Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Kapitel.


Fröhlich und wohlgemuth
Wandelt das junge Blut
Auf und ab durch die Welt
Von dem Rhein bis zum Belt!

Volkslied.

Sie saßen in dem kleinen, armseligen Gemach der alten Lene, an dem mit einem Teppich bedeckten Tische, unfern des wärmenden Ofens, in dem die Flamme behaglich knisterte und prasselte. Archimbald hatte so eben die Erzählung seiner Abenteuer, genau und pünktlich, als ob er sie einem Beichtvater vertraute, Lenens verschwiegenem Ohr mitgetheilt, und langte nun mit gutem Appetit nach dem köstlich duftenden Gansviertel, das ihm die besorgte Alte aus dem nächsten Gasthause herbeigeschafft hatte. Lene saß ihm gegenüber, streichelte den altersschwachen Schwarzmann auf ihrem Schooße, und musterte wohlgefällig und lächelnd Gesicht und Gestalt ihres lieben Ziehsohns. Seine muntere Eßlust, wie seine frische Farbe, sein schmuckes Kleid und seine lebhaften Bewegungen hatten Gnade vor ihren Augen gefunden, seine aufrichtige und unverstellte Erzählung hatte ihr Mitgefühl angeregt. Vielleicht zum ersten Male in ihrem Leben that es ihr weh, nicht Mutter geworden zu seyn, keines solchen Sohnes sich freuen zu können.

»Ihr wißt nun alle meine Fata,« sprach Archimbald – legte die abgenagte Keule bei Seite, that einen derben Zug aus dem gläsernen, mit goldhellem Biere gefüllten Kruge, und klappte den zinnernen Deckel vergnügt zu. – »Laßt mich nun auch die Eurigen hören, während ich noch gemächlich die Rindswurst verzehre, die mir Euere Liebe aufgetischt hat; denn der schnelle Ritt und die unverhoffte Freude … beides hat mich verdammt hungrig gemacht.«

»Meine Schicksale,« versetzte die Alte lächelnd, »sind ganz unbedeutend. Der Rathsherr Thurneisen hat mir einige verdrießliche Streiche gespielt, die ich ihm zu Wasser gemacht habe. Der verdrießlichste war aber der allerletzte, den ich leider nicht abwehren konnte. Ich war über Land, und während dessen hat Thurneisen den Pöbel der Stadt durch seine Helfershelfer wider mich aufhetzen, und durch das dumme Volk mein armes Häuslein stürmen, ausbrechen … niederreißen lassen. Er wollte durchaus das Testament heraushaben, was Dich angeht, lieber Archimbald. Ich hatte aber schon längst, Stürme und Ungewitter ahnend, das werthhaltigste meiner Habe in Sicherheit gebracht. Der grobe Rathsherr war geprellt, und ich lachte seiner, als ich in später Nacht zurückkehrte und meine Wohnung in Trümmern fand. Häßlich war meine Lage dennoch für den Augenblick. Recht konnte ich nicht finden beim Rath, den mein Gegner durch seine rohe Anmaßung am Fädchen führt, wie der Knabe den Maikäfer. Obdach wollte mir keine Seele geben, aus Furcht, ich möchte Alles um mich her verhexen, ich mußte mich also, übel oder wohl, entschließen, das Vaterland mit dem Rücken anzusehen. Die Vaterstadt wollte ich sagen; denn Schwaben ist ja auch noch hier. Ich zog, bei Nacht und Nebel mein Eigenthum von dannen führend, hieher, und lebe nun so für mich allein meine Tage hin, keinen Verdienst von der Hand weisend, und … dem Himmel sey Dank! lange nicht so berühmt und gekannt wie in Ulm.«

»Ei! ei! Mutter Lene!« lachte Archimbald und drohte ihr neckend mit dem Finger. Das Geschäft, bei dem ich Euch heute Abend fand, und das zum Zwecke hat, den Fremden etwas Liebes zuzuweisen, ist nicht sehr ehrenvoll.«

»Mag seyn,« erwiederte Lene spottend; »es bringt desto mehr ein. Und im Uebrigen ist denn der Schenkwirth wohl besser, der durch den ausgesteckten Kranz die Vorübergehenden einladet, bei ihm einzukehren, und Gesichter schneidet, wenn der fremde Gast nicht toll und voll gezecht aus seinem Hause taumelt? Die Zeiten sind hart; man muß sein bischen Leben verdienen. Ich hätte mich wohl gerne zur Ruhe gesetzt, und könnte es auch allenfalls thun; allein ich muß für meine Kinder sorgen.«

»Für Eure Kinder?« fragte Archimbald verwundert. »Das erste Wort, das ich höre. Ihr hättet Kinder?«

»Ja, mein ungläubiger Junker,« erwiederte die Alte scherzend. »Reißt immerhin die Augen auf … es ist doch dem also. Einen Sohn und ein Enkelchen.«.

»Ei!« rief Archimbald; »ist's möglich? wo sind denn aber die holden Sprößlinge?«

»Der erste ist ein schmucker Junggesell,« – versetzte Lene wie oben, »heißt Archimbald, und sitzt hier mir gegenüber.«

»Mutter Lene! Wie? ich?« rief der Jüngling staunend.

»Ja, lieber Archimbald,« antwortete die Alte mit Rührung. »Du sollst mein Erbe seyn … das bischen, was ich hinterlasse, soll Dein gehören, aber Du mußt auch Dein Kind davon erhalten.«

»Mein Kind? Neue Räthsel! Was soll das heißen?«

Lene stand auf und bedeutete ihm, ihr in die Nebenkammer zu folgen. Ein Knabe von fünf bis sechse Jahren ungefähr, lag darin auf weichen Kissen vom Schlafe der Unschuld gewiegt. – Neben seinem Lager schlummerte eine Bauerndirne, seine Wärterin. – Lene, den Finger an die Lippen legend, deutete stumm auf den Knaben, und zog dann den Jüngling wieder in die Stube zurück.

»Hast Du jetzt Deinen Sohn gesehen?« fragte sie daselbst mit schlauem Blick.

»Ihr seht mich in Stein verwandelt, Mutter Lene!« erwiederte Archimbald. »Jener Knabe mein Sohn! … ich will sterben, wenn ich errathe …«

»Alles zu seiner Zeit,« versetzte Lene hierauf. »Du wirst Alles erfahren, was Dir für jetzt noch dunkel bleiben muß. Genug; dieses Kind ist bestimmt, das Deine zu werden, und wird Dir einst zugestellt werden, wenn es Gott nicht früher vielleicht zu sich zu nehmen beschlossen hat. Sollte ich es nicht mehr erleben, so wird jene Bäuerin des Knaben Ueberbringerin seyn, wie meines letzten Willens.«

»Ihr verwickelt mich beständig in ein Gewebe von Räthseln,« sprach Archimbald etwas ungeduldig. »Ich bin nur ein blindes Werkzeug in Eurer Hand.«

»Sind wir Alle denn mehr in der Hand des unerforschlichen Schöpfers?« fragte Lene. »Sey getrost, Archimbald, man muß gehorchen lernen, um mit der Zeit befehlen zu können. Darum, mein Sohn, gehorche mir auch nur diesesmal, oder folge zum mindesten einem wohlgemeinten Rathe. Geh' nicht unter's Kriegsvolk. Hättest Du wohl so viel gelernt, um es im wilden Soldatenleben schnell wieder zu vergessen? Gehe nach Prag, lasse aber den General General seyn, und versöhne Dich mit dem Doctor, der vielleicht noch nicht das Geringste von Dir erfahren hat.«

»Der Doctor? hält er sich in Prag auf?« fragte Archimbald hastig.

»Freilich, mein Sohn,« erwiederte Lene. »Er ist daselbst ein angesehener großer Mann, der Dein Glück zu machen im Stande ist, wenn Du ihm gehorsamst, und Deine Unbesonnenheit, die Dich von Worosdar entfernt hat, aufrichtig bereust. Der Doctor allein führt Dich an's Ziel.«

»Auf einem Wege voll Trug und Hinterlist,« setzte der Jüngling bedenklich hinzu.

»Schäme Dich dessen nicht,« sprach die Alte beruhigend. »Die größten und vornehmsten Leute schlagen denselben Pfad ein, um ihre Zwecke zu erreichen. Und ist es nicht besser, durch Verstand und Klugheit alle Hindernisse zu besiegen, und sich emporzuschwingen, als sich tollkühn in die Säbel der Ungläubigen zu stürzen, und darunter das Leben zu verlieren, ohne seine Feinde durch den Abglanz selbsterworbenen Glücks gedemüthigt zu haben?«

»Halt ein, Mutter Lene!« rief Archimbald aufgeregt – »Ihr wißt mein Herz zu lenken. Rache ist meine Pflicht, mein Gelübde. Für sie muß ich mich erhalten. Ich folge Euerm Rathe, und suche den Doctor auf.«

»In der königlichen Burg zu Prag, wo der Kaiser Hof hält, wirst Du ihn erfragen … fügte Lene hinzu. »Geh aber jetzt zur Herberge, mein Kind. Du bist müde, und der Wächter hat schon die zehnte Stunde abgerufen. Ruhe bis zum Morgen, und mache Dich dann eilig auf den Weg.«

»Wie?« rief der Jüngling bestürzt … ohne Euch noch einmal zu sehen?«

»Ja, mein Sohn!« versetzte die Alte mit bewegter Stimme. »Ich würde mich nur wieder zu sehr an Dich gewöhnen, und wir müßten uns ja dennoch trennen. Du gehst, Dein Glück zu erjagen … ich tappe meiner Grube zu. Ich bin alt und schwach, und das Oel meiner Lampe wird wohl bald versiegen: indessen gewährt mir vielleicht Gott die Gnade, Dich noch ein Mal, das letzte Mal zu sehen. Laß uns indessen scheiden wie Freunde, die der nächste Morgen wieder vereint. Reise glücklich; ich will für Dich beten; und wenn es wahr ist, was die Priester sagen, wenn das Gebet des reuigen Sünders dem Höchsten angenehmer ist, als jenes des Niegefallenen, so wird das meinige nicht ohne Wirkung seyn.«

»Gute Mutter Lene!« sprach Archimbald und beugte sich gerührt zu ihr herab, die ihrer Bewegung kaum Meister werden konnte, und heftig zitternd seine Hand ergriff.

»Ach, mein Sohn!« stammelte sie … »junges Herrlein … ich war nicht immer so gut, als ich jetzo vielleicht scheine. Gegen Dich am allerwenigsten. Doch der Herr wird vielleicht versöhnlich seyn, denn er ist ein frommer Gott. Behalte Du mich nur lieb, und fluche mir nicht.«

»Ich?« fragte Archimbald gekränkt. – »Ei, wo denkt Ihr hin, Mutter Lene! Meiner Wohlthäterin sollte ich fluchen?«

»Laßt gut seyn,« erwiederte sie, sich über die Stirn fahrend. – »Ich fange an kindisch zu werden. Du mußt es mit meinen Worten nicht so genau nehmen. Halte desto genauer auf die Lehre, die ich Dir auf die Reise mitgebe: Hüte Dich vor Wein und Liebe. Der erste bethört den Kopf, die zweite das Herz. Beide sind Gifte für einen Jüngling, der mit einem feindlichen Geschick den Kampf eingegangen ist, um das versagte Erbtheil, des Lebens Glück, dem Unerbittlichen abzuzwingen. Hüte und wahre Dich, auf daß Dein Weizen gedeihe. Gehe jetzt, mein Sohn, und gehe recht geschwinde. Gleich rechts vor der Hausthüre biege in das Gäßlein. Es führt Dich schnurgerade am Eisenberg hinauf an's Rathhaus. Du kannst von dort aus Deine Herberge nicht verfehlen. – Keinen Abschied, … gehe … noch Eins! Du trägst das Amulett noch um den Hals, das ich Dir umband, als Dich der Doctor von mir wegholte? Das ist brav und recht von Dir. Du hast Dich aber von Worosdar nach Ulm gebettelt, wie Du sagst? Das ist nicht recht. In solcher Noth wird das geweihte Päcklein helfen, wenn Du es öffnest. Verstanden? Gute Nacht! Sey glücklich!«

Wie bei dem ersten Abschied in Ulm, so schob sie auch jetzo den Jüngling zur Thüre hinaus, und riegelte schnell hinter ihm zu. Der nächste Morgen fand ihn auch schon, dem Wunsch der Pflegemutter zufolge, auf der Straße nach seinem Bestimmungsorte. Er näherte sich demselben, so schnell er seine Fahrt zu fördern vermochte, ohne seinem Klepper Schaden zu thun. Die beginnende schöne Jahreszeit trug viel dazu bei, sein Gemüth aufzuheitern, seine Brust zu erweitern. Ihm mangelte endlich nichts, seinen Weg mit freudigem Muthe fortzusetzen, als ein Gefährte, der es vermöchte, die hin und wieder aufsteigenden Grillen aus seinem Gehirne zu jagen, durch munteres Geplauder, und fröhlichen Scherz. Der Himmel gewährte dem jungen Mann, in einer Anwandlung von guter Laune, zuvorkommend den Wunsch. Denn als er eines Tags bei guter Zeit von Amberg ausgeritten war, um Tirschenreuth und die böhmische Gränze zu erreichen, so holte er bald einen Wandersmann ein, der, ein Ränzlein auf dem Rücken tragend, frisch und frei in den reifgeschmückten Morgen hineinschritt, und sich ein lustiges Liedlein pfiff, um die Beine gelenker zu machen. Als der Reiter hinter ihm her und darauf an ihm hart vorbeitrabte, blieb er stehen, rückte die Mütze ein wenig, und wollte ihn vorüberlassen. Archimbald hatte aber in dem Gesichte des Wanderers ein schon gesehenes gewahrt, und sein bereitwilliges Gedächtniß bedurfte nur eines Augenblicks, um sich der alten Bekanntschaft zu erinnern. Dem Andern schien es eben so zu gehen; er besaß indessen nicht Herz genug, seine Vermuthung zu äußern. – »Guten Tag, Wandergesell!« rief ihn Archimbald an, und ließ sein Pferd im Schritt gehen. –

»Deßgleichen, lieber Herr!« hieß die Antwort, und beide verwandten kein Auge von einander. – »Ich sollte Euch schon irgendwo gesehen haben,« fing Archimbald von neuem an. – »Mit Euch geht mir's eben so,« erwiederte der Fremde. – »Wenn ich nicht irre,« fuhr der Erstere fort, »so haben wir, es ist noch nicht lange her, zu Burgau ist Einem Quartier übernachtet.« – »Hol's der Teufel, ja,« versetzte der Wanderer, und näherte sich vertraulicher dem Reiter; »wenn Ihr Euch daran erinnern wollet, so begehre ich es auch nicht zu läugnen. Wir hatten freies Nachtlager zusammen im Schlosse, das heißt: im Spitzbubengewahrsam.« – »Ganz recht,« lachte Archimbald. »Unsere Bekanntschaft war noch gewaltig grün, als sie auch schon wieder abgebrochen wurde. Ihr gingt, ich blieb zurück.«

»Habe seither einigemal an Euch gedacht,« antwortete der Fremde. »Glaubte Euch schon tief in Ungarn, unter den kaiserlichen Fahnen!«

»Fehlgeschossen, Freund!« rief Archimbald. »Ich habe aber auch nicht getroffen, denn ich vermuthete Euch in Prag, Euern Aeußerungen zu Folge.«

»Ich wäre auch schon längst im gelobten Lande,« erwiederte der Wanderer verdrießlich, wenn mich nicht in Amberg, von wannen wir Beide kommen, eine Krankheit befallen hätte, die zunächst eine Folge der vermaledeiten Verkältung war, welche ich mir auf den kalten Steinen des Schlosses Burgau zugezogen hatte. Ich mußte also liegen bleiben im Spittel, und meinen blonden Kumpan allein vorauswandern lassen. Seit drei Wochen ungefähr bin ich genesen, und hätte wohl bereits meine Reise längst angetreten, wäre mir nicht das Geld im Beutel ausgegangen gewesen. Darum mußte ich noch verweilen, und um einen Zehr- und Wanderpfennig zu erübrigen, mich dazu bequemen, den häßlichen Spittelmeister sammt seiner Meerkatze von Haushälterin abzukonterfeien. Denn die Beiden hatten schon lange gewünscht, von Malershand auf einem Stück Lindenholz verewigt zu werden. Demzufolge habe ich in den sauern Apfel gebissen, mich drei Wochen lang an ihrem fetten Tisch satt geschmaus't, die Fratzengesichter so ähnlich als möglich auf die Tafel geklext, das stolze: Erlwein fecit auf die Rückseite geschrieben, mein Geld in Empfang und den Wanderstab in die Hand genommen. – Da habt Ihr in Kurzem meine Geschichte, wenn Euch daran liegen sollte, sie zu wissen, woran ich doch beinahe zweifeln möchte.«

»Nicht doch, Kumpan,« antwortete ihm Archimbald. »Ihr seyd ein aufgeweckter Geselle. Ich höre Euch gern zu, und wünschte wohl, länger in Eurer Gesellschaft zu bleiben. Wohin geht die Reise?«

»Nach Prag, lieber Herr,« versetzte Erlwein. »Ich will sehen, ob mir Freund Eschenreuter mein Plätzlein aufgehoben hat, wie er versprach.«

»Nach Prag?« wiederholte Archimbald zufrieden … »recht gut. Da reisen wir selbander.«

»Wirklich?« fragte Erlwein und schaute verwundert zu dem Begleiter auf. »Viel Ehre für mich; allein Euer schnelles vierfüßiges Roß und meine zwei langsamen Beine werden schwerlich Schritt halten.«

»Da ließe sich allenfalls Rath schaffen,« meinte Archimbald.

»Nein, lieber Herr,« entgegnete Erlwein, lächelnd den Kopf schüttelnd. »Da ist kein Rath: denn, wenn ich meine ganze Schatzkammer plünderte, würde ich mir damit kaum einen halben Esel anschaffen können, geschweige denn ein ganzes Pferd.«

»So laß't mich dafür sorgen,« sprach Archimbald; »im nächsten Städtchen wird wohl ein Klepper feil seyn, den ich Euch zur Reise leihen kann.«

»Euer Gestrengen sind zu gnädig,« antwortete Erlwein, und lüftete noch einmal so ehrerbietig denn zuvor das Käpplein. »Allein ich darf Euch nicht verhehlen, daß ich nicht den geraden Weg auf Prag losgehe. Ich mache einen erklecklichen Umweg, der Euch nicht angenehm seyn dürfte.«

»Welchen denn?« rief Archimbald ungeduldig. »Ihr sperrt Euch ja gewaltig, die Strecke in meiner Gesellschaft zurückzulegen.«

»O glaubt das ja nicht,« entgegnete Erlwein etwas gekränkt. »Ich wäre gar zu gerne Euer Begleiter; allein ich habe es meiner Mutter versprechen müssen, über meinen Geburtsort zu reisen, und sie zu besuchen.«

»Wie nennt sich Eure Heimath?« fragte Archimbald.

»Die Herrschaft Worosdar in Mähren;« gab Erlwein zur Antwort.

»Worosdar?« rief Archimbald betroffen, dem dieser Name wie ein Blitzstrahl durch's innerste Mark schlug.

»Mein Vater,« fuhr der Maler fort, »war Kammerdiener daselbst, bei dem seligen Grafen, dem Vater der Fürstin Eleonore. Kurz nach dem Tode des alten Herrn, starb auch er, und hinterließ meiner Mutter ein karges Vermögen, und mir die Neigung zur Malerkunst, die er nicht ohne Glück getrieben hatte. Die Großmuth der würdigen Fürstin hat meiner alten Mutter einen kleinen Wittwensitz im Dorfe beschert, und mich erziehen lassen. Gott segne die brave Dame! Sie hatte es gut mit mir im Sinne, und ließ mich auf meiner Kunst reisen. Zuerst ging's in die Niederlande, und trotz Krieg und Rebellion war ich daselbst recht fleißig und machte viele Fortschritte. Als ich aber nach Wälschland kam, war Alles anders. Statt des trüben und bleichen Nebelhimmels jener Küsten, glänzte mir hier ein heit'res tiefblaues Firmament entgegen – statt des schweren flamändischen Biers peilte brausender Goldwein – statt verdross'ner, langweiliger und dummköpfiger Holländer sprach mir ein regsames Volk in geflügelter Sprache und Geberde den Willkommsgruß – statt der breiten und steifen, drollig verputzten Jungfrauen mit milchweißen Gesichtern, kleinen blaßrothen Bäckleins, und großen blauen Augen ohne Ausdruck und Gefühl, die alle Tage, einer Entenschaar nicht unähnlich, an meinen Fenstern vorbeiwackelten, tanzten Italiens üppige Huldinnen vor mir her, tausend Reize entfaltend, mit tausend Netzen das Herz des Fremden umstrickend. Was war die Folge von dem Allen? An der Zuydersee war ich fleißig gewesen, an der Tiber wurde ich faul. Der Pinsel blieb liegen, die Palette fraß der Staub, der Malerkittel von Zwillich hing an der Wand, während das Sonntagswamms sammt dem Festmantel von feinem braunen Tuch täglich am Leibe des hochmüthigen Herrn spazieren getragen wurde. In Wirthshäusern, bei Gelagen, in Kirchen und auf Straßen trieb ich mich herum, nach den Dirnen gaffend, nach Genuß haschend, und dem müßiggehenden Wohlleben fröhnend; kam mit jedem Tage in Kunstfertigkeit zurück, und mußte aus demselben Grunde von Tag zu Tage mehr verzweifeln, jemals die Meisterwerke erreichen zu können, die in Rom zu jeder Stunde in Kirchen und Palästen das Auge des Kunstfreundes entzücken. – Hin und wieder kamen Augenblicke, in denen ich vernünftig wurde. Ich schämte mich dann vor mir selber, und machte Reu' und Leid. Damit war es aber nicht gethan. Der beharrliche Wille fehlte, und ich sank immer, nach einigen ohnmächtigen Versuchen, in das alte Schlaraffenleben zurück. Meine Gönnerin, die Fürstin, wußte natürlich von alle dem nicht das Geringste, und ich erhielt beständig das Geld für meinen Unterhalt und für meine Lehre. Das schöne Silber floß aber entweder in die Beutel der Weinschenken, oder als Zins in die Hände wuchernder Juden, oder in den Schooß leichtfertiger Dirnen, und ich taumelte ohne Aufenthalt dem Verderben zu … da geschah es einmal … aber, Ihr hört ja nicht, lieber Herr! Ihr sitzt auf Euerm Gaule, wie der Ritter Georg an der Münsterpforte zu Basel auf dem seinen, steif und starr! Meine Plauderei hat Euch gelangweilt, gelt?«

»Keineswegs,« erwiederte Archimbald, sich aus seiner Zerstreuung erholend, in welche ihn das Andenken an Worosdar und seine Abenteuer daselbst versetzt hatten. – »Ich bitte Euch im Gegentheile weiter zu erzählen« – setzte er hinzu, obschon er von dem Vorigen wenig vernommen hatte. – »Es geht hier bergan, und um es Euch, mir und dem Gaul bequemer zu machen, will ich absteigen und neben Euch hergehen, bis auf die Höhe.«

Er stieg vom Pferde, schlang sich den Zügel um den Arm, und schlenderte nun ganz gemächlich neben Erlwein her, der das Ränzel, sich zu erleichtern, an dem Knotenstock hängend über die Achsel warf, und den Faden seiner Erzählung wieder aufnahm.

»Da geschah es einmal,« fuhr er fort … »daß mir der Beutel leer geworden war, wie fast noch nie. Ich tröstete mich indessen bald, da denselben Tag ein Schreiben von der Mutter einlief, bei dem ein halb Dutzend Goldstücke lagen. Ich griff hastig nach dem Gelde, ließ den Brief ungelesen, und eilte zu Schmaus, Tanz und Vergnügen. Vom Wein begeistert kam ich spät nach Hause, schlief den Rausch aus, und erwachte spät. Mein erster Blick fiel auf das ungelesene Blatt, das auf dem Tische lag, wie ich es gestern hingeworfen hatte. Noch im halben Schlafe griff ich darnach; aber sowohl Schlaf als Trunkenheit verging mir gänzlich, als ich den Inhalt des unseligen Schreibens las. Die Fürstin hatte durch einen Doctor aus England, der in Rom gewesen war, und welchen der Teufel oder mein guter Engel gen Worosdar geführt hatte, woselbst er Gelegenheit gefunden, meine Wohltäterin aus gefährlicher Krankheit zu retten – Alles erfahren, meinen Müßiggang, meinen lockern Lebenswandel … Alles in Allem. Sie hatte ihre Hand gänzlich von mir abziehen wollen, war aber durch die Thränen und Bitten meiner Mutter dahin vermocht worden, mir beiliegende Summe zu schicken, mit dem ausdrücklichen Befehle jedoch, mit dem Gelds hauszuhalten, flugs aufzupacken, und so schnell als möglich heimzukehren. Dieß Alles hatte mir meine Mutter durch den Pfarrherrn Schönemann schreiben lassen, der noch aus eignem Antrieb die dringendste Aufforderung beigefügt hatte, auf der Stelle der Hofstatt des babylonischen Kebsweibes zu entrinnen, und meine Seele aus den Klauen der Römischen zu retten, ehe es zu spät würde. Ihr könnt leicht denken, welchen Eindruck diese Botschaft auf mich machte. Die Abspannung des Rausches vom vorigen Tage, das Bewußtseyn meiner Schuld, die Scham über meinen Wandel, und mehr als das Alles, die entsetzliche Frage, die sich mir plötzlich aufdrang: was ich wohl beginnen würde im weit entfernten fremden Lande, wenn meine Wohlthäterin ihre Hand gänzlich von mir abzöge? … bestimmte in einem Nu meinen Entschluß. Ich wollte Gehorsam leisten, zurückkehren. Von diesem Gedanken erfüllt, sprang ich auf, und wollte schleunigst mit meinem Gelde zu Rathe gehen, um zu berechnen, was mir nach Tilgung meiner dringendsten Schulden übrig bleiben würde. Welch ein Schrecken durchfuhr aber meine Gebeine, als ich mein Geld in allen Taschen suchte, wieder und noch einmal suchte, und mir alle drei Male vergebliche Mühe machte? War mir mein kleiner Schatz, dieß mein Um und Alles, gestohlen worden? Hatte ich ihn selbst unbedachtsam verloren? oder hatte ich bei dem Nachhausegehen der schönen Bettlerin, die mich beim Schein der Lampe, vor dem Marienbilde an einer Straßenecke um ein Almosen angesprochen, in der Großmuth der Trunknen statt einer Handvoll Bajocchi, eine Handvoll ungarischen Goldes gegeben? Gott weiß es! Genug: Schatz- und Reisegeld, Alles war weg, rein weg. Da stand ich Aermster wie vom Donner gerührt, mit geplündertem Geldsäckel, viele hundert Stunden Wegs von der Heimath entfernt, und ohne die geringste Hoffnung, den erlittenen Verlust von der beleidigten Wohlthäterin ersetzt zu sehen. Ich schrie mein Unglück, in die weite Welt aus, und machte das Uebel ärger. Mein Hauswirth fiel über meine wenige Habe her; mein Speisemeister zog mir den Mantel vom Leibe; der Weinschenke, dem ich für seine Forderung eine Verschreibung ausstellte, die vielleicht im ewigen Leben erst zahlbar wird, verwünschte mich; und die Wucherjuden, denen für geliehenes Geld und rückständigen Zins das leere Nachsehen blieb, fluchten mir die zehn egyptischen Plagen an den Hals. Ich wendete mich an den wackern deutschen Maler, bei dem ich im Anbeginn in Arbeit gegangen war, um ihn nachher gänzlich zu vernachlässigen … er wies mir die Thüre. Ich stellte meinen Zunftgenossen meine Lage vor … »dem liederlichen, hoffärtigen Bengel geschieht's recht,« sprachen sie, und drehten mir den Rücken; ich bettelte bei meinen Zechbrüdern, sie lachten mich aus; ich forderte, was ich ihnen einst selbst geliehen, sie kannten mich nicht mehr; ich begehrte das Meinige mit Ungestüm – sie warfen mich zum Hause hinaus. Meine einzige Hoffnung beruhte noch auf einem Bäckergesellen, der mein Landsmann und mir einige Verbindlichkeiten schuldig war; allein, er war entweder zu arm, oder er fand keinen Beruf zu helfen; genug, auch dieser letzte Strohhalm brach, und ich sah mich ohne Rettung verloren, denn: auf's Gerathewohl hinaus zu gehen und mich durch's Leben zu schlagen, dazu war ich durch mein Wohlleben zu feige, zu muthlos geworden, und hätte in der That lieber den Tod als diesen Ausweg gewählt. Vom Dienst unter den deutschen Soldknechten auf der Engelsburg schloß mich meine Religion aus, sonst frühstückte ich wahrscheinlich in diesem Augenblicke mit jenen Ehrenmännern und erfreute mein Herz in Zwiebeln, Ziegenkäse und schlechtem Brod. Ich entschloß mich also kurz und frisch, der Welt valet zu sagen, und suchte mir in der Tiber bereits ein Plätzchen aus, hinlänglich breit und tief, um ein schlechtes Leben bis an's Ende der Welt zu beherbergen, ohne es wieder an's Tageslicht zu bringen … da kam mein Schutzgeist zu mir. Ein edler Mann, ein Deutscher, der meine Verzweiflung bemerkt hatte, und Menschlichkeit genug besaß, mich ihr zu entreißen. Gott segne ihn und schenke ihm heute einen guten Tag. Es mag jetzo etwas über's Jahr seyn, daß ich ihn kennen lernte. Er ist Stallmeister im Dienste der Markgräfin von Burgau, und befand sich dazumal in eignen Angelegenheiten zu Rom. Er schoß mir eine Summe vor, mit der ich Rom getrost verlassen konnte, und schlug standhaft jeden Dank aus. »Laßt das,« sprach der wackere Mann. »Was ich Euch gebe, ist nur ein kleiner Theil von dem, was ich Hülfsbedürftigen zu geben gelobt habe; allein ich kann gegenwärtig nicht über einen größern verfügen. Denkt zuweilen an mich, wenn's Euch gut geht, und sucht mich heim, wenn Ihr an meiner Wohnung vorüberzieht.« Somit schüttelte er mir die Hand und ich habe ihn nicht wieder gesehen. Seinem Empfehlungsschreiben an den Abt von St. Blasien im Schwarzwalde hatte ich es zu verdanken, daß ich daselbst Arbeit bekam, und von einem gelehrten Klosterherrn die Kunst aus dem Fundament lernte, alte Gemälde auf's beste zu reinigen und wieder herzustellen. Damals machte ich auch Eschenreuter's Bekanntschaft, der noch auf der hohen Schule zu Straßburg die Arzneikunde studirte, daneben aber Chemie und Alchymie eifrig trieb. Als er in der Folge wegen Rauferei und blutigen Händeln von der Schule gewiesen wurde, obgleich sein Ohm ein sehr geachteter Medicus in Straßburg ist, so kam er zu mir, theilte mit mir Tisch und Lager, und verschaffte mir zum Lohne dafür einen Ruf nach Prag, wo man in der kaiserlichen Burg eines geübten Mannes bedarf, um alte Gemälde, die der Kaiser vorzüglich liebt, zu putzen und aufzufrischen. Eschenreuter, der selbst von dem spanischen Botschafter dahin verschrieben wurde, seiner seltsamen Kenntnisse in Alchymia wegen, unternahm die Reise mit mir, als meine Arbeiten zu St. Blasien geendet waren. Wir wanderten fröhlich in die Welt, bis wir in Burgau das Abenteuer hatten, das uns in den Karzer brachte, aus dem unsere Pragerbriefe geholfen haben. Freund Eschenreuter ist vorausgegangen und ich pilgre nun über Worosdar, um der Fürstin und meiner Mutter zu zeigen, daß es doch nicht so übel mit mir stehen müsse, weil man mir kaiserliche Dienste angetragen. Vielleicht fällt dann ein kleines Geschenk ab, das ich nicht von der Hand weisen werde, obschon mich der Gang darum um das Vergnügen bringt, in Eurer Gesellschaft gen Prag zu ziehen.«

»Nicht doch, guter Freund,« rief Archimbald. »Ich ziehe mit Euch über Worosdar nach Prag. Der kleine Umweg ist keineswegs abschreckend für einen rüstigen Burschen wie ich. Wir bleiben beisammen.«

»Ist's Wahrheit?« fragte Erlwein verwundert und kaum seinen Ohren trauend … »Ihr wolltet …?«

»Ja doch! ich will.«

»Und wegen des Pferds, das Ihr kaufen und mir leihen wolltet …?«

»Tragt deshalb keine Sorge. Ich halte mein Wort.«

»Nu« … hier blieb Erlwein mitten auf der Straße stehen, stemmte beide Arme in die Seiten, und schaute dem Begleiter drollig neckend in's Gesicht … »Nu bei meiner Treu! da konnte ich nicht zu besserer Stunde ausgehen. Ich komme schnell von dannen, und wenn die Leute von Worosdar mich einreiten sehen, zu Pferde, an der Seite eines schmucken jungen Herrn … puh! wie werden sie die Hälse strecken! Mit welchen Augen sie mich betrachten werden! Wie ganz anders, als wenn ich zu Fuß, mit dem Ränzel auf dem Rücken durch den Koth angewatet käme, wie ein jeder gemeiner Handwerkslümmel! Gott vergelt's Euch, was Ihr an mir zu thun gesonnen seyd. – Wie man sich doch irren kann! Als wir in Burgau auf eine Streu kamen, (was auch nicht geschehen seyn würde, wenn nicht mein wackerer Stallmeister mit der Frau Markgräfin verreist gewesen wäre) hielten wir Beide, Eschenreuter und ich, den neuen Ankömmling für einen Landstreicher, oder etwas ärgeres, und jetzo … ich muß Euch noch heute um Verzeihung bitten wegen der Keckheit, mit der ich nach diesem blitzenden Dolch zu greifen wagte, der gegenwärtig so prahlend an Euerm Gürtel hängt, dazumal sich aber unter Lumpen hervorstahl. Damals und jetzt! Gestern im Bettlerkittel, heute im feinen Tuchwamms. Ich lasse mir's nicht nehmen, Ihr seyd entweder ein vornehmer adeliger Junkherr, oder ein Neusonntagskind … oder … doch es schickt sich nicht, zu sagen, was ich jetzt gerade denke.«

»Oder?« – fragte Archimbald lächelnd; »heraus damit!«

»Oder … ein Bastard!« platzte Erlwein heraus, »denn den Fallkindern wie den Neusonntags- und adeligen Buben läßt das Schicksal die gebratnen Schnepfen in's Maul fliegen. – Nun, nun, macht nur kein mürrisch Gesicht, lieber Herr, ich hab' es ja nicht böse gemeint, und an mein vorlautes Maul müßt Ihr Euch schon gewöhnen; ich bin bereit Euere ehrliche Herkunft zu beschwören, ob ich Euch gleich nicht kenne, um zu beweisen, daß ich kein boshaftes Wort geredet habe.«

»Schon gut, Landsmann!« versetzte Archimbald, sein Mißvergnügen unter erzwungener Freundlichkeit verbergend. – »Die Sonne steigt aber schon hoch, und wenn wir, wie bisher, neben einander her wandeln, werden wir nicht weit kommen. Am besten wird seyn: Ihr nehmt, so gut es der Raum erlaubt, hinter mir auf dem Gaule Platz, bis wir das nächste Städtlein erreichen. Legt mir Euer Ränzlein vorne hin auf den Sattel – so! Jetzt schwingt Euch auf, und haltet Euch an meinem Gürtel. So! Sitzt Ihr fest?«

»Ich denke, ich sitze so fest, als es angeht!« entgegnete Erlwein, und nahm so gut es sich thun ließ, von dem gefährlichen und unbequemen Platze Besitz.

»Warte! dir will ich den Bastard eintränken, du ungeschlachtes, ungewaschenes Maul!« dachte sich Archimbald in seinem argen Sinn, und spornte den Gaul bald dermaßen an, daß dem Doppelreiter Hören und Sehen verging, und er alle Besinnungskräfte nöthig hatte, sich auf dem Pferde zu erhalten. Im Anbeginn klagte und jammerte er; als er aber merkte, daß Archimbald zu seinen Seufzern lachte, so verschloß er seine Angst in der verschwiegenen Brust, und klammerte sich so kletter- und eisenfest an den Vordermann, daß derselbe gerne in kurzer Frist das Roß langsamer gehen und verschnaufen ließ, um nicht von dem Aufhucker im Sattel erstickt zu werden.

»Wir können Beide boshaft seyn, wie ich merke,« sprach hierauf Erlwein, der mit Zufriedenheit den Erfolg seines Kunstgriffs wahrnahm. »Wenn Ihr mir aber wegen meines unbedachtsamen Wortes von vorhin den Schabernak gespielt habt, so laßt es gut seyn, und uns Freunde bleiben. Ich gebe Euch auch mein Wort, nimmer vorwitzig zu seyn, besonders da ich sehe, wie Ihr so schnell und unversöhnlich Rache zu nehmen pflegt.«

Archimbald nickte ihm freundlich und versöhnt zu, und der Gaul trug sie leichten und gemächlichen Schritts in Kurzem an das Thor des Städtleins, wo für den neuen Reisegefährten gesorgt werden sollte.

Sie hätten auch zu keinem für ihr Vorhaben günstigern Zeitpunkt daselbst ankommen können. Es war Jahrmarkt in dem Städtchen, die Heerstraße besät mit Menschen, die ihn zu besuchen kamen, die davon zurückgingen. Im bunten Zuge drängten sie sich an's Thor, wo die stattlich geputzten Wächter, auf gebänderte Spieße gelehnt, schon im Voraus die Jahrmarktsgerechtigkeit beurkundeten. Zu Pferde, zu Wagen und zu Fuß strömte die Menge in den Straßen und zwischen der auf dem Markte aufgeschlagenen Budenreihe umher. Frisches Leben, lustige Regsamkeit, wo man nur hinsah; Getümmel und fröhliches Geschrei, wo man nur hinhorchte. Kaum war es Mittag und schon erklangen ringsum die schnarrenden Fideln, die schmetternden Schalmeien. Während ältere Landleute und Bürger Erholung an dem reichhaltigen Imbiß suchten, den der Wirth für schweres Geld und gute Worte auftischte, schwenkten sich schon die Dirnen mit den jungen Burschen im Tanzsaale. Die Käufer wirbelten noch auf dem Markte hin und her. Dort rumpelte der mit Säcken und Kisten hochbeladene Karren eines Landpfarrers zum Thore; hier verzweifelte eine alte Bäuerin daran, ihre widerspenstige Ziege durch's Gedränge zu bringen. Auf jener Seite kramte ein Quacksalber seinen Theriak aus; auf dieser wurde ein Jude, auf dem Betrug ertappt, jämmerlich durchgeprügelt. Hinter jener Bude koste ein liebendes Pärchen mit Kuß und süßem Geflüster; hinter dieser theilten ein Paar Gauner die flink gewonnene Beute. Kaum konnten die Reisenden auf einem Gaule sich durch das Gewühl zu der Herberge arbeiten, die auf dem Kirchplatze, mit vergoldetem Schilde weit in die Ferne prangend, sich den Fremden als die beste empfahl. Ein dicker Krautjunker jedoch, der im hellrothen, gelb verzierten Feiertagswamms auf den Jahrmarkt zur Freite geritten war, machte, Dank sey es den schwerfälligen Tritten seines Holsteiners, Bahn gegen das Wirthshaus, und Archimbald nebst seinem Hintermann, der nicht ungeneckt davon gekommen war, erreichte endlich mit angestrengter Mühe den Hafen. Dem Gaule ward der Stall, den Reitern die Stube geöffnet, die so voll gepfropft von essenden, zechenden und plaudernden Gästen war, daß nur das vornehme Aussehen Archimbald's und des blitzenden Dolchs an seinem Gürtel, ihm und seinem Diener, für welchen die Kellnerin den Maler schlechthin annahm, ein Plätzchen in der Ecke verschaffen konnte. Erlwein fiel erschöpft auf die Bank, und leerte den ersten Krug auf einen Zug. – »Lieber Herr,« sprach er, »nehmt's nicht übel, ich verschmachtete aber schier vor Durst, und der Qualm in der niedern Stube ist mir so erstickend auf die Brust gefallen, daß ich der kühlen Fluth bedurfte, wie ein Fisch der seinigen.«

»Auf Euer Wohl, gnädiger Junkherr!« lächelte die Kellnerin, ein braunes Mägdlein mit schwarzen Schelmenaugen, Archimbalden zu, und kredenzte ihm den frischen Humpen. »Ich bring's Euch!« – »Schönen Dank, lieb' Mädel,« erwiederte der Jüngling, und umfaßte der Dirne schlanken Leib. »Der Trunk, von dem Deine kussigen Lippen genippt, soll mir doppelt schmecken.« Mit gezierter Verschämtheit wand sich die Leichtfertige aus seinem Arm, und sprang eilig davon, um das bestellte Mahl für den angenehmen Gast zu besorgen. Archimbald starrte ihr mit glühenden Augen nach. Erlwein aber spottete: »Ihr brennt ja lichterloh, mein liebes Herrlein. Kömmt mir's doch vor, als gucktet Ihr zum ersten Male in die Welt, da Euch das lüsterne Ding also in Flammen setzt. Laßt Euch aber solches vergehen, lieber Herr. Solche Dirnen sind nicht für Leute Eueres Standes, und der Edelmann, der sich zu ihnen heruntergibt, ist entweder ein verdorb'ner Gesell oder auf dem Wege, ein solcher zu werden; denn er hat bloß das Vergnügen, an Sonn- und Feiertagen den Hausknecht abzulösen, der alsdann keine Zeit hat, die Liebkosungen, mit welchen er die Woche hindurch so freigebig gegen seinen Herzensschatz ist, an Mann zu bringen. Wer Pech angreift, besudelt sich. Glaubt mir, ich rede aus Erfahrung, und mancher schmucke Junker könnte aus dem Schatzkästlein meiner Praxis Nutzen ziehen. An Euerer Stelle würde ich die kleine schwarze Hexe mit den plumpen Füßen und den rothen aufgedunsenen Fäusten straks vergessen, und lieber nach den Frauen schielen, die dort um die Ecke auf das Haus zugeritten kommen. Alle Wetter! das sind Gestalten! Seht nur!«

Alle Anwesenden stürmten bei dem Klang einer Trompete, die über den Markt herüberschmetterte, an die Fenster; Archimbald sprang mit seinem Begleiter in die Hausthüre. Zwei Trompeter in kostbarer Livree saßen so eben ab. Ein blasser Herr, in grünen Unterkleidern und aschgrauem mit Pelz verbrämten Reiserocke, kam dicht hinter ihnen angesprengt, und ihm folgten, in langsamem Schritte durch das Volk reitend, das links und rechts ehrfurchtsvoll auswich, fünf Damen in schwarzen Gewändern. Eine Sänfte, von Maulthieren getragen, ein geschloß'ner Rüstwagen, und ein zahlreiches Geleit von bewehrter Dienerschaft schloß den Zug, der vor dem Gasthause hielt. »Das sind die Farben von Burgau,« flüsterte Erlwein seinem Begleiter zu; »und die Trompetenfähnchen tragen das markgräfliche Wappen.«

Mittlerweile waren die Damen nahe gekommen. Der aschgraue Herr hatte sich vom Gaule geworfen, und ging denselben entgegen. Die zwei Vorausreitenden waren unstreitig die vornehmsten der Ankömmlinge; ihre stolze Haltung auf den Rossen, wie auch die eng anschließenden Gewänder verriethen edle Frauen; allein die Gesichter waren von neidischen Reisemasken bedeckt. Die drei übrigen Frauen schienen Dienende zu seyn; denn aus ihren unverhüllten Zügen sprach Unbedeutendheit und der Gleichmuth derjenigen, die es gewöhnt sind, willenlos fremdem Gebote zu folgen. – Die Rosse standen; der Wirth, die grüne Sammtmütze unter dem Arme, erstarb vor unterthäniger Demuth auf der Schwelle des Hauses, und der aschgraue Reiter bot mit einem tiefen Bückling und den ehrfurchtsvollen Worten: »Erlaubt, gnädigste Frau Markgräfin!« der einen Verlarvten die Hand, ihr auf den Boden zu helfen. Im selben Augenblicke sprang ein unehrerbietiger Hofhund bellend zwischen die Pferde hinein, und machte sie durch den überraschenden Anfall scheu. Jenes der Markgräfin bäumte sich und stieg in die Höhe; mit einem leichten Schrei riß die erschrockne Reiterin am Zaume, und verdarb dadurch Alles. Das Roß wurde wilder, der Reisemarschall sprang, besorgt für seine Gliedmaßen, auf die Seite, und die Diener hatten mit ihren eigenen unruhig werdenden Rossen zu thun. »Wer hilft?« schrie die Begleiterin der Markgräfin ängstlich; aber die Ruhe war wieder hergestellt, ehe sie geendigt hatte, denn Archimbald war dem tollen Pferde in die Zügel gefallen, und es gehorchte seiner starken Faust. Ehrfurchtsvoll bot er der erlauchten Reisenden seine Hülfe an. Mit dankbarer Kopfneigung bediente sie sich derselben, und sprang, dem herzueilenden Marschall einige spöttische Worte zurufend, an des Retters Hand zur Erde. Die Dienerschaft ringsumher war abgesessen, und noch hielt die Begleiterin der Fürstin zu Pferde. Der beschämte Marschall wollte auch ihr seine Dienste weihen, allein auch sie verschmähte dieselben. »Schämt Euch, Herr Marschall,« rief sie dem Muthlosen verächtlich zu; »war das ritterlich? Der beherzte junge Mann, welcher that was Ihr nicht lassen solltet, wird Euern Dienst auch bis zu Ende verrichten.«

Der arme Marschall stand verdutzt, und Archimbald flog zu der, welche seines Beistands begehrte. »Wie lange soll ich noch auf Euch warten?« rief indessen die Markgräfin, die von ihren Frauen umgeben vor dem Hause stehen geblieben war. »Euern Arm, Freiherr!« – Zitternd folgte dieser der strengen Mahnung, während der glücklichere Archimbald seiner Dame vom Pferde geholfen, die blitzenden Augen, die durch ihre Maske strahlten, bewundert, und durch den leichten Handschuh hindurch den dankbaren Druck ihrer füllreichen Hand empfunden hatte.


 << zurück weiter >>