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Zweites Kapitel.


Gaudeamus igitur,
Juvenes dum sumus!

Alt. Studentenlied.

»Ist der Bube noch nicht zurück von seiner Sendung?« fragte der Prinz in halber Trunkenheit den bei dem Zechgelag der jungen Edelleute aufwartenden Elias.

»Wen meint Euer fürstlichen Gnaden?« fragte dieser demüthig.

»Den Schuft meine ich,« schnaubte Bernhard, »den meine Mutter gewiß wieder in ihrer Barmherzigkeit von der Straße; aufgelesen hat; mit einem Worte, den frechen Pagen!«

»Da kann ich nicht berichten,« versetzte Elias; »will den Haushofmeister herschicken.«

»Ist nicht nöthig!« rief Kauniz. »Ich habe den alten Ziegenbock schon gefragt. Er will den Jungen mit keinem Auge gesehen haben, ob er gleich das Schloß nicht verlassen haben will … der Haushofmeister nämlich!«

»Halten Ew. Gestrengen zu Gnaden …« lächelte Elias, der dem Haushofmeister gar zu gerne etwas anhängen mochte … »da hat der Meister Nepomuk, mit Verlaub zu reden, die Unwahrheit gesagt. Er war außer dem Hause, ich kann's beschwören, denn er war nirgends zu finden; er konnte auch keine Auskunft geben, wo er gewesen. Er machte Ausflüchte auf Ausflüchte.«

»Da weiß der Tuckmäuser bestimmt, wo der Archimbald steckt,« fiel Kauniz ein … »hat ihn vielleicht selber verborgen, um uns eine Nase zu drehen.«

»Weiß es Gott!« rief der Prinz und schlug auf den Tisch, daß die ganze Gesellschaft erschrocken in die Höhe fuhr. »Bruder Kauniz, Du hast einen Spiritus familiaris im Sacke! Du kannst recht haben. Versteckt wird der Bube seyn!«

's ist möglich!« meinte Elias achselzuckend.

»Wo glaubst Du aber,« fuhr der Prinz fort, »daß er sich verborgen halte?«

»Nach meinem geringen Dafürhalten,« versetzte der Diener, »steckt er, wenn er sich nämlich im Schlosse aufhält, nirgends anders, als in seiner Kammer, die ziemlich abgelegen ist; denn als ich vor einer Stunde durch den Garten ging, habe ich einen schwachen Lichtschimmer an deren Fenster bemerkt, und Zehn gegen Eins will ich wetten, daß Nepomuk bei dem Junker war.«

»Warte, scheinheiliger Galgenstrick!« lachte wild der Prinz … »wir wollen schon auf Deine Schliche kommen! Fix, Elias, hole mir den alten Burschen her! Gebt Acht, meine Freunde, wir wollen uns mit dem baierischen Krautjunker ein Fest machen, von dem das Schloß Worosdar und seine Bewohner noch in zwanzig Jahren sprechen sollen. Wir holen ihn aus dem Bette, da er sich's am Wenigsten versieht, und heizen ihm mit Peitschen- und Rappierhieben dergestalt ein, daß er vor Angst die Sprache wieder bekommen soll!«

»Recht so!« rief Kauniz; »der Krüppel ist nichts Besseres werth! Feig zitterte er vor meiner Klinge, so daß ich mich schämte, ihn niederzustoßen und mit seinem Hundeblut meinen Degen zu verunreinigen!«

»In den Koth mit der Bestie,« schrie der Prinz … »die sich unterstanden hat, Hand an meinen besten Freund zu legen, weil derselbe sich herabließ, mit einer heidnischen Dirne zu scherzen. Doch, nur gemach! wir wollen den Fuchs gehörig prellen!«

Nepomuk, den Elias ganz unbefangen zum Prinzen berufen hatte, trat herein, ohne zu ahnen, welch' fürchterliches Gewitter über ihn loszubrechen im Begriff war.

»Ich will den Fuchs gleich bei den Ohren kriegen!« flüsterte Kaunitz den Uebrigen zu, die sich in einen Kreis um den Prinzen zusammengedrängt hatten. – »Da her, vor die Schranken, Nepomucene! Gib den Teufelsbraten heraus, den Pagen Archimbald, den Du verborgen!«.

Die unerwartete Anrede brachte den Alten etwas aus der Fassung. »Ich weiß nichts von ihm!« sprach er endlich mit unsicherer Stimme.

»Du lügst, scheinheiliger mährischer Bruder!« donnerte ihm der Prinz zu: »Ihr Sektirer kennt nur Lug und Trug, von euerm heuchlerischen Zierotin an bis auf Dich armen Hechten hinunter. Bekenne aber jetzt und sprich Wahrheit, oder ich bläue Dir den Rücken bis Du betest! Sancta Zierotine, ora pro nobis!«

Ein wieherndes Gelächter belohnte den platten Witz des Prinzen, der sich die Mütze tief in die Augen schob, um dem zitternden Nepomuk noch fürchterlicher vorzukommen. Der Letztere wiederholte aber noch einmal, er wisse nicht das Geringste von Archimbald.

»Du läugnest hartnäckig?« fuhr Bernhard fort. »Wohlan! Commilitones, macht Euch fertig und gebt dem abgeschmackten Pickelhäring da die Peitsche!«

Die Commilitonen holten aus, und Nepomuk fiel auf die Kniee, bei den Wunden des Heilands und den Sünden der Menschheit um Schonung bittend: er wolle bekennen.

»Bekenne!« rief der Prinz, und die drohenden Rappiere und Peitschen sanken nieder. »Hüte Dich aber, uns anzulügen, denn wir haben uns Alle dem Teufel verschrieben, der uns im kleinen Finger sitzt und Alles haarklein offenbart. Rede!«

»Mit ein Paar Worten ist es gethan,« seufzte Nepomuk mit niedergeschlagenen Augen. Archimbald ist davongelaufen, weil Elias ihm gesteckt hat, was sich gegen ihn angesponnen habe.

»Ihr lügt wie ein Jude!« rief Elias und trat plötzlich aus dem Haufen dem überraschten Haushofmeister unter die Augen. »Ich habe den Pagen nicht zu Gesichte bekommen!«

»Ich habe mich versprochen …« stammelte Nepomuk … »die Angst hat meine Sinne verwirrt … ich weiß nicht, war es Christoph, der's ihm verrathen hat, oder Gottlieb, oder der Jäger …«

»Oder der Teufel!« fiel der Prinz ein und schleuderte ihm den Fechthandschuh in's Gesicht, »Schweig', verfluchter Ketzer! Weil Du nicht bekennen willst, so will ich Dir's sagen, wo der Bursche steckt: auf seiner Kammer ist er, und dahin wirst Du uns auf der Stelle führen!«

»Wie ist's denn möglich! …« rief Nepomuk verdutzt … »Wie ist's möglich, daß Ihr …« Die Worte verstummten ihm im Munde.

»Daß wir dahinter gekommen sind? …« fragte Kauniz. »Gelt, das wolltest Du sagen, Lügenprophet? der kleine Finger hat's uns gesagt. Ist's die Wahrheit? … Bekenne, oder …«

»In des Himmels Namen denn,« seufzte der Haushofmeister … »weil Euch nichts verborgen bleiben kann, so will ich's denn gestehen. Euer kleiner Finger hat Recht.«

Unmäßiges Spottgelächter brach von allen Seiten los. Der Prinz erhob sich vom Sessel, knöpfte das Reitwamms zu, schnallte das Rappier darüber, zog die Handschuhe an, und sprach zu Nepomuk:

»Brich auf, alter Narr! Nimm diesen Leuchter und gehe voran. Du, Elias, begleitest uns, damit er nicht etwa uns einen falschen Weg einschlagen läßt.«

»Was wollt Ihr thun, gnädigster Herr?« wimmerte der Haushofmeister.

»Den Dachs aufsuchen!« lachte Bernhard. »Du aber mußt ihn aus dem Loche beißen. Nachbar Krummbein.«

»Ihr jagt mich in's Verderben!« ächzte der Bedrängte. »Der Page ist bewaffnet mit einem scharfen Dolche, und ein entschlossener Bursche. Wenn er mich ansichtig wird …«

»Und wenn er der große Christoph wäre oder den Speer des heiligen Longinus trüge, Du mußt voran!« polterte der Prinz. »Greift zu, ihr Freunde! Schiebt das Männlein fort, wenn es nicht von selber aus der Stelle will.«

Das Wort wurde erfüllt. Unter Stößen und Püffen drängte die ausgelassene Schaar den Alten zur Thüre, bis er im Namen Gottes um Gnade bat und willig sein Amt zu verrichten versprach. Der Prinz legte ihm und dem ganzen Zuge das äußerste Stillschweigen auf, und es ging auf Archimbalds Kammer zu. Mit jedem Schritte, der näher zum Ziele führte, schlotterten Nepomuks Kniee heftiger zusammen, und er betete in Gedanken ein Stoßgebetlein nach dem andern; denn von dem entschlossenen Charakter Archimbalds, der ihn für den Verräther halten mußte, erwartete er nichts Geringeres, als den Tod. Schon war die Thüre des Gemachs sichtbar; Elias flüsterte dem Prinzen zu, daß hier das Wild im Lager sey; und dieser ließ den Zug halten und bedeutete dem zitternden Haushofmeister, er müsse an die Thüre schleichen, leise klopfen und für sich um Einlaß bitten, als ob er eine wichtige Nachricht bringe. Nepomuk zögerte, zauderte; allein die entblößten Waffen gaben ihm bald wieder den nöthigen Gehorsam ein. Gott seine Seele befehlend, klopfte er. – Keine Antwort. – Er rief leise zum Schlüsselloch hinein. Alles stille. Die Ungeduld des Prinzen ließ ihm keine Ruhe. Als alles nicht verfangen wollte, schritt Bernhard selbst gegen die Thüre, klopfte heftig, drückte am Schloß und die Thüre wich.

»Unverschlossen?« fragte Bernhard höhnisch. »Der Dummbart hat nicht einmal so viel Mutterwitz, die Thüre zu verwahren. Kommt, meine Freunde!«

Der helle Haufen drang in's Gemach. Nepomuk stellte sich hinter ihm auf die Zehen und hielt den Leuchter hoch empor. Aber mit allem Suchen und Spüren fanden sie nur … das leere Nest.

»Der Bube ist entflohen!« knirschte Bernhard grimmig. »So wollte ich, daß das heilige Feuer dem Weiberknecht in die Rippen führe. Doch Geduld, einmal muß er zurückkehren oder aus seinem Versteck schlüpfen; und ich gehe nicht von der Stelle, müßte ich auch zehn Jahre lang, wie die Griechenkönige vor Troja, vor der Falle sitzen. Einmal geht doch die Maus an den Speck.«

»Er hat sich noch recht wohl seyn lassen,« spottete Kauniz, ehe er sich aus dem Staube machte. Da stehen noch die Ueberbleibsel einer Abendmahlzeit.

»Diese hat der da geschafft!« schnauzte der Prinz den Haushofmeister an. – Nepomuk verschwor sich bei allen Himmelszeichen, nichts davon gebracht und besorgt zu haben.

»Ein doppeltes Gedeck obendrein!« sprach Kauniz weiter … also wurde selbander getafelt.«

»Was liegt da?« fragte Bernhard, ein buntes Tuch aufhebend, das in der Nähe des Tisches lag. Was ist das für ein Fetzen?«

»Weiberzeug,« versetzte Kauniz. »Ein Wischtüchlein oder etwas dergleichen.

»Ich will katholisch seyn, wenn das Tüchlein nicht einer von den drei Heidinnen gehört!« rief Elias, der sich neugierig zugedrängt hatte.

Nepomuk, in der Seele froh, etwas gegen die Türkinnen aufbringen und die Leute unter einander hetzen zu können, und den eigenen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, bekräftigte die Worte des Elias.

»Teufel und Pandekten!« jubelte Kauniz. »Ich besinne mich. Meine kleine Spröde hatte ein ähnliches um den Kopf geschlungen. Ohne Zweifel hatte sie den Ritter, der für sie focht, besucht, mit ihm geschmauset und ihm das Pförtlein zur Flucht geöffnet. Frisch! steckt das Tuch an ein Rappier! Dieß Panier sey unser Siegeszeichen, die schönste Trophäe der vermeinten türkischen Keuschheit. Weiß Gott, bei welcher Gelegenheit sie das Fähnlein verloren hat.«

Da nichts mehr in dem öden Gemache zu suchen war, machte sich der Trupp auf den Rückzug, das erbeutete Tuch in jugendlichem Uebermuthe vor sich her tragend, unter lautem Scherzen, Lachen und Jubeln. Da trat aus der Fürstin Zimmer der Pfarrherr Schönemann unter die tobende Schaar. »Verstummt!« rief er ihr zu: »verstummt, ihr, die ihr da seyd trunken vom verderblichen Safte der Reben oder der Gerste, und nicht von dem reinen Weine des heiligen. Wortes! Und Ihr, mein Prinz, führt Euere Freunde still vorüber; denn Euere Mutter hat mich berufen lassen, die Nacht mit ihr zu durchwachen im Gebet und Betrachtung, zu Euerm Heil und Frommen.«

»Was meinst Du damit?« lachte der Prinz und maß ihn vom Wirbel bis zur Zehe. »Was soll mir Dein Gebet frommen und nützen!«

»Ihr seyd eingezogen in das Haus Euerer Väter wie die fromme Taube, und habt Euch an selbem Tage verwandelt in ein reißendes Thier!« versetzte der Pfarrer rauh und schonungslos, wie gewöhnlich. »Ihr seyd zu vergleichen dem bösen Sohne Absalon, der da schlug auf den, der ihn erzeugte. Ihr habt Euerer frommen Mutter harte Worte gegeben und Drohungen ausgestoßen, die ihr weiches Herz zerknirscht und ihren Augen blutige Thränen entlockt haben; warum sie auch ihre Zuflucht zu Gott genommen und zu mir, dessen unwürdigen Diener, um zu ihm zu beten, aus solcher Betrübniß, daß er Euere Seele umwende und zurück führe auf den Weg der Gnade.«

Einige unter dem Haufen stutzten über die Strenge, mit der der Prediger das Wort führte, und verhielten sich stille. Die meisten aber – an ihrer Spitze der Prinz und Kauniz – brachen in ein schwer zu stillendes Gelächter aus.

»Bekümmere Dich um Dein eigen Seelenheil!« rief der Prinz dem Bußprediger zu … »und sieh' wie Du damit fertig wirst. Mich kümmert es nicht. Das meinige aber lasse Du ungeschoren.«

Dem Pfarrherrn schwoll die Stirnader. »Ich stehe hier im Namen des Herrn, und lasse mir nicht Stille gebieten, wenn er mir befohlen hat zu reden!«

»Das will ich sehen!« schnaubte Bernhard. »Ich bin hier Dein Herr, und leide es nicht, daß Du in dem groben Tone mit mir redest.«

»Wie könnt Ihr verbieten,« rief Schönemann, »was selbst die großen Könige in Juda und Israel sich gefallen lassen mußten? Die großen Helden Saul und David mußten sich vor dem Propheten Samuel, der wohl anders mit ihnen umgesprungen ist, als ich mit Euch umspringe, bücken bis zur Erde. Warum? weil der Herr Samuel gesendet hatte. Mich sendet aber jetzo auch der Herr und Euere Mutter.«

»Ich höre gern, daß meine Mutter noch wach ist,« sprach der Prinz mit finsterm Blicke: »denn ich habe mit ihr zu reden. Euch aber will ich antworten, wenn ich die Herrschaft antrete. Geht, meine Freunde, aus Euere Gemächer und laßt den Kanzelnarren stehen. Morgen ein Mehreres.«

Er schob den Pfarrherrn, der Miene machen wollte, ihm den Weg in das Zimmer der Mutter zu vertreten, auf die Seite, und verriegelte hinter sich die Thüre. Mit Hohn und Spott in Wort und Blick, wünschten seine Gesellen dem Pfarrer gute Nacht! und es blieb dem armen Geistlichen nichts übrig, als mit Groll und Verdruß den Heimweg anzutreten.

Bernhard trat in das Schlafgemach seiner Mutter, die bekümmert und trostlos am Tische saß, auf dem die Bibel aufgeschlagen lag; denn sie hatte jedes Wort vernommen, mit dem der verirrte Jüngling des Pfarrers Herz, in demselben ihr eigenes verwundet hatte. Die Religion hatte immer den Vortritt in dem Busen der frommen Frau. Ihr war sogar die allzu zärtliche Liebe, die ihr schwaches Gemüth für den Liebling, für ihren Bernhard empfand, untergeordnet, und lieber hätte sie von einem Unterthanen eine ihr zugefügte persönliche Beleidigung ertragen, als geduldig eine gegen den Diener der Kirche ausgestoßene Schmähung mit angehört. – Sie empfing den eintretenden Bernhard mit tiefem Kummer. Er schien aber die Gemüthsstimmung seiner Mutter nicht zu bemerken, sondern begann mit scharfem Tone, die Larve völlig abwerfend, also:

»Mit Staunen habe ich vernehmen müssen, welche Sprache der Pfarrer sich gegen mich heraus nimmt, und ich kann niemanden als Euch die Schuld davon zur Last legen. Diese betschwesterliche Sitte muß auch ein Ende nehmen. Ihr macht Euch zum Kinderspott. Oder soll die übertriebene Frömmigkeit vielleicht Sünden abbüßen, die eine gewöhnliche Andacht nicht mehr gut machen kann? Fast möchte ich das glauben.«

»Bernhard!« rief die Fürstin staunend und schlug die Hände zusammen, »was muß ich hören? aus Deinem Munde hören?«

»Die Sprache der Vernunft« erwiederte Bernhard kalt. »Gesetzt aber auch, Euere Frömmigkeit hätte die reinste Quelle, so verderbt Ihr auf einer Seite was Ihr auf der andern gut macht. Der unwissende Pfaffe darf Euch, darf mir, seinem Herrn, ungestraft die niedrigsten Schmähungen vor der Welt sagen, und Ihr nehmt geduldig Euer Kreuz auf Euch, … verlangt von mir dasselbe. Wenn ich aber Genugthuung für einen Frevel verlange, der an mir in meinem Herzensfreunde von einem Nichtswürdigen verübt würde, so weigert Ihr mir dieselbe, und da ich darauf bestehe, nehmt Ihr Euere Zuflucht zur Lüge. Der elende Archimbald, dessen Sache Ihr so eifrig führt – es mag wohl seine Ursache haben – war vor Kurzem noch im Schlosse, von Nepomuk auf Euern Befehl verborgen, und eine von den Türkinnen, die durch ihre Gegenwart Euer Schloß verpesten, hat mit dem frechen Stummen in seinem Gemache eine buhlerische Zusammenkunft gehalten. Dieses Tuch, das ich gefunden, gehört der Dirne zu, die sicher auf Euer Geheiß dem Buben Thür und Thor zur Flucht geöffnet hat. Ich verlange, daß dieselbe ausgemittelt und bestraft werde. Wenn nicht der Ungehorsam gegen meinen Willen … so verdient doch ihre Unkeuschheit eine strenge Züchtigung. Laß't mich sie nicht vergeblich fordern. Eine Genugthuung muß dem schwer beleidigten Kauniz werden; kann der Beleidiger selbst nicht zur Verantwortung gezogen werden, da man ihm hinterlistig fortgeholfen, so mag das Werkzeug seiner Flucht, seine Buhlerin, seine Stelle einnehmen. Was die Beleidigung betrifft, die Ihr, Mutter, meinem Freunde durch Euere heftigen Ausfälle gegen ihn angethan habt, so könnt Ihr sie nur in etwas gut machen, wenn Ihr meine eigensinnige Schwester durch Euer mütterliches Ansehen zwingt, sich meiner Verfügung zu unterwerfen. Ich habe sie dem Kauniz zugesagt, mit Eid und Fürstenwort zugesagt. Mein Versprechen muß erfüllt, mein Wort gelöset werden, darauf bestehe ich. Ich bin Erbe und Herr. Ich entscheide über die jüngere Schwester; selbst Euer Loos zu bestimmen, steht mir zu, und Ihr werdet mir mein Recht nicht antasten, wenn mir auch gleich noch einige Monden am Alter fehlen. Ihr werdet mich nicht zwingen, zum Oheim Marschall meine Zuflucht zu nehmen, und mich von den Ständen frei sprechen zu lassen. Darum überlegt Alles wohl. Morgen mit dem Frühesten will ich hören, was Ihr gethan habt, sehen, was Ihr thun werdet.«

Der Fürstin rollten Thränen der angstvollen Verzweiflung über die Wangen. »Bernhard! Bernhard!« rief sie außer sich: »was ist aus Dir geworden? Der Pfarrherr hat recht! Aus der frommen Taube ist ein reißendes Thier geworden … mein Sohn wüthet gegen seine Mutter … gegen den Schooß, der ihn geboren?«

»Rechtet deshalb mit dem Himmel!« höhnte im Gehen der böse Sohn. »Sein Fluch hat sich an unserm Geschlecht deutlich geoffenbart. Wie könnt Ihr einen dankbaren Sohn verlangen? Ihr, die sündige Mutter! Den Wahnsinn des Vaters, die Verunstaltung des Leibes Euerer Tochter, den grausenhaften Tod des Großvaters … alles habt Ihr verschuldet. Alles trägt in Euch seine Wurzel, seinen Keim. Die Wölfin kann nur den Wolf gebären.«

Er warf die Thüre hinter sich zu, die trostlose Mutter mit ihren gräßlichen Gefühlen allein lassend. Vergebens ließ sie ihre bittern Thronen fließen, vergebens rief sie den Himmel zum Zeugen ihrer Unschuld. Vergebens suchte sie Muth und Linderung in den trostreichen Sprüchen der heiligen Schrift. Alles war umsonst. Der abscheuliche Undank eines geliebten Kindes hatte ihre Sinne, ihr Gefühl, ihre Kraft abgestumpft und mit eisernem Fuße zertreten.

Am folgenden Morgen war sie unsichtbar für Jeden; die ruhige Mermes ausgenommen, die in stiller Gelassenheit die Leiden der Gebieterin austoben ließ und nicht durch zudringliche Theilnahme in Erbitterung verwandelte. Die Einsamkeit, in der die Fürstin verharrte, welche für Alles Sinn und Gedanken verloren hatte, ihren Schmerz ausgenommen, wurde Zeniden und Leila verderblich. Ludmille wandelte trauernd im Garten auf und nieder. Die beiden Türkinnen befanden sich allein in ihrem Gemach, als der Prinz, Kauniz und Nepomuk herein traten. »Sind das die Dirnen?« fragte Bernhard, und Nepomuk bejahte. »Welche ist die Ursache des Handels?« fuhr der Prinz fort. – »Das ist die kleine Spröde!« erwiederte Kauniz, auf Leila zeigend.

»Warst Du gestern Abend bei Archimbald?« fuhr sie der Prinz an. – Sie verneinte zitternd.

»Welche von Euch Beiden hat ihm fortgeholfen?« rief Bernhard. »Gesteht es und nennt zugleich seinen Aufenthalt. Das Tuch zeugt wider Euch, das diejenige verlor, die ihn entwischen ließ … seine Buhlerin!«

»Das Tuch habe ich verloren;« sagte Zenide stolz und trat vor den Prinzen. »Die Buhlerin des verfolgten Pagen bin ich nicht, gnädiger Herr, wohl aber seine Befreierin.«

»Welche Frechheit!« rief der Prinz. »Wo ist der Elende? Sprich! oder ich lasse Dich mit Gewalt« …

»Wenn Ihr mich tödtet,« erwiederte Zenide, »so kann ich Euch nicht mehr sagen, als daß ich ihm die Hinterpforte in das Freie öffnete. Ueber die Balken der abgetragenen Brücke gelangte er glücklich in's offene Feld. Wohin er sich gewendet, gilt mir gleich, ist er nur der Rache Euers unwürdigen Freundes entkommen.«

»Und Du?« sprach der Prinz finster, sich zu Leila wendend. »Bist du offenherziger? Rede!«

»Ich bin's, gnädiger Prinz,« entgegnete Leila. »Seht in mir diejenige, die Archimbald gerettet hat. Meine Schwester hat sich edelmüthig an meiner Statt der That zeihen wollen. Ich danke ihr dafür; sie darf aber nicht das Opfer ihrer schwesterlichen Liebe werden. Ich bin die Schuldige.«

»Schwester! lüge nicht!« rief Zenide. »Ich sprach die Wahrheit, Glaubt ihr nicht; ich bin die Strafbare!« übertäubte sie Leila.

»Die Unverschämten brüsten sich mit ihrer Schande!« rief Kauniz dem Prinzen zu. »Kannst Du es dulden, daß solch ein verabredetes Gaukelspiel in Deiner Gegenwart aufgeführt werde?«

»Was glaubst Du wohl?« fragte Bernhard höhnisch seinen Freund. Ich will nicht das Kind meines Vaters seyn, wenn ich es länger ertrage. Nepomuk, thue Deine Schuldigkeit.«

»Aber, Herr!« … flüsterte der Haushofmeister beweglich: »Ihr steht mir dafür, daß die Verantwortung nicht die meinige sey?«

»Mit meinem Worte! zaghafter Thor!« entgegnete ihm der Prinz: »'s ist ja kein Todschlag; aber spute Dich, ehe es zu spät seyn möchte. Folgt diesem Mann, ehrvergessene Dirnen. Meine Mutter laßt Euch züchtigen für eure unkeuschen Nachtbesuche, nur zu gelinde zwar für euer Vergehen. Eine von euch war zur Strafe erlesen; weil ihr beide jedoch um diesen Preis ringt, so werde er euch beiden. Fort! und laßt euch auf solchen Wegen ferner nicht betreten.«

»Gnädiger Prinz!« … stotterte Leila erschrocken: »Euere Gnade« …

»Nicht doch, Schwester!« rief ihr Zeniden mit strengem Tone zu. »Keine Bitte, keine Entschuldigung. Wir sind die Sclavinnen, er der Herr. Er züchtige uns, wie es ihm gefällt; wir leiden standhaft für den Freund.«

»Für ihn?« sprach Leila und hob begeistert ihr Auge gen Himmel. »Du hast recht, Zenide. Für ihn leiden wir, für den Freund, und jede Marter wird uns Wonne dünken. Komm', laß' uns gehen, muthig eine durch die andere. Nicht die Fürstin, unsere Mutter, verdammt uns zur Strafe, sondern er allein, der harte Gebieter. Wir wollen aber nicht murren, und weil sie, die hohe Frau, ihn geboren, ihm auch der Großmuth Beispiel geben und seine Grausamkeit der Mutter nicht verrathen.«

Sie folgten mit Würde dem Haushofmeister in ein entlegenes Gewölbe des Schlosses, in dem zwei riesenhafte wendische Weiber, eigens zu diesem Zweck gedungen, mit starken Ruthenbüscheln die armen zur Qual bestimmten Mädchen erwarteten, um an ihnen die grausenhafte Züchtigung zu vollziehen, zu der sie in roher Eigenmächtigkeit der Prinz verurtheilt hatte. Aber heldenmüthig boten Zenide und Leila den Streichen dieser Furien ihren schönen Rücken dar, und litten die harte Strafe ohne Angstgeschrei, ohne Widerstreben. Wenn ihnen auch der heftigste Schmerz ein leises Wimmern entlockte, so stammelten sie den Namen dessen, für welchen sie beide duldeten, den sie beide unaussprechlich liebten; errangen Fassung genug, die demüthigende Pein bis zu Ende kräftig auszuhalten, und kehrten, fest entschlossen, die Unthat zu verschweigen, in ihr Gemach zurück. Als sie jedoch kurz darauf zu der Fürstin gerufen wurden und ihr verstörtes Aussehen die Besorgniß derselben erregte … als Leila plötzlich von den Folgen ihrer Qual ohnmächtig und Mermes bei dem Entkleiden der geliebten Schwester die blutigen Spuren derselben gewahr wurde … da konnte die Sache nicht mehr verheimlicht werden, und die Fürstin, empört und gereizt von so tiefer Abscheulichkeit ihres Sohnes, gab Befehl, ihre Wagen zu rüsten, mit dem festen Entschlusse, dem Prinzen das Feld zu räumen und nach Ollmütz vor seiner Tyrannei zu flüchten. Aber in dem Augenblick, als die Frauen zusammen Rath hielten, wie man den eingesperrten Archimbald unbemerkt aus seiner Haft befreien und aus dem Schlosse führen könne, drang Bernhard, über den raschen Entschluß der Mutter betroffen, zu ihr in's Gemach. Er versuchte Alles, was in seiner Gewalt stand, ihren Vorsatz zu ändern … bezwang sich sogar in dem Grade, sie um Vergebung zu bitten … selbst gegen die Mißhandelten eine Entschuldigung zu stammeln. Er beschwor die Fürstin, Alles zu vergessen, versprach, sein Betragen zu ändern, und binnen acht Tagen nach Prag zurück zu kehren und die zügellose Bande heimzuführen, die die Ordnung des Hauses umkehren zu wollen schien. Die Fürstin, schwach in ihren Neigungen, fromm durch Unglück und Ueberzeugung, eine allzugütige Mutter, ließ ihren gerechten Unwillen durch die Bitten des heuchelnden Bernhards von Grund aus zerstören, nahm die Honigreden des Schmeichlers für baare Münze, vergab, vergaß, und das gute Vernehmen zwischen Mutter und Sohn schien wieder völlig hergestellt, die gänzliche Versöhnung bewirkt. Durch reiche Geschenke aus der freigebigen Schatzquelle der Fürstin wollte der Prinz Zeniden und der kranken Leila das Andenken ihrer Schmerzen abkaufen; aber sie schlugen dieselben standhaft aus, und baten nur die Fürstin und Ludmillen auf's inständigste, den Aufenthalt Archimbald's dem Prinzen ja nicht zu verrathen – Bernhard möchte sich auch noch so versöhnlich zu bezeigen – indem seinen Worten, da Kauniz ihn regiere, nicht zu trauen sey. – Die Fürstin sagte es ihnen zu, weniger aus Mißtrauen gegen ihren Sohn, als aus Furcht, Archimbald möchte sich durch eigene Schuld oder von Kauniz gereizt in neue Händel verwickeln; und Ludmille … das holde Mädchen, zitterte schon bei dem Gedanken des Verraths. Sie durchschaute ihren Bruder weit besser, als ihre Mutter es zu thun vermochte. Sie traute ihm nicht mehr. Sie fürchtete seine Rohheit, seine Heftigkeit – Kaunizens verderbliche Rathschläge. Wenn Archimbald verrathen würde … wenn er von dem unversöhnlichen Bruder zu einer ehrlosen Strafe verdammt würde, wie Hassan's Töchter … Sie schauderte bei der bloßen Vorstellung, den in Gefahr zu wissen, der ihr, wie sie sich leise gestehen mußte, nicht gleichgültig war … der ihr vor ihrem eigenen Herzen bange gemacht hatte.


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