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Drittes Kapitel.


Ich wollte mich ja gerne in eine Nußschaale
verkriechen und mir einbilden: ich sey
König über einen ungeheuern Raum,
wenn ich nur nicht so böse Träume hätte!

Hamlet, von Shakespeare.

Archimbald verträumte indessen den Morgen in einem unruhigen Schlummer, der spät erst bei ihm auf dem morschen Ruhebette Platz genommen, das er sich zum Lager auserkohren hatte. Ein sanftes Rütteln weckte ihn. Mermes stand mit einem Speisekorb vor ihm und lächelte ihn. mit ruhiger Freundlichkeit an. Er sprang etwas beschämt auf.

»Laßt Euch in Eurer Ruhe nicht stören!« sprach Mermes langsam und sanft. »Zum Schlafen steht freilich die Sonne schon zu hoch; aber in behaglicher Ruhe zu verbleiben, ist dem Körper und dem Geiste gut, vorzüglich jedoch einem armen Gefangenen, wie Ihr seyd. Die Fürstin schickt Euch hier Euer Essen; es ist von ihrer eigenen Tafel besorgt worden, damit Haushofmeister und Dienerschaft nichts merke; denn Ihr müßt Euch noch acht Tage lang verborgen halten, bis der Prinz endlich geht.«

Archimbald seufzte.

»Ich kann Euch nicht helfen,« fuhr Mermes traurig fort. Auch Zenide und Leila können es nicht, sonst wäre es schon geschehen. Prinzessin Ludmille sendet Euch dieß Körbchen mit Obst. Ihr sollt es Euch schmecken lassen und Euch friedlich in Euerm Verstecke verhalten. Damit Euch dieses um so leichter werde, muntert Euch die Fürstin auf, das Geschäft zu besorgen, das sie Euch, wegen der Büchersammlung glaube ich, aufgetragen hat. Wir alle wünschen Euch gute Geduld, und wollen Euch gewiß nicht vergessen.«

Archimbald drückte der gutmüthigen Pflegerin seinen wärmsten Dank aus.

Mermes ward davon gerührt, und es dauerte nicht lange, so hatte ihre Schwatzhaftigkeit dem Jüngling verrathen, was Leila und Zenide für ihn erduldet hatten, und ihn zu der heftigsten Wuth begeistert, die ihn beinahe bewogen hätte, in Worte auszubrechen. Doch zügelte er noch zu rechter Zeit die überströmende Leidenschaft und beruhigte sich durch der erschrockenen Mermes Zureden und im Gedanken einer zukünftigem Vergeltung. Er trug ihr auf, so gut er es durch Zeichen vermochte, den Schwestern seinen Dank und Schwur ihrer Liebe zu vergelten, zu überbringen. Mermes versprach es auch und entfernte sich behutsam, die Thüre wieder fest verschließend.

Archimbald nahm sich hingegen vor, seinen neuen Aufenthalt zu besichtigen und die Bibliothek aufzusuchen, in der er, die Langeweile und seine ewige Sehnsucht nach Ludmillen zu tödten, das anbefohlene Geschäft zu beginnen gedachte. Die Thüren einer Reihe von Gemächern standen offen. Alles wüst und leer, Alles im Verfall. Endlich gelangte er in eine mit Geräthschaften versehene Stube; allein die Unordnung war dieselbe, als in dem linken Flügel. Seine Schritte hallten wider in dem einsamen Zimmer, zu dem sich das Licht des Himmels kaum zu stehlen vermochte. Denn die Scheiben waren blind geworden von Nässe und Staub. Die mit goldenen Figuren verzierten Ledertapeten hingen stückweise von den Wänden herunter. Schimmeliges Grün hatte die Decke überzogen, eingedrungene Feuchtigkeit den Fußboden beschädigt. Indessen war diese Stube noch die wohnlichste, die Archimbald bisher gefunden hatte, und er beschloß vorläufig, seinen Aufenthalt darin aufzuschlagen. Eine kleine und enge Schlucht führte ihn in das dazu gehörige Schlafzimmer, das sich in ziemlich gutem Stande befand. Aus demselben trat er in den Gang und fand die Thüre gegenüber verschlossen. Er versuchte den Schlüssel, den er von der Fürstin erhalten hatte, und er paßte. Die Flügelthüre ging auf und öffnete ihm den Eingang in ein, von der Nachmittagssonne beleuchtetes, gegen das freie Feld gelegenes Gemach, aus dem mehrere Thüren weiter führten. Archimbald warf sich in einen schweren Armsessel, der in der Ecke stand, und überlegte, im Sonnenglanze sich weidend, sein Schicksal bis auf den heutigen Tag, seine Geburt, sein Knabenleben, seine Verbannung aus dem Vaterhause, seinen Aufenthalt bei Lenen, seine Reise mit Dee, seine Lehrzeit im Kloster und die begonnene Dienstzeit auf Worosdar. Er dachte an seine Kinderspiele mit Trudchen, an seine heiße Liebe zu Ludmillen, an die Reize Zenidens, die seine Sinnlichkeit zum ersten Male bestochen hatten, an Leilas Leidenschaft endlich, die sie stumm und treu für ihn empfand. »Welch' eine Lage ist die meinige!« seufzte er. »Gehaßt von denen, die mich lieben sollten, die ich so gerne lieben möchte, gehört mein Herz einer Jungfrau, die in dem Alltagslaufe der Dinge nie die Meine werden, kann! Feinen Betrügern, wie ich fürchte, als Spielwerk hingegeben, muß ich eine Frau, die strenge Achtung verdient, ihre Tochter, die ich mit heißer Leidenschaft umfange, grausam täuschen; die hintergehen, die allein auf der Erde mir freundlich zugethan sind; muß mich üben in dem Gewerbe der Schlange, um mich vielleicht zum Werkzeug verbrecherischer Plane zu bilden! … Ein böser Stern hat meiner Geburt geleuchtet … kein milder Planet war ihr Zeuge. Fortwandeln muß ich meine verworrene Bahn! wenn nicht ein Gott oder mein eigen Herz mir eine bessere zeigt!«

Ein Geräusch wurde hörbar, als ob in der Ferne eine Thüre zugeworfen würde. Archimbald fuhr in die Höhe. »Sind es meine Verfolger?« dachte er bei sich … »Haben sie den Weg zu meiner Höhle gefunden? Sie sollen mich nicht unvorbereitet überfallen. – Er öffnete leise die Thüre, durch die er gekommen, und horchte vorsichtig. Kein Laut vom Eingange her. An der Pforte, die ganz am Ende des langen Ganges in tiefem Schatten lag und den Flügel mit dem Hauptgebäude zu verbinden schien, Alles still. Nach langem Lauschen und aufmerksamem Umherspähen verriegelte Archimbald, um sich vor dem ersten Anlauf sicher zu stellen, die Thüre und setzte seinen Weg weiter fort. Das Gemach, in dem er sich so wohl befunden hatte, stieß an die Gemäldegalerie des Schlosses, die ebenfalls in Unordnung schmachtend, dem Beschauer neben einigen Meisterwerken italienischer und altdeutscher Schule eine Menge von elenden Schmierereien darstellte. Auch die Ahnenbilder des Grafenhauses hingen in ernster altväterlicher Würde, Ritter und Grafen mit Ihren Gemahlinnen in bunter Reihe, längs den Wänden hin. Ein langer Zug von blassen traurigen Gesichtern, mit strengen und finstern Blicken, die den eintretenden Fremdling drohend zu messen schienen. Der letzte in der Reihe war der Vater der Fürstin. Ein Antlitz von Sorgen und Kummer gefurcht, von grauem Barte umdüstert. Seine Hand ruhte auf einer Sphäre, sein Blick forschte in den Himmelszeichen, die um seinen Scheitel in düsterm blutrothem Scheine hingen. Die Umschrift lautete: Evrardum, ultimum comitem ex praeclara stirpe Worosdar, terrestrem felicitatem perquirentem infelix mors ad aeternam duxit. Anno domini 1578. Durch diese Inschrift sich an Nepomuks Erzählungen erinnernd, betrachtete Archimbald das Bild genauer, und gewahrte mit Entsetzen eine dicht am Halse geschlagene breite Wunde, die der Maler, gewiß von den Hinterlassenen bewogen, mit der breiten Halskrause dergestalt verdeckt hatte, daß sie nur einem sehr scharfen Blicke auffallen konnte. Des Jünglings Seele war heftig erschüttert. Sein Lehrer, Hubert, hatte also damals, in unreiner Liebe verstrickt, den Degen geführt und dem unglücklichen Handel den blutigen Ausschlag gegeben. Und er konnte noch so ruhig seyn nach einem Morde! Scheu floh Archimbald von dem Gemälde und eilte in den angrenzenden Saal. Hier sah es freudiger und glänzender aus. Eine thatenvolle Vergangenheit lebte in der weiten Halle; denn ringsum in leicht mit Messingdraht vergitterten, zum Theil ganz offen stehenden Schränken brüsteten sich die kriegerischen Trophäen, die der Fürst, ein tapferer Degen, vor mehreren Jahren aus dem türkischen Heerzuge mitgebracht hatte. Roßschweife, Standarten, Pauken und Sattelzeug, das an Kostbarkeit Seinesgleichen suchte, schmückten die Decke des Waffensaals. Säbel, Dolche, Pfeile und Feuergewehre von allen Formen und Gattungen, blinzend von Gold, Silber, Stahl und edeln Steinen, füllten die Schreine mit verschwenderischer Pracht. Ein glänzend reiches Gezelt, das der Fürst in der Schlacht bei Sissek dem daselbst getödteten Sangiak der Herzogewina Mehmed abgewonnen, nahm allein eine ganze Wandseite ein. Des Sangiaks Kaffeetisch, Schreibrohr und Rosenkranz nebst vielen Gefäßen wurden darin erbeutet, wie die Aufschrift besagte. Eine andere Seite des Saals nahmen die Harnische der Spahis, ihre Lanzen – Bogen und Wurfpfeile der Tartaren ein; am Ende desselben hing eine kleine Waffensammlung mit Aufschriften versehen, aus Geschenken von vertrauten Freunden, Kriegsgefährten des Fürsten bestehend. Hier glänzte ein zierlicher ungarischer Säbel, ein Geschenk des slavonischen Ban Thomas Erdödy, nach dem Siege an der Kulp, am zwölften Juni 1593, auf dem Schlachtfelde verliehen; ein mit Türkissen besetzter Dolch, ein Andenken von Ruprecht von Eggenberg; ein kostbares Paar Spornen von Andreas Auersberg, dem Führer des kaiserlichen Heeres: ein schöner Ringkragen von dem, wegen der Uebergabe Raabs enthaupteten Hardegg; und noch mehrere, theils werthreiche, theils blos durch die Freundschaft des Gebers gehaltvolle Dinge. Ein einfacher prunkloser Degen fiel durch sein glanzloses Aeußere dem neugierigen Forscher auf. Er trat ihm näher, und wer schildert sein Erstaunen, als er den Namen seines geliebten Oheims auf dem dabei hängenden Zettel erblickte: Ehrenfried Wernher aus Ulm, kaiserlicher Hauptmann unter den Büchsenmeistern, starb vor Sabalka, nachdem er unserm durchlauchtigsten Fürsten und Herrn das Leben gerettet, im November 1593.

Thränen der aufrichtigsten Betrübniß schossen aus Archimbald's Augen. Sein Oheim Ehrenfried, der einzige unter der ganzen Blutsfreundschaft, der ihm liebreich zugethan gewesen, auf dessen Knieen er sich geschaukelt, in dessen Armen er sich so oft gewiegt, dessen dichten Knebelbart er so gerne zerrauft hatte … er also auch dahin? Gefallen unter den Säbeln der Ottomannen, fern von der lieben Heimath, fern von seinem armen Neffen? – »Wenn er gewußt hätte, wie man mit mir umging,« seufzte er vor sich hin, der betrübte Jüngling, »wie wäre alles anders geworden! In seine Arme hätte er mich gerufen; an seiner Seite hätte ich das Schwert führen gelernt; wäre vielleicht an feiner Seite gefallen! Besser jener Tod, als dieses Leben, in dem mich jede Stunde auf dem Wege des Trugs und der Heuchelei weiter bringt!«

Er küßte mit frommem Angedenken die Klinge, die der biedere Oheim in kampfgewohnter Faust geführt hatte. Es sprang in die Augen, daß sie des Fürsten Leben erhalten, und daß er mit dankbarer Anerkennung nach dem Hinschied des Besitzers sie hingenommen und zum ewigen Gedächtniß an diese Stätte aufgehangen hatte. Mit Ehrfurcht betrachtete der Neffe die noch sichtbaren Blutflecke an dem breiten Degen, und betrauerte sein Loos, das ihm nicht vergönne, des geliebten Oheims Schatten an seinen Feinden zu rächen, als ein neues Geräusch, dicht hinter ihm, ihn auf's Neue stutzen und aufhorchen machte. Er stand mit dem Rücken gegen eine breite Flügelthüre gewendet. Indem er sich staunend nach derselben umsah, gewahrte er ihre große Aufschrift. Bibliotheca stand mit großen goldenen Buchstaben auf dem braunen Grunde. – »So bin ich am Ziel!« dachte er bei sich: »und das Geräusch wird von nichts anderm herrühren, als von dem Falle einiger Bücher, die eine umherlaufende Ratte von ihren Brettern gestürzt haben wird.«

In dieser Zuversicht drückte er keck an dem Schlosse. Die Pforte ging auf, und eine Wolke von Staub, die ihm entgegen wirbelte, schien seine Muthmaßung zu rechtfertigen. Einige Folianten lagen auf dem Boden. Um den Eintretenden her standen wohlgefüllte Bücherschränke, die den großen Saal in mehrere Abtheilungen schieden; hin und wieder bestaubte Tische mit Papieren und Schreibzeug; große Welt- und Himmelsgloben in den Ecken. Archimbald wurde wieder munter und frisch bei dem Anblicke dieses bedeutenden Bücherschatzes; mit gierigen Augen überflog er die zahlreichen Bände, und schritt, um das Ganze mit einem Male in allen seinen Theilen zu überschauen, hinter die als Scheidewände aufgestellten Schränke; stutzig fuhr er aber zurück, als er hier schon einen Gast erblickte, der, an einem großen Fenster stehend, dem Jüngling den Rücken kehrend, eifrig in einem Buche zu blättern beschäftigt war. Durch das Geräusch jedoch aufgeschreckt, das Archimbald's Schritte verursachten, drehte sich der Lesende um, und mit schauderndem Befremden sah Archimbald … den Fürsten vor sich.

»Wer da?« rief ihn dieser mit barscher Stimme an. – Der Page blieb seiner Aufgabe getreu, sprach kein Wort, sondern näherte sich demüthig dem Furchtbaren.

»Stille stehen!« befahl dieser wie oben. »Willst mich im Lager überrumpeln? Zittere Türkenhund!« – Er griff mit diesen Worten an den Degen; allein der eingerostete wich, aller seiner Bemühungen ungeachtet, nicht aus der Scheide.

Archimbald hatte bei der verdächtigen Bewegung sogleich zum Dolche gegriffen und schützend vorgehalten. Der Fürst wich betroffen vor der blanken Waffe zurück, ließ das unerbittliche Schwert ruhig stecken und wehrte mit der Hand ab.

»Laß stecken!« rief er; »Du siehst ja, daß Gott und mein gutes Schwert mich verlassen haben! Ich ergebe mich Dir zu fürstlicher Haft! Mein Königreich wird Dir ein ungeheures Lösegeld zahlen, wenn Du mich nicht an die Spanier auslieferst. Hörst Du!«

Archimbald bejahete, steckte den Dolch ein und machte alle Geberden, die geeignet waren, dem Fürsten seine Friedlichkeit erkennen zu geben. Der Letztere sah ihn auch mit einem sonderbaren Ausdruck an, als wollte er die Züge des fremden Gesichts nach allen ihren Linien durchstudiren.

»Nein,« sagte er endlich gemäßigt, »Du bist kein Maure … bist auch kein Spanier, sondern ein redlicher Portugiese! Hast mich schon bedient an meiner königlichen Tafel zu Belem. Wackerer Don, seyd mir willkommen in meiner Einsamkeit!«

Er bot dem Pagen die Hand, der sie ehrfurchtsvoll küßte; betrachtete ihn dann starr und aufmerksam, mit der Kette spielend, die ihm am Halse hing.

»Vortrefflich!« fuhr er fort; »ich entsinne mich nun ganz! Ihr habt einen Vorzug vor den übrigen Granden meines Reichs, seyd im Besitz eines Verdienstes, das an den Dienern der Könige nicht genug zu würdigen ist. Ihr seyd stumm … nicht wahr? … Bejaht es doch nicht so traurig! Freuet Euch darüber; … wäre ich an Euerer Stelle, ich würde entzückt seyn! stumm seyn im Leben ist gut … stumm seyn im Grabe, besser!«

Er schwieg, legte die Hand vor die Augen, und blieb ohne Bewegung stehen. Archimbald betrachtete theilnehmend die abgezehrte Gestalt des wahnsinnigen Fürsten, und konnte mit aller Anstrengung seiner Gedanken nicht begreifen, wie es ihm wohl gelungen seyn möchte, aus seinen Gemächern hierher zu kommen. Wie eine Bildsäule stand indessen der Fürst eine lange, lange Weile, bis allmählig die Empfindung in den erstarrten Körper wiederkehrte. Die Hände sanken hernieder; die Augen blickten, wie aus langem Schlafe erwachend, vor sich hin; die scharfen Züge hatten ihre Trockenheit mit dem weichen Ausdruck eines langen, geduldig getragenen Leidens vertauscht, und ehrwürdig gestaltete sich das braune, von grauen Haaren umwehte Kriegerantlitz.

»Wie kommt es,« fragte er mit ganz verändertem Tone, »daß mich ein fühlender Mensch heimsucht in meiner Gefangenschaft, in der Einöde meiner Haft? Ich wähnte mich von Allen verlassen! 's ist mir aber darum nicht minder lieb, edler Junker, Euer Führer seyn zu können zu den Merkwürdigkeiten meines Hauses. Kommt! … hier ergriff er des widerstrebenden Archimbald's Hand und zerrte ihn mit sich … »Kommt! folgt mir! denn schon will es Abend werden, und wenn es dämmert, bringt mich die Hoffnung einer Seligkeit nicht mehr in jene Stube, die ich Euch doch am allerersten zeigen möchte.« Archimbald folgte nicht ohne Besorgniß dem unzuverlässigen Führer, und hielt den Griff seines Dolchs immer fest, um ihn im Nothfall gleich bei der Hand zu haben. Der Fürst stieß eine kleine, mit Schnitzwerk gezierte Thür auf, und beide befanden sich in einem länglichen Gemache, das als Schlafzimmer gedient haben mußte. Obgleich es gereinigt war vom Staube, lag Alles drunter und drüber; das Bette in Unordnung, eine Wiege darneben; zwei Leuchter mit heruntergebrannten Kerzen auf dem Tische; Kleidungsstücke auf den breiten Sesseln zerstreut … Alles hatte den Anschein, als ob der Bewohner dieses Zimmers in Eile die Flucht ergriffen hätte. Allein auf dem Boden, fast in der Mitte des Gemachs, war ein großer Blutfleck sichtbar … dicht dabei ein krummer, ungarischer Säbel, ebenfalls mit Blutspuren gezeichnet. Archimbald entsetzte sich über den Anblick. Der Fürst sprach hierauf mit ernstem Tone und trübem Auge: »Seht hier, mein edler junger Mann, seht, zu welchen Thaten ein untreues Weib einen ehrliebenden Gemahl veranlassen kann! Hier überraschte einer die Treulose, als sie mit dem Buhler und ihrem Kinde entspringen wollte … der erzürnte Gatte fordert ihren Vater auf, die Strafbare seiner Rache zu überliefern und findet Widerstand bei dem blinden Greise. Empört zieht er den Säbel, will den Buhler zur Hölle schicken, und sein böser Engel führt ihm den Alten in die Klinge, die das kranke Leben schnell durchschneidet. Bestürzung ergreift ihn nach der That … er entweicht, sucht in Alcacar's blutigen Feldern unter einem ritterlichen Könige den Tod, wird aber in schimpflicher Flucht mit fortgerissen und wieder an Europa's Gestade geschleudert« …

Der Fürst hielt einen Augenblick inne, rieb sich die Stirn und fuhr darauf gemäßigter fort: »Er suchte Ruhe in allen Ländern, er fand sie nirgends. Er kehrte endlich heim zu der Gattin, die ihn verrieth, und durch jährliche Gebete an diesem Orte, wo das Opfer fiel, dessen Schatten und ihre eigenen Sünden zu versöhnen gedenkt … aber auch hier floh ihn die Ruhe … er wurde krank, und that ein Gelübde, noch einmal gegen die Ungläubigen zu ziehen. Er erfüllte es auch; schlug bei Sissek den heidnischen Feind und erwürgte abermals einen Vater, dessen unmündige Töchter er, den Mord gut zu machen, als Sclavinnen heim schickte. Wie gefällt Euch das, junger Mann?«

Archimbald sah den Wahnsinnigen bebend an, dessen Gesicht schon wieder in die gewöhnlichen Fugen zurücktrat, und der, nach kurzem Schweigen, schneller fortfuhr:

»Ich muß eilen, sonst reißt mir der Faden im Gehirne, an dem die Erinnerung klebt. Er focht also weiter … bei Vesprim … bei Stuhlweißenburg … stürmt Sabalka … und hier fährt ein türkischer Pfeil ihm in den Schädel. – Seht ungefähr hier!«

Er strich sich die Haare von der Stirne und eine blutrothe lange Narbe wurde sichtbar …

»Und dieser Schmerz« … sprach er in kurzen Absätzen weiter … »dieser Pfeil … das Gehirn« …

Mit einem Laut des Schmerzes und krampfhafter Gewalt fuhr er mit der Rechten nach der Wunde, während er die Linke wieder vor die Augen legte, und ein neues Erstarren bemächtigte sich all' seiner Glieder.

Archimbald rüttelte ihn und führte ihn aus der fürchterlichen Kammer. Der Fürst ließ sich leiten wie ein Kind, durch den Waffensaal und die Gemäldegallerie hindurch, bis in das erste Zimmer am Gang. Hier kam er zu sich.

»Was wollt Ihr von mir?« fragte er verstört. »Bin ich nicht Euer König? … Selbst in Mehmeta's Fesseln König? … Wollt Ihr mich ermorden, Portugiesen?«

Er machte sich gewaltsam von Archimbald los, blickte ihm scharf und strenge in's Gesicht und rief:

»Wißt Ihr wohl, daß Ihr das Leben verwirkt habt, da Ihr den König mit Euerer Hand berührt? Der Staatsrath hat das Urtheil gesprochen … ich kann nicht helfen … ich hole Euch den Beichtvater!«

Bei diesen Worten eilte er mit langen Schritten den Weg zurück, den Beide gekommen waren. Archimbald, der sich bald von seinem Staunen zurecht fand, verfolgte ihn, aus Furcht, der Wahnsinnige möchte im Waffensaale nach Gewehr greifen und in seiner Hirnverrückung mörderisch auf den Fremdling losgehen. – Der Fürst bemerkte aber alsobald des Pagen eilendes Annähern, begab sich spornstreichs auf schnelle Flucht und gewann die Bibliothek. Archimbald folgte ihm so geschwind als er es vermochte, konnte ihn aber nicht mehr erreichen. Innerhalb der Bücherschränke kam ihm der Fliehende aus dem Gesicht … gleich darauf hörte er einen Lärm, als ob eine Thüre fest zugeschlagen würde … drang ins Innere des Saals; allein der Fürst war verschwunden, und allem Umherspähen und Forschen zum Trotz, keine Spur von einer geheimen Thüre in den getäferten Wänden zu entdecken.

Er stand endlich mißmuthig von seinem Vorhaben ab und Machte sich auf den Rückweg nach dem Gemache, in dem er die Nacht zuzubringen gedachte. Es war die Dämmerung eingebrochen und die Bilder in dem Gemäldesaal dehnten sich zu mißgestalteten Umrissen in dem zweifelhaften Lichte des Abends. Noch einmal blieb Archimbald vor dem Bilde des unglücklichen Eberhards stehen, wie er es schon vor seines Oheims Degen gethan hatte, und ein innerer Schauer sträubte seine Haare. Die Gestalt, die Wunde auf der Brust, alles kam ihm grausend, furchtbarer vor. – »Dich soll ich noch acht Tage lang vor Augen haben, so oft ich nach der Bibliothek meine Wanderung antrete oder daraus zurückkehre, schreckhaftes Gemälde!« sprach er vor sich hin … »dich immer wiedersehen, stets mit neuem Schauder sehen? Nein! weich' von deiner Stelle, damit ich ruhig sey!« – Er griff mit aller Stärke das große, bis an den Fußboden reichende Bild an, entrückte es glücklich den festhaltenden Haken und lehnte es verkehrt gegen die Wand. Auf dem leeren Raume aber, den das Konterfei eingenommen hatte, gewahrte er einen offenen Eingang in die Mauer. Obgleich der fremde Pfad im Dunkeln lag, so betrat ihn der Herzhafte dennoch ohne Zagen. Durch verschiedene Krümmungen und Winkel, in welchen er sich nur mit der äußersten Mühe forthalf, drang er auf dem dumpfigen Wege weiter, bis auf einmal sein Fuß einen Abschnitt des Bodens entdeckte. Vorsichtig untersuchte er die Stelle und bemerkte gar leicht, daß er sich auf der obersten Stufe einer engen Treppe befand, die abwärts in entlegene Gewölbe zu führen schien, nach der eisigen Luft zu urtheilen, die dem Neugierigen entgegen drang. Ihn konnte jedoch keine Bedenklichkeit schrecken; er stieg muthig die unbekannte Stiege hinab und erreichte in Kurzem den Boden. Einige Minuten waren vonnöthen, um das Auge zu gewöhnen, durch das in diesem Raume herrschende Dunkel die Gegenstände zu unterscheiden. Eine Oeffnung in der Ferne, durch welche ein gemäßigtes Licht hereinfiel, kam ihm zu Hülfe. Der Jüngling befand sich in der Gruft der Grafen Worosdar. Nach und nach rissen sich große Sarkophage aus den schwarzen Schatten los und wurden sichtbar mit ihren Wappen und Trauerzierden. Längs den Wänden standen aufgeschichtete Särge. In der Mitte der Todtenhalle ragte ein, auf steinernem Postamente erhöheter metallener Sarg empor: Schild und Helm ruheten auf demselben, in düstere Trauerflöre verhüllt, und bezeichneten die Ruhestätte des letzten Worosdar. Archimbald schlich scheu an ihr vorüber, der Oeffnung zu, die er im Hintergrunde entdeckte, und erreichte sie bald. Ein großer Bogen, halb von der Mauer der Gruft durchschnitten, that sich ihm auf. Behend schwang er sich auf ein darunter befindliches Grabmal und sah durch den Bogen in die Kapelle des Schlosses. Der Stellung der Kanzel und der Richtung der Betstühle zufolge, mußte er sich unter dem Altare befinden, der in den Zeiten der päpstlichen Kirche, mit einem Chore umgeben worden war, zu dem einige Staffeln hinan führten. Die protestantischen Neuerer hatten sich begnügt, dem Kirchlein seinen Bilderschmuck, seinen Heiligen und Meßornamente zu rauben; hatten aber an das Gebäude selbst keine Hand gelegt, und demzufolge war die römischkatholische Bauordnung geblieben, und unter den Stufen des Chors, dem Boden der Kirche gleich, ein Bogen in die Gruft gebrochen, derselbe, durch welchen jetzt Archimbald den Forscherblick in's Haus Gottes sendete. Die Schloßleute, an ihrer Spitze die Fürstin und Ludmille, wohnten gerade der Betstunde, bei, die der Pfarrherr so eben schloß. Ein geistliches Lied wurde angestimmt, und die Versammlung damit beendet. Gesammelt und mit niedergeschlagenen Augen verließen die Andächtigen nach und nach die Kapelle; auch die Fürstin erhob sich aus ihrem vergoldeten und mit Sammet ausgeschlagenen Sitze. Der Pfarrherr stand bereit, sie zu begleiten. Ludmille zögerte noch; sie begehrte zu bleiben und ihr Herz im einsamen Gebete zu Gott zu erheben. Die Fürstin willigte nach einigen mütterlichen und besorgten Vorstellungen ein, empfahl ihr, nicht zu lange in der öden und dämmerigen Kapelle zu verweilen, und ging alsdann Mit dem Pfarrherrn hinweg. Kaum hatten sich beide entfernt, so warf sich Ludmille auf ihre Kniee und legte, in Andacht versunken, das Haupt, in beide Hände verhüllt, auf den Betschemel hin. Archimbald, in stummes Lauschen verloren, ließ sich keine Bewegung der Geliebten entgehen, die ihm der letzte, durch die bunten Fenster einbrechende Strahl der scheidenden Sonne im Schimmer der Verklärung zeigte. Er verschlang mit den Blicken die zarte Gestalt der Liebenswerthen, und ein Seufzer des Verlangens und der Eifersucht entquoll seiner gepreßten Brust, wenn er sich diese edlen Formen, diese seltenen Reize im Besitze eines Andern, eines Kaunizen dachte. Die reine übersinnliche Liebe, die wie ein Blitz sein Herz für Ludmille entflammt hatte, war schon mit der Gluth des Begehrens vermischt, welche Zenidens Leidenschaft, ihre üppige Schönheit und die in ihrem Vaterlande entsprechende sinnliche Hingebung, in des feurigen Jünglings Adern entzündet hatte.

Ludmille blieb lange Zeit in ihrer andächtigen Stellung, dann erhob sie ihr himmlisches Antlitz, die Augen von Thränen feucht, stützte die gefalteten Hände aus den Betschemel und betete eifrig, den Blick nach oben gewendet, zu dem Allmächtigen. Archimbald schwelgte in dem Genusse ihres Anschauens; indessen aber erbleichte der Sonne letztes Gold und ein lichter Flor schien alle Gegenstände zu bedecken. Da wurde Ludmillens Gebet laut, und Archimbald horchte auf, still wie eine Bildsäule, als fürchte er, sich durch den leisesten Athemzug zu verrathen.

»Herr des Himmels!« sprach sie in heftiger Bewegung … »Herr des Lebens! nimm sie wohlgefällig auf, die Bitte, die ich deiner Vatersorge mit gläubigem und zerrissenem Herzen anvertraut habe. Laß dieselbe gnädige Erhörung finden vor deinem Throne. Gib es nicht zu, daß ein herzloser Bruder mich, das wehrlose Opfer seiner Willkür, in Fesseln schmiede, die mich bis zum Grabe unglücklich machen würden; laß mich lieber das Ziel des Lebens bald, in der Blüthe meiner Jahre, finden. Allein gütiger Vater, gib es auch nicht zu, daß eine Leidenschaft, die nach der bestehenden Weltordnung nimmer zum Guten reifen würde, noch länger mein Herz verzehre, in welches sie der Zufall gleich einem Feuerbrand in's ruhige Haus geworfen. Vertilge das Bild dessen in meiner Brust, der sich gleich einem Zauberer in meine innigste Neigung gebannt hat; den ich immer heftiger liebe, je mehr ich mich bemühe, diese Liebe zu ersticken. Schmerzlich wird zwar die Heilung seyn; allein ich halte deiner väterlichen Hand stille, will nicht murren, und dem Geliebten das Glück in fremder Liebe wünschen, das er in der meinigen gefunden haben würde, träten nicht Menschensatzungen unerbittlich dazwischen. Komme mir zu Hülfe, Allbarmherziger! Dir vertraue ich mein Wohl! Du wirst mich nicht verlassen!«

In der Zuversicht, die der feste Glaube einflößt, stand die holde Beterin auf, um zu gehen; allein schon hatte den Lauschenden der unselige Taumel der Leidenschaft ergriffen, … schon hatte er sich aus seinem Versteck in die Kapelle geschwungen … schon hielt er, mit flüchtigen Schritten nachgeeilt, die Scheidende auf.

Sie warf den scheuen Blick auf den Festhaltenden; ein leiser Angstruf erstarb auf ihren Lippen, und Gebet, Glaube, Vorsatz … alles war dahin bei dem unerwarteten Zusammentreffen mit dem geliebten Zauberer.

»Archimbald!« rief sie halb freudig, halb entsetzt. »Archimbald! wie kommt Ihr hierher? Was beginnt Ihr?«

Er machte ihr durch die lebhaften und leicht verständlichen Geberden des Begeisterten begreiflich, wie es zugehe, daß er hier sey, und wie sehr es ihn schmerze, ihr Gebet, das ihn verwerfe, vernommen zu haben.

Sie folgte, mit stillem Entzücken auf dem leicht gerötheten Antlitz, allen seinen Bewegungen, und eine Zähre der Rührung blinkte in ihrem schönen Auge. – »Ich sollte Euch nicht gestehen,« sprach sie darauf leise und senkte den Blick zu Boden … »um meiner Weiblichkeit willen nicht gestehen, daß Ihr mein Gebet richtig gedeutet habt; daß in der That nur Ihr es seyd, den ich … meiner Neigung werth gefunden … mit Leid muß ich hinzufügen: wider meine Pflicht. Allein wir stehen vor dem Altare des Herrn, im Angesicht der heiligen Stätte, von wo das Wort des Heils uns verkündet wird … ich darf keine Lüge sprechen. Das Geheimniß meines Herzens ist Euch verrathen … in Euch, meinem ärgsten Feinde, wenn Ihr unedel genug wäret, die scharfe Waffe gegen mich zu gebrauchen, und mit meiner Scham, mit meiner Schwäche im Bunde, mich dadurch gänzlich zu Euerer Sclavin zu machen; der Stolz der Fürstentochter müßte in diesem Gefühle vor ihrem Diener verstummen, wie ich fürchte.«

Ein wehmüthiger Seufzer hob ihren Busen. Archimbald ergriff ihre Hand und drückte sie an seine Brust. Ihre zitternden Finger fühlten den heftigen Schlag seines Herzens und verpflanzten diese süße Unruhe auch in das ihrige. Sie suchte die Hand zu befreien. Nach einigen Versuchen gelang es. Sie blickte den gehorsamen Archimbald unbeschreiblich zärtlich in's Auge und sprach:

»Nein, Ihr seyd nicht unedel; Ihr werdet nie meine Schwäche und den Zufall, der sie Euch bekannte, mißbrauchen; Ihr werdet Euch bezwingen, mich vergessen. Fahrt nicht auf, betheuert nicht … Das Gefühl, das uns so wunderschnell im Geiste vereinte, läßt seine Dauer noch nach Stunden berechnen. Soll es in der kurzen Frist schon Wurzeln für das Leben gefaßt haben? Muth, mein Freund! Gott wird helfen … Euch … und mir!«

Archimbald faßte mit beiden Händen Ludmillens Rechte, küßte sie, benetzte sie mit seinen Thränen, hing mit feuchtem Auge an ihrem schwärmerisch verklärtem Angesicht.

»Nicht so!« versetzte Ludmille und wandte sich halb von dem Geliebten. »Nicht diesen schwermüthigen Blick, nicht diese kummervolle Miene! Eure stumme Sprache wirkt mächtiger als die feurigste Beredtsamkeit. Ein gefährliches Mitleid steht Euch bei. Schont meiner!«

Archimbald, von dem mächtigen Klange ihrer süßen Stimme gerührt, gehorchte und trat zurück, mit ernster und trauriger Stirn.

»Ich danke Euch!« fuhr Ludmille sanft und mild fort. »Nun laß't uns scheiden!«

Archimbald rang schmerzlich die Hände.

»Ihr liebt mich?« sprach die Prinzessin, wie oben.

Der Jüngling bejahete leidenschaftlich.

»Ihr wollt mein Glück?« fragte Ludmille weicher.

Der Jüngling betheuerte es mit strahlendem Blicke.

»Nun wohl,« fuhr sie mit unsicherm Tone fort … »gründet es. Meidet mich! Vergeß't mich!«

Er schüttelte ernst den Kopf.

»Ihr weigert Euch?« fragte sie ängstlich. »Nun, so muß ich Euch fliehen!«

Archimbald faßte bestürzt und erschrocken ihre Hand und deutete an, sie könne über ihn gebieten.

»Wohl,« versetzte hierauf Ludmille heiterer. »Ihr seyd, wie ich vermuthete, treu und wahr; und wenn das Schicksal jemals … doch genug hiervon! Laß't uns auf Mittel sinnen, wie wir mit des Himmels Beistand einer Leidenschaft Einhalt thun können, die uns nur verderblich seyn würde, da wir nie uns angehören dürfen. Geht nach Euerm Zufluchtsort zurück und haltet Euch wohl verborgen. Ich zittere für Euch! Morgen um dieselbe Zeit als heute, werde ich wieder hier zurückbleiben und Euch, wenn Ihr zu kommen gedenkt, mittheilen, was mir bis dahin Gott eingegeben hat, was wir zu thun haben, um Euere Ruhe wieder herzustellen, und mir es möglich zu machen, meine Pflichten als Tochter einer edeln Mutter, als Sprößling eines adelstolzen Fürstenhauses zu erfüllen. Bis zu jenem Augenblicke gehabt Euch wohl! …« Sie ergriff seine Rechte, drückte sie zärtlich, und setzte mit ausbrechendem Gefühle hinzu: »bis dahin behüte Dich, Geliebter, der Herr mit seinen Engelscharen!«

Die Liebliche eilte nach diesen Worten schnell, als wollte sie ihrem verrätherischen Herzen entlaufen, aus der Kirchthüre, und verschloß sie sorgfältig. Archimbald suchte über die Särge der alten Grafen seinen Rückweg. Die Nacht war zwar hereingebrochen; er mußte, tappend, wie ein Blinder, durch die Wohnung der Todten schreiten und sich bis zu der engen Treppe fühlen. Allein, in der Begebenheit der verwichenen Stunde grübelnd, empfand er nicht die Schwierigkeiten und Schrecknisse des weiten Weges, den er bis zur Nachtherberge zurückzulegen hatte. Erst nachdem er in seinem Gemach angelangt war, sammelte er das Ergebniß seiner Gedankenspiele. – »Sie liebte mich?« fragte er sich selbst und lachte bitter. »Sie, die sich dieser Liebe schämt, weil sie eine Fürstentochter ist und ich nur ihr demüthiger Knecht scheine? O nein, nein, ihr Stolz ist ihr Götze! Sie hat mich nicht geliebt!«

Von feindseligen Grillen geplagt, grollend über sein Geschick, entschlief er spät auf seinem Lager, und wilde Träume, wie sie der verflossene Tag und der unheimliche Aufenthalt, in dem er sich befand, erzeugen mußte, quälten sein Gehirn mit tausend Schreckbildern, bis der helle Morgen die schwarzen Phantome verscheuchte durch seinen freudigen Strahlenglanz.


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