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Siebentes Kapitel.


Du fragst das Leben still besonnen:
Sprich! warum hast Du mich gewonnen?
Du fragst umsonst. Das Leben schweigt.

Gramberg.

Archimbald lag zu Burgau auf einem ärmlichen Strohlager in der fest verriegelten Kammer, in welcher man auf dem Schloß heimathlose Landstreicher, oder widerspenstige, zu den Waffen gezwungene Leute zu verwahren pflegte. Die Stadtwächter von Günzburg hatten ihn dem Thorwächter abgeliefert, und waren noch in selbiger Stunde wieder heimgekehrt. Vor Frost zitternd, und von dem Schnee, der häufig am späten Abend gefallen war, durchnäßt, hatte er um die Erlaubniß gebeten, sich am Feuer des Wächters wärmen zu dürfen. – Umsonst! – »Ein unehrlicher Bastard darf sich an meinem ehrlichen Heerde nicht aufthauen,« sagte der Unmensch, und stieß den seiner Obhut Anvertrauten in die kalte und finstere Kammer. Der Unglückliche fand im Umhertappen die elende Streu, und sank ermüdet darauf hin. Da wehte es ihn kalt an durch das Fenster. – »Wäre es offen!« dachte er, plötzlich von neuem Muth entflammt. »Wäre dir vielleicht ein Weg zur Flucht geöffnet?« – Er stieg empor vom Boden und schlich dahin, wo eine schwache Helle ihm das Fenster verrieth. Er erreichte es, allein sein Muth sank so schnell als er gewachsen war. Das Fenster war zwar offen, ohne Scheiben, aber eng und stark vergittert. Ein zerstörender Blitzstrahl für seine Hoffnungen. Ergrimmt rüttelte er an den Stäben. Kein einziger derselben bewegte sich in seinen Fugen. – »Gib Dir keine Mühe, Landsmann,« sprach plötzlich eine rauhe Stimme zu seinen Füßen, »'s ist Alles umsonst. Ich habe schon bereits Alles versucht, und auch mit langer Nase abziehen müssen. – »Wer da?« rief der bestürzte Archimbald. – »Ein armer Teufel, wie Du, antwortete die Stimme, »der gerne ein bischen schlummern möchte, und vor Deinen unnützen Rettungsversuchen nicht dazu kommen kann. Lege Dich daher auf's Ohr, und störe Deine Nachbarn nicht länger. Du möchtest uns sonst alle Beide auf das Fell bekommen.«

Archimbald machte sich auch ohne Geräusch auf den Rückzug. »Halte Dich rechts,« rief ihm die Stimme zu, »sonst drückst Du meinem Gefährten Deinen Stiefelabsatz auf dem Munde ab. So! gute Nacht!«

Archimbald hatte eine Ecke erreicht, in der er sich niederwarf, und tief in das Stroh vergrub, um sich vor der argen Kälte zu schützen. Die Haft, in der er sich befand, kam ihm nun schon weniger schreckhaft vor, weil er Gefährten seines Leidens hatte, und da die Wärme nur langsam wieder in seine erstarrten Glieder zurückkehrte, der wohlthätige Schlummer sodann noch ferne war, so sann er nach über das, was ihm der heutige Tag gebracht hatte … was ihm der morgende bringen werde.

»Muß ich nicht verzweifeln an Gott, an dem Leben und meinem Schicksale?« seufzte er halb beklommen, halb trotzig. »Ich bin ein Thor, daß ich nicht freudig die Bahn verfolgt habe, die man mich antreten ließ. Was hilft mir's nun, daß ich, nachdem meine Unbesonnenheit den Schreckensauftritt in Worasdar herbeigeführt, den Geistern der scheuen Furcht und der Scham so gutwillig Gehör gab? Was hilft mir's, daß ich in jener Nacht, auf unbekannten Wegen und Stegen entfliehend, den ernsten und heiligen Vorsatz faßte, abzugehen vom Wege der Lügen, des Betrugs, der Hinterlist, und eine gerade, ehrliche Lebensstraße zu betreten? Was hilft mir's, daß ich alle Mißhandlungen vergaß, die im Vaterhause mein Loos gewesen, und einem reuigen Sünder gleich, demüthig auf's Neue zur Heimath kehrte? Verflucht sey die Stunde, in der ich bei dem elenden Schreiner um die Lehre anhielt, und nur Schande erntete; verflucht die Stunde, in der ich zu den Füßen eines niederträchtigen Bruders um das betteln konnte, das von Rechts wegen mir gehört! Verwünscht der Augenblick endlich, in welchem ich dem abscheulichen Thurneisen begegnen mußte, um das Opfer seines Hasses zu werden! Lenens Haus ist verwüstet … kein Mensch will wissen, wo sie hingekommen. Der hohle Baum, den sie mir bezeichnet hatte, enthält ebenfalls nicht das Geringste. Kein Ausweg war mir übrig, ehrlich durch die Welt zu kommen, als mich zu meinem Lehrer zu betteln, und die schmutzige Kutte umzuwerfen; aber diesen letzten Pfad sogar verrennt mir mein böses Geschick. Eine Beute der Willkür muß ich werden, und hier schmachten, wie ein gebundenes Lamm, bis man mich, zur ungarischen Schlachtbank treibt. So sey es denn verrufen und verschworen, niemals das Gute des Guten wegen zu versuchen. Ich bin ausgestoßen aus der Gesellschaft durch meine Geburt; ich habe mein Glück, des Doktors Gunst verscherzt, in Lenen meine beste Freundin verloren: Ludmille hat mich verworfen; Engeltrude, die heranblühende Jungfrau, hat mir, als ich, von ihrem Vater schnöde abgewiesen, traurig von dannen ging, ein Stück schwarz Brod zugeworfen … das einzige Geschenk meiner Jugendgespielin … sie hat sich geschämt, dem verachteten Bastard nur ein Wörtchen der Theilnahme zu schenken; sie hat von meinem Herzen sich losgerissen. Leila, Zenide, die freundlichen Schwestern, verdammen wohl auch denjenigen, der sie, die Liebenden, so beharrlich hintergehen konnte; … ich bin fertig mit dem Leben, und statt, wie der Glückliche auf seinen glatten Fluthen bequem dem Hafen zuzurudern, will ich den Kampf versuchen mit der Wuth seiner Brandung, unbekümmert ob sie den Schiffbrüchigen zum sichern Eiland rette, oder seinen Körper an den scharfen Felsenkanten zerschelle!«

Spät erst, als der Morgen schon heraufdämmerte durch die winterlichen Nebel, beschlich den ärmsten ein leichter Schlummer, der aber bald sein Ende erreichte, weil die Gefährten des Schläfers laut zu werden anfingen. Archimbald begierig, die Beiden etwas auszuhorchen, ließ die Augen wieder zufallen, und blinzelte bloß zwischen den Wimpern ein wenig hervor. Der einbrechende Tagesschimmer ließ ihn die Gestalt der Kumpane völlig unterscheiden. Der eine von ihnen, klein untersetzt, blatternarbig, grauäugig und von blondem Haar, blätterte, auf dem Strohe liegend, in einem Pack Schriften. Der andere, von langer Statur, schwarzem Aug' und verworrenem schwarzem Haare, war eben beschäftigt, seine Kleider von Staub und Spreu zu reinigen. Beide hatten unternehmende, verschmitzte Gesichter. Am auffallendsten war dasjenige des Blonden, der einen stark ausgedrückten Zug von boshafter Spottsucht darinnen trug.

»Was treibst Du denn in aller Frühe?« fragte der Letztere endlich mit halblauter Stimme. – »Willst Du Deinen Staat vor dem gestrengen Herrn Schloßhauptmann auskramen, wenn es ihm belieben sollte, uns vor sich bringen zu lassen. – Unnütze Sorge. Ein Paar Strohhalmen mehr oder weniger auf dem Wamms würden uns dennoch nicht aus dem Garne nagen, wenn wir nicht ohnedieß den Ablaß in der Tasche trügen.«

»Du darfst noch reden!« murrte der Lange, in dem Archimbald den Redner in der verwichenen Nacht erkannte … »was ist Schuld an dem ganzen Handel? Du ganz allein. Hätte Dich der Teufel und das starke Getränk nicht regiert, so säßen wir nicht hier in dem verdammten Loche, und hätten schon Augsburg im Gesichte. Aber was hilfts? So wichtig und feierlich Du auch thust, so steckt Dir der verdorbene Studiosus noch immer in allen Nähten.«

» Silentium!« drohte der Kleine. »Nehm Er sich nicht so viel Gurgen heraus, Herr vom Pinsel und Farbenstein! Der verdorbene Student führt Ihn noch zehnmal in den Brei, ehe Er's nur merkt … Aber Scherz bei Seite … meine unglückliche Constellation hat uns dieses Elend bereitet. Meine Constellation, verbunden mit dem allzukräftigen Hopfengeiste. Hundertmal in meinem Leben schon habe ich das Busentuch eines Mädchens verschoben, und die Dirne hat immerdar dazu gelacht … was kann ich dafür, daß die Kellermagd im Bock sich es einfallen ließ, bockig zu seyn, und meine Liebkosung verdrießlich aufzunehmen? Schon hundertmal habe ich einem Mannskerl hinter die Ohren geschlagen, der sich als unberufener Mittler in meine Angelegenheiten mischen, und zwischen die Dirne und mich treten wollte … und der Kerl hat immer seinen Backenstreich in tiefster Ehrfurcht hingenommen. – Wie konnte ich aber wissen, daß derjenige, den ich gestern aufs Maul geschlagen habe, weil er sich unterstanden, die Kellermagd zu vertreten, gerade und zu allem Unglück der Vogt seyn mußte, der die Ohrfeige nicht geduldig hinzunehmen aufgelegt war? Reines Unglück also. Sey indessen nur getrost, Freund Erlwein, unsere Papiere helfen uns aus der Klemme, und bald wirst Du, statt gegen die Türken geprügelt zu werden, zu Prag in ruhiger Muße, ein Exvoto für Deinen Schutzpatron, der Dich aus dieser Trübsal erlöst, fertigen dürfen.

»Ich habe noch nicht Brief und Siegel über unsere Erlösung,« bemerkte Erlwein mit sorgsamem Kopfschütteln.

»Nicht?« lachte der Blonde. »Schäme Dich, ungläubiger Thomas! Unsere Briefe von Don Zuniga und dem Beichtvater werden uns so sicher nach Böhmen führen, als ob wir das Königreich mit Spieß und Fahne vom Kaiser zum Lehen empfangen hätten. Der arme Schlucker, der dort in der Ecke liegt, und über Nacht wie ein Pilz in unsere Mitte gewachsen ist, wird wohl nicht so wohlfeil davon kommen als wir, und wahrscheinlich seine Haut zum Gerben tragen müssen.«

»'s ist ein kecker Bursche,« versicherte Erlwein; »er hat in der Nacht ausbrechen wollen; ist also schon oft dabei gewesen. Jetzt liegt er, und schläft wie ein Sack, obschon er unter Fremden ist.«

»Welche Gefahr läuft der Bengel auch?« fragte der Blonde spöttisch. »Wären wir auch aus der Zunft der Langfinger, so möchte ich doch wissen, was wir dem Tagediebe aus seinen Lumpen entwenden könnten. Wir dürfen froh seyn, daß er weit genug von uns liegt, um uns nichts mitzutheilen.«

»Der Schein trügt oft,« versetzte Erlwein, und heftete einen scharfen Blick auf den Schläfer. – »So bemerke ich zum Beispiel ein gewisses glänzendes Etwas, das dem Burschen aus dem halboffenen Wamms steht, und wie Silber zu mir herüber blinkt.«

»Ein gestohlener Zinnteller vielleicht« spöttelte der Blonde – »über dessen Entwendung der Bube ergriffen worden ist, und den er in der Eile unter die Jacke verbarg, wo ihn die Spießbürger, da sie ihre Gefangenen nicht zu untersuchen pflegen, nicht gefunden haben.«

»Nicht doch,« erwiederte Erlwein, indem er sich näher schlich. »Das ist nicht Zinn, nicht Kupfer, das ist Silber und Gold, und ich bin neugierig genug, das Ding näher zu betrachten.«

Bei diesen Worten hatte er auch vorsichtig die Hand ausgestreckt, um nach dem Dolche zu greifen, dessen glänzender Knopf aus Archimbalds Kleide ragte, allein der lauernde Scheinschläfer, die Waffe als sein höchstes Kleinod bewahrend, packte heftig die neugierige Hand. Von der unvorhergesehenen Bewegung erschreckt, fuhr Erlwein gegen seinen Gefährten zurück, der auch von seinem Lager aufsprang.

Archimbald stand im selben Nu auf seinen Füßen vor den Erschrockenen. »Oho, ihr Herren!« rief er drohend, »macht Euch nicht mausig gegen einen fremden Gast. Sprecht und denkt von mir, was Ihr wollt, laßt aber mein Eigenthum und meine Ruhe in Frieden, sonst halte ich Euch für Langfingerzünftige, wenn ihr's gleich nicht Wort haben wollt, und wehre mich wie gegen solche.«

»Der Satan hat unser Gespräch belauscht,« fing nach einer Weile der Blonde zu seinem Begleiter an … »er hat uns überlistet, ehe wir nur an ihn dachten.«

»Ich mußte doch wissen, wer mit mir in demselben Bauer steckt,« lachte Archimbald, und lehnte sich, den Rücken frei zu behalten, an die Mauer, die beiden Nachbarn mit forschendem Blicke messend.

»Der Bursche ist doch so dumm nicht,« flüsterte Erlwein dem Blonden zu.

»Wohl boshafter als dumm,« entgegnete dieser eben so leise. »Laßt uns ihm auf den Zahn fühlen. Ich will bald heraus haben, was hinter ihm steckt.«

»Wir werden gestört,« rief Archimbald den Flüsternden zu, »sonst möchte ich die Herren wohl bitten, mir ihre Heimlichkeiten mitzutheilen, da ich die Veranlassung derselben bin, dem Geheimnißkrämer aber am allerwenigsten traue.«

Der Hüter des Gefängnisses trat herein, und bedeutete allen Dreien, ihm zum Schloßhauptmann zu folgen. Mit gezwungener Ergebung gingen sie der Entscheidung ihres Schicksals entgegen. Einige Bewaffnete geleiteten sie in das Vorgemach des Schloßhauptmanns, wo man sie verziehen hieß. Der Blonde war der erste, der in das Gebet genommen wurde, und in das Wohngemach des Hauptmanns treten mußte. Zwischen den beiden Zurückgebliebenen wurde kein Wort gewechselt. Erlwein starrte unverwandten Blicks nach der Thüre, durch welche sein Freund heraustreten, und ihm sein Schicksal im eigenen ankündigen werde. Archimbald saß in kaltblütiger Fassung neben ihm, fest entschlossen, sein Schicksal, es sey welches es wolle, mit männlicher Kraft und festem Muthe zu ertragen.

Geduldig erwartete er den Augenblick, der ihm das Urtheil sprechen würde, denn das grausame Loos schreckt denjenigen nicht, der schon im Voraus das Härteste zu überstehen bereit ist. – Erlweins Freund kehrte bald zurück, Freude im Aug' und Antlitz, ein Papier in der Hand. »Vivat Don Zuniga!« rief er frohlockend. »Sein Brief ist ein Talisman; freue Dich, Erlwein! Ich habe meine Sache gewonnen; Du wirst in einem Augenblicke frei seyn. Das Kellermädel im Bock behält seine Küsse, der Vogt seine Ohrfeige, und Eschenreuter geht frei aus wie ein Sperling. Geh hinein Bruderherz. Der Gesandte hat mir aus der Patsche geholfen … der Beichtvater wird bei Dir nicht weniger thun. – In der Bockskneipe erwarte ich Dich!«

Den Filz auf einem Ohr, ein fröhliches Studentenlied auf der Zunge, den wiedererhaltenen Raufdegen unterm Arme, sprang er wie der Blitz durch die Pforten in's Freie. Mit unendlich erleichtertem Herzen ging Erlwein zum Verhör; kam in kürzerer Frist eben so fröhlich zurück, als sein Vorgänger, und wünschte noch in gutmüthiger Freude dem harrenden Archimbald eine eben so glückliche Beendigung seiner Sache, oder zum mindesten Geduld im Unglück. Darauf entfernte er sich eilig und folgte seinem Freunde. – Archimbald traf' nun die Reihe, und er stellte sich ohne Ueberwindung vor seinen unbekannten Richter.

In dem weiten gothischen Gemache sah es aber weit traulicher aus, als es sich der Jüngling gedacht hatte. Die braungetäfelten Wände waren vom goldenen Decembersonnenschein überflogen, der sich prächtig in den blanken Rüststücken spiegelte, die nebst Schildern und Panieren, an der Wölbung des Saals zur Zierde aufgehängt waren. Im Hintergrunde des Saals, wo viele enge Fenster sich zu einem einzigen verbanden, das die ganze Wandseite einnahm, und in seinen obersten Bögen gar prächtig mit den farbigen Wappen Oesterreichs, Tyrols und der Markgrafschaft geschmückt war, saß auf einer mäßig hohen, in der Fensternische angebrachten Estrade, eine junge Frau von äußerst einnehmenden Gesichtszügen, in einfacher, aber gewählter Haustracht; neben ihr eine Wiege, in der ein Knäblein schlief, von dunkeln Vorhängen gegen das einbrechende Sonnenlicht geschützt. Wenige Schritte von ihr entfernt, an einem großen Tische mit grünem Behänge, auf welchem Papiere zerstreut lagen und die Ueberreste eines Frühstücks zu sehen waren, stand der Schloßhauptmann in kriegerischer Tracht, mit den Farben des Markgrafen geziert. So drohend auch seine Waffenrüstung schien, so gebieterisch und strenge seine Haltung, so mußte dennoch der Fremdling im ersten Augenblicke schon Vertrauen zu den sanften und schönen Zügen des Herrn von Herbenstein fassen, deren Reiz sein melancholischer Blick nicht zu mindern, wohl aber zu mehren geeignet war. Des Hauptmanns Auge verweilte lange auf Archimbald, und Mitleid sprach aus ihm. Endlich begann er ein Papier vornehmend:

»Ihr seyd auf eine seltsame Weise, in meine Hände gerathen, junger Mensch. Der Syndikus von Günzburg liefert Euch auf die Anklage eines Rathsherrn von Ulm aus, und beschreibt Euch als einen verwegenen und sehr gefährlichen heimathlosen Menschen. Ich soll Euch unter den Trupp Fußknechte stecken, der in einiger Zeit zu dem Regiment unsers gnädigen Herrn Markgrafen nach Ungarn abgehen wird. So verlangt es der Syndikus. Bevor ich aber unbedingt in sein Begehren willigen kann, muß ich Näheres von Euch wissen. Wie ist Euer Name?«

»Archimbald heiße ich,« erwiederte der Jüngling trocken.

»Der Name Eueres Geschlechts?« fragte Herbenstein weiter.

»Ich habe keinen,« versetzte Archimbald, »oder besser: man hat mir ihn gestohlen. Ich bin ein unehlicher Sohn – ein Bastard,« … fügte er mit kalter Bitterkeit hinzu.

»So?« sprach der Hauptmann gezogen. »Eure Heimath?«

»Man hat mich daraus verstoßen,« entgegnete Archimbald wie oben; »ich habe keine.«

»Hm!« brummte der Herr von Herbenstein in den Bart. »Unehelich, heimathlos? Ihr, seyd dem Wildfangsrecht unterworfen; allein ich will mich nicht damit abgeben. Ich bin weder der Strolchenjäger, noch der Spitzbubenfänger des Syndikus. Mit dem Soldatenwesen ist es ohnedieß nichts, weil unser gnädigster Herr die bestimmte Verordnung erlassen hat, keinen unrechtmäßig gezeugten Sohn unter sein Regiment aufzunehmen. Auf die Vorschrift halte ich streng … darum, guter Freund, zieht immerhin Euere Straße. Sucht aber irgend ein Unterkommen zu finden; denn es wäre Schade, wenn Euere Jugend in schlechter Genossenschaft verdorben würde.«

Archimbald war gerührt von der sanften Güte, die aus des Hauptmanns Worten leuchtete, und neigte sich verlegen, um seine Hand zu küssen. Die Gattin des edlen Herrn hatte indessen mit vieler Theilnahme dem Gespräche zugehört, und griff nach dem sammetnen Beutel, der an ihrer Hüfte hing. – »Ihr werdet eines Zehrpfennigs bedürfen, armer junger Mann,« sprach sie mit einer milden Engelsstimme, indem sie dem Staunenden eine kleine Silbermünze reichte – nehmt dieses auf den Weg. Ich will sorgen, daß man Euch, bevor Ihr geht, noch einen Becher Wein und ein Stück Brod verabreiche. Denn die Witterung ist kalt und Euer Weg wohl noch weit.«

»Der weiteste, gestrenge Frau,« entgegnete Archimbald von Thränen einer süßen Rührung überrascht. – »Ich suche ein Obdach, und die vater- und mutterlose Waise findet dieses so selten. – Aber ich preise dennoch die Vorsicht, sie hat mich durch einen Kerker zu edeln Menschen geführt. Edle Frau, ich bedarf Eueres Geschenkes nicht, ich weiß zu entbehren, aber ich behalte es dennoch zum ewigen Gedächtniß dieser Stunde. Wenn ich einst in den Stand kommen sollte, selbst wohlthätig seyn zu können, und mein Herz wollte taub werden gegen das Gefühl, so wird, ein einziger Blick auf dieses Geldstück mir das Bild einer Frau vor die Seele zaubern, die an dem fremden Bastard unaufgefordert that, um was er bei seinen Blutsfreunden vergebens mit blutigen Thränen bettelte – und ich werde wieder ein Mensch seyn. Gott segne Euch und Euern wackern Gemahl, und lasse Euch viele Freude an Euern Kindern erleben!«

Die Frau von Herbenstein hatte der Rede des begeisterten Jünglings zwar mit freundlicher Theilnahme zugehört, allein der Schluß derselben erschütterte sie plötzlich dergestalt, daß sie zusammenfuhr, Archimbald zu schweigen winkte, und ihr Gesicht unter Thränen und Schluchzen verhüllte. Der Jüngling stand bestürzt bei dieser unerwarteten Wendung des Auftritts, und sah staunend bald die Weinende, bald ihren Gemahl an. Der letztere schüttelte aber ernst den Kopf und sprach: »Ei, ei, junger Gesell, ich sollte schier zürnen ob Deiner Unbesonnenheit, allein … wie war's auch möglich, daß Du wissen konntest …! Geh' denn jetzt mit Gott.«

»Erlaubt mir, edler Herr,« versetzte Archimbald besorgt, »daß ich zuvor erfahre, wodurch ich Euere Hausfrau dergestalt gekränkt, und meine Vergebung von ihr erflehe.«

»Du bist neugierig, guter Freund,« antwortete Herbenstein. »Weil Dir jedoch das Mitleid aus den Augen spricht, so magst Du wissen, daß diese arme Mutter bereits ein Kind verloren hat, das ihr boshaft entwendet wurde, und daß sie in Kurzem den Verlust des zweiten, das dort in der Wiege schläft, wird betrauern müssen.«

»Den Verlust dieses holden Kindes?« fragte Archimbald theilnehmend, indem er an das Bettchen desselben trat, und nun erst die Blässe und die eingefallenen Wangen des Knaben bemerkte. »An welchem Gebreste leidet es?«

Statt aller Antwort hob der bekümmerte Vater die leichte Decke auf, und Archimbald gewahrte, daß das rechte Bein des Kindes schon bedeutend geschwunden war, und dadurch dem übrigen Körper eine auffallende Magerkeit mitgetheilt hatte.

»Keine Hülfe?« forschte Archimbald. Der Hauptmann zuckte die Achseln, und blickte nach oben. »Der Arzt hat den armen Leidenden verlassen,« sprach er darauf mit gepreßter Stimme. – In Archimbald loderte aber eine schöne Flamme der Dankbarkeit auf. Er betrachtete den Knaben noch einmal, und redete mit bescheidner Zuversicht also zu dem Herrn von Herbenstein:

»Wenn Ihr, mein edler Herr, meiner armen Kunst Glauben schenken wolltet, so getraue ich mir wohl, den kleinen Kranken herzustellen, ob ihn gleich der Arzt aufgegeben.«

Der Hauptmann sah ihn verwundert an. Archimbald aber fuhr fort wie oben:

»Es kömmt auf die Probe an, Herr. Ihr dürft mit mir beginnen was Ihr wollt, so ich Euch den Knaben nicht rette.«

»Wenn Ihr das könntet,« rief die Mutter, durch die tröstliche Verheißung ihres Schmerzes entledigt, und der Hoffnung zugewendet, … »wenn Ihr das vermöchtet … Ihr solltet keine Undankbare an mir finden.«

»Nein, wahrlich nicht,« bekräftigte Herbenstein. »Reicher Lohn sollte Euch werden.«

»Redet nicht vom Lohne,« erwiederte Archimbald ernst und bestimmt; »ich diene nicht um Sold. Euer Edelmuth hat mir im Voraus vergolten, und meiner Dankbarkeit allein wird Euer Sohn das Leben verdanken.«

Der Hauptmann und seine Ehefrau schwiegen und wußten nicht, was sie von dem jungen Menschen denken sollten, der schnell an's Werk schritt, um seinen Versprechungen durch die That Bürgen zu stellen. Er lief eilig im ganzen Städtlein umher und spürte nach den Heilmitteln, deren er bedurfte; er plünderte die Arzneisammlung des Leibarztes der Markgräfin, welcher sich in ihrem Gefolge auswärts befand, und bereitete in möglichster Schnelligkeit lindernde und stärkende Umschläge und Tränke für den Sohn des Hauptmanns, der mit einer unglaublichen Gelassenheit sein Siegthum ertrug. Archimbald ging in allen seinen Verrichtungen so geschickt und so besonnen zu Werke, daß die betrübten Eltern das beste Vertrauen zu ihm faßten. Der Erfolg belohnte auch seine Bemühungen. In wenigen Tagen war das Kind in merklicher Besserung, und des Lehrer Hubert's Segen schien auf dem Probestück des jungen Heilkundigen zu ruhen. Die Frau von Herbenstein sorgte auch wie eine Mutter für den Letztern. Ein Stüblein im Eckthurm mit freundlicher Aussicht in's offene Feld, reinliche und schmucke Kleidungsstücke, nahrhafte Speisen und achtungsvolle Behandlung … alles stand ihm zu Gebote. Er wußte sich aber auch solcher Gunst würdig zu machen, und vergaß nie die Schranken, die zwischen ihm und seinen neuen Beschützern bestanden. Er war bescheiden genug, stets nach der Besorgung seines Kranken Herbstein's Gemach zu verlassen; demüthig genug, die Einladung, an dem Tische des Letztern zu speisen, abzulehnen, und sein Mahl auf dem einsamen Thurmzimmer zu genießen. So ging er geräusch- und spurlos unter den Bewohnern des Schlosses umher, die sich es nicht reimen konnten, wie auf einmal der Landstreicher zum Arzt geworden sey. Auf diese Weise erregte er weder Neid noch Mißgunst, und überließ sich jeden Abend, mit dem beruhigenden Gedanken, abermals einen Tag gerecht und gut verlebt zu haben, dem erquickenden Schlummer. Er hatte sich noch nie so leicht, so gut gefühlt, als jetzt; und aus dem tugendreichen Leben des edeln Herbenstein's und seiner Gemahlin schien ein Abglanz auf seine Seele zu strahlen. Er war zufrieden in seinem Bewußtseyn, und dankte Gott mit eifrigem Gemüthe für das Glück, in diesem Hause eine zum mindesten augenblickliche Zuflucht gefunden zu haben. Seinem Fleiße und seiner Pflege gelang es auch, den ihm anvertrauten Knaben gänzlich herzustellen, ehe noch die Lerche sang.

Ein allgemeiner Festtag wurde auf dem Schlosse gehalten, als Archimbald den entzückten Eltern ihren Sohn geheilt und genesen darstellte, und der Retter kam dem liebenswürdigen Paare dieses Mal nicht von der Seite. Der Dank der Mutter kannte keine Gränzen, nicht weniger dankbar, aber besonnener äußerte sich des Vaters Freude. »Mein lieber Archimbald,« begann er, als sie in der traulichen Dämmerung um den warmen Kachelofen saßen, – und ergriff des Jünglings Hand: »Euer so wohl gelungenes Werk zeugt für Eure Gelehrsamkeit und Wissenschaft; Eure einfache und zurückgezogene Lebensweise, die ich genau beobachtet habe, für Euer unverdorb'nes Gemüth; Eure beharrliche Weigerung, irgend eine Belohnung von uns anzunehmen, für Eure Uneigennützigkeit. Indessen, junger Freund, gibt es eine Art zu vergelten, die nicht in Gold und Silber einen unbezahlbaren Dienst ablehnt, und sowohl dem Dankbarverpflichteten, als dem Verpflichter gleich wohl ansteht. Ich meine damit die Sorge für die Zukunft desjenigen, dem wir verschuldet sind, wenn sie noch nicht bestimmt und gesichert ist. Ich möchte so gerne einen Stein zu dem Gebäude Eures künftigen Glücks tragen. Lass't mich wissen, wie ich es anfangen soll, und ob ihr hinlänglich Vertrauen zu uns gefaßt habt, um uns Eure früheren Begebenheiten mittheilen zu wollen, die noch keine vorwitzige Frage Euch abgelockt hat. Ihr seht, wir meinen es herzlich gut mit Euch, der es so wacker mit uns gemeint hat. Gebt darum der falschen Scham nicht Raum, und entdeckt Euch unverholen Euern Freunden, die, ohne Neugier, von ihrem Wohlwollen allein beseelt werden. Der unglückliche Umstand Eurer Geburt ist Euch nicht anzurechnen, und kann den Rechtschaffenen nicht ehrlos machen. Sprecht also ohne Scheu und Zwang, und rechnet auf Unser Mitgefühl.«

Archimbald hätte sich ein Gewissen daraus gemacht, gegen seine Wohlthäter nicht wenigstens etwas Offenherzigkeit zu zeigen, und säumte demnach nicht, den aufmerksamen Zuhörern die Geschichte seiner Jugendzeit vorzutragen. Die Dämmerung ließ ihn nicht bemerken, daß flammende Röthe die Wangen der Frau von Herbenstein überflog, als er gleich von Anbeginn den Namen seines Vaters nannte, und erzählte unbefangen weiter, entschlossen, über seine Lehrzeit bei der Hexenlene und sein vorschnell geendetes Probejahr auf Worosdar schnell hinwegzuhüpfen, oder diese Kapitel völlig zu überschlagen; allein seine Wahrhaftigkeit wurde nicht auf die Probe gestellt. Denn, als er in seiner Erzählung zu dem Zeitpunkte gelangt war, in dem Philipp aus den Niederlanden zurückkam … als er mit wahrer Begeisterung und lebhafter Erinnerung kaum die Schilderung des Abends vollendet hatte, an dem der Bruder ihn aus dem Vaterhause stieß … stand die Frau von Herbenstein plötzlich auf, drückte mit lautem Weinen ihren Knaben, der auf ihren Knieen spielte, an's Herz, und eilte in heftigster Bewegung mit demselben aus dem Gemache. – Archimbald sah ihr sprachlos und bestürzt nach, und der Hauptmann maß den Saal mit langen Schritten, die Hände auf dem Rücken, das Gesicht voll Verdruß. – »Was hab' ich denn nun wieder verbrochen?« fragte der Jüngling mit ängstlicher Hast. »Bin ich denn so unglücklich, die edle Frau beständig durch mein Geschwätze zu betrüben und schier zu erzürnen?«

»Bei Gottes Blut,« sprach der Hauptmann halb verdrießlich, halb beruhigend … »Ihr seyd wahrlich nicht daran Schuld, lieber Archimbald; allein … ich fürchte … doch das wird sich finden. Gute Nacht für heute! besucht mich morgen, wenn die Frau in der Kapelle Messe hört. Wir wollen dann weiter sprechen!«

Archimbald verbeugte sich, und ging ohne eine überlästige Frage von dannen. »Wir wollen dann weiter sprechen?« wiederholte er für sich, als er die Wendeltreppe im Eckthurme zu seiner Kammer emporstieg. »Was soll das heißen? Wie hängt denn eigentlich das Ganze zusammen? Sind meine Reden etwa bezaubert, daß sie die Frau von Herbenstein dergestalt in Trauer und Jammer zu versetzen vermögen? Es muß mich meine Ahnung gewaltig trügen, oder die heutige Begebenheit weissagt mir nichts Gutes. Immerhin! Auf das Aergste gefaßt, kömmt mir das gemäßigtere Unglück nur wie ein wohlthätiges Gewitter im heißen Sommer vor … es geht vorüber und der Sonnenschein kommt nach.«

Diese Fassung half ihm auch glücklich über die Trennungskluft hinüber, die das am nächsten Morgen erfolgende Gespräch mit dem Hauptmann, zwischen ihm und dem edeln Hause Herbenstein, aufriß.

»Nein, lieber Archimbald,« sprach der wackre Edelmann; »bei Gottes Blut! Es thut mir von Herzen leid, Euch von unserm gastlichen Heerde zu entfernen, aber es muß geschieden seyn, um meiner Eheliebsten willen, obgleich sie sich selber mit Gewalt dagegen sträubt, um Euch nicht zu betrüben. Was würde jedoch die Folge seyn, wenn Ihr länger bliebt? Mein gutes Weib würde sich abhärmen, gleich einem Schatten, weil Euer Anblick ihr mit jedem Tag einen schweren Kummer rege machen würde, dem meine volle, ungetheilte Liebe erst seit einigen Jahren eine Gränze setzen konnte. Es ist deßhalb besser, wenn Ihr, von uns unterstützt, Euer Glück in der Ferne sucht. Meine Hausfrau wird vergessen, sich getröstet fühlen, und ihrem Kinde doppelte Mutter seyn.«

»Was habe ich denn verschuldet,« fragte Archimbald betroffen, »daß ich so schnell Eure Schwelle meiden muß?«

»Ihr?« erwiederte Herbenstein. »Nichts auf der Welt. Hadert mit Euerm Mißgeschick, das Euch in Ulm geboren werden, und den Namen Wernher führen ließ. Mehr sage ich Euch nicht, so ungenügend Euch meine Erläuterung auch scheinen muß. Geht mit Gott Euere Straße fort; sie führt Euch vielleicht zum Glück. Ihr habt zwar beharrlich jede Vergeltung ausgeschlagen, doch in den gegenwärtigen Verhältnissen werdet Ihr mich nicht kränken wollen. Nehmt daher mit gutem Willen den Gaul an, der Euer am Thore wartet, und verschmäht nicht diese unbedeutende Geldtasche, die meine Hausfrau mit eigner Hand verfertigt und mit wenigem aber gern gegebenen Inhalte versehen hat. Weigert Euch auch nicht, diesen Brief anzunehmen, den ich für Euch geschrieben habe. In Eurer Lage halte ich nämlich dafür, ist die kriegerische Laufbahn die beste, die Ihr ergreifen könnt, und Euere Gestalt und Leibeskräfte berechtigen Euch zu großen Hoffnungen. Nur müßt Ihr unter einem Feldherrn die Waffen führen lernen, der sich nicht an die Geburt stößt, in der That den Mann schätzt, und weder nach Taufschein noch Adelsbrief frägt. Ein solcher ist der kaiserliche General Georg Basta, der sich wirklich in Prag aufhält, und an den dieser Brief gerichtet ist. Er wird in Kurzem unter den Befehlen des Erzherzogs Maximilian zu Felde ziehen gegen den Erbfeind, und ich möchte für eine bereitwillige Erfüllung meines, in diesem Schreiben ausgesprochenen Begehrens stehen; denn er ist mein Freund. Vom gemeinen Trommelschläger zur Würde des Heerführers gestiegen, weiß er das Aechte von dem Falschen zu unterscheiden, und Kenntnisse wie ausdauernden Muth zu schätzen. Er wird auch Euern Werth nicht verkennen, und es wird mir eine Freude seyn, Gutes von Euch zu hören. – Lebt wohl, vergeßt unsrer nicht, und glaubt zuverlässig, daß unser Dank für Euern Liebesdienst nie in unsern Herzen erlischt.

»Wenn es denn seyn muß,« erwiederte Archimbald mit eiserner Ueberwindung seines Grams – »so nehme ich Abschied von Euch. Es thut mir weh, von Euch zu scheiden; aber ich hätte ja doch nicht ewig bleiben können. Es schmerzt mich, der edlen Frau nicht einmal die Hände zum Lebewohl küssen zu dürfen; allein Ihr wünscht, daß ich mich so schnell als thunlich ist, entferne, und Euer Wunsch ist mir eine päbstliche Bulle. Ich scheide und lasse Euch meine besten Wünsche zurück, und meinen Dank für Euer großmüthiges Geschenk. Gott behüte Euch, Eure Ehefrau, Euer Söhnlein, und erhalte Euch glücklich! Betet für mich! Von Prag ein Mehreres!«

Er schüttelte dem biedern Herbenstein die Hand, flog in Eil und Hast die Treppen hinab, und stieg zu Roß. Das Herz hämmerte in seiner Brust, feurige Röthe preßte sich in seine Wangen … er konnte kaum athmen, und sprengte dennoch wie ein Rasender durch das Städtlein gen Augsburg zu. Weit, weit von dem Orte, an dem er so gut, so fromm gelebt hatte, hielt er seinen Gaul unter den entlaubten Aesten eines großen Nußbaumes an, und ließ seine brennenden Augen in der winterlichen, reinen Luft, die erquickend und stärkend vom blauen Himmel wehte, verkühlen. Es war nicht Grimm, nicht Verzweiflung, was ihm die Gluth des stürmischen Bluts nach Brust und Gehirn trieb … es war ein verzagendes Leiden … das bittre Gefühl einer abermals getäuschten Hoffnung. Die schmerzlichste Erfahrung hatte ihn schon belehrt, daß es sein Loos sey, immer dann die sichere Zufluchtsstätte verlassen zu müssen, wenn er sich mit seiner Lage versöhnt und vertraut gemacht. »So sey es denn!« rief er trotzig. »Offner Helm gegen des Schicksals Grimm; Mag es auf mich losschlagen … ich schlage wieder. Es soll mich niemals ungerüstet finden. In den rosigen Augenblicken des Lebens will ich nie mehr die Trauerschärpe abwerfen, die mir ohnehin die nächste Stunde immer von neuem aufdringt am Grabe meiner Erwartungen, meiner schönsten Träume!«

Der muthwillige Hengst, der den fremden Reiter in Versuchung zu führen gedacht, warf sich mit einem Satz von seinem Standpunkte wieder auf die Mitte der Heerstraße. Archimbald's ungeduldiges Treiben ließ ihn aber schwer für den Frevel büßen, und spornte ihn, als ob er dem Tode entliefe, zum rastlosen Laufe an, bis er das reiche Augsburg gewonnen hatte. Hier gönnte er dem ermüdeten Rosse in der wohlbestellten Herberge die nothwendige Ruhe, und durchstrich neugierig die Straßen der weiten Stadt. In seinen Gedanken und Muthmaßungen über den Beweggrund, der ihn aus Herbensteins Hause entfernt hatte, verloren, bemerkte er nicht, daß der Abend hereingebrochen war und die Gassen nach und nach öde wurden. Die wachsende Dunkelheit um ihn her erinnerte ihn endlich, daß es Zeit sey, an die Heimkehr zu denken; allein es hielt schwer für den Fremden, sich schnell zurecht zu finden. Längs dem Vogelsgraben hinschlendernd, um den Weg zum Perlachberge einzuschlagen, und von da auf die hohe Straße zu gelangen, bemerkte er plötzlich eine gekrümmte Weibsgestalt neben seiner hertrippeln. Er stand stille.

»Sucht Ihr etwas Liebes, edler Herr? fragte eine fispernde Stimme. Archimbald schwieg ein wenig betroffen.

»Ihr seyd fremd allhier, wie ich merke, edler Herr,« fuhr die Weibsperson fort. – »Ich diene den Fremden gern, und führe Euch an einen sichern Ort, wo Ihr Liebe und Wein finden werdet; weiche Arme, Euch zu umfangen und ein warmes, trauliches Stüblein.«

»Laß mich ungeschoren mit den weichen Armen und Deiner Kuppelei!« brummte Archimbald verdrießlich. »Führe mich lieber in meine Herberge zur Kaiserkrone. Dort soll ein warmes Stüblein und ein Humpen feurigen Weins mich laben, und Dich ein Trinkgeld erfreuen.«

»Soll mich Gott!« … rief das Weib, und zog schnell eine kleine Leuchte unter der Schürze hervor, ihren Strahl auf Archimbalds Antlitz richtend … »die Stimme ist mir bekannt; und wenn mich meine alten Sinne nicht foppen, so seyd Ihr Wernher's Archimbald von Ulm!«

»Lene! Mutter Lene!« jubelte der Jüngling der seinerseits das Gesicht der Alten ebenfalls erkannt hatte … »Gott sey gelobt, der mich in der fremden Stadt Euch finden ließ. Liebe, gute Mutter Lene!«-

Er fiel der Alten um den Hals und drückte sie so brünstig an die Brust, als ob sie das schmuckste Dirnlein von sechszehn Jahren gewesen wäre. Lene empfand nicht weniger Freude, den so lange entbehrten Zögling und Pflegesohn wieder umarmen zu können; nur ließen ihre Jahre und ihr ganzes stillschleichendes Wesen einen lauten Ausbruch der Wonne des Wiedersehens nicht zu. Sie drückte Archimbald daher nur herzlich die Hand, begrüßte ihn mit gerührter Stimme, und bat ihn, ohne ferner die Stricke der Verführung zu fürchten, getrost mit ihr zu gehen, und ihre kleine Behausung mit seinem Besuch zu erfreuen.


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