandt hatte, um zu erfahren, was er im Schilde führe – dessen Spur verfolgend auf die Donaubrücke kam, stürzte sich Thurneisen von der Höhe derselben in den von Frühlingswasser angeschwollnen Fluß. »Helft! rettet!« schrie das versammelte Volk, der herbeieilende Simon, aber keine Seele wagte sich in die reißende Fluth. Da ritt der Syndikus herbei. »Fünfzig Gulden dem, der mir den Freund rettet!« rief er mit überlauter Stimme. – »Ich versuch es,« rief Einer aus dem Haufen, und Geismann sprang vor. – »Für fünfzig Gulden und einen guten Trunk wage ich Alles,« setzte er hinzu, und warf sich in die tobenden Wellen. Das zürnende Element spottete seiner übermüthigen Prahlerei, und riß ihn hinab zu dem Körper des Rathsherrn in die Tiefe. – Ernst und betroffen starrte die Menge in die donnernden Wogen. Schnepfinger aber, und Lukas, die unter den Zuschauern standen, und von bangem Schauder ihre Haare gelüpft fühlten, flüsterten sich ahnungsvoll in's Ohr: »die Hexenlene hat wahr verkündet, als wir sie vor sechs Jahren zur Stadt brachten. Den, der uns damals ausgesandt, und den, der die kluge Frau gelästert, hat der kühle Fluß erwartet. Gott behüte uns aber vor gleichem Schicksal in Gnaden und Barmherzigkeit!«

Erst eine Stunde weit unterhalb Ulm wurden die Körper der Verunglückten von dem zürnenden Strom an's Ufer geworfen, und von dannen nach der Stadt gebracht. Die Ursache dieser Begebenheit blieb ein Geheimniß, und man muthmaßte allgemein, die zerrütteten Umstände des Rathsherrn, und eine Weigerung des Eidams, noch länger dessen Schulden zu decken, hätten den bösen Entschluß erzeugt. Dieser Tag hatte aber auch bedeutende Folgen für Philipp. Barbara und er hatten noch eine Unterredung, in der sie schnell übereinkamen, die unselige Verwandtschaft zu verheimlichen, aus Furcht vor öffentlicher Schande, und die Trennung ihrer Ehe zu verlangen. Hingegen drohte Barbara, den fehlgeschlagenen Vergiftungsversuch anzuzeigen und Rache zu fordern, wenn Philipp sich weigern würde, ihr die in dem Witthumsbrief ausgesetzten Güter und Gelder, von Stunde an, als Eigenthum zu bewilligen. Der unglückliche Gatte, überzeugt, daß es der Nichtswürdigen keine Ueberwindung kosten würde, ihn auf das Blutgerüst zu bringen, erfüllte das Begehren der grausamen Schwester. – Thurneisens Gläubiger fielen über dessen verschuldete Habe her, und die sehr beträchtlichen Forderungen Wernhers zerflossen in Nichts, – der Kaufherr ließ sich so weit herunter, mit Simon zu unterhandeln, um ihn zu bewegen, den Schenkungsbrief, dessen Bedingung doch nicht erfüllt worden war, gegen eine mäßige Summe wieder abzutreten. Der alte Heuchler lachte aber in's Fäustchen, stützte sich auf die langer und treuer Dienste wegen gemachte Schenkung, und trat nicht das Mindeste von seinem neuen Eigenthum ab. Der Ueberlistete mußte schweigen, und so geschah es dann, daß dem reichen Kaufherrn Wernher – nachdem er sein halbes Gut an den verschwenderischen Schwähervater verschleudert, und die zweite Hälfte desselben durch seine Verbrechen einem elenden Weibe und einem bösen Knechte in die Klauen gejagt hatte – von seiner großen Habe nichts übrig blieb, als ein kleines Bauerngut unweit Ehingen, auf welchem er in Gesellschaft seiner Hunde und seines geplünderten Geldkastens sein verschuldetes Unglück verbarg.

 

Ende des zweiten Bandes.

 


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