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Fünftes Kapitel.
Der Adelberger Turm.

Der Adelberger Turm war vom Rat aus verschiedenen Gründen als Gefängnis für die Pfarrherren gewählt worden. Ins gemeine Gefängnis sollten sie nicht geführt werden, unnötige Schmach wollte man nicht auf sie häufen; im Adelberger Turm waren noch nie Übelthäter eingekerkert gewesen. Sodann hatte er nur ein einziges Gelaß ganz oben nahe dem Dach; aber dieses eine war geräumig genug, um eine größere Gesellschaft aufzunehmen. Zu dem Gelaß führte eine steile und enge hölzerne Treppe. Der Eingang zum Turm, ein schmales Pförtchen, lag gegen Norden, unmittelbar an der Stadtmauer. Das Gelaß hatte in Mannshöhe nach jeder Himmelsgegend eine vergitterte Öffnung. Dahin brachte man die Pfarrherren. Der Kirchherr hatte unten an der Treppe es offenbar für sicherer gehalten, auf eigenen Füßen hinaufzusteigen, als sich hinaufschleifen zu lassen. So waren denn die Gefangenen bald oben. Mit der Ausstattung des Raumes hatte sich der Rat nicht sehr angestrengt. Einige Bunde Stroh, ein Krug und ein Becher, das war alles.

Mit dem Kirchherrn waren der Schultheiß und Hartmut heraufgekommen. Die Diener wurden hinuntergeschickt.

»Kirchherr,« hob der Schultheiß an, »Ihr habt uns gezwungen, Gewalt gegen Gewalt zu setzen. Höret des Rats feste Meinung. Ihr bleibt hier und bekommt nicht mehr als jeden Tag einen Krug Wasser und einen Laib Brot, bis Ihr uns durch den Diener, der täglich nach Euch sieht, sagen lasset: »Wir lesen die Messe.«

Der Kirchherr antwortete: »Ist das des Rats fester Beschluß, so ist es der unsrige, eher zu sterben, als daß wir gegen des Bischofs Gebot Euch Messe singen.«

»Wir wollen sehen!« sagte Kurt Hartmut und folgte dem Schultheißen, der nicht Willens war, sich mit den Pfarrherren noch einmal weiter einzulassen.

Stundenlang war die kurze Gasse, die von den Barfüßern zum Adelberger Turm führte, mit Menschen gefüllt. Alle starrten den Turm an. Aber es war nichts zu sehen, als der Wächter, der mit seiner Hellebarde an dem geschlossenen Pförtchen stand.

Als der Schultheiß und der Ratsherr den Turm verlassen hatten, rief der Kirchherr bitter lachend: »Wäre dieser Hartmut nicht im Rate, es wäre soweit nicht gekommen! Hättet Ihr den Heilbronnern es zugetraut, daß sie Ernst machen? Daß sie ein großes Maul haben, das weiß ich schon lange. Aber vom Wort zur That ist es sonst bei ihnen so weit, daß unterwegs die meisten umfallen und liegen bleiben.« Während dieser Worte nahm der Kirchherr einen der Strohbunde, schob ihn an die Mauer und ließ sich darauf nieder.

Die Pfarrherrn wären gerne dem Beispiel ihres Vorgesetzten gefolgt, wenn es elf Strohbunde gewesen wären, aber es waren nur vier. Wenn sich also auch drei Pfarrer auf einen Bund drängten, so blieb immer noch ein Pfarrer übrig zum Stehen. Daß der jüngste der Pfarrherrn, Philippus Helt, ohne vorher den Kirchherrn zu fragen, sich auf dessen Bund, wenn auch ziemlich weit außen, so daß er beinahe abrutschte, niederließ, war der erste Riß, der im Adelberger Turm in die geheiligte Ordnung der Präsenzherren gemacht wurde. Der Kirchherr sah den jungen Pfarrherrn sehr streng, sehr unwillig an, aber er sagte nichts, und der Blick des Gestrengen genügte nicht mehr, den Kühnen wegzutreiben. So saßen denn alle, und es stand im Turmgelasse nichts mehr als der Wasserkrug und der Becher, neben denen der Brotlaib lag. Das gab den Gedanken der Pfarrherrn eine ernste Richtung, und indem sie diese Richtung verfolgten, schwiegen sie.

Indessen machte der Pfarrherr Ulrich Schnizer sich seine eigenen Gedanken. Er hatte in der Präsenz die Aufgabe, für die leiblichen Bedürfnisse der Priester zu sorgen. Ihm teilte sich ein Laib Brot wie von selbst in elf Teile. Der Laib dort, der so ruhig dem Kruge und Becher Gesellschaft leistete, gab elf wackere Stücke; aber was will so ein Stück Brot heißen für einen gesunden Mannsmagen, wenn es von einem Sonnenaufgang bis zum andern die einzige Nahrung sein soll! Ulrich Schnizer seufzte tief auf. Die elf Priester schwiegen lange. Dem Kirchherrn wurde das Schweigen doch endlich zu lang. »Brüder«, sagte er, »laßt uns miteinander einen Psalm singen! Laßt uns singen: De profundis, aus der Tiefe ruf ich, Herr, zu Dir!«

»Sind wir für diesen Psalm nicht ein wenig zu hoch hinaufgesperrt?« fragte schelmisch lächelnd Konrad von Klaubern, der auch sonst unter den Pfarrherrn als ein Spaßmacher galt, und der bei seinen Worten auf die hohe, steile Treppe deutete, die frei im Gelasse mündete.

Die Pfarrherrn konnten ein Kichern nicht unterdrücken, selbst der alte Sifrit Busenhart lächelte. Das war der zweite Riß in die Präsenzordnung, der zweite in kurzer Zeit! Wohin sollte das noch führen? Der Kirchherr sprang entrüstet auf. Aber sein Aufschnellen hatte zunächst nur die Folge, daß Pfarrherr Philippus Helt vollends vom Strohbund abrutschte und ziemlich stark auf dem Boden aufsaß. Das geschah so schnell, daß allgemeines Gelächter erscholl, ehe der Kirchherr das erste Wort seiner Entrüstung hervorgebracht hatte. Aber die Entrüstung brach dann doch los. »Brüder«, schrie der Kirchherr, »sind wir denn in einem Fastnachtsschwank? Ihr lachet und bedenket nicht, daß wir alle hier sterben werden als treue Diener unserer Kirche.«

»Kirchherr«, sagte Sifrit Busenhart und stand auch auf, »nehmet es nicht so arg, daß wir lachen. Wir wissen ja alle, daß wir hier ein heiliges Märtyrertum haben sollen; aber ist es nicht der grundgütige Gott selbst, der durch seine Schickungen gar oft, wie neben die Wetterwolken den Regenbogen, so neben die Thränen das Lachen stellt, damit der Thränen Bitternis nicht ganz das Herz zerfresse.«

»Ich verstehe Euer Lachen nicht«, sagte düster der Kirchherr. »Wenn Ihr so fest entschlossen seid, zu sterben, wie ich es bin, dann kann es nichts Lächerliches mehr geben. Aber sei es drum, wir singen jetzt den Psalm: ›Ich hebe meine Augen auf‹.« Bald erscholl kräftig und in dem weiten Gelaß widertönend der Gesang der Priester.

Alle die Zeit, in welcher die Vorbereitung zur Gefangennahme der Priester getroffen und dann die Sache selbst ausgeführt wurde, hatte der treuste Freund der Priester, Bruno Hartmut, gut ausgenützt. Er hatte Uz fortgeschickt, beim Metzger Rauchfleisch, beim Bäcker schönes weißes Brot zu holen. Zu diesen Einkäufen gab er ihm von seinem eigenen Geld mit. Dann holte er zwei von den großen zinnernen Flaschen, in welchen den Weinbergtaglöhnern der Trunk mit in den Weinberg hinausgegeben wurde. Die Flaschen nahm er in den Keller. Während er hinabstieg, pochte ihm sein Herz gewaltig. War das recht, was er thun wollte? Eigentlich nicht, eigentlich ging er zum erstenmal in seinem Leben auf einen Diebstahl aus. Aber der Vater hatte ja gesagt: »Hilf Deinen Pfaffen, wenn Du kannst!« Er wollte ihnen helfen, wenn's auch der Vater nicht so gemeint hatte. Hinten im Keller war ein Faß, voll mit feinstem Würzwein, der mit dem Schiff einst den Rhein und Neckar herausgekommen war. Das mußte schon ein besonders lieber Gast sein, wenn ihm zu Ehren nach der Mahlzeit von diesem Claret eine Kanne geholt wurde. Von dem Edelwein sollten die armen Pfarrherrn bekommen.

Es fiel Bruno nicht schwer, alles, was er fürs erste in den Turm schmuggeln wollte, im Warenlager bis zum Abend gut zu bergen. Bis der Vater zurückkam, sich freuend, daß der Hunger bald die Widerspenstigen gebändigt haben werde, hatte der Sohn reichlich für die Sättigung der Hungrigen gesorgt, und wäre Kurt Hartmut nicht so ganz erfüllt gewesen von Befriedigung über das Geschehene und Erreichte, er hätte im Auge des Sohnes den schadenfrohen Spott wahrnehmen müssen.

Der Tag wurde den Herren im Turme recht lang. In einer der vielen mit Schweigen ausgefüllten Pausen zwischen den Gesängen und Gebeten berührte der Kirchherr unwillkürlich das Päckchen, das Bruno in die Konventsstube geworfen, und das der Kirchherr alsbald zu sich gesteckt hatte. Er holte es jetzt heraus, erzählte den Leidensgenossen die Sache und sagte, er sei begierig, was der treue Bursche wohl zuwege bringen werde.

Der Abend kam. Ulrich Schnizer hatte seines Amtes gewaltet; er hatte den Brotlaib in zwei Hälften geschnitten und die eine Hälfte wiederum in elf Teile geteilt, nicht ohne einen, den für den Kirchherrn bestimmten, größer gemacht zu haben als die zehn anderen. Die Priester hatten das Gebet über die trockene Speise gesprochen und die Mahlzeit gehalten. Dann wurden die Strohbunde geöffnet, und Philippus Helt als der jüngste bereitete ein Streulager. Wer wohl wachen werde, wenn je der Wachtelschlag sich hören lasse, fragte der Kirchherr; alle sagten, sie glauben, das Lager werde nicht so weich sein, daß sie in allzufesten Schlaf fallen. Nun stimmten sie noch einen Vespergesang an. Manche Heilbronnerin fühlte Mitleid mit den gefangenen Priestern, als der bekannte Gesang über den östlichen Teil der Stadt hintönte.

Die Nacht kam; es stand die Mondsichel hinter dünnem Gewölk am Himmel, so daß die Umrisse der Häuser sich vom schwachen Schein des Himmels abhoben. Bruno hatte sich an die Kammer des Uz geschlichen; dieser war schon bereit. Es gelang ihnen, die Schuhe unter den Armen tragend und auf den Socken schleichend, lautlos bis zum Warenlager zu gelangen. Unhörbar ward auch das Thor geöffnet, und bald schlichen die jungen Leute mit ihrer Last an den Häusern der Sülmergasse hin. An der Thüre der Barfüßerkirche machten sie Halt. Tiefe Stille herrschte in der Gasse. Flüsternd besprach Bruno den Plan mit Uz. Dieser sollte zunächst allein sich möglichst nahe an den Turm schleichen und zu erkunden suchen, wie es mit dem Wächter stehe. Nach wenigen Minuten war Uz schon wieder zurück und meldete, der Ratsdiener sitze auf der Staffel und schlafe einen schönen Schlaf. So wollten sie den Korb an die südliche Seite des Turmes bringen, dann sollte Uz den Wachtelschlag ertönen lassen. Sei die Verbindung mit den Gefangenen hergestellt, dann sollte Uz sich möglichst weit zurückziehen, etwa bis zum Hof gegenüber den Barfüßern und dort durch Lärm den Scharwächter hinlocken.

Ohne daß der schlafende Ratsdiener irgend in seiner Ruhe gestört worden wäre, kamen die Jünglinge an die Turmmauer. Da schlug dreimal die Wachtel. Bruno hörte, wie es oben im Stroh raschelte, aber sonst ließ sich kein Laut vernehmen. Uz war an die Ecke vorgeschlichen und hatte gesehen, daß der Wächter den Kopf erhoben hatte; da aber nichts weiter sich hören ließ, so sank auch bald wieder das müde Haupt auf die Brust. Indessen war kaum hörbar ein Steinchen dem Bruno beinahe vor die Füße gefallen. Er tastete und hatte bald die Schnur in der Hand. Schnell band er an sie eine starke Leine, schlang das andere Ende fest um den Henkel des Korbes und gab nun Uz durch einen leichten Stoß das Zeichen, den Wachtelschlag noch einmal ertönen zu lassen. Nachdem dies geschehen war, kroch Uz wie ein Wiesel so leicht und so leise auf allen Vieren davon, und schon wenige Augenblicke nachher kämpften unten, wo's von der Adelbergergasse in den Hof rechter Hand hineingeht, zwei Kater auf Tod und Leben und verführten dabei ein Geschrei, daß der Wächter am Turm jäh auffuhr und es sich nicht versagen konnte, sich zu erheben und sich dem Kampfplatz der beiden Nebenbuhler etwas zu nähern. Indessen zogen die Priester die Schnur an. Bald war der Korb oben am Gitter. Leise besprach sich Ulrich Schnizer mit Philippus Helt. Dieser kletterte, geschoben von zwei Priestern, auf die Schulter Schnizers, den wiederum zwei andere rechts und links stützten. Nun war Helt in der Höhe des Korbes und konnte mit raschen Griffen ein Stück ums andere holen und hereinbieten. Die Zinnflaschen waren so groß, daß sie zwischen den Stäben eben noch sich durchzwängen ließen. Leer schwebte der Korb rasch wieder hinab. Die Kater balgten sich immer noch; langgezogene Klagelaute und wütende Schreie wechselten miteinander, bis Bruno mit dem Korbe wieder unten bei den Franziskanern war und einen Pfiff ertönen ließ. Der brachte die Kater rasch zur Ruhe, und hätte Kurt Hartmut eine Viertelstunde nachher in der Kammer seines Sohnes und der des Uz nachgesehen, ob die jungen Leute fein ordentlich im Bette liegen, so hätte er schon sein Ohr aufs Herz des Sohnes legen müssen, um herauszubringen, daß dieser in der letzten Stunde nicht geschlafen habe.

Im Turm oben schaffte Ulrich Schnizer die Gaben des Freundes in eine Ecke. Dann lagerten sich wieder alle Priester und schliefen ein, nicht wenig getröstet in dem Bewußtsein, daß treue Herzen ihrer gedenken. Bald schlief auch wieder der Wächter und träumte, daß zwei Katzen eine Wachtel fingen und zerrissen.

Als am Morgen die ersten Sonnenstrahlen durch das östliche Fensterchen in den Turm hineinleuchteten und goldene Streifen an die kahlen Wände malten, da sah es bei der gefangenen Priesterschaft von Heilbronn nicht ganz so aus, als ob sie an dem angebrochenen Tage dem Hungertode verfallen sollte. Zuerst wurden die herrlichen Gaben der Nacht durch zusammengerafftes Stroh wohl geborgen, dann der Rest des ersten Laibs verteilt. Bald hörten die Priester, daß die Turmpforte aufgeschlossen wurde. Langsam und bedächtig kam ein Ratsbote die Treppe herauf, begleitet von einem Knechte.

»Der Rat läßt fragen, ob die Pfarrherrn Messe singen?«

Einstimmig ertönte die Antwort: »Wir singen nicht.«

»So schaff den Priestern, was der Rat ihnen heute giebt,« sagte der Ratsbote zum Knechte. Der nahm den leeren Krug und stieg mit ihm die Treppe hinab.

Der Ratsbote wunderte sich, während er auf das Wiederkommen des Knechtes wartete, daß die Pfarrherren gar nicht betrübt aussahen. Und sie wurden auch nicht betrübt, als der Knecht mit dem frisch gefüllten Krug einen Brotlaib brachte um etliches kleiner als Tags zuvor.

»Also Ihr singet nicht?«

»Nein, nein!«

Der Ratsbote verließ den Turm, und dröhnend wurde die Pforte wieder geschlossen.

Wenn auch nicht die Messe, so sangen die Pfarrherrn alsbald hernach wieder einen Psalmen. Dann machten sie sich daran, die Schätze, die sie aus der Tiefe heraufgefischt hatten, näher zu besehen. Der Pfarrherr Ulrich Schnizer berechnete mit Schmunzeln, daß sich von den Gaben Brunos zwei Tage herrlich leben lasse. Wenn dann nur immer wieder zur rechten Zeit die Wachtel schlagen würde, dann wollten sie noch oft und freudig dem Rat sagen lassen: »Wir singen nicht!« Der Pfarrherr Diez Schenck hatte eine der zinnernen Flaschen geöffnet und roch hinein. Er sog mit Behagen den feinen Duft ein, der aus der Flasche aufstieg. »Ei, ein herrlich Tröpflein hat Hartmuts Sohn uns spendiert!« Philippus Helt hatte schon, ohne den Kirchherr zu fragen, den Wasserbecher geholt. Er winkte dem Diez Schenck zu und sagte: »Mach Deinem Namen Ehre, komm, sei unser Mundschenk!« Diez folgte lachend. Alsbald umstanden alle Pfarrherrn den Genossen, der an der schweren Flasche tüchtig zu halten hatte. Er kredenzte den Becher zuerst dem Kirchherrn. »Es ist noch früh am Tage,« sagte dieser, »wir sollten noch nicht diese edle Gabe kosten. Aber unseres Leibes Schwachheit mag es entschuldigen.« Der Kirchherr nahm einen kleinen Schluck und gab dann den Becher an Sifrit Busenhart weiter. »Nie ist edlerer Wein in geringerem Becher dargeboten worden,« meinte dieser und fragte weiter: »Woher wohl Bruno diese Gottesgabe hat?« »Woher er den Wein hat? Seinem Vater hat er ihn gestohlen!« platzte Konrad Buchein heraus, der unter seinen Amtsgenossen dafür bekannt war, daß er sehr derb die Wahrheit sagen konnte.

»Gestohlen?!« riefen mehrere zusammen. »Wie kannst Du so reden!«

»Entwendet mußt Du sagen,« sprach der Kirchherr in sehr lehrhaftem Tone, »entwendet, wie die Kinder Israel den Ägyptern silberne und goldene Gefässe entwendet haben als gerechten Lohn für ihre lange, schwere Arbeit. Gehört nicht alles Gut Kurt Hartmuts dem Herrn, dem wir dienen? Bruno hat das, was sein Vater uns vorenthielt, in die rechten Hände kommen lassen.«

Konrad Buchein war durch die Belehrung des Kirchherrn und durch den Zuruf seiner Genossen noch nicht anderer Meinung geworden; er schüttelte heftig sein großes Haupt und trank dann doch einen größeren Schluck als die, welche vor ihm den Becher in der Hand gehalten hatten.

Der feurige Wein durchrieselte die Adern der Priester und weckte zuvörderst in ihnen das Verlangen nach Speise. Bald saßen alle auf den Strohschütten, den Rücken an die Wand gelehnt und verzehrten, was Ulrich Schnizer aus den Vorräten von geräuchertem Fleisch und weißem Brot jedem zurecht gemacht hatte. Das gesalzene Fleisch hinwiederum weckte neuen Durst, und abermals waltete Diez Schenck seines Amtes.

»Brüder, Brüder«, rief warnend der Kirchherr, »werdet nicht zu üppig, sonst könnte es uns gehen, wie es vor kurzem den Dominikanern in Wimpfen ergangen ist.«

»Wie ist es denn denen ergangen?« fragte Johannes von Überlingen, der gerne Geschichten hörte und noch lieber Geschichten erzählte.

Der Kirchherr war sonst nicht so sehr bei der Hand, Geschichten zu erzählen; aber der Claretwein rieselte in seinen Adern nicht weniger als in denen der andern Priester und machte ihn munterer auch in leichtem Gespräch.

»Den Dominikanern erging es folgendermaßen«, hub er an. »Sie hatten, wie es sich geziemt, reichlich gefastet mehrere Tage lang, bis vor das Fest der Geburt der Himmelskönigin. Aufs Fest aber hatte ihnen ein Ritter, ein Herr von Gemmingen aus Fürfeld oder aus Bonfeld, eine ganze Kette von Rebhühnern geschickt, und ein Bäuerlein von Biberach hatte drei schöne Krauthäupter gebracht, herrliches, festes Rotkraut.« – Während der Kirchherr dies erzählte, machte der Pfarrherr Johannes Sontheim, der dickste der Priester, der stets den kräftigsten Hunger hatte, wenn es zu Tische ging, sonderbare Grimassen. Es lief ihm eben auch so arg das Wasser im Munde zusammen, als der Kirchherr so schön erzählte. Dieser aber fuhr fort: »Das wußten die Dominikaner alle, und so dachten sie am letzten Tag vor dem Feste an nichts anderes denn an die Rebhühner und das Rotkraut. Das gefiel der Himmelskönigin sehr wenig, und als sie nun zu dem ersehnten Mahle sich niederließen, und alle Augen auf die zugedeckten Schüsseln sich richteten, da offenbarte Maria ihren Zorn; denn wie der Bruder Küchenmeister von der großen Platte den Deckel abhob, da hüpften ekelhafte Kröten im – Mist! Brüder, fürchtet Euch vor dem Zorn Marias!« Den Pfarrherrn Johannes Sontheim schüttelte es frei. Er beugte demütig seinen Sinn vor dem strengen Gericht der Himmelskönigin.

Da lachte auf einmal Konrad Buchein hinaus, so daß ihn alle ansahen, der Kirchherr mit einem strafenden Blick. Er hatte auf einem Stückchen Weißbrot noch eine wackere Scheibe Rauchfleisch liegen. »Ich muß lachen, weil mich dies Rauchfleisch an den Bruder Johannes bei den Barfüßern erinnert. Von dem erzählte mir der Küchenmeister der Minoriten, was er mit Schinken und Rauchfleisch für eine Geschichte ausgeführt hat. Die Minoriten hatten sechs Schweine geschlachtet, um für den Winter einen ordentlichen Vorrat zu haben. Der Rauchfang hing voll von Schinken und schön zugerichteten Fleischstücken. Wie da eines Tages der Küchenmeister in den Rauchfang blickt, will es ihm dünken, als ob einige Schinken gar zu leicht vom Luftzug bewegt würden. Er holt eine Leiter, steigt hinauf und sieht, daß zwei, drei, vier Schinken nichts mehr sind, als Schwarte und Knochen. Vor Schrecken fällt der Bruder Küchenmeister beinahe von der Leiter. Er eilt zum Prior und meldet ihm, was er entdeckt hat. Der befiehlt ihm, die Küche offen zu lassen, sich zu verstecken und den Rauchfang wohl im Auge zu behalten. Richtig, noch nicht lange hat sich der Küchenmeister hinter den Wasserstanden geduckt, so schleicht Bruder Johannes in die Küche, schaut um sich nach allen Seiten, horcht hinaus in den Gang, und weil er nichts sieht und nichts hört, was ihn stören könnte, so holt er schnell die Leiter aus der Ecke der Küche und steigt in den Rauchfang hinauf, kommt auch bald wieder mit einem Schinken herab. Den fleischt er aus, als ob er sein Lebtag nichts anderes als ein Metzger gewesen wäre. Wie er aber den Knochen, an welchem die Schwarte nur noch wie ein armseliges Mäntelchen herumhing, wieder in den Rauch bringen will, stürzt der Küchenmeister aus seinem Versteck hervor und ergreift den Bruder Johannes, fängt auch gleich zu schreien an, daß nicht wenige der Brüder herzueilen, zuletzt auch der Prior. Da gesteht denn Bruder Johannes, daß er für arme Witwen das Fleisch geholt hat. Der Prior schilt ihn heftig, Johannes aber entgegnet in seiner Art: ›Das kann die Gottesmutter alles ersetzen‹. Nun denkt Euch einmal den Bruder Johannes auf der Leiter unter den ausgehöhlten Schinken!« Die Pfarrherrn lachten. Sifrit Busenhart aber sagte: »Bruder Konrad hat in seiner Geschichte das Schönste vergessen. Ich will es nachholen. Noch schalt der Prior den liebevollen Dieb, da eilte der Pförtner herbei und meldete, es stehe ein Weingärtner an der Klosterpforte und führe ein stattlich Schwein mit sich, das er den Barfüßern verehren wolle. Bruder Johannes aber sagte: ›Seht Ihr, wie die Gottesmutter den Schaden ersetzt‹.«

Johannes von Überlingen rief: »Nein, das Allerschönste wisset Ihr doch alle noch nicht von meinem Namensvetter bei den Franziskanern! Das hab' ich erst vor wenig Wochen selbst mit angesehen.«

»Halt, halt!« rief lebhafter als sonst seine Art war, Diez Schenck, »ehe Du erzählst, will ich Herrn Hartmuts Claret noch einmal in die Runde gehen lassen.«

»Wie, schon wieder?« sagte der Kirchherr; aber es lag in seinen Worten nicht der düstre Ernst der letzten Tage. Er sagte auch nichts weiter, als Diez Schenck ruhig den Becher füllte und ihn dem Kirchherrn wieder darreichte.

Der Wein mundete offenbar dem gestrengen Herrn mit jedem Schluck besser. Dreimal mußte Diez Schenck nachfüllen, bis jeder der Pfarrherrn getrunken und auch er, der Mundschenk, seinen Teil bekommen hatte. Ah! was doch für ein Feuer mit dem Weine in die Gefangenen sich ergoß!

»Jetzt erzähl nur immer zu, Überlinger!« rief Diez Schenck.

»Also, ich habe es selbst erlebt. Da gehe ich vor etlich Wochen die Wolfgangsgasse hinab; an des Titus Haus steht Bruder Johannes und neben ihm ein Bettler, wie ich einen zerlumpteren noch nie gesehen habe. Johannes redet mit ihm. Dann sieht der Franziskaner vor sich auf den Boden, sagt dem Bettler ein kurzes Wort und verschwindet in dem Winkel, der, wie Ihr wißt, von der Wolfgangsgasse hinüberführt in die Johannisgasse. Der Bettler bleibt stehen. Ich gehe auf ihn zu, und wie ich eben den Menschen anreden will, eilt Bruder Johannes aus dem Winkel und wirft – er hat natürlich dem Bettler sie zuwerfen wollen, hat aber mich getroffen – seine Hosen mir an die Brust. Sie waren noch warm. Natürlich bekam sie der Bettler alsbald. Bruder Johannes aber war wie der Wind davon und im schnellen Lauf nur darauf bedacht, daß seine Kutte fest beieinander blieb.«

Dem Wächter an des Turmes Pforte war es schon lange merkwürdig, wie lebhaft sich die Pfarrherrn unterhielten. Als aber auf des Überlinger Geschichtchen alle Gefangenen in ein dröhnendes Gelächter ausbrachen, da schüttelte der Mann, der auf seine Hellebarde sich stützte, bedenklich den Kopf.

»Da ist Johannes noch freigebiger gewesen als der hl. Martin«, sagte Sifrit Busenhart. »Mit halbem Mantel konnte der fromme Reitersmann immer noch sich decken; aber ohne Hosen, um eines Armen willen! Wahrlich, auf solchen Bruder können die Minoriten stolz sein!«

Nach einer kleinen Pause fing der Kirchherr wieder an: »Wenn Kurt Hartmut wüßte, daß wir statt Wassers seinen Claret trinken! Aber so vereitelt Gott seiner Feinde Anschläge!«

Leise sagte Diez Schenck seinem Nachbar auf dem Strohlager, dem Pfarrherrn Heinrich Waltz, der lieber zuhörte als mitredete, ins Ohr: »Ein Mann, der so guten Claret im Keller und einen so braven Sohn im Hause hat, kann kein so heftiger Feind Gottes sein.«

Heinrich Waltz nickte und sagte ziemlich laut: »Ja, seine Frau erst ist ein rechtschaffen christliches Weib!«

»Ihr redet von des Hartmuts Weib?« fragte der Kirchherr. Als die beiden es bejahten, da flog ein seltsam spöttisch Lächeln über des Kirchherrn Gesicht. Eine Weile schwieg er und sah zu Boden. Dann schlug er rasch wieder die Augen auf und fing an: »Eine Evastochter ist sie, wie jede andere auch. Ich weiß ein Beispiel dafür. Kurt Hartmut hat es mir selbst erzählt, als er noch unser guter und freundlich gesinnter Nachbar war. Die Eheleute waren ein paar Jahre verheiratet. Da kamen sie auch einmal, ich weiß nicht wie, darauf zu reden, wie viel Elend in der Welt sei, und daß man das alles der Sünde der ersten Menschen zu verdanken habe. ›Der Sünde Evas‹, sagte dann nachdrücklich Kurt Hartmut. Sie wollte es anders gemacht haben, meinte Frau Else; sie hätte ganz gewiß das Gebot Gottes nicht übertreten. Ihr Mann lachte und sagte: ›Weiber thun immer das, was verboten ist‹. Frau Else ließ das nicht gelten und sagte: ›Gieb mir irgend ein Verbot, ob ich nicht treulich mich nach demselben halten werde‹. Hartmut nimmt sein Weib vor die Thüre und weist hinab in die hinterste Ecke des Hofs, wo oft ein Tümpel ist, von allerlei unreinen Gewässern zusammengelaufen, und sagt: ›Ich verbiete Dir, daß Du, wenn Du Dich gerade gebadet hast, mit nackten Füßen durch jenes schmutzige Wasser gehst‹. Frau Else lachte helle hinaus und sagte, das sei ein kindisch leicht Verbot. Ihr Mann aber meinte: ›Wir wollen sehen‹. Einige Tage nun war es, als ob Frau Else kein Verbot erhalten hätte; sie ging ihrer Arbeit nach wie sonst. Doch so oft sie über den Hof wandelte, fiel ihr Blick auf die verbotene Pfütze. Nach etlichen Tagen wurde sie unruhiger, und nun sorgte ihr Mann dafür, daß immer jemand im Hause die Pfütze im Auge behalte. An einem Samstag war's, da ging Frau Else hinüber in die Kirchbronnengasse zur Badestube. Sie kehrte heim. Es war niemand im Hof. Sie blickt auf die Pfütze; sie kann die Augen nicht mehr von ihr abwenden, sie nähert sich ihr drei Schritte, dann zieht sie sich zwei wieder zurück. Plötzlich streift sie Schuh und Strümpfe ab, hebt ihre Röcke bis zu den Knieen und läuft, daß das Wasser nach allen Seiten spritzt, durch die häßliche Brühe. Schon aber eilt ihr Mann aus der Schreibstube, klatscht in die Hände und ruft: ›Eva! Eva!‹ Mit einem Schrei, Schuhe und Strümpfe zurücklassend, rennt Frau Else die Treppe hinauf und läßt sich drei Tage lang nicht mehr blicken.«

Die letzten Worte des Kirchherrn wurden übertönt von dem hellaufwiehernden Lachen der Pfarrherrn.

Und nun, nachdem der Kirchherr selbst so Lustiges erzählt hatte, folgte eine Schnurre auf die andere. Immer wieder kreiste der Becher, immer lauter wurde das Lachen, immer toller die Fröhlichkeit.

Sie, die Gefangenen, hatten freilich keine Ahnung, daß an dem Turme mehr und mehr Menschen sich ansammelten, alle sich wundernd über die Fröhlichkeit der Eingeschlossenen. Die Wache wurde abgelöst. Der Wächter, der seit Stunden die Heiterkeit der Pfarrherrn mit angehört hatte, ließ sich vor den Schultheißen führen und erzählte ihm, was er gehört. Der schüttelte den Kopf, sagte aber gar nichts, sondern ging zu Kurt Hartmut und holte den zum Turme ab. Als Schultheiß und Ratsherr von der Sülmergasse in die Adelbergergasse einbogen, schallte ihnen vom Turm lufterschütterndes Lachen entgegen. Die beiden sahen einander an. Wie sie am Turme ankamen, hörten sie, daß eben der Schenkwirt Fritz Strulle, gewöhnlich nur die »Kanne« genannt, ein großer Mann mit weingerötetem Gesicht, in seinem Grundbaß sagte: »Ich setze meinen Kopf dafür, die Pfaffen sind besoffen!«

»Woher auch?« fragte der alte Weingärtner Eygerer. »Sie haben den ganzen Tag nichts anderes als einen Krug Wasser!«

»Den hat ihnen halt ein mitleidiger Heiliger in Wein verwandelt,« brummte Fritz Strulle.

Der Schultheiß ging auf den Wächter zu und fragte ihn streng: »Wer hat in der letzten Nacht hier am Turm die Wache gehabt?«

»Ich selbst, Herr!«

»Hast Du irgend etwas wahrgenommen?«

»Herr, es war still, wie in der Kirche. Nur einmal glaubte ich, drüben auf der andern Seite des Turmes an der Mauer schlage eine Wachtel, und bald darauf schrieen dort unten am Hof ein paar Katzen.«

Kurt Hartmut horchte auf. Im September schlagen nachts keine Wachteln, die Federn haben, sagte er sich, und den, der alle Tiere nachahmen konnte, kannte er nur zu gut. Er wußte jetzt schon, wer der Heilige war, der Wasser in Wein verwandelt hatte.

»Schließt auf!« befahl der Schultheiß dem Wächter.

Die Gefangenen hörten, daß die Turmpforte geöffnet wurde. Sie meinten nicht anders, als daß wieder ein Ratsbote komme, sie zu fragen, ob sie Messe lesen wollen. Während nun Diez Schenck schleunigst die zinnernen Weinflaschen zu bergen suchte – er mußte aber merken, daß seine Griffe und Bewegungen nicht ganz sicher waren – riefen die anderen im Chor: »Wir singen nicht, wir singen nicht! sagt's nur dem Rat, wir singen nicht!«

»Aber Ihr pokulieret und bankettieret,« rief laut Kurt Hartmut, der neben dem Schultheißen auf der Treppe auftauchte.

Wenn der Blitz in den Turm geschlagen hätte, wären die Pfarrherren nicht ärger gelähmt gewesen, als sie es waren, da die beiden unerwarteten Gäste im Turmgemach erschienen.

»Hat Euch, ehrwürdige Herren, mein Claret geschmeckt?« fragte höhnisch Kurt Hartmut, der sofort an dem Duft, der das Gemach erfüllte, seinen Edelwein erkannt hatte.

»Ihr habt gewiß auch uns noch einen Schluck übrig gelassen, nicht?«

Aus des Kirchherrn Augen schossen Blitze, die ihr Feuer teils dem genossenen Wein, teils der Wut über diese unerhörte Beschämung verdankten. Aber was sollte er sagen?

»Ihr wollt uns verhöhnen in unserem Elend!«, stieß er heraus, merkte aber zugleich zu seinem Schrecken, daß seine Zunge nicht ganz den Gedanken zu Dienst sein wollte.

»Nun, Euer Elend ist heute so groß nicht gewesen,« gab Hartmut zurück. »Unten am Turm stehen hunderte von Heilbronnern, die haben in ihrem ganzen Leben ihre Pfarrer nicht so viel lachen gehört, als heute in ein paar Stunden.«

Der Kirchherr brach zusammen.

Indessen hatte der Schultheiß im Gemach herumgespäht, ob er nicht die Quelle entdecken könnte, aus welcher den Gefangenen die Freude der letzten Stunden zugeflossen war. Da sah er, wie Diez Schenck, auf dem Boden sitzend, doch so eigentümlich sich gegen die Wand zurücklehnte und die Arme so weit ausgespreizt hielt. Er ging auf ihn zu und holte hinter dem Rücken des vom Schrecken Gelähmten die beiden großen Flaschen hervor.

Hartmut kannte seine Flaschen. »Acht Maß Claret auf elf Mann! Herr Schultheiß, da wären wir auch lustig geworden! Nun, Ihr ehrwürdigen Herrn, es wird dafür gesorgt, daß die Wachtel des Nachts nicht noch einmal schlägt. Wir wollen morgen wieder fragen, ob Ihr nicht Messe singt?«

Da erhob der Kirchherr sein Haupt und stieß wieder mit schwerer Zunge hervor: »Schlagt uns doch lieber tot, Messe lesen wir nicht!«

Der Schultheiß schob mit einem vielsagenden Blick den Wasserkrug näher zu den Priestern hin; Hartmut aber nahm seine beiden Flaschen, von denen die eine ganz, die andere beinahe leer war. Unten an der Treppe stellte er sie ab und wechselte mit dem Schultheißen einige Worte. Dann gab der Ratsherr dem Wächter den Befehl: »Hole alsbald meinen Knecht Uz hieher!« Es währte einige Zeit, bis die beiden kamen. Der große starke Mensch, der Uz, war bleich wie der Tod und zitterte wie ein Espenlaub. Was werden sie ihm wohl thun? Ihn aufhängen, oder ihm den Kopf abschlagen? Warum folgt ihm denn Bruno nicht, daß dieser ihn rette? O dieser Turm!

Die Menge machte Platz, und so stand denn der Knecht, neben ihm der Wächter mit der Hellebarde, vor seinem Herrn und vor dem Schultheißen, die miteinander auf die oberste Staffel unter dem Turmpförtchen getreten waren.

Kurt Hartmut sah seinen Knecht scharf an und sagte:

»Uz, laß die Wachtel schlagen!«

»Ich kann nicht, Herr!« stammelte der zitternde Knecht.

»Uz, laß die Wachtel schlagen! Oder! –«

»Herr, erbarmt Euch, ich kann nicht!« stöhnte Uz, und kalter Schweiß stand in dicken Perlen auf seiner Stirne.

»Uz, Du mußt! sonst übergebe ich Dich dem Rat.«

Da schloß Uz die Augen, seine Gesichtsmuskeln zuckten, und während die Menge der Neugierigen atemlos lauschte, ertönte der Wachtelschlag. Aber nicht war's der fröhliche Schlag, aus dem der Gedankenlose heraushört: Sechs Paar Weck! Sechs Paar Weck! und der Fromme: Fürchte Gott! Fürchte Gott!, sondern er lautete wie der letzte Angstschrei einer von einer Wildkatze ergriffenen Wachtel.

Händeklatschen und hundertstimmiges fröhliches Gelächter drang hinauf zu den Priestern, die so still geworden waren und die Häupter noch tiefer aus die gramerfüllte Brust sinken ließen.

Als der Sturm der Heiterkeit sich gelegt hatte, hob der Ratsherr noch einmal an:

»Uz, wie schreien denn kämpfende Kater?«

Der Knecht merkte, daß er durch Gehorsam seinen Kopf aus der Schlinge ziehen könne, und daß es ihm wohl nicht ans Leben gehen werde, daß er wohl auch nicht in den Turm wandern müsse. Er raffte sich zusammen und in grausiger Natürlichkeit schrieen zwei Kater.

Zwei Kater unten – und droben im Turm die elf Pfarrherrn!

Wie aber jetzt erst die Zuschauer und Zuhörer tobten, strampften, jauchzten, schrieen vor Ausgelassenheit!

Uz hatte allmählich seine natürliche Farbe wieder bekommen; er stand noch mit niedergeschlagenen Augen vor seinem Herrn.

»Uz, dort in der Ecke sind zwei Flaschen; Du kennst sie ja wohl; trage sie dahin, wohin sie gehören!« sagte jetzt Harmut und deutete ins Innere des Turmes. Uz schrak zusammen. Sollte er am Ende doch noch in den Turm gesperrt werden? Aber der Fingerzeig des Herrn war sehr deutlich. Uz drückte sich neben dem Schultheißen und seinem Herrn in den Turm und erschien schnell wieder mit den Zinnflaschen. Die Menge begriff, um was es sich handle und brach noch einmal in ein unbändiges Lachen aus.

»Hab ich's nicht gesagt,« schrie blaurot vor freudiger Aufregung der Schenkwirt Strulle, »daß die Pfaffen besoffen sind! Und dem Hartmut ist der Wein dazu gestohlen worden! Hat man auch schon in unserer Stadt einen solchen Spaß erlebt?«

Johlend begleitete die Menge den Uz, als er die Flaschen in die Klostergasse trug. Wie es dann wieder vor dem Turm ruhig geworden war, schärfte der Schultheiß dem Wächter ein, aufs sorgfältigste acht zu haben, daß niemand mehr dem Turm sich nahe. Hartmut aber sagte: »Mein Uz bringt den Pfaffen nichts mehr, das weiß ich gewiß, und daß der ›Heilige‹, dem Uz zu Dienst gewesen, nicht fernerhin Wasser in Wein wandte, dafür will ich sorgen.

Kurt Hartmut kam heim. Uz reinigte den Hof, als wäre das von ihm seit einem Jahre nicht mehr besorgt worden. Bruno war nicht im Geschäft; er war oben in seiner Kammer. Er hatte, als der Wächter den Uz aus dem Hause holte, sich gesagt, daß alles zu Tage gekommen sei. Er hatte es sich zunächst gar nicht anders denken können, als daß die Pfarrherren selbst von der Sache gesprochen haben. Es ergriff ihn wilde Verzweiflung. Sein erster Gedanke war: Auf, fort, zu den Dominikanern nach Wimpfen! Er stürmte in seine Kammer hinauf, er wollte nur das Nötigste zusammenraffen und davoneilen. Da kam ihm unter der Thüre der Kammer Hildegard entgegen.

»Bruno, bist Du denn heute wieder von Sinnen? Du rasest im Hause umher, wie von einer Tarantel gestochen!«

»Geh weg, laß mich hinaus!« zischte Bruno, die Schwester mit weitaufgerissenen Augen anblickend.

»Nein, ich laß Dich nicht hinaus, bis Du vernünftig geworden bist und mir gesagt hast, was es gegeben.«

»Laß mich hinaus, sage ich, oder ich würge Dich!«

»Da wollen wir doch einmal sehen, wer stärker ist«, rief Hildegard und packte mit gewandtem Griff beide Handgelenke des Bruders, schrie aber zugleich laut der Mutter. Bruno suchte sich aus der Umklammerung der Schwester los zu machen, aber das starke Mädchen ließ ihn nicht los, bis die Mutter herbeigeeilt kam. Da gab Bruno den Widerstand auf. Er schlang die Arme um der Mutter Hals und fing an zu schluchzen.

»Mutter, hilf mir! Rette mich vor dem Zorn des Vaters!«

Frau Else führte den Sohn an sein Bett, zog ihn sanft darauf nieder und setzte sich neben ihn. Stockend berichtete der Sohn der Mutter alles. Das gab freilich eine schwere Last für das Herz der Frau. Denn der Vater wird furchtbar zürnen. Hildegard aber war getrost. Sie empfand sofort mit seinem Gefühl das Komische in der ganzen Sache, und für Komisches hatte auch der Vater immer ein gutes Verständnis gezeigt. Sie sollte sich nicht täuschen. Also – während oben Mutter und Schwester beim Trostlosen in seiner Kammer saßen, kehrte Hartmut heim. Schon unten im Hof rief er nach Bruno. Aber die Seinigen, die den verschiedenen Klang seiner Stimme längst zu beurteilen gelernt hatten, hörten in dem Rufen mehr ein heiteres Lachen als ein zürnendes Schelten. Frau Else trat heraus auf die Galerie und bat ihren Mann, herauf zu kommen. Sofort war Hartmut oben. Ein Blick auf den Sohn und die besorgte Mutter sagte ihm alles.

»Armer Junge, wie gut hast Du die Sache eingefädelt, und wie schlecht haben die Pfaffen mit Deinem Faden genäht! Willst Du hinüber in den Turm und einen Besuch bei den Pfarrherrn machen? Ob sie Dich kennen in ihrer Trunkenheit, ob sie zwei vernünftige Worte mit Dir zu reden vermögen? Warum hast Du aber auch gerade Claret genommen, das Stärkste, was in Heilbronn in einem Keller lagert? Bruno, Du hast den Pfarrherrn helfen wollen. Gut, ich habe es Dir ja erlaubt, und ob Eurer Schlauheit verdienst Du mit Uz mein Lob. Du hast aber viel mehr mir geholfen, denn was der Wein dort im Turme bewirkt hat, ist schon ein halber Sieg des Rats. Nun sei wieder besseren Muts, mein Sohn!«

Hartmut wollte dem Sohne die Hand reichen. Dieser aber warf sich auf sein Bett und schluchzte weiter. O hätte ihn der Vater doch gescholten oder geschlagen, das hätte nicht so wehe gethan, wie der heitere Spott des Vaters.

»Laß ihn ausruhen, er wird wieder zurecht kommen«, bat die Mutter.

Als die Ehegatten allein waren, sagte Else: »Kurt, lach mich nicht aus! Mir kam der Gedanke, ob es nicht das beste wäre, wir schickten Bruno auf einige Zeit von hier fort. Der Mensch ist zu sehr verwettert. Muß doch unsereins sich zusammen nehmen, daß es in dieser aufgeregten Zeit nicht ganz allen Halt verliert.«

»Du bist meine kluge Else«, sagte zärtlich Hartmut. »Übermorgen geht unser Schiff nach Köln. Von den Handlungsdienern fährt der alte Eberhard mit; der kann am ehesten den aufgeregten Burschen in ruhiges Fahrwasser leiten.«

Voll Freude eilte Frau Else hinauf in die Kammer des Sohnes und teilte ihm den Plan des Vaters mit. Sie neigte sich über den Liegenden und küßte ihn auf die Stirne. Bruno aber umschlang leidenschaftlich den Hals der Mutter und sagte ihr heißen Dank.


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