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Erstes Kapitel.


Sahest Du nie die Schönheit im Augenblicke des Leidens?
Niemals hast Du die Schönheit gesehen.

Schiller.

»Das Regiment unsers Hauses kömmt mir vor wie das heilige römische Reich!« sprach Bernhard nach dieser Scene verdrießlich. »Einer will rechts, der Andere links, der Dritte gar nicht vom Flecke, und das Oberhaupt ist verrückt, wie unser gnädigster Kaiser. Die Wirthschaft muß mir aber aufhören, so wahr ich ein Mann bin. Die Weiber müssen sich fügen: Ludmille gehorchen, die Mutter den verdammten Schwarzkittel abschaffen, dessen Gesicht wie eine magere Fastensuppe in unser Ostermahl hereinschielt. Der Vater muß aus dem Hause, auf eins von seinen ungarischen Schlössern. Dort mag er wüthen und toben, die Seinigen verwünschen, so viel – und sterben, so bald er Lust hat. Wenn ihn auch die Ungläubigen ein Paar Jahre früher aus der Welt befördern sollten … was schadet's? ein Toller ist gar kein Mensch mehr und er hat uns Tort und Dampf genug angethan. Vor Allem aber verlasse Dich darauf, Bruder Kauniz, ich halte meine Zusage.«

»Das hoffe ich auch,« erwiederte der Busenfreund. »Du weißt, was wir abmachten, als ich Dir die Gelder vorschoß, die Dich vom Abgrund retteten.«

»Ich weiß es wohl,« versetzte Bernhard grämlich. »Laß nur die alten Zeiten ruhen, sonst fallen mir wieder alle meine Gläubiger ein, die täglich wie Hussiten mein Haus stürmten. Pedell, Carzer, Consilium, Schande, Alles stand mir bevor. Die Mutter hätte mir nicht helfen können … ich hätte mich auch eher erwürgt, ehe ich den Mantel meiner Tugend abgelegt hätte, den ich noch immer vor ihren Augen so glorreich trage. Mit einem Wort: ich weiß, was ich dem Retter in der Noth zusagte, und ich werde es halten.«

Sie standen auf. Es galt als ein Signal für die Versammlung, die ruhig fortgezecht hatte; und unter den jungen Herren wurde einstimmig ein Ritt nach dem Forst beschlossen, in den sie an den folgenden Tagen zur Jagd ziehen wollten. Kauniz allein entschuldigte sich, seiner Müdigkeit wegen, und blieb zurück, als die Uebrigen aus dem Schlosse in's Freie jubelten.

Aufgeregt von der Reise und dem feurigen Traubensohn, der an der Tafel die Becher der Zechenden gefüllt hatte, strich er unruhig im Schlosse hin und her, ohne Zweck noch Ziel. Mit Ludmillens Bilde beschäftigt, stand er bald am Fenster eines Vorsprungs und sah in die vom matten Sonnengolde erleuchtete Abendgegend, bald schritt er auf und nieder in den langen Gängen des Schlosses. Auf einer dieser Wanderungen stahlen sich Zitherklänge zu seinem Ohr. Er stand, lauschte, vernahm eine zarte weibliche Stimme, die durch ihre schmelzenden Töne seine Einbildungskraft in Flammen setzte. Das ist Ludmille! war sein erster Gedanke … sein zweiter der Vorsatz, sie zu überraschen, und vielleicht zur gelegenen Zeit ihre Neigung, ihr Jawort zu erschmeicheln oder zu ertrotzen. Behutsam schlich er den Klängen nach, und stand in Kurzem vor einer Thüre, hinter welcher die Sängerin athmen mußte. Als ein geübter Horcher überzeugte er sich davon und öffnete sie leise. Gerade ihm gegenüber saß auf einem türkischen Ruhebette Leila mit der Laute in der Hand, und stockte in ihrem Gesange, als sie den unerwarteten Besuch eintreten sah. Kauniz trat auch wirklich ein. Die Sängerin war zwar nicht Ludmille, wie er gehofft, aber doch immer ein wunderschönes Mägdlein, ihr Wuchs lockender, ihr Auge versprechender und der Besucher nicht schwierig in dem Wechsel seiner Wahl. Glühend von Wein und Liebe, trat er keck zu der Fremden, belobte ihr Spiel, ihre Stimme, ihre Reize. Leila horchte staunend auf, und wollte, da er sich neben sie auf die Ottomanne niederließ, sich entfernen. Allein der lockere Jüngling, nicht gewöhnt, auf halbem Wege stehen zu bleiben, hielt sie zurück, und verschwendete sanfte Bitten und Schmeicheleien, um einen Kuß von ihren Lippen bettelnd. Leila widerstrebte anfänglich schüchtern und bescheiden dem vornehmen Gast; als dieser aber die Unbescheidenheit immer weiter trieb, in wilder Begierde bald keinen Zaum mehr kannte, stieß sie ihn zurück mit Drohungen und Vorwurf. Kauniz lachte des Grimmes der Wehrlosen, und setzte seine Unanständigkeiten mit verdoppelter Gewalt fort, so daß dem bedrängten Mädchen, von der Flucht zurückgehalten, nichts übrig blieb, als laut um Hülfe zu rufen. Kauniz, im Wahne stehend, sich in einem abgelegenen Theile des Schlosses zu befinden, kümmerte sich nicht darum, sondern bemühte sich, den Angstruf der Schönen mit feurigen Küssen zu ersticken. Allein zu spät … er war gehört worden, und zur gelegenen Zeit für Leila, zur ungelegenen für den Lüsternen, sprang Archimbald in das Gemach. Die Stellung, in der er Beide sah, die gefalteten Hände, die ihm die um Hülfe flehende Leila entgegen streckte, unterrichteten ihn augenblicklich von dem, was hier vorging. Ohne sich lange zu bedenken, fiel er über den weit ältern Kauniz her, und dieser mußte der gewaltigen Kraft des Jünglings weichen. Er taumelte auf das Ruhebett, und Leila floh. Wüthend fuhr Kauniz in die Höhe und wollte auf Archimbald ein, der wie ein zürnender Gott ihm gegenüber stand, als er, von seinem Bewußtseyn niedergeworfen, auf's Neue in die Kissen zurück sank. Denn in der Nebenthüre, von dem Getöse aufgeschreckt und herbeigerufen, war Ludmille erschienen und Zeugin des Auftritts gewesen. Kauniz wollte einige Worte der Entschuldigung stammeln, aber ihr vernichtender Blick donnerte ihn zu Boden. Dem Retter in der Noth mit ohnmächtiger Wuth drohend, verließ er das Gemach mit ungewissem Schritte. Archimbald wollte ihm auf der Ferse folgen, als er bemerkte, daß Ludmille, theils vom Schrecken, theils von dem kränkenden Gefühle, daß sie dem verjagten Wollüstling von ihrem Bruder zum Opfer bestimmt sey, erschüttert, an allen Gliedern bebte, und, die Farbe wechselnd, mit ungewisser Hand sich an dem Pfeiler der Thüre hielt. Sie war unendlich liebenswürdig in dieser Stellung, und Archimbald konnte dem Reiz des Augenblicks nicht widerstehen. Er flog zurück und unterstützte die heißgeliebte Herrin mit sanfter, aber starker Hand. Ludmille hielt ihre Augen auf eine kurze Weile geschlossen … öffnete sie dann langsam, und wurde zur Purpurrose, als sie sich im Arme, beinahe an der Brust des Jünglings erblickte, gegen dessen äußere Vorzüge und sittiges Benehmen sie nicht unempfindlich geblieben war. Sanft und schnell entzog sie sich ihm und lispelte: »Ich danke Euch … Junker … es ist vorüber.«

Archimbald hatte zwar die Rechte von dem schlanken Leibe der holden Prinzessin ehrerbietig entfernt, mit der Linken aber, bewußtlos in ihren Reizen versunken, die ihrige festgehalten. Der schwache Versuch, den sie machte, der leichten Fessel sich zu entledigen, mißlang; denn ein feuriger Druck hielt die Gefangene enger verwahrt. Staunend sah Ludmille zu dem verwegenen Frevler auf; allein bestürzt mußte sie den Blick zu Boden senken, als sie seine brennenden Augen auf ihrem Antlitz verweilend schaute. Es lag Mitleid, Besorgniß, Theilnahme … ach! … es lag weit mehr als alles dieses in dem Ausdruck seiner Miene, in dem Schimmer seiner Augensterne; etwas, das … wunderbar beängstigend und dennoch unnennbar wohlthuend das jungfräuliche Herz berührte; ein Blitzstrahl, der die Flamme eines süßen Leidens auf dem Altar entzündete, der bis jetzt noch öde, ohne Opfer gestanden. Welch ein Sturm in ihrem Innern … sie konnte ihn nicht ertragen. »Was thut Ihr, Archimbald?« fragte ihr namenloses Staunen; »laßt mich!« … Allein der Ungehorsame widerstand noch immer, er wurde kühner. Ludmillens Linke fühlte sich enger umstrickt, und zu ihren Füßen lag der verwegene Jüngling, als wollte er um Vergebung seiner Keckheit bitten. Seine Unterwerfung vollendete die ihrige. Der Sieger lag auf den Knieen vor der Besiegten. Sie ward es mit Scham und Wonne inne … »Um Gotteswillen!« seufzte sie: »Archimbald! was ist Euch?« – Der stumme, aber um so unwiderstehlichere Jüngling erwiederte diese Frage mit einer leidenschaftlichen Geberde, die über das, was in seiner Brust vorging, keinen Zweifel überließ, und drückte einen heißen Kuß auf die Sammthand der Geliebten, die mit einem leisen Gegendruck so viel Liebe vergalt, sich mit der letzten Anstrengung der Weiblichkeit von ihm losmachte, noch einen innigen Blick auf den Glücklichen warf und schnell, wie eine Erscheinung, in ihren Gemächern verschwand.

Archimbald, in einer Verwirrung versunken, wie sie nur die erste Liebe in dem Busen des Mannes schaffen kann, brauchte lange Zeit, um sich in dem Wirbel seiner Empfindungen zurecht zu finden. Dieser ebnete sich, endlich; allein es schienen ihm bereits Jahre zwischen dem verwichenen und dem jetzigen Augenblick zu liegen. Was er vor einigen Athemzügen erlebt hatte, der Genuß, in dem er geschwelgt wie ein üppiger Prasser, die Wonne der letzten Minuten … Alles dieses war ihm eine selige, aber lang entwichene Vergangenheit. Er konnte sich die Möglichkeit seines Glücks, die Wirklichkeit desselben nicht denken; er wagte es nicht … und dennoch, gestand er sich mit stillem Jubel, dennoch war es kein Traum; es war mehr als ein täuschendes Bild, das der Einbildungskraft von der Sehnsucht vorgehalten wird … er hatte ihr, der Liebenswerthen, seine Leidenschaft gestanden, hatte den sanften Druck ihrer Hand empfunden, hatte ihren letzten Blick gesehen, der ihm eine glückliche Vorbedeutung schien. Dem ungeachtet quälten ihn aber bange Zweifel. Hätte er sich in seiner Vermuthung getäuscht, wäre der Blick, den er für die Morgenröthe der Liebe hielt, der Herold ihres Zorns gewesen? – Von diesen Gedanken beunruhigt, hörte er mit einem Male die Glocke aus der Fürstin Zimmer. Der Dienst mahnte ihn, und wie ein armer Sünder, in banger Besorgniß, Ludmille möchte den frevelnden Pagen vor dem Richterstuhle der Mutter angeklagt haben und diese ihn zur Rechenschaft ziehen wollen, folgte er dem Ruf. Seine Züge mochten auch das Gepräge dieser Besorgniß tragen; denn die Fürstin, die ihn allein in ihrem Gemache empfing, sprach lächelnd und gutmüthig zu ihm: »Befürchtet nichts, mein Sohn. Ich schelte Euch nicht um Eures Betragens gegen den Herrn von Kauniz, ob Ihr gleich dadurch die heilige Gastfreiheit beleidigt habt. Ich bin schon durch die arme Leila von Allem unterrichtet, und Ludmille hat mir ihre Aussage bestätigt. Kaunitz hat zuerst das Gastrecht gebrochen durch seine Frechheit gegen meine Dienerin, und Ihr habt ihn in die Schranken zurückgewiesen. Das war Euere Pflicht als Genosse dieses Hauses und als Edelmann, der die Unschuld schirmen soll, wo er es vermag. Für die Mäßigung aber, die Ihr dabei bewiesen habt, danke ich Euch, und will, daß Ihr hinfüro diesen Dolch, den ich Euch zum Geschenke mache, tragen mögt, um auch in ernsthaftern Anlässen der Tugend Euern starken Arm leihen zu können. Einen besonnenen Jüngling, wie Ihr seyd, darf man wehrhaft machen ungescheut. Ihr werdet die Waffe nicht mißbrauchen.«

Sie reichte ihm einen blitzenden Dolch. Der vergoldete Griff von getriebener Arbeit, verschwenderisch mit Krystallknöpfchen geziert, hatte ein vornehmes Ansehen, so wie die roth sammetne Scheide mit vergoldetem Beschläge, in der die damaszirte, zweischneidige Klinge ruhte. Ein reich gesticktes Wehrgehänge befestigte die Waffe an Archimbald's Gürtel.

»Der Dolch,« sprach die Fürstin, während er ihn anlegte, »wurde von meinem Gemahl dem von seiner Hand gefallenen Hassan Pascha von Bosnien als Siegeszeichen abgenommen. Hassan's Tochter, Leila, macht Euch also gewissermaßen ein Geschenk aus dem Erbe ihres Vaters. Das Wehrgehänge ist von Ludmillens Hand verfertigt, die es für ihren Bruder bestimmt hatte. Die Geschwister haben aber, wie ich glaube, schon einen kleinen Zwist, und Ludmille hat erklärt, dieß Geschenk ihrem Bruder entziehen und Euch zum Dank für den Schutz, welchen Ihr der armen Leila verliehen, bestimmen zu wollen. Tragt es also zu ihrem Gedächtniß und entweiht es nicht durch eine unwürdige That.«

Archimbald, hoch entzückt über das liebe Geschenk, das seine kühnsten Erwartungen übertraf, küßte der Fürstin die gütige Hand und betheuerte ihr durch die ausdrucksvollsten Geberden seinen Dank und seine Unterwürfigkeit.

»Ich glaube Euern Versicherungen,« sprach die Fürstin mit Gefühl; »aber nun erlaubt mir eine Bitte und vernehmt meinen Befehl. Die Bitte ist: laßt von nun an den Herrn von Kauniz in Ruhe; denn er ist ein inniger Freund meines Sohns, hat ihm das Leben gerettet; und ich will wegen dessen den ärgerlichen Auftritt mit Leila gütig übersehen, um ihm nicht die wenigen Tage zu verbittern, die er in Gesellschaft meines Bernhards hier zuzubringen hat. Da er Euere Kraft kennen gelernt, wird er Euch in Frieden lassen, denke ich. Thut Ihr gegen ihn das Gleiche.«

Archimbald neigte sich und gelobte es mit erhobener Hand.

»Nun aber,« fuhr die Fürstin ernsthafter fort, … »nun hier meinen Befehl. Der Pfarrherr Schönemann hat sich bitter über Euer Betragen gegen ihn beschwert. Lächelt nicht, Ihr könntet mich aufbringen wie den Pfarrherrn. Thut, wie ich Euch sage. Hegt mehr Ehrfurcht gegen ihn und die Lehre, welche er verkündet. Mag sein Wesen abschreckend, sein Ton immerhin etwas rauh, seine Sitten anstößig scheinen … er ist ein Diener des Herrn und des heiligen Evangeliums. Ihr seyd verbunden, ihn zu ehren, und ich befehle es Euch. Euere treuesten Dienste verlieren in meinen Augen den Werth, wenn Ihr die Religion nicht Euerer Gebieterin gleich achtet, ja wohl noch höher als sie. Ich will wohl zu Euerer Entschuldigung glauben, daß an der Geringschätzung Euerer Religion der lange Aufenthalt unter katholischen Bettelmönchen Schuld ist, die nicht ermangelt haben werden, die protestantische Lehre zu verkleinern; allein Ihr müßt auf den rechten Weg zurück gebracht werden, mit der Hülfe Gottes. Dazu ist aber das beste Mittel der fleißige Besuch unserer täglichen Betstunde in der Schloßkapelle, wo Ihr Euch ohne Weigern einzufinden habt. Ich werde erfahren, ob Ihr mir Gehorsam leistet. Geht jetzt mit Gott!

Archimbald bückte sich, um zu gehen. Die Fürstin rief ihn aber zurück. »Noch ein Wort, weil ich gerade auf den Text kam,« sprach sie, eine kleine Verlegenheit unter dem Deckmantel der Gleichgültigkeit verbergend. »Wie geht es dem Grafen … dem Pater, wollte ich sagen, der Euch unterrichtete? Er befindet sich wohl? … zufrieden? … Ihr zuckt die Achseln? O nein! nein!« setzte sie mit ausbrechender Wehmuth hinzu … »er kann nicht zufrieden seyn, in dem Schooße der fremden feindlichen Kirche? Nimmermehr.«

Sie legte das kühlende Tuch vor die Augen und schwieg einige Augenblicke. »Wie ich von Nepomuk vernommen habe,« fuhr sie dann gemäßigt fort, »so habt Ihr heute mit ihm zugleich den Dienst bei meinem Gemahl verrichtet?«

Archimbald bejahte.

»Es war nicht mein Wille,« sprach sie weiter: »ich hätte gewünscht, Euch den traurigen Anblick vorenthalten zu können, ich liebe es nicht, daß meine Dienerschaft die beklagenswerten Blößen sehe, die mein Gemahl in seinem unglücklichen Gemüthszustande sich und seiner Würde gibt. Darum hat auch keiner von den Schloßleuten noch jene Zimmer betreten, Nepomuk und Christoph ausgenommen. In die Redlichkeit des erstern setze ich das größte Vertrauen. Sie und die unempfindliche Gleichgültigkeit des zweiten bürgen mir dafür, daß dem Gesinde und den Fremden streng verschwiegen bleibe, was in dem Gemach, das mein Gemahl bewohnt, vorgehen mag. Der Zufall hat Euch zum Mitwisser gemacht. Ich hege aber die Zuversicht, daß Ihr keinen Mißbrauch von diesem Umstande machen und keiner Seele durch das geringste Zeichen verrathen werdet, was Ihr gesehen habt.«

Archimbald schüttelte den Kopf und legte die Hand feierlich auf die Brust.

»Nun so geht denn im Frieden,« versetzte die Gebieterin erheitert, »und nehmt diesen Schlüssel mit Euch – sie machte ihn von dem Schlüsselbunde an ihrer Seite los – er schließt die Bibliothek im rechten Flügel des Schlosses auf, zu dem Euch Nepomuk den Schlüssel geben wird. Die Büchersammlung ist ansehnlich; denn meine Ahnherren haben sich immer mehr mit der Gelehrsamkeit als mit dem Kriege abgegeben, so wie im Gegensatze die Vorfahren meines Gatten, des Fürsten, stets den Degen der Feder vorgezogen haben. Seit dem Ableben meines Vaters kam die kostbare Sammlung in Unordnung. Der vorige Pfarrherr des Dorfs, ein Mann von großer Wissenschaft, kam zwar häufig in die Bibliothek, beschäftigte sich aber nur mit seinen Studien und stellte keine Ordnung wieder her. Nach seinem Tode war vollends nicht mehr daran zu denken, denn der Pfarrherr Schönemann hält nichts auf Bücher, indem er meint, in der Bibel sey alles enthalten, was der Mensch zu wissen brauche. Er mag auch recht haben, weil dieses heilige Buch von Gott stammt. Es sehen es aber nicht alle Menschen ein. Mein Sohn hat gleich bei seiner Ankunft die Bibliothek zu sehen verlangt, und sich über die Zerrüttung beschwert, in der sie sich befindet. Da er sie in der Folge zu benützen gedenkt, jedoch selbst die Zeit und Geduld nicht hat, sie wieder einzurichten, so beauftrage ich Euch, dieses in den Nachmittags- und Abendstunden in's Werk zu setzen; für diese Zeit entbinde ich Euch des Dienstes. Ihr seyd gelehrt und fleißig, wie mir der Pater Hubert meldet. Ordnet die Büchersammlung und fertigt ein Verzeichniß davon. Haltet Euch indessen nicht so tief in die Nacht hinein in jenem Flügel auf. Die Schloßleute hegen ohnedieß den Wahn, es spuke darinnen, und der ungewohnte Lichtschimmer könnte sie in dem Glauben bestärken oder meinen Gemahl schrecken, der gerade gegenüber seine Gemächer hat. Geht und verrichtet Euere Geschäfte mit Eifer und Fleiß. Der Herr sey mit Euch!«

Archimbald entfernte sich, um in seiner einsamen Kammer das unschätzbare Geschenk Ludmillens, den Beweis ihrer Zuneigung, das Pfand ihrer Verzeihung zu betrachten, zu küssen, und den Eid unverletzlicher Treue gegen die Gebieterin seines Herzens darauf abzulegen. »Dieses Eisen,« sprach er so leise als möglich, damit die stillen Wände nicht seine Verräther werden sollten: »diesen scharfen Stahl, den ersten, den ich trage, weihe ich dem Schutz der Liebe und der gerechten Rache. Er werde mehr als ein glänzendes Spielwerk; er werde das Werkzeug meiner heiligsten Pflichten, der Schlüssel, der meine Gelübde löset … der mitleidige Freund, der mich aus diesen Gefilden in eine bessere Heimath führt, wenn ich je an der Erfüllung meiner Schwüre verzweifeln müßte!«

Stolz und feierlich, als ob des Papstes Segen den Dolch des Ungläubigen geweiht hätte, steckte er ihn wieder an die Seite und schob den Schlüssel der Bibliothek – ebenfalls ein köstliches Kleinod für ihn, der sich schon verlangend nach den Schätzen des Wissens sehnte – in die Tasche, als Nepomuk leise schleichend in die Kammer trat.

»Guten Abend« sprach er freundlich wie eine Katze … »guten Abend, lieber Junker. Der Herr gönne Euch das Licht. Was macht Ihr so einsam hier im Stüblein, worin es bereits dämmert, dieweil es sich behaglich und hell in meinen vier Pfählen sitzen ließe? Ich hätte Euch ein Stündchen verplaudert, und Ihr hättet mit Händen und Augen geantwortet, so gut es angeht. So wäre die Zeit hingegangen, da doch heute die Betstunde, wie man sagt, geschwänzt wird, weil der Pfarrer sich den Magen überladen und die Galle in's Geblüt gejagt hat. Lächelt nur, schelmischer Junker! Ihr seyd allein daran Schuld. Ihr habt überhaupt einen gewaltigen Rumor im Hause angerichtet. Kaum seyd Ihr vier und zwanzig Stunden im Schlosse, und schon drehen alle Dirnen die Köpfe nach Euch, und die Mannsleute blöcken die Zähne. Die gnädigste Gebieterin hat Euch ein Geschenk von vielem Werthe gemacht. Die gnädigste Prinzessin deßgleichen. Die heidnischen Teufelskinderchen sehen nur, wo Ihr kommt oder geht … von Euch allein schwatzen die Mägde in Küche, Keller und Stall, am Brunnen und am Trog; ja sogar der durchlauchtigste Fürst und Herr da oben hat sich, als ich ihm vor einer Stunde seinen Nachtimbiß brachte, angelegentlich nach Euch erfragt und umgethan. Wenn Ihr erst, reden könntet … dann wäre es vollends aus. Ihr habt Euch indessen auch Feinde gemacht; der Pfarrherr hat Euch zu den Böcken geworfen. Laß't ihn aber immerhin reden, den steifen Lutheraner. Was der sagt, löscht Euch keinen Funken des höllischen Feuers ab, noch bringt es Euch um ein Haar breit der himmlischen Freudigkeit näher. Mit seinem rauhen, bärbeißigen Gepolter ist es nicht gethan; mit stillem Gebet und verschwiegenem Thun gewinnt man allein das Himmelreich. Mein Ihr habt andere Feinde, die Euch empfindlicher schaden können, als der ungeschlachte Predikant, der unsere gute Fürstin in seinen Netzen gefangen hat, weiß der Heiland, wie? Ihr habt den jungen Herrn von Kauniz gröblich beleidigt; er hat es dem gnädigsten Prinzen vertraut, als derselbe von dem Ritt zurück kam, und der Prinz kömmt gerade von einer sehr heftigen Unterredung, die er deßhalb mit seiner erlauchten Mutter angehoben.«

Archimbald staunte den Allwissenden mit weit geöffneten Augen an. Nepomuk begriff sehr leicht; daher erwiederte er lächelnd:

»Ihr wundert Euch, wie ich Alles und so schnell erfahren konnte? Ja, mir entgeht nichts im Schlosse … merkt Euch das für die Zukunft … der alte Nepomuk sieht durch ein Bret. Ich habe gute fremde Ohren im Dienste und wo die nicht ausreichen, nehme ich die meinigen und ein gutes Schlüsselloch zu Hülfe.

»Spitzbube!« dachte sich Archimbald und machte die Geberden eines Menschen, der einem andern ein Ohr abschneidet.

»Laß't los!« rief der Alte und befreite sich von Archimbalds Fingern, die um der Verständlichkeit willen sein Ohr gepackt hatten: »Ich verstehe Euch ja schon; man braucht mir nicht mit dem Knittel zu winken. Ihr meint, man müsse dem unberufenen Horcher die Ohren abschneiden? Gelt, ich hab's errathen? Aber keine Sorge. Wir schneiden die Ohren dem nicht ab, der schon oft für uns gehorcht hat, und manches weiß, das übel bei Menschen aufgehoben wäre, in deren Ohren … Beim heiligen Blut! Ihr habt mir das Läppchen gedrückt, daß ich kein Gefühl darin habe … in deren Ohren also, wollte ich sagen, kein Geheimniß schläft. Begreift Ihr?«

Archimbald schüttelte den Kopf. Der Haushofmeister fuhr aber weiter fort: »Werdet's schon mit den Jahren begreifen. Man lernt das im Herrendienst. Unterdessen aber befiehlt Euch die gnädigste Fürstin, von der Tafel wegzubleiben, so lange der junge Herr und seine Freunde hier verweilen, damit keine unangenehmen Auftritte vorfallen.«

Archimbald sah ihn fragend an.

»Der Prinz Bernhard,« versetzte Nepomuk, »hat Euch, vereint mit seinem Freunde Kauniz, schwere Rache geschworen, weil Ihr Euch an demselben vergriffen habt. Ich ruhe nicht, hat er vor einer halben Stunde zu seiner Mutter gesagt, bis ich den pöbelhaften Burschen empfindlich gezüchtigt habe, der sich erfrecht hat, die gemeine Hand an meinen Freund zu legen; Kauniz hätte ihn gleich niedergestoßen, hat er ferner gesagt, wenn ihn nicht der Prinzessin Herbeikommen zurückgehalten hätte …

Archimbald mußte lächeln; denn der Junker hatte nicht Miene gemacht, an den Degen zu greifen.

»Es wäre auch Schade gewesen,« fuhr Nepomuk fort, »hat der Prinz ferner gesagt, wenn eine ritterliche Klinge von dem Blute eines gemeinen Schurken, befleckt worden wäre, aber ich, ich nehme die Rache über mich; ich lasse dem Buben die Peitsche geben, bis er den Himmel für eine Pudelmütze, und die Welt darunter für sein Affengesicht ansieht. Das sind seine eigenen Worte, und ein ganz besonderes Gleichniß, das wohl bei den Herren Studiosen in Schwang gehen muß.«

Archimbald war wüthend aufgesprungen, als er von der Peitsche hörte, und ein schneller Blick traf, glühend in bitterer Erinnerung, seine beiden Hände, auf denen die Narben von Philipps Spornenrissen, und Peitschenhieben immer noch sichtbar waren. Drohend ballte er die Faust, klemmte die Unterlippe zwischen die Zähne und stampfte herausfordernd mit dem Fuße, daß der Haushofmeister verschüchtert sich nach der Thüre zog.

»Seht Ihr wohl,« begann er hierauf, »wie gut es ist, daß Ihr nicht um die Wege war't? Die Fürstin nahm herzhaft für Euch das Wort und ließ am Kauniz wenig gutes Haar; allein, was half's? Der Prinz, der auf her hohen Schule sich gewaltig verändert hat, wie man jetzt deutlich merkt, wurde immer heftiger, und forderte mit Ungestüm Euere Auslieferung; er drohte sogar, wenn sich, die Fürstin weigere, von Stund an das Schloß zu meiden, sie bis an ihr Ende nimmer zu sehen, und Euch fangen und mißhandeln zu lassen, wo er die Gelegenheit dazu finde.«

Ein gepreßter Laut des Unwillens entfuhr dem Munde Archimbald's; er faßte krampfhaft nach dem Dolche.

Nepomuk wehrte ab. »Laß't ihn stecken!« flüsterte er kläglich, die Augen verdrehend: »er ist das Werkzeug des Bösen; denn alles Uebel kömmt vom Eisen. – Die Fürstin, um meinen Bericht zu enden, will Euch nicht opfern; ihren Sohn, den sie außerordentlich liebt, nicht verlieren. Sie läßt Euch daher entbieten, ruhig auf Eurem Stüblein zu verharren, bis der Prinz wieder von dannen reitet. Dem Letztern hat sie vorgespiegelt, als hättet Ihr einen Auftrag zu besorgen über Land, und kämet erst in später Nacht zurück. So hat denn der Prinz das Strafgeschäft auf morgen verschoben und sich fröhlich zum Bretspiele gesetzt. Morgen aber sprengt man aus, Ihr hättet Euch, aus Furcht vor der Strafe, aus dem Staube gemacht.«

Archimbald zuckte in unwilliger Bewegung auf und wollte, stolz im Vertrauen auf seine Kraft, nach der Thür. Nepomuk warf sich ihm in den Weg und verschloß sie von innen.

»Um des heiligen Lämmleins willen, das da trägt unsere Sünden,« flüsterte er ängstlich in den Jüngling ein: »macht Euch und mich nicht unglücklich! Die Fürstin hat mir's besonders auf die Seele gebunden, und auch die engelgleiche Prinzessin Ludmille hat gesagt: sie ließe Euch bitten, Euch nicht in Gefahr zu bringen. Leila hat geweint; Zenide geklagt, und selbst die dicke Mermes, die sonst nicht leicht von etwas angefochten wird … selbst die schien ein wenig unruhig zu werden, als der Prinz mit der fürchterlichsten Drohung das Gemach verlassen hatte.«

Ludmillens Bitte hatte schnell die Oberhand in Archimbald's Busen gewonnen und den Streit seiner Empfindungen entschieden. Er warf sich in den Sessel, dachte an sie, die ihm in spannenlanger Zeit so theuer geworden war, und horchte nicht mehr auf Nepomuks Reden, die ihm Stille, Behutsamkeit und Ruhe anempfahlen. Der Haushofmeister verließ ihn endlich mit dem Versprechen, ihm das Abendbrod selbst zu bringen, da allen übrigen Dienstleuten sein Aufenthalt im Schlosse von nun an ein Geheimniß bleiben müsse.

Er hielt auch sein Wort, und brachte ein Nachtmahl, das für Archimbald und ihn selbst berechnet war. Eine Kerze, mit einem Lichtschirm versehen, beleuchtete das einsame Mahl der Beiden, das bei verschlossener Thüre gehalten wurde. Archimbald war nicht hungrig, nicht durstig; allein Nepomuk versicherte, beides zu seyn, da ihm die Anstrengung und Mühe des Mittags keinen Augenblick gegönnt habe, an die Nothdurft des Leibes zu denken.

»Die Herrschaften … die männlichen nämlich …« sprach er, indem er sich behaglich zu Tische setzte … »haben im kleinen Saale ihren Abendschmaus mit kalter Küche und starkem Biere, weil die Herren von der hohen Schule es dem Weine weit vorziehen. Die gnädigen Frauen sind in ihren Gemächern bei den gerösteten Honigschnitten und einem Fläschlein Malvasier in ihrem Gott vergnügt … Elias und Christoph sehen bei den Herren nach dem Rechten und passen auf den Dienst. So mag ich denn auch ein Stündlein ruhen im Gespräch mit Euch. Euch muß es lieb seyn, Jemanden zu haben, der Euch vorplaudert, weil Ihr, dem himmlischen Vater sey's geklagt, den Mund nicht selbst aufthun könnt; mir ist es lieb, Einen zu finden, der mir lange zuhört und mich nicht unterbricht; denn das ist das Aergerlichste, das mir begegnen kann.

Er legte dem Tischgenossen von der köstlich duftenden Schnepfe vor, füllte ihm den Becher, that sich ein Gleiches, aß und trank ein Weilchen und fuhr dann weiter im Texte fort:

»Es ist gegenwärtig der beste Zeitpunkt, Euch von den Verhältnissen zu unterrichten, die in unserm Schlosse obwalten, damit Ihr nicht binnen der Zeit Eures Dienstjahr's einen Anstoß macht, der oft bei der Herrschaft üble Folgen hat. Da ich Euch lieb gewonnen habe, weil Ihr so ein ordentlicher, stiller junger Mann seyd, und das Geheimniß, Euch bei der Herrschaft beliebt zu machen, im kleinen Finger habt, wie Figura zeigt« … hier deutete er auf Archimbalds Dolch und lächelte ziemlich zweideutig dabei … »da man ferner nicht weiß, wo man sich wiederfinden und gegenseitig brauchen könnte, so bin ich gerne bereit, Euch unter dem Siegel der Verschwiegenheit mitzutheilen, was Euch nöthig ist zum glatten Fortkommen auf der Bahn, die Ihr betreten habt.«

Archimbald horchte hoch auf und gab alle Zeichen der lebhaftesten Neugierde an. Der Haushofmeister wischte sich den Mund mit dem Tafeltuch, putzte sein Eßgeräth in der Brodkrume ab, nahm einen Schluck Wein und hob an:

»Für's Erste ist im Hause zu bemerken: die gnädigste Fürstin … Ihr nickt? Gelt, ich hab' es getroffen? Schlauer Fuchs! Ihr habt es schon gethan, nicht wahr? Seyd auch wieder bemerkt worden … nicht wahr? … Na, weiter im Spruche! die gnädigste Fürstin also. Wenn es auch bis anhero schwer geschienen, sich durch langjährige Dienste« … hier brüstete er sich wichtig … »derselben Gunst sich erfreuen zu dürfen, die Euch unsere durchlauchtige Frau am ersten Tage Eurer Anwesenheit in vollem Maße angedeihen läßt … so wäre es Euch dennoch ein Leichtes, Euch wieder daraus zu bringen, wenn Ihr es schief anfinget. Das erste Mittel, sich aus der hohen Huld schnell wieder auf den Sand zu setzen, ist, wenn man die hohe Frau oft und ungelegen an ihren durchlauchtigen Eheherrn und Gemahl erinnert, der in einer sehr verdrießlichen Geistes- und Gemüthsverwirrung seine Tage zubringt, dem assyrischen Könige Nabuchodonosor zu vergleichen, mit dem einzigen Unterschiede, daß er nicht, wie dieser, vermeint, er sey ein Ochse, einhergeht wie ein Ochse und brüllt wie ein solcher, sondern sich in Krone und Purpurmantel gekleidet wähnt. Nichts desto weniger bleibt er aber noch immer ihm zu vergleichen, weil er toll wie er ist, und ein Nebucadnezarisches Leben geführt hat, bevor er toll wurde. Er war von Kindheit an eine wilde rohe Natur, die nur im Raufen und Schlagen ihr Element fand. Er wurde ein Mann von sechs und dreißig Jahren, ehe er an das Heirathen dachte. Da fiel endlich sein Auge und sein Verlangen auf die Tochter dieses Hauses, die gnädige Fürstin Eleonore, die, von ihrem Vater beredet und gezwungen, ihm wider Willen ihre Hand gab; denn ihr Herz hatte schon ein Anderer, ein kurländischer Graf von großer Gelehrsamkeit – sein Name ist mir entfallen – und von einnehmender Gesichtsbildung. Der Ruf von der großen Wissenschaft des Vaters unserer durchlauchtigen Frau hatte ihn herbeigezogen. Er praktizirte mit demselben, trieb Alchymie und Astrologie, und verliebte sich nebenbei in die Tochter. Um diese Zeit herum kam ich in dieses Haus, als ein niederer Knecht, und habe viel von den Streitigkeiten und dem Zwiste gehört, die es gegeben hat, als die junge Gräfin den Fürsten ehelichen sollte und doch nicht wollte; bis sie endlich den Eltern gestand: daß sie ihre Gunst schon verschenkt habe an den obigen Grafen. Ihre Mutter wäre es zufrieden gewesen; allein der Vater brannte auf. Kurz zuvor nämlich hatte sich der Fall begeben, daß bemeldeter Vater einmal der Tochter Horoskop stellte und ausrechnete, sie würde in der Ehe mit dem, den sie liebe, unglücklich – hinwiederum mit dem, den sie nicht liebe, glücklich werden. Da er nun sehr gläubig auf die geheimen Wissenschaften baute, so war nun jedes Einreden umsonst. Er blieb dabei; und die Bemerkungen des Grafen, der Mutter, der Tochter liefen schlimm ab, weil das Horoskop da und der Fürst, als künftiger Bräutigam, schon im Schlosse war. Es gab schreckliche Auftritte, über welche die kreuzbrave Mutter sich dergestalt grämte, daß sie sich hinlegte und die Augen auf immer zumachte. Sie möge sanft ruhen und ihr Geist im himmlischen Jerusalem Freuden ohne Zahl genießen! – Nun half kein Bitten und kein Vorstellen. Der Kurländer mußte das Feld räumen und es seinem glücklichen Nebenbuhler überlassen. Die junge Gräfin Eleonore wurde zur Fürstin gemacht und von ihrem Gemahl auf seine Güter nach Ungarn geführt. Nun war der Vater zufrieden; und weil er sich allein fand in dem weiten Schlosse, und noch ein rüstiger Mann war, so gedachte er zu heirathen; wurde aber während der Freite krank, und wollte nicht mehr recht gesunden. Er faßte sich, als er den Tod vor Augen sah, der ihm immer näher kam von Tag zu Tage, bestellte sein Haus, und berief endlich zur Pflege und Gesellschaft seine Tochter zu sich, die während der Zeit selbst lieber den blassen Tod umarmt hätte, als ihren Ehegemahl; denn – ich weiß nicht – war das Horoskop nichts nütze oder hat der selige Herr nicht recht verstanden, damit umzugehen … kurz, die Fürstin war unglücklich mit dem, den sie nicht liebte. Es wird sich schon geben, tröstete der Vater; aber 's hat sich nie gegeben. Die Fürstin also pflegte den Vater, wie sich's gehörte; und nicht lange dauerte es, so kam der Fürst, den die Eifersucht plagte, der Gemahlin nach, nahm, als wie ein Feldherr in Kriegszeiten, von diesem Schloß Besitz, aß, trank, spielte, schoß die Rehe und Schweine im Forste nieder, mißhandelte seine Gemahlin und bekümmerte sich nichts um den Schwähervater, der immer mehr dahinsiechte, weil der Gram über das Loos seiner Tochter ihm das Herz vollends abfraß. Die Fürstin duldete ganz still, besorgte den Vater und ihren Knaben Bernhard, der, ein Jahr alt, bei ihr war, und bereitete sich auf die zweite Niederkunft vor, der sie nahe stand. Da schlägt einmal das Unglück den Kurländer in diese Gegend; er erfährt, wie es um die Fürstin stehe, und gewinnt durch Geld und gute Worte einige Leute im Schloß.«

Der Haushofmeister machte hier ein außerordentlich verlegenes Gesicht, aus dem Archimbald abnahm, der Erzähler müsse ebenfalls unter den Gewonnenen gewesen seyn. Nach einer kleinen Pause fuhr er fort: »Mit ihrer Hilfe wurde es ihm leicht, Brieflein auf Brieflein in das Schloß zu senden; die gnädige Frau hat aber keinen beantwortet, am Ende keinen mehr angenommen. Der Verwegene ging jedoch bald weiter. Eines Abends, so erzählte man sich zum mindesten damals, kömmt die Frau Fürstin in ihre Schlafkammer, um zu Bette zu steigen … wer tritt hinter dem Schirm hervor? der kurländische Graf. Er fällt ihr zu Füßen und beschwört sie, ihr Elend zu verlassen, ihm nach Wälschland oder Spanien … weiß Gott, wohin? … zu folgen. Statt aller Antwort zeigt sie ihm ihr Kind, das neben ihr in der Wiege schlummert. Er wird heftiger, will sich vor ihren Augen ermorden; da tritt der Vater, der nur wenige Schritte davon sich schlaflos auf seinem Siechenlager wälzte, in das Gemach; bald darauf auch der Fürst. Den hatte nämlich« … setzte er etwas verlegen hustend hinzu –– »irgend ein treuer Diener von der Ankunft des Grafen und seinem Besuche unterrichtet. –– Was von diesem Augenblicke an in jenem Gemach, dort im rechten Flügel des Schlosses, vorgegangen ist, weiß Niemand mit Zuverlässigkeit zu erzählen. Es muß fürchterlich gewesen seyn; denn der Fürst holte in eigener Person den Kammerdiener des alten Herrn aus dem Bette und brachte ihn hinüber. Den folgenden Morgen hieß es aber, der alte Herr sey gestorben; es habe ihn die Hand Gottes berührt. Todt war er, das ist sicher, und Gott nehme seine arme Seele väterlich auf! aber mit der Todesart war's nicht richtig; das vertraue ich Euch im tiefsten Geheimniß. Es durfte zwar Niemand zu der Leiche, als der alte Kammerdiener, der ein Jahr darauf selber starb; allein es gibt Leute, die der verzeihlichen Neugier nicht widerstehen können, die durch ein Schlüsselloch gelauscht, und bei dem Ankleiden des Todten an seinem Halse eine breite Wunde gesehen haben. Umsonst brachte auch nicht die Prinzessin Ludmille auf der Brust ein breites Muttermal, einer Wunde gleich, zur Welt; das zwingt sie auch, den Busen ganz verhüllt zu tragen, bis zum Halse, wie mir ihre selige Wärterin vertraut hat. Genug, die Leiche wurde begraben; der Graf, augenscheinlich der Mörder des alten Herrn, war verschwunden; die Fürstin wurde krank, genaß bald dieser Tochter, und der Fürst ging davon und ließ sich lange Jahre nimmer sehen, während die Fürstin immer hier wohnte. In späterer Zeit kam ihr Gemahl wieder auf Worosdar, befand sich aber damals schon nicht wohl im Kopfe. Die Pflege der guten Sabine von Ulm hat ihn hergestellt, und er zog gegen die Türken. Darauf schickte er die drei jungen Heidinnen, die er erbeutet hatte, hieher und kam bald selbst nach, wo er alsdann bei einem Anlaß, den ich Euch schon erzählt habe, gänzlich verrückt geworden ist. Meistens ist er still, oder er befehligt das portugiesische Heer, und schmäht Spanier und Muhamedaner; kömmt ihm aber Jemand aus seiner Familie zu Gesichte, so tobt und ras't er dergestalt, daß es, nach manchen Versuchen, Alle bleiben lassen müssen, ihn zu besuchen. Er leidet eben so wenig, daß man außerhalb seiner Gemächer oder in denselben etwas reinige, und geräth in die fürchterlichste Wuth, wenn man es unternehmen will. Die Fürstin aber hat ihr Gemüth ganz von ihm gewendet; seit dem Tode ihres Vaters waren sie sich schon so gut als fremd. Die Krankheit des Herrn hat zwar seine erlauchte Ehefrau wieder etwas mit ihm versöhnt, und sie hätte gerne ihre Pflicht an ihm erfüllt, hätte er es nur gelitten. So ist es aber vorbei, und wenn man mit der Fürstin viel von ihrem Gemahl und ihrer Ehe verhandelt, so steht man in Gefahr, sich ihrer Gunst beraubt zu sehen. –– Was ferner den Prinzen betrifft« …

Archimbald legte schnell den Finger auf den Mund und bedeutete dem Haushofmeister, zu horchen. In der That waren leise Schritte auf dem Gange zu hören, die aber plötzlich einzuhalten schienen.

»Gute Nacht!« flüsterte Nepomuk ängstlich, löschte das Licht, erwischte ein Tischmesser, empfahl noch ganz heimlich dem Jüngling, die Thüre von innen zu verriegeln, und nachdem er vorsichtig aus derselben auf den Gang geblinzelt und keinen Lichtschimmer bemerkt hatte, schlüpfte er im Dunkeln, nicht ohne Gespensterfurcht, durch die wohlbekannten Gänge in den erleuchteten Theil des Schlosses.

»Wo steckt Ihr denn, Meister Nepomuk?« rief ihm der neugierige Elias zu. »Ihr waret nirgends zu finden!«

»Ich war im Dorfe,« erwiederte der Befragte, »und habe den Pfarrherrn besucht.«

»Der Pfarrer sitzt ja oben bei der Fürstin!« versetzte Jener.

»Nun, so habe ich die Frau Pfarrerin besucht!« antwortete Nepomuk etwas verlegen.

»Die Pfarrerin?« lachte Elias. »Die ist gestern nach Ollmütz zu ihrem Sohne verreist.«

»Ei nun« … polterte Nepomuk ungeduldig … »so war ich beim Teufel, und damit holla!«

Als ob ihm der Kopf brannte, entlief er dem ungestümen Frager.

Mittlerweile hatte es an Archimbald's Thüre leise, ganz leise geklopft. Archimbald lauschte, den Athem anhaltend. Das Klopfen wurde wiederholt und es lispelte durch das Schlüsselloch: »Junker Page … öffnet … Zenide ist's!«

Mit Herzklopfen öffnete Archimbald die Thüre zur Hälfte, und ein blasser Mondstrahl, der durch die Scheiben fiel, bezeichnete ihm deutlich die Umrisse der schönen Besucherin. Sie huschte geschwinde in die Kammer; Archimbald schob leise den Riegel vor.

»Bei Euch ist es dunkel, lieber Archimbald!« der Name ging nur mit großer Mühe über die Lippen des holden Mädchens.

Archimbald mußte lächeln und verwünschte seine Stummheit, die ihm verbot, der Schönen etwas Schönes zu sagen.

»Ich komme spät zu Euch,« fuhr sie fort; »aber ich konnte mir die Freude nicht nehmen lassen, Euch noch heute in Sicherheit zu bringen, wie es die Fürstin befohlen.«

Archimbald ergriff fragend ihre Hand und zog sie an's Fenster, um ihr in's Auge zu sehen.

»Die Herrin will« … sprach sie ferner … »daß Du, … nein, daß Ihr … ach, verzeiht mir … aber ich kann Dich nicht länger Ihr nennen, denn ich habe Dich lieb, nicht Euch. Sie will also, daß Du noch heute aus Deiner Kammer, in der Du dem Verrathe ausgesetzt seyn würdest, in jenen Flügel, wo die Bücher stehen, Dich flüchtest. Sie hat sich von dem alten Hofmeister, dem sie Deinen Zufluchtsort auch nicht vertrauen will, weil er geschwätzig ist, die Schlüssel geben lassen, und hat uns gefragt, welche von uns Herz genug habe, Dich in der Nacht dahin zu führen. Mermes hat sich gefürchtet; Leila hätte es gerne unternommen, aber ich hatte mich schon angeboten zu dem Dienst; und nun komm geschwinde, denn Deine Feinde sitzen beim Zechgelage und ahnen nichts. Willst Du?«

Archimbald bejahte, und drückte die weiche Hand der Retterin. Feurig preßte sie die seinige, küßte sie, drückte sie an ihre Brust und zog ihn dann mit sich zur Kammer hinaus.

Sie mußte die Gelegenheit des Orts genau kennen, denn sie führte den Schutzbefohlenen rasch und sicher zu einer kleinen Wendeltreppe, über welche man in den Säulengang unter dem linken Flügel gelangte. Knechte mit Laternen gingen über den Hof nach dem Thore. Die Fliehenden schmiegten sich in eine Ecke, wo einige Säulen sie in ihren Schatten aufnahmen. Unwillkürlich schlug Archimbald seinen Arm um die füllreiche Zenide; ihr Haupt ruhte an seinem Herzen. Eine kurze Weile standen sie so. – »Dein Herz schlägt so ruhig!« flüsterte endlich das Mädchen, »Fühle, wie das meinige stürmt!« – Sie drückte seine Hand an den lebenswarmen Busen, und die sehnsüchtige Unruhe desselben theilte sich dem Jüngling mit; sein Haupt sank zu dem ihrigen hernieder. Ein schneller Kuß brannte auf ihren Lippen, und wurde innig erwiedert. »Geliebter!« lispelte Zenide, »mein Einziger! mein Gebieter!« Fester umschlang sie der Jüngling; da trat der Mond hinter eine Wolke und es wurde finster im Hofe. »Süß ist Dein Kuß,« sprach Zenide sich ermannend, »beglückend Deine Liebe; aber Deine Rettung geht vor Allem. Komm, der Augenblick ist günstig, alles dunkel. Eile!

Sie flogen mit raschen und leisen Schritten über den Hof in den Säulengang des rechten Flügels und klimmten eine Wendeltreppe hinan, ähnlich derjenigen, die sie auf der gegenüberliegenden Seite herabgestiegen waren. Der schwere Schlüssel öffnete die Thüre, die in's Innere führte, und sie traten in den hallenden Gang. – »Nun verlasse ich Dich, mein Leben, sprach Zenide, und übergebe dem Propheten und Deinem Muthe Dein Heil und Deine Sicherheit. Eines von den offen stehenden Gemächern wird Dir wohl eine Ruhestätte für diese Nacht gewähren, und für die folgenden lasse Deine Freunde sorgen. Leb' wohl! Träume von Zeniden!« Sie wand sich sanft widerstrebend aus dem Arm des Geliebten. »Gute Nacht, mein Leben! rief sie ihm im Scheiden zu; die Thüre fiel ins Schloß. Zenidens behende Schritte verhallten auf der Wendeltreppe, und Archimbald stand allein, im Dunkeln, auf einem ganz unbekannten Boden.


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