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Viertes Kapitel.


Doch, mit des Geschickes Mächten
Ist kein ew'ger Bund zu flechten
Und das Unglück schreitet schnell. –

Schiller.

Die Mittagsstunde führte zwei freundliche Gestalten in Archimbald's Einsamkeit. Leila und Zenide brachten ihm eine kleine, aber ausgesuchte Mahlzeit. Als er sein Staunen und seine Freude über den doppelt willkommenen Besuch ausdrückte, sprach Leila erröthend: »Vergebt; allein ich konnte dem Verlangen nicht widerstehen, meinen Beschützer zu sehen und ihm zu danken.«

Archimbald machte ihr begreiflich, daß es an ihm sey, ihr und Zeniden zu danken für den Muth, mit welchem sie die barbarische Strafe ausgestanden hatten um seinetwillen.

»Nichts davon!« fiel Zenide ein. »Man duldet gerne für das, was man liebt. Nicht wahr, Leila?«

Leila nickte verschämt. Archimbald glaubte in ihrem Blicke ein Geständniß zu lesen, das durch seinen geheimen Zauber ihn mächtiger ergriff, als die unumwundene Erklärung Zenidens.

»Meine Schwester theilt meine Neigung zu Dir,« fuhr die Letztere fort. »Ich bin aber deßhalb nicht eifersüchtig, wie die Weiber Euers Landes. Die Sitte unserer Heimath ist Ursache daran. Von früher Jugend an werden wir angehalten, uns an den Gedanken zu gewöhnen, einst mit mehreren Gefährtinnen die Liebe eines Gatten zu theilen. Ich habe also dem Verlangen Leilas, Dich zu sehen, nicht widerstanden, ob sie gleich kaum vor zwei Stunden das Schmerzenlager verlassen hat, und finde in der Nebenbuhlerin zugleich die beste Wache. vor Deinem Ungestüm und meiner Liebe.

Archimbald wurde feuerroth, da er aus Zenidens Munde diese schonungslose Erinnerung an den vorgestrigen Abend hören mußte, und er hätte Alles darum gegeben, wenn Leila nicht zugegen gewesen wäre.

»Du hast ihn böse gemacht,« flüsterte diese, als sie die düstere Stirne Archimbald's bemerkte.

»Das wollte ich nicht,« erwiederte Zenide eben so unbefangen: »und er wird wohl so vernünftig sein und wieder gut werden, wenn er sieht, daß wir ihn beide herzlich lieben.«

»Wie einen Bruder!« fiel Leila ein.

»Mehr als einen Bruder!« setzte Zenide hinzu. »Er muß uns dafür auch einen Gefallen thun.«

Fragend sah Archimbald die Mädchen an und faßte ihre weichen Hände.

»Welchen meinst Du?« fragte Leila halb laut und schlug ihr großes dunkles Auge zu seinem Antlitz auf.

»Der Name, den er führt,« fuhr Zenide fort … »ist häßlich. Die schweren deutschen Worte wollen nicht recht geläufig aus unserm Munde. Dann ist der Name Arch … im … bald … so breit, so lang. Er soll uns erlauben, ihn Achmet zu nennen, wie unser geliebter Bruder heißt.«

»Ja, guter Archimbald« … versetzte Leila, seine Hand drückend. »Thue das, laß uns Dich Achmet heißen. Wir stellen uns dann vor, Du seyest der Unsern einer, der hochherzige Bruder, von dem wir leider weit entfernt unser Leben vertrauern müssen. Sey Du Achmet, unser Bruder an seiner Statt.«

Freundlich nickte Archimbald ein bereitwilliges Ja. Die Mädchen hüpften vor Freude und versprachen ihm, sich des Schwesternamens und des stattlichen Bruders würdig zu zeigen. Als sie sich endlich behutsam wieder entfernen wollten, hielt sie Archimbald zurück, und seine Geberde forderte von jeder den Schwesterkuß. Zenide erfüllte schnell sein Verlangen. Leila schüttelte aber sanft lächelnd das Haupt. Sie kniete vor dem Staunenden nieder, küßte seine rechte Hand, sein Knie, und stellte dann seinen Fuß auf ihren Kopf; verharrete einige Augenblicke in dieser Stellung, und stand alsdann auf, ihm die Stirne zum Kusse reichend.

»Du bist mein Herr,« sprach sie darauf, schwärmerisch, »und mit dieser Huldigung habe ich mich Dir geweiht bis an meines Lebens Ende. Gebiete über mich. Sey es mein Tod … meine Schande … nimmer wirst Du mich meinem Gelübde untreu, Deinem Willen ungehorsam erfinden. Wo, wann und wie uns auch der Prophet zusammentreffen lassen möge, in Glück oder Noth, früh oder spät, hier oder im Vaterlande … ich theile Alles mit Dir: den Becher der Freude, den Heller der Armuth, den Todeskampf!«

Archimbald blickte betroffen in Leila's Feueraugen, während sie das Gelübde sprach, dessen feierlicher Ausdruck selbst die leichtsinnige Zenide bis in das Innerste erschüttert hatte. Aus ihrem Antlitz leuchtete Liebe und Rührung. Schluchzend umschlang sie die begeisterte Schwester, küßte sie und sprach zu Archimbald:

»Achmet, Bruder, Geliebter! Du hast dieß Gelübde gehört, wie noch nie diese Mauern ein ähnliches vernahmen. Schätze es nach seinem Werthe, hege die köstliche Perle, die der Allmächtige in der Gestalt meiner Leila auf Deinen Weg gestreut hat. Liebe, schirme sie, wie Dich selbst; ihr stehe ich gern zurück, denn ich bin nicht so gut, nicht so edel als Leila; neben ihrer Tugend bin ich eine Unwürdige.«

Leila zog die von ihrem Lobe Ueberfließende schnell mit sich fort. Auf der Schwelle der Eingangsthüre blieben die Mädchen einen Augenblick stehen, sendeten dem nacheilenden Wahlbruder Gruß und Kuß und verschlossen eiligst die Thüre. – Archimbald konnte seines Staunens kein Ende finden. Die Handlungsweise der Türkinnen schien ihm so eigen, so ungewöhnlich, daß sie schon um dessentwillen seine ganze Theilnahme in Anspruch nahm, hätte nicht bereits die Schönheit der Schwestern ihr das Wort geredet. Er mußte die seltsame Laune seines Geschicks bewundern, das ihm durch Frauengunst ersetzen zu wollen schien, was Haß und Tücke, des eigenen Geschlechts ihm hartnäckig versagte: Liebe, Mitgefühl. Aus dem fernen ottomannischen Reiche sandte ihm die Vorsicht eine Freundin, wie Leila. Auf dem entlegenen Schlosse Worosdar entblühten ihm drei Knospen, eine liebenswürdiger als die andere, eine jede sich zärtlich ihm zuneigend, ihn ermunternd, die schwere Wahl der Einen zu treffen. Ludmille hatte sein Herz bestochen, Zenide seine Sinne entflammt … Leila, die Unbeachtete, besiegte Beide. Ludmillen galt ihr Stolz mehr als die Liebe, Zeniden sein Körperreiz mehr als sein Gemüth … Leila versagte die Gunst eines Kusses, warf sich aber als demüthige Sclavin in den Staub vor dem Gebieter, während ihr unnennbarer Zauber das Herz des Herrn in Fesseln schlug. O, wie bereute der Jüngling jeden Blick, den er Ludmillen geschenkt, jede Liebkosung, die er an Zeniden verschwendet hatte … sie schienen ihm Frevel an Leila's stiller Liebe zu seyn; sie allein behauptete in seiner Brust den ersten Platz; denn die hingebende Demuth des Weibes besticht die Eitelkeit des Mannes, der seine Kraft und Hoheit gerne von dem Gegenstande seiner Liebe anerkannt sieht. – Mit der schönen Türkin und ihrem Bilde beschäftigt, erwartete Archimbald die Stunde, in der ihn Ludmille beschieden, die Stunde, in der sie sich vorgenommen hatte, den Weg ihrer beiderseitigen Trennung kaltblütig vorzuzeichnen. »Nein!« wiederholte er: »sie hat mich nicht geliebt. Eisige Kälte, kein lebenswarmes Blut rieselt in ihren Adern. Sie hat nicht geliebt, wird nimmer lieben können wie Leila!«

Taub gegen die Stimme der Vernunft, die für Ludmillens Betragen das Wort führte, bemühte sich der verblendete Jüngling, in seinem Herzen das Gefühl zu ersticken, das ihn noch an die Angebetete band. Sein angeborner Starrsinn trat hinzu und dictirte ihm folgende Zeilen in die Feder: »Gnädigste Prinzessin! … Euere Worte fielen in ein aufmerksames Ohr. Ihr seyd die Fürstin, ich der Knecht. Mein Urtheil ist gesprochen und ich weiche Euerm Willen. Während der Gram der ersten Liebe mich verzehrt, möge befriedigter Stolz Euch Glück und Segen bringen. Der Eurige auf ewig.«

Diese Zeilen Ludmillen zu übergeben während der heutigen Zusammenkunft, war fest in Archimbald's Seele beschlossen. Durch diese Schrift, die ein unverzeihlicherer Stolz als Ludmillens in's Daseyn rief, dachte er seine Liebe abzuschwören, sie auf den Gegenstand überzutragen, der jetzt ausschließlich seine Einbildungskraft beschäftigte – auf die holde Leila. Der Unglückliche! Er ahnte nicht, daß ein boshafter Dämon schon bereit stand, die Flamme zu schüren, die den Palast seiner eiteln Träume verzehren und zum Scheiterhaufen seiner Wünsche machen sollte.

Die Zeit hat das Verdienst der Unparteilichkeit. Mit gleich schnellen Schwingen eilt sie an Glücklichen und Unglücklichen vorüber; für Archimbald's Ungeduld schlich sie heute wie eine Schnecke, denn er sehnte sich nach dem Augenblicke, Ludmillens Kälte mit gleicher vergelten zu können, und ihr im Scheiden fühlen zu lassen, welch ein Herz sie von sich gestoßen. Er durcheilte in dieser Erwartung alle Räume seines Gebiets, warf sogar einen flüchtigen Blick in das schauerliche Gemach, in dem Eberhard gefallen war, und dankte Gott dabei im Stillen, seinen Lehrer, seinen Freund von der blutigen That freisprechen zu können. Er kramte in der Bibliothek, reinigte die Bücher, die Papiere vom fressenden Staub, begann sie in Ordnung aufzustellen; allein die Arbeit ekelte ihn bald an, eine prickelnde Langeweile quälte ihn, und sogar der Wahnsinnige fand es nicht für gut, den Besuch von gestern zu wiederholen, um der einförmigen Stundenreihe eine Abwechselung zu verleihen. Kaum sank auch die Sonne, als Archimbald schon die Reise nach der Gruft antrat. Bald hatte er die Treppe erreicht, und befand sich schon an ihrem Ausgange, als ihn der Klang mehrerer Menschenstimmen in dem Gewölbe stutzig machte. Er stand stille, noch zeitig genug, um nicht von den in der Gruft Hanthierenden gesehen zu werden.

»Horch!« sagte der Eine … »Christoph, hörst Du nichts? Es hat geraschelt und gerauscht.«

»Wo?« fragte Christoph.

»Dort, bei der kleinen Treppe« … versetzte der Erste, in dem Archimbald Elias erkannte. »Laß uns nachsehen, ob nicht ein Spitzbube« …

»Befehlt dem Herrn Euere Wege« … fiel Nepomuks Stimme ein … und laßt ab von Euerm frevelhaften Unternehmen. Dort hausen nicht gefährliche Menschen, sondern gefährlichere Gespenster. Ich möchte um keinen Preis die Treppe besteigen, absonderlich zu dieser Frist, wo es Abend werden will.«

»Brr!« rief Christoph. »Alle gute Geister!«

»Wer spuckt denn aber auf der Treppe?« fragte Elias.

»Wer anders, als der selige Herr?« erwiederte Nepomuk kläglich. »Hat er nicht diese Treppe aus seinem Zimmer herunterleiten lassen, um in finstern Nächten beim Scheine einer gebannten Lampe durch geheime Künste die Geister seiner Altvordern zu beschwören und von ihnen das Schicksal seines Hauses zu erkunden?«

»Behüte uns der Herr in Gnaden!« murmelten die Zuhörer.

»Solch verderbliches Eindringen in die Geheimnisse der Todten,« fuhr Nepomuk fort, »bringt aber niemals gute Frucht. Darum mußte der Herr auch eines kläglichen Todtes sterben. Gott sey der armen Seele gnädig! Die durchlauchtigste Frau hat alsbald, nachdem der Kammerdiener Erlwein sein Bildniß vollendet und kurz nachher das Zeitliche gesegnet hatte, mit demselben das Pförtlein versperren lassen, das hier herunterführt, damit kein Menschenkind ferner den gefährlichen Pfad betreten möge. Aber was machst Du denn, Elias? Lege doch mehr Wachholder auf die Gluth!«

»Sagt mir doch 'mal, Meister Nepomuk,« versetzte Elias … »warum wir denn eigentlich die Gruft lüften und ausräuchern müssen?«

»Die allergnädigste Fürstin hat es befohlen,« erwiederte Nepomuk vornehm. »Das sollte uns genug seyn. Jedoch halte ich dafür, der vortreffliche Prinz Bernhard wünsche die Ruhestätte seiner Ahnen von mütterlicher Seite in Augenschein nehmen zu wollen.«

»Ich dächte gar!« lachte Christoph. »Er ist seit heute Vormittag mit seinem wilden Heer auf die Jagd gezogen. Lebendiges Wild ist ihm lieber, als die verwitterten Knochenhäuser hier unten. Ich will's Euch besser sagen. Des Pfarrherrn Bruder ist mit seiner Eheliebsten heute Nachmittag von Austerlitz hier angelangt, nämlich im Dorfe bei dem Bruder. Vermutlich wird der Pfarrer seinen Blutsfreunden die Ehre anthun und ihnen Alles zeigen wollen, was unser Schloß Merkwürdiges enthält. Ihr wißt, daß es ihm bei der gnädigen Frau nur ein Wort kostet« …

»Ja wohl, ach ja wohl!« seufzte Nepomuk … »freilich, wissen wir das. Die gnädigste Frau ist darinnen ein bischen eigen … Na! es ist meine Sache nicht, ihr Thun und Lassen zu meistern, obschon ich in meinem schlichten Sinn mir anders betten würde … allein, wenn Du meinst, Christoph, daß die Gruft dem Pfarrherrn zu Liebe gereinigt werden soll, so mag es für dieß Mal sein Bewenden damit haben. Lösch' aus, Elias, das Wachholderholz ist selten und kostbar. Es ist mir lieb, daß wir noch nicht mit dem Mastix den Anfang gemacht haben. Hör' auf zu putzen, Christoph. Die Wappenschilder glänzen ja helle genug, und Du renkst Dir die Arme aus einander. Nun, Kinder, laßt uns gehen und den Herrn bitten, daß er unsern Fleiß segne. Die Gatterthüre wollen wir offen lassen. Die Luft reinigt sich dann von selbst.«

»Wenn aber die Fürstin merken sollte,« sprach Elias bedenklich, »daß wir mit unserer Arbeit so früh fertig geworden sind?« …

»Das wird sie wohl bleiben lassen,« lächelte Nepomuk. »Wir können uns noch ein halbes Stündlein in dem Deputatkeller erlustiren, wenn es Euch gefällig wäre.«

»Habt Ihr was Gutes?« fragten Christoph und Elias.

»Ein Fläschlein Ungar wird sich allenfalls vorfinden,« erwiederte Nepomuk: »so gut ihn die gnädige Frau auf der Tafel hat. In diesem Goldweine wollen wir des durchlauchtigen Hauses Wohl trinken, und dabei die Gesundheit der wackern Diener nicht vergessen, die sich's im Herrendienste sauer werden lassen um ihr bischen täglich Brod. Und da heute die Betstunde abermals verschoben wird wegen des Besuchs, den der Pfarrherr von seinen liebsten Anverwandten empfangen hat, so laßt uns, ehe wir gehen, ein kräftiges Vaterunser sprechen; denn eine jede Arbeit muß mit Gebet begonnen und geschlossen werden, sonst gedeiht sie in Ewigkeit nicht.«

Die Schwätzer entfernten sich, und nach kurzem Verweilen in der Capelle, während dessen Nepomuk seinen Freunden mit schnarrender Stimme das Gebet des Herrn ohne Sinn und Verstand vorgeplappert hatte, verließen sie die Kirche.

Archimbald trat aus seinem Schlupfwinkel hervor und harrte, an Eberhards Sarg gelehnt, Ludmillens. Sie zögerte lange, und der Wartende faßte schon den Verdacht, sie sey ihrem gegebenen Worte untreu geworden, als sich das Schloß an der Pforte öffnete und die edle Gestalt in das dämmernde Gotteshaus trat.

Archimbald's Vorsatz, der Geliebten Kälte und beleidigten Stolz zu zeigen, wankte merklich während dem Näherschreiten der Liebreizenden, deren Auge in dem dunkeln Raum der Gruft den Freund suchte. Langsam, mit sich selbst im Kampfe, trat er ihr unter dem Gatterthor entgegen und begrüßte sie förmlich.

»Guten Abend!« flüsterte sie: »Ihr seht, Archimbald, ich habe Wort gehalten, und wünschte Euch freundlicher zu finden. Weg mit den finstern Falten von der Stirn. Nehmt ein Beispiel an mir. Ich bin freudig und ergeben; denn ich habe den Muth gefunden, mein Herz der geliebten Mutter zu offenbaren.«

Archimbald fuhr betroffen zusammen. Sie ergriff ihn aber schmeichelnd bei der Hand, zog ihn neben sich auf den Sitz und fuhr fort:

»Erschreckt doch nicht. Wir haben ja keine Sünde begangen, die uns Angst verursachen könnte. Meine Mutter kennt der Liebe Leiden. Sie war nicht unempfindlich gegen die meinigen. Sie schalt mich nicht … sie bedauerte mich. Ich habe ihr Alles entdeckt; nur unser gestriges Zusammentreffen, unser heutiges habe ich ihr verschwiegen, und fast muß ich fürchten, daß ich übel daran gethan habe; denn Ihr betrachtet mich mit einem glühenden Blicke, der mich wünschen läßt, entweder gar nicht oder unterm Schutze der Mutter Euch besucht zu haben.«

Archimbald zwang sich zu einer freundlichen Miene, und Ludmille fuhr beruhigter fort:

»So, guter Archimbald! nun seyd Ihr wieder der Alte und ich habe wieder Vertrauen zu Euch. Hört mir aufmerksam zu. Die Mutter hat sich vorgenommen, selbst mit Euch zu sprechen, wenn mein Bruder abgereist, Ihr Eurer Haft entlassen seyn würdet; allein es ist besser, wenn ich Euch vorbereite. Die Fürstin, weit entfernt, mich und meine Gefühle zu verdammen … kann sie dennoch mit dem besten Willen nicht billigen.

Ludmille seufzte, strich sich die Locken aus der Stirn und sprach weiter: »Ich bin dem Willen meines Bruders untergeordnet, und was dieser über mich beschließt, muß ich in Geduld hinnehmen … selbst das Schlimmste, wenn nicht der Allmächtige sein Herz rührt. Jedoch, wäre er auch gleich im Stande, mich leichtsinnig dem Elendesten hinzuwerfen, wenn nur eine Grafen- oder Fürstenkrone sein Wappen deckt, so ist dennoch keine Hoffnung vorhanden, daß er mich dem Glanz- und Güterlosen überlassen werde, wäre dieser auch der Würdigste seines Geschlechts. Kummer, Elend und Verfolgung würde mein, würde des geliebten Mannes Loos seyn, der mich, allen Hindernissen zum Trotz, die Seine nennen … dem ich, Alles verlassend, Gattin seyn wollte. Trennung durch den Machtspruch und die Gewaltthat eines grausamen Bruders wäre die Entwickelung des unter ungünstigem Gestirn geschürzten Knotens. Laßt uns der fremden Willkür zuvorkommen, selbst mit blutendem Herzen zerreißen, was das schwache Herz in unbewachter Stunde unbesonnen knüpfte.«

Archimbald sah düster auf den Boden, denn des Argwohns Dämon stieg in seinem Gemüthe auf und dennoch konnte er es nicht über sich gewinnen, übereilt und rauh der lieblichen Sprecherin, die ihn mit neuen Rosenbanden umschlungen hatte, Lebewohl zu sagen. Sie begann aber auf's Neue, indem ihre Stimme immer schwankender wurde gegen das Ende ihrer Rede:

»Trennung, theurer Freund! ist das einzige Mittel zu unserer Rettung. Allein, wie sie bewerkstelligen? Meine Mutter gedenkt nicht, Euch aus dem Schlosse zu entfernen, da sie dem Doctor Dee, der Euch empfahl, und dem sie, weil er von schwerer Krankheit sie errettet, Dank gelobte, ihr Wort zu halten verbunden ist, das Euch auf ein Jahr zu ihrem Dienste verpflichtet. Sie zürnt Euch auch nicht wegen der verzeihlichen Neigung, wie sie es nennt, die Ihr gefaßt, und wünscht nicht, Euch in Ungnade zu entlassen. Ihr müßt demnach auf dem Schlosse bleiben, bis der Doctor Euch wieder von dannen nimmt; und ich … sie stockte … ich werde es verlassen und bei einer bejahrten Base meiner Mutter in Ollmütz freudenlose Tage verleben, bis ich … hieher zurückkehren darf ohne zu gewaltsam an die schönsten Stunden meines Lebens erinnert zu werden, an die Stunden, in denen ich Euch sah … in welchen mein Herz zum ersten Male sich einem Gefühle anschloß, das meinem Leben Seligkeit verleihen würde, wie sie die Engel genießen, wäre ich nicht in diesem Schlosse, nicht unter dem Purpur meines Vaters geboren!«

Ihre Thränen brachen hervor; sie stützte sich schluchzend auf Archimbald's Schulter, dessen Brust in fürchterlicher Bewegung war. Er sah frei und offen, ungeblendet in Ludmillens Gemüth … sah es beseligt vom Entzücken der Liebe … zerrissen von dem schrecklichen Gedanken, ihr entsagen zu müssen … und bereute bitter den Verdacht, den sein argwöhnischer Sinn gegen die Reine gehegt. Auf seinen Knieen überreichte er, mit den schmerzvollsten Zeichen sein Leid kund gebend und die Vorwürfe, die sein Gewissen zernagten, Ludmillen das Blatt, das er für sie geschrieben, das auf ewig ihre Seelen in Unfrieden getrennt haben würde. Sie las es, während er ihre Hände mit seinen Thränen netzte, und als sie ihm darauf still bekümmert in die Augen sah, zerriß er heftig die lieblose Schrift, und betheuerte ihr vor dem Altare seine Liebe, seine Treue, seinen Gehorsam. – Der Auftritt nahm aber plötzlich eine andere Wendung.

Nepomuk, an der Kirche vorüberschleichend, hatte die Pforte nur angelehnt gefunden. Der Neugierige sandte einen bohrenden Blick des Vorwitzes in das Gebäude und erstarrte, als er die beiden befreundeten und in ihrer Unterhaltung versunkenen Menschen gewahrte. Archimbald, den er hundert Meilen von dannen glaubte, Archimbald, der auf dem besten Wege gewesen war, von ihm die Gunst der Fürstin ab- und auf sich selbst zu leiten … Archimbald in geheimem Verständnisse mit der Prinzessin! … Wie ein Pfeil, um ja den Augenblick nicht zu versäumen, in dem es galt, dem unberufenen Gunsträuber ein Bein unterzuschlagen, flog der Heuchler zu der Fürstin und brachte ihr athemlos die Kunde, die sie in keine geringe Bestürzung versetzte. Schnell entschlossen jedoch, warf sie den Schleier über, um selbst nach der Kirche zu gehen, nachdem sie dem Haushofmeister das strengste Schweigen gegen einen Jeden empfohlen hatte. Allein Nepomuk, seit Langem gewöhnt, die Befehle der Herrschaft nur in so weit zu erfüllen, als sie ihn gut dünkten, lief spornstreichs von dannen, dem jungen Herrn entgegen, dessen Annäherung schon von weitem der lustige Hörnerschall und das Halloh der Jagdgenossen verkündete. Als ob ihm der Kopf brannte, rannte er an dem Pfarrherrn vorbei, der in Gesellschaft seines Bruders und seiner Schwägerin in geringer Entfernung vom Schlosse am Wege stand, um die fröhlichen Jäger, die im Fackelscheine daher kamen, an sich vorüber ziehen zu lassen. Eilfertig drängte sich der schadenfrohe Bote zu dem Prinzen, der als künftiger Herr von dem Wohldiener besonders berücksichtigt wurde, und meldete ihm in eifriger Kürze, was vorgefallen sey, und wie er sich gespudet habe, die Kunde zu des Herrn Ohr zu bringen, damit er den Schuldigen auf frischer That ertappe.

»Sturm und Wetter!« rief Bernhard, und packte Kauniz, der ihm zur Seite ritt, unsanft an. »Bruder Kauniz, die Rache ist nah. An dem Frevler sowohl, der Dich beleidigt hat, als an der Nichtswürdigen, die Dir an offener Tafel den Korb gab und die ich nicht mehr Schwester nenne! Ich hielt sie für eine Thörin, … jetzt sehe ich in ihr nur die lockere Dirne, die im Verständnis mit dem gemeinen Knechte lebt. Auf, ihr Herren, spornt euere Gäule. Vor der Zugbrücke sitzen wir ab, damit die Vögelein nicht scheu werden … dann aber freut euch auf den Tanz im Neste!«

Mit diesen Worten sprengte der Trupp, dessen Getümmel plötzlich schwieg, an dem Pfarrherrn und seinen Verwandten vorüber, warf sich an der Brücke vom Gaule, und der Pfarrherr folgte mit den Seinen neugierig dem leise schleichenden Fackelzuge.

»Verzeihung, Mutter!« flehte zu der Fürstin Füßen die schluchzende Tochter, als diese, nachdem sie eine Weile unbemerkt die Liebenden belauscht hatte, gleich einer zürnenden Göttin zwischen sie trat. Archimbald kniete zu ihrer Linken und küßte bittend ihr Gewand. Lange fand Eleonore keine Worte.

»Unglückliche!« sprach sie endlich mit sanftem Vorwurf. »Was beginnt ihr? Du, Ludmille, täuschest mein Vertrauen. treibst Dein Spiel damit, indem Du mir einen Theil Deiner Handlungen gestehst, um mit diesem Bekenntniß die andere Hälfte derselben zu verschleiern? Ihr, Archimbald, mißbraucht meine Gnade und belohnt sie mit dem schwärzesten Undank, indem Ihr mein Kind, mein liebstes Kind zu verführen trachtet, an heiliger Stätte sogar? Sollten etwa, da Euer Mund stumm ist, Euere Thaten reden und Euere Schande laut bekennen? Unselige! ihr habt mein Herz durchbohrt … wie könnt ihr euch entschuldigen?«

»Wir haben nichts Böses gethan!« rief Ludmille: »ich schwöre es vor Gott in seinem Hause. Mutter, Du kennst meine Liebe … Du kennst aber auch den standhaften Kampf, den ich ihr entgegen setzte. Meinen Muth habe ich dem Freunde mitgetheilt … wir scheiden … auf ewig … und in dem ersten Kusse unsers Bundes … in dem letzten Abschiedskusse, den ich dem Trostlosen nicht weigern konnte, fandest Du uns … entscheide!«

»Erbaulich! in der That!« schallte eine rauhe Stimme hinter ihnen. Erschrocken blicken die Dreie um. Bernhard mit all' seinen Begleitern stand neben ihnen, und die Männer, welche bis jetzt das Licht der Fackeln verhüllt hatten, senkten sie plötzlich hernieder und ließen einen grellen Schein auf die entsetzenstarre Gruppe fallen. Die Knieenden sprangen, auf. »Fliehe, Geliebter!« flüsterte dem Pagen Ludmille ängstlich zu. Allein zur Flucht war es zu spät, und sein Ehrgefühl sträubte sich mächtig dagegen, da zu fliehen, wo vielleicht sein Schutz nothwendig seyn dürfte.

»Erbaulich!« wiederholte Bernhard, die Fürstin, die unbeweglich, mühsam nach Fassung ringend, da stand, verächtlich messend. »Hier spielt die fürstliche Mutter die Kupplerin ihrer Tochter. Eine feine Wahl, die sie da getroffen. Den frechen Knecht gelüstet's nach der jüngern und frischern Tochter; und sie wirft sie ihm in die Arme, wie sie ihm die Geschenke zugeworfen, die er als Pfänder ihrer altersschwachen Leidenschaft trägt.«

Bestürzt standen alle Anwesenden bei den ungeheuern Beschuldigungen, die ein Sohn gegen seine Mutter zu erheben wagte. Durch diese Schmähungen hatte die letztere aber ihre Fassung wieder erhalten und antwortete mit Würde: »Schweige, ungerathener Sohn, und blicke um Dich! Wenn Du noch einen Funken von Scham besitzest, so schweige in der Gegenwart Deiner Genossen, vor welchen Du Dein Haus brandmarkst, boshafter Lügner!«

»Nicht doch, meine fromme Mutter!« spottete der«. Prinz. »Die Herren sind zugegen, um Zeuge Euers Wandels zu seyn. Ihr habt Euch nicht gescheut, dem Knecht vor aller Welt Beweise Euerer lasterhaften Gunst zu geben … so werde denn auch der Tochter Schande offenkundig vor aller Augen!«

»Barmherziger Gott!« rief die Fürstin, die Arme gen Himmel breitend.

»Zu viel!« stammelte Ludmille und sank halb ohnmächtig an der Mutter Brust.

Grenzenlose Wuth aber zuckte durch Archimbald's Nerven, der, sich selbst vergessend in dem Sturme der Gefühle, vor die Frauen sprang und mit Löwenstimme dem ruchlosen Bruder zudonnerte: »Schweigt! Unglückseliger, schweigt! oder, ich schwöre es bei Gottes Sternen dort oben, das nächste Wort ist Euer letztes!«

»Alle fuhren zusammen bei der kühnen Rede, die wie ein Gewittersturm von den Lippen des Stummgeglaubten rollte. Ludmille, die Fürstin staunten ihn bewegungslos an. Aus dem Hintergründe der Kirche aber erschallte ein lautes Geschrei. Er ist's, er ist's! laß't mich hindurch zu ihm, daß ich ihn sehe, daß ich mich überzeuge!« rief eine sehr bewegte Weiberstimme, die Archimbald mit Entsetzen für die Sabinens erkannte.

Sie war es auch, die gutmüthige Krankenpflegerin, die, von ihrem Gatten, dem Bruder des Pfarrherrn begleitet, sich Bahn machte zu dem Jüngling und ihn entzückt in die Arme schloß. »Willkommen! willkommen, Herr Wernher!« rief sie freudig, halb weinend, halb lachend, und ergriff seine Hände. »Ihr seyd groß und stark geworden, aber Euer Gesicht ist dasselbe, Euere Sprache ganz die alte.«

Archimbald wollte fremd thun; allein ein Blick auf Sabinens Gatten, auf den Magister Kalander, machte ihn verstummen. »Ja, es ist mein Zögling Archimbald« … sprach diese ganz trauerherzig zu dem nacheilenden Pfarrherrn … »der unglückliche Knabe, von dem ich dir schon erzählt habe.

Hierauf wendeten sich beide zu dem Wiedergefundenen, der endlich, gezwungen, ihren Liebkosungen nachzugeben, nicht gewahr wurde, wie der Pfarrherr eifrig mit der Fürstin verkehrte … alsdann den Prinzen bei Seite zog und wie eine sehr übelwollende Aufmerksamkeit sich auf ihn richtete. Der Prinz näherte sich aber bald triumphirend, und befahl dem Magister und Sabinen, sich von dem Jüngling zu entfernen. Sie gehorchten, und Archimbald stand, allein wie ein Beklagter vor seinen feindseligen Richtern.

»Meine Herren und Freunde!« sprach hierauf Bernhard zu den Umstehenden. »Ihr habt Alle gesehen, welch ein unwürdiges Possenspiel vor unsern Augen abgeleyert worden ist. Der Pickelhäring desselben jedoch, der Knecht Archimbald, ist, wie ich von dem Pfarrherrn erfahre, kein baierischer Edelmann aus altem Hause, wie man meiner leichtgläubigen Mutter vorgelogen, er ist kein Bürger, kein Bauer, nicht einmal ein Leibeigener … er ist schlechter, als alles dieß … der elende Bastard eines gemeinen Krämers von Ulm, der, aus Gründen, die er uns auf der Folter bekennen wird, sich stumm gestellt und dadurch Alle hintergangen hat. Was meint ihr dazu?«

Gemurmel des Hohns lief durch die weite Reihe. Sabine und Kalander, ihre Voreiligkeit bereuend, standen, des Ausgangs zitternd gewärtig, in der Ecke. Archimbald, seiner Larve schonungslos beraubt, warf sich, Vergebung flehend, zu der Fürstin Füßen. Hinweg!« zürnte diese: »Der arme, mit Gebrechen behaftete, ehrlich geborne Jüngling gewann meine Gnade. Den Heuchler, den Lügner, den Bastard kenne ich nicht mehr!«

»Prinzessin! werdet Ihr mir Euere Vergebung versagen?« stammelte der Verzweifelnde, die Hand der Schreckensbleichen heftig fassend. – Stumm riß sie sich los … ihr Antlitz mit dem thränennassen Tuche verhüllend. Archimbald war zu Boden geschmettert von seinem Unglück.

Indem traten einige Knechte ein, nach denen der Prinz gesandt hatte. »Der Sohn der Sünde darf sich nicht rühmen,« sprach derselbe, »von adeligen Händen berührt und gefahndet zu werden. Darum verrichtet ihr den Schergendienst. Bindet, knebelt ihn!«

Die Fürstin und Ludmille sprangen abwehrend vor. »Mich binden, knebeln, mißhandeln!« rief Archimbald, grimmig entbrannt. »Wer thut das, ohne das letzte Stoßgebet verrichtet zu haben?«

Mit dem Rücken an den Thorpfeiler der Gruft gelehnt, schwang er den blitzenden Türkendolch in der Faust. Die Knechte wichen zurück, da sie der Waffe ansichtig wurden.

»Feige Hunde,« schnaubte der Prinz und riß den Degen aus der Scheide. »Schreckt euch ein Dolch? Leg' die Waffe nieder, Bösewicht, oder ich haue Dir die Schurkenfaust herunter.

»Dann wär't der Schurke Ihr!« entgegnete Archimbald im selben Tone. »Indessen versucht's!«

»Du drohst, Nichtswürdiger?« rief der Prinz außer sich und stürzte auf Archimbald ein, der ihn trotzig und festen Fußes erwartete. Als er ihn aber bei der Gurgel packen wollte, stieg plötzlich neben Archimbald unter dumpfem Hohngelächter, eine gespenstergleiche Schreckgestalt aus der Gruft.

Ein Schrei des Entsetzens ertönte im Gewölbe. Der Prinz stürzte zurück. Die Fürstin hielt beide Hände vor's Gesicht. Ludmille fiel leblos zu Boden. Sie hatte in der Spukgestalt den wahnsinnigen Vater erkannt. – Archimbald aber benutzte den günstigen Augenblick, in dem alle Anwesenden gleich Bildsäulen nach dem fremden ihm wohl bekannten Gast starrten, und machte sich muthig Bahn zur Kirchenthüre, ohne daß ein Mensch daran gedacht hätte, ihn aufzuhalten.

»Tod und Hölle!« wüthete Bernhard, zu sich selbst kommend. »Was ist das?«

Ein heiseres Gelächter war des Verrückten Antwort.

»So falle denn, elendes Gaukelbild, wenn Du nicht Rede stehst!« brüllte der Prinz und holte zu einem gewaltigen Hiebe nach dem Wahnsinnigen aus.

»Um des Erlösers willen!« schrie die Fürstin sich athemlos zwischen beide werfend … »Halt ein! es ist Dein Vater!«

»Mein Vater?« wiederholte der Sohn und taumelte in Kaunizens Arme. Denn der Streich war gefallen und die Mutter in ihrem Blute zu Boden gesunken.


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